NZZ gegen Algerier*innen, EGMR für Doppelbestrafung, Konsumschutz vor Diskriminierungsschutz

Menschenrechte schützen nicht vor rassistischen Ausschaffungen | Rechtsextremer Gruppen-Chat von ehemaligen Offizier*innen der spanischen Armee veröffentlicht | Sammelklagen für Konsument*innen, aber nicht für Rassismusdiskriminierte? | Calais: Fast 1000 Räumungen von informellen Camps in einem Jahr | Rassismus gegen Algerier*innen in der NZZ | Gegen das Gameover an der bosnisch-kroatischen Grenze | Nein zur Abschiebung der Brüder Talli in die Türkei! | Weiterbildungsplattform Antirassismus lanciert | Indien von Kleinbäuer*innen bestreikt | Antikoloniale Bewegung in Neukaledonien | Bleiberecht für eritreische Geflüchtete, Familiennachzug und Evakuierung der Flüchtlingscamps in Tigray | Gegen die Komplizenschaft mit China

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Antikolonialer Widerstand in Neukaledonien

Was ist neu?

EGMR: Menschenrechte schützen nicht vor rassistischen Ausschaffungen

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Wer mit Menschenrechten argumentierte, um die rassistische Ausschaffungsinitiative der SVP zu bekämpfen, dürfte über das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof EGMR erstaunt gewesen sein. Dieses entschied, dass die offizielle Schweiz einen Mann mit spanischem Pass, der wegen zweier Sexualdelikte und Drogenvergehen veruteilt wurde, ausschaffen solle. Ein*e Schweizer*in hätte einzig eine Haftstrafe erhalten. Weil der Mann aber keinen Schweizer Pass hat, wird er zusätzlich mit der Ausschaffung bestraft. Das Urteil gilt als ein Referenzurteil und adelt die rassistische Doppelbestrafung als menschenrechtskonform. Obwohl der Vierzigjährige in der Schweiz geboren ist und immer in der Schweiz lebte, erachtet der EGMR seine – was auch immer das heisst – „Integration in der Schweiz“ als ungenügend. Zudem könne er „keine enge familiäre Beziehungen“ – enge Freundschaften gelten nicht – vorweisen. Angesichts der Schwere des Sexualdelikts sei die Ausschaffung daher okay.
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/landesverweisung-war-rechtens?id=11dfe5ac-f631-4a70-b63f-9f2265f47bd8

Rechtsextremer Gruppen-Chat von ehemaligen Offizier*innen der spanischen Armee veröffentlicht
Rechtsextreme Chatgruppen von Polizist*innen oder Soldat*innen sind keine Seltenheit. Dieses Jahr wurden in Deutschland mehrere dieser Gruppen-Chats aufgedeckt – in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Berlin. Erst Ende November war ein Chat von 26 Soldat*innen öffentlich geworden, die in der niedersächsischen Neustadt am Rübenberge stationiert waren. In diesem hatten sie sexistische, pornographische, gewaltverherrlichende, antisemitische und rechtsextreme Inhalte geteilt. Allein im Militär ermittelt der Militärische Abschirmdienst (MAD) zurzeit gegen 700 rechtsextreme Verdachtsfälle. Und die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Und auch in Spanien wurde nun ein rechtsextremer Gruppenchat von ehemaligen Offizier*innen öffentlich. In diesem sprachen sie u.a. davon, alle Menschen ermorden zu wollen, die sich politisch links verorten würden. Auch der ehemalige faschistische Diktator Francisco Franco wurde verherrlicht. Die pensionierten Offizier*innen haben zusätzlich mehrere Briefe an den König verfasst, in dem sie sich ‚besorgt um ihr Vaterland‘ zeigten. Und wichtige Leute aus dem Militär beteiligen sich aktiv in reaktionären Parteien: In der rechtsextremen VOX und der rechtskonservativen Volkspartei. Die spanische Verteidigungsministerin spricht in einer Pressekonferenz selbstverständlich von Einzelfällen. Ein suspendierter Offizier, Marco Antonio Santos, sagt hingegen, als Atheist und Demokrat sei man in der spanischen Armee in der Minderheit. Als er sich öffentlich gegen francistische Tendenzen in der Armee geäussert habe, sei er entlassen worden. Kritik an der Kirche und der Krone werde nicht geduldet. Noch bis 2006 habe in der Militärakademie in Saragossa eine Franco-Statue gestanden. 2018 hatten mehr als tausend Soldat*innen ein Manifest veröffentlicht, in welchem sie die Rehabilitierung Francos forderten. Im Übergang aus der Franco-Diktatur hat es keinen Umbruch des Systems gegeben, sondern vielmehr einen schleichenden Übergang. Angesichts dessen, dass damals die hohen Posten im Militär mit den gleichen Menschen besetzt blieben, ist die heutige Lage kaum verwunderlich.
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=e14fa530-e844-4189-a5a2-0e39565c80ee
https://alencontre.org/europe/espagne/etat-espagnol-des-manifestes-de-militaires-adresses-a-felipe-vi.html

