Toxische Bunker, teurer BMVI-Fonds, globaler Rechtsruck

Was ist neu?

Die toxische Beziehung von Bunker und Notrecht

Es ist wieder soweit: Mehrere sogenannte «Notunterkünfte» werden (wieder-)eröffnet. Im Kanton Aargau sollen nun auch Familien in Bunker weggesperrt werden. Um den Bunker in Birmenstorf familiengerecht einzurichten, haben kleinere Umbauarbeiten stattgefunden. Nun wirke er – laut Personen, welche nicht in dem Bunker leben müssen – doch relativ freundlich. Er sei gut gelegen, habe einen Aussenbereich und sogar einen Spielplatz.

Zynische Willkommenskultur: Zivilschutzbunker in Winterthur

Die freundliche Wirkung eines Bunkers kann selbstverständlich nur mit dem Zusatz «relativ» behauptet werden. Der Begriff «relativ» macht deutlich, dass es sich um ein Verhältnis handelt. Er besagt, dass der Sachverhalt nur unter bestimmten Gesichtspunkten, beziehungsweise nur von einem bestimmten Standpunkt aus, zutreffend und daher in seiner Gültigkeit eingeschränkt ist. Die Aussage misst sich an den Umständen, an dem, was üblicherweise zu erwarten ist. Was sind also die Umstände, welche zu einer solch absurden Aussage führen? Und was wäre üblicherweise zu erwarten, sprich, wenn es sich bei den Menschen, welche eine Unterkunft benötigen, nicht um Geflüchtete, oder präziser, nicht um Geflüchtete of Color handeln würde?

«Zug plant für Notfall: Flüchtlinge könnten in Bunker kommen». «Aufgrund der hohen Zuweisungszahlen im Asylwesen und dem knappen Wohnraum für Geflüchtete ist nach dem Schutzraum Birmenstorf und der Geschützten Operationsstelle in Muri die Eröffnung einer weiteren unterirdischen Notunterkunft notwendig». «Im Kanton Luzern werden die Plätze für geflüchtete Menschen wieder knapp. Der Kanton nimmt deswegen am 11. Dezember erneut die Zivilschutzanlage Dagmersellen als Notunterkunft in Betrieb».

Was an den Nachrichten auffällt, ist die überdurchschnittlich hohe Anzahl von Begriffen, welche alarmierenden Charakter aufweisen. Anhand dieses Stilmittels wird den Leser*Innen nahegelegt, dass es sich um einen Notstand handelt. Die Funktion dieses Unterfangens ist die Vermittlung der Bedeutung «Es geht nicht anders». Die kantonalen Behörden machen für die Inbetriebnahme von Zivilschutzanlagen häufig eine Notlage geltend. Notlagen sind gemäss diesem Gesetz «überraschend eintretende Ereignisse bzw. unmittelbar drohende Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder soziale Notstände, die mit den für den Normalfall bestimmten Mitteln und Befugnissen allein nicht mehr bewältigt werden können.».

Die Inszenierung der Not-wendigkeit dient als diskursive Legitimations-Grundlage um die Massnahmen im öffentlichen Diskurs und vor Gericht als einzig machbare Lösung darzustellen. Die Kernaussage lautet: «Wir befinden uns in einem Ausnahmezustand». Dass dieser Ausnahmezustand längst die Form des Normalzustands angenommen hat, scheint im besten Fall zweitrangig.

Bereits 2013 entschied das Bundesgericht, dass die Praxis der Unterbringung von Asylbewerber*innen in Bunkern, im Einklang mit dem Anspruch auf ein menschenwürdiges Dasein steht. Dementsprechend werden geflüchtete Menschen in Unterkünften untergebracht, in welchen der Aufenthalt nach mehreren Wochen für alle anderen Personengruppen als unzumutbar und illegal gelten würden.

