Medienspiegel 8. April 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SCHWEIZ
Röstigraben im Umgang mit Sans-Papiers – Rendez-vous
In der Schweiz leben etwa 70’000 Menschen illegal ohne Aufenthaltsgenehmigung. Unter bestimmten Voraussetzungen können diese Sans-Papiers aber zu einem regulären Aufenthaltsstatus kommen. Allerdings sind die Chancen dafür in der Deutschschweiz schlechter als in der Westschweiz – trotz einheitlicher Vorgaben.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/roestigraben-im-umgang-mit-sans-papiers?partId=12570497


Beat Jans kontert Kritik aus eigenen Reihen: «Von einer härteren Asylpolitik kann keine Rede sein»
Der Justizminister macht Ferien auf dem Bauernhof. Er melkt, treibt Kühe auf die Wiese – und widerspricht der SP-Parteiführung: Die Asyl-Schnellverfahren seien korrekt und fair.
https://www.blick.ch/politik/beat-jans-kontert-kritik-aus-eigenen-reihen-von-einer-haerteren-asylpolitik-kann-keine-rede-sein-id19611892.html


+++GASSE
Medikament Pregabalin führt zu
Ein Schmerzmittel, welches aggressiv oder abhängig macht. Das ist die Tablette Pregabalin, beliebt bei vor allem nord-afrikanischen Asylsuchenden. Das Medikament wird in Asylzentren, gegen Epilepsie oder Angstzuständen verschrieben. Behörden haben reagiert, nun verschiebt sich das Problem auf die Strasse zu illegalem Drogenhandel, wie Schweiz Aktuell berichtete. Wie ist die Situation bei uns in der Region?
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/medikament-pregabalin-fuehrt-zu-problemen-156746560


Bilanz der Unterstützung von Obdachlosen im Winter 2023/24
Die städtische Notschlafstelle wurde während der vergangenen Wintermonate von mehr Personen genutzt als letzten Winter. Dennoch stand für Menschen in Not immer ein Bett zur Verfügung. Die enge Zusammenarbeit, unter den städtischen Angeboten wie auch mit privaten Einrichtungen, funktionierte effizient.
https://www.stadt-zuerich.ch/sd/de/index/ueber_das_departement/medien/medienmitteilungen_aktuell/2024/04/bilanz-der-unterstuetzung-von-obdachlosen-im-winter-2023_24.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/stadt-zurich-zahlt-rund-5700-ubernachtungen-in-notschlafstelle-66741449
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/fast-die-haelfte-kommt-von-ausserhalb-stadt-zuerich-zaehlt-rund-5700-uebernachtungen-in-notschlafstelle-id19616413.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-lehrerinnen-und-lehrer-sollen-entlastet-werden?id=12570851 (ab 09-.15)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Demonstration gegen Rechtsextremismus
Nach den jüngsten Verbindungen der jungen SVP zur Neonazigruppe “Junge Tat”, organisiert die JUSO Baselland diesen Samstag eine Kundgebung in Sissach. Die Demo richtet sich nicht nur gegen Regez: Die Entwicklung passt zum gefährlichen Aufstieg der extremen Neuen Rechten und ihren Verbindungen in die institutionelle Politik
https://bl.juso.ch/medien/medienmitteilungen/demonstration-gegen-rechtsextremismus/
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/planungs-und-baumaengel-bei-der-st-jakobshalle?id=12570431 (ab 04:00)
-> https://www.bazonline.ch/protest-in-sissach-baselbieter-juso-demonstrieren-gegen-sarah-regez-391914694518
-> https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/extremismus-causa-sarah-regez-jetzt-will-die-baselbieter-juso-eine-demo-in-sissach-durchfuehren-ld.2603503
-> https://www.20min.ch/story/sissach-bl-juso-ruft-zu-demo-gegen-sarah-regez-auf-103080891