Was geht ab beim Staat?

Sammelklagen für Konsument*innen, aber nicht für Rassismusdiskriminierte?
Kollektiven Rechtsschutz kennen einige aus den USA, wo grosse Sammelklagen jeweils zu Reden geben, wenn sich kleine Fische zusammenschliessen, um gegen eine grossen Fisch vorzugehen. Zu erwähnen sind die kollektiven Klagen von Jüd*innen gegen schweizer Banken in den USA, weil sich diese weigerten, das Geld und die Vermögen rauszurücken, das ihre Vorfahren vor oder während dem Holocaust auf schweizer Konten platziert hatten.
In der Schweiz ist die Idee der Sammelklage nicht sonderlich verbreitet. Hier müssen Menschen grundsätzlich alle individuell klagen, wenn ihnen Unrecht widerfährt. Im Vergleich zu den Gleichstellungsgesetzen für “Mann und Frau” oder Menschen mit und ohne Behinderung, ist der kollektive Diskriminierungsschutz im Bereich des (Anti-)Rassismus fast unmöglich. Vor allem, wenn er vor staatlichem Rassismus schützen soll. Was das für Auswirkungen hat, zeigt sich zum Beispiel bei Racial Profiling. Wer hat schon immer wieder aufs Neue das Geld und die Zeit, sich einen ohnehin fast aussichtslosen Gerichtsprozess gegen die rassistische Polizei zu leisten? Sammelklagen oder -beschwerden könnten es erleichtern, dass Probleme, die für alle Rssismusdiskriminierten von Bedeutung sind, einfacher einer juristischen Klärung zugeführt und demenstprechend geahndet werden könnten. Der Bundesrat erachtet es allerdings als dringender, den kollektiven Rechtsschutz im Konsument*innenschtzbereich voranzutreiben. Letze Woche fand ein “Runder Tisch” mit Konsument*innenschutzorganisationen statt. Bleibt zu hoffen, dass Entwicklungen in diesem Bereich dazu einladen, dass antirassistische Verfechter*innen des Rechtsstaates verstärkt auch den kollektiven Rechtsschutz vor Rassismus vorantreiben.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81557.html
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81557.html
https://www.skmr.ch/cms/upload/pdf/160526_Teilstudie_1_Grundlagen_des_Diskriminierungsschutzes.pdf
https://www.bratschi.ch/fileadmin/daten/dokumente/newsletter/2015/01/Newsletter_Mai_2015_Artikel_LWY.pdf


Was ist aufgefallen?

