Medienspiegel 18. Dezember 2021

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+++AARGAU
aargauerzeitung.ch 18.12.2021

20 Afghanen kamen vor sechs Jahren nach Seengen – mit der Hilfe von Freiwilligen haben sie sich gut integriert

Ein Team von Freiwilligen, initiiert und begleitet durch die reformierte Kirche, nahm sich vor sechs Jahren 20 jungen Afghanen in Seengen an. Die Schützlinge brauchen weiterhin Unterstützung, sind aber gut integriert.

Eva Wanner

Was ist Integration? «Ich habe Mal mit einem Mann gesprochen, der aus einem anderen Land kam und seit 15 Jahren in der Schweiz lebt. Er arbeitet, er spricht Deutsch – wurde aber noch nie von einem Schweizer oder einer Schweizerin zu sich nach Hause eingeladen», sagt Marianne.

Das gab für Marianne, die im Artikel nur beim Vornamen genannt werden möchte, da sie stellvertretend für alle Freiwilligen spreche, den Anstoss, sich zu engagieren. Für die Integration von 20 jungen Männern aus Afghanistan, die vor sechs Jahren nach Seengen kamen.

Eine Kontaktperson oder eine ganze Familie

Die Chance dazu hatte sie dank der Reformierten Kirche Boniswil-Egliswil-Hallwil-Seengen. «Bei der Flüchtlingswelle 2015 haben wir die Gemeinden in unserem Kreis angefragt, ob wir etwas tun können, um zu helfen», sagt Pfarrerin Susanne Meier.

Seengen meldete sich, und Kirche und Gemeinde trafen eine Abmachung. In der Kirchgemeinde wurde eine kleine Asylkommission gegründet, Freiwillige und Betreuungspersonen akquiriert; «kirchennahe und kirchenferne», wie die Pfarrerin betont. Jeder der 20 Asylsuchenden erhielt eine Kontaktperson oder eine ganze Kontaktfamilie.

Die erste Hürde: Die Sprache. Wegen ihres Status hatten die Männer noch keinen Anspruch auf bezahlte Deutschkurse. Freiwillige wie Marianne nahmen den Unterricht selbst in die Hand. Hilfe boten Institutionen und Angebote wie das Netzwerk Asyl in Aarau.

Aber eben: Nur die Sprache macht noch keine Integration. Weitere Aktivitäten wurden organisiert. Beispielsweise «Musikdeutschtreffs», bei denen sich die Asylsuchenden und die Freiwilligen Lieder auf Deutsch sangen und gemeinsam kochten und assen.

Oder die Hausaufgabenhilfe am Donnerstagabend, organisiert durch Jugendliche im Jugendtreff: «Da konnten sie mit Gleichaltrigen arbeiten und spielen, das hat beiden Seiten gut getan», sagt Meier. Ein weiterer Freiwilliger führte etwa einen Jass-Treff ein, bei dem die jungen Männer für ein Integrations-Turnier in Luzern trainierten.

Eine Freiwillige ist im Gesundheitsbereich tätig. Sie nimmt eine Art Triage vor: Wenn einer der jungen Männer ein medizinisches Problem hat, kann er sich zunächst an sie wenden, die dann rät, selbst Medikamente einzukaufen oder doch einen Arzt aufzusuchen. Wenn dieser dann etwas verschreibt, ist sie wiederum Ansprechpartnerin und erklärt, worum es sich bei Medizin oder Diagnose handelt.

Unendlich viele Fragen

«Ich als Pfarrpersonen möchte offen sein für alle Menschen, die ein Anliegen haben und die Unterstützung brauchen», sagt Meier. Am Sonntagabend ist die Stube von Familie Meier häufig offen für die Asylsuchenden. «Am Anfang hatten sie unendlich viele Fragen», sagt die Pfarrerin schmunzelnd. «Beispielsweise, wieso wir so viele Bücher haben, wie die Beziehung zwischen Mann und Frau in der Schweiz ist oder auch ganz Praktisches zu Arbeitsverträgen.» Solche Dinge seien der Kern der Integration: «Oft müssen wir Deutsch zu Deutsch vermitteln.»

Gerade, wenn es um amtliche Dokumente geht, kommt das ganze Ausmass des kulturellen Unterschieds zwischen der Schweiz und Afghanistan zum Vorschein. Reglemente, Richtlinien Lohnausweise, Papiere für alles; das überfordere schon manchen Einheimischen.

Der Werdegang von Olughbeg und Khaled

Auch das Ausbildungssystem ist ein ganz anderes. Das zeigt sich am Beispiel von Olughbeg. Er war in seiner Heimat als Bäcker tätig gewesen; gelernt habe er das vom Zuschauen. Als er mit einem Betreuer in Seengen unterwegs war und eine Bäckerei sah, wollte er unbedingt dort arbeiten.

Der Betreuer und weitere Freiwilligen fragten beim Bäcker und für andere Asylsuchende bei weiteren Betrieben an, ob sie den jungen Männern Praktika anbieten würden. Fest angestellt werden durften sie damals mit ihrem Status noch nicht. Olughbeg konnte schon wenige Wochen nach seiner Ankunft im Seetal seine Schnupperstelle antreten. Daraus wurde später eine Lehre EBA. Er hat die EFZ-Lehre angehängt und arbeitet nun fest angestellt in seinem Lehrbetrieb in Seengen.

Schwieriger war es für den 27-jährigen Khaled. In Afghanistan besuchte er nur wenige Jahre die Schule. In der Schweiz lernte er nicht nur Deutsch zu sprechen, zu lesen und zu schreiben, sondern schrieb auch erstmals in seiner eigenen Sprache Persisch.

Er arbeitete als Küchenhilfe eines Altersheims, zögerte aber lange, eine Ausbildung zu machen. «Ich hatte etwas Angst vor der Schule», sagt er, denn Unterricht, wie er hierzulande geführt wird, kannte er nicht. Das Integrationsteam und der Arbeitgeber haben ihn aber motiviert und im Sommer begann er die Lehre EBA zum Koch im Altersheim.

Beide sind der Betreuung durch die Kirchgemeinde sehr dankbar, Seengen ist ihre zweite Heimat geworden. Nur manchmal hätten sie noch Heimweh und seien traurig, besonders, wenn sie die aktuellen Nachrichten aus Afghanistan sehen.

Teil der Familien geworden

Das Integrationsteam hat mit seinen Schützlingen viel erreicht. Alleine in Seengen sind neun Männer in Betrieben angestellt. Für die Asylsuchenden bedeutet das aber nicht, dass sie nun alleine dastehen, wenn sie mit dem Asylstatus B selbstständig sind. Die 20 Männer, die damals nach Seengen kamen, sind inzwischen fester Teil einer Gemeinschaft geworden. «Sie brauchen weiterhin Unterstützung und die werden wir ihnen auch bieten», sagt Meier. Sei es beim Papierkram mit den Behörden, bei Unsicherheiten in der Schule oder aber, wenn das Heimweh sie übermannt.