Asylminister erhielt Brief, bevor Streit erneut eskalierte: Jans ignorierte eritreischen Hilferuf
Mitte März haben sich eritreische Regimekritiker an den neuen Justizminister gewandt. Zwei Wochen vor der erneuten Gewalteskalation zwischen verfeindeten Eritreern haben sie gewarnt, die Situation sei dramatisch. Jans will den Brief nicht selbst beantworten.
https://www.blick.ch/news/asylminister-erhielt-brief-bevor-streit-erneut-eskalierte-jans-ignorierte-eritreischen-hilferuf-id19611841.html


+++DROGENPOLITIK
Reto Auer leitet die Berner Cannabis-Studie
In der Stadt Bern können neu mehrere hundert Personen im Rahmen einer Studie in fünf ausgewählten Apotheken Cannabis-Produkte beziehen. Ziel ist es nicht, den Cannabis-Konsum zu fördern, sondern Erkenntnisse für eine künftige Suchtmittelpolitik zu gewinnen, betont der Studienleiter Reto Auer.
https://www.neo1.ch/artikel/reto-auer-leitet-die-berner-cannabis-studie


+++POLIZEI AG
Polizeieinsatz Suhr: Beschwerde gegen Staatsanwaltschaft
Im November 2020 erschoss ein Kantonspolizist in Suhr einen Mann, der randaliert hatte. Ein ausserordentlicher Staatsanwalt untersuchte die Schussabgabe. Im März 2024 stellte er die Untersuchung ein. Der Polizist habe in Notwehr gehandelt. Gegen die Einstellungsverfügung gibt es nun eine Beschwerde.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/polizeieinsatz-suhr-beschwerde-gegen-staatsanwaltschaft?id=12570323
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/die-astra-bridge-auf-der-a1-ist-wieder-im-einsatz?id=12570845 (ab 04:45)


+++POLIZEI SO
«Coffee with a Cop» – Polizei sucht Kontakt mit Bevölkerung
Die Polizeiregion Olten hat die Bevölkerung am Monatsmarkt in Olten zum Kaffee eingeladen. Der Anlass steht unter dem Motto «Coffee with a cop». Die Aktion soll den gegenseitigen Austausch zwischen der Polizei und der Bevölkerung fördern.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/coffee-with-a-cop-polizei-sucht-kontakt-mit-bevoelkerung?id=12570440


+++BIG BROTHER
derbund.ch 08.04.2024

Überwachung durch den Staat: «Was die Polizei fordert, ist ein Blankoscheck»

Der bernische Datenschützer Ueli Buri erklärt, warum er trotz steigender Kriminalität gegen einen einfacheren Informationsaustausch zwischen den Polizeikorps ist.

Andres Marti

Herr Buri, in der Schweiz haben Diebstähle massiv zugenommen. Nun heisst es, der Datenschutz verhindert den Austausch von Informationen zwischen den kantonalen Polizeikorps. «Datenschutz wird so zum Täterschutz», so der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller. Was sagen Sie dazu?

Ich sehe den Datenschutz nicht als Gegenpol zur Polizeiarbeit. Doch was die Polizeikorps nun fordern, ist ein Blankoscheck. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein von der Verfassung garantiertes Grundrecht. Doch geht es nach dem aktuellen Entwurf für eine Datenaustauschvereinbarung zwischen den Kantonen, sollen künftig selbst Daten der Gewerbepolizei automatisch ausgetauscht werden können.

Alles wird digital, doch ausgerechnet die Polizei soll sich nicht vernetzen?

Es gibt selbstverständlich Fälle, bei denen der automatische Austausch sinnvoll ist. Ein Vergewaltiger oder Mörder soll bei einer Verkehrskontrolle hängen bleiben, das leuchtet jedem ein. Aber soll die Berner Polizei bei der Kontrolle auch nachschauen können, dass ich vor drei Jahren im Coop in St. Gallen einen Mars gestohlen habe? Oder einmal betrunken mit dem Fahrrad in Freiburg unterwegs war? Es gibt in einem liberalen Staat auch ein Recht auf Vergessen.

Es geht nicht um Bagatellen, sondern um die Bekämpfung von Bandenkriminalität. Vielen leuchtet nicht ein, warum die Polizei bei einer Kontrolle nicht nachschauen kann, ob der Kontrollierte im Nachbarkanton gesucht wird.