Calais: Fast 1000 Räumungen von informellen Camps in einem Jahr

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Räumung in Grande-Synthe, 8. Dezember 2020


Die Initiative Human Rights Observers (HRO) hat anfangs Dezember ihren Monatsbericht über die Situation in Calais veröffentlicht. Die Menschenrechtsbeobachter*innen registrierten im Monat November 73 Räumungen von kleinen Camps, bei denen unter anderem 336 Zelte und Planen, 71 Schlafsäcke, 40 Gepäckstücke, 15 Mobiltelefone und andere Gegenstände beschlagnahmt oder zerstört wurden. Bis zum 8. Dezember zählte die Initiative 904 Räumungen in Calais und 80 Räumungen in Grande-Synthe seit Jahresbeginn, in der Summe also 984 Räumungen. “Human Rights Observers” dokumentierte viele dieser Operationen und postete in den Sozialen Medien kurze Notizen und Fotos derjenigen. Doch mit dem neuen französischen Sicherheitsgesetz könnte das Filmen und Veröffentlichen solcher Gewaltszenen kriminalisiert werden (s. antira-Wochenschau vom 30. November und 8. Dezember).
Diese Woche wurde eine weitere wichtige Studie zu Calais veröffentlicht: in der Dokumentation “Deadly Crossings and the militarisation of Britain’s borders” erfasst der Autor Mael Gallisson 300 Todesfälle von Menschen, die auf dem Fluchtweg nach Grossbritannien an den französischen und belgischen Grenzen zwischen 1990 und 2020 gestorben sind. Galissons Untersuchung macht deutlich, wie der Zunahme von Todesfällen auch in dieser Region die gleichen politischen und strukturellen Ursachen zu Grunde liegen, nämlich die Schliessung existierender Migrationsrouten durch festungsartige Sicherheitsanlagen. Auf der Internetseite calais.bordermonitoring.eu findet mensch eine Zusammenfassung der 28-seitigen Studie.
https://calais.bordermonitoring.eu/2020/12/06/inventar-der-toten/#more-1536
https://calais.bordermonitoring.eu/2020/12/09/auf-dem-weg-zur-tausendsten-raeumung/

NZZ bringt ihren Rassismus gegen Algerier*innen auf den Punkt
Ihren Angestellten Tobias Gafafer lässt die NZZ verallgemeinernd und herabsetzend hetzen sowie indirekt zu Gewalt aufrufen. „Algerische Asylbewerber sorgen für Probleme, doch die Schweiz kann sie nicht ausschaffen“ titelte er seinen Artikel, in dem er allgemein aufzeigen will: „Asylbewerber aus dem nordafrikanischen Land (halten) die Polizei auf Trab“.
Bei der Zürcher Sicherheitsdirektion fand Gafager heraus, dass auf 60 abgewiesene geflüchtete Algerier*innen, die teilweise seit über zwanzig Jahren von der Nothilfe leben müssen, bereits 54 straffällig geworden seien. Ob allerdings „illegaler Aufenthalt“ auch als Straftat gezählt wurde, bleibt unklar. Von „Mitarbeitern des Asylwesens“ hört er vom „grossen Problem (…) Viele täten alles, um das Verfahren zu verzögern, seien aggressiv und hätten Drogenprobleme“. Auch Marcel Suter, Präsident der Vereinigung der kantonalen Migrationsbehörden und Ausschaffungschef in Graubünden kommt zu Wort und giesst differenziert Öl ins Feuer: «Es gibt wieder vermehrt Problemfälle aus Algerien, wie es nach dem Arabischen Frühling der Fall war». Suter freut sich offen über die zunehmend greifende Ausschaffungsgewalt gegen abgewiesene Algerier*innen: „Der Vollzug hatte sich verbessert, und andere europäische Länder schauten neidisch auf uns.“ Er kritisiert, dass auf diese Ausschaffungen verzichtet wird, um die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie zu bremsen. Nicht nur Suter fordert Ausschaffungen trotz Corona, sondern auch Mario Fehr. Erst vor kurzem nahm er sich die Zeit, für die NZZ einen ganzen Artikel darüber zu verfassen. Dass er es damit ernst meint, bewies er diese Woche und gab grünes Licht für einen Sonderflug, um mitten im Shutdown vier Menschen gegen ihren Willen nach Tunesien abzuschieben. Stolz schrieb Fehr in seiner Medienmitteilung, es sei nötig, “dass das geltende Ausländer- und Asylrecht auch in anspruchsvollen Zeiten korrekt und konsequent umgesetzt wird». Mehr Entrechtung und Gewalt fordert auch sein Kollege Staatsrat Alain Ribaux in Neuenburg. Das SEM müsse Banden zerschlagen, indem es Algerier*innen besser auf verschieden Regionen verteile und sie an den Gefängniskosten beteilige.
Der Journalist Tobias Gafafer und die NZZ arbeiten an einem einseitig negativen Bild einer rassismusdiskriminierten Gruppe, indem sie den mächtigsten Akteur*innen des staatlichen Rassismus (SEM und Migrationsbehörden) eine Plattform bieten, um mehr Entrechtung zu fordern. Ausgerechnet jenen weissen Männern der Dominanzgesellschaft also, die die tägliche Gewalt und Diskriminierung von abgewiesenen Asylsuchenden aus Algerien verantworten, organisieren und durchsetzen.
https://www.nzz.ch/schweiz/algerische-asylbewerber-sorgen-fuer-aerger-und-werden-straffaellig-ld.1590341?reduced=true