Auch in Bern wurde die Thematik diesen Monat erneut zur Diskussion gebracht: Grossrät*innen der Grünen haben im Kantonsparlament gefordert, dass Zivilschutzanlagen nach sechs Monaten nach der Eröffnung wieder geschlossen werden sollen. Auch wenn reformistische Ansätze wie dieser nicht die Wurzel des Problems angehen, wäre dies zumindest ein Versuch gewesen, die menschenunwürdige Praxis in ihrer Dauer einzugrenzen. Der Antrag wurde abgelehnt. Es sei klar, so der FDP-Sprecher Michael Elsaesser, dass es «bei der gegenwärtigen sowieso angespannten Wohnungsmarktlage immer schwieriger wird, Objekte zu finden, die alle Wunschkriterien erfüllen können.». Mit dieser Position repräsentiert er die deutliche Mehrheit der Regierenden. Dass in diesem Kontext von «Wunschkriterien» gesprochen wird, macht einmal mehr deutlich, dass die heraufbeschworene Notlage lediglich dazu dient, den fehlenden politischen Willen der Regierenden zu vertuschen.

Doch wo Unrecht geschieht, formiert sich Widerstand: In Zürich wurde eine Petition lanciert, in welcher aufgrund der ab Mitte Dezember 2023 geplanten Unterbringung von geflüchteten Kindern und ihren Müttern in einer Zivilschutzanlage in Zürich dringend eine Neubeurteilung der Unterbringung gefordert wird. Solange geflüchtete Menschen in Bunker gesteckt werden, wird die Praxis, welche Teil einer institutionell rassistischen Zermürbungsstrategie ist, angeprangert und bekämpft. «Wir wurden an diesen Ort gebracht, damit man uns vergisst». Dies sind die Worte eines im Jahr 2019 in einem Bunker im Tessin eingesperrten Geflüchteten, welcher sich zusammen mit anderen von dieser Gewalt betroffenen Menschen erfolgreich zur Wehr gesetzt hat. Gegen das Vergessen ankämpfen, heisst: Nicht zu schweigen wenn Unrecht zu (Not-)Recht gemacht wird!

Get angry, get organized!

https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/baden/asylunterkunft-fluechtlingsfamilien-so-bereitet-sich-birmenstorf-vor-statt-deutschunterricht-sollen-neu-spielenachmittage-auf-dem-programm-stehen-ld.2548202
www.zentralplus.ch/gesellschaft/zug-plant-fuer-notfall-fluechtlinge-koennten-in-bunker-kommen-2594014/
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/migration-asyl/zivilschutzanlagen-asylunterkuenfte-leben-bunker
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/bahnhof-freiburg-weniger-gedraenge-dank-neuer-unterfuehrung?id=12499284)
https://act.campax.org/petitions/keine-unterbringung-von-gefluchteten-kindern-und-ihren-familien-in-luftschutzbunkern?utm_source=campax&utm_medium=email&utm_campaign=blast2023-12-05
https://www.woz.ch/1928/asylpolitik/unter-der-erde-faellt-das-atmen-schwer
https://stopbunkers.wordpress.com/
https://www.landbote.ch/so-leben-familien-mit-kindern-im-mattenbach-bunker-519612427408

Mittelmeer Update: Angriffe auf Seenotrettung, El Hiblu 3, Rettungen

Das Rettungsschiff Humanity wird festgehalten und wurde mit einer Geldstrafe belegt. Gleichzeitig setzen sich auch Repressionen gegen andere Seenotrettungsschiffe fort. El Hiblu 3 wird wegen Terrorismus angeklagt. Rettungsbemühungen und Überfahrten gehen trotz des harten Vorgehens gegen zivile Rettungsschiffe weiter. 

Angriffe auf die zivile Seenotrettung: Festsetzung der ‚Humanity‘, rechtliche und mediale Attacken gegen diverse zivile Seenotrettungsschiffe: Am Wochenende vom 02. und 03.12. hat die Crew der ‚Humanity‘ 200 Menschen aus Seenot gerettet und sie in der Hafenstadt Crotone in Kalabrien an Land gebracht. Nach Angaben von SOS Humanity wurde das Seenotrettungsschiff von den italienischen Behörden am Samstagabend festgesetzt. Das Schiff wurde für 20 Tage blockiert und bekam eine Geldstrafe auferlegt. Die Vorwürfe: Anweisungen der libyschen Küstenwache zum Verlassen des Gebietes wären bei einem früheren Rettungseinsatz, bei welchem 46 Menschen gerettet werden konnten, ignoriert worden. Zudem beschuldigen die italienischen Behörden die Crew der ‚Humanity‘, daran beteiligt gewesen zu sein, dass flüchtende Personen vor der libyschen Küstenwache geflohen und ins Wasser gesprungen seien. Die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat mit einem Gesetz das Vorgehen gegen zivile Seenotretter*innen verschärft. Verstossen Personen gegen dieses Gesetz drohen Festsetzungen und Geldstrafen.