Letztlich geht es beim Datenschutz um die Abwägung zweier Interessen: Auf der einen Seite muss der Staat für unsere Sicherheit sorgen. Auf der anderen Seite müssen unsere individuellen Freiheitsrechte geschützt werden. Der Punkt ist: Wie dieses Gleichgewicht konkret ausgestaltet werden soll, soll die Politik entscheiden, nicht die Sicherheitsbehörden. Die Polizei ist nicht der Garant für das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Privatsphäre. Die Steuerbehörden bestimmen ja auch nicht die Höhe der Steuersätze.

Die Polizisten klagen, mit EU-Ländern klappe der Informationsaustausch besser als zwischen den Kantonen.

Der Vergleich ist meiner Meinung nach nicht zulässig. Schengen ist ein Fahndungssystem mit klaren Anforderungen, Schranken und Kontrollen. Wenn jemand in dieser Datenbank drin ist, dann hat das seinen Grund. Innerhalb der Schweiz haben wir das Fahndungssystem Ripol. In dieser Datenbank schauen die Polizisten nach, ob jemand zur Fahndung ausgeschrieben ist. Aber es stimmt: Wegen eines einfachen Ladendiebstahls kommt man noch nicht ins Ripol.

Wie kann die Polizei in Bern dann überprüfen, ob der Kontrollierte beispielsweise wegen Diebstahls in Solothurn gesucht wird?

Dafür gibt es den nationalen Polizeiindex. Dort können die Kantone ihre polizeilichen Informationssysteme anschliessen und schauen, ob in einem anderen Informationssystem Daten über eine bestimmte Person bearbeitet werden. Damit wird die Amtshilfe vereinfacht.

Auch bei der Überwachung des Verkehrs gerät der Datenschutz unter Druck. So wird im Kanton Bern die Massenüberwachung von Autofahrenden stark ausgebaut. Philippe Müller sagte dazu, er habe persönlich kein Problem, wenn die Polizei sein Nummernschild für einige Tage erfasse – solange klar sei, dass die Ermittler dieses nur in ganz bestimmten Fällen auswerten dürften.

Nach unserem liberalen Selbstverständnis soll mich der Staat grundsätzlich in Ruhe lassen. Und es stimmt eben nicht, dass nur das Nummernschild erfasst wird. Gespeichert werden auch Zeitpunkt, Ort und Fahrtrichtung. Damit können detaillierte Bewegungsprofile erstellt werden. Natürlich ist es toll, wenn die Polizei zwei Monate später einen Bancomaten-Sprenger erwischt. Doch rechtfertigt das das Abspeichern von Millionen Datensätzen unbescholtener Bürgerinnen und Bürger? Wie viel Durchsichtigkeit muss ich als Bürger auf mich nehmen, damit ein Verbrecher erwischt wird? Das ist letztlich die zentrale Frage, die der Berner Gesetzgeber hier zugunsten der Überwachung entschieden hat.

Andere von Behörden gespeicherte Daten – etwa bei der Kesb, der Opferhilfe oder der Steuerverwaltung – sind deutlich sensibler als Autonummern, sagt Müller.

Aber alle diese Behörden haben meine Daten aus einem bestimmten Anlass erhoben. Die Polizei hingegen sammelt meine Daten auf Vorrat und ohne Verdacht. Das ist ein grosser Unterschied. Was die Polizei macht, gleicht im Prinzip einer riesigen Phishing-Expedition [unspezifische Suche nach Informationen. Anm. d. Red.]

Warum sollte es mich als Autopendler stören, wenn mein Nummernschild automatisch gescannt wird? Viele sind doch der Meinung: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.

Nach dieser Logik könnte die Polizei an jeder Strassenecke eine Videokamera aufstellen. Wir müssen uns aber nicht bei allem überwachen lassen, sonst haben wir Verhältnisse wie in China.

