Flüchtende auf kanarischen Inseln blockiert, Demonstrationen gegen Polizeigewalt in Frankreich, Gerichtsurteil gegen Ausschaffung in der Schweiz

Rückblick auf eine Woche voller Rassismus und Widerstand:
Beim Zugang zu überlebenswichtigen Medikamenten gegen Covid-19 zeigt sich die Brutalität von Nationalismus und Neokolonialismus in seiner vollen Deutlichkeit | Französische Regierung löst eine muslimische Menschenrechtsorganisation auf | Eine neue Neonazigruppe im Wallis | Bundesrat will im Namen der „Friedensförderung“ Migration weiter kontrollieren und bekämpfen | EGMR rügt Verfügung über Ausweisung eines schwulen Gambiers aus der Schweiz | Spanische Regierung lässt kanarische Inseln zu „zweitem Lesbos“ werden | Ein Zaun mehr: Gemeinde Möhlin zäunt Asylunterkunft ein | Rechtsextremer Terror nimmt weltweit drastisch zu | Trotz Push-Back-Vorwürfen werden die Befugnisse der EU-Grenschutzagentur Frontex erweitert | Kollektiv Vo Da streicht rassistische Sprache | Mittelmeerstaaten wehren sich gegen den neuen EU-Migrationspakt | Gespannte Stimmung in Frankreich rund ums Thema Polizeigewalt | 2 Jahre Basel Nazifrei Demo

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Was ist neu?

Beim Zugang zu überlebenswichtigen Medikamenten gegen Covid-19 zeigt sich die Brutalität von Nationalismus und Neokolonialismus in seiner vollen Deutlichkeit
Mit Blick auf die Gespräche der Welthandelsorganisation (WTO) diese Woche fordern verschiedene Staaten und Organisationen wie zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen die beteiligten Regierungen auf, eine Initiative zum Aussetzen von Patenten auf Covid-Impfstoffe zu unterstützen. Die Initiative war von Indien und Südafrika im Oktober auf den Weg gebracht worden. Fast 100 Länder unterstützen sie – nicht jedoch reiche Länder wie die USA, Japan oder auch die Staaten der Europäischen Union.
Nach der Initiative wäre es allen Ländern erlaubt, die Durchsetzung des Rechts auf geistiges Eigentum von Medikamenten, Impfstoffen, Diagnosemethoden und weiteren Technologien, die wichtig gegen Covid-19 sind, bis zum Erreichen einer weltweiten Herdenimmunität auszusetzen. Dieser Ansatz hat bereits vor 20 Jahren viele Leben gerettet, als während der HIV- und Aids-Epidemie erschwingliche generische HIV-Medikamente auf den Markt kamen. Doch offenbar kann nicht einmal eine globale Pandemie Pharmakonzerne davon abhalten, ihren ‚Business-as-usual‘-Ansatz zu verfolgen. Seit dem Beginn der Pandemie haben Pharmaunternehmen an ihrer bisherigen Praxis festgehalten und streng über ihr geistiges Eigentumsrecht gewacht. Das führt zur künstlichen Verknappung wichtiger Arzneimittel und zu von Firmen diktierten Preisen, die für viele Menschen insbesondere in Ländern des globalen Südens unerschwinglich sind. Gleichzeitig versuchten die Firmen, geheime Monopol-Deals auszuhandeln, die viele Länder des globalen Südens ausschliessen. So hat etwa das Unternehmen Gilead restriktive bilaterale Lizenzvereinbarungen für Remdesivir abgeschlossen – eines der wenigen Medikamente, das einen potentiellen Nutzen bei der Behandlung von Covid-19 hat. Durch diese Vereinbarungen wurde nahezu die Hälfte der Weltbevölkerung davon ausgeschlossen, von einem preissenkenden Generika-Wettbewerb zu profitieren.
Auf der letzten WTO-Tagung des TRIPS-Rates (Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights) am 15. und 16. Oktober sind Kenia und Eswatini gemeinsam mit Indien und Südafrika offiziell für die Verzichtsklausel eingetreten. Insgesamt 99 Länder haben die Verzichtserklärung begrüsst und ihre Unterstützung demonstriert. Der Vorschlag wird jedoch von zahlreichen reichen Ländern – den USA, Grossbritannien, Japan, Kanada, Brasilien, Australien, Norwegen, der Schweiz und der Europäischen Union – nicht unterstützt. Warum sollten sie auch. Glück für die Reichen, Pech für alle anderen.

https://pbs.twimg.com/media/En1r5JsXIAAuyhG?format=jpg&name=900x900
Diese Karte zeigt, welche Staaten die Initiative für patentfreie Covid-Impfstoffe unterstützen und welche Staaten sie blockieren

www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/aussetzung-patentrecht

Französische Regierung löst eine muslimische Menschenrechtsorganisation auf
Noch bevor das Gesetz gegen den Separatismus in Frankreich in Kraft getreten ist, hat die französische Regierung klar gezeigt, gegen wen sie sich ausrichtet: vor zehn Tagen hat sie der muslimischen Menschenrechtsorganisation Collectif contre l’islamophobie en France offiziell mitgeteilt, dass sie aufgelöst wird. Die Entscheidung ist eine direkte Folge der islamophoben und sicherheitspolitischen Eskalation, die nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty wieder ins Rollen gebracht wurde. In Frankreich ist dieser Mechanismus bekannt: als die Regierung nach den Attentaten vom Bataclan im November 2015 den Ausnahmezustand ausrief, wurden tausende Muslim*innen unter Hausarrest gestellt und innerhalb von zwei Monaten 3021 Hausdurchsuchungen durchgeführt, obwohl als Konsequenz davon nur vier Gerichtsverfahren eingeleitet wurden. In den letzten Wochen hat der Innenminister Gérald Darmanin zusätzlich die temporäre Schliessung der Moschee von Pantin angeordnet und eine andere muslimische NGO, Baraka City, administrativ aufgelöst. Die Auflösung des CCIF hat der Innenminister, mit Unterstützung einiger rechter Medien, damit begründet, dass sich der CCIF an der Hasskampagne gegen den Lehrer beteiligt hätte. Eine Erzählung, der von den Zeitungen Le Monde und Libération widersprochen wird.
Der CCIF ist eine Organisation, die seit Jahren einen Jahresbericht zur Islamophobie in Frankreich herausgibt, in dem sie insbesondere mit Statistiken die aktuelle Lage rund um islamophobe Gewalt und Diskriminierung aufzeigt. Der CCIF begleitet Betroffene solcher Vorfälle auch juristisch und ist selbst gegen rassistische Gesetze wie das Burkiniverbot vor Gericht gegangen. In einem Artikel zum Thema analysiert das autonome Medienkollektiv acta.zone:
„Zu lange wurde Islamophobie als eine ‚Abweichungsstrategie‘ angeprangert, die von den ‚wirklichen Problemen‘ ablenken soll. Oft wurde Islamophobie auch ausschliesslich aus dem Medienprisma betrachtet, ohne wahrzunehmen, was ihre zunehmende Institutionalisierung für das alltägliche Leben tausender Menschen bedeutet. Die Konstruktion des Islam als innerer Feind übersetzt sich konkret in eine immer engere Disziplin muslimischer Subjektivitäten und eine Quasi-Kriminalisierung ihrer Sichtbarkeit. Aber heute können wir mehr denn je ermessen, wie Islamophobie auch als mächtiges Prinzip der Dynamisierung der autoritären und repressiven Logiken funktioniert, Logiken die sich ständig auf andere Teile der Gesellschaft ausbreiten.“
https://acta.zone/dissolution-du-ccif-islamophobie-bascule-autoritaire/