Kopf der Woche

Thomas Aeschi

https://www.watson.ch/imgdb/2d76/Qx,A,0,0,4707,3138,1961,1307,784,523/8952084957314901

Dass sich das Corona-Virus gut für nationalistische Politik nutzen lässt, zeigte sich bei den Kampagnen zur «nationalen Solidarität», den Grenzschliessungen und der verbitterten nationalstaatlichen Konkurrenz um möglichst viele Impfdosen. Die Rechten verstehen es aber, das Virus auch für ihre rassistischen Ideen zu instrumentalisieren. So titelte die Basler Zeitung kürzlich, dass «auf den Corona-Intensivstationen «gefühlt» viele Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund liegen würden». Diese These versuchte das Blatt mit Aussagen vom Pflegepersonal zu untermauern. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sprang auf das Thema auf. Er äusserte sich folgendermassen rassistisch: «Es zeigt sich eben doch, dass das Virus eingeschleppt wird. Ausländer würden vielleicht schon infiziert die Grenze überschreiten, um in den Genuss des Schweizer Gesundheitssystems zu kommen.» Laut dem Bund liegen keine Zahlen vor, die diese These statistisch bestätigen würde. Doch selbst wenn überdurchschnittlich viele Migrant*innen an Corona erkranken sollten oder sich aufgrund der Folgen des Virus hospitalisieren lassen müssten, könnte Aeschi sich mal ernsthaft fragen, woran dies liegen könnte, statt rassistische Hetze zu betreiben. Denn aufgrund der strukturellen rassistischen Diskriminierung müssen Menschen mit Migrationshintergrund oft in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten, in engeren Wohnverhältnissen leben und haben weniger Zugang zu Gesundheitsversorgung. Eine Person, die z.B. in der Reinigungsbranche arbeitet, hat keine Möglichkeit ins Home-Office zu gehen. Für Menschen in engen Wohnverhältnissen sind Quarantäne-Regelungen schwieriger umzusetzen und wer bei der Gesundheitsversorgung strukturell benachteiligt wird, sieht sich in der momentanen Situation mit einem grösseren Gesundheitsrisiko konfrontiert. Aeschi sollte sich also lieber mal ein paar Gedanken zu strukturellem Rassismus machen, statt gegen die Menschen zu hetzen, auf deren Leben sich das Virus ungleich stärker auswirkt als auf den privilegierten Aeschi.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/coronavirus-alain-berset-aussert-sich-zu-auslander-angriff-der-svp-65832349


Was nun?

