Medienspiegel 14. Dezember 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++ZÜRICH
Die Immunität des Mario Fehr
Darf gegen den Zürcher Sicherheitsdirektor eine Strafuntersuchung geführt werden? Die Geschäftsleitung des Kantonsrats wischt die Frage vom Tisch. Ob das zulässig war, wird nun das Bundesgericht entscheiden.
https://www.republik.ch/2020/12/14/die-immunitaet-des-mario-fehr
-> Faktencheck: https://www.wo-unrecht-zu-recht-wird.ch/de/Hintergrund/Faktencheck?fbclid=IwAR3JJfO-HXGOS9IX5wzYZONRiTdYMxDpoergMSRhmc0DPbMchP2kL9ezax0
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/anzeige-gegen-zuercher-sicherheitsdirektor-mario-fehr-wird-fall-fuer-bundesgericht-140227995
-> https://www.zsz.ch/anzeige-gegen-sicherheitsdirektor-mario-fehr-fall-fuer-bundesgericht-923204107441
-> https://www.landbote.ch/anzeige-gegen-sicherheitsdirektor-mario-fehr-fall-fuer-bundesgericht-923204107441
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/strafanzeige-gegen-mario-fehr-landet-vor-bundesgericht-00146806/
-> https://www.nau.ch/ort/zurich/anzeige-gegen-sicherheitsdirektor-mario-fehr-fall-fur-bundesgericht-65835988


Faktencheck
Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, das ihr unterstellte Sozial- sowie das Migrationsamt wiederholen in ihren Stellungnahmen gebetsmühlenartig, dass es sich bei den Menschen in den Nothilfeunterkünften um abgewiesene Asylsuchende handle, die sich illegal in der Schweiz aufhalten würden. Die Medienmitteilungen sind zudem regelmässig darum bemüht, ein Bild von straffälligen, besonders renitenten Asylsuchenden zu verbreiten. Auf diese Weise werden die Betroffenen in der öffentlichen Wahrnehmung selbst als Träger von Grundrechten delegitimiert, während das rechtsstaatliche Handeln der Behörden herausgestrichen wird. Mit einem Faktencheck inklusive Verlinkungen zu den entsprechenden Quellen möchten wir Ihnen hier die Möglichkeit geben, diese Darstellungen zu überprüfen.
https://www.wo-unrecht-zu-recht-wird.ch/de/Hintergrund/Faktencheck?fbclid=IwAR3JJfO-HXGOS9IX5wzYZONRiTdYMxDpoergMSRhmc0DPbMchP2kL9ezax0



tagesanzeiger.ch 14.12.2020

Missstände in Notunterkünften: Asylorganisationen wollen Mario Fehrs Immunität aufheben

Das  Bundesgericht wird entscheiden, ob der Kantonsrat eine  Strafuntersuchung gegen den Zürcher Sicherheitsdirektor nochmals zum Thema machen muss.

Sechs  Betroffene aus Zürcher Notunterkünften haben am 9. Dezember beim  Bundesgericht Beschwerde gegen einen Entscheid der Geschäftsleitung des  Zürcher Kantonsrats eingereicht. Dies teilt der Berufsverband «Demokratische Juristinnen und Juristen Schweiz» (DJS), der sich für den Erhalt des Rechtsstaates und der Grundrechte einsetzt, am Montag mit. Der Verband unterstützt die Anzeigeerstattenden zusammen mit Solidarité sans frontières.

Dem Schritt nach Lausanne ging eine Strafanzeige von Ende Mai bei  der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft voraus. Die Anzeige richtet sich  gegen Sicherheitsdirektor Mario Fehr, Andrea Lübberstedt, Chefin des  kantonalen Sozialamts, Asylkoordinatorin Esther Gasser Pfulg sowie den  CEO und zwei Mitglieder der Geschäftsleitung der Firma ORS. Die ORS  betreibt die fünf Rückkehrzentren, in denen abgewiesene Asylsuchende  wohnen.

Entscheid ohne Abklärungen zu treffen

Kritisiert  werden die Zustände in den Notunterkünften zu Beginn der Corona-Krise.  In den sogenannten Rückkehrzentren sind Menschen untergebracht, deren  Asylgesuche abgewiesen worden sind. Die Verantwortlichen hätten ihre  Schutz- und Handlungspflicht gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern  und die Empfehlungen des Bundes zur Eindämmung der Pandemie in den Unterkünften verletzt, lautet der Vorwurf.

Weil  Fehr als Regierungsrat Immunität geniesst, hatte der Kantonsrat über  ein allfälliges Strafverfahren gegen ihn zu befinden. Die  Geschäftsleitung des Parlaments entschied im November, auf die Anzeige  gegen Fehr sei gar nicht einzutreten. Der Entscheid fiel aufgrund eines  entsprechenden Antrags der Staatsanwaltschaft.

Darin  entlastete die Staatsanwaltschaft II für besondere Untersuchungen Fehr  und die Mitbeschuldigten. Die Verantwortlichen von Sicherheitsdirektion  und Betreiberfirma hätten «die diesbezüglichen Schutzmassnahmen während  des inkriminierten Zeitraums stetig umgesetzt und angepasst», hiess es.

Weil die Geschäftsleitung des Zürcher Kantonsrats nicht auf das Gesuch eingetreten sei, entscheide sie über das weitere Schicksal der Strafklage, ohne eigene Abklärungen vorgenommen zu haben, schreibt der DJS. Er moniert zudem, die Geschäftsleitung habe nicht wie vom Gesetz  vorgesehen die Justizkommission oder den gesamten Kantonsrat entscheiden  lassen.

Kritik an der Oberstaatsanwaltschaft

Auch  an der Oberstaatsanwaltschaft übt der Verband Kritik: Sie habe  keinerlei Untersuchungen vorgenommen, sondern folge der Annahme des  zuständigen Staatsanwalts, wonach die Strafklage haltlos sei. Damit  werde «eindeutig politisch motiviert eine Strafuntersuchung verhindert».

Die  Anzeigeerstatter verlangen, dass der Kantonsrat einen gesetzeskonformen  Entscheid über die Immunität von Regierungsrat Fehr fällt und dass  gegen ihn eine Strafuntersuchung eröffnet wird. Auch die  Strafuntersuchung gegen die verantwortlichen Amtspersonen und die Firma  ORS Service AG solle umgehend erfolgen.
tif/SDA
(https://www.tagesanzeiger.ch/mario-fehrs-immunitaet-soll-aufgehoben-werden-225505560592)


+++SCHWEIZ
Junge, abgewiesene Asylsuchende dürfen in der Schweiz ihre Ausbildung nicht beenden: Von der Lehre in die Leere
Das Schweizer Asylsystem hat seine Tücken. So müssen manche Menschen, obwohl sie gut integriert sind und einen Job haben, die Schweiz verlassen. Der Nationalrat entscheidet nun, ob zumindest Lehrlingen geholfen werden soll. BLICK hat sechs von ihnen getroffen.
https://www.blick.ch/schweiz/junge-abgewiesene-asylsuchende-duerfen-in-der-schweiz-ihre-ausbildung-nicht-beenden-von-der-lehre-in-die-leere-id16244904.html


