Libysche Küstenwache baut aus, Dänemark lagert aus, Bern zahlt aus

Themen
  • NoFrontex-Referendum droht zu scheitern
  • Dänemark: Auslagerung der Abschiebeknäste in den Kosovo
  • Italien verschenkt Überwachungstechnik an die libysche Küstenwache
  • Schwimmende Hotspots vor der italienischen Küste
  • Kein Impfschutz für People on the Move wegen Verantwortungslosigkeit von Staaten und Unternehmen
  • Bern: Nothilfe wird nun auch bei privater Unterbringung von Geflüchteten ausbezahlt
  • Solidaritätserklärung mit den Inhaftierten von den Haag
  • Demo gegen Ausschaffungen in Wauwil
  • Kroatien: Aufnahme in den Schengenraum trotz illegaler Grenzgewalt und Pushbacks
  • Bündnis gegen Rechtsabbiegen
  • Geschenkidee: Soli-Kalender

Antira Wochenschau 20.12.21

Was ist neu?

NoFrontex-Referendum droht zu scheitern

Bisher sind erst 10’000 Unterschriften eingetroffen. 10’000 weitere Unterschriften dürften auf dem Weg sein. Doch das reicht nicht und die Zeit wird knapp. Bis zum Ablauf der Referendumsfrist bleiben nur noch 35 Tage. 

Das Referendumskomitee NoFrontex schlug an einer online-Medienkonferenz Alarm: «Es braucht jetzt dringend einen solidarischen Ruck». Was können einzelne tun?

  • Werde aktiv: Mobilisiere deine Freund*innen und Mitaktivist*innen zum Sammeln, organisiere dich in den Sammler*innengruppen.  
  • Schickt alle Unterschriftenbögen, die auf dem Küchentisch oder im Büro liegen, noch heute nach Bern.
  • Neu kann Material bestellt werden (Flyer, Poster, Unterschriftenbögen): https://frontex-referendum.ch/take-action/#order 
  • Wenn alle in den kommenden Tagen fünf Unterschriften sammeln, reicht es problemlos

Wie wichtig das Referendum ist, zeigt sich tagtäglich an den Aussengrenzen Europas, auf dem Mittelmeer oder der Balkanroute. Dort ist Frontex verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen, führt zahlreiche illegale Pushbacks durch oder arbeitet mit der libyschen Küstenwache zusammen.

https://frontex-referendum.ch/2021/12/17/nofrontex-referendum-10000-unterschriften-sind-zu-wenig/
https://frontex-referendum.ch/wp-content/uploads/2021/12/Mediendossier_Dossier-de-presse_NoFrontex-2.pdf

Dänemark: Auslagerung der Abschiebeknäste in den Kosovo

Auf die Externalisierung der Grenzkontrollen folgt die Externalisierung der Ausschaffungsmaschinerie. In kosovarischen Gefängnissen werden schon bald Menschen auf eine Abschiebung warten, deren Asylgesuch in Dänemark abgelehnt wurde. Darüber einigten sich die dänischen Behörden mit ihresgleichen im Kosovo.

Der Balkanstaat vermietet 300 Haftplätze. Der Mietvertrag der am Montag unterschriben werden soll, wurde für die nächsten zehn Jahre aufgesetzt und kostet Dänemark 210 Millionen Euro.

Die Wochenzeitig “Weltwoche” kommentierte die Meldung derart rassistisch, dass wir ihn wiedergeben, um aufzuzeigen, was aktuell so am Kiosk zur rechten Meinungsbildung auf dem Markt ist: “Und man vermutet auch richtig, dass nicht Nachfahren der Wikinger Dänemarks Gefängnisse füllen. (…) Dänemark macht es wieder mal vor, wie man illegale Migranten abschreckt. Ein dänisches Kittchen ist für sie wie Urlaub im Club Med. Doch im Kosovo fühlen sie sich wie zu Hause.”

https://www.nzz.ch/international/daenemark-will-teil-von-strafvollzug-nach-kosovo-auslagern-ld.1660815?reduced=true
https://weltwoche.ch/daily/vorbild-daenemark-im-gefaengnis-ist-keine-zelle-fuer-migranten-frei-ein-knast-im-kosovo-hilft-gerne-aus/

