Frontex will Waffen tragen, ein Vater den Tod seines Kindes nicht still ertragen, die Schweiz keine Verantwortung für Geflüchtete tragen

Themen

– Neonazi im Kanton Zug wegen illegalem Waffenbesitz verurteilt
– Neue Gesundheitsbroschüre von „3 Rosen gegen Grenzen“
– Bilanz nach 5 Jahren: EU-Türkei-Deal ist gescheitert
– Alpha Oumar Bah stirbt bei dem Versuch, seiner Ausschaffung zu entkommen
– Europäische Geflüchtetenlager werden immer mehr zu Gefängnissen
– Frontex-Beamt*innen wollen ab Sommer 2021 Waffen tragen können
– Zypern errichtet neuen Grenzzaun
– Vater klagt gegen griechische Küstenwache, die seinen Sohn nicht vor dem Ertrinken rettete
– Schweiz wird nichts gegen das Sterben auf dem Mittelmeer unternehmen
– Ständerat befürwortet Reiseverbot für vorläufig Aufgenommene
– Trotz Protest duldet die Stadt St. Gallen «arische Kunst» in einem von ihr vermieteten Atelier
– Köpfe der Woche: Karin Keller-Sutter & Mario Gattiker
– Prozess wegen Polizeimord von 2016 findet diese Woche statt
– Werde Tandempartner*in beim Solinetz Zürich
– Aktion gegen Bundesasylzentrum bei Genfer Firma
– Unterstütze den Aufbau nachhaltiger Strukturen in Bihać

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Was ist neu?

Neonazi im Kanton Zug wegen illegalem Waffenbesitz verurteilt

Im August 2020 hob die Zuger Polizei ein illegales Waffenlager bei einem Neonazi aus. Letzte Woche wurde er nun verurteilt. Nach der Ansiedlung des deutschen Vereins Uniter, welcher Verbindungen zur Neonaziszene aufweist, steht der Kanton Zug erneut im Brennpunkt.

Maschinenpistolen, Sturmgewehre, Granaten- und Minenwerfer, Stichwaffen, ein SS-Helm und eine Hackenkreuznachbildung. Dies und weitere Waffen fand die Zuger Polizei bei der Erstürmung einer Wohnung im August letzten Jahres. Der Vorfall wurde medial aber erst letzte Woche durch einen Artikel von zentralplus.ch publik. Die Zuger Polizei teilte den Waffenfund selber nicht mit. Ob der Fall aus ermittlungstaktischen oder politisch-strategischen Gründen nicht öffentlich gemacht wurde, ist uns nicht bekannt. Ebenso wenig, zu welchem Zwecke die Waffen gelagert wurden. Waffenfunde bei Faschist*innen und Neonazis haben in den letzten Jahren aber besonders in Deutschland stark zugenommen. Und auch über die ausgedehnten freundschaftlichen, strategischen wie finanziellen Beziehungen zwischen den Szenen in der Schweiz und Deutschland ist viel bekannt.
zentralplus.ch schreibt: «Die Waffen stammen allesamt aus Deutschland, wo der Mann ursprünglich lebte. Er soll in jungen Jahren als Neonazi aufgefallen sein und Antifa-Demonstranten angegriffen haben.» Die Schusswaffen wurden beschlagnahmt. Der Minenwerfer wird laut rechtskräftigem Strafbefehl der Zuger Polizei «zur Verwendung nach eigenem Gutdünken» überlassen. Abgesehen von der Frage, für was die Polizei bitte einen Minenwerfer braucht, erscheint es uns absolut grotesk, dass die Polizei beschlagnahmte Waffen eines Neonazis für den eigenen Gebrauch einsetzt. Auch wenn nur eine Randnotiz, ist dies eine verstörende Pointe, wenn wir die ganzen aufgedeckten Verbindungen zwischen Sicherheitsbehörden und Neonaziszenen in diversen europäischen Ländern bedenken.
Mit einem solchen Beispiel war der Kanton Zug erst im letzten Jahr konfrontiert. Der deutsche Verein Uniter verlegte seinen Geschäftssitz nach Rotkreuz. Uniter-Mitglieder mit teils ranghohen Dienstgraden in Polizei und Militär sind durch faschistisches Gedankengut, Anschlagspläne, Todeslisten, etc. aufgefallen. Der Verein wird mittlerweile in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet. In der Schweiz sieht der NDB keinen Handlungsbedarf. Und auch der Zuger Regierungsrat und der allergrösste Teil der Politik sah überhaupt keine Veranlassung, den Zuzug von Uniter kritisch zu bewerten.
Auch wenn der Waffenfund und Uniter nicht direkt in Zusammenhang miteinander stehen, bleibt in beiden Fällen das Gefühl zurück, dass Politik und Justiz im Kanton Zug solche Vorfälle möglichst geräuschlos über die Bühne bringen möchten. Oder einfach sehr naiv sind. Dabei ist es erst dreissig Jahre her, seit die rassistische Patriotische Front in Zug auf Asylunterkünfte schoss und Hetzjagden auf Migrant*innen veranstaltete. Doch eine Geldstrafe wegen illegalem Waffenbesitz bringt keine rechten Netzwerke zum Einsturz und ersetzt keinen aktiven Antifaschismus. Der Kanton Zug ist bekannt dafür, nach aussen nur sein bestes Gesicht als Steuerparadies zu zeigen. Sich öffentlich mit ansässigen Neonazis und Fascho-Vereinen zu beschäftigen, passt da offenbar so gar nicht ins Bild.

https://www.zentralplus.ch/zuger-polizei-hebt-illegales-waffenlager-eines-mutmasslichen-rechtsradikalen-aus-2034121/
https://www.watson.ch/schweiz/deutschland/561483186-rechtsextreme-mit-anschlagsplaenen-deutscher-verein-zieht-in-die-schweiz

Neue Gesundheitsbroschüre von „3 Rosen gegen Grenzen“

Uns allen wurde im letzten Jahr bewusst, wie essenziell der Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung ist und wie verheerend es sein kann, diesen Zugang nicht zu haben. Bewohnende des Bundesasylzentrums Basel haben in verschiedenen Gesprächen immer wieder die prekäre Gesundheitssituation thematisiert. Nun hat das Kollektiv 3 Rosen gegen Grenzen eine neue Broschüre veröffentlicht, in der sie diese Thematik in fünf Kapiteln aufgegriffen hat.