+++BALKANROUTE
Flüchtlinge in Bosnien: In Plastikzelten durch den Winter
Im Flüchtlingslager Lipa in Bosnien überwintern Hunderte Flüchtlinge, teilweise nur in Plastikzelten. Die Internationale Organisation für Migration hat der Regierung in Sarajevo nun ein Ultimatum gestellt.
https://www.tagesschau.de/ausland/bosnien-lipa-reportage-101.html


+++GRIECHENLAND
Scharfer Protest gegen Informationssperre auf Lesbos: „Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich“ kritisiert Zugangsverbot für Wiener JournalistInnengruppe
Auf der griechischen Insel Lesbos vegetieren Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen. Eine generelle Informationssperre hinderte nun auch eine österreichische Recherchegruppe, die Lager zu besuchen.  „Menschenverachtender Zynismus kennt innerhalb der Europäischen Union keinerlei Grenzen mehr“, so Rubina Möhring, Präsidentin von „Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich“.
https://www.rog.at/pm/scharfer-protest-gegen-informationssperre-auf-lesbos-reporter-ohne-grenzen-rsf-oesterreich-kritisiert-zugangsverbot-fuer-wiener-journalistengruppe/


+++EUROPA
Europäische Union: EU-Staaten uneins über Asylreform
Bundesinnenminister Horst Seehofer wollte während des deutschen EU-Vorsitzes den Asylstreit lösen. Doch die Verteilung Geflüchteter ist weiter ungelöst.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-12/eu-staaten-asylreform-horst-seehofer-innenminister-asylpoltik
-> https://www.tagesschau.de/ausland/keine-einigung-bei-asylreform-101.html


+++FREIRÄUME
Gemeinderatsantwort auf Motion Fraktion SVP „Ende Zwischennutzung Schützenmatte: Die aufgehobenen gebührenpflichtigen Parkplätze sind umgehend provisorisch wieder in Betrieb zu nehmen: Die leidende Stadtkasse ist auf diese Einnahmen von 600’000 Franken pro Jahr dringend angewiesen!“
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-14-dezember-2020/motion-fraktion-svp-ende-zischennutzung.pdf/download


Gemeinderatsantwort auf Postulat Fraktion SVP „Schützenmatte Zwischennutzung neu denken“
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-14-dezember-2020/postulat-fraktion-svp-schutzenmatte.pdf/download


+++GASSE
Drogen im öffentlichen Raum: Verdrängung, Schikane, kontrolliertes Gewährenlassen
Dem öffentlichen Raum wird in demokratischen Gesellschaften eine besondere Qualität zugeschrieben: Denn er steht formal allen offen, unabhängig von Stand und Vermögen, und er soll der Ort sein, an dem sich das soziale Leben auch physisch manifestiert. Da gerade Marginalisierte ihr Leben in den öffentlichen Raum verlagern (müssen), entscheidet die Regulierung dieser Sphäre (mit) über ihre gesellschaftliche Teilhabe. Am Umgang mit den offenen Drogenszenen in Deutschland zeigt sich, dass für manche der öffentliche Raum in einen Repressionsraum verwandelt wird.
https://www.cilip.de/2020/12/11/drogen-im-oeffentlichen-raum-verdraengung-schikane-kontrolliertes-gewaehrenlassen/


+++JUSTIZ
Konzept der Bundesanwaltschaft – Ständerat will prüfen: Welche Behörde klärt welche Verbrechen?
Der Bundesrat soll die Kompetenzverteilung durchsehen: Bei welchen Delikten ermittelt die Bundesanwaltschaft?
https://www.srf.ch/news/schweiz/konzept-der-bundesanwaltschaft-staenderat-will-pruefen-welche-behoerde-klaert-welche-verbrechen


+++ANTITERRORSTAAT
Nachrichtendienst zählte im November 49 „Risikopersonen“
Im November 2020 verzeichnete der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) 49 Risikopersonen. Als „Risikoperson“ gelten Personen, die ein erhöhtes Risiko für die innere und äussere Sicherheit der Schweiz darstellen. Dies schrieb der Bundesrat am Montag auf eine Anfrage aus dem Parlament.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20201214193142906194158159038_bsd166.aspx


+++KNAST
Gericht weist Klage eines Häftlings wegen Misshandlungen ab: Freispruch für drei Gefängniswärter
Die Einzelrichterin am Bezirksgericht Bremgarten hat die angeblichen Misshandlungen in einem Aargauer Bezirksgefängnis anders eingestuft als der betroffene Häftling. Sie sprach die Beschuldigten frei.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/gericht-weist-klage-eines-haeftlings-wegen-misshandlungen-ab-freispruch-fuer-drei-gefaengniswaerter-140220946


+++BIG BROTHER
Was spricht gegen die elektronische ID? – Rendez-vous
Wer sich vor einer Firma oder einem Amt ausweisen muss, tut das in der Regel am Schalter mit der Identitätskarte. In Zukunft soll dies mit einer elektronischen Identität, einer sogenannten E-ID möglich sein. Über die gesetzliche Grundlage der E-ID stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung im März ab.
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/was-spricht-gegen-die-elektronische-id?id=5a0fd3f7-3420-42ed-9d3c-9ff625b85a73


Bahnhof Berlin Südkreuz
Seehofer will wieder mit Videoüberwachung experimentieren
Die Deutsche Bahn investiert im großen Stil in den Ausbau der Überwachung von Bahnhöfen. Bundesweit sollen tausende neue Kameras installiert werden. Das Berliner Südkreuz soll als „Sicherheitsbahnhof“ erneut zum Labor für neue Technologien werden.
https://netzpolitik.org/2020/bahnhof-berlin-suedkreuz-seehofer-will-wieder-mit-videoueberwachung-experimentieren/


Crypto-Wars: EU-Staaten wollen Zugang zu verschlüsselten Nachrichten
Eine Resolution der Innenminister fordert „rechtmäßigen Zugang zu Daten“ in verschlüsselter Kommunikation. Das weckt Befürchtungen, dass Anbieter wie WhatsApp zum Einbau von Hintertüren verpflichtet werden könnten.
https://netzpolitik.org/2020/crypto-wars-eu-staaten-wollen-zugang-zu-verschluesselten-nachrichten/


+++POLICE BE
Gemeinderatsantwort auf Interfraktionelle Motion GLP/JGLP, GFL/EVP, SP/JUSO, AL/GaP/PdA „Externe Evaluation der Wirksamkeit der Massnahmen der Polizei zur Bekämpfung von Rassismus in den eigenen Reihen“
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-14-dezember-2020/interfraktionelle-motion-glpjglp-externe.pdf/download


Gemeinderatsantwort auf Motion Rai/Abdirahim „Unabhängige Untersuchung der Kantons Polizei zu Racial Profiling und Stellungnahme zu den Äusserungen von Regierungsrat Müller“
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-14-dezember-2020/motion-rai-unabhangige-untersuchung-der-kantons.pdf/download


+++POLICE FR
Sicherheitsgesetz: Französische Demonstranten kritisieren „willkürliche“ Festnahmen
Die Verbreitung von Foto- und Filmaufnahmen von Polizeieinsätzen soll in bestimmten Fällen verboten werden. Bürger protestieren seit Wochen dagegen
https://www.derstandard.at/story/2000122469151/sicherheitsgesetz-franzoesische-demonstranten-kritisieren-willkuerliche-festnahmen?ref=rss


+++RASSISMUS
tagesanzeiger.ch 14.12.2020

Beschuldigte Minderheiten: Auf der Suche nach dem Corona-Sündenbock

Der Zürcher Imam Muris Begović ist beunruhigt über Anfeindungen gegen Menschen aus dem Balkan. Auch Antisemitismus nimmt zu.