Italien verschenkt Überwachungstechnik an die libysche Küstenwache

Die Küstenwache in Libyen hat neue Technik zur Beobachtung des Mittelmeers aus Italien erhalten. Die mit EU-Mitteln finanzierten Anlagen sind in Containern installiert und wurden von einem Hubschrauberträger nach Tripolis gebracht. Die Finanzierung erfolgt im Rahmen des EU-Projekts „Unterstützung der integrierten Grenz- und Migrationsverwaltung in Libyen“ (SIBMMIL) aus Mitteln der Entwicklungshilfe. Insgesamt hat die EU dafür 61 Millionen Euro aus dem Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika bewilligt. Damit will die EU die libysche Küstenwache zur noch effektiveren Migrationsabwehr ertüchtigen.

Kooperation zwischen Italien und Libyen zur Ausbildung der Küstenwache.
Kooperation zwischen Italien und Libyen zur Ausbildung der Küstenwache

Die in Containern installierte Informations- und Überwachungstechnik soll dazu dienen, kleine Boote auf dem Weg in Länder wie Malta oder Italien zu entdecken und anschliessend nach Libyen zurückzuholen. Hierzu erhält die Küstenwache weitere drei Patrouillenschiffe aus Italien, die ebenfalls aus dem Nothilfe-Treuhandfonds finanziert werden. Der Auftrag für die Lieferung der mobilen Leitstelle ging an die italienische Firma ELMAN. Zudem gehören Funkgeräte der deutschen Firma Rohde & Schwarz und Anlagen zum Empfang von Notfall- und Warnmeldungen von der britischen Firma Inmarsat zu dem System. Das italienische Innenministerium soll libysches Personal zur Bedienung der Technik ausbilden. Über mehrere Jahre hat die EU das zentrale Mittelmeer in der Militärmission IRINI oder in Missionen der Grenzagentur Frontex mit Flugzeugen beobachtet und Menschen mit Schiffen aus Seenot geholt. Inzwischen sind die maritimen Einheiten aus der Region abgezogen oder – wie in IRINI – weitab der Routen von Geflüchteten positioniert. Gleichzeitig hat die EU ihre zivile und militärische Luftüberwachung ausgebaut. Über Sichtungen von Booten wird dann die libysche Küstenwache informiert, welche die Menschen zurück nach Libyen bringt.

Das Problem dabei ist, dass derartige Meldungen über Seenotfälle an ein Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) gerichtet werden müssen. So sehen es die Regularien der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) vor, denen Libyen seit 2018 eigentlich genügen muss. Ohne über eine solche Seenotleitstelle zu verfügen, hat die Regierung vor drei Jahren ihre Zuständigkeit für eine eigene Seenotrettungszone erklärt und dafür 1,8 Millionen Euro von der EU-Kommission erhalten. Mit der Lieferung eines mobilen MRCC an Libyen wird also das Ziel verfolgt, die Sichtung von Booten offiziell an Libyen melden zu können. Ziel einer MRCC an Libyen ist es nicht, die Seenotrettung zu verbessern. Ziel ist es, dass Libyen ganz legal über Boote im Mittelmeer informiert werden kann, damit sie diese dann oft gewaltvoll zurückschleppen und die Menschen wieder in den geschlossenen Lagern internieren können. Ziel ist es, Menschen abzuwehren statt sie zu retten.

Die EU unternimmt also einen erneuten Versuch, Libyen als Türsteher zur Migrationsabwehr zu instrumentalisieren. Das Einlaufen eines italienischen Hubschrauberträgers in den Hafen von Tripolis ist aber auch ein Signal an die Türkei, die nach Beginn des Bürgerkriegs Truppen und militärische Ausrüstung zur Unterstützung der „Einheitsregierung“ geschickt hatte. Die türkische Marine bildete anschliessend auch die libysche Küstenwache aus – eine Aufgabe, die zuvor die EU-Militärmission übernommen hatte. Wiederholt hat der Europäische Auswärtige Dienst in Brüssel versucht, Libyen zur Wiederaufnahme von Trainings durch IRINI zu bewegen. Die militärische Präsenz der Türkei hat dies jedoch verhindert.