Eine neue Neonazigruppe im Wallis
„Radical Sion“ oder „Swastiklan“ nennt sich die neue Hooligan-Neonazi Gruppe, deren Existenz seit einer organisierten Prügelei mit bernischen Hooligans öffentlich ist. Von diesem grossen „Fight“ sind nämlich gewisse Fotos durchgesickert, und haben die Identität mehrerer Mitglieder der rechtsextremen Gruppe bekannt gegeben. Die meisten Typen auf der Fotografie sind aus Martigny oder aus dem Chablais, aber es sind auch zwei französische Ultranationalisten dabei, Marc de Cacqueray-Valménier und Maxime Pomerat. Der erstere ist eine zentrale Figur der Neonaziszene in Frankreich und Leader der gewalttätigen parisischen „Zouaves“.
Der schweizerische Nachrichtendienst geht davon aus, dass sich Rechtsextreme nicht mit aktuellen Themen befassen, keine Strategie besitzen und Gewaltanwendung nicht Teil ihres Verhaltes sei. Doch Johanne Garfinkel, Generalsekretär der Coordination Intercommunautaire contre l’Antisémitisme et la Diffamation gab gegenüber der walliser Zeitung Le Nouvelliste an, dass staatliche Institutionen ein gewisses politisches Desinteresse gegenüber der menschenfeindlichen Ideologie der Neonaziszene zeigen: „Die Problematik wird weitgehend minimalisiert und die Politiker*innen weigern sich, das Thema anzugehen. Sie sprechen fälschlicherweise immer noch von Einzelfällen.“
https://cicad.ch/fr/un-violent-groupuscule-neonazi-se-developpe-en-valais?mc_cid=33d34433b1&mc_eid=889a716329
https://renverse.co/infos-locales/article/un-nouveau-groupe-de-hooligans-neo-nazis-en-valais-2815

Was geht ab beim Staat?

Bundesrat will im Namen der „Friedensförderung“ Migration weiter kontrollieren und bekämpfen
Der Bundesrat will nebst der sog. Entwicklungszusammenarbeit auch die Armee stärker an migrationspolitischen Zielen ausrichten. Die sogenannte „militärische Friedensförderung“ (die übrigens nicht immer für Frieden sorgt, siehe hier und hier) soll neu vor allem dort stationiert werden, wo in Zukunft grössere Fluchtbewegungen erwartet werden. So werden die „Friedensförderer“ unter anderem auf dem afrikanischen Kontinent stationiert, da laut Bundesrat „selbst weit entfernte Konflikte die Sicherheitsinteressen der Schweiz direkt betreffen“. Der Bundesrat schreibt weiter: „Heute sind rund achtzig Prozent des Personals in Kosovo und Bosnien und Herzegowina engagiert. UNO-Missionen finden aber zunehmend in Afrika und im Nahen Osten statt. Die Sicherheitsinteressen auch der westlichen Staaten sind durch Entwicklungen in diesen Gebieten direkt oder indirekt betroffen. Nicht erst die grosse Flüchtlingswelle 2015 hat gezeigt, dass die Schweiz von den Migrationsströmen nach Europa betroffen ist. Der Zusammenhang zwischen geografischer Nähe eines Konfliktherds und sicherheitspolitischer Relevanz besteht zwar weiterhin, aber geografische Distanzen haben an Bedeutung verloren. Entfernte Konflikte können immer mehr negative Effekte auch auf die Schweiz haben. Gerade die Kriege im Nahen Osten, in Afghanistan, am Horn von Afrika und zunehmend auch die offenen Feindseligkeiten in Westafrika zeigen, wie aussereuropäische Konflikte die Migrationslage in Europa und damit auch in der Schweiz beeinflussen. Die Schweiz hat ein direktes Interesse am Erfolg von UNO-Missionen, welche die Ursache der Probleme zu bekämpfen versuchen“. Selbst beim Einsatz sogenannter „Friedenssoldat*innen“ geht es also ausschliesslich darum, Migration zu kriminalisieren und zu bekämpfen und den „Wohlstand und die Zukunftsperspektiven“ der Schweiz zu sichern. Ausserdem wird hiermit erneut die fortlaufende Tendenz der Externalisierung europäischer Aussengrenzen bestätigt.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81317.html