Martin Sturzenegger

Vergangene Woche verfasste Muris Begović einen Alarm schlagenden Aufruf. «Aus Sorge um den Zusammenhalt der Gesellschaft», wie er sagt. Der Titel der 5000 Zeichen langen Schrift: «Wenn Menschen zu Zahlen werden und Migranten wieder schuld sind».

Darin appelliert der Zürcher Imam an die Verantwortung einiger Politiker, die die aktuelle Corona-Krise nutzen würden, um Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten zu machen. «Wie so oft schauen wir über die Grenze und führen eine Diskussion, die von dort aufgesetzt wird», schreibt Begović.

«Sie besetzen unsere Spitalbetten»

Der 39-Jährige verweist auf den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, der Menschen aus dem Balkan und der Türkei für den Anstieg der Corona-Infektionen in seinem Land verantwortlich mache. Es  sind Menschen, die Begović in seiner Funktion als Imam und als  Vertreter der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich  vertritt. «Wieso braucht es für jede Krise einen Sündenbock?», fragt Begović.

Das Narrativ von Kurz hält auch in der Schweiz Einzug: Migrantinnen und Migranten, die angeblich für die Verbreitung des Virus verantwortlich sind. Die Gefahr, die von  aussen kommt. Anfang Dezember reichte SVP-Nationalrat Thomas Aeschi eine schriftliche Anfrage ein: «Corona-Heimkehrer aus dem Balkan und Wirtschaftsmigranten aus Afrika und arabischen Ländern besetzen unsere Spitalbetten.»

Aeschi spricht von «70 Prozent Migranten in Corona-Betten». Ein Wert, den er einem Artikel der «Basler Zeitung» entnommen hatte, der wiederum auf Schätzungen einer einzigen anonymisierten Pflegerin beruht. Für den SVP-Politiker Dominik Straumann Grund genug für weitere Spekulation: «Die ersten Zahlen bis vor den Herbstferien liessen auf eine Kumulation unter Balkanrückkehrern schliessen.» Um welche Zahlen es sich genau handelte, gab er nicht preis.

Aeschi  wollte es genauer wissen. Er verlangte vom Bundesrat eine  Aufschlüsselung der Corona-Fälle in Schweizer, Migranten und Menschen  mit Migrationshintergrund. Dazu die Frage: «Ist der Bundesrat bereit, diese Quersubventionierung von Ausländern durch hart arbeitende Schweizer zu unterbinden?» Statt der gewünschten Aufklärung erhielt Aeschi vom Bundesrat einen  Korb. Der Bund verfüge über keine Angaben über die Nationalität der am  Virus erkrankten Personen. Er sei der Ansicht, dass der Zugang zum  Gesundheitswesen für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz  gleichermassen gewährleistet sein muss.

Die Zürcher SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer bedauert «die Intransparenz des Bundesrats». «Wo Rauch ist, ist auch Feuer.» Wenn gar Pflegende, die in der Regel «sozial eingestellt» seien, sich Sorgen machten, sei dies ein ernst zu nehmendes Zeichen. «Entsprechende Fakten könnten hilfreich sein, um das Corona-Problem besser zu erkennen.» So sei etwa auch unklar, wie viele Sans-Papiers sich in den Spitälern befänden.

«Krise gemeinsam bewältigen»

Er  verstehe, dass Menschen aus der Politik eine bestimmte Wählerschaft  ansprechen müssten, sagt Begović. Aber die Polarisierung, die Politiker  betrieben, sei in der jetzigen Krise brandgefährlich. «Die Zahlen gehen nicht runter, wenn wir mit dem Finger auf jemanden zeigen.» Ob Muslim, Jüdin, Christ oder Atheistin – das Virus mache vor niemandem halt. «Wir können diese schwierige Lage nur gemeinsam bewältigen.»

«Die Behauptung, dass Migranten unsere Betten besetzen, ist haltlos»,  sagt Dina Wyler von der Zürcher Stiftung gegen Rassismus und  Antisemitismus. Zumal der aktuelle Diskurs auf Annahmen und nicht auf  Fakten basiere. So werde oftmals nicht einmal zwischen Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund unterschieden.

Laut Bundesamt für Statistik wiesen 2019 fast 38 Prozent der ständigen Bevölkerung einen Migrationshintergrund auf. Menschen mit Namen wie Krasniqi oder Basic, die nicht selten in der Schweiz geboren sind. «Sie arbeiten, zahlen Steuern und haben nie in ihrem Leben eigene Migrationserfahrung gemacht», sagt Wyler. Der Begriff Migranten suggeriere, dass diese Personen erst vor kurzem in der Schweiz seien.

Weder der Bundesrat noch die Zürcher Kantons- oder Stadtregierung zeigen derzeit ein Interesse, die Herkunft der Corona-Patienten zu erfassen. Auch das Universitätsspital Zürich (USZ) führt keine Statistik. Das USZ liefert  jedoch genaue Zahlen über die Herkunft seiner Mitarbeitenden. So  beträgt der Ausländeranteil unter den Pflegenden fast 40 Prozent, Inländer mit Migrationshintergrund nicht eingeschlossen.

Für Wyler ist diese Statistik relevanter als die Herkunft der Corona-Patienten. «Selbst  wenn überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund das  Virus bekommen, so gibt es dafür Erklärungen, die es zu erwägen gilt.» Viele würden in sogenannt systemrelevanten Jobs, wie der Pflege, arbeiten. Die Option Homeoffice  gebe es für diese Menschen nicht, entsprechend erhöht sei ihr  Infektionsrisiko. Personen mit Migrationshintergrund seien grundsätzlich  einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt, weil sie eher in prekären  Verhältnissen leben würden, sagt Wyler.

In seinem Aufruf blickt Begović wehmütig auf die erste Corona-Welle im Frühling zurück: «Die Stimmung in der Gesellschaft war deutlich anders als heute.» Er habe damals einen Zusammenhalt verspürt, egal welcher Herkunft jemand sei. «Weltanschauung, Religionszugehörigkeit, Zugehörigkeit einer politischen Partei oder andere Überzeugungen waren zweitrangig.» Heute, sieben Monate später, sehe die Situation leider ganz anders aus.

