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Was ist neu?
Einige Beobachtungen zu „Remigration“
Seitdem die Jung-SVP-Strategiechefin Sarah Regez zur Jungen Tat und zu faschistischen Identitären Kontakt hatte, verbreitet sich der faschistische Kampfbegriff „Remigration“ in Windeseile.
„Remigration“ ist ein Kampfbegriff der Faschos – insbesondere der Identitären unter ihnen. Der Begriff will nichts weniger als die gewaltsame Massenverschleppung aller „nicht-europäischen“ Menschen aus Europa. Dahinter steckt erstens die falsche Vorstellung, dass Menschen nicht-europäischer Abstammung nicht kompatibel seien mit einer als fix und überlegen angenommenen europäischen Kultur. Migration sei eine Bedrohung für die europäische Kultur. Zweitens wird Migration ebenfalls fälschlicherweise als bewusst gesteuert präsentiert. Das Ziel der Migration sei es, die europäische Bevölkerung „auszutauschen“. Migration sei ein Angriff auf die europäische Bevölkerung. Behörden und die Demokratie in Europa seien nicht in der Lage diesen Angriff abzuwehren. Um Recht und Ordnung zu schaffen, brauche es eine gewalttätige Mobilisierung der Massen. Klassisch faschistische Propaganda in neuem Gewand.
Es war absehbar, dass das Liebäugeln von Regez oder ihre Nahbeziehung Jung-SVP-Chef Niels Fiechter mit diesem faschistischen Begriff oder den faschistischen Exponent*innen, die ihn pushen, nicht allen in der ultrarechten SVP gefallen würde. Nachdem sich einige Jung-SVP-Politiker*innen medial gegen ihre Spitze auflehnten, wurden Regez und Fiechter in die SRF-Rundschau eingeladen. Im Interview durften sie sich erklären und weigern sich, zur Jungen Tat und dem Begriff Remigration auf Abstand zu gehen. Sara Regez machte gar den Versuch den Begriff Remigration für ihre SVP-Migrationspolitik zu beanspruchen.
Die öffentlich kommunizierten Ziele der Junge Tat scheinen also umsetzbar. Sie erklärten, dass es im Moment darum gehe, ihre Begriffe in die Mitte der Dominanzgesellschaft zu tragen. Die Medien übernehmen ihre Begriffe bei jeder Gelegenheit. Anfangs kursiv mit Anführungszeichen, und zunehmend einfach so. In ihrer Hintergrundsendung News Plus spricht das SRF bereits von einem Fachbegriff statt von einem Kampfbegriff. Remigration meine laut SRF „Migrant*innen ausschaffen wollen“. Doch diese abscheuliche Praxis ist im Rechtsstaat bereits gang und gäbe. Remigration meint viel mehr – eben die Massendeportation von allen rassifizierten Migrant*innen raus aus Europa. Auch in der Bevölkerung wird der Begriff aufgegriffen. Letzte Woche beispielsweise erschien der Begriff auf einem Transpi im Kanton Schwyz, als Bürger*innen gegen die Eröffnung eines Bundesasylcamps in der Gemeinde Arth protestieren.
Von der raschen Verbreitung des faschistischen Kampfbegriffs muss allerdings nicht auf eine extreme Macht der Jungen Tat geschlossen werden. Die vielen Artikel zeigen eher wie Click-Rate-getrieben die Medien ihre Arbeit machen. Und dass der Begriff in der Bevölkerung aufgegriffen wird, zeigt wie fest die ultrarechte Politik der SVP eine faschisierende Wirkung auf die Bevölkerung hat. Von diesem Effekt wird die SVP immer wieder selbst eingeholt. Fiechter und Regez sind nicht die einzigen in der SVP, die mit dem Faschismus flirten. An den braunen Rändern der SVP tummeln sich viele. antifa.ch hat sie eindrücklich gemappt. Bevor es diesen, der Jungen Tat oder anderen Faschos gelingt, gewaltsame Massen zu mobilisieren, bleiben jedoch die ultrarechte SVP und ihre Kompliz*innen in der Mitte der Dominanzgesellschaft die wichtigen Problemverursacher in Sachen organisierter Rassismus.