Laufende Einsätze der Schweiz in der Friedensförderung

EGMR rügt Verfügung über Ausweisung eines schwulen Gambiers aus der Schweiz
Ein Gambier erhielt nach mehrfach abgelehntem Asylgesuch und einem abschliessenden Entscheid des Schweizer Bundesgerichts im Jahr 2018 einen Wegweisungsbescheid aus der Schweiz. Am 17. November 2020 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nun jedoch in einem Urteil entschieden, dass seine Ausschaffung gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstösst – gegen das Folterverbot.
So hätten die Schweizer Behörden nicht ausreichend abgeklärt, ob die betroffene Person bei einer Rückkehr nach Gambia aufgrund seiner Sexualität gefährdet wäre. Und ob lokale Behörden fähig und willens wären, ihn auch vor nicht-staatlichen Akteur*innen zu schützen. Auch wenn wir von antira.org das Gerichtsurteil grundsätzlich begrüssen, stossen wir hier bereits auf mehrere Probleme.
Denn 1. sind Gerichtsurteile generell nicht unbedingt aussagekräftig, da das Justizsystem und seine Akteur*innen von diskriminierenden Strukturen durchzogen sind und sie fleissig daran mitarbeiten, die bestehenden Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten.
2. Bezweifeln wir von antira.org den Wert von Europäischen Institutionen und Abkommen, da sie vollkommen heuchlerisch sind. Schliesslich baut Europa auf den Ergebnissen von Kolonialismus und Unterdrückung auf und tritt die eigens aufgestellten Richtlinien mit Füssen.
3. Sehen wir von antira.org staatliche Behörden als mindestens genauso gefährdend an, wie nicht-staatliche Akteur*innen. Die Polizei z.B. ist nur für Menschen mit Privilegien und in Machtpositionen ‚Freund und Helfer‘.  
Zusätzlich ist antira.org grundsätzlich gegen Ausschaffungen und dafür, dass alle Menschen ihren Wohnort frei wählen können. Eine gesonderte Kritik an den LGBTQI+(Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Queer, Inter, und mehr)-feindlichen Strukturen des herrschenden Asylsystems lautet allerdings wie folgt:
– Wenn verschiedene Diskriminierungsformen zusammen kommen, verschränken sie sich komplex miteinander. (s. Glossar Intersektionalität) So müsste eigentlich spezifisch auf mehrdimensionale Diskriminierung eingegangen und diese im Asylprozess berücksichtigt werden. Das Asylsystem baut jedoch unmittelbar auf Rassismus auf. Und wenn die Menschen, die es mittragen und aufrechterhalten, nicht einmal für Rassismus sensibilisiert sind, wie sollen sie dann erst mit den Schnittmengen von Unterdrückung und Benachteiligung differenziert und feinfühlig umgehen? Zumal jede Gesellschaft grundsätzlich auch homo- und transfeindlich aufgebaut ist. (s. Glossar Heteronormativität)
– Momentan ist es für das Schweizer Asylregime nicht ausreichend, wenn Homosexualität und Transidentität im Herkunftsland kriminalisiert werden. Die Schweiz erkennt also Homosexualität oder Transidentität nicht als Asylgrund an, wenn diese per dortigem Gesetz strafrechtlich verfolgt werden. Die Betroffenen befinden sich hingegen in einer Bringschuld, zu beweisen, dass sie einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt und aktiv bedroht sind. Damit setzen die europäischen Migrationsbehörden voraus, dass es legitim sein soll, wenn Menschen im Heimlichen und Verborgenen leben. Eine stetige indirekte Bedrohung und die latente Angst, entdeckt zu werden sind jedoch alles andere als legitim. Im aktuellen Diskurs um Migration schreiben sich europäische Behörden gerne Europas angeblichen Errungenschaften auf die Fahne, u.a. die eigene Identität frei ausdrücken zu können. Warum ist es dann okay, Menschen in ein Land abzuschieben, in dem das nicht möglich ist? Hier wird erneut die Doppelmoral europäischer Gesetzgebung deutlich. Und die Praxis des schweizer Asylsystems mit LGBTIQ+-Personen erweist sich einmal mehr als vollkommen ungenügend.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/wegweisung-eines-homosexuellen-gambiers-emrk-ruegt-die-schweiz

Was ist aufgefallen?

Spanische Regierung lässt kanarische Inseln zu „zweitem Lesbos“ werden
Auf den Kanarischen Inseln, die zu Spanien gehören, sind in diesem Jahr bereits 18.000 Menschen auf der Flucht angekommen. Spanien hat drei Strategien, um darauf zu reagieren: Errichtung von Lagerstrukturen vergleichbar mit denen auf den griechischen Inseln, Abschiebungen und Kooperationen zur Abschottung mit den Herkunftsstaaten.
Unterbringung in Lagern 
Bisher wurde ein Teil der Menschen, die auf den Kanarischen Inseln ankamen, in Hotels untergebracht. Diese wurden von der spanischen Regierung angemietet und stehen im Moment sowieso mehrheitlich leer, da aufgrund der Corona-Situation der Tourismus in diesem Jahr eingebrochen ist. Dagegen wehren sich unter anderem zwei Gemeinden auf Gran Canaria und drohen den 16 Hotels mit Bussgeldern von bis zu 300.000 Euro, wenn sie bis Ende Jahr die Verträge mit der spanischen Regierung nicht gekündigt haben. Ein weiterer Teil der Menschen befindet sich direkt am Hafen von Arguineguín im Südwesten Gran Canarias. Die provisorische Erstunterbringung dort ist eigentlich nur für wenige Tage vorgesehen, dauert jedoch für manche Menschen schon wesentlich länger an. Die vorhandenen Zelte sind für 500 Menschen ausgelegt. Es halten sich dort jedoch meist zwischen 1.000 und 2.000 Personen auf. Die hygienischen Bedingungen sind entsprechend katastrophal. Es gibt beispielsweise nur 17 Duschen.
Eine Evakuierung der Menschen auf das spanische Festland lehnt die spanische Regierung strikt ab. Dabei handle es sich aber ausdrücklich nicht um spanische Politik, wie Innenminister Fernando Grande-Marlaska betont, sondern die der gesamten EU. In der zynischen Wortwahl wird betont, dass die Kanaren nicht als „Sprungbrett nach Europa “ wahrgenommen werden dürften. Die Evakuierung der Menschen würde eine „Sogwirkung“ haben, die wiederum noch mehr Menschen dazu bewegen würde, sich auf den Weg zu den Kanaren zu begeben. Dabei dürfte klar sein, dass die Situation in den Herkunftsländern ausschlaggebend für eine Flucht ist. Auch die hohen Todeszahlen auf dem Atlantik halten nicht davon ab, diese gefährliche Fluchtroute zu begehen. Allein im Oktober und November sind bisher über 500 Menschen auf der Atlantikroute gestorben. Nun soll es also anstelle von Evakuierungen weitere Unterbringungsstrukturen geben. Das Innenministerium kündigte neue Zeltlager auf alten Militäranlagen auf den Inseln Gran Canaria, Teneriffa und Fuerteventura an. In diesen provisorischen Aufnahmezentren sollen 7.000 Menschen Platz finden. Für nächstes Jahr werden dann „stabilere Lösungen“ vorausgesagt. Was genau darunter zu verstehen ist, ist noch nicht ganz klar, aber voraussichtlich werden es grössere Lagerhallen sein, in denen die Menschen untergebracht werden sollen. Verschiedene Organisationen warnen bereits jetzt davor, dass die Kanaren zu einem neuen Lesbos werden.
Abschiebungen und Abschottung
Die Menschen sollen dann direkt von den Inseln möglichst schnell wieder in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Um dies zu arrangieren, waren spanische Regierungsvertreter*innen in der vergangenen Woche zu Gesprächen im Senegal und in Marokko. Der senegalesischen Regierung wurde zugesagt, die spanische Polizeipräsenz im Senegal zu verstärken, sogenannte „Menschenschmugglernetzwerke“ vor Ort zu bekämpfen und zusätzliche Patrouillenschiffe sowie ein maritimes Beobachtungsflugzeug zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig wurde darauf gedrängt, das Rücknahmeabkommen wieder zu aktivieren, das aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt wurde. Die Rücknahme von Geflüchteten wird auch von Marokko gefordert. Während Marokko als sicheres Herkunftsland gilt, wurde schon mehrfach dokumentiert, wie Marokko Menschen, die es zurücknehmen musste, in der Westsahara aussetzte. Die genaue Zahl der Toten ist auch hier nicht bekannt.
Europäische Abschreckungspolitik, die nicht funktioniert
Die Situation auf den Kanaren fasst eine Vielzahl der hausgemachten Probleme der europäischen Migrationspolitik zusammen. Man setzt konsequent auf Abschottung, kann aber nicht verhindern, dass sich Menschen auf die Flucht begeben. Todesfälle in beliebiger Zahl werden in Kauf genommen, da aus europäischer Sicht das Leben einer nicht-europäischen Migrant*in nicht gleich viel zählt wie das einer Europäer*in. Den Menschen, die ankommen, werden ihre Rechte verwehrt. Sie werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, indem sie – in diesem Fall – eine Insel nicht verlassen können. Sie werden in Länder ausgeschafft, aus denen sie geflohen sind, wobei wiederum Todesfälle und Gewalt in Kauf genommen werden. Dabei könnte europäische Migrationspolitik auch anders aussehen. 5 spanische Regionalregierungen haben sich bereits zur Aufnahme von Geflüchteten von den Kanarischen Inseln bereit erklärt. Die Regierung in Madrid verweigert die Aufnahme jedoch. Auch das kommt uns analog zur Situation auf Lesbos sehr bekannt vor.