Teilen: Gegen das Gameover an der bosnisch-kroatischen Grenze

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Willst du ein hilfreiches Zeichen gegen die Folgen von Abschottung, Überwachung, Pushbacks und Entmenschlichung setzen und dein Geld teilen für Nahrungsmittel, Kleider und Schuhe für (geflüchtete) Migrant*innen? Einige vom Migrant Solidarity Network sind derzeit in Bihać und werden dein Geteiltes vor Ort zugänglich machen. Wegen der Grenzgewalt und dem Winter sind derzeit immer mehr (geflüchtete) Migrant*innen an der abgeschotten militarisierten Grenze zu Bosnien blockiert.„The Game“ nennen die Geflüchteten einen Versuch, Bihać zu Fuss oder über bezahlte Akteur*innen Richtung Westen zu verlassen. Wer „the Game“ nicht gewinnt, erlebt schreckliche Pushbacks. Schuhe und Jacken werden den Geflüchteten weggenommen und zusammen mit Handies sowie den wenig mitgeführten Sachen zerstört. Viele berichten auch von Beschimpfungen, Demütigungen, Schlägen. Nach dem Pushback bleibt der Weg in der Kälte zurück nach Bihać, im T-Shirt und barfuss.
Einzahlungen an das Konto von Bleiberecht Bern, IBAN: CH72 0900 0000 6024 4887 5 (Vermerk Bihać)
http://migrant-solidarity-network.ch/2020/12/11/teilen-gegen-das-gameover-an-der-bosnisch-kroatischen-grenze/
https://balkaninsight.com/2020/12/03/snow-worsens-plight-of-migrants-in-bosnia/

https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2020/12/2/bosnia-migrants-asylum-winter-eu-border-pushbacks

Petition: Nein zur Abschiebung der Brüder Talli in die Türkei!

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Das Staatssekretariat für Migration SEM hat den Asylantrag der Brüder Talli abgewiesen und deren Ausschaffung in die Türkei angesetzt, wo sie als Kurden Gefahr laufen, verhaftet, inhaftiert und gefoltert zu werden. Die Brüder Talli existieren für die türkischen Behörden nicht: Sie sind in dem Land nirgendwo als Bürger eingetragen. Sie besassen nie die türkische Staatsbürgerschaft oder einen türkischen Pass. Der Entscheid des SEM widerspricht gängiger Rechtspraxis: Alle Personen, die aus Makhmur in die Schweiz kamen, haben entweder einen Flüchtlingsstatus oder eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Aus Protest gegen das SEM und in Solidarität mit den Brüdern wurde diese Petition gestartet:
https://secure.avaaz.org/community_petitions/de/wir_fordern_das_statssekretariat_fuer_migration_se_nein_zur_abschiebung_der_talli_brueder_in_die_tuerkei/?fbclid=IwAR0jnpB9_ErxlhkoF8CR_9jboLil_0UeN08sTcSB8bU6ZzdzqatwYk9aNnM

Weiterbildungsplattform Antirassismus lanciert
Rassismus und Diskriminierungsschutz sind keine Trend-Themen. Rassismus und Diskriminierungsschutz gehen uns immer und alle etwas an. Sich zu diesen Themen weiterzubilden, ist deshalb eine Aufgabe, die alle rassismusprivilegierten Menschen betrifft. Das Projekt «Beratungsnetz für Rassismusopfer» von humanrights.ch lanciert eine Onlineplattform, die über Weiterbildungsmöglichkeiten rund um Rassismus und Diskriminierung in der ganzen Schweiz informiert.
https://www.humanrights.ch/de/fachstellen/fachstelle-diskriminierung-rassismus/news-lancierung-weiterbildungsplattform


Wo gabs Widerstand?

„Delli Chalo“: Indien von Kleinbäuer*innen bestreikt
In ganz Indien blockierten Massenstreiks Strassen und Schienen, um die Rücknahme der Agrarreformen zu fordern. „Keine Landwirte, kein Essen“ lautet der Slogan des wohl grössten Streiks der Geschichte, an dem sich 250 Millionen Kleinbäuer*innen beteiligten. Die eingeführte Deregulierung kommt den Grosskonzernen zugute, die künftig die Spielregeln vorgeben und und Preise drücken. Die Regierung versucht die Protestbewegung mit Polizeigewalt einzuschüchtern und ideologisch zu verleumden. Der Ausgang des Kräftemessens ist noch offen.
https://countercurrents.org/2020/12/napm-supports-the-bharat-bandh-on-8th-december/

https://www.labournet.de/internationales/indien/soziale_konflikte-indien/delli-chalo-indiens-hauptstadt-von-kleinbauern-belagert/