Wir fordern, dass keine weiteren Millionen für die Abwehr von Menschen auf der Flucht und die weitere Externalisierung der EU-Aussengrenzen zur Verfügung gestellt werden. Wir fordern stattdessen eine uneingeschränkte Bewegungsfreiheit für alle Menschen und solidarische Strukturen, welche die immensen Gefahren von Flucht mildern und die Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit unterstützen. Mit den fürs MRCC ausgegebenen 61 Millionen Euro könnte eine glaubhafte Seenotrettungsstruktur unterstützt werden, die Menschen dorthin bringt, wo sie in Sicherheit leben können und nicht an Orte zurückschleppt, aus denen sie geflohen sind.

https://www.migazin.de/2021/12/09/eu-entwicklungshilfe-italien-ueberwachungstechnik-kuestenwache/?fbclid=IwAR2tGtM7zeTr2jjA-xEuwZ12IYv_EbpGr06zasbzyNmX2i4awuVD7FmCl7A

Was ist aufgefallen?

Schwimmende Hotspots vor der italienischen Küste

Vor der italienischen Küste treiben seit nun mehreren Jahren sogenannte Quaraantäneschiffe. Ursprünglich ging es darum die Verbreitung des COVID-Virus zu stoppen, indem Migrant*innen auf dem Schiff ihre Quarantäne verbringen sollten, bevor sie ans italienische Festland gelassen wurden. Mittlerweile sind aus den Quarantäneschiffen schwimmende Hotspots der Entrechtung geworden. Besonders für Menschen aus dem Maghreb endet der Aufenthalt mit einer Abschiebung.

“Quarantäne-Schiff” vor der Küste Italiens.

Das Betreiben dieser gecharterten Fähren der Firma Grandi Navi Veloci (GNV) kostet die italienischen Behörden pro Monat und Schiff zwei Millionen Euro. Derzeit seien laut der Recherche von MicroMega vier bis fünf solche Schiffe im Einsatz. Die Schiffe sollten theoretisch vor COVID schützen, doch an Bord können die COVID-Schutzmassnahmen nicht eingehalten werden: Zuviele Menschen pro Kabine, enge Warteschlangen bei der Essensausgabe, zuwenig frische Luft und keine wirksame Sterilisierung fördern die Verbreitung des Virus. Auch fehle es an griffigen Möglichkeiten, damit erkrankte Menschen, Kontaktpersonen und negativgeteste Personen die Zeit auf dem Schiff getrennt verbringen können.

Laut Aussagen von Personen die auf dem Schiff arbeiteten gehe es ohnehin eher um Abschiebungen als um was anderes. An Bord versuchen die Behörden alle Menschen zu identifizieren, die aus dem Maghreb kommen und gleichzeitig Sonderflüge zu chartern, um diese wieder abzuschieben. Italien hat eine Vereinbarung für schnelle Rückführungen mit Tunesien und Algerien, Ägypten und Marokko werden als sichere Herkunftsländer eingestuft, genauso wie der Senegal und Ghana. Menschen aus diesen Staaten erhalten keinen Zugang zu einem fairen Asylverfahren. 80% der im Jahr 2020 zurückgeführten Menschen sind Tunesier*innen. Eine Rechtsberatung war am Anfang gar nicht vorgesehen. Es gibt eine solche erst seitdem die ASGI, eine Vereinigung kritischer Jurist*innen, sie erkämpfte. Trotzdem bleiben die rechtlichen Möglichkeiten minim. Die Schiffe sind Teil eines Systems, dass Menschen entrechtet, um sie im Namen des Gesetzes abzuschieben.

https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/quarantaeneschiffe-ein-modell-das-fuer-rueckfuehrungen-gedacht-ist-einblicke-einer-rechtsberaterin/
https://www.micromega.net/immigrazione-navi-quarantena-inchiesta/

Kein Impfschutz für People on the Move wegen Verantwortungslosigkeit von Staaten und Unternehmen

Die Aktivitäten von NGOs und Organisationen, die People on the Move (PoM) auf der Flucht Zugang zu Covid-Impfungen boten, werden gestoppt. Dies weil nicht klar sei, wer für die finanziellen Risiken aufkomme.