In der Broschüre geht es um die allgemeine Gesundheitssituation, um Schwangerschaft im Camp, die Erfahrungen einer Krankenpflegerin, den Umgang mit dem Corona-Virus und die Kampagne #ShutDownORS.
Da das Asylverfahren möglichst schnell und billig verlaufen soll, wurden 2019 bei Umstrukturierungen einige Sparmassnahmen für die Unterbringung von Migrant*innen umgesetzt. Dabei wird ihnen jegliche Selbstbestimmung genommen. Bei den Erzählungen einer jungen Frau von ihrer Schwangerschaft im Camp 50 sieht man das unmenschliche Gesicht der ORS und des SEM (Staatssekretariat für Migration) klar und deutlich: schwangeren Frauen kriegen keinerlei zusätzliche Nahrung, sondern auch ihr Essen ist rationiert, darunter eine Frucht am Tag. Es ist ihnen auch nicht erlaubt, externes Essen ins Camp zu bringen. Die sanitären Einrichtungen sind so schmutzig, dass die Frauen sich sorgen, Infektionen zu kriegen. Eine Schwangerschaft ist unter guten Bedingungen schon eine sehr anstrengende und stressige Erfahrung, im Camp kann es der Horror sein. Ihre Schilderungen werden von den Aussagen einer ehemaligen Krankenpflegerin der Krankenstation im Asylzentrum bestätigt. Sie erzählt von Platzmangel, fehlender Privatsphäre und einmal mehr prekären Hygienezuständen. Der zuständige Arzt ist nur zwei Tage pro Woche vor Ort, obwohl die Nachfrage für Sprechstunden gross ist. Es gibt keine Möglichkeit auf Zweitmeinungen, alle Konsultationen laufen ausschliesslich über diesen einen Arzt. Laut dem Auftrag vom SEM soll während dem laufenden Asylverfahren nur das Leben gerettet werden, mehr medizinische Versorgung wird nicht genehmigt. Von beiden interviewten Personen wird der schlechte Zugang zu psychologischer Betreuung angesprochen. Menschen, welche akut selbst- oder fremdgefährdet sind, kommen in die Universitäre Psychiatrische Klinik (UPK). Dort wird auf Deeskalation und Stabilisation gesetzt, ein Recht auf langfristige Therapie haben sie jedoch auch hier nicht.
Es überrascht nicht, dass die Hygienemassnahmen in Bezug auf Corona ebenfalls absolut unzureichend sind. Die Schutzmassnahmen sind schockierend schlecht und der Umgang des SEM mit dem Virus fahrlässig. So müssen die Bewohnenden weiterhin auf engstem Raum zusammenleben, können Abstände nicht einhalten und haben im ganzen Camp nur vier Desinfektionsbehälter zur Verfügung.
All diese Berichte zeigen, wie grausam die ORS Service AG bei der Verwaltung der Migrant*innen vorgeht. Ihr einziges Ziel ist der Profit. Sie sparen an allen Ecken: bei Schutzmassnahmen, Hygieneprodukten, Nahrungsmitteln, Personal und vor allem an Menschlichkeit. Auch nachdem sie vermehrt auf die Missstände hingewiesen wurden und sich der öffentliche Druck erhöht, zeigen sie keine Bereitschaft, Änderungen vorzunehmen. Deshalb gibt es nur eine vernünftige Lösung: ORS muss weg!
Wir solidarisieren uns mit der Kampagne #ShutDownORS von Migrant Solidarity Network, Stopp Isolation und den Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern, welche eine Kündigung des öffentlichen Auftrags der ORS Service AG fordert.

https://3rgg.ch/wp-content/uploads/2021/03/Gesundheit_im_Lager_2021.pdf

Graffiti in Basel mit einer klaren Botschaft.
Bilanz nach 5 Jahren: EU-Türkei-Deal ist gescheitert

Im März 2016 hat die EU mit der Türkei einen Vertrag abgeschlossen. Die EU zahlt Milliarden an die Türkei, damit diese geflüchtete Personen aus griechischen Lagern zurücknimmt. Was zu erwarten war, zeigt sich jetzt nach fünf Jahren: das Abkommen hat versagt.

Als Folge der grossen Fluchtbewegungen im Jahr 2015, schloss die EU im März vor fünf Jahren mit der Türkei ein Abkommen ab. Das Ziel: Weniger geflüchtete Personen sollten Europa erreichen. Das Abkommen enthielt dabei verschiedene Mechanismen: Alle Ankommenden sollten schnell von den griechischen Behörden auf ihre Asylberechtigung überprüft werden. Wer nicht bleiben durfte, sollte in die Türkei zurückgeschoben werden. Dafür würde die EU im Gegenzug die gleiche Zahl asylsuchender Syrer*innen aus den Lagern in der Türkei in ihre Mitgliedsländer umsiedeln. Ausserdem zahlte die EU rund sechs Milliarden Euro, um die bereits in der Türkei lebenden fast vier Millionen aus Syrien geflüchteten Menschen zu unterstützen. Kritiker*innen sprachen damals von einem «Ausverkauf humanitärer Werte und dem Outsourcing der EU-Asylpolitik».
Ein neuer Bericht eines Think-Tanks aus Deutschland zeigt nun, wie diese Mechanismen umgesetzt wurden. Seit 2016 sind 2100 Menschen von den griechischen Inseln in die Türkei zurückgebracht worden. Der sogenannte 1:1-Mechanismus, nach dem für jede*n Syrer*in, die in die Türkei zurückgebracht wird, eine*n Syrer*in aus der Türkei in die EU aufgenommen werden sollte, wurde nicht umgesetzt. Die EU-Zahlungen hätten die Situation der rund 4 Millionen in der Türkei lebenden geflüchteten Personen zumindest teilweise verbessert. Auch hat die Zahl der Boote, welche die Ägäis überqueren, im Vergleich zu 2015 deutlich abgenommen. Dies ist jedoch nicht nur auf den EU-Türkei-Deal zurückzuführen.
Eine weitere Auswirkung des EU-Türkei-Deals sind die katastrophalen Zustände in den griechischen Lagern. Nach der EU-Türkei-Erklärung hat Griechenland sein Asylgesetz angepasst. Geflüchtete Personen durften die Inseln nicht mehr verlassen. Zuvor wurden sie dort bloss registriert und dann auf dem Festland verteilt. Asylverfahren wurden dabei nur langsam bearbeitet. Weil gleichzeitig die Rückführungen in die Türkei nicht geklappt haben, waren die Lager sehr schnell überfüllt: Vor dem Brand lebten allein in Moria auf Lesbos fast 20’000 Menschen, obwohl das Lager ursprünglich für etwa 3000 gedacht war.
Der EU-Türkei-Deal macht das Versagen der europäischen Asylpolitik wieder einmal deutlich. Anstatt solidarisch zu handeln und vor allem die eigene Verantwortung zu übernehmen, meint die EU, mit Geld die Verantwortung abschieben zu können.