https://www.nw.de/_em_daten/_cache/image/1x0Tl3bWOQGxGck5V5AbY900ciZHX8tDsg7j4S-zznpLxcYuC-nHBskQ/201123-1230-canaria.jpg
Erstversorgung von Ankommenden am Hafen von Arguineguin

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144983.kanaren-wir-nennen-es-das-lager-der-schande.html
https://mediendienst-integration.de/artikel/wie-ist-die-situation-auf-den-kanarischen-inseln.html?fbclid=IwAR2y0q4P_aZ40264hbQ6Fn8ElbzB8pMNtuKBjFMkUDC3ihb47sAxK5CeMZEhttps://taz.de/Fluechtlinge-auf-Kanaren/!5731962/https://www.fr.de/politik/spanien-laesst-gefluechtete-nicht-aufs-festland-90108188.htmlhttps://www.tagesspiegel.de/politik/neue-flucht-auf-die-kanaren-die-eu-vergroessert-ihre-laengst-bekannten-probleme/26652018.html

Ein Zaun mehr: Gemeinde Möhlin zäunt Asylunterkunft ein
In der Asylunterkunft Möhlin hat sich eine Person mit Covid-19 infiziert. Deshalb mussten sich alle anderen 22 Personen auch in Quarantäne begeben. Die Gemeinde Möhlin hat dafür einen Zaun um die Unterkunft gebaut und Sicherheitspersonal von Securitas engagiert, damit die Menschen ja drinnen bleiben. Das sei nötig, so Lutz, der Sprecher der ORS AG, die für die Unterbringung zuständig ist, weil «das Verständnis, was Quarantäne bedeutet, nicht vorhanden ist. Gerade bei Bewohnerinnen und Bewohnern aus Asylunterkünften hat die Erfahrung einfach gezeigt, dass man das nicht ganz so ernst nimmt». Deshalb der Zaun.
Wieder einmal zeigt sich die Ungleichbehandlung von geflüchteten Menschen deutlich: Wo sonst werden Zäune gebaut und Sicherheitspersonal vor die Tür gestellt, damit Leute die Quarantäne einhalten? «Ein Grenzspektakel» nennt sich so ein Vorgehen in der Wissenschaft. Entwürdigend und stigmatisierend ist die Wirkung, da hiermit geflüchtete Menschen als gefährlich dargestellt werden und als diejenigen, welche die Massnahmen nicht einhalten. Weiter zeigt sich die rassistische Haltung auch in den Aussagen des Mediensprechers der ORS: Dass die Menschen das mit der Quarantäne nicht verstehen würden, wenn man sie nicht hinter Gitter brächte. In der Asylunterkunft hat sich eine Person mit Covid angesteckt. Durch die Platzverhältnisse müssen alle anderen auch in Quarantäne. In Vierer-Zimmern für 10 Tage. Diese Bedingungen sind nett ausgedrückt sehr herausfordernd. Und es ist die ORS, die Leute so unterbringt und dann erklärt, sie würden das mit der Quarantäne nicht verstehen. Eine schweizer Firma, die gewinnbringend die Unterbringung von asylsuchenden Menschen organisiert, die rassistische Erklärungen liefert und nicht davor zurückschreckt, Zäune aufzustellen – anstatt Informationen zu liefern und Platzverhältnisse zu schaffen, die eine würdige Quarantäne ermöglichen.

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Die eingezäunte Asylunterkunft in Möhlin.

https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/fricktal/nach-ungewohnter-quarantaene-massnahme-sagt-eine-psychologin-der-zaun-ist-wahnsinnig-demuetigend-139993224https://www.telem1.ch/aktuell/fricktal-zaun-um-asylunterkunft-sorgt-fuer-kritik-139997290https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/fricktal/zaun-um-die-unterkunft-wegen-eines-coronafalls-wurden-asylbewerber-fuer-zehn-tage-weggesperrt-139990120https://www.srf.ch/news/schwe.iz/corona-quarantaene-zaun-um-asylunterkunft-zu-viel-oder-noetig