Aufgrund unmenschlicher, rassistischer Grenzregimes gehören Menschen auf der Flucht zu den vulnerabelsten Personengruppen der Welt. Diskriminierung, Krieg, Verfolgung, Klimakatastrophen und wirtschaftliche Not zerstören den Schutz, den ihre Heimat bieten sollte und zwingt Menschen ihre Herkunftsländer zu verlassen. Während der Flucht sind sie größtenteils von staatlicher Versorgung und Infrastruktur ausgeschlossen. In Pandemiezeiten ist das Fehlen eines Zugangs zum Gesundheitssystem besonders verheerend. Oft leben PoM auf engstem Raum zusammen, insbesondere die offiziellen Camps von IOM und dem UNHCR sind überfüllt. Abstandsregeln können nicht eingehalten werden, regelmäßige Tests werden ebenfalls nicht zur Verfügung gestellt. Dies sind beste Umstände für das Virus um sich ungestört zu verbreiten. Hinzu kommt, dass aufgrund mangelnder Tests Covid-Fälle unter Menschen auf der Flucht oft unentdeckt und unbehandelt bleiben. Ein weiteres Versagen der internationalen Infrastruktur für Menschen auf der Flucht zeigt sich an der niedrigen Impfquote unter Schutzsuchenden.

Da kein Staat sich verantwortlich fühlt und das legale Risiko einer Impfung für PoM übernehmen will, weigern sich viele Impfhersteller Impfdosen für PoM zu liefern. Die Firmen wollen den Gesundheitsschutz erst bieten, wenn sie rechtliche Sicherheit haben, bzw. keine Verantwortung für medizinische Unfälle tragen müssen. Es wird deutlich, dass diese Erwägungen rein ökonomischer Natur sind und das finanzielle Interesse und der Ruf der Firmen über den Gesundheitsschutz der Menschen gestellt wird. Natürlich ist ein Pochen auf eine fachgerecht durchgeführte Impfung wichtig, jedoch ist eine Verweigerung der Lieferung von Impfdosen kaum der richtige Weg dies zu erreichen. Viel eher könnten die Unternehmen, wenn ihnen wirklich primär am Schutz der Menschen und der Verhinderung der Ausbreitung des Virus gelegen wäre, selber für eine sichere Verabreichung der Impfung sorgen, z.B. indem sie Fachkräfte angemessen bezahlen. Doch dies bleibt aus. So sind die Schutzsuchenden Opfer der rechtlichen Hürden und der Verantwortungslosigkeit von Unternehmen und internationalen Institutionen, die ebenfalls die Verantwortung für eine sichere Impfung von Schutzsuchenden nicht übernehmen wollen. Dabei sieht die IOM (International Organisation for Migration) selbst, dass ungeimpfte, migrantische Communities ein Risiko in der Pandemie darstellen: “Leaving them unvaccinated could help spread the virus and its variants across the world”, sagt Mireile Lebwadio (Global Vaccination Coordinator der IOM).

Schade, jedoch nicht überraschend ist, dass die IOM nur das Risiko für den Rest der Weltbevölkerung zu sehen scheint und die am meisten gefährdeten und leidenden Personengruppe, nämlich die ungeimpften PoM selbst, wieder marginalisiert und übersehen werden.

https://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/refdaily?pass=52fc6fbd5&id=61badc883
https://www.zdf.de/nachrichten/heute/fluechtlinge-griechenland-appelliert-an-eu-100.html
https://www.unhcr.org/dach/de/17054-fluechtlingscamps-bangladesch-ueberfuellt-tausende-provisorischen-unterkuenften.html
https://www.dw.com/de/deutschland-vergisst-seine-fl%C3%BCchtlinge/a-56319249
https://www.unhcr.org/dach/de/44323-covid-19-reaktion-auf-ersten-bestaetigten-fall-in-rohingya-fluechtlingssiedlung.html

Was war eher gut?

Bern: Nothilfe wird nun auch bei privater Unterbringung von Geflüchteten ausbezahlt

Abgewiesene Asylsuchende erhielten im Kanton Bern bisher keine Nothilfe ausbezahlt, wenn sie nicht in einem Nothilfezentrum lebten sondern privat untergebracht waren. Vorletzte Woche hat der Kantonsrat endlich eine neue gesetzliche Regelung beschlossen. Doch auch diese enthält einige Tücken.