Die zivile Seerettung wird auch durch andere Wege angegriffen: Mediterranea Saving Humans wurde aufgrund von finanzieller Unterstützung durch Bischöfe und anderen Mitgliedern der katholischen Kirche von rechten Zeitungen angegriffen. In einer separaten Untersuchung wird zudem gegen Casarini und fünf weitere Mitglieder von Mediterranea wegen ‚Beihilfe zur illegalen Immigration‘ ermittelt.

Gerichtsprozess für El Hiblu 3: In Malta hat der Generalstaatsanwalt entschieden, dass die drei jungen Männer Abdallah, Amara und Kader (Fall El Hiblu 3) vor Gericht gestellt werden um sich einer Anklage wegen Terrorismus zu stellen. Dies geht zurück auf die Rettung des Öltankers “El Hiblu”, der die drei Jugendlichen und etwa 100 andere Menschen aus einem Schlauchboot im Mittelmeer an Bord nahm. Die Besatzung versuchte anfangs, die Geretteten widerrechtlich zurück nach Libyen zu bringen, wo sie Gefahr liefen, erneut inhaftiert und gefoltert zu werden. Die drei jungen Männer übernahmen eine Dolmetscher- und Vermittlerrolle, was schliesslich dazu führte, dass die Schiffsbesatzung den Kurs Richtung Europa änderte. Vor der Küste Maltas griffen jedoch maltesische Behörden das Schiff an und behaupteten, die drei Jugendlichen hätten es gewaltsam unter ihre Kontrolle gebracht. Letztendlich stehen sie vor Gericht. Im Falle eines Schuldspruchs droht eine lebenslange Haftstrafe. Die Anwälte, welche die die drei jungen Männer vertreten, hatten beim Strafgericht die Einstellung des Verfahrens beantragt.

Neuigkeiten aus der Seenotrettung: Diverse Rettungen haben stattgefunden: Am 01. Dezember haben 32 Menschen Lampedusa erreicht und 42 Menschen wurden von einem Handelsschiff aufgenommen. Am 02. Dezember wurden 52 Menschen in den Gewässern vor Libyen von der libyschen Küstenwache abgefangen. Am 3. Dezember kamen 20 Menschen in Zypern an. Am 07. Dezember gab es Meldungen von zwei Booten an 47 und 25 Personen. Bis jetzt ist jedoch unklar, wo die Boote verblieben sind. 

https://www.spiegel.de/ausland/italien-deutsches-seenotrettungsschiff-humanity-1-festgesetzt-a-f0ee152f-54f1-409d-b95d-641aee911ced
https://ecre.org/mediterranean-crossing-attempts-continue-despite-ongoing-crackdown-on-ngo-rescue-ships-malta-makes-the-worst-decision-possible-by-sending-el-hiblu-3-to-trial/

Was geht ab beim Staat?

Entscheid im Nationalrat: 300 Millionen für die Abschottungspolitik an den EU-Aussengrenzen

Am Mittwoch hat der Nationalrat über Zahlungen der Schweiz an den BMVI-Fonds (Border Management and Visa Instrument) diskutiert und entschieden, dass die Schweiz zukünftig 300 Millionen Franken über eine Laufzeit von sieben Jahren in den Fonds einzahlen soll. Die Diskussion im Nationalrat wurde dominiert von einem Sicherheitsnarrativ. Fragen nach Gewalt und Menschenrechtsverletzungen des europäischen Migrationsregimes wurden nur nebenbei gestellt. 

Als zuständige Bundesrätin äusserte sich Elisabeth Baume-Schneider zur Vorlage wie folgt: «Als Binnenstaat profitieren wir von einer effizienteren Kontrolle an der Schengen-Aussengrenze, die wesentlich zur Sicherheit unseres Landes beiträgt.» In den darauffolgenden Redebeiträgen – von SP, die Mitte, FDP bis zur SVP dominierte weiterhin die Frage nach der Sicherheit, die die Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen gewährleisten würde. 