Rechtsextremer Terror nimmt weltweit drastisch zu
Forschende stellten letzte Woche in London den diesjährigen Global Terrorism Index des Institute for Economics and Peace vor. In Nordamerika, Westeuropa und Ozeanien ist die Zahl rechtsextrem motivierter Gewalttaten seit 2014 um 250 Prozent angestiegen. Bei den Todesopfern rechtsextremistischer Anschläge lag der Anstieg innerhalb von fünf Jahren bei mehr als 700 Prozent. Es gebe nun so viele rechte Angriffe wie zu keinem anderen Zeitpunkt in den vergangenen 50 Jahren. Alles in allem ist die Zahl der Toten durch andere Formen von Terrorismus dagegen bereits das fünfte Jahr in Folge gesunken: In den vergangenen fünf Jahren ging sie um knapp 60 Prozent zurück – 2019 lag sie bei etwas weniger als 14.000 Todesopfern weltweit. Im Vergleich zu 2018 war dies ein Rückgang um 15 Prozent.
Der deutsche Innenminister Seehofer betitelt den rechtsextremistischen Terror als höchste Gefahr. Die getroffenen Massnahmen und der Aufklärungswille der vergangenen Jahre lassen aber darauf schliessen, dass Seehofers mahnende Worte lediglich und einmal mehr reine Lippenbekenntnisse sind. Was wird denn schon nachhaltig gegen rechten Terror unternommen? Die Prioritäten der Extremismusbekämpfung werden jedes Mal sichtbar, wenn Staatsschergen während rechter Aufmärsche auf Gegendemonstrant*innen einschlagen und Gerichte diesen mit hoher Repression begegnen. Oder wenn Morde im Polizeigewahrsam vertuscht werden. Oder NSU-Untersuchungsausschüsse an Aufklärungsarbeiten gehindert werden und die Ermittlungsakten entweder im Schredder landen oder mit 100-jähriger Verschlusszeit belegt werden. Und noch vieles mehr an staatlichen Vertuschungsstrategien…. Dass «Linksextremismus» in der Pressekonferenz zur Vorstellung der Forschungsergebnisse nicht unerwähnt blieb, steht fest wie das Amen in der Kirche. «Menschen sterben und ihr schweigt, Scheiben splittern und ihr schreit».
https://www.srf.ch/news/international/terrorismus-studie-so-viele-rechtsextreme-angriffe-wie-seit-50-jahren-nicht-mehr
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81299.html

Trotz Push-Back-Vorwürfen werden die Befugnisse der EU-Grenschutzagentur Frontex erweitert
Nachdem einige bürgerliche Medien die Vorwürfe von illegalen Push-Backs in der Ägäis in ihre Berichterstattung aufgenommen und die Beteiligung von Frontex-Offizier*innen in mindestens sechs Fällen detailliert belegt haben, steigt der Druck auf die EU-Grenzschutzagentur. Auch nachdem bekannt wurde, dass Frontex-Chef Fabrice Leggeri bereits im Mai über einen Push-Back im April informiert worden war und nichts unternahm. Als er sich im Juli das erste Mal vor der EU-Kommission verantworten musste, erwähnte Leggeri nichts davon. Auch die weiteren Befragungen durch die EU-Kommission im November ergaben kaum etwas. Im Gegenteil: trotz der Vorwürfe werden Befugnisse und Budget von Frontex stets erweitert. So sollen bis 2027 10.000 neue Offizier*innen eingesetzt werden, 3.000 von ihnen bereits ab Januar 2021. Diese unter ‚Kategorie 1’ laufenden Offizier*innen, unterstehen direkt dem Hauptquartier in Warschau. Zusätzlich sollen besagte Offizier*innen der ‚Kategorie 1‘ bewaffnet sein, spezifischer mit Pistole, Schlagstock, Handschellen und Reizstoffen ausgestattet werden. Dies entbehrt jedoch jeglicher Rechtsgrundlage. Der Hauptsitz von Frontex darf keine Waffen oder Munition anschaffen, registrieren, lagern oder in Einsatzgebiete transportieren. Sie führen jedoch bereits Gespräche mit Waffen-Lieferanten und mit der EU-Kommission, um die unsichere Rechtslage zu klären und Unrecht zu Recht zu machen. Auch die Finanzierung hat sich in den letzten fünfzehn Jahren von 6 Millionen Euro im Jahr 2005 auf 1,1 Milliarden Euro im Jahr 2020 vervielfacht. Und hiervon werden nur 0,2 Prozent einem Posten zugesichert, der sich im weitesten Sinne mit Menschenrechten auseinandersetzt – dem Fundamental Rights Officer (zu einer Übersicht über den Aufbau der Frontex-Behörde und ihre unzureichenden Kontrollinstanzen s. antira-Wochenschau vom 24. August 2020). Infolge der Entdeckung, dass auch Frontex-Offizier*innen der deutschen Bundespolizei in die Push-Backs verwickelt waren, fordert der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe zwar den Abzug des deutschen Kontingents. Das wird die Praxis der Push-Backs jedoch nicht unterbinden. Und auch die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) der Schweiz zieht sehr vage Konsequenzen – sie habe schriftliche Weisungen an schweizer Frontex-Offizier*innen erlassen, sich bei Push-Backs den Befehlen zu widersetzen. Gleichzeitig stimmte der schweizer Bundesrat jedoch am 25. November einer Neuausrichtung des europäischen Systems für Ausweisdokumenten-Speicherung zu. In einer rassistischen Medienmitteilung des Bundes werden Migration, Terrorismus und Geldwäsche in einem Atemzug genannt und illegalisierte Menschen mit Gewalt, Kriminalität und Terrorismus in Verbindung gebracht. Und dreimal dürft ihr raten, wer neu die Verantwortung für FADO (False and Authentic Documents online) innehat. Richtig, die europäische Grenzschutzagentur Frontex. So fahren die schweizer Behörden zweigleisig: In der Öffentlichkeit distanzieren sie sich von den Push-Backs. In der Praxis stärken sie jedoch die Kompetenzen von Frontex.
https://www.cilip.de/2020/11/24/keine-waffen-fuer-frontex/
https://www.woz.ch/2047/frontex-in-der-aegaeis/die-pushback-agentur
https://www.spiegel.de/politik/ausland/wie-frontex-chef-fabrice-leggeri-die-oeffentlichkeit-getaeuscht-hat-a-97235557-16c5-4340-bf9b-c1032b2dabab
https://www.watson.ch/international/schweiz/105868719-illegale-abschiebungen-schweiz-droht-mit-abzug-von-frontex-beamten
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81312.html

https://cdn.prod.www.spiegel.de/images/1bee170b-4e00-41bd-8222-b92ed25be01b_w718_r1.4997405293201869_fpx38_fpy54.96.jpg
Frontex-Chef Fabrice Leggeri

Was nun?