Kanton übernimmt kommunale Betreuung nicht mehr

Die Gemeinden kommen im Asylbereich ins Spiel, wenn das Asylverfahren mit einer vorläufigen Aufnahme (Ausweis F) abgeschlossen ist. Die Personen werden in Gemeindeunterkünften platziert und vor Ort betreut. Dies entweder durch Mitarbeitende der Gemeinde, durch spezialisierte Firmen oder eben, wie in Seengen, von Freiwilligen.

Auch möglich war bisher, dass der Kantonale Sozialdienst die Betreuung in kommunalen Asylunterkünften unternimmt. Das war bei 43 Gemeinden der Fall, unter anderem Schafisheim. Per Juni 2022 werden diese Mandate aber aufgelöst, Schafisheim etwa sucht deshalb nun eine Betreuungsperson. (ewa)
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/lenzburg/reformierte-kirche-20-afghanen-kamen-vor-sechs-jahren-nach-seengen-mit-der-hilfe-von-freiwilligen-haben-sie-sich-gut-integriert-ld.2224954)


+++BASEL
derbund.ch 18.12.2021

Porträt einer ehemaligen Sans-Papiers: Die Angst war ihr ständiger Begleiter – jetzt fühlt sie sich frei

Maria Largo Vargas hielt sich zehn Jahre illegal in der Schweiz auf. Dann war sie unter den Ersten, die ihren Status mit einer Lehrstelle legalisieren konnten. Wie geht es ihr heute?

Simone Rau

Der grösste Unterschied ist die Angst. Sie ist weg.

An der Tür ihrer Wohnung im Basler Gundeliquartier steht ihr richtiger Name. Ihre Telefonnummer läuft nicht mehr auf eine Bekannte, sondern auf sie. Kommt sie im Bus in eine Billettkontrolle, zeigt sie ihren eigenen Ausweis. Mit ihrem richtigen Namen: Maria Largo Vargas.

«Die Angst hat mich geprägt», sagt die 24-Jährige. «Sie war ständig und überall da, egal, wo ich war, egal, was ich tat. Nicht zu wissen, ob die Polizei uns irgendwann findet – es war schrecklich.» Wir sitzen in Largo Vargas’ liebevoll eingerichteter 2,5-Zimmer-Wohnung in Basel, wo sie mit ihrem Freund Julian seit gut zwei Jahren lebt. 2017 hat sich das Paar kennen gelernt, 2019 zog es zusammen – «es hat recht gepasst zwischen uns», sagt sie und lacht.

Maria Largo Vargas ist Kolumbianerin, gelernte Dentalassistentin, in Ausbildung zur Radiologiefachfrau an einem grossen Spital – und sie ist eine ehemalige Sans-Papiers. Mit fünf kam sie mit ihrer Mutter aus Venezuela, wo sie ihre ersten Lebensjahre verbrachte, nach Basel. Hier lebte bereits eine Grosstante – illegal. Auch die beiden Neuankömmlinge hatten keine Aufenthaltsbewilligung in Aussicht. Stattdessen die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Kaum jemand wusste Bescheid

Zehn Jahre später, da war Maria Largo Vargas 15 Jahre alt, porträtierte diese Zeitung sie unter einem anderen Namen. Die junge Frau lebte noch immer illegal in der Schweiz. Und damit in ständiger Angst. Niemand in ihrer Schulklasse wusste um ihre fehlende Aufenthaltsbewilligung – und auch sonst praktisch niemand. Der Titel des Porträts aus dem Jahr 2013: «Die Unsichtbare».

Der Name an ihrer Basler Wohnungstür gehörte einer Bekannten, die die Wohnung gemietet hatte, um Maria und ihrer Mutter zu helfen. Auch das Handyabo lief auf den Namen einer Person, die Bescheid wusste. Krankenkasse? Fitnessabo? Hatte Maria Largo Vargas sogar unter ihrem eigenen Namen. Nur eines gab es in ihrem Leben nicht: Sicherheit.

«Es ist sehr schwierig», sagte die damals 15-Jährige mir, der Journalistin. Und: «Es macht mich megahässig.» Es – damit meinte die Schülerin, dass sie nicht mit ihren Klassenkameraden zum Mittagessen ins nahe Deutschland fahren konnte. Dass sie in den Ferien gern in den Europapark nach Rust gefahren wäre, überhaupt ins Ausland, aber nicht konnte. Dass sie stattdessen lügen musste. Keine Lust, sagte sie den Schulfreunden. Kein Geld. Meine Mutter erlaubt es mir nicht.

Zu gross war Maria Largo Vargas’ Angst, in eine Kontrolle zu geraten. Aufzufliegen. Sie hatte es sich angewöhnt, in Basel stets das Verkehrsabo auf sich zu tragen. Wenn sie es trotzdem einmal vergessen sollte, vergass sie nicht: den Namen ihrer Freundin, der sie ähnlich sah, deren Geburtsdatum und Adresse. Im Notfall, hatten die Eltern der Freundin gesagt, darfst du den Beamten den Namen unserer Tochter angeben. Einmal musste die Jugendliche davon Gebrauch machen.

Sie erinnert sich noch heute daran.

«Waschechte Schweizer»

Maria Largo Vargas hat Kaffee gekocht und Apfelkuchen gebacken für die Journalistin, die sie nach fast neun Jahren wiedertrifft. Sie zeigt ihr das Wohnzimmer («ich mag Vintage»), das Schlafzimmer («leider sehr eng»), die Küche («den Thermomix habe ich dank einer Bekannten viel günstiger bekommen»), den Balkon. Sie verbringt viel Zeit zu Hause, mag es gemütlich. «Ich schlafe megagern. Manchmal spiele ich Klavier, oft lerne ich. Und wir laden Freunde zum Essen ein. Das konnte ich früher nie.»

Sie lacht nun auffallend viel. Viel öfter als vor neun Jahren. Es passe immer noch zwischen ihr und Julian, sagt sie und lacht erneut, er gefalle ihr sehr. «Und seine ganze Familie kann Spanisch, obwohl sie alle waschechte Schweizer sind. Das ist schön.»

Sie geht auch gern raus, essen, trinken, Freunde treffen, vor allem im Sommer – «da bin ich ein anderer Mensch», sagt sie. «Mit 15 wollte ich so gern in den Europapark! Habe ich Ihnen das damals erzählt?»