Es war ein langer Kampf. Doch nun hat der Berner Kantonsrat einen Entscheid gefällt, der hoffentlich Signalwirkung in der ganzen Schweiz entfachen wird. Neu erhalten im Kanton Bern auch privat untergebrachte abgewiesene Asylbewerber*innen Nothilfe in Höhe von acht Franken pro Tag ausbezahlt. Anders als im Schweizer Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) vorgesehen, konnten im Kanton Bern bereits seit Herbst 2019 Privatpersonen abgewiesene Asylsuchende aufnehmen, ohne sich strafbar zu machen. Damit erlosch jedoch das Anrecht auf die Auszahlung der Nothilfe. Denn wer Unterstützung durch Dritte erhält, war laut Argumentation des Regierungsrates «nicht bedürftig.» Treibende Kraft hinter der Motion zugunsten der Menschen in der Nothilfe war der Riggisberger Pfarrer Daniel Winkler. Die kleine Berner Gemeinde Riggisberg wurde 2014 schweizweit bekannt, als sie 150 geflüchtete Menschen aufnahm und sich eine breit gefächerte Unterstützer*innengruppe bildete. Nach der Schliessung der temporären Asylunterkunft brachte die Gemeinde 26 abgewiesene Asylsuchende weiterhin privat unter und richtete einen Fonds ein, der Wohnkosten und Nothilfe bezahlte. In diesem Kontext bildete sich auch die Aktionsgruppe Nothilfe, welche sich für «menschenwürdige Auswege aus der Sackgasse Nothilfe» einsetzt.

Allerdings enthält auch die neue gesetzliche Regelung einige Hürden. Denn Nothilfe bei privater Unterbringung erhalten nur Menschen ausgezahlt, die ihr Asylgesuch vor dem 1. März 2019 eingereicht haben und deren Ausweisung nicht absehbar ist. Oder Geflüchtete, die bereits seit über zwei Jahren einen rechtskräftigen negativen Asylentscheid samt Wegweisung erhalten haben. Bei Familien mit Kindern kann diese Frist verkürzt werden. So passt denn auch das Zitat von EVP-Sprecher Hanspeter Steiner, der sich für die neue Regelung engagierte, ganz gut ins Gesamtbild: Es gehe nicht darum, das Asylrecht auszuhebeln, sondern «um ein klein wenig Menschlichkeit, vor allem für Familien mit Kindern.» Geholfen wird mit dem neuen Gesetz also auch nun erst, wenn geflüchtete Menschen im rassistischen Schweizer Asylsystem bereits zerrieben wurden und in einer ausweglosen Lage sind. Und es zeigt einmal mehr einen grundlegenden Fehler auf: Menschen, die keine Chance auf eine sichere Rückkehr in ihre Heimat haben, werden einfach als illegal klassifiziert.

Der Entscheid aus Bern ist für die betroffenen Menschen in der Nothilfe zweifelsohne eine wichtige Verbesserung. Und er muss vor allem ein Signal sein, in der ganzen Schweiz die Möglichkeit der privaten Unterbringung von geflüchteten Menschen unabhängig ihres Asylstatus zu forcieren. Gleichzeitig gilt es aber weiterhin das System Nothilfe an sich zu bekämpfen. Denn es steht für eine rassistische Asylpolitik, die Menschen alleine aufgrund ihres Asylstatus diskriminiert, ausschliesst und bewusst zum Verlassen des Landes bewegen will.

Aktionsgruppe Nothilfe: www.ag-nothilfe.ch
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/nun-erhalten-alle-abgewiesenen-asylsuchenden-nothilfe?id=12102947
https://www.bernerzeitung.ch/abgewiesene-asylsuchende-duerfen-kuenftig-bei-privaten-wohnen-151470294080

https://www.woz.ch/2148/durch-den-monat-mit-daniel-winkler-teil-1/warum-war-ihr-svp-dominiertes-dorf-so-solidarisch

https://www.woz.ch/2041/nothilfe-fuer-gefluechtete/ein-svp-mann-missioniert-seine-partei

Letztes Jahr wurde in der Berner Gemeinde Riggisberg für das Recht auf Berufsbildung in der Nothilfe demonstriert.
Letztes Jahr wurde in der Berner Gemeinde Riggisberg für das Recht auf Berufsbildung in der Nothilfe demonstriert.

Wo gabs Widerstand?

Solidaritätserklärung mit den Inhaftierten von den Haag

Am Freitag dem 03.12.2021 haben revolutionäre Jugendliche der kurdischen Bewegung, eine Protest-Aktion vor der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag, durchgeführt. Die holländische Polizei griff den Protest an, nahm 55 Personen fest und verletzte 10 Personen. Die 55 Jugendlichen befinden sich seither in Haft und dies alleine, weil sie Stellung gegen die Kriegsverbrechen in Kurdistan bezogen.

Auch in mehreren Schweizer Städten fanden Protest-Aktionen und Solidaritätsbekundungen für die Inhaftierten von Den Haag statt. Mehr Infos zu Aktionen und Kampagnen gibt es auf der Seite https://widerstandsvernetzung.org .

Demo gegen Ausschaffungen in Wauwil

In Wauwil gingen Menschen gegen den Abschiebeknast auf die Strasse. Anstatt geflüchteten Menschen ein sicheres und würdiges Leben zu ermöglichen werden in der Schweiz jedes Jahr Tausende Menschen unter Zwang ausgeschafft.

Im Kanton Luzern unterhält unter anderem in der Justizvollzugsanstalt in Wauwil ein Ausschaffungsgefängnis mit 14 Haftplätzen. Die Justizvollzugsanstalt Wauwilermoos liegt inmitten einer Moorebene, abgelegen von Bahnhof, Dorf, Zivilisation. Um diesen Umstand öffentliche Resonanz zu geben, versammelten sich am Samstag einige Dutzend Menschen auf dem Bahnhofplatz in Luzern. Dort wurden zuerst einige Reden in mehreren Sprachen gehalten, bevor die gemeinsame Anreise nach Wauwil erfolgte. Nach dem Demospaziergang machten sich die Aktivist*innen vor dem Ausschaffungsknast mit Liedern und Parolen lautstark bemerkbar. Über Lautsprecher wurden Briefe und Textnachrichten von Menschen abgespielt, die der Kanton Luzern in den letzten Jahren ausgeschafft hat.

Wie erst letzte Woche bekannt wurde, verlegt der Kanton Luzern die Haftplätze der Ausschaffungschaft in Wauwil per Ende Jahr direkt nach Zürich-Kloten. Dies bedeutet für die Menschen in Ausschaffungshaft noch mehr psychischen Stress. Sie werden zukünftig in der Nähe des Flughafens untergebracht, von dem sie per Sonder- oder Linienflug zurück an die Orte geflogen werden, aus denen sie einst geflohen sind. Sie werden bis zum Tag X täglich das Geräusch von startenden und landenen Flugzeugen hören müssen. Ein weiteres kleines, grausames Detail in der Schweizer Abschiebemaschinerie.

https://barrikade.info/article/4910

Klare Botschaften der Aktivist*innen in Wauwil.
Klare Botschaften der Aktivist*innen in Wauwil.

Was nun?

Kroatien: Aufnahme in den Schengenraum trotz illegaler Grenzgewalt und Pushbacks

Aufgrund ihrer Gewalt gegen People on the Move (PoM) und den illegalen Pushbacks wurden die kroatischen Behörden vor kurzem vom Menschenrechtsgerichtshof verurteilt und von der europäischen Antifolterkommission auf der Grundlage eines langen und detailreichen Berichts gerügt. Zynischerweise haben sich nun die Regierenden der Europäischen Union am Donnerstag darauf geeinigt, dass Kroatien dem Schengen-Raum beitreten kann. Zagreb habe Brüssel davon überzeugt, dass es in der Lage sei, seinen Teil der EU-Aussengrenzen effektiv zu verwalten.

2013 ist Kroatien der EU beigetreten. Nun wird das Land in den Schengenraum aufgenommen. Der Schengen-Raum hat 26 Mitglieder, darunter die Nicht-EU-Länder Schweiz und Norwegen. Ob dies an der brutalen Grenzgewalt etwas verändern wird, werden die PoM zu berichten wissen. Auf alle Fälle sind nun alle Schengenstaaten mitverantworlich für die Gewalt. Alle Aktivist*innen aller Länder können also auf alle Staaten des Schengenraums Druck ausüben, um etwas an der Lage an der bosnisch-kroatischen Grenze zu verändern.
https://www.reuters.com/world/europe/croatia-can-join-border-free-schengen-area-eu-governments-say-2021-12-09/

Bündnis gegen Rechtsabbiegen

Es gibt ein neues überregionales Bündnis, um den antifaschistischen Widerstand zu organisieren und linker Kritik an den staatlichen Massnahmen im Umgang mit der Corona-Pandemie eine Plattform zu geben.

Das Bündnis gegen Rechtsabbiegen ist ein überregional organisiertes Netzwerk und versteht sich als Teil der ausserparlamentarischen Linken. Das Bündnis gegen Rechtsabbiegen vernetzt den Widerstand in unterschiedlichen Städten gegen den Rechtsrutsch unter der aktuellen pandemischen und kapitalistischen Krise. Wir erarbeiten und teilen linke Positionen zum staatlichen Umgang mit der Pandemie. Doch das ist nicht alles. Der in der Bewegung der Massnahmengegner:innen offen propagierte Antisemitismus, die Parallelen zu Nationalsozialismus in der verwendeten Symbolik und Rhetorik, sowie die Verdrehung und Verharmlosung historischer Gräueltaten, sind alarmierend. In einem Klima, wo wieder Fackelumzüge durchgeführt werden, Schlägertrupps in den Städten auftauchen, vermeintliche Antifaschist*innen als Feindbilder gelten und mit An- und Übergriffen zu rechnen haben, ist es wichtig, klar und deutlich dagegen Position zu beziehen.

www.bgra.ch

Geschenkidee: Soli-Kalender

Zur Unterstützung von Flüchtenden in Libyen, die seit Oktober protestieren und ihre Evakuierung in ein sicheres Land fordern. Die Flüchtenden haben schon diverse schwere Menschenrechtsverletzungen überlebt und haben begonnen sich zu organisieren. Das gesamte Geld des Verkaufs wird direkt an sie geschickt, um sie in ihren Kämpfen zu unterstützen. Den Kalender bekommt ihr an folgenden Orten: Druckerei Reitschule und Q-Laden in Bern, Paranoia City und Totalbar in Zürich, La Coutellerie in Fribourg, Au Passage und Bongo Joe in Genf und Restaurant Hirscheneck und Druckkollektiv Phönix in Basel.

Mehr direkte Infos findet ihr hier: www.refugeesinlibya.org

Was steht an?

Privilegien-Reflexions-Adventskalender

Türchen gehen auf: https://www.instagram.com/adventskalender_privilegien/

Alles auf einmal: https://www.canva.com/design/DAExCnuim90/BsuQsJjM8VEQHnZIXqR7og/view?utm_content=DAExCnuim90&utm_campaign=designshare&utm_medium=link&utm_source=publishsharelink

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Fortress Europe: the millions spent on military-grade tech to deter refugees
We map out the rising number of high-tech surveillance and deterrent systems facing asylum seekers along EU borders
https://www.theguardian.com/global-development/2021/dec/06/fortress-europe-the-millions-spent-on-military-grade-tech-to-deter-refugees

Europäische Grenzpolitik: Millionen für militärische Überwachungstechnologie an Außengrenzen
Um Geflüchtete von der Einreise an den EU-Außengrenzen abzuhalten, gibt die Europäische Union Millionen für modernste Überwachungstechnologien aus. Davon profitieren vor allem private Rüstungsunternehmen.
https://netzpolitik.org/2021/europaeische-grenzpolitik-millionen-fuer-militaerische-ueberwachungstechnologie-an-aussengrenzen/

Dänemarks nationale Sozial­demokratinnen
Der Migrationskurs der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen lässt Rechts­populisten in ganz Europa vor Neid erblassen. Wie viel Sozialdemokratie steckt noch in Dänemarks Sozialdemokraten? Serie «Rot regiert», Folge 1.
https://www.republik.ch/2021/12/09/serie-rot-regiert-folge-1-daenemarks-nationale-sozialdemokratinnen

augenauf-Bulletin Nr. 109, Oktober 2021
Inhalt:
– Waaghof-Suizid: Blankoscheck für Brutalität
– Frontex und die Schweiz
– VD: tödliche rassistische Polizeigewalt
– Keine Visa für Afghan*innen
– Hohe Bestrafung ohne Anhörung
– Staatsschutzakten: Einsicht ohne Einblick
– Gastbeitrag Sans-Papier-Kollektiv Basel: Rassistische Polizeikontrolle auf Schulausflug
Mehr dazu hier: https://www.augenauf.ch/images/BulletinProv/Bulletin_109_Okt_2021.pdf