Antikoloniale Bewegung in Neukaledonien

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Seit September ist in Neukaledonien (eine zu Frankreich gehörende Inselgruppe im südlichen Pazifik) eine massive Mobilisierung der antikolonialen Kanaky im Gange. Die Proteste wollen die Kontrolle über den lokalen Bergbau erlangen und damit die Plünderung des Nickel- und Erzvorkommen durch den niederländischen Rohstoffriesen Trafigura verhindern. Als im Dezember 2019 das Unternehmen Vale New Caledonia bekannt gab, das Land zu verlassen und seine Anteile zu verkaufen, sahen die antikolonialen Kräfte darin eine Chance, die Kontrolle über die Unternehmenspolitik im Bergbau zu gewinnen. Die Werke von Vale New Caledonia sollen nun aber an Sofinor (Société de financement et d’investissement de la Province Nord) übergehen. Der Kauf würde weiterhin von Trafigura finanziert. Parolen wie “Trafigura raus”, “Nein zum Ausverkauf unseres Bodenerbes” oder “Usine du sud = Usine pays” sind überall in der Südprovinz zu hören und zu sehen. Da der Deal mit Sofinor und Trafigura fast steht, haben sich Generalstreiks, Blockaden und Demonstrationen nochmals vervielfacht und werden zum Sinnbild für den Widerstand gegen die neokoloniale Herrschaft.
http://indigenes-republique.fr/le-pouvoir-colonial-joue-la-tension-en-kanaky/

Kundgebung: Bleiberecht für eritreische Geflüchtete, Familiennachzug und Evakuierung der Flüchtlingscamps in Tigray
Am Mittwoch demonstrierten über 30 geflüchtete Aktivist*innen aus Eritrea erneut vor dem Staatssekretariat für Migration. Sie übergaben den Behörden einen Brief, der die Problematik in Eritrea schildert und ihre Anliegen erläutert. Das SEM, so führten sie aus, wisse nicht genug über die Lage in Eritrea oder wolle nicht genug wissen. Durch den Bürgerkrieg in Äthiopien seien die Menschen in Eritrea auch stark betroffen: Erneut werden wieder unzählige Personen auf unbestimmte Zeit ins Militär eingezogen oder müssen Nahrungsmittel für die Armee abgeben. Wie lange die Unruhen dauern würden wisse niemand, die Region bleibe wohl wieder über Jahre instabil. Deshalb gelte es, dass die geflüchteten Menschen in der Schweiz ein sofortiges Bleiberecht erhalten und eine unbürokratischen Familiennachzug vollziehen können. «Das SEM muss seine Asylpolitik gegenüber dem eritreischen Staat überdenken. Es geht nicht, dass Eritreer*innen mit unsicherem Status in der Schweiz leben müssen!»
https://migrant-solidarity-network.ch/2020/12/10/kundgebung-bleiberecht-fuer-eritreische-gefluechtete-familiennachzug-und-evakuierung-der-fluechtlingscamps-in-tigray/

Menschenrechtstag: Keine Komplizenschaft mit China
Die Schweiz muss handeln! Das forderten an der Mahnwache mit dem Uigurischen Verein Schweiz, Schweizer Tibet-Organisationen und Campax.
https://www.gfbv.de/de/news/einladung-zur-menschenrechtsaktion-am-tag-der-menschenrechte-10-12-10364/

https://www.gfbv.de/de/news/keine-zusammenarbeit-mit-unterstuetzern-des-voelkermordes-10369/

Was steht an?

Das Andere Davos
15./16. Januar 2021 | Online
Das Andere Davos ist eine Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum (WEF). Es stellt diesmal den Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Pandemien und gesellschaftlichen Krisen ins Zentrum der Debatten. Der Blick richtet sich auf die Auswirkungen der Krise auf die Lohnabhängigen und den Gesundheitssektor, die Lebensbedingungen im Globalen Süden, die Umwelt und das Klima sowie auf den feminisierten Care-Bereich.
https://sozialismus.ch/ad21/