Kollektiv Vo Da streicht rassistische Sprache

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«Unser Projekt „Chas nüm ghöre!“ ist eine Sammlung von dem, was Betroffene von Diskriminierung und Rassismus in der Schweiz immer wieder im Alltag von ihren Mitmenschen zu hören bekommen. Es soll aufzeigen, dass solche Aussagen keinesfalls als Einzelfälle abgetan werden können, sondern dass sie unzählige Betroffene häufig schon ein Leben lang unfreiwillig in der Schule, in der Freizeit, im Berufsleben und im Alltag begleiten. Rassistische Diskriminierung ist somit strukturell bedingt. Zudem beabsichtigten wir damit eine gewisse Solidarisierung hervorzurufen und Betroffenen zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind. Weil das häufige Ausbleiben einer Reaktion auch bei unbedachten oder nicht böse gemeinten Aussagen vom Gegenüber oft als Zustimmung, Gutheissung oder zumindest als Legitimation zu diskriminierender und rassistischer Sprache wahrgenommen wird, rufen wir Betroffene und auch Nicht-Betroffene dazu auf, jeglicher Form von Diskriminierung und Rassismus tagtäglich die Stirn zu bieten, » schreibt das Kollektiv Vo Da.
Über 50 diskriminierende oder rassistische Aussagen wurden bereits gesammelt. Und durchgestrichen. Denn: «Diskriminierende und rassistische Äusserungen können Betroffene stark treffen und deshalb sehr verletzend sein. Mit ihnen werden rücksichtslos Annahmen über die Betroffenen, ihre Persönlichkeit, ihren Charakter, ihre Fähigkeiten, ihre Identität oder ihre Zugehörigkeit getroffen, ohne dabei ihre Individualität zu berücksichtigen und zu respektieren. Deshalb gilt es diese Aussagen mit aller Kraft aus dem Wortschatz unserer Gesellschaft zu eliminieren.  Sie sollen aus dem Alltag verschwinden.»
Das Kollektiv erklärt weiter «Entgegen der weit verbreiteten Meinung, beginnt diskriminierende und rassistische Sprache nicht erst bei wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen. Unzählige Betroffene werden in ihrem Alltag immer und immer wieder von ihren Mitmenschen mit den gleichen Sätzen konfrontiert. Diesen Sätzen gemeinsam ist, dass sie alle pauschalisierende Aussagen treffen, auf Vorurteilen beruhen, stereotypisierte Denkmuster offenbaren, Stigmatisierungen vornehmen und Klischees über bestimmte Personen(-gruppen) wiedergeben und somit die Verbreitung von Diskriminierung & Rassismus weiter befeuern. Dabei handelt es sich meistens zwar nicht direkt um Ehrverletzungen oder öffentliche „rassendiskriminierende“ Hetze im juristischen Sinn, was beides gemäss Schweizerischem Strafgesetzbuch (Art. 176 bzw. Art. 261bis StGB) verboten ist und entsprechend auch zur Anzeige gebracht werden kann. Vielmehr stecken in den Äusserungen hingegen häufig subtile Ausgrenzungen („Othering“), sowie Herabwürdigungen und die klare Differenzierung zwischen einem „Wir“ und „den Anderen“. Wenn auch teilweise unabsichtlich oder zumindest nicht böswillig, wird den Betroffenen mit solchen Äusserungen mal klar, mal eher unterschwellig kommuniziert: „Ihr seid anders als wir.“, „Ihr gehört nicht zu uns.“, „Ihr seid alle gleich (schlecht).“, „Wir sind (von Natur aus) alle besser als ihr.“, „Wir sind die Norm.“, „Ihr gehört eigentlich nicht hierher.“, „Wir bestimmen, was wir zu euch sagen dürfen, nicht ihr.“»Weitere diskriminierende oder rassistische Aussagen, die in die Sammlung aufgenommen werden sollen, können an hey@chasnuemghoere.ch oder via Instagram (@chasnuemghoere) geschickt werden.
https://chasnuemghoere.ch/

Mittelmeerstaaten wehren sich gegen den neuen EU-Migrationspakt
Der im September angekündigte neue EU-Migrationspakt ist eine Katastrophe. Seine Grundpfeiler sind  Abschreckung bereits in den Herkunftsländern, Abschottung durch weitere Grenzsicherungen und die Förderung von Ausschaffungen. Des weiteren sollen Asylabklärungen direkt an den EU-Aussengrenzen stattfinden. Damit wird der Pakt nicht nur von Menschenrechtsorganisationen abgelehnt, sondern ebenso von der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten. Ihre Positionen lassen sich grob in drei Lager einteilen.
Die Visegrád-Staaten mit Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn fordern grundsätzlich konsequente Grenzschliessungen für sogenannte „irreguläre Migrant*innen“ und wollen das Recht auf Asyl am liebsten gleich ganz abschaffen. Sie lehnen am aktuellen Vorschlag die verpflichtende Verteilung von geflüchteten Menschen auf alle Mitgliedsstaaten der EU klar ab. Eine ähnliche Position wird zum Teil von den baltischen Staaten, Österreich und den Niederlanden vertreten.
Für die Mittelmeeranrainer ist insbesondere dieser Aspekt der Verteilung auf alle EU-Staaten ein Hauptanliegen. Sie fordern seit Jahren ein Ende des Dublin-Mechanismus. Dieser sieht vor, dass das Land, in denen sich Asylsuchende erstmals registrieren, für ihr Asylverfahren verantwortlich ist – und in Europa kommen eben die meisten flüchtenden Menschen auf dem Seeweg an. Mit der Verlagerung der Asylverfahren an die Aussengrenzen würde die Verantwortung weiterhin und sogar verstärkt bei diesen Ländern liegen. Spanien, Italien, Griechenland und Malta haben sich daher vergangene Woche mit einem Schreiben an die EU gewandt und mehr „Solidarität“ anderer EU-Länder bei der Aufnahme und Verteilung von Migrant*innen gefordert. Sie kritisieren, der Migrationspakt wende zweierlei Mass an: Der Pakt klinge „detailliert und streng“, wenn es um die Verantwortung für Länder gehe, in denen Migrant*innen ankämen, während er in Bezug auf den sogenannten „Solidaritätsmechanismus“ hinter dem Pakt „komplex und vage“ bleibe. Es ist also denkbar, dass der Vorschlag, übrigens schon der dritte seiner Art, scheitert.
Die dritte Gruppe im Diskurs bilden Länder wie Deutschland, Schweden oder Irland, die eine eher vermittelnde Position einnehmen. Ursula von der Leyen, die im Moment EU-Ratspräsidentin ist, reagierte so auch schlichtend auf die ablehnende Haltung der Mittelmeerstaaten. Es sei klar, dass man keine Einigkeit, sondern lediglich einen Kompromiss in der Migrationsfrage finden könne.
Überlassen wir die Kritik am neuen Migrationspakt nicht nur den europäischen Staaten. Stellen wir uns aus rassismuskritischer Perspektive gegen diesen menschenfeindlichen Kompromiss, der für flüchtende Menschen keine Lösung bietet. Am Aktionstag zum #Disasterpact Mitte November fasste Europe Must Act die Forderungen vieler aktivistischer Gruppierungen zusammen und adressierte sie an die europäischen Regierungschef*innen. (Hier gehts zu den Forderungen: https://de.europemustact.org/post/our-wave-of-solidarity-will-grow)

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Protestcamp vor dem deutschen Bundestag von Europe Must Act

Wo gabs Widerstand?