https://www.antifa.ch/die-svp-und-die-remigration/
https://www.srf.ch/audio/news-plus/rechtsextremismus-was-ist-die-junge-tat-fuer-eine-organisation?id=12572291
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/fussball-schlaeger—was-tun-die-clubs-gegen-die-fangewalt?urn=urn:srf:video:3d011eb4-40bc-410e-9b39-450e0066c4e7
https://www.blick.ch/politik/streit-um-asylzentrum-dauert-schon-zehn-jahre-widerstandsnest-schwyz-id19652866.html
Neuer Migrations-Deal zwischen Tunesien und Italien
Letzte Woche unterzeichneten Meloni und Saied einen Deal in Höhe von 105 Mio. Euro. Hauptsächlich geht es darin darum, grüne Energie für Europa zu gewinnen, während tunesische Behörden Migrationskontrolle betreiben.
Am letzten Mittwoch, den 17. April, fand sich Italiens faschistische Premierministerin Giorgia Meloni das vierte Mal innerhalb eines Jahres für ein paar Stunden in Tunis, Tunesien ein. Zusammen mit ihrem Gefolge – Innenminister Matteo Piantedosi, dem stellvertretenden Aussenminister Edmondo Cirielli und der Bildungsministerin Anna Maria Bernini – unterschrieb sie drei Vereinbarungen mit der autoritären tunesischen Regierung des Präsidenten Kais Saied. Meloni ist die einzige europäische Politikerin, die in dieser Regelmässigkeit einen Dialog mit Saied führt, indem sie jegliche autoritären Tendenzen seines Regimes geflissentlich ignoriert.
Die drei Abkommen sind Teil des Mattei-Plans, den Meloni auf dem sog. Italien-Afrika-Gipfel im Januar vorgestellt hatte. Hierin versprach sie 5,5 Mrd. Euro, die „nach Afrika“ fliessen sollen. 105 Mio. Euro davon nun nach Tunesien – für Projekte, die erneuerbare Energie fördern, sowie in Form von Krediten an kleine und mittelgrosse Firmen. Auch Hochschulkooperationen und die Zusage von 12.000 Aufenthaltsbewilligungen für tunesische Fachkräfte in Italien wurden zugesagt. Und zu guter Letzt geht es noch um die Abschiebungen von Menschen aus Tunesien in ihre Herkunftsländer südlich der Sahara. Die tunesische Regierung soll im Gegenzug dazu die Abfahrten über das Mittelmeer kontrollieren. Rhetorisch wurde von Meloni alles nett verpackt als: „Es ist wichtig, dass wir zusammenarbeiten, um die Sklavenhändler des dritten Jahrtausends zu bekämpfen, die Mafiaorganisationen, die die legitimen Bestrebungen derjenigen ausnutzen, die ein besseres Leben wollen.“ Die italienische Zeitung Domani kommentierte: „Trotz der schönen Worte und der unterzeichneten Abkommen besteht das einzige Ziel Italiens darin, die Abreise von Migrant*innen aus Nordafrika zu stoppen.“ Und Riccardo Noury von Amnesty International fügte hinzu, die Zusammenarbeit mit Italien scheine Saied stillschweigend zu erlauben, seine „rassistische und einwanderungsfeindliche Rhetorik“ fortzusetzen.
Worum geht es in diesen Deals also wirklich?
Es geht um die Ausbeutung des Potentials Südtunesiens für die Erzeugung von Solar- und Windenergie.
Es geht um die Sicherung Tunesiens als Transferland für algerisches Gas nach Italien.
Es geht um Elitenförderung (s. sie Universitätsdeals und das Abwerben von Fachkräften).
Es geht um Migrationskontrolle und eine rassistische Kettenreaktion: Tunesische Behörden sollen flüchtende Menschen an der tunesischen Küste abfangen, während italienische Behörden dabei unterstützen sollen, Menschen in ihre südlich gelegeneren Herkunftsländer abzuschieben. Die Externalisierung der europäischen Aussengrenzen zeigt sich hier in einem extremen Beispiel.