Save the Date 19.12: Gegen Rechte Hetze, ob offen oder verdeckt
„Corona-Skeptiker*innen“ rufen am 19. Dezember erneut zu einer Kundgebung auf dem Sechseläutenplatz in Zürich auf. Es sind teilweise offen Rechtsradikale, die diese Veranstaltungen organisieren. Einer solchen Kundgebung von Rechts, möchten wir keinen Meter Strasse überlassen.
https://barrikade.info/article/408

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Griechenland: Mögliche Bleivergiftungsgefahr in neuem Flüchtlingslager
https://www.hrw.org/de/news/2020/12/11/griechenland-moegliche-bleivergiftungsgefahr-neuem-fluechtlingslager

Datenschutz muss auch für Geflüchtete gelten

Die geplanten Maßnahmen aus dem EU-Migrationspakt haben Konsequenzen für Datenschutz von Asylsuchenden. Der Europäische Datenschutzbeauftragte sieht viele Probleme und weist auf einen beunruhigenden Trend in der Asylpolitik hin.
https://netzpolitik.org/2020/europaeischer-datenschutzbeauftragter-datenschutz-muss-auch-fuer-gefluechtete-gelten/

Uni Zürich und Rassenlehre
https://www.higgs.ch/die-vertuschte-geschichte-der-universitaet-zuerich/38354/

Menschenunwürdiges Leben am Rande der Gesellschaft
Im 2019 bezogen fast 6‘800 Personen Nothilfe. Dadurch leben sie meist ohne Aussicht auf Besserung unter höchst prekären Bedingungen.
https://beobachtungsstelle.ch/news/menschenunwuerdiges-leben-am-rande-der-gesellschaft/
Die Wende von Burgos
Vor fünfzig Jahren fand in Spanien ein Kriegsprozess gegen sechzehn Eta-Mitglieder statt. Dieser verkehrte sich in sein Gegenteil und beschleunigte den Zerfall des Franco-Regimes. Erinnerung an eine Protestbewegung, die weltweit Beachtung fand.
https://www.woz.ch/2049/spanische-geschichte/die-wende-von-burgos

Ist das wirklich das Leben?
Flüchtlinge verlassen ihr Land wegen vielen Schwierigkeiten, Ungerechtigkeiten und Angst um ihr Leben. Auf dem Fluchtweg erleben sie mehr Angst und Not als in ihrem Land. Aber die ganze Zeit hoffen sie, bald einen sicheren Hafen zu finden, um ohne Angst und Qual zu leben. Meistens ist diese Hoffnung nur ein Trugbild, das nicht erreicht wird. Sobald sie das Zielland betreten, kommen sie in eine Atmosphäre voller Sorgen und müssen viel demütigendes und unmenschliches Verhalten ertragen und eine lange Zeit in der Hölle des Wartens verbringen. Aber die Hoffnung bleibt. Die Hoffnung auf ein bisschen Frieden und ein Leben mit weniger Sorgen. Aber irgendwann ist man müde von dieser unerreichbaren, imaginären Hoffnung. Nur ein Flüchtling, der diesen schwierigen Weg gegangen ist, kann das Leiden mit jeder Zelle seines Körpers verstehen und wieder leiden und Tränen vergießen und mit seinem ganzen Sein schreien. Ein Schrei, den niemand hört und Tränen, die niemand sieht.
https://www.lucify.ch/2020/12/04/ist-das-wirklich-das-leben

Asylsuchender in der Schweiz: «Ich fühle mich manchmal wie im Gefängnis» True Life | SRF Virus
Der 19-jährige Saeed lebt seit rund acht Jahren in der Schweiz – drei davon mit seiner sechsköpfigen Familie auf engstem Raum im Rückkehrzentrum für abgewiesene Asylsuchende. Nicht nur das Führen einer Beziehung ist durch die Wohnsituation erschwert: Durch die ständigen Kontrollen im Asylzentrum, die vielen Vorgaben und das wenige Geld der Nothilfe fühle er sich manchmal wie im Gefängnis. Der junge Iraner versucht deshalb, mit Teilnahme an Demonstrationen auf die prekäre Situation von Asylsuchenden aufmerksam zu machen – schliesslich wünsche er sich nichts mehr, als eine Bewilligung und Papiere, die es ihm erlauben, legal in der Schweiz zu leben.
https://www.youtube.com/watch?v=K0js5qCW7j0&fbclid=IwAR28ugcjGXnIDTsEleVn3jD3HfQgDbPhfDkqlxV5oO9eLNavYHsRPpwehd0