Gespannte Stimmung in Frankreich rund ums Thema Polizeigewalt
In Frankreich ist die Stimmung zur Zeit besonders angespannt. Die Debatte rund um die anhaltende Polizeigewalt und das neue „globale Sicherheit“-Gesetz, das ebendiese unsichtbar machen will, hat eine neue Protestwelle ausgelöst.
Nachdem die Polizei vor zehn Tagen ein Camp mit 2’800 Bewohner*innen in Paris räumte, haben Hilfsorganisationen und NGOs im Stadtzentrum eine Protestaktion organisiert: auf der gut sichtbaren Place de la République installierten sie mit betroffenen Geflüchteten ein grosses Zeltlager, um auf die hunderten, wenn nicht tausenden Obdachslosen in Paris aufmerksam zu machen. Die Aktion, bei der etwa 500 Wurfzelte aufgebaut wurden, dauerte nicht viel länger als eine Stunde. Die Polizei intervenierte und räumte das „Demonstrationscamp“ mit Tränengas, Schlagstöcken und Granaten, mehrere Geflüchtete und Journalist*innen wurden dabei verletzt. Sonderbar ist aber, dass der Innenminister Gérald Darmanin nach dieser Aktion tweetete, dass selbst er von den Bildern der Polizeigewalt schockiert sei.
Die Poilzeigewalt gegen Geflüchtete ist auch in Calais noch immer Alltag. Das Calais Bordermonitoring berichtet von einem Polizeiübergriff auf dem Camp am BMX-Gelände in Calais am 11. November. An diesem Tag schoss ein CRS-Beamter einem Eritreer mit einem Gummigeschoss ins Gesicht und verletzte ihn schwer, sodass er noch eine Woche später im Krankenhaus mit Schädeldeformationen und völlig entstelltem Gesicht nicht ansprechbar ist und sein Zustand als kritisch eingeschätzt wird. Nach diesem Vorfall hat sich die eritreeische Community mit einem offenen Brief an die französische Öffentlichkeit gewandt, mensch kann ihn
hier lesen.
Eine weitere hässliche Geschichte von Polizeigewalt hat das Onlinevideomagazin Loopsider herausgebracht. In einem neunminütigen Video, das von der Überwachungskamera eines Betroffenen gefilmt wurde, sieht mensch, wie im schicken pariser 17. Stadtbezirk Michel Zecler, ein schwarzer Musikproduzent, von mehreren Polizisten in seinem Musikstudio verprügelt wird. Das Video wurde über 12 Millionen mal geschaut.

Das Verbreiten solcher Videos soll nun aber in Frankreich verboten sein. Das Parlament hat am letzten Dienstag dem Gesetz für die „globale Sicherheit“ mit 388 zu 104 Stimmen zugesagt. Dieses hochkontroverse Gesetz, das die französische Webaktivist*innenorganisation „La quadrature du Net“ als technopolizeiliche Dystopie definiert, wird am meisten für seinen „Artikel 24“ kritisert: Diesem Artikel zufolge darf mensch keine Bilder einzelner Polizist*innen im Einsatzt mehr verbreiten. Gegen diesen Aspekt des Gesetzes haben sich speziell die Journalist*innen mobilisiert, die in ihrer Pressefreiheit eingeschränkt werden und selber zu sechzigst bei einer Demonstration am letzten Dienstag eingekesselt und einige unter ihnen auch brutal festgenommen wurden (ein Interview mit einer betroffenen Fotojournalistin befindet sich hier. Anders als bei anderen Protestbewegungen stehen in diesem Fall die Medien nicht wie üblicherweise auf der Seite der Regierung. So titelte ein parisisches Boulevardblatt letzte Woche: „Frankreich, ist deine Freiheit in Gefahr? Vergisst die alte Nation der Menschenrechte ihre Werte?“
Das Gesetz beinhaltet zudem viele weitere problematische Aspekte, die die Überwachungsmöglichkeiten der Polizei, namentlich durch das Benutzen von Drohnen, erheblich erhöhen. Gegen dieses Gesetz haben in ganz Frankreich mehrere Hunderttausend Menschen demonstriert. In mehreren Städten wie Paris und Rennes gaben sich die Demonstrationen besonders offensiv und es gab starke Auseinandersetzungen zwischen Polizist*innen und Demonstrant*innen.

https://images.derstandard.at/img/2020/11/26/9D1DA0D3-F14D-4BFA-AF1E-09E60914E313.jpg?w=1600&s=24be3d8c

https://taz.de/Raeumung-eines-Fluechtlingscamps-in-Paris/!5731311/
https://www.heise.de/tp/features/Obdachlose-Migranten-demonstrieren-die-Polizei-raeumt-auf-4970141.html
https://calais.bordermonitoring.eu/2020/11/22/polizeiuebergriff-mit-schwerverletztem-und-offener-brief-der-eritreer_innen-in-calais/
https://www.derstandard.at/story/2000122024034/proteste-in-frankreich-und-spanien-gegen-polizei?ref=rss
https://www.jungewelt.de/artikel/391085.polizeigewalt-die-regierung-will-straffreiheit-f%C3%BCr-ordnungsh%C3%BCter.html

2 Jahre Basel Nazifrei Demo
Hinter dem Banner „Für einen revolutionären Antifaschismus – Basel Nazifrei“ zogen am 28. November 2020 ca. 3‘500-4’000 Menschen durch die Strassen Basels. Zur Demonstration aufgerufen hatte das Bündnis Basel Nazifrei. Einerseits, um in Zeiten erstarkender rechter Bewegungen ein kämpferisches antifaschistisches Zeichen zu setzen. Andererseits, um der massiven staatlichen Repression gegen Antifaschist*innen eine kollektive Antwort auf der Strasse entgegenzusetzen. Hier gehts zum Communiqué: https://barrikade.info/article/4053

https://publish.barrikade.info/IMG/arton4053.png?1606677537

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Militant und rechtsextrem: Der III. Weg und die Neonazi-Szene
Kaum eine rechtsextremistische Gruppe agitiert so offen gegen die Demokratie wie die Partei „Der III. Weg“. Viele ihrer Mitglieder stammen aus dem gewaltbereiten Spektrum, warnen die Verfassungsschutzbehörden. Diese Reportage zeigt, wie die Rechtsextremisten agieren und wie sie neue Anhänger zunehmend auch in Westdeutschland rekrutieren.
https://www.arte.tv/de/videos/098419-001-A/re-militant-und-rechtsextrem/