Doch welche Sicherheit? Und Sicherheit für wen? Auf diese Frage gingen höchstens die GRÜNEN teilweise ein. In ihrem Redebeitrag argumentierten sie, wer über Geld an den Europäischen Grenzschutz diskutiere, könne die Gewalt, die Pushbacks, die Menschenrechtsverletzungen, die tagtäglich an den Aussengrenzen passieren, nicht unerwähnt lassen. In der Abstimmung enthielten sie sich schliesslich. 

Damit die SP ihre Zustimmung für den Fonds als sozialer Akt darstellen kann, argumentierten sie wie folgt: Die Schweiz sei Profiteurin des Schengen-Raums und Dublin-Systems (was ja durchaus stimmt) und müsse daher Solidaritätsbeiträge an jene Staaten zahlen, die stärker belastet sind. Schlussendlich forderten sie aber nur eine genauere Untersuchung, wo die Gelder des BMVI-Fonds genau eingesetzt würden. 

Dabei ist bereits jetzt klar: Die Gelder des BMVI-Fonds werden für die Abschottungspolitik Europas verwendet (schliesslich ist es genau jener Auftrag, den die Staaten an den EU-Aussengrenzen im Auftrag aller europäischen Staaten durchzusetzen haben). Ein konkretes Beispiel: Mit Geldern aus dem EU-Fonds wurden die Schläger-Trupps der kroatischen Grenzpolizei finanziert. 

https://www.srf.ch/news/international/pushbacks-an-eu-grenze-video-beweis-kroatische-polizisten-pruegeln-migranten-aus-der-eu
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2023/20231206093759605194158159038_bsd035.aspx
https://www.srf.ch/news/schweiz/die-schweiz-in-europa-nationalrat-steht-hinter-dem-eu-grenzschutz

​​​​​​​Was ist aufgefallen?

Globaler Rechtsruck: Holland, Argentinien und ihre ultrarechten Wahlsieger

Ende November wurde die ultrarechte Partij vor de Vrijheid (z. Dt. Freiheitspartei) unter der Führung von Geert Wilders mit 37 Sitzen im Parlament zum klaren Wahlsieger bei den niederländischen Wahlen. Und am Sonntag wurde der ultrarechte Javier Milei in Argentinien als Präsident vereidigt, nachdem seine Partei La Libertad Avanza (z. Dt. Die Freiheit schreitet voran) bei den Wahlen auf 55,8 Prozent gekommen war. Weitere Siege für ultrarechte Parteien in Europa und weltweit unter Aneignung des Freiheitsbegriffes. Der Versuch einer Analyse von gemeinsamen und unterschiedlichen Strategien der globalen Ultrarechten.

Holland: Wilders ist noch nicht Hollands Premierminister. Drei Wochen nach der Wahl gibt es bisher keine Regierungsbildung. Wilders ist auf eine Mitte-Rechts-Koalition mit drei anderen Parteien angewiesen, um auf eine Mehrheitsregierung zu kommen. Bisher hat nur die Vorsitzende der Bauern-Partei Caroline van der Plas einer Koalition zugestimmt. Die Vorsitzenden der anderen rechts-konservativen Parteien Dilan Yeşilgöz von der Rechtsliberalen Partei und Pieter Omtzigt von der Christdemokratischen Partei halten sich bedeckt, distanzieren sich, aber lassen Türen offen. Eine klare Abgrenzung zur Ultrarechten lässt zu wünschen übrig. Kein Wunder, bei der Normalisierung von ultrarechten Parteien in ganz Europa im Laufe der letzten zehn bis fünfzehn Jahre. Rechts-konservative Parteien haben diese nicht nur zugelassen, sondern sich von der Ultrarechten vor sich hertreiben lassen. Mit anti-muslimischen Wahnvorstellungen wird rechte Hetze betrieben, auf die viele europäische Parteien bis hin zu sozialdemokratischen Positionen (z.B. in Dänemark und Deutschland) aufgesprungen sind.

Die rassistischen Erzählungen, die während des Wahlkampfs in Holland von allen rechten Parteien wiedergekäut und weitergesponnen wurden, sind rechtes Framing: es dürften nicht alle vom niederländischen Sozialstaat profitieren, fehlende Wohnungen seien auf Einwanderung und steigende Asylzahlen zurückzuführen etc. Dabei sind die Zahlen im Asylbereich seit den 90er-Jahren in Holland in etwa gleich geblieben. Und selbst in der Logik des Staates profitiert die niederländische Wirtschaft von Migration, da es einen chronischen Mangel an Arbeitskräften für sog. einfache, häufig niedrig bezahlte Arbeit gibt und der Niedriglohnsektor von rassistischen ausbeuterischen Strukturen aufrecht erhalten wird. Der Umgang der drei potentiellen Koalitionsparteien mit Wilders rassistischem und anti-muslimischem Parteiprogramm und Auftreten zeigt bekannte Strategien.