https://taz.de/Migrationsforscherin-ueber-EU-Tuerkei-Deal/!5754908/
https://www.dw.com/de/eu-türkei-abkommen-der-deal-zur-abschreckung/a-56870596https://www.infomigrants.net/en/post/30902/europe-warned-against-migrant-hotspot-approach

Alpha Oumar Bah stirbt bei dem Versuch, seiner Ausschaffung zu entkommen

Alpha Oumar Bah stirbt bei dem Versuch, seiner Ausschaffung zu entkommenWie die Initiative Oury Jalloh mitteilte, sollte Bah nach Guinea ausgeschafft werden. Bei dem Versuch, sich vor den Polizeibeamt*innen zu verstecken, die ihn für die geplante Abschiebung abholen sollten, sprang Bah am 16. März aus dem Fenster. Die genauen Umstände, die zum Sprung führten, sind noch ungeklärt. Die Berliner Polizei hat bisher keine Stellungnahme veröffentlicht. Dass “Suizide” um einer Abschiebung zu entkommen Teil eines gewaltvollen und rassistischen Machtapparates sind (und wahrlich kein Einzelfall, sondern strukturell bedingt), zeigt die Kampagne “Death in Custody” eindrücklich auf. Sie veröffentlichte am 15. März, dem internationalen Tag gegen Polizeigewalt, eine neue Website, welche bisher über 180 Todesfälle in Polizeigewahrsam in Deutschland seit 1991 dokumentiert. ​​​​​​​Auch die Texte zu den Hintergründen der Recherche lohnen sich zu lesen. 

https://www.facebook.com/oury.jalloh.77/posts/10215787023747372
https://anfdeutsch.com/menschenrechte/dokumentation-zu-todesfallen-in-gewahrsam-geht-online-25061

Lesenswert: Die folgende Chronik ist im Rahmen der Recherchearbeit für die Kampagne “Death in Custody” entstanden. Aktuell wissen wir von 181 Todesfällen von Schwarzen Menschen, People of Color und von Rassismus betroffenen Personen in Gewahrsam und durch Polizeigewalt in Deutschland seit 1990: https://doku.deathincustody.info/

Alpha Oumar Bah starb beim Versuch, seiner Abschiebung zu entkommen

Was passiert auf Flucht- und Migrationsrouten?

Europäische Geflüchtetenlager werden immer mehr zu Gefängnissen

– Auf den kanarischen Inseln verlassen immer mehr Menschen die Camps. Sie haben Angst, in das Lager  Las Raíces auf Teneriffa verlegt zu werden, von dem aus Gerüchten zufolge abgeschoben wird. Den geflüchteten Menschen fehlt es an zuverlässigen Informationen, wie es mit ihnen weitergeht. In Las Raíces selbst kam es zu Protesten gegen die unmenschlichen Bedingungen im Lager und die schlechte Qualität des Essens. Es gebe zu wenige und zu kleine Portionen, Ungeziefer im Essen, verdorbene und stinkende Lebensmittel und bisher 15 Lebensmittelvergiftungen, die dadurch verursacht wurden. Seit Ende Februar befinden sich mehr als 100 Menschen im Hungerstreik. Für die medizinische Betreuung der 1500 Menschen im Camp stehen ein*e Ärzt*in und vier Krankenpfleger*innen am Morgen, am Nachmittag eine Krankenpfleger*in und eine Betreuer*in und nachts niemand zur Verfügung. Angstzustände, Panikattacken und Krankheiten würden im Camp ständig zunehmen. Die Sicherheitskräfte reagierten am Wochenende mit Gewalt auf die Proteste, wie Videoaufnahmen zeigen.

– “Schlechte Bedingungen […], die an eine institutionelle Massenvernachlässigung durch die Behörden grenzen”, herrschen in den Lagern auf Malta. Das stellt das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter, ein Gremium des Europarats, in einem aktuellen Bericht fest. Die Menschen haben wenig oder gar keinen Zugang nach draussen, sind in überfüllten Räumen eingesperrt und werden dort über Monate hinweg “vergessen”. Schutzbedürftige Personen werden nicht separat untergebracht. Die Gebäude, insbesondere die sanitären Einrichtungen, sind in katastrophalem Zustand und die Verantwortlichen ändern daran nichts. Es fehlt an Hygieneprodukten, Reinigungsmitteln und Zugang zu Wechselkleidung. Besonders zermürbend ist das Ausbleiben von Informationen zum Stand der Asylverfahren.

– Eine besondere Art von Lager sind die sechs Quarantäneschiffe vor den italienischen Häfen, auf denen neu ankommende Menschen zwangsweise bis zu sechzig Tagen untergebracht werden. Grundsätzlich unterscheiden sich die Bedingungen nicht so sehr von denen in den Hotspot-Camps. Die hygienischen Bedingungen sind auch hier katastrophal. Auch auf den Schiffen erhalten die Menschen nur ungenügende Informationen im Allgemeinen und insbesondere zu ihren Asylverfahren. Sie haben keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Sobald sie das Schiff verlassen, erhalten sie ein Schreiben auf italienisch, ob sie direkt abgeschoben, umgesiedelt oder in Italien für ein Asylverfahren bleiben können. Auch auf den Schiffen mangelt es an medizinischer und psychologischer Betreuung, was zu Selbstverletzungen,  fortschreitenden Krankheiten und Todesfällen führt.
Die europäischen Geflüchtetenlager sind gewaltvolle, gefängnisähnliche Strukturen, die nicht dafür ausgelegt sind, den asylsuchenden Menschen ihre Rechte zu gewähren. Sie sind Orte, an denen Menschen wie Objekte gelagert werden, bis man sich entschieden hat, was weiter mit ihnen geschehen soll. Weder ihre individuellen Bedürfnisse noch ihre rechtlichen Ansprüche spielen in diesen Strukturen eine Rolle. Dass das auch auf Schweizer Lager zutrifft, beschreiben 3 Rosen gegen Grenzen in ihrer aktuellen Gesundheitsbroschüre. Durchbrechen wir diese Objektivierung, indem wir mit den Menschen in Kontakt treten und ihre Stimmen hören. Und kämpfen wir für die Abschaffung von Asyllagern.