Vieles vergessen und verdrängt

Von ihrer Zeit als Sans-Papiers habe sie sehr viel vergessen und verdrängt, sagt sie mehrmals im Gespräch. Vor allem ihre Gefühle. Aus Selbstschutz. Um vorwärtszuschauen, in die Zukunft. «Manchmal fühle ich immer noch Scham, wenn ich zurückblicke. Obwohl ich weiss, dass ein Leben als Sans-Papiers nichts ist, wofür ich mich schämen muss. Nochmals an die Öffentlichkeit zu gehen, jetzt mit richtigem Namen, ist ein grosser Schritt für mich.»

Ein grosser Schritt war auch der, zu dem sie sich gut ein halbes Jahr nach dem ersten Treffen mit der Journalistin entschied. Seit dem 1. Februar 2013 können jugendliche Sans-Papiers in der Schweiz für die Dauer einer Berufslehre eine Aufenthaltsbewilligung erhalten, wenn sie gut integriert sind, in der Schweiz mindestens fünf Jahre die Schule besucht haben und nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. All das traf auf die 15-Jährige zu.

Auch eine Lehrstelle als Dentalassistentin hatte sie bereits auf sicher – eine weitere Voraussetzung, um das Gesuch um Aufenthaltsbewilligung überhaupt stellen zu können. Sie hatte bei einer Zahnärztin geschnuppert und die Stelle erhalten. Dennoch war das Gesuch ein grosses Risiko für Largo Vargas: Seine Ablehnung durch das Staatssekretariat für Migration (SEM), überhaupt das Heraustreten aus der Anonymität, hätte die unwiderrufliche Wegweisung aus der Schweiz bedeuten können. Doch sie hatte Glück: Ihr Gesuch wurde vom SEM Ende Oktober 2013 bewilligt. Seither lebt Maria Largo Vargas legal in der Schweiz, ebenso ihre Mutter und ihr kleiner Bruder, der 2010 zur Welt kam.

Endlich fühlen sie sich sicher. Endlich fühlen sie sich frei.

Genau eine Chance bekommen

Nach ihrer Lehre als Dentalassistentin – Maria Largo Vargas schliesst sie 2018 erfolgreich ab – folgen zwei Jahre in einer anderen Zahnarztpraxis. Doch wirklich glücklich wird sie in ihrem Beruf nicht. Sie merkt: Während ihr Freund Julian und all ihre Schweizer Freundinnen als Jugendliche in verschiedenen Berufen und bei unterschiedlichen Lehrmeistern schnupperten, hatte sie genau eine Chance an einem Ort bekommen – bei der Bekannten ihrer Mutter, die als Zahnärztin arbeitete.

Sie sei noch immer dankbar für die Chance, die sie damals erhalten habe, betont Maria Largo Vargas. Doch wirklich eine Wahl gehabt habe sie als Sans-Papiers ohne Aufenthaltsbewilligung nie. «Ich musste die Lehrstelle nehmen, die sich mir anbot. Das fand ich damals sehr unfair. Auch hatte ich ständig das Gefühl, für alles kämpfen, mich beweisen zu müssen, während meine Freunde mehr Möglichkeiten und Unterstützung hatten. Das war extrem anstrengend.» Fast die ganze Schulzeit hindurch sei sie sich dumm vorgekommen, blöder als die anderen, oft auch: weniger wert. Das habe auch mit der deutschen Sprache zu tun gehabt – und ihren Schwierigkeiten damit.

Mehrfach im Gespräch weist sie – in breitem, absolut fehlerfreiem Baseldeutsch – darauf hin, dass ihr Deutsch noch immer nicht gut genug sei. Auf den Widerspruch angesprochen, sagt sie einen ganzen Moment lang nichts. Und dann: «Das ist mein Kampf jetzt: Ich muss mir mehr zutrauen. An Selbstbewusstsein zulegen. Viele sagen mir, ich könne es ja – nicht nur Deutsch, sondern auch sonst ganz vieles. Aber ich selber glaube nicht immer daran, habe immer noch eine gewisse Unsicherheit in mir drin. Das hat wohl auch mit der Angst zu tun, mit der ich so lange leben musste.»

Endlich ergreift sie ihren Traumberuf

Dass Maria Largo Vargas viel kann, beweist sie nicht zuletzt durch ihre Arbeit. Zwei Jahre nach ihrem Lehrabschluss als Dentalassistentin begann sie eine dreijährige Ausbildung zur Diplomierten Radiologiefachfrau HF an einem grossen Spital. Diese besteht zum einen aus praktischer Tätigkeit, zum anderen aus Theorieblöcken am BZG Bildungszentrum Gesundheit Basel-Stadt.

Ihr Wohnzimmer ist tapeziert mit A3-grossen Plakaten, darauf anatomische Zeichnungen und fein säuberliche Notizen in diversen Farben. Auf diese Weise kann sie sich den Lernstoff am besten einprägen. «Wissen Sie, ich hatte in der Schule nie die besten Noten. In der Lehre ging dann plötzlich der Knopf auf. Jetzt, mit 24, kann ich endlich die Ausbildung machen, die ich will. Die ich ausgewählt habe. Die mir gefällt. Und damit all die Chancen nützen, die die Schweiz mir bietet.»

Die Ausbildungsstellen am Spital sind begehrt, das weiss Maria Largo Vargas. Sie hat eine der wenigen Stellen ergattert. Macht sie das stolz? Sie schüttelt erst den Kopf, nein, nein, eigentlich nicht so, nein, deutet sie an. Dann hält sie einen Moment inne. Sagt schliesslich: «Es ist nicht so, dass ich damit angebe. Es ist einfach so. Insgeheim macht mich das schon stolz.»

Stolz ist auch ihre Mutter Damaris Vargas. «Obwohl es für uns beide lange sehr schwierig war, hat Maria ihre Ziele immer verfolgt», schreibt sie per Mail auf Spanisch. Die Zukunft zu sehen, die sich ihre Tochter aufbaue, erfülle sie mit grosser Freude. «Ich habe das Gefühl, dass sich alles, was wir zu bewältigen hatten, absolut gelohnt hat.»

Auch ihr selbst gehe es viel besser, schreibt Damaris Vargas. Seit sie legal hier lebten, sei sie ruhiger, erfüllter, glücklicher – und sowohl mental als auch finanziell stabiler.

Mit Menschen arbeiten – und doch nicht zu nahe

Am Beruf der Radiologiefachfrau gefällt Maria Largo Vargas, dass sie nahe am Menschen arbeitet – und gleichzeitig doch etwas Abstand bewahren kann. Die Pflege etwa wäre nichts für sie. Die Lebensgeschichten der Patienten gehen ihr nahe – zu nahe. Auch die Vielfalt am Beruf der Radiologiefachfrau fasziniert sie – von Röntgenuntersuchungen über Radioonkologie bis zu Nuklearmedizin ist alles dabei. Und wenn sie ihre Ausbildung im Sommer 2023 abschliesst, wird sie mehr verdienen als einst als Dentalassistentin.