Islamismus und Rechtsnationalismus: Die Zwillingsbrüder
Auch wenn sie sich gerne gegeneinander in Stellung bringen: Der Islamismus und der Rechtsnationalismus haben eine lange gemeinsame Geschichte. Beide bekämpfen elementare Werte des demokratischen Rechtsstaats.
https://www.woz.ch/2048/islamismus-und-rechtsnationalismus/die-zwillingsbrueder

Frauen* im Asylverfahren
Viele Frauen* flüchten aus ihrem Herkunftsland, weil sie wegen ihres Geschlechts besonderer Gewalt ausgesetzt sind. In der Schweiz sind frauen*spezifische Fluchtgründe im Asylgesetz verankert und können für den Asylentscheid relevant sein. In der Praxis erhalten betroffene Frauen allerdings kaum einen dauerhaften Schutz.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/themen/asyl-in-der-schweiz/personen-mit-besonderen-rechten/frauen-im-asylverfahren

„Menschenhändler sind richtige psychologische Spürhunde“
Die repressiven Migrationsgesetze in Europa seien mitschuld am Menschenhandel, sagt Doro Winkler von der Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration. Im Interview erzählt sie ausserdem, wie Frauen in die Hände von Menschenhändler gelangen und welche Lücken es im Schweizer Opferschutz gibt.
https://daslamm.ch/menschenhaendler-sind-richtige-psychologische-spuerhunde/

Mehrfachdiskriminierung von Flüchtlingen: „Frauen in Lagern extrem gefährdet“
Isolation, Sexismus, Vergewaltigungen: Elizabeth Ngari von „Women in Exile“ erklärt, warum sie am Mittwoch in Eisenhüttenstadt protestieren.
Bild: Women in Exile fordert Aufklärung im Fall toten Rita Awour Ojungé und die Schließung aller Lager
https://taz.de/Mehrfachdiskriminierung-von-Fluechtlingen/!5727323/

Wie die Einwanderungsbehörde aus Menschen Hausfrauen machtEine Russin heiratet einen Deutschen, bekommt Kinder mit ihm. Dann will sie zu ihm nach Deutschland ziehen und dort arbeiten: suspekt! Tatiana durchläuft eine kafkaeske Tour durch die Einwanderungsbehörden. Mit welchen Vorurteilen sie kämpfen muss, zeigt dieser Podcast.https://audiothek.ardmediathek.de/items/83642800

Vernachlässigtes Kindeswohl – neuer Fachbericht
Der neue Fachbericht der SBAA widmet sich dem Kindeswohl und den Kinderrechten in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren und schlägt zu den aktuellen Problemen konkrete Lösungen vor.
https://beobachtungsstelle.ch/fileadmin/Publikationen/2020/Bericht_Kindeswohl_D_BS.pdf

November Shipwrecks – Hundreds of Visible and Invisible Deaths in the Central Med
In mid November, the world cried out loud about the violent death of 6-months old Yusuf, who died on board of the rescue vessel Open Arms, after the dinghy he was crossing the Central Med on capsized. His fate is cruel but not singular. Since 1 November alone, 132 deaths were reported to Alarm Phone only in the Central Mediterranean route. All these deaths are the results of shipwrecks, many of which could have been avoided if only authorities responded adequately to the distress calls.
https://alarmphone.org/en/2020/11/26/november-shipwrecks-hundreds-of-visible-and-invisible-deaths-in-the-central-med

Glossar

Intersektionalität
Der Begriff Intersektionalität (1989 von Kimberlé Crenshaw eingeführt) veranschaulicht, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht einfach aneinanderreihen lassen, sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen Bedeutung bekommen. Kategorien wie Geschlecht, ‚Rasse‘, Alter, Klasse, Ability oder Sexualität wirken nicht allein, sondern vor allem im Zusammenspiel mit den anderen. Die intersektionale Perspektive erlaubt, vielfältige Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse miteinzubeziehen, die über eine Kategorie allein nicht erklärt werden können.
(von: https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet)

Heteronormativität
„Der Begriff benennt Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse. (…) Die Heteronormativität drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist. (…)  Was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht (…)  Heteronormativität (erzeugt) den Druck, sich selbst über eine geschlechtlich und sexuell bestimmte Identität zu verstehen, wobei die Vielfalt möglicher Identitäten hierarchisch angeordnet ist und im Zentrum der Norm die kohärenten heterosexuellen Geschlechter Mann und Frau stehen. Zugleich reguliert Heteronormativität die Wissensproduktion, strukturiert Diskurse, leitet politisches Handeln, bestimmt über die Verteilung von Ressourcen und fungiert als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung. “
(zitiert nach Peter Wagenknecht auf: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90274-6_2)
„Analysiert wird, wie Heterosexualität in die soziale Textur unserer Gesellschaft, in Geschlechterkonzeptionen und in kulturelle Vorstellungen von Körper, Familie, Individualität, Nation, in die Trennung von privat/öffentlich eingewoben ist, ohne selbst als soziale Textur bzw. als produktive Matrix von Geschlechterverhältnissen, Körper, Familie, Nation sichtbar zu sein.“
(zitiert nach Sabine Hark auf: https://gender-glossar.de/h/item/55-heteronormativitaet)

Neokolonialismus
1963 benannte der erste Ministerpräsident Ghanas, Kwame Nkrumah, Neokolonialismus, indem er »vor den sehr realen Gefahren einer Rückkehr des Kolonialismus in versteckter Form« warnte.
„Unter dem Terminus ›Neokolonialismus‹ sind zwei Ebenen zu unterscheiden: ein Zustand, der von massiver Benachteiligung einheimischer Bevölkerungen zugunsten ausländischer Investoren gekennzeichnet ist, und eine Politik, die auf die Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen abzielt. Im ersten Fall geht es um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, im zweiten darüber hinaus um die Kontrolle über die politischen Entwicklungen und die Machtpositionen im internationalen Kontext.“
(aus D. Göttsche et al. (Hrsg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur)

Eurozentrismus
Der Begriff des Eurozentrismus stützt sich auf eine Weltsicht, die weitestgehend durch europäische Werte und Traditionen geprägt ist und wurde. Er steht für eine Einstellung, die Europa unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Ausgehend von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell darstellen, wird Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxis betrachtet. Die europäische Geschichte und Gesellschaftsentwicklung wird als Norm verstanden, die erfüllt oder von der abgewichen wird. Die westlichen Kulturen dienen als Bewertungsmaßstab und haben im Laufe der Kolonialisierung ihre Wertvorstellungen global durchgesetzt und expandiert.
Im eurozentristischen Denken, bleiben die Denkweisen und Philosophien der nicht europäischen Kulturen häufig unbeachtet und werden abgewertet oder negiert.
(von https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/eurozentrismus/2242 und http://wikifarm.phil.hhu.de/transkulturalitaet/index.php/Eurozentrismus)