Die deutsche Sozialhistorikerin Ute Frevert sieht das auch so. Hätten sich am Anfang der Krise alle «im gleichen Boot» gewähnt und zur Generationensolidarität aufgerufen, habe sich das Blatt inzwischen gewendet, sagte Frevert in einem «Magazin»-Interview vom Oktober. «Der Wunsch, andere zu beschuldigen, hat massiv zugenommen.» Migranten, Geflüchtete, Ausländer – das seien jetzt wieder die klassischen Gruppen, von denen man sich abgrenze und die man kollektiv auszugrenzen versuche. «Dem Stigma des Fremden wird das Stigma des Gefährders angefügt.»

Begović  erinnert an ein Treffen vom 5. April im Hauptbahnhof Zürich. In einer  fast leeren Halle beteten damals Repräsentanten des Islam, Buddhismus,  Christen- und Judentums. «Wir beteten damals zu Gott für die Stärkung unserer Ärzte und des Pflegefachpersonals.» Auch die Mütter und Väter, die täglich in den Lebensmittelläden oder auf dem Bau aktiv seien, seien nicht vergessen gegangen. «In diesen Tagen fragte niemand danach, ob dieses Personal einen Migrationshintergrund hat oder welcher Religion es angehört.» Die Schweiz habe diesen Menschen einfach applaudiert.



Auch Antisemitismus im Aufwind

Nebst  Muslimen aus dem Balkan fühlen sich auch andere Minderheiten an den  Pranger gestellt. Die Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS)  warnt, dass es in der Corona-Krisenzeit zu einem Aufschwung an  Verschwörungstheorien kommt. Im Fokus: die jüdische Minderheit. «Viele der Theorien verfolgen ein antisemitisches Narrativ»,  schreibt die GMS in einer Medienmitteilung am vergangenen Freitag. Eine  heimliche, oftmals jüdische Elite, die das Weltgeschehen hinter den  Kulissen steuere und die Krise nutze, um Profit zu schöpfen: Laut einer aktuellen Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sind bis zu 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung empfänglich für solche Erzählungen.

Als Teil dieser simplifizierten  Weltansicht würde oft eine kleine überschaubare Gruppe als Auslöser  oder Profiteur der Krise identifiziert, schreibt die GMS. «Erst  wenn die Krise erklärt und ein Sündenbock gefunden wurde, kann sich die  breite Masse gegen diese zur Wehr setzen – so die Vorstellung.» Bereits im Mittelalter, als die Pest in ganz Europa gewütet habe, sei  beispielsweise die jüdische Bevölkerung beschuldigt worden, die Brunnen  vergiftet zu haben. Eine Theorie, die danach zu Pogromen führte – auch in der Schweiz.

Die  Corona-Pandemie stelle die Welt vor nie da gewesene Herausforderungen,  schreibt die GMS. «Die anhaltende Verunsicherung und die ökonomischen  Folgen haben direkte Auswirkungen auf unser Zusammenleben – auch bei der  jüdischen Bevölkerung der Schweiz.» (mrs)
(https://www.tagesanzeiger.ch/auf-der-suche-nach-dem-corona-suendenbock-492420908988)
-> Aufruf: https://drive.google.com/file/d/1zt3UQQCxEKIWJ6IxBq0bgj_dz6zV0I9N/view


+++RECHTSEXTREMISMUS
Rechtsextreme Zeitschrift „Info-Direkt“: Verschwörungsfantasien und Kampfparolen
Das permanente Heraufbeschwören von Bedrohungsszenarien birgt ein gefährliches Potenzial in sich
https://www.derstandard.at/story/2000122312284/rechtsextreme-zeitschrift-info-direkt-verschwoerungsfantasien-und-kampfparolen?ref=rss


Die Hintergründe des Verbots der Grauen Wölfe in Frankreich und ihre Rolle in der Türkei
Nachts sind alle Wölfe grau
Die türkische Regierung leugnet die Existenz der rechtsextremen Grauen Wölfe. Doch deren Verbot in Frankreich fasst sie als diplomatische Provokation auf.
https://jungle.world/artikel/2020/50/nachts-sind-alle-woelfe-grau


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Container-Clique inszeniert sich als Widerstandsnest gegen Corona-Regeln
Nach einer illegalen Party in einem Container in Unteriberg SZ und einem Polizeieinsatz feiern sich einige der Teilnehmer jetzt ab. Man sei eben wie Asterix und Obelix, die gegen den Rest der Welt Widerstand leisten.
https://www.20min.ch/story/container-clique-inszeniert-sich-als-widerstandsnest-gegen-corona-regeln-385059895456
-> https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/nur-ein-kleines-dorf-leistet-widerstand-unteriberger-feiern-sich-nach-container-party-als-gallier-der-schweiz-id16245613.html


+++HISTORY
Anarcho-Syndikalisten gegen den Faschismus – Jahrbuch 2020 von Syfo – Forschung & Bewegung erschienen
Einen Schwerpunkt des frisch erschienenen Jahrbuchs des Instituts für Syndikalismusforschung bildet die Dokumentation der Analyse und Handlungsempfehlungen der in der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) organisierten anarcho-syndikalistischen ArbeiterInnen gegenüber dem aufsteigenden Faschismus in Deutschland.
https://syndikalismusforschung.wordpress.com/2020/12/08/anarcho-syndikalisten-gegen-den-faschismus-jahrbuch-2020-von-syfo-forschung-bewegung-erschienen/


Gemeinderatsantwort auf Motion Rai/Gammenthaler/Abdirahim/Schneider/Egloff „Ballenberg der Denkmäler auf der Grossen Allmend“
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-14-dezember-2020/motion-rai-ballenberg-der-denkmaler-auf-der.pdf/download


Adoptionen aus Sri Lanka: Bundesrat bedauert die Versäumnisse der Behörden
Der Bundesrat anerkennt und bedauert, dass die schweizerischen Behörden Adoptionen aus Sri Lanka bis in die 1990er-Jahre trotz gewichtiger Hinweise auf teilweise schwere Unregelmässigkeiten nicht verhindert haben. Dies hat er an seiner Sitzung vom 11. Dezember 2020 festgehalten. Deshalb sollen damals in die Schweiz adoptierte Personen bei ihrer Herkunftssuche stärker unterstützt werden. Der Bundesrat wird auch die heutige Adoptionspraxis kritisch überprüfen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81577.html
-> Medienkonferenz Bundesrat: https://www.youtube.com/watch?v=s32PZzrjcag
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/adoptionen-aus-sri-lanka-betroffene-erhalten-unterstuetzung?id=c8accb36-ca8a-4ecf-87c3-4d289611de2e
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/adoptionen-aus-sri-lanka-bundesrat-bedauert-behoerdenfehler-bei-sri-lankischen-babys
-> https://www.luzernerzeitung.ch/leben/herkunftssuche-illegale-adoptionen-bundesrat-bedauert-verfehlungen-und-verspricht-unterstuetzung-ld.2075621
-> https://www.watson.ch/!796534905
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/kinder-aus-sri-lanka-bundesrat-bedauert-illegale-adoptionen-65835960
-> https://www.nau.ch/ort/st-gallen/adoptionen-aus-sri-lanka-kanton-hilft-bei-herkunftssuche-65836124
-> https://www.blick.ch/schweiz/adoptionsbetrug-in-sri-lanka-bundesrat-anerkennt-leid-der-illegal-adoptierten-id16245851.html
-> https://www.20min.ch/story/bundesrat-entschuldigt-sich-bei-adoptierten-kindern-aus-sri-lanka-877457166682
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/illegale-adoptionen-aus-sri-lanka-bundesrat-spricht-bedauern-aus?id=ce31f239-a382-481f-aec8-188b14eddaca
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/illegale-sri-lanka-adoptionen-bundesrat-drueckt-bedauern-aus-140232292