Das beruhigt sie, auch wenn es bis dahin noch «ziemlich lang» geht, wie Maria Largo Vargas sagt. Das Thema Geld ist mit Abstand das schwierigste in ihrem neuen Leben. Mit dem einstigen Lohn als Dentalassistentin von 3800 Franken brutto konnte sie nur wenig zur Seite legen – jetzt verdient sie am Spital als Auszubildende 1200 Franken pro Monat. Das Stipendium, das ihr im ersten Studienjahr noch gewährt wurde, bekommt sie nicht mehr. Der Grund: Sie und Julian gelten als Konkubinatspaar, und auch ihre Mutter – sie putzt seit ihrer Ankunft in der Schweiz in Privathaushalten – könne sie finanziell unterstützen, so die Begründung der Behörden.

«Der Entscheid hat mich sehr getroffen», sagt Maria Largo Vargas. «Julian ist jünger als ich und erst seit zwei Jahren mit der Lehre fertig! Er soll doch nicht für mich aufkommen müssen. Ich will finanziell unabhängig sein!» Das will auch ihr Partner, der als Fachmann Betriebsunterhalt arbeitet. Geld zur Seite legen kann das Paar momentan nicht. Das macht Largo Vargas Sorgen. Vor allem aber fühlt sie sich von den Behörden ungerecht behandelt – ein Gefühl, das sie nur allzu gut kennt.

Die schwierigen Jahre in der Illegalität haben Maria Largo Vargas sehr früh selbstständig werden lassen. Oder wie sie es selbst formuliert: «Ich hatte eine Barriere in der Schule, dafür eine Ahnung vom Leben. Bei meinen Freunden war es genau andersherum. Sie werden erst jetzt, Anfang 20, erwachsen.»

Seit Februar 2019 besitzt die Kolumbianerin statt der Aufenthaltsbewilligung B sogar die Niederlassungsbewilligung C. Ab Ende 2022 kann sie den Schweizer Pass beantragen, wenn sie will. Sie will. Er würde ihr das Leben noch einmal erleichtern. Sie endgültig zur Ruhe kommen lassen.

Für die Zukunft wünscht sie sich vor allem eines: Sicherheit. Dass sie nach der Ausbildung eine Stelle findet, die ihr gefällt und sie ohne Sorgen leben lässt. Dass sie ihren Koffer packen und in die Welt hinausreisen kann. Sie möchte nach England, Südafrika, Hawaii, natürlich auch nach Südamerika, die Heimat ihrer Eltern. «Und mit Julian einen Roadtrip durch die USA machen! Das ist unser Traum!»

«Das Beste, was meine Mutter machen konnte»

Als Nächstes reist Maria Largo Vargas aber erst einmal nach Barcelona. Ihr Vater, der in Venezuela lebte und mit dem sie über all die Jahre Kontakt hielt, will sich dort seit ein paar Wochen ein neues Leben aufbauen. Ausgewandert mit viel Hoffnung im Gepäck, auch er.

Das Wissen, ihre Familienangehörigen jederzeit besuchen zu können, sei neben der fehlenden Angst der grösste Unterschied zu ihrem früheren Leben, sagt Maria Largo Vargas. In Venezuela zurückgeblieben sind zwei jüngere Halbgeschwister aus der zweiten Ehe ihres Vaters. Er wünscht sich, sie wenn irgendwie möglich dereinst nach Spanien nachzuholen.

Kann sich die 24-Jährige noch an den Moment erinnern, als sie mit fünf Jahren in die Schweiz kam? Nein, winkt Maria Largo Vargas ab, viel zu lange her. «Aber eigentlich ist es das Beste, was meine Mutter machen konnte.»



Eine Chance mit Risiken

Seit dem 1. Februar 2013 können jugendliche Sans-Papiers in der Schweiz eine Berufslehre absolvieren, wenn sie gut integriert sind, also eine Landessprache beherrschen, und noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Zudem müssen sie mindestens fünf Jahre lang die Schule in der Schweiz besucht haben. Auch Brückenangebote wie das zehnte Schuljahr zählen. Das Gesuch um Aufenthaltsbewilligung muss spätestens ein Jahr nach Schulabschluss beim kantonalen Migrationsamt eingereicht werden. Bei Gutheissen übergibt es dieses ans Staatssekretariat für Migration (SEM).

Bei der Einführung der neuen Regelung im Jahr 2013 rechnete der Bund mit jährlich 200 bis 300 Gesuchen von Jugendlichen. Geworden sind es bis Ende Oktober 2021 insgesamt 87 bewilligte Gesuche – also deutlich weniger als vom Bund prognostiziert. Das erkläre sich vornehmlich dadurch, dass jugendliche Sans-Papiers «selten allein in der Schweiz leben und grundsätzlich von Eltern und Geschwistern begleitet» würden, sagt SEM-Sprecher Lukas Rieder. Stelle sich die Frage einer möglichen Berufslehre, erfülle die restliche Familie die Kriterien für ein Härtefallgesuch. «Die jungen Ausländerinnen und Ausländer werden in diesem Fall in das Härtefallgesuch der ganzen Familie einbezogen und nicht individuell als Lernende geregelt.»

Ganz anders beurteilt die geringe Zahl der Gesuche die Eidgenössische Migrationskommission. «Das Auseinanderklaffen von potenziellen und tatsächlich eingereichten Gesuchen zeigt, dass die Hürden der Verordnungsbestimmung zu hoch sind und es langfristig eine neue Lösung braucht», schreibt sie auf ihrer Website.

Auch Katharina Boerlin, Co-Leiterin der Anlaufstelle für Sans-Papiers Basel, betont die «sehr hohen Hürden» für ein Lehrstellen-Härtefallgesuch. «Für uns ist es offensichtlich, warum man nicht auf mehr Gesuche kommt. Damit eine Jugendliche ein solches stellen kann, muss die Zusage für eine Lehrstelle vorliegen. Das bedingt, dass der Lehrbetrieb zur Sans-Papiers steht und das Verfahren sowie den administrativen Aufwand auf sich nimmt.» Auch die Befristung der Aufenthaltsbewilligung auf die Dauer der Lehre sei ein Nachteil der Regelung. «Eigentlich sollten alle, die es schaffen, eine Lehrstelle zu bekommen, automatisch eine Aufenthaltsbewilligung erhalten und nicht darum kämpfen müssen», sagt Boerlin. Sie bewiesen durch die Zusage ja gerade, wie gut integriert sie seien.