https://www.infomigrants.net/en/post/30895/gran-canaria-migrants-sleep-on-the-streets-to-avoid-deportationhttps://medium.com/are-you-syrious/weekend-digest-draft-13-14-03-21-protests-and-repression-in-canary-island-camp-c039b8dc9449
https://www.infomigrants.net/en/post/30831/malta-s-treatment-of-detained-migrants-inhuman-says-watchdog
https://www.meltingpot.org/Le-navi-prigione-della-quarantena-coatta.html#.YFMc8qhKjIV

Bewohner*innen des Camps veröffentlichen Bilder ihrer Nahrungsrationen

Frontex-Beamt*innen wollen ab Sommer 2021 Waffen tragen können

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex will die Militarisierung der Grenzen weiter vorantreiben. Bis Sommer 2021 will die Agentur ihre Beamt*innen selbständig bewaffnen können.

Bisher war Frontex das Tragen von Waffen nicht erlaubt. Kommt Frontex mit ihrer Forderung durch, werden die europäischen Grenzen bereits in ein paar Monaten von bewaffneten Frontex-Beamt*innen gesäumt sein. Beamt*innen, die vor allem dafür bekannt sind, Menschen auf der Flucht zu verprügeln, illegal abzuschieben, sie zu demütigen und zu bestehlen. Ausgerechnet diese sollen jetzt Waffen tragen.
Seit Jahren nimmt die Militarisierung und Technologisierung der europäischen Grenzen und umliegenden Gebiete stark zu. Dies dient nicht nur der direkten, physischen Migrationsabwehr, sondern schafft auch ein Bild eines Feindes, vor dem sich Europa zu schützen hat. Es drängt Flucht und Migration weiter in die Ecke einer illegalen Tätigkeit, die zum Wohle der privilegierten Menschen innerhalb der europäischen Grenzen gestoppt werden muss. Die Frage um die Bewaffnung vermittelt das Gefühl, dass sich Europa in einem kriegsähnlichen Zustand befände oder dass dieser jederzeit eintreten könnte. Dass es sich bei Menschen auf der Flucht grundsätzlich um Menschen mit krimineller Energie handelt, die mit Waffen bekämpft werden müssen. Dies ist einfach nur absurd. Wir wünschen uns stattdessen offene und sichere Fluchtwege für alle Menschen, an deren Wegrand sich weder prügelnde noch schiessende Frontex-Beamt*innen befinden. Denn eine Flucht ist bereits zur Genüge mit Brutalität gefüllt. Und gerade bei Menschen mit Kriegserfahrung ist es völlig verachtend, wenn nun auch noch europäische Beamt*innen ihre Waffen auf sie richten.

https://euobserver.com/migration/151253

Zypern errichtet neuen Grenzzaun

Zypern ist politisch gespalten. Seit 1983 ist Nord-Zypern von der Türkei besetzt, Süd-Zypern ist seit 2004 Teil der EU. Nun hat die zypriotische Regierung in Nikosia beschlossen, einen 11 km langen Stacheldrahtzaun in der UN-kontrollierten Zone zwischen Nord- und Süd-Zypern zu ziehen. Dieser soll Menschen davon abhalten, Asyl in der EU zu beantragen. Laut dpa kommen vor allem Menschen aus Syrien und Afghanistan über die Türkei nach Zypern. Die gewaltsame Praxis, Grenzzäune zu bauen, ist in der EU keine Ausnahme. Zuletzt wurden auch in Griechenland und Slowenien die Grenzen mit physischen Barrieren weiter verstärkt. Sie werden Menschen nicht von ihrer Flucht abhalten, sie aber einmal mehr gefährden.

https://www.infomigrants.net/en/post/30838/cyprus-errects-barrier-to-deter-migrants

Vater klagt gegen griechische Küstenwache, die seinen Sohn nicht vor dem Ertrinken rettete

Nachdem sein Sohn bei der Flucht nach Samos nach einem Schiffsbruch ertrank, wurdeVater von den griechischen Behörden angeklagt. Die Schuld für den Tod seines Sohnes liege jedoch bei der  Küstenwache, die nicht gerettet hat, klagt der Vater nun seinerseits an.

Im November ertrank ein 6-jähriger Junge, als ein Boot mit Menschen auf der Flucht in der Ägäis kenterte und die griechische Küstenwache über Stunden nicht zur Hilfe kam. Der Vater des Jungen, der überlebt hatte, wurde anschliessend angeklagt. Er habe sein Kind unnötigen Gefahren ausgesetzt und könne bis zu zehn Jahren Haft erwarten. Es ist die erste Klage dieser Art in Europa gegen Angehörige auf der Flucht verstorbener Menschen (siehe antira-Wochenschau vom 18.11.20: https://antira.org/2020/11/18/fadenscheinige-aufarbeitungen-kriminalisierung-betroffener-terrorismus-als-abschottungsvorwand/).
Nun wehrt sich der angeklagte Vater und klagt gegen die griechische Küstenwache wegen unterlassener Hilfeleistung. Er geht davon aus, dass sein Sohn noch leben würde, wenn die Küstenwache schneller gehandelt hätte. Es seien Boote vor Ort gewesen, die auf das Wasser und die Küste geleuchtet hätten,  und sie gesehen haben müssen, ohne jedoch eingegriffen zu haben. Griechenland steht bereits seit einiger Zeit unter strenger Beobachtung von Menschenrechtsbeobachter*innen. Zu den Anschuldigungen gehören Pushbacks, Polizeigewalt, Aussetzung des Asylrechts, Kriminalisierung geflüchteter Menschen sowie derer Unterstützer*innen vor Ort. Möglicherweise war auch für dieses Boot ein Pushback geplant, sagt der Anwalt des Vaters. Man habe die ankommenden Menschen an Land sammeln und dann zurückbringen wollen und hätte deshalb nicht eingegriffen. Die Küstenwache äussert sich nicht zum Vorfall, nur allgemein und phrasenhaft. Natürlich arbeite man professionell unter Einhaltung der Menschenrechte und könne die zahlreichen und wiederholten Beschuldigungen in den Medien auch nicht nachvollziehen.
Diese Klage gegen die griechische Küstenwache ist die erste dieser Art. Sie lenkt Aufmerksamkeit auf den Fall und setzt die Behörden unter Druck. Ob sie Erfolg haben wird, ist mit Blick auf den  bisherigen Umgang mit Anschuldigungen auf Grenzbeamt*innen eher fraglich. Der Umgang der griechischen Behörden mit Menschen auf der Flucht ist menschenunwürdig, verstösst gegen Abkommen und Gesetze und ist gleich doch nur die logische Folge einer gesamteuropäischen Abschottungspolitik, in deren Realität ein*e ertrunkene*r Migrant*in keinen Asylantrag stellt. In diesem Fall wird zudem die Gleichgültigkeit der beteiligten Beamt*innen deutlich: Ein Vater in grösster Sorge um seinen Sohn wird nach einem traumatischen Erlebnis inhaftiert und später stundenlang verhört, während ihm auf seine fortwährenden Fragen nach seinem Sohn zugesichert wird, diesem ginge es gut. Der Junge war zu diesem Zeitpunkt seit Stunden tot und bereits geborgen worden. Erst nach drei Tagen darf er die Leiche seines Sohnes sehen.