derbund.ch 14.12.2020

Kinder aus Sri Lanka: Illegal adoptiert – und dann sollten sie dankbar sein

Seit  Jahren versucht Sarah Ramani Ineichen, ihre Mutter zu finden. Nun hofft  sie wie Hunderte andere auf Hilfe vom Bundesrat. Der tolerierte lange,  dass Babys gesetzeswidrig in die Schweiz verkauft wurden.

Janine Hosp

Schon heute fragen Freunde, wie sie im Februar ihren 40. Geburtstag feiert. Aber  Sarah Ramani Ineichen mag ihn nicht feiern. Es ist nicht nur der Tag,  an dem sie geboren, sondern auch der Tag, an dem sie von ihrer Mutter  getrennt wurde. Die Nabelschnur zur Mutter wurde durchschnitten, das  Baby von Sri Lanka in die Schweiz geschafft. Heute, bald 40 Jahre  später, sucht sie noch immer nach der Frau, mit der sie neun Monate lang  so eng verbunden war wie mit keinem anderen Menschen in ihrem Leben.

Sarah Ramani Ineichen ist eine von rund Tausend Frauen und Männern aus Sri Lanka, die zwischen 1973 und 1997 als Baby von Schweizer Paaren adoptiert wurden. Viele illegal. Heute sind sie erwachsen und  wollen wissen, woher sie kommen und wer sie sind. Etliche suchen  verzweifelt nach ihren Eltern und fordern, dass ihnen Bund und Kantone dabei helfen. Jene Behörden, die damals weggeschaut haben.

Hinweise gab es aber genug. 1981 meldete etwa Claude Ochsenbein aus der Schweizer Botschaft in Colombo, die Zeitungen schrieben, Sri Lanka sei für die Schweiz zum «Versandhaus für Kinder» geworden. Bereits für ein paar Tausend Dollar sei ein Baby zu haben.

Dabei  hatte Sarah Ramani Ineichen schon gemeint, ihre Mutter gefunden zu  haben. Vor zwei Jahren stand sie in einer kleinen Hütte im Armenviertel  Colombos einer Grossfamilie gegenüber. Eltern, Grosseltern, sieben  Kinder, Grosskinder. Sie hatten wie sie dunkle Haut und dunkle Haare,  aber sie verstanden sich nicht. So fragte ein Freund von ihr auf Singhalesisch: «Ist jemand von Euch Frau Kondasary?» Und tatsächlich sagte jemand: «Das bin ich.»

Es  war die Frau, die vor bald 40 Jahren die Verzichtserklärung  unterschrieben und das Baby, das Sarah Ramani Ineichen damals war, zur  Adoption freigegeben hatte. Aber es war nicht ihre Mutter. Sie hatte  sich nur als diese ausgegeben und dafür 30 Dollar bekommen. Die  Vermittler duplizierten die Identität von deren Tochter Ramani und übertrugen sie auf das Baby. Die Verbindung zu seiner Mutter war gekappt.

Sarah Ramani Ineichens Blick ist abgeschweift, während sie von diesem Treffen erzählt, ihre Augen sind feucht geworden. Nun räuspert sie sich und sagt: «Mein ganzer Ursprung ist  erfunden.» Aus dem Baby ist eine feingliedrige Frau herangewachsen, wach, lebhaft und mit warmem Blick. Sie ist von Genf nach Bern gekommen, um die Medienkonferenz der  Organisation Back to the Roots vorzubereiten. Diese hat sie vor bald  drei Jahren mit anderen adoptierten Frauen aus Sri Lanka gegründet, um  jenen zu helfen, denen es ergangen ist wie ihr.

Als Kind war ihr nicht bewusst, dass sie eine dunklere Haut hatte als ihre Gefährten und sie nicht aus dem weissen Bauch ihrer Adoptivmutter gekommen sein konnte. Im Kindergarten aber sagte eines Tages ein Mädchen zu ihr: «Deine Mutter wollte dich nicht.»

Es  ist die Frage, die Sarah Ramani Ineichen seither beschäftigt: Weshalb  hatte ihre Mutter Nein zu ihr gesagt? Wurde sie von ihrer Familie dazu  gezwungen? Wurde ihr im Spital gesagt, ihr Kind sei gestorben? Oder  musste sie sich in einer Babyfarm schwängern lassen? Alles ist möglich.

Wenn  sie heute in den Spiegel schaut, dann fragt sie sich, wie viel sie  darin von ihrer Mutter sieht. Ist sie das? Als Teenager fand sie sich  hässlich; in der  Schule in Hergiswil (NW) hatte niemand so dunkle Haut wie sie. Sie  schminkte ihre Haut hell und versuchte wie ihre Freundinnen, die Haare  mit Henna zu färben. Aber sie blieb dunkel, anders als die anderen.

Man dachte, man tue etwas Gutes

Weshalb aber konnte eine Zürcherin Babys für bis zu 15’000 Franken «zur Adoption» abgeben, ohne dass jemand einschritt? Laut einem Bericht, den das Bundesamt für Justiz in Auftrag gegeben hat, liessen die Behörden die Zürcherin trotz Klagen gewähren. Der frühere CVP-Nationalrat Edgar Oehler, der über sie ebenfalls vier Kinder adoptierte, unterstützte sie gar.

«Man dachte aber auch, man tue etwas Gutes», sagt Sarah Ramani Ineichen. So bekamen manche Adoptierte zu hören, sie sollten dankbar sein, dass sie in der Schweiz im Wohlstand lebten und nicht in Sri Lanka leere Flaschen sammeln müssten.

Was Sarah Ramani Ineichen stört: Dass ihre Adoption als einseitiger Akt der  Wohltätigkeit dargestellt wurde. Viele von ihnen bekamen zu spüren, dass  sie geholt worden waren. Dabei haben sie ihre Identität aufgeben  müssen, damit kinderlose Paare zur Familie werden konnten.

Wie  viel Geld ihre Adoptiveltern bezahlt haben, weiss Sarah Ramani Ineichen  nicht. «Aber der Gedanke, dass ich als Baby auch wie eine Ware  gehandelt worden sein könnte, ist sehr verletzend.» Sie hat noch Kontakt  zu ihren Adoptiveltern, ihr Vater hat sie sogar begleitet, als sie in  Sri Lanka nach ihrer leiblichen Mutter suchte. Wie sie sagt, sei es aber  für alle Adoptiveltern schwer, damit umzugehen, dass ihre Kinder so verzweifelt nach ihren leiblichen Eltern suchten.