Eine im Auftrag des SEM durchgeführte Experten-Schätzung ging 2015 von zwischen 50’000 und 99’000 Personen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in der Schweiz aus. Die Bezeichnung «Sans-Papiers» verweist auf die nicht vorhandene Aufenthaltsbewilligung und nicht – wie oft angenommen – auf das Fehlen heimatlicher Identitätsdokumente. (sir)
(https://www.derbund.ch/die-angst-war-ihr-staendiger-begleiter-jetzt-fuehlt-sie-sich-frei-622555262895)


+++GASSE
aargauerzeitung.ch 18.06.12.2021

Baden – Notschlafstelle: Wer übernimmt die Kosten, damit Obdachlose hier unterkommen können?

Der dreijährige Pilotbetrieb der einzigen Übernachtungsmöglichkeit für Menschen ohne Obdach im Aargau endet im September 2022. Getragen wird der Betrieb im Moment noch grösstenteils von den beiden Landeskirchen. Ein Vorstoss beim Kanton, die Finanzierung längerfristig sicherzustellen, verzögert sich.

Claudia Laube

Wenn die Nächte kalt sind, ist ein wärmendes Zuhause umso wertvoller. Doch nicht alle haben ein Dach über dem Kopf, wie die aktuelle Belegung in der einzigen Notschlafstelle im Aargau zeigt. In den vergangenen Wochen stiess sie erstmals an ihre Grenzen und war an einigen Nächten ausgebucht.

Von Obdachlosigkeit betroffen sind meist Menschen mit psychischen Krankheiten und Suchtproblemen. Gegen einen Fünfliber pro Nacht erhalten sie in der Badener Altstadt nicht nur ein Bett, sondern auch etwas zu essen. Bleiben sie länger, können sie von der Notpension am selben Ort und weiteren niederschwelligen Angeboten des Christlichen Sozialwerks Hope profitieren.

Dieses betreibt das Projekt seit September 2019 im Auftrag des Vereins Notschlafstelle Aargau. Von den insgesamt 13 Betten dürfen sechs für maximal zwei Monate genutzt werden, für die anderen ist die Bleibedauer unbefristet. Die dürfen aber erst belegt werden, wenn die Sozialdienste der Gemeinden, in denen die Obdachlosen noch gemeldet sind, die Finanzierung übernehmen. Die Abklärungen für Kostengutsprachen übernimmt das Hope, das allein für die Notpension verantwortlich ist.

Kanton prüft Finanzierung über Suchthilfe

Der Verein Notschlafstelle Aargau hat mit dem Sozialwerk eine Leistungsvereinbarung für drei Jahre Pilotbetrieb abgeschlossen. Das Präsidium des Vereins hat seit der Gründung die Katholische Landeskirche inne.

Zum Vorstand gehören zudem die Reformierte Kirche Baden sowie das Beratungszentrum BZBplus Baden. Das Budget liegt bei rund 200’000 Franken pro Jahr. Die Hauptbeiträge liefern die beiden Landeskirchen. Der Swisslos-Fonds hat eine Anschubfinanzierung gewährt, weitere Stiftungen und Fonds, aber auch Einzelspenden finanzieren den Betrieb.

Wie es nach September 2022 weitergeht, steht aber noch in den Sternen. Um das Angebot im Aargau zu verankern und die Finanzierung längerfristig über den Kanton zu sichern, haben im vergangenen Jahr partei- und bezirksübergreifend sechs Grossratsmitglieder ein Postulat eingereicht. Dazu gehören die Badener Stadträtin Regula Dell’Anno (SP) sowie aus Wettingen Lea Schmidmeister (SP) und Lutz Fischer-Lamprecht (EVP).

Sie schrieben im Vorstoss, dass das Angebot kostengünstig betrieben werden kann. Dies auch, weil die Notschlafstelle durch die Notpension quasi mitfinanziert werde, da Miet- und Lohnkosten geteilt werden. Die Postulanten wiesen ebenso auf die Erfahrungen in den vergangenen Jahren hin, die zeigen würden, dass die Bereitschaft der Gemeinden, einen finanziellen Beitrag zu leisten, sehr gering sei. Auch deshalb sei es notwendig, dass der Betrieb über den Kanton finanziert werde.

Der Regierungsrat nahm das Postulat entgegen und erklärte eine Kostenübernahme durch den Kanton für grundsätzlich möglich, weil die Nachfrage gegeben scheine. Die Notschlafstelle könne als Schadensminderung betrachtet werden und dazu beitragen, «den Gesundheitszustand der Betroffenen zu verbessern, eine soziale Integration zu erleichtern oder Überlebenshilfe zu bieten».

Zwei von drei im Vorstoss gemachten Lösungsvorschlägen zur Finanzierung wurden von Beginn an nicht weiterverfolgt. Der Regierungsrat kündigte jedoch an, eine Kostenübernahme über die Suchthilfe zu prüfen und eine Analyse durchzuführen, die zeigen solle, welche finanziellen Mittel benötigt werden. Dies werde bis 2021 vorliegen.

Jedoch: «Die Arbeiten zur Analyse haben sich aufwendiger als erwartet gestaltet. Der Zeitpunkt des Abschlusses steht zurzeit noch nicht fest», wie Michel Hassler, Leiter Kommunikation beim Departement für Gesundheit und Soziales, mitteilt.

Für den Verein Notschlafstelle eine unangenehme Situation. Dieser klärt aktuell weitere Finanzierungsmöglichkeiten ab, um zumindest ein Jahr länger finanzielle Sicherheit zu haben. Präsidentin Susanne Muth: «Wir werden einen Antrag bei Swisslos einreichen und hoffen, dass der Fonds für ein weiteres Jahr einen Beitrag sprechen kann, auch wenn er normalerweise keine Folgefinanzierungen übernimmt.»

Zudem seien weitere grössere Stiftungen für Spenden angefragt worden. Die involvierten Kirchen hätten bereits grössere Beiträge für ein weiteres Jahr zugesichert. Längerfristig könne man nicht damit rechnen. «Sollte sich der Kanton entscheiden, die Notschlafstelle nicht zu unterstützen, dann wissen wir nicht, wie es weitergehen soll», sagt Muth.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/baden/baden-ungewisse-zukunft-weitere-finanzierung-der-notschlafstelle-ist-noch-unklar-ld.2228703)