Van der Plas: Verharmlosung. Sie liess verlauten, die zweieinhalb Millionen Menschen, die die PVV gewählt hätten, könnten nicht alles Rassist*innen sein, sondern sie seien schlicht Leute, die sich Sorgen machten. „Besorgte Bürger*innen“ – kommt uns das nicht bekannt vor?
Abgesehen davon, dass van der Plas anscheinend keine Ahnung von Rassismusdefinitionen hat, stellt sich die Frage: wie können Leute, die Wilders anhand offensichtlich rassistischer Wahlslogans wie „Niederländer zuerst!“ , oder offensichtlich rassistischer Zitate aus seiner Wahlsiegrede wie “Wir werden den Asyl-Tsunami eindämmen!“ nicht als offensichtliche Rassist*innen bezeichnet werden?

Yeşilgöz: Nachahmung. Sie folgte ihrem Vorgänger Mark Rutte in der Übernahme rechter Rhetorik, baute ihr Wahlprogramm um Fragen von Asyl- und Migrationspolitik auf und verfolgte hierin einen scharfen Kurs. Sie ist nicht die erste Hardlinerin, die selber eine Migrationsgeschichte hat (s. Priti Patel, Rishi Sunak). Ein interessantes Phänomen, das sich wohl noch weiterziehen wird und das gefährlichen Boden bietet: z.B. für die Einteilung in „gute“ und „böse“ Migration oder für die Darbietung eines vermeintliches Alibis für rechte Parteien, ganz nach dem Motto: „Ich kann nicht rassistisch sein, meine beste Freundin ist doch BIPoC.“

Omtzigt: Kompromissbereitschaft & Ausklammerung bestimmter Themen. Er äusserte sich immerhin noch dazu, dass einige Standpunkte der PVV wie die Schliessung von Moscheen oder ein Koran-Verbot verfassungswidrig seien, hatte aber dennoch einer potentiellen Zusammenarbeit zugestimmt, wenn bestimmte Ministerposten von seiner Partei besetzt würden.

Eine Strategie von Wilders selbst war ein vermeintlich milderes Auftreten, abgeschwächte Rhetorik in den letzten Wochen des Wahlkampfes, die ihm zu einigen Stimmen verholfen haben mögen. An seinem Wahlprogramm hat sich jedoch nichts geändert.

Bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass sich die rechts-konservativen Parteien aus Machthunger nicht zu Koalitionen mit Ultrarechts verleiten lassen. In diesem Falle scheinen Neuwahlen am Wahrscheinlichsten. Ansonsten könnte dies eine gefährliche Signalwirkung für eine noch stärkere Öffnung nach Ultrarechts in ganz Europa haben.

Bildunterschrift: Sitzverteilung im holländischen Parlament.

 Argentinien: Argentiniens Präsident Milei inszenierte sich bis zum Schluss als vermeintlicher Rebell, liess sich mit Kettensäge ablichten, bezeichnete sich selbst als „Anarcho-Kapitalist“, wollte die Zentralbank und die „Politiker-Kaste“ abschaffen. Seit seiner Wahl hat er nun jedoch bereits einen neuen Leiter der Zentralbank festgelegt und einige Minister*innen-Posten mit Leuten aus der ehemaligen Regierung, also der „Politiker-Kaste“ besetzt. Diese Annäherung ans Establishment ist notwendig, da seine Partei in keinem politischen Gefäss die Mehrheit innehat. Ein „Rebell“, der zwei Wochen später mit dem Establishment kuschelt. Dieser vermeintliche Widerspruch ist nicht selten in ultrarechten Kontexten anzutreffen. Neoliberale Wirtschaft und ultrarechte Politik gehen Hand in Hand. Ultrarechte Politiker*innen geben sich als „volksnah“ und anti-Establishment, während ihre Wirtschaftspolitik eigentlich nur den Reichen zugute kommt (s. Trump, Meloni u.v.m): der Wolf im Schafspelz, der nicht erkannt wird. Natalia German, Stadträtin unter Milei drückt es folgendermassen aus: “Javier ist einer wie wir, er redet wie ein normaler Mensch. So schafft er es, dass es bei den Leuten Klick macht, dass sie wieder an den Wandel glauben.“ Dass sich hinter dieser „normaler Mensch“-Hülle letztlich nichts verbirgt, scheint keinen Eindruck zu hinterlassen.