Nachdem Sarah Ramani Ineichen die kleine Hütte in Sri Lanka verlassen hatte, zog es ihr den Boden unter den Füssen weg. Irgendwo in diesem Land leben ihre Eltern, Schwestern und Brüder – und  sie wird sie vielleicht nie finden. Es überkam sie ein Schmerz, als  wäre sie gerade von ihrer Mutter getrennt worden. Dennoch fürchtete sie sich davor, dass er verschwinden könnte; der Schmerz war das Einzige, was sie mit ihrer Mutter noch verband.

Mittlerweile haben sich aus Sri Lanka auch Mütter bei Back to the Roots gemeldet, die nach ihren Kindern suchen. Sie wollen wissen, wie es ihrem Kind geht, und sie wollen es noch einmal umarmen, bevor sie sterben. Es bleibt ihnen nicht mehr viel Zeit; viele gehen gegen die 70 zu.

Eine  Chance haben sie noch: Sie können ihre DNA mit jenen von Adoptierten in  einer internationalen Datenbank abgleichen lassen. Bis jetzt haben so  zwei Mütter ihre Kinder gefunden, in Australien und in der Schweiz. Auch  Sarah Ramani Ineichen hofft, auf diesem Weg ihre Familie noch zu  finden.

Heute  hat Sarah Ramani Ineichen selber Familie und drei Kinder. Sie arbeitet  als Hebamme. Seit 20 Jahren hilft sie Kindern auf die Welt und lässt die Väter die Nabelschnur durchschneiden. Immer wieder. Diese Kinder können bei ihrer Mutter bleiben.



Heute bedauert der Bundesrat die illegalen Adoptionen

Der  Bundesrat anerkennt und bedauert, dass Bund und Kantone bis in die  90er-Jahre illegale Adoptionen aus Sri Lanka nicht verhindert haben, wie  er am Montag vor den Medien sagte. Und dies trotz eindeutiger Hinweise.  Deshalb will er die Betroffenen nun unterstützen, ihre Eltern und damit  Ihre Identität ausfindig zu machen; eine Arbeitsgruppe soll dafür das  beste Vorgehen ausarbeiten. Zudem will er die heutige Adoptionspraxis  überprüfen und untersuchen lassen, ob es dadurch auch bei Adoptionen aus  anderen Ländern zu Unregelmässigkeiten gekommen ist.

Damit  kommt der Bundesrat weitgehend den Forderungen der Organisation Back to  the Roots nach, welche die Interessen der Adoptierten aus Sri Lanka  vertritt. «Diese öffentliche Anerkennung der Verfehlungen bedeutet uns  viel», sagt Präsidentin Sarah Ramani Ineichen. «Wir Adoptierten spüren  die Wunden des Verlassenwerdens, und die richtigen Massnahmen können zur  Heilung beitragen.»

Was  der Bundesrat nun vorsieht, wird weit über das Schicksal der 1000  Männer und Frauen aus Sri Lanka hinausgehen. Die Schweiz, die 2016 die  Konvention gegen das Verschwindenlassen ratifiziert hat, ist das erste  Land, das konkrete Schritte unternimmt. Damit weist sie anderen Ländern  den Weg. (jho)
(https://www.derbund.ch/illegal-adoptiert-und-dann-sollten-sie-dankbar-sein-944940048177)



nzz.ch 14.12.2020

Der Bundesrat «anerkennt» und «bedauert» das Behördenversagen bei illegalen Adoptionen aus Sri Lanka

Schweizer  Behörden haben ab den 1970er Jahren einen illegalen Handel mit  Adoptionskindern aus Sri Lanka toleriert. Jetzt anerkennt der Bundesrat  das Behördenversagen.

Angelika Hardegger

Mehrere  hundert Ehepaare aus der Schweiz haben ab den siebziger Jahren ein Baby  aus Sri Lanka adoptiert. Viele wurden mit gefälschten Papieren zur  Adoption freigegeben, einige den leiblichen Eltern vielleicht sogar  gestohlen oder auf einer «Baby-Farm» extra für die Eltern aus Europa  gezeugt. Die Behörden schauten kollektiv weg.

Nun  hat sich der Bundesrat mit dem heiklen Thema befasst. Er anerkennt,  dass die Behörden «die Adoptionen trotz gewichtigen Hinweisen auf  teilweise schwere Unregelmässigkeiten» nicht verhindert haben. Der  Bundesrat sei sich bewusst, dass die damaligen Verfehlungen das Leben  der Adoptierten bis heute prägen. «Dafür spreche ich den Betroffenen  und ihren Familien im Namen des Bundesrats ausdrücklich unser Bedauern  aus», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter am Montag vor Medien in  Bern.

Der  Bund will nun auch die heutige Adoptionspraxis einer kritischen Prüfung  unterziehen. Eine erste Untersuchung durch das Bundesamt für Justiz hat  einzelne Schwachstellen im heutigen System aufgedeckt. «Die Ereignisse  dieser Zeit dürfen sich nicht wiederholen», sagte Bundesrätin  Keller-Sutter. «In Zukunft muss immer das Wohl des Kindes im Zentrum  einer internationalen Adoption stehen.»

«Das bedeutet uns sehr viel»

Für  den Verein der Adoptierten in der Schweiz, Back to the Roots, ist die  Anerkennung durch den Bundesrat eine Genugtuung. «Die Schweiz ist das  erste Land, welches die Verfehlungen gegenüber den adoptierten Kindern  und den Familien in Sri Lanka offiziell anerkennt», sagt die Präsidentin  Sarah Ramani Ineichen. «Das bedeutet uns sehr viel.»

Ineichen  glaubt, dass die Anerkennung durch die Schweiz Signalwirkung hat auf  andere Länder. Kinder aus Sri Lanka wurden zwischen den 1970er und den  1990er Jahren in diverse europäische Länder vermittelt, etwa nach  Deutschland, Schweden oder Grossbritannien. Im Jahr 1987 verbot Sri  Lanka vorübergehend internationale Adoptionen, nachdem die Polizei auf  eine Baby-Farm gestossen war. Dort sollen Mütter und Kleinkinder unter  gefängnisähnlichen Bedingungen festgehalten worden sein.

Bedauern – aber keine Entschuldigung

Einige  Adoptierten hatten auf eine offizielle Entschuldigung des Bundesrat  gehofft, nicht nur auf den Ausdruck des Bedauerns. Eine Entschuldigung  hatte der Bundesrat 2013 gegenüber ehemaligen Verdingkindern und Opfern  von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen ausgesprochen.

Justizministerin  Keller-Sutter begründete die Wortwahl des Bedauerns damit, dass die  Versäumnisse nicht das Resultat einer offiziellen Politik der Schweiz  waren. «Diesen Kontext muss der Bundesrat berücksichtigen. Das bedeutet  nicht, dass er das Leid der Betroffenen relativiert.»

Auch illegale Adoptionen aus Indien?