Man hat den Eindruck, dass die Politik der technischen Entwicklung immer einen Schritt hinterherhinkt. Dass die Polizei etwa auch bei uns schon bald grossflächig Gesichtserkennungssoftware einsetzt, scheint nur eine Frage der Zeit.

Auch hier ist aus datenschützerischer Sicht der Kontext entscheidend: Wird mit einer Software lediglich nach Mustern im Fahndungskatalog gesucht, ist das noch nicht allzu bedenklich. Problematisch ist hingegen die automatische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.

Während Sie die Datensammlerei der Sicherheitsbehörden kritisieren, geben wir Google und Meta freiwillig viel intimere Daten preis: Standorte, Adresslisten, Suchverlauf. Führen Sie ein Scheingefecht?

In einem liberalen Staat dürfen alle die sozialen Medien so nutzen, wie sie wollen. Der Staat schützt die Leute nicht vor ihrer eigenen Unvernunft. Wenn Sie sich selbst verletzen, werden Sie ja auch nicht wegen Körperverletzung angeklagt. Der Punkt ist, dass Sie selber entscheiden, welche Daten Sie preisgeben wollen. Bei der staatlichen Datenerfassung haben Sie diese Wahl nicht.

Ob eine Behörde oder Facebook meine Daten hortet, dürfte den meisten Leuten egal sein.

Das mag sein, aber ich kenne auch viele Personen, die bewusst kein Whatsapp installiert haben.

Und welche Apps hat der kantonale Datenschützer auf seinem Smartphone installiert?

Auf meinem geschäftlichen Smartphone nutze ich ausschliesslich Threema.


Chef der kantonalen Datenschützer

Der Jurist Ueli Buri leitet seit 2019 die Datenschutzaufsichtsstelle des Kantons Bern. Seit November 2020 ist er zudem Präsident der Konferenz der schweizerischen Datenschutzbeauftragten «privatim». (ama)
(https://www.derbund.ch/ueli-buri-kritik-an-ueberwachung-der-polizei-wegen-datenschutz-244973693038)


+++POLIZEI ZH
tagesanzeiger.ch 08.04.2024

Krawalle nach Eishockeymatch: Mann verliert Auge bei Gummischrot-Einsatz, Kanton will nicht zahlen

Der Geschädigte fordert 300’000 Franken vom Kanton. Doch dieser sagt, die Ursache der Verletzung sei nicht bewiesen. Nun soll das Bezirksgericht entscheiden.

Liliane Minor

Im Leben von Claudio M. (Name geändert) gibt es ein Vorher und ein Nachher. Vorher war der Zürcher ein normaler 26-Jähriger, der gern an Eishockeyspiele ging, in der Freizeit Fussball spielte und einen handwerklichen Beruf ausübte.

Das Nachher beginnt am 25. November 2017. Es besteht aus ständigen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Albträumen. Der Anblick eines Polizisten löst Angstzustände aus. In seinem Beruf kann Claudio M. nicht mehr arbeiten, sein Hobby musste er aufgeben.

An jenem Novemberabend spielt der ZSC, sein Club, gegen den EHC Kloten. Im Schluefweg in Kloten. Die Stadtzürcher gewinnen 4:1. Nach dem Spiel kommt es zu Krawallen. Die Sicherheitsleute halten das Publikum im Gästesektor deshalb vorerst im Stadion zurück, dann eskortieren sie die Fans an den Bahnhof Kloten.

Doch kurz vor dem Bahnhof passiert es. Kloten-Anhänger versuchen, die Zürcher Fans anzugreifen. Etwa zwanzig Personen gehen auf die dazwischen stehende Polizei los, diese antwortet mit Gummischrot. Unter den unbeteiligten Matchbesuchern entsteht ein Gedränge. Claudio M. verliert dabei seine Freundin, sucht nach ihr, als er plötzlich «einen furchtbaren Schlag» spürt. So schildert es sein Anwalt Philip Stolkin.

Dem jungen Mann wird so übel, dass er sich übergibt. Er realisiert, dass aus seinem Auge Blut fliesst. Was er in dem Moment noch nicht weiss: Er ist mutmasslich von einem Gummischrot-Geschoss getroffen worden. Und er wird auf diesem Auge nie mehr sehen können. Glaskörper und Linse sind zerstört. Fünf Operationen sind nötig, um wenigstens den Augapfel zu erhalten.