https://www.aljazeera.com/news/2021/3/19/refugee-father-charged-with-sons-death-on-journey-to-greece
https://www.dw.com/de/sechsj%C3%A4hriger-auf-flucht-ertrunken-vater-klagt-gegen-griechische-k%C3%BCstenwache/a-56795586
https://chicago.suntimes.com/2021/3/18/22338446/vathy-greece-samos-migrant-father-turkey

Der afghanische Vater steht am Hafen von Vathy auf der Insel Samos, Griechenland.

Was geht ab beim Staat?

Schweiz wird nichts gegen das Sterben auf dem Mittelmeer unternehmen

Die Petition «Das Sterben auf dem Mittelmeer stoppen!» wurde nach dem National- auch vom Ständerat abgelehnt. Sie hatte verlangt, dass sich die Schweiz am Aufbau eines europäisch organisierten und finanzierten zivilen Seenotrettungssystems beteiligt; dass die Menschen, die aus Seenot gerettet werden, nach rechtsstaatlichen und humanitären Grundsätzen auf die Länder verteilt werden; und dass in der Schweiz die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden, damit rasch und dezentral Bootsgeflüchtete aufgenommen werden können. Während der Ständerat nicht bereit ist, wenigstens ein Minimum gegen das Sterben auf dem Mittelmeer zu tun, findet Ablehnungsbefürworter Thomas Hefti: “Es stört mich, wenn diese Diskussion da und dort so geführt wird, dass wir als die Bösen und Schlechten dastehen.” Aber ist es nicht so, dass die Regierenden diese Situation mit ihrer Abschottungspolitik verursachen?
https://seebruecke.ch/2021/03/19/petition-sterben-auf-dem-mittelmeer-stoppen-auch-im-staenderat-abgelehnt/

Ständerat befürwortet Reiseverbot für vorläufig Aufgenommene

Vorläufig in der Schweiz aufgenommene Personen sollen grundsätzlich nicht mehr ins Ausland reisen dürfen. Gleichzeitig soll ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Der Ständerat ist am Mittwoch auf die Vorlage mit den entsprechenden Gesetzesänderungen eingetreten.

Personen, welche nur vorläufig in der Schweiz aufgenommen sind, also einen F-Ausweis haben, dürfen bereits heute nur mit einer Ausnahme-Bewilligung ins Ausland reisen. Das Heimatland ist dabei verboten. Nun ist der Ständerat am Mittwoch mit einer Mehrheit von 25 zu 14 Stimmen auf eine Vorlage für ein Reiseverbot eingegangen. Einzig SP und SVP waren dagegen. Während der SP das Reiseverbot zu weit geht, stört sich die SVP, oh Wunder, an den Ausnahmen. Es wäre den vorläufig Aufgenommenen nämlich noch möglich, für Schul-, Sport- und Bildungsaufenthalte, welche der Integration dienen, ins Ausland zu reisen.
Ein Reiseverbot schränkt das in der Bundesverfassung verankerte «Recht auf Familienleben» und das Recht auf Reise- bzw. Bewegungsfreiheit massiv ein. Gerhard Pfister von der CVP Zug weist auf verschiedene “Missbräuche” der bedingten Reisefreiheit durch Asylsuchende in der Vergangenheit hin und meint dazu: «Das, was hier kommt, haben sie (die Asylsuchenden) gewollt.» Diese zynische Aussage ist sehr unangebracht, zeigen die wiederholten Missachtungen doch die Dringlichkeit einer totalen Reisefreiheit in Drittstaaten auf. Familien, welche nach der Flucht meist über mehrere Länder verteilt sind, sollten das Recht haben, sich besuchen zu können. Menschen, welche aus Unterdrückung und Einschränkung geflohen sind, sollten nicht in der Schweiz eingesperrt werden. Die Vorlage wirbt damit, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert und Wohn- und Kantonswechsel für Arbeitsstellen und Ausbildungsplätze einfacher möglich werden sollen. Natürlich ist das absolut unterstützenswert, denn damit würde eine grössere Chance auf Arbeitsplätze bestehen. Jedoch ist es kein sehr überzeugendes Argument, wenn man sieht, wie gross die Einschränkungen wären. Diese Vorlage ist absolut unnötig und spiegelt einmal mehr, wie die Schweiz nur am Profit interessiert ist, den sie durch geflüchtete Menschen erwirtschaften kann: Arbeiten sollen sie zwar, doch reisen steht ihnen nicht zu, nicht einmal, wenn Familienmitglieder schwer krank sind.

https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20210317103901094194158159038_bsd070.aspx
https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/asylpolitik-staenderat-befuerwortet-reiseverbot-fuer-vorlaeufig-aufgenommene-ld.2115177

Was ist aufgefallen?

Trotz Protest duldet die Stadt St. Gallen «arische Kunst» in einem von ihr vermieteten Atelier

Ein freischaffender Künstler aus St. Gallen bezeichnet seine Bilder öffentlich als «arische Kunst» und macht mit rassistischen und antisemitischen Äusserungen auf sich aufmerksam. Der Künstler ist in einem Atelier eingemietet, welches der Stadt gehört. Trotz Protest der übrigen Mieter*innen geht die Stadt nicht dagegen vor.

Der freischaffende Künstler malt seit über zwölf Jahren in einem von der Stadt vermieteten Atelier im Palace-Gebäude an der Zwinglistrasse. Per Zufall ist ein anderer Bewohner des Hauses auf Facebookeinträge des Künstlers gestossen. Darin sind Dinge zu lesen wie: «Ich liebe meine weisse arisch-germanische Rasse! Und wie! Ich möchte sie nicht vermissen und erst recht nicht vermischen. Wir sind die einzigen, die nach dem Vorbild der Götter geschaffen wurden.» Er äussert sich auf der Plattform abschätzig gegenüber Juden, People of Color und geflüchteten Personen, verharmlost den Holocaust und betitelt das Begegnungsfest der Kulturen in der St. Galler Innenstadt als «grusig».
Nach dieser Entdeckung schlossen sich die Mieter*innen zusammen und setzten Anfang Dezember einen Brief auf, adressiert an die damalige Baudirektorin und jetzige Stadtpräsidentin Maria Pappa sowie die städtische Immobilienbewirtschaftung. Screenshots der erwähnten Beiträge hängen sie ihrem Schreiben an. Sie fordern die Stadt auf, den Mietvertrag mit dem Künstler sofort aufzulösen und rechtliche Schritte zu prüfen. Anschliessend bittet die Stadt den Künstler, Stellung zu nehmen, worauf dieser mit einem zehnseitigen Schreiben reagiert.
Nachdem Maria Pappa das Amt als Stadtpräsidentin antritt, übernimmt ihr Nachfolger Markus Buschor das Dossier. Doch erst am 19. Februar empfängt er den Künstler für eine einstündige Unterredung in seinem Büro. Anfang März schliesslich informiert die Stadt den Mieter, dass man gegenwärtig von einer Kündigung absehe. Stadrat Buschors Begründung dazu: «Er hat mir glaubhaft dargelegt, dass er keine Werke mit ‹arischer Kunst› verfasst. Auch verneinte er mir gegenüber klar, eine nationalsozialistische Gesinnung zu haben.» Dass diese Begründung höchst fragwürdig ist, meinen auch die anderen Mieter*innen der Zwinglistrasse: «Von welchem juristischen Verständnis zeugt es, wenn bei solch offenkundig geäusserter Diskriminierung der Verfasser einfach gefragt wird, ob er tatsächlich diskriminierend sei?» Anstatt dagegen anzutreten, schaut die Stadt St. Gallen weg.

https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/rassistisch-stadt-stgallen-duldet-nazi-kuenstler-ld.2115527

Köpfe der Woche

Karin Keller-Sutter & Mario Gattiker

Berichte der WOZ und der SRF-Rundschau zeigen, wie die offizielle Schweiz alles dafür tut, um keine geflüchteten Menschen aus Griechenland aufzunehmen. Mario Gattiker, Chef des Staatssekretariats für Migration, und Bundesrätin Karin Keller-Sutter sind die Hauptverantwortlichen für diesesmenschenverachtende Vorgehen.

Ein Bericht der Wochenzeitung WOZ enthüllte letzte Woche, wie das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und das Staatssekretariat für Migration (SEM) nach dem Brand im Geflüchtetenlager Moria versuchten, sämtliche Bemühungen zur Aufnahme geflüchteter Menschen abzuwehren. Interne Dokumente zeigen, dass von Beginn an eine Kampagne gefahren wurde, um die Forderungen von Städten, Hilfswerken und aus der Bevölkerung auszubremsen. Die zuständige Bundesrätin Karin-Keller Sutter verweigerte den Städten die Aufnahme von Menschen und blockte eine Zusammenarbeit mit willigen EU-Staaten ab. Innerhalb eines Jahres hat die Schweiz gerade einmal hundert Unbegleitete Minderjährige (UMAs) aufgenommen. Stattdessen brüstete sich die offizielle Schweiz, dass sie Hilfsgüter wie Zelte nach Griechenland schicke. Dabei hatte das Aussendepartement aus Athen bereits mitgeteilt, dass genügend Zelte vorhanden seien. Doch es ist schlicht einfacher Güter zu liefern, als Menschen aufzunehmen.
Die Zustände im neuen Lager in Moria sind derweil kaum besser als im alten. Für die SRF-Rundschau filmten Geflüchtete vor Ort. Journalist*innen ist der Zugang zum Lager untersagt. Die hygienischen Bedingungen sind schlecht, bei Regen stehen die Zelte unter Wasser, Kinder finden beim Spielen immer wieder Munition, da das Camp auf dem Gelände eines ehemaligen Schiessplatzes steht. Dabei sind viele Familien aus Kriegsgebieten geflohen, um der Waffengewalt zu entkommen. Mario Gattiker, Leiter Staatssekretariat für Migration, nahm im Interview Stellung und bewies, wie auch ihm das Schicksal der Menschen in Moria am Arsch vorbei geht. Es sei keine Lösung, die Menschen einfach zu verteilen, die Schweiz leiste ja Hilfe vor Ort und im neuen Lager seien die Zustände massiv verbessert worden, sind nur einige seiner haarsträubenden Aussagen. Die Verantwortung wird, wieder einmal, den Staaten an den EU-Aussengrenzen zugeschoben, die sich doch bitte um faire Asylverfahren kümmern möchten. Diese Scheinheiligkeit ist zum Kotzen.
Bei so vielen Negativschlagzeilen zu Hause kommt für Karin Keller-Sutter ein kleiner Auslandstrip gerade Recht. Sie weilt in der nigerianischen Hauptstadt Abuja und feiert dort 10 Jahre Migrationspartnerschaft mit Nigeria. Das «Erfolgsmodell» in der Migrationszusammenarbeit bietet für die Schweiz vor allem die Möglichkeit, geflüchtete Menschen nach Nigeria zurückzuschaffen. Dementsprechend hat die Zahl von Asylgesuchen seit 2012 auch stark abgenommen. Gattiker und Keller-Sutter stehen stellvertretend für eine menschenverachtende Abschottungspolitik, die sogar systematisch Bemühungen untergräbt, um mehr Menschen in der Schweiz Schutz zu bieten.

Das neue Lager in Moria auf der griechischen Insel Lesbos, aus dem Keller-Sutter und Gattiker nicht evakuieren.

Was nun?

Prozess wegen Polizeimord von 2016 findet diese Woche statt

Mehr als vier Jahre nachdem ein Polizist der waadtländischen Polizei Hervé Mandundu erschossen hat, findet diese Woch der Prozess gegen ihn statt. Das antirassistische Kollektiv Outrage aus der Romandie schildert in einem Text die damals vorgefallenen Tatsachen: während einer ursprünglichen Lärmklageintervention in der Nacht vom 6. zum 7. November 2016 hielten sich fünf Polizisten im Gebäude auf, in dem Hervé wohnte. Die Polizei gibt an, dass Hervé sie angegriffen habe, als sie wegen der Lärmklage bei ihm läuteten. Die Polizisten hätten also keine andere Wahl gehabt, als auf ihn zu schiessen. Hervés Nachbarn verneinen jedoch seit vier Jahren seine vermeintliche Aggressivität.
Nach diesem dramatischen Vorfall mobilisierten sich die kongolesische Gemeinde, der Hervés Familie angehört, und ihre Unterstützer*innen. Es fanden mehrere Demonstrationen gegen Rassismus und Racial Profiling statt. Vom 23. bis zum 25. März findet nun der Prozess zum Tod von Hervé Mandundu hinter geschlossenen Türen statt. Das Kollektiv hofft, dass die Behörden Hervé Gerechtigkeit und Würde widerfahren lassen, und dass die Polizei von der Justiz nicht noch einmal geschützt wird.

https://renverse.co/infos-locales/article/a(ffaire-herve-mandundu-le-proces-a-enfin-lieu-2978

Werde Tandempartner*in beim Solinetz Zürich

Das Projekt bringt Geflüchtete und Freiwillige in individuellen Tandems zusammen. Der regelmässige persönliche Austausch auf Augenhöhe steht im Zentrum. Die Tandempartner*innen bestimmen selber, wie sie ihre gemeinsame Zeit gestalten möchten. Je nach Bedürfnis geht es um Unterstützung beim Deutsch lernen, beim Kontakt mit Behörden oder bei der Arbeitssuche. Oder die Tandems kochen gemeinsam, machen Sport oder lernen Zürich und die Umgebung besser kennen. Vorgesehen ist ein regelmässiger Kontakt während mindestens sechs Monaten. Idealerweise treffen sich die Tandems ein Mal pro Woche für zwei bis drei Stunden.
https://solinetz-zh.ch/wp-content/uploads/Tandemprojekt_Solinetz_Projektbeschrieb_2021.pdf

Unterstütze den Aufbau nachhaltiger Strukturen in Bihać

Vor zwei Monaten ist das Frachkollektiv nach Bosnien gereist, um direkte Hilfe für Menschen auf der Flucht zu leisten. Jetzt soll aus dem kurzfristigen Hilfseinsatz ein langfristiges Projekt werden. Folgend der Aufruf des Kollektivs:

“Für dieses Vorhaben finden wir es wichtig, auch andere Formen der Unterstützung zu erproben und zu finden, bei denen internationale Freiwillige wie wir sich weniger direkt involvieren, als zum Beispiel bei der Versorgung von Menschen, die ein Pushback erlebt haben. So entstand die Zusammenarbeit mit einem lokalen pakistanischen Restaurant, mit dem wir 600 Mahlzeiten pro Woche mit Hilfe eines Voucher Systems herausgeben. Dieses Projekt befindet sich nun momentan im Umbau in eine Form, in der wir es gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Restaurants auch von der Schweiz aus weitertragen können.
Ein weiterer Ansatz, die Widersprüche direkter Unterstützung anzugehen, ist Radikalität. Das Ansetzen bei den Wurzeln der Probleme, statt bei den Problemen selbst. Das klingt zwar naheliegend, ist aber nicht so einfach, wenn die Probleme, mit denen mensch täglich konfrontiert ist, über Leben und Tod entscheiden können. In unserem Projekt finden wir diesen Ansatz in der Unterstützung des langfristigen Projekts eines bosnischen Freundes wieder. Dieses hat es sich zum Ziel gemacht, ein Zentrum aufzubauen, in dem eine Gemeinschaft zwischen Menschen aus Bosnien, Internationals und Geflüchteten entstehen soll, die im Einklang mit der Natur wirtschaftet. Ein Zentrum, das aufzeigt, wie eine Welt aussehen könnte, die nicht auf Abschottung und Unterdrückung sondern auf Kollaboration und Vertrauen basiert. Ein Zentrum, das einer Region, die noch von Kriegstraumas und anhaltenden Konflikten belastet ist und schon mit der nächsten Krise konfrontiert wird, endlich Raum für Regeneration bieten soll.
Auch wenn der geplanter Aufenthalt hier vor Ort in Bihac für viele von uns bald zu Ende sein wird, können wir uns nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass unser Projekt nun abgeschlossen sein soll. Im Gegenteil, es beginnt erst jetzt richtig! Wir haben mehr Ideen denn je, wie wir uns in Bosnien einbringen können, haben gesehen, wie nötig es ist und sind noch immer voller Tatendrang. An was es uns also wieder einmal am dringendsten fehlt ist Geld. Wir sind froh um jeden Beitrag!

Das brauchen wir:

  • 500 CHF für Solarpannel und Speicherbatterie für die Stromversorgung des Zentrums
  • 2000 CHF für einen weiteren Schiffscontainer als Stauraum für Maschinen, Werkzeuge und Hilfsgüter für das Zentrum
  • 15’000 CHF für 3 Monate 3 Mal pro Woche 200 Mahlzeiten beim pakistanischen Restaurant für je 2 Franken
  • 7’500 für einen weiteren Monat Nothilfe für Pushbacks (Medikamente, Hilfsgüter, Lagerhausmiete, Unterkunft)

Falls du dich aktiver bei diesem Projekt einbringen möchtest, sei es mit Kommunikationsarbeit, Unterstützung beim Aufsetzen einer Webseite, beim Gründen eines Vereins, mit kreativen Ideen, Geld zu sammeln oder sogar mit einem Einsatz vor Ort, melde dich!”
https://wemakeit.com/projects/wie-weiter-in-bihac
https://res.cloudinary.com/wemakeit/image/upload/c_fit,g_center,h_501,w_668/v1615481254/wemakeit/production/project/43761/picture-a21f2672-abcd-4718-9459-aa9b8a3a9cde.jpg

Wo gabs Widerstand?

Aktion gegen Bundesasylzentrum bei Genfer Firma

Am 14. März hat die “Gruppe gegen die Bundeslager” eine Aktion gegen die Firma Rampini in Vernier durchgeführt und damit gegen den Bau des Bundeslagers in Grand-Saconnex protestiert. Sie haben gleichzeitig an Mitarbeitende von Rampini gerichtete Plakate an das Gebäude gekleistert, um über die Aktionen und die Bundeslager informieren. Folgend die deutsche Übersetzung:

“Da Sie heute Morgen Ihren Arbeitsplatz mit Farbe beschmiert vorfinden, fragen Sie sich wahrscheinlich, was da passiert ist, wer und weshalb für diese Sauerei verantwortlich ist. In der Tat, für die Firma Rampini ist heute ein Tag wie jeder andere. Wie an jedem anderen Tag werden die Arbeiter*innen Ihrer Firma auf Baustellen im ganzen Kanton eingesetzt, um das was Stadtplaner*innen und Architekt*innen für richtig halten zu bauen, zu renovieren oder abzureissen. Business as usual. Allerdings gibt es mindestens eine Baustelle, die bei einem Teil der Bevölkerung für Empörung sorgt. Es ist diejenige des Bundeszentrums in Grand-Saconnex. Wir sind vor allem gekommen, um die Beteiligung Ihrer Firma am Bau dieses Zentrums öffentlich anzuprangern, aber auch, um Sie zu informieren. Ihre Chefs schicken Sie zum Bau eines Gefängnisses, einem Kernstück der rassistischen Reform des “Empfangs” von Migrant*innen in der Schweiz.
Seit Jahren wehren sich Kollektive, Vereine und Bewohner*innen von Grand-Saconnex entschieden gegen den Bau des Bundesasylzentren ohne Verfahrensfunktion in Grand-Saconnex, Sie können sich ihnen anschließen.
Über das Projekt in Grand-Saconnex und über alle anderen Bundeszentren sind zahlreiche Artikel geschrieben worden, viele davon können Sie auf renverse.co finden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Projekt als grosser Gefängniskomplex mit 250 Plätzen konzipiert ist. Es wird sich am Stadtrand von Genf befinden, isoliert zwischen einer Autobahnauffahrt und dem Rollfeld des Flughafens. Gleich daneben werden die Gebäude der internationalen Polizei und 50 Plätze für die Ausschaffungsknast sein. Im Zentrum werden die Inhaftierten einer bevormundenden und willkürlichen Disziplin unterworfen: obligatorische Ankündigung beim Betreten und Verlassen, restriktive Ausgangszeiten (werktags von 9 bis 17 Uhr), Besuchsverbot, Durchsuchungen, Bestrafungen, Abnahme von Fingerabdrücken, die Unmöglichkeit, Lebensmittel aufzubewahren und zu kochen, eine lächerliche finanzielle “Hilfe”, die nur dazu dient, sie im Hinblick auf ihre Abschiebung zur Verfügung der Polizei zu halten, und als einzige Beschäftigungsperspektive die Instandhaltung des Zentrums.
Der Betrieb anderer eidgenössischer Zentren in der Schweiz (insbesondere Giffers, Boudry und Embrach) lässt bereits erahnen, wie die Asylbewerber im Abschiebezentrum Grand-Saconnex behandelt werden. Geschichten von Gewalt, Demütigung, Schlägen und der Unmöglichkeit, sich im Asylverfahren angemessen zu verteidigen, kommen häufig vor.
Wird dieses Zentrum gebaut, wird es zweifellos zu einem der Schlüsselelemente einer rassistischen Politik, die Leben vernichtet, die die Schweiz immer weniger zu schätzen scheint. Dieses Abschiebezentrum darf niemals gebaut werden.”

 

Was steht an?

Demo: Keine Ausschaffungen nach Äthiopien
23.03.21 I 13:00 I Fribourg
Es herrscht Krieg, Instabilität, Ungewissheit in Äthiopien. Aber die Schweizer Behörden schaffen trotzdem Menschen nach Äthiopien aus oder lassen Äthiopier*innen mit einem negativen Asylgesuch weiterhin in der Nothilfe verharren statt durch die Kriegslage in Äthiopien auf die Asylgesuche einzutreten. In Fribourg findet nächsten Dienstag, den 23. März um 13.00 Uhr eine Demonstration gegen diese Asylpolitik statt. Keine Ausschaffungen nach Äthiopien! Regularisierung der Menschen in der Nothilfe!
https://migrant-solidarity-network.ch/2021/03/19/ein-weiterer-sonderflug-nach-aethiopien/

Workshop: Wie diskriminierend ist die deutsche Sprache
26.03.21 I 17:00 I online
Im Rahmen der Aktionswoche gegen Rassismus Bern ladet der Verein voCHabular zweimal zum Workshop über Diskriminierung in der Deutschen Sprache ein. Dieser Workshop soll Raum für die Reflexion des eigenen Sprachgebrauchs und den Austausch von Erfahrungen sprachlicher Diskriminierung bieten. Dazu untersuchen wir von voCHabular die deutsche Sprache auf ihre rassistischen Strukturen, diskutieren bestimmte Begriffe und betrachten sie kritisch.https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSdo8eYW4Mi9W2dwvs9Z1hfYLy2201yNaQfBe5NX0TukNvElyw/viewform

Racial Profiling: Erfahrung, Wirkung, Widerstand
26.03.21 I 19:00 I online
Ein Gespräch über Erfahrungen und Auswirkungen von rassistischen Polizeikontrollen und darüber, wie Menschen sich dagegen wehren. Mit: Mandy Abou Shoak (Moderation), Vanessa Eileen Thompson, Brandy Butler, Edwin Ramirez, Kemal Sadulov, Tarek Naguib
https://unibas.zoom.us/j/94951848061 Meeting ID: 949 5184 8061
https://www.facebook.com/events/431499081261347/

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

“Mutter, mach dir keine Sorgen, das ist eine ganz andere Welt”
Neues Buch der regionalen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht Ostschweiz und des Solidaritätsnetzes Ostschweiz: Unbegleitete minderjährige Asylsuchende erzählen ihre Geschichte. 
https://beobachtungsstelle.ch/news/mutter-mach-dir-keine-sorgen-das-ist-eine-ganz-andere-welt/

Antiasiatischer Rassismus in Deutschland
Antiasiatischer Rassismus existiert nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Basierend auf tatsächlichen und imaginierten Besuchen Asiens, haben seit dem 13. Jahrhundert Europäer*innen Narrative konstruiert und verbreitet, die bis heute wirkmächtig sind