Der  Bundesrat will die Adoptierten in der Schweiz nun bei der Suche nach  der eigenen Herkunft unterstützen. Zudem soll die historische  Aufarbeitung der illegalen Adoptionen auf andere Länder ausgeweitet  werden; der Bundesrat stellt dafür Gelder des Schweizerischen  Nationalfonds in Aussicht. Schweizer Paare haben im kritischen Zeitraum  beispielsweise dreimal so viele Babys aus Indien adoptiert wie aus Sri  Lanka.

Der  Verein der Adoptierten aus Sri Lanka begrüsst die Massnahmen des  Bundesrats. «Der öffentlichen Anerkennung der Verfehlungen muss eine  Wiedergutmachung folgen», teilen sie mit. Bei der Suche nach der eigenen  Herkunft bestehen die Adoptierten auf der Möglichkeit von DNA-Tests vor  Ort. Viele Adoptierte haben gefälschte Namen und Geburtsdaten in den  offiziellen Dokumenten stehen. Sarah Ramani Ineichen sagt: «Deshalb  können viele nur mit forensischen Möglichkeiten die Familie finden.»

Der  Verein der Adoptierten teilt zudem mit, man «erwarte klar, dass die  Schweizer Behörden garantieren, dass künftige internationale Adoptionen  legal verlaufen». Heute werden jedes Jahr etwa hundert Kinder aus  anderen Ländern von Schweizer Paaren adoptiert. Nach einem Höchststand  im Jahr 2004 ist die Zahl der internationalen Adoptionen in letzter Zeit  drastisch zurückgegangen.
(https://www.nzz.ch/schweiz/adoptionen-sri-lanka-bundesrat-bedauert-versagen-der-behoerden-ld.1591949)


+++SEXWORK
derbund.ch 14.12.2020

Interview über Sexarbeit – «Das Problem sind nicht die Freier»

Das  Buch «Ich bin Sexarbeiterin» porträtiert Menschen, die einen  stigmatisierten Beruf ausüben. Christa Ammann von der Berner Fachstelle  Xenia erklärt, was dieses gesellschaftliche Unbehagen bei den  Sexarbeiterinnen auslöst.

Regula Fuchs

Das Buch «Ich bin Sexarbeiterin» beleuchtet die Hintergründe eines  Gewerbes, das kaum jemand wirklich kennt. Warum braucht es dieses Buch?

Über Sexarbeiterinnen wird viel gesprochen und geschrieben, sie selber  kommen aber kaum je zu Wort. Das wollten wir ändern. Ich freue mich  sehr, dass ein paar von ihnen es gewagt haben, sich so offen zu zeigen.  Trotz der Diskriminierung, trotz dem Stigma, das der Sexarbeit anhaftet.

Das Buch zeigt: Es gibt ganz individuelle Gründe, warum jemand  Sexarbeit macht, und längst nicht jede Sexarbeiterin ist ein Opfer von  Not oder Gewalt. Sind dies die häufigsten Missverständnisse über  Sexarbeit?

Es geht  weniger um Missverständnisse als vielmehr um Projektionen. Eine davon  ist, dass alle, die in diesem Beruf tätig sind, Opfer seien. Dass man  sie retten müsse, weil sie selber das nicht tun können. Und dass es an  uns, der Gesellschaft sei, sie zu schützen. Das ist eine bevormundende,  sehr mittelständische Aussenperspektive, die weniger mit der Sexarbeit  an sich, sondern viel mit dem eigenen, ganz persönlichen Verhältnis zu  Sexualität und Geschlechterfragen zu tun hat.

Aber es sind doch tatsächlich viele vulnerable Personen in der  Sexarbeit tätig. Und dies oft aus einer ökonomischen Zwangslage heraus.

Ja, es ist eine prekäre Arbeit. Aber bei keiner anderen prekären Arbeit  – der Landwirtschaft etwa oder der Care-Arbeit – wird die Frage so  nachdrücklich gestellt, ob eine Person sie freiwillig macht.

Mit welchen Anliegen kommen die Sexarbeiterinnen zur Fachstelle Xenia?

Meistens geht es um Unterstützung bei behördlichen Fragestellungen,  also bei Arbeitsbewilligungen, Steuern, Krankenkasse. Kurz, wir helfen  bei all dem, was jemand berücksichtigen muss, um im Kanton Bern legal  arbeiten zu können.

Da durchzublicken, ist offensichtlich nicht ganz einfach.

Es ist unglaublich kompliziert. Schon nur die Frage, wo man arbeiten  darf: Das ist kommunal durch die Bauordnung geregelt. Es spielt also  eine Rolle, ob das Haus, in dem jemand tätig ist, beispielsweise auf  Berner oder Ostermundiger Boden steht. Die Stadt Bern ist sehr streng,  wenn es um den Schutz von Wohnraum geht. In Biel andererseits darf man  überall wohnen und arbeiten. Da braucht es von unserer Seite viel  Vermittlungsarbeit – auch, weil die Angst vor Diskriminierung durch  Behörden leider zum Teil berechtigt ist. Stellen Sie sich vor, eine  Sexarbeiterin wohnt in einer kleineren Gemeinde und will dort arbeiten.  Da ruft sie besser nicht selber an, sonst ist sie gleich zwangs-geoutet.  Was dann womöglich zum Problem wird, wenn ihr Kind auch dort zur Schule  geht.

Sollte es unser gesellschaftliches Ziel sein, dass eine Sexarbeiterin  am Elternabend in der Schule von ihrem Beruf erzählen kann?

Ja, wenn sie das will, sollte sie das angstfrei tun können. Gerade in  längeren Beratungen sehen wir, dass es eine grosse Belastung ist,  jahrelang ein Lügenkonstrukt aufrechterhalten zu müssen. Das laugt  psychisch aus.

Darum ist Sexarbeit auch für jene, die diesen Job nicht aus einer ökonomischen Notwendigkeit heraus machen, eine Belastung.

Ja. Kommt dazu, dass man Menschen extrem nahe an sich heranlässt,  sowohl physisch wie auch psychisch. Das ist sehr anstrengend,  insbesondere, wenn es nicht möglich ist, am Feierabend seine Erfahrungen  mit dem Umfeld zu teilen.

Es gibt im Buch Frauen, die sagen, Sexarbeit habe sie selbstermächtigt.  Für eine ist es gar «der schönste Beruf der Welt». Begegnen Sie dieser  Haltung oft?

Nein. Für  die meisten, die zu uns kommen, ist Sexarbeit die beste Option unter  nicht so guten. Trotzdem entscheiden sie sich bewusst dafür.

In einigen Ländern ist Sexarbeit gänzlich verboten, in anderen – etwa  Schweden – ist der Kauf von sexuellen Dienstleistungen strafbar.  Hierzulande ist Prostitution seit 1942 legal. Was halten Sie vom  Schweizer Weg?