Er will 300’000 Franken vom Staat

Mehr als sechs Jahre später steht Claudio M. neben Philip Stolkin vor dem Saal 134 am Bezirksgericht Zürich und fühlt sich sichtlich unwohl. Seit dem Unfall kann er sich kaum noch konzentrieren. Während der Verhandlung nickt er zuweilen ein.

Sein Anwalt hat Staatshaftungsklage eingereicht; im Namen seines Mandanten fordert Stolkin darin eine Entschädigung und Genugtuung vom Kanton Zürich, insgesamt rund 300’000 Franken.

Für Stolkin ist ganz klar: Die Kantonspolizei hat Claudio M. widerrechtlich verletzt. «Seine Verletzung ist deshalb so schwer, weil die Polizisten nicht wie angewiesen auf die Beine zielten, sondern auf Kopfhöhe schossen.» Sein Mandant sei nicht an den Krawallen beteiligt gewesen, sein Name in keiner Hooligan-Datenbank vermerkt.

Augenärztin warnt vor Gummischrot

Dass Gummischrot gefährlich ist, weiss man schon lange. Immer wieder kommt es zu gravierenden Augenverletzungen. Zuletzt soll im November 2023 – ebenfalls in Kloten, ebenfalls nach dem Eishockeyderby – ein ZSC-Fan durch Gummischrot am Auge verletzt worden sein. Die Kantonspolizei untersucht den Vorfall. Nur ein halbes Jahr zuvor, am 1. Mai 2023, hatte ein Demonstrant in Zürich ein Auge verloren.

In einem Fachartikel hat die Zürcher Augenärztin Anna Fierz alle bekannten Fälle von 1980 bis 2023 zusammengetragen. Demnach wurden in 43 Jahren landesweit 29 Menschen verletzt, 11 von ihnen wurden auf einem Auge blind. Wegen solcher Vorfälle ist Gummischrot in den meisten europäischen Ländern verboten oder höchstens Spezial-Einsatzkräften erlaubt.

Nicht so in der Schweiz. Hier halten die Polizeien am Gummischrot fest. Ihr Argument: Dank Distanzwaffen wie Gummischrot und Wasserwerfer müssten Polizistinnen und Polizisten im sogenannten «unfriedlichen Ordnungsdienst» viel weniger in den Nahkampf, wenn sie etwa Fangruppen auseinanderhalten oder gewalttätige Demos auflösen wollten. Dank der geltenden Mindestabstände sei das Risiko von schweren Verletzungen minimal.

Augenärztin Fierz anerkennt zwar, dass Krawalleinsätze undankbar und schwierig sind. Aber Gummischrot werde oft unkritisch eingesetzt, die Gefahr werde unterschätzt. Die Mindestdistanz stelle nur sicher, dass keine gravierenden Verletzungen am Rumpf entstünden. Doch wenn sie den Augapfel träfen, könnten die Geschosse auch aus weiterer Entfernung schwerste Schäden verursachen.

Was Fierz überdies kritisiert: Immer wieder bezweifelten Behörden, Justiz und Polizei, dass die Verletzungen tatsächlich durch Schrot verursacht wurden und nicht durch Fahnenstangen, Fäuste oder Ellbogen. Fazit: «Die Anerkennung bleibender Augenschäden durch Gummischrot ist überfällig.»

Kanton bezweifelt Verletzung

Doch danach sieht es für Claudio M. im Moment nicht aus. Jedenfalls wenn es nach Oliver Frey geht, dem Anwalt der Zürcher Finanzdirektion. Die Finanzdirektion ist in diesem Fall die Beklagte, weil sie als Hüterin der Kantonskasse den Schaden decken müsste.