Argentinien befindet sich inmitten einer Krise. Die Inflation liegt bei 140 Prozent, 40 Prozent der Argentinier*innen leben unter der Armutsgrenze. Es ist jedoch äusserst fragwürdig, ob sich diese Zustände unter einem ultralibertären Ökonom wie Milei ändern werden. Seine Ziele: den Staat auf ein Minimum reduzieren und den öffentlichen Sektor privatisieren. Ausgaben und Budgets sollen drastisch gekürzt werden. Dies kann z.B. horrende Folgen für staatliche Sozialprogramme, Suppenküchen und Förderprogramme für Frauen haben. Ein Gegner Mileis befürchtet ausserdem die starke Repression, die Milei gegen Proteste angekündigt hat. Zudem möchte Milei den Artikel 14ff der Verfassung abschaffen, in dem das Recht auf Arbeit, Recht auf Altersversorgung, Mitbestimmungsrecht und das Recht auf Sicherheit am Arbeitsplatz geregelt ist. Genauso fragwürdig ist Mileis Entscheidung, den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel zu akzeptieren und seine generelle Nähe zu der Regierung der USA. U.a. möchte er den Lithium-Export (Argentinien ist viertgrösster Exporteur für diesen für Batterien und Akkus wichtigen Rohstoff) in die USA fördern und ein Handelsabkommen abschliessen. Und schliesslich ist Milei auch Abtreibungsgegner.

Dass sich zu Mileis Antrittsrede andere Ultrarechte und (ehemalige) autoritäre Regierungschefs wie Orbàn aus Ungarn, Bolsonaro aus Brasilien oder der Chef der ultrarechten Partei Vox Abascal aus Spanien angemeldet hatten, sagt letztlich schon alles.

Geht auf die Strassen gegen Nazis, Faschos, Ultrarechts – überall!

https://jacobin.de/artikel/niederlande-wahlen-geert-wilders-rechtspopulismuus-establishment
https://www.deutschlandfunk.de/niederlande-und-die-regierungsbildung-wie-weit-ist-geert-wilders-gekommen-dlf-68fb47a9-100.html
https://www.derstandard.at/story/3000000196576/wie-geert-wilders-die-niederlaender-mit-seinem-wahlsieg-ueberraschte-und-sich-selbst
https://www.bbc.com/news/world-europe-67504272
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/argentinien-milei-102.html
https://www.zeit.de/politik/2023-12/javier-milei-argentinien-praesident 

Was schreiben andere?

Menschenrechtsverletzungen im Iran: Eine vorläufige Aufnahme wäre das Mindeste!

Vom Migrant Solidarity Network

Am 10. Dezember wird offiziell der Tag der Menschenrechte gefeiert. Doch Personen, die vor Menschenrechtsverletzungen in die Schweiz fliehen, finden hier nicht immer den nötigen Schutz. Dies zeigt das Beispiel Iran. Abgewiesene Iraner*Innen der Organisation «Empathie und Einheit» und das Migrant Solidarity Network starten deshalb eine Petition für einen besseren Schutz von Asylsuchenden aus dem Iran.

Petition auf Deutsch | Petition auf Französisch | Petition auf Farsi

Aktuell lehnt das Staatssekretariat für Migration (SEM) vier von fünf Asylgesuchen von Iraner*innen ab. Nur eine Minderheit erhält Asyl oder eine vorläufige Aufnahme. Die Mehrheit wird auf unbestimmte Zeit im Nothilferegime isoliert. Was dies bedeutet, zeigte letzte Woche eine Reportage der RTS. Allen Menschenrechtsverletzungen zum Trotz erachten das Staatssekretariat für Migration (SEM) und das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) Zwangsausschaffungen in den Iran weiterhin als zulässig und zumutbar. Und Kantone führen weiterhin Ausschaffungen in den Iran durch. «Die Menschenrechtsverletzungen finden im Umgang mit asylsuchenden Iraner*innen in der Schweiz zu wenig Achtung» kritisiert Empathie und Einheit.