++++DEMO/AKTION/REPRESSION
Demonstranten legen Innenstadt lahm
Einige Dutzend Demonstranten versammelten sich um 16 Uhr auf dem Basler Theaterplatz und zogen anschliessend durch die Innenstadt. Unter Sprechchören wie «Say it loud, say it clear, refugees are welcome here» forderten sie eine humane Flüchtlingspolitik in Europa. Die Protestierenden kritisierten die «menschenverachtenden Zustände» an der polnisch-belarussischen Grenze, die dort seit Wochen herrschten.
Zur unbewilligten Kundgebung hatten linke Kreise aufgerufen. Der Zug machte unter anderem am Barfüsser- oder Marktplatz halt und zog auch am Spiegelhof vorbei. Dort ist das Justiz- und Sicherheitsdepartement untergebracht. Über die Mittlere Brücke verschob sich die Demonstration ins Kleinbasel.
Der Protestmarsch blockierte den Tram- und Busverkehr der Basler Verkehrsbetriebe (BVB) und der Baselland Transport AG (BLT). Wie die BVB meldeten, war das ganze Netz bis um 17.40 Uhr von den Verspätungen betroffen.
(https://www.bazonline.ch/vogelgrippe-breitet-sich-in-loerrach-aus-177714431135)
-> Demoaufruf: https://barrikade.info/article/4905


Ausschaffungsgefängnis: Demonstration gegen Ausschaffungen in Wauwil
Am Samstag protestierten Menschen vor der Justizvollzugsanstalt Wauwilermoos, um ein Zeichen gegen Ausschaffungen zu setzen. Die Demonstranten kritisieren, dass hinter Ausschaffungen ein «rassistisches System» stünde.
https://www.zentralplus.ch/demonstration-gegen-ausschaffungen-in-wauwil-2260621/
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/demonstration-gegen-ausschaffungen-144770099
-> Demoaufruf: https://barrikade.info/article/4910
-> https://resolut.noblogs.org/post/2021/12/13/kein-mensch-ist-illegal-schluss-mit-ausschaffungen/


Am Berner Hauptbahnhof: Klima-Demonstranten blockieren UBS-Filiale und ziehen wieder ab
Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen haben den Eingang einer Berner UBS-Filiale kurzfristig blockiert. Verantwortlich für die Aktion waren Extinction Rebellion und Klimastreik Bern.
https://www.20min.ch/story/klima-demonstranten-blockieren-ubs-filiale-und-ziehen-wieder-ab-551829493884
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/klima-aktivisten-blockieren-ubs-filiale-am-bahnhof-bern-66069776


Anzeige gegen Basler Polizei: «Jetzt schau, was abgeht, Steine fliegen»
Hat die Basler Kantonspolizei die Lage an der «Nazifrei»-Demo im November 2018 mit Gummischrot-Einsatz absichtlich zur Eskalation gebracht und dies danach vertuscht? Das soll nun ermittelt werden.
https://www.20min.ch/story/jetzt-schau-was-abgeht-steine-fliegen-422466806235


+++KNAST
Strafanstalt Gmünden, Niederteufen AR: Insasse beschwert sich über «katastrophale» Gefängnisküche
Laut einem Insassen der offenen Strafanstalt Gmünden in Niederteufen AR ist das Essen eine Zumutung, einige Häftlinge seien bereits in Hungerstreik getreten. Die Kantonskanzlei Appenzell Ausserrhoden weist die Vorwürfe zurück.
https://www.20min.ch/story/insasse-beschwert-sich-ueber-katastrophale-gefaengniskueche-536152719367


+++FRAUEN/QUEER
«Ich wollte meine Homosexualität 10 Jahre lang ‹wegtherapieren›»
Renato ist Christ und dachte lange, seine Anziehung zu Männern sei eine Sünde. Im Alter von 17 Jahren wollte er sich mit der Hilfe eines Psychologen «umpolen». Zehn Jahre später und einige Tausend Franken ärmer sah er ein, dass die Homosexualität ein Teil von ihm ist.
https://www.20min.ch/story/ich-wollte-meine-homosexualitaet-10-jahre-lang-wegtherapieren-595101855699


+++RECHTSEXTREMISMUS
Diese Neonazi-Frau hat den Sicherheitsdienst der Massnahmengegner*innen aufgezogen
Sandra Pesch-Ebert, die Frau von Jarno Ebert, dem bekannten Deutschen Neonazi mit Niederlassung im Kt Luzern gleist seit dem Sommer ’21 einen Sicherheitsdienst der Massnahmengegner*innen auf. Dieser soll die nationalistischen Demonstrationen vor “der Antifa” schützen. Die neue Männergruppe “WG”, welche aus dieser Überlegung heraus entstand, wurde anfangs u.a. von ihr koordiniert.
https://barrikade.info/article/4913


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Nach Corona-Demo in Bern: Polizei muss beim Bundesplatz einschreiten
Nachdem am Samstagnachmittag eine unbewilligte, aber friedliche Kundgebung gegen die Corona-Politik des Bundesrates stattgefunden hatte, kam es beim Bundesplatz zu einem Zwischenfall. Die Polizei führte mehrere Personen ab.
https://www.derbund.ch/massnahmengegner-rufen-zur-kundgebung-auf-890708916465
-> https://www.derbund.ch/massnahmengegner-rufen-zur-kundgebung-auf-890708916465
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/massnahmen-kritiker-demonstrieren-in-bern-gegen-verschaerfungen-144770228
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/2g-protest-in-bern-rund-300-demonstrieren-ohne-bewilligung-144769819
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/demonstration-gegen-coronamassnahmen-des-bundes-144770039
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/nach-verscharfungen-skeptiker-demonstrieren-in-bern-66069951
-> https://twitter.com/farbundbeton/status/1472155626281357317
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/farbundbeton
-> https://twitter.com/leckerbisse
-> https://twitter.com/PoliceBern
-> https://twitter.com/BERNMOBIL



derbund.ch 18.12.2021

Angriff auf Grossratssitze: Bern wird zum Lackmustest für impfskeptische Politiker

Die Gegner des Covid-19-Gesetzes wollen in den Nationalrat. Als Testlauf kandidieren sie bei den Berner Kantonswahlen.

Calum MacKenzie

Nach der verlorenen Abstimmung geben die Gegner der Corona-Massnahmen nicht auf: Mit einer neuen Gruppe, «Aufrecht Schweiz», will die Bewegung in die Parlamentspolitik einsteigen. Gestützt wird «Aufrecht Schweiz» von bekannten Verbänden wie den «Freunden der Verfassung». Der mittelfristige Plan ist es, bei den nationalen Wahlen 2023 anzutreten. Den ersten Lackmustest bilden aber die Wahlen in den bernischen Grossen Rat im März 2022. Die Gruppe plant auch eine Kandidatur für den Regierungsrat.

Geheime Treffen

Auf ihrer Website wirbt «Aufrecht Schweiz» um Leute, die «Menschenrechte stärken» wollen. Gelockt wird mit den Parlamentariern zustehenden Entschädigungen und Sitzungsgeldern, die der Aufruf detailliert auflistet. An einem geheimen Treffen in Biel konnten sich potenzielle Kandidierende diese Woche vorstellen. Der Anlass war auf Anmeldung für Sympathisanten offen, Medienschaffenden wurde die Teilnahme jedoch verwehrt. Die politisch zumeist unerfahrenen Interessenten sollten nicht abgeschreckt werden, erklärt Peter Eberhart, Vorstandsmitglied von «Aufrecht Schweiz».