Und worum geht es nicht?
Um das Wohlergehen der Menschen auf der Flucht, die in Tunesien gestrandet sind. In El Amra an der tunesischen Küste warten zurzeit tausende von Menschen in äusserst prekären Bedingungen darauf, das Mittelmeer überqueren zu können. In der Hafenstadt Sfax kann die Leichenhalle des Krankenhauses mit 35 Lagerplätzen keine weiteren Ertrunkenen mehr aufnehmen. Knapp 100 Leichen warten auf ihre Bestattung.
Saied hatte im letzten Sommer mit Verschwörungserzählungen gegen Migrant*innen gehetzt. Er kriminalisierte sie und machte sie verantwortlich für die ökonomische Krise in Tunesien. Die Folge waren rassistische Gewalt, Unruhen und eine Reihe von Razzien und Verhaftungen. Er befeuerte das Klima sogar so, dass Menschen ermordet wurden, indem das tunesische Militär sie in der Wüste aussetzte.
Saied beharrt darauf, keine Drittstaatsangehörigen – welche aus der EU abgeschoben werden – in Tunesien aufzunehmen. Ebenso weigert er sich, dass in Tunesien Bearbeitungszentren für die EU gebaut werden sollen, welche das Recht auf Asyl bereits vor der Abreise überprüfen sollen. Ähnliche Pläne werden zurzeit in Albanien verfolgt, wo die italienische Regierung zwei Lager baut. Meloni weicht diesen Themenfeldern also aus und konzentriert sich stattdessen auf die „gemeinsamen Prioritäten“, die Tunesien und Italien bei der „Bekämpfung von Menschenhändlern und der Rückführung afrikanischer Migranten in ihre Heimatländer“ setzten.
Vor der italienischen Botschaft in Tunis protestierten am Morgen von Melonis Besuch tunesische Aktivist*innen gegen die rechte Migrations-Agenda, die von Rom aus gefördert würde. Mehrere tunesische Menschenrechtsorganisationen warfen der italienischen Regierung vor, Gefangenenlager für Migrant*innen bauen zu wollen und ihre rechte Rhetorik zu verbreiten. Ein Sprecher des Tunisian Forum for Econmic and Social Rights, Romdhane Ben Amor, bezeichnete den Deal als „Überwachung der europäischen Grenzen durch Stellverteter*innen.“
https://www.infomigrants.net/en/post/56538/italys-meloni-talks-migration-in-tunisia
https://www.lemonde.fr/en/le-monde-africa/article/2024/04/19/giorgia-meloni-returns-to-tunis-to-consolidate-her-migration-cooperation-project_6668888_124.html
https://www.thenationalnews.com/news/mena/2024/04/17/italian-pm-meloni-in-tunisia-for-more-talks-to-curb-migration-to-europe/
https://twitter.com/MeshkalTn/status/1780960552631627961/photo/1
https://news-tunisia.tunisienumerique.com/tunisia-protests-in-front-of-italian-embassy-on-sidelines-of-melonis-visit/
Was ist aufgefallen?
Left to die – Überlebende seit 12 Jahren vor Gericht
Vor zwölf Jahren – am 27. März 2011 – startete in Tripolis ein Boot mit 72 Menschen Richtung Europa. Es gab Probleme. Das Boot trieb zwei Wochen unkontrolliert über das Meer. Als es an der libyschen Küste strandet, leben nur noch neun Personen. Diese reichten eine Klage wegen unterlassener Hilfeleistung ein. Was ist daraus geworden?
Alle wussten vom Left to die-boat. Die italienischen Behörden registrierten die Notsignale und lokalisierten das Boot. Ein Militärhubschrauber versorgte das Boot einmal mit Keksen und Wasser, ohne jemals wieder zurückzukehren. Zwei Fischereiboote sowie ein grosses Militärschiff der NATO verweigerten in unmittelbarer Nähe jegliche Nothilfe.