Die  Legalität ist wahnsinnig wichtig. Sie ist die Grundlage, um sich  überhaupt gegen Ausbeutung und für gute Arbeitsbedingungen einsetzen zu  können. Wie allerdings die Sexarbeit geregelt ist – von Kanton zu Kanton  oder von Ort zu Ort verschieden – schafft auch neue Abhängigkeiten und  kann zur Folge haben, dass Sexarbeiterinnen nicht unter optimalen  Bedingungen arbeiten können.

Wäre eine nationale Regulierung die Lösung?

Wesentlich wäre vor allem, dass Sexarbeit ganz nüchtern als  Erwerbstätigkeit angesehen würde. Und dass man sich bemühen würde,  jenen, die das wollen, eine Alternative anzubieten – in Form von  Umschulungen etwa. Aber da gibt es sehr wenige Efforts.

In der Pflicht ist da aber nicht nur der Staat, sondern auch die Gesellschaft.

Sicher. Heute wird beispielsweise kaum jemand, der bei einer Bewerbung  in den Lebenslauf schreibt, er sei früher in der Sexarbeit tätig  gewesen, eine Stelle bekommen.

Viele würden sich auch gegen ein Bordell im eigenen Wohnblock wehren.

Dabei sind sowohl Sexarbeiterinnen wie auch Freier extrem an Diskretion  interessiert! Ich habe Bekannte, in deren Haus sich ein Etablissement  befand, und die das jahrelang nicht bemerkt haben. In diesem  Zusammenhang ist immer wieder von «ideellen Immissionen» die Rede. Aber  spielt es eine Rolle, ob in der Wohnung nebenan für eine klassische  Massage, für eine notarielle Beratung oder für Sex bezahlt wird? Da  wären wir wieder bei den Projektionen und bei der Stigmatisierung.  Jemand, der sich an einem Bordell in der Nachbarschaft stört, müsste  sich vielleicht zuerst fragen, ob es objektive Gründe dafür gibt, oder  ob das Problem bei ihm liegt.

In Frankreich sind Bordelle verboten und seit 2016 ist es auch der Kauf  einer sexuellen Dienstleistung. Was beobachten Sie dort?

Sexarbeit verschwindet durch Verbote nicht, sondern wird noch prekärer.  In Frankreich sehen wir eine Zunahme von Übergriffen, von Nachfrage  nach ungeschützten Praktiken und von Polizeigewalt.

Wer für ein Verbot von Prostitution sei, entmündige die Betroffenen,  heisst es im Buch. Aber gibt es nicht auch legitime Gründe, Sexarbeit  verbieten oder regulieren zu wollen, etwa aus einer feministischen  Perspektive heraus?

Ein Verbot ist für mich auch aus feministischer Sicht nicht die richtige  Konsequenz. Wenn mir eine Sexarbeiterin sagt, der Job sei ihre Wahl  gewesen, aber die Bedingungen seien nicht gut, dann stelle ich nicht  ihre Wahl infrage, sondern helfe, die Bedingungen zu verbessern. Und  nehme sie damit ernst. Wer die Sexarbeiterinnen zu Opfern macht,  zementiert zudem das Bild der Frau, die passiv ist – auch beim Sex.

Aber es besteht meist ein Machtgefälle zwischen Kunde und Anbieterin.

Auf ein mögliches Machtgefälle ist ein Verbot nicht die Antwort.  Immerhin entscheidet die Frau selber, was sie anbietet und unter welchen  Bedingungen. Wenn nicht, müssen die Rahmenbedingungen verändert werden.  Ein grosser Teil der Sexarbeiterinnen sagt, dass ihr Hauptproblem nicht  die Freier seien. Sondern die Gesellschaft. Die Stigmatisierung hat  nämlich auch den Effekt, dass sich Sexarbeiterinnen minderwertig fühlen.  Dabei machen sie eine Arbeit, die nicht «bloss Sex» ist, sondern viele  Fähigkeiten verlangt: Man muss sich auf ganz verschiedene Menschen  einlassen können, rasch erfassen, was ein Kunde will, und die  Dienstleistung muss so gut sein, dass er im Idealfall wiederkommt. Es  sind Fähigkeiten, die man auch in anderen Jobs nutzen könnte.

Wie hat sich Corona auf die Sexarbeit ausgewirkt?

Die Nachfrage ist schweizweit massiv zurückgegangen. Damit geraten  viele in grosse finanzielle Bedrängnis. Letzten Samstag hat der Kanton  Bern die Schliessung von Erotikbetrieben mit einer Bewilligung nach  Prostitutionsgewerbegesetz nun wieder aufgehoben, es gilt für sie neu  die Sperrstunde und die Schliessung an Sonn- und Feiertagen. Dass die  Etablissements im Kanton vorher wochenlang geschlossen waren, ist nicht  leicht nachzuvollziehen. Sexarbeit ist – sofern die Schutzkonzepte  berücksichtigt werden – eine körpernahe Dienstleistung wie etwa die  Physiotherapie auch. Warum wurde das eine erlaubt, das andere verboten?  Vielleicht war auch das Ausdruck der behördlichen Überforderung mit  diesem Thema.



Behutsame Einblicke ins Milieu

Zum  Beispiel Adrienn aus Ungarn: Weil sie in ihrer Heimat keinen Job findet  und ihre Kinder ernähren muss, kommt sie jeweils für drei Monate in die  Schweiz und arbeitet auf dem Strichplatz in Zürich. Ihrer Familie  erzählt sie, sie habe einen Putzjob. Oder Lady Kate: Sie stammt aus  einer guten Familie und sagt, die Arbeit im Bordell habe ihr geholfen,  mit ihrem Körper ins Reine zu kommen. Jetzt ist sie freischaffend, auch  als Domina, und baut sich nebenbei eine Karriere in der Krypto-Branche  auf. Oder Aimée: Sie prostituiert sich schon als Halbwüchsige in  Nigeria, um zu überleben, und wird auch in der Schweiz dem Milieu nicht  entkommen. Sie sagt, sie wäre gern eine erfolgreiche Frau geworden und  keine Prostituierte.

Die  Geschichten von Adrienn, Lady Kate, Aimée und anderen sind im Buch «Ich  bin Sexarbeiterin» versammelt. Es zeigt in kurzen und behutsamen  Porträts auf, wie individuell die Wege sind, die in die Sexarbeit  führen, und wie unterschiedlich die Frauen und Männer ihre Tätigkeit  wahrnehmen. Flankiert sind die Porträts mit Texten zur rechtlichen  Situation, zu Freiern oder zum Thema Sexarbeit und Rassismus.

Ziel  des Buches ist die Entstigmatisierung eines in der Schweiz legal  ausgeübten Berufs – älteren Schätzungen zufolge sind in der Schweiz  zwischen 13’000 und 20’000 Menschen in der Sexarbeit tätig, überwiegend  Frauen. (reg)



Christa Ammann

Christa Ammann ist seit 2014 Leiterin  von Xenia, der Berner Fachstelle Sexarbeit. Xenia ist – neben anderen Organisationen und Fachstellen – Mitherausgeberin des Buches «Ich bin  Sexarbeiterin».
(https://www.derbund.ch/das-problem-sind-nicht-die-freier-531101845977)