Der Drogist Eberhart sass bereits für die SVP und die BDP im Kantonsparlament und ist der bisher einzige bestätigte Kandidat der Berner Sektion. Bei den letzten Wahlen scheiterte er mit einer eigenen Kleinpartei, während der Pandemie ist er in impfskeptischen Kreisen aktiv geworden. Die Kandidatensuche solle «seriös» verlaufen, so Eberhart. «Ich sage nicht, dass der Käfer kein Problem ist, er ist da», sagt er zu Sars-CoV-2. Allerdings steht Eberhart der Gruppe Aletheia nahe, die auf ihrer Website behauptet, es gebe keine «fundierten» Indizien für eine «wirkliche» Pandemie.

Eberhart beteuert, man grenze sich von Extremismus ab, wolle aber die Breite der skeptischen Bewegung abbilden. Dass diese sehr unterschiedliche Kräfte vereint, bereitet «Aufrecht Schweiz» offenbar Schwierigkeiten: Im Onlineauftritt ist das Programm vage gehalten, die Rede ist von «Verhältnismässigkeit» und «miteinander». Eberhart präzisiert, man fordere etwa mehr Gemeindeautonomie. Vorerst zeichne man sich mit dem Corona-Thema aus. «Wen sollen die 38 Prozent der Menschen wählen, die mit dem Abstimmungsresultat nicht zufrieden sind?», fragt er rhetorisch.

Sitzgewinn möglich

Kann diese Strategie aufgehen? Die Massnahmenkritik vermag immerhin viele Menschen zu mobilisieren, wie die regelmässigen Proteste in Bern dieses Jahr gezeigt haben. Mehrere Gemeinden – vor allem in von impfskeptischen Freikirchen geprägten Regionen – lehnten das Covid-19-Gesetz deutlich ab.

Für den Berner Politanalysten Mark Balsiger ist der Berner Jura das anschaulichste Beispiel. In jenem Verwaltungskreis stimmten fast 49 Prozent der Beteiligten gegen das Gesetz. «Bei Grossratswahlen brauchte man dort etwa acht Prozent der Stimmen, um einen Sitz zu holen», so Balsiger. Dennoch bedeute das nicht, dass «Aufrecht» vor einer tiefen Hürde stehe.

«Bei Abstimmungen ist die Frage binär: Ja oder Nein», sagt er. «Bei Wahlen hingegen stehen rund zehn verschiedene Listen zur Verfügung, die Konkurrenz ist gross.» Balsiger betont, dass es für den Grossen Rat primär um eine Listenwahl gehe. Also müsse «Aufrecht Schweiz» möglichst volle Listen zusammenbringen, «was auch für etablierte Parteien eine Herausforderung ist».

Letztlich werde der Erfolg der Gruppe von der «politischen Grosswetterlage» im März abhängen, sagt Balsiger – also ob die Pandemie weiterhin das dominante Thema sei. Er schliesst nicht aus, dass die Massnahmenkritiker «in mehreren Wahlkreisen» einen Sitz im Grossen Rat holen könnten. Für Balsiger nicht per se bedenklich: So würden sie weniger in eine Parallelwelt abtauchen. «Zentral ist, dass sie sichtbar sind. Dass ihre Verlautbarungen zuweilen schwer verdaubar sind, kann eine stabile Demokratie verkraften.»

SVPler umworben

Wem könnte «Aufrecht Schweiz» gefährlich werden? Laut Eberhart ist die Gruppe vor allem im Oberland breit aufgestellt – einer Hochburg der SVP. Die Partei übt regelmässig Kritik an den Massnahmen, geht aber vielen Skeptikern nicht weit genug. Der SVP-Grossrat Thomas Knutti aus der Simmentaler Gemeinde Därstetten macht sich jedoch wenig Sorgen. «Selbst hier sind überraschend viele geimpft», sagt er. Mit Massnahmenskepsis allein könne man nicht punkten. Einige SVPler in der Region seien von «Aufrecht Schweiz» als Kandidaten umworben worden, so Knutti. Er habe aber keine Kenntnis von Zusagen.

Ebenfalls angefragt wurde Simone Machado, die massnahmenkritische Berner Stadträtin (GaP). Sie hat abgelehnt. Die Kampagne um Eberhart sei «unredlich und unprofessionell», findet sie. «Die Gruppe ist eine leere Hülle, da gibt es keinen politischen Inhalt», sagt sie mit Bezug auf das unklare Wahlprogramm. «Kein Mensch wählt eine Blackbox.»
(https://www.derbund.ch/bern-wird-zum-lackmustest-fuer-impfskeptische-politiker-735787014260)



Kardinal Müller im Lotterbett mit den Verschwörungstheoretikern
Die Corona-Pandemie hat nicht nur die Politik und Medizin auf dem falschen Fuss erwischt, auch Kirchen und Glaubensgemeinschaften standen unvorbereitet da wie der Esel am Berg. Gott hat sie förmlich im Regen stehen lassen.
https://www.watson.ch/blogs/sektenblog/933716542-kardinal-mueller-im-lotterbett-mit-den-verschwoerungstheoretikern


Der Telegram-Dating-Kanal wird von Skeptiker- und Politprominenz genutzt: Jetzt gibts das Tinder für Ungeimpfte
Die Ungeimpften werden romantisch: Auf Telegram gibts den Kanal «Ungeimpfte Singles Schweiz». Darauf ist Prominenz wie SVP-Politiker Naveen Hofstetter, Corona-Skeptiker Robin Spiri und Hundetrainer Chrigi Rüegg zu finden – nicht alle Profile sind echt.
https://www.blick.ch/schweiz/der-telegram-dating-kanal-wird-von-skeptiker-und-politprominenz-genutzt-jetzt-gibts-das-tinder-fuer-ungeimpfte-id17079047.html


Coronavirus: Ungeimpfte Schweizer leben in Parallelwelt
In der Schweiz wollen einige nicht gegen das Coronavirus Geimpfte die Einschränkungen nicht in Kauf nehmen. Stattdessen erschaffen sie ein eigenes Universum.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-ungeimpfte-schweizer-leben-in-parallelwelt-66065774


Guests urged to be vaccinated at anti-vaxxer Robert F Kennedy Jr’s party
Kennedy said his wife, Cheryl Hines, was behind it and that he is ‘not always the boss at my own house’
https://www.theguardian.com/us-news/2021/dec/18/robert-f-kennedy-jr-cheryl-hines-party-vaccinated-guests


+++HISTORY
Der Mordprozess 1936 in Chur gegen David Frankfurter: “Die Bluttat von Davos”
Vor 85 Jahren verurteilte ein schweizerisches Gericht David Frankfurter wegen des Mordes an dem Nationalsozialisten Wilhelm Gustloff. Ein Prozess über einen politischen Mord, der selbst zum Politikum wurde, wie Sebastian Felz zeigt.
https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/prozess-chur-mord-gustloff-david-frankfurter-ns-drittes-reich/



derbund.ch 17.12.2021

Raubkunst-VerdachtsfälleIsraelitischer Gemeindebund lobt Kunstmuseum

Nach der Raubkunst-Rückgabe-Offensive verfolgt das Kunstmuseum Bern den moralisch-pragmatischen Weg weiter – während sich in Zürich der argumentative Notstand zuspitzt.