Ausser dem SEM und dem BVGer sind sich alle einig. Im Frühling dieses Jahres verabschiedete der Nationalrat die «Erklärung für Menschenrechte und Demokratie im Iran». Darin zeigt sich der Nationalrat «bestürzt über die Menschenrechtsverletzungen und insbesondere die Frauenrechtsverletzungen». Er «verurteilt die exzessive Gewalt der Regierung der Islamischen Republik Iran gegen die iranische Zivilbevölkerung» und fordert, «dass die Staatengemeinschaft dem Schutz von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten im Iran eine besondere Bedeutung beimessen». Dies könnte als Aufforderung für vorläufigen Schutz gelesen werden.

Am 13. September – genau ein Jahr nach dem Tod von Jina Mahsa Amini – weist die UNO Fact-Finding Mission mit eindeutigen Worten auf die gravierenden Menschenrechtsverletzungen im Iran hin: «Authorities are exacerbating punitive measures against those exercising their fundamental rights, including freedom of religion, freedom of expression and peaceful assembly». Auf solche Worte sollten SEM und BVGer endlich Taten folgen lassen und die Praxis anpassen. «Angesichts der Menschenrechtsverletzungen im Iran wäre eine vorläufige Aufnahme das Mindeste», hält das Migrant Solidarity Network fest.

Drei Personengruppen sind im Iran aufgrund der spezifisch gegen sie gerichteten Menschenrechtsverletzungen besonders exponiert und gefährdet. Aufgrund des völkerrechtlichen Non-Refoulement Prinzips sollten diese grundsätzlich vor einer Ausschaffung geschützt werden und eine vorläufige Aufnahme in der Schweiz erhalten.

  • Patriarchale Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen und Mädchen: Das Mullah-Regime geht weiterhin mit brutaler Gewalt und Repression gegen weibliche Personen vor. Zudem werden im Parlament neue patriarchale Gesetzesreformen beschlossen. Frauen und Mädchen, die gegen die Verschleierungspflicht verstossen, drohen hohe Geld- und Gefängnisstrafen, Reiseverbote, die Beschlagnahmung von Fahrzeugen, die Verweigerung von Bildung und öffentlichen Dienstleistungen, medizinischer Versorgung, sowie Sanktionen gegen ihre Unternehmen.
  • Verfolgung von (exil-)politischen Protestierenden: Laut der UN Fact-Finding Mission hat das Mullah-Regime die Repression und die Überwachungstechnologien gegen Protestierende verfeinert und verstärkt. Alle, der sich an der Bewegung «Frau, Leben, Freiheit» beteiligen, indem sie protestieren oder ihre Unterstützung beispielsweise in den sozialen Medien öffentlich kundtun, laufen Gefahr, verhaftet, gefoltert und misshandelt zu werden. Auch können sie wegen schwerer Straftaten angeklagt und verfolgt werden, die auch bis zur Verhängung der Todesstrafe führen können. Protestierende im Exil sind von der Gefahr nicht ausgenommen. Besonders nach einer allfälligen Rückführung in den Iran droht ihnen ebenfalls Verfolgung. Bisher weisen das SEM und das BVGer jedoch neue Asylgesuche von Personen, die sich in der Schweiz an den Protesten gegen das Mullah-Regime beteiligten, mehrheitlich ab. Berichte des Nachrichtendienst des Bundes, die davor warnen, dass der iranische Geheimdienst in der Schweiz die Aktivitäten der iranischen Diaspora mehr denn je überwacht, finden keinen wesentlichen Einfluss in die Entscheidungen der Behörden.
  • Unterdrückung von religiösen, kulturellen sowie geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten: Im Iran geht das Regime auch mit voller Kraft gegen kurdische, belutschische und christliche Minderheiten vor. Auch die Menschenrechte von LGBTIQ-Personen werden missachtet. Zahlreiche Berichte zeigen dies auf, doch das SEM und BVGer sind auch bei dieser besonders exponierten Gruppe restriktiv mit dem Gewähren einer vorläufigen Aufnahme.