Interview mit einem anarchistischen Aktivist über die Proteste in Frankreich (auf Englisch ab Minute 02:00)
https://anarkism.info/2020/12/05/18-anarkism-info-podcast-intervju-om-protesterna-i-frankrike/

Glossar

Intersektionalität
Der Begriff Intersektionalität (1989 von Kimberlé Crenshaw eingeführt) veranschaulicht, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht einfach aneinanderreihen lassen, sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen Bedeutung bekommen. Kategorien wie Geschlecht, ‚Rasse‘, Alter, Klasse, Ability oder Sexualität wirken nicht allein, sondern vor allem im Zusammenspiel mit den anderen. Die intersektionale Perspektive erlaubt, vielfältige Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse miteinzubeziehen, die über eine Kategorie allein nicht erklärt werden können.
(von: https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet)

Heteronormativität
„Der Begriff benennt Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse. (…) Die Heteronormativität drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist. (…)  Was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht (…)  Heteronormativität (erzeugt) den Druck, sich selbst über eine geschlechtlich und sexuell bestimmte Identität zu verstehen, wobei die Vielfalt möglicher Identitäten hierarchisch angeordnet ist und im Zentrum der Norm die kohärenten heterosexuellen Geschlechter Mann und Frau stehen. Zugleich reguliert Heteronormativität die Wissensproduktion, strukturiert Diskurse, leitet politisches Handeln, bestimmt über die Verteilung von Ressourcen und fungiert als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung. “
(zitiert nach Peter Wagenknecht auf: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90274-6_2)

„Analysiert wird, wie Heterosexualität in die soziale Textur unserer Gesellschaft, in Geschlechterkonzeptionen und in kulturelle Vorstellungen von Körper, Familie, Individualität, Nation, in die Trennung von privat/öffentlich eingewoben ist, ohne selbst als soziale Textur bzw. als produktive Matrix von Geschlechterverhältnissen, Körper, Familie, Nation sichtbar zu sein.“
(zitiert nach Sabine Hark auf: https://gender-glossar.de/h/item/55-heteronormativitaet)

Neokolonialismus
1963 benannte der erste Ministerpräsident Ghanas, Kwame Nkrumah, Neokolonialismus, indem er »vor den sehr realen Gefahren einer Rückkehr des Kolonialismus in versteckter Form« warnte.
„Unter dem Terminus ›Neokolonialismus‹ sind zwei Ebenen zu unterscheiden: ein Zustand, der von massiver Benachteiligung einheimischer Bevölkerungen zugunsten ausländischer Investoren gekennzeichnet ist, und eine Politik, die auf die Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen abzielt. Im ersten Fall geht es um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, im zweiten darüber hinaus um die Kontrolle über die politischen Entwicklungen und die Machtpositionen im internationalen Kontext.“
(aus D. Göttsche et al. (Hrsg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur)

Eurozentrismus
Der Begriff des Eurozentrismus stützt sich auf eine Weltsicht, die weitestgehend durch europäische Werte und Traditionen geprägt ist und wurde. Er steht für eine Einstellung, die Europa unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Ausgehend von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell darstellen, wird Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxis betrachtet. Die europäische Geschichte und Gesellschaftsentwicklung wird als Norm verstanden, die erfüllt oder von der abgewichen wird. Die westlichen Kulturen dienen als Bewertungsmaßstab und haben im Laufe der Kolonialisierung ihre Wertvorstellungen global durchgesetzt und expandiert.
Im eurozentristischen Denken, bleiben die Denkweisen und Philosophien der nicht europäischen Kulturen häufig unbeachtet und werden abgewertet oder negiert.
(von https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/eurozentrismus/2242 und http://wikifarm.phil.hhu.de/transkulturalitaet/index.php/Eurozentrismus)