Michael Feller

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) lobt in seiner Stellungnahme das Kunstmuseum Bern für den «Paradigmenwechsel», den man mit der Annahme des Gurlitt-Erbes 2014 eingeläutet habe, und bezeichnete es als «Vorreiter für gerechte Lösungen». Der Paradigmenwechsel besteht darin, dass das Kunstmuseum auch bei «verfolgungsbedingtem Entzug» Lösungen anstrebe. Also dann, wenn Jüdinnen und Juden in der Zeit des Zweiten Weltkriegs in wirtschaftlicher Not – etwa durch Arbeitsverbot oder auf der Flucht – Bilder verkaufen mussten .

Vor einer Woche hat das Kunstmuseum Bern bekannt gegeben, dass es zwei Bilder aus der Gurlitt-Sammlung an die Erbinnen und Erben möglicher geschädigter jüdisch-deutscher Bürgerinnen und Bürger im Zweiten Weltkrieg zurückgeben wolle – obwohl der Raubkunstverdacht trotz intensiver Forschung nicht abschliessend geklärt werden konnte. Dass ein verfolgungsbedingter Entzug gemäss Kunstmuseum das «relativ wahrscheinlichste» Szenario war, genügte für die Restitution, also die Rückgabe der Bilder.

«Zweifelhaftes Geschichtsbewusstsein»

Auf der anderen Seite kritisierte der SIG am Donnerstag den anderen Schweizer Player, der wegen des Raubkunstthemas in den Fokus geraten ist, erneut scharf: Er attestierte der Stiftung der Sammlung Bührle «ein zweifelhaftes Geschichtsbewusstsein». Argumentativ falle sie hinter die Erkenntnisse der Bergier-Kommission zurück, die die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg untersucht hat. «Es ist unerlässlich, dass das Kunsthaus Zürich dem Beispiel des Berner Kunstmuseums folgt», schreibt der Gemeindebund in seiner Mitteilung.

Seit der Eröffnung des Zürcher Kunsthaus-Erweiterungsbaus im November, der die Sammlung des Waffenfabrikanten Emil Bührle (1890–1956) beheimatet, ist die Stiftung für eine zu zaghafte Provenienzforschung kritisiert worden. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass verfolgungsbedingter Entzug kein hinreichender Grund für eine Restitution von Bildern sei.

Dem Kunsthaus wird vorgeworfen, in einem Dokumentationsraum zur Ausstellung Bührles Werdegang beschönigend darzustellen und etwa die Verbindung zu rechten Verbünden oder Zwangsarbeit unter Bührle in Toggenburger Mädchenheimen zu verschweigen. Eine Recherche des «Beobachters» hatte dies vor einem halben Jahr aufgedeckt.

Auch auf die Stadt Zürich und ihre Präsidentin Corine Mauch prasselt Kritik nieder, weil sie der Bührle-Stiftung den Neubau hinstellte und es versäumte, dies mit Bedingungen zur Erforschung der Bilder unter Raubkunstverdacht zu verknüpfen. Jetzt hat die Stadt allerdings durchgesetzt, dass unabhängige Forschende die Bührle-Provenienzforschung prüfe.

Nerven liegen blank

Dass in Zürich die Nerven nach wie vor blankliegen, zeigte sich an der Medienkonferenz am Mittwoch in Zürich, an der Vertreter der Bührle-Stiftung und des Kunsthauses ihr Vorgehen mit langen Voten verteidigten – und bei kritischen Nachfragen bisweilen die Contenance verloren. Etwa, als Kunsthaus-Direktor Christoph Becker gefragt wurde, weshalb er – als Freund der Familie Bührle – selbst an der unkritischen Dokumentation zu Emil Bührle mitgearbeitet habe.

Derweil verfolgt das Kunstmuseum Bern weiterhin seine radikale Linie – zumindest beim Gurlitt-Konvolut. Für Bilder unter Raubkunstverdacht sucht das Museum nach Lösungen und geht auf mögliche Anspruchsteller zu, selbst dann, wenn sie keinen Anspruch auf ein Werk erhoben haben. Dies ist ein Novum in der Museumslandschaft. Das Museum gibt verdächtige Werke zurück – oder schafft sie aus dem Haus.

Die konsequente Linie der Museumsverantwortlichen wird gelobt, wobei die Motivation dafür nicht bloss moralische Integrität ist. Sie verfolgen einen harten finanzpolitischen Grundsatz: Wegen des Gurlitt-Erbes soll kein Defizit entstehen. Und dem Risiko teurer Auseinandersetzungen mit Anspruchstellern geht das Museum aus dem Weg. Deshalb war es 2014 sogar eine Bedingung für die Annahme des Gurlitt-Erbes, dass Deutschland Werke zurücknimmt, die sich nicht klären lassen.

Ziehen die Stiftungen mit?

Und so schafft das Kunstmuseum bald weitere Bilder aus dem Haus: Fünf ungeklärte Werke gehen definitiv zurück nach Deutschland, in die Kunstverwaltung der Bundesrepublik. Sie gehören dann Deutschland. 22 Werke, bei denen das Kunstmuseum noch Spuren sieht, die sich verfolgen lassen, werden im nächsten Jahr zunächst in Bern erforscht, falls es da keine Lösungen gibt in Form von Restitutionen, übergibt sie das Kunstmuseum ebenfalls Deutschland. Ende 2022 ist in jedem Fall klar, welche Bilder in Bern verbleiben und welche nicht.

Gleichzeitig muss das Kunstmuseum Bern die eigene Sammlung mit dem neuen hohen Level an Integrität abgleichen – und da wartet noch die eine oder andere Hürde, wie man aus dem Museum hört. Denn es gibt nicht nur eine Sammlung, die das Museum besitzt, sondern diverse Sammlungen, die zwar mit dem Haus assoziiert sind, aber anderen Kunststiftungen gehören. Hier wird sich erst noch zeigen müssen, ob alle mitzuziehen bereit sind.
(https://www.derbund.ch/israelitischer-gemeindebund-lobt-kunstmuseum-803310492424)