Stehen die diplomatischen Interessen über Menschenrechtsschutz? Die Praxis von SEM und BVGer weist darauf hin, dass die politisch-diplomatischen Interessen der Schweiz Vorrang erhalten. Die Schweizer Botschaft bietet den USA im Iran ihre «guten Dienste» an, indem die Schweizer Botschaft gegenüber dem Mullah-Regime offiziell die Interessen der USA vertritt. Diplomatisch will es sich die Schweiz daher nicht mit dem Mullah-Regime verscherzen.

Dies zeigt sich auch in der langjährigen Zusammenarbeit des SEM mit dem iranischen «Vertrauensanwalt» Hasan Amirshahi, der regelmässig für die Regierung des Iran arbeiten soll. Seit Jahren häufen sich die Hinweise, dass durch diese Zusammenarbeit Informationen an das Regime gelangen und so Asylgesuche sabotiert und Asylsuchende sowie ihre Familien gefährdet werden. «Nicht nur das Prinzip der Vertraulichkeit, sondern auch die menschliche Würde der iranischen Flüchtlinge wurde verletzt, und wir protestieren entschieden dagegen», reagiert Empathie und Einheit.

Es wird schlicht in Kauf genommen, dass Menschenrechtsverletzungen im Iran und die Schutzbedürfnisse jener, die deswegen den Iran verlassen, hinten anstehen müssen.

Wo gabs Widerstand?

Solothurn: Demo gegen die Rechten

Am Wochenende protestierten über 150 Personen durch Solothurn. Ihr Ziel war es ein Zeichen gegen rechts – insbesondere gegen die Junge Tat – zu setzen.

Die Demo ist als Antwort auf eine Blitzaktion der Junge Tat zu verstehen. Diese trat vor einigen Wochen auf der St.-Ursen-Treppe für eine Fotoaction in Erscheinung. Nicht weil Solothurn ihr Ziel gewesen wäre, sondern weil die Antifa einige Stunden zuvor in Bern dafür sorgte, die dort geplante Fotoaktion zu verhindern.

Der Jungen Tat ging es bei der Aktion darum, ihr 3-Jähriges Bestehen zu feiern. Lasst uns nächstes Jahr die Auflösung der Jungen Tat feiern.

https://www.32today.ch/mittelland/junge-tat-traf-sich-auf-der-solothurner-st-ursen-treppe-155098435
https://www.32today.ch/mittelland/nach-kundgebung-der-jungen-tat-gegendemo-am-samstag-geplant-155485716
https://barrikade.info/article/6233
https://barrikade.info/article/6235

Was steht an?

CommemorAction! Kein Vergeben, kein Vergessen – sechs Monate nach dem Massaker von Pylos! 

Am 14.12.2023 gedenken wir den über sechshundert Menschen, die am 14.6.2023 im Mittelmeer getötet wurden. Nahe der Küstenstadt Pylos sind sie ohne das Eingreifen der griechischen Küstenwache und ihrer europäischen Partner:innen ertrunken: Diese haben dem Kentern des Bootes wortwörtlich zugeschaut und dabei selbst zur Notsituation beigetragen.

Wir denken an die Überlebenden und die Hinterbliebenen, solidarisieren uns mit all jenen, die eine Reise nach Europa auf sich genommen haben oder noch auf sich nehmen werden. Mit dem Begriff ‘CommemorAction‘ geben wir ein doppeltes Versprechen: diejenigen nicht zu vergessen, die ihr Leben verloren haben, und gegen die Grenzen zu kämpfen, die sie getötet haben.

Für Unterstützung bei Anreisekosten gerne melden: info@alarmphone.ch
United in Solidarity – Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle!

https://alarmphone.ch/Veranstaltungen/

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Geflüchtete in der Türkei: Stockschläge und Bisswunden
Während in Deutschland Konservative über Asylverfahren in der Türkei spekulieren, ist es aktuell dort für Geflüchtete fast unmöglich, einen Antrag zu stellen. Geflüchtete sagen, sie lebten auf der Straße »wie Hunde«.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1178221.asylverfahren-gefluechtete-in-der-tuerkei-stockschlaege-und-bisswunden.html

Tracking the Pact:
Human rights disaster in the works as Parliament makes “significant concessions” to Council
https://www.statewatch.org/news/2023/december/tracking-the-pact-human-rights-disaster-in-the-works-as-parliament-makes-significant-concessions-to-council/