Laut Frey zeigen Videoaufnahmen, «dass die ZSC-Fans, mit denen der Kläger das Stadion verliess, ohne Gefährdung durch die Polizei vom Stadion zum Bahnhof gelangen konnten». In Gefahr hätten sich nur jene Personen begeben, die sich den Polizeikräften näherten, welche in einer Seitenstrasse standen; per Megafon sei vor dem Einsatz von Gummischrot gewarnt worden. «Es gab nun keinen vernünftigen Grund, sich dieser Polizeigruppe zu nähern.»

Ohnehin gebe es keinen Beleg, dass die Verletzung von Claudio M. von Gummischrot stamme. Ursache könne zum Beispiel auch ein Faustschlag gewesen sein. Da der Mann keine Strafanzeige eingereicht habe, seien «wichtige Beweise nicht sichergestellt» worden.

Noch nie gab es eine Verurteilung

Anwalt Stolkin kontert, der behandelnde Arzt habe keinen Zweifel, dass ein Gummischrot-Geschoss das Auge zerstört habe. Sein Mandant habe keine Strafanzeige eingereicht, weil diese von vornherein sinnlos gewesen wäre: «Noch nie wurde in der Schweiz ein Polizist wegen eines Gummischrot-Einsatzes verurteilt.» Fälle wie jener von Wilson A., der von einem Polizisten gewürgt worden sein soll, zeigten, dass Polizeigewalt so gut wie immer ungeahndet bleibe.

Das Hauptargument für Stolkin ist aber ein anderes: Er hält die Rechtsgrundlage für den Einsatz von Gummischrot generell für ungenügend. Und das ist deshalb relevant, weil der Staat nur dann haftet, wenn seine Mitarbeiter widerrechtlich handeln. Sprich: wenn sie gegen Gesetze verstossen oder ohne gesetzliche Grundlage handeln.

Tatsächlich steht in der Verordnung über die polizeiliche Zwangsanwendung nur, dass die Polizei Gummischrot verwenden darf. Aber es ist nicht geregelt, wer wann unter welchen Umständen den Befehl dazu geben darf.

Stolkin: «Wenn nötig nach Strassburg»

Ob und wann das Gericht über die Klage entscheidet, ist noch völlig unklar. Eine Staatshaftungsklage ist ein zivilrechtliches Verfahren und folgt anderen Abläufen und Grundsätzen als ein Strafverfahren. Zunächst geht es nun um die Frage, ob sich die Parteien auf einen Vergleich einigen können. Diese Verhandlungen sind nicht öffentlich, die Gerichtsberichterstatterinnen wurden nach den Plädoyers der Anwälte aus dem Saal gewiesen.

Kommt keine Einigung zustande, ist es Sache beider Seiten, Beweise einzureichen und beispielsweise Zeugeneinvernahmen zu beantragen. In diesem Fall dürfte das Verfahren noch Monate dauern.

Klar ist nur eines: Kommt keine Einigung zustande und lehnt das Gericht die Haftungsklage ab, wird Stolkin den Fall weiterziehen. «Wenn nötig bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.»



Wenn Angestellte von Kanton oder Gemeinden im Rahmen ihrer Arbeit Schäden an Gegenständen oder Personen verursachen, haftet der Staat – sofern der oder die Mitarbeitende widerrechtlich gehandelt hat. Widerrechtlich sind nicht nur Verstösse gegen gesetzliche Vorschriften, sondern auch Handlungen ohne ausreichende gesetzliche Grundlage.

Dazu muss die geschädigte Person ein Schadenersatzbegehren stellen. Lehnt der Kanton oder die Gemeinde die Haftung ab oder wird das Begehren nicht beantwortet, ist die Staatshaftungsklage der nächste Schritt. Dann entscheidet das Bezirksgericht, ob der Staat tatsächlich haftbar gemacht werden kann, danach wird die Höhe des Schadenersatzes und einer allfälligen Genugtuung definiert. (leu)
(https://www.tagesanzeiger.ch/krawalle-nach-eishockeymatch-mann-verliert-auge-bei-gummischrot-einsatz-kanton-will-nicht-zahlen-249006115392)
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/so-sieht-der-rettungsplan-fuer-das-spital-wetzikon-aus?id=12570314 (ab 03:51)