Die Aussagen der Überlebenden und alle verfügbaren Informationen wurden in Berichten des Europarats und von Forensic Architecture exakt festgehalten. Die Justiz hätte ihren Job tun können. Doch in Spanien und Belgien wurden die Ermittlungen eingestellt. In Italien liess die Militärstaatsanwaltschaft in Rom umfangreich ermitteln, um das Verfahren danach ebenfalls einzustellen. In Frankreich sollte eine schlechte Untersuchung den Fall begraben, doch 2022 brachten die klagenden Überlebenden und die sie unterstützenden NGOs das Berufungsgericht in Paris dazu, endlich mit Ermittlungen zu beginnen.
Der Ausgang der Verfahrens ist noch offen, doch es zeigt sich bereits jetzt der rassistische Charakter der Justiz. Insbesondere, wenn die Trägheit der Justiz in diesem Fall mit der Hyperaktivität verglichen wird, wenn es den Gerichten darum geht, mutmassliche Schlepper*innen zu hohen Haftstrafen zu verurteilen.
Wo gab es Widerstand?
Antirassistische Grossdemo in Paris
Zuerst wollten die Behörden die Demo verbieten. Nach einer Klage vor Gericht war es dann doch möglich. Tausende folgten dem Aufruf von Persönlichkeiten der Öffentlichkeit und Organisationen.
Die treibenden Kräfte hinter der Demo waren Amal Bentounsi, dessen Bruder Amine 2012 von der Polizei niedergeschossen wurde und Yessa Belkhodja, ein Mitglied des „Collectif des jeunes du Mantois“.
Die Demo erinnert an Opfer von rassistischer Gewalt: Am 13. März 2024 rammte die Polizei Wanys und Ibrahim in Aubervilliers. Wanys starb. Ibrahim befindet sich in einem kritischen Zustand. Am 9. und 10. Dezember 2023 starben in Chelles Theodor und Justin, weil sie sich geweigert hatten, sich zu fügen. Am 30. November 2023 starb Mustapha, ein marokkanischer unbegleiteter Minderjähriger in der Haftanstalt von Villepinte an Suizid. Am 27. Juni 2023 wurde der 17-jährige Nahel in Nanterre von einem Polizisten aus nächster Nähe erschossen,
Die Demo macht zudem auf die Verschärfungen des institutionellen Rassismus aufmerksam: Am 14. November 2023 werden in Nizza achtjährige Kinder von der Stadtverwaltung und dem Rektorat beschuldigt, während der Pause zu beten. Am 18. Oktober 2023 wurde in Canet-en-Roussillon ein 10-jähriges Kind von der Polizei wegen Terrorismus vorgeladen. Seit dem 7. Oktober 2023 werden Mittelschüler*innen diffamiert, die sich mit der Bevölkerung in Gaza solidarisieren. Am 6. Dezember 2018 wurden 151 Schüler*innen festgenommen und kniend gedemütigt, weil sie die Gelbwesten unterstützten und gegen die Reform des Gymnasiums demonstrierten.
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Leerplan an Schweizer Schulen
Die Deutschschweiz wundert sich über Antisemitismus und schiebt ihn wahlweise den Rechten, den Linken oder doch den Migranten in die Schuhe. Wo er keine Rolle spielt: in der Bildung. Das ist politisch gewollt.
https://www.republik.ch/2024/04/08/leerplan-an-schweizer-schulen
Polizeiliche Kriminalstatistik: Tätigkeitsbericht der Polizei und Material für Moralpaniken
Polizeiliche Kriminalstatistiken werden behandelt, als spiegelten sie „die Kriminalität“ wider. Dabei ist ihnen ausschließlich zu entnehmen, welche Anzeigen die Polizei aufgenommen hat. Es handelt sich um einen Tätigkeitsbericht der Polizei, den Politik und Medien gleichwohl als Material für Moralpaniken nutzen.
https://geschichtedergegenwart.ch/polizeiliche-kriminalstatistik-taetigkeitsbericht-der-polizei-und-material-fuer-moralpaniken/
EU-Turkey Deal
Documenting Conditions in the Greek Hotspots 2016-2023
https://bootvluchteling.nl/wp-content/uploads/2024/04/032024-BRF-EU-Turkey-deal-Documenting-conditions-2016-2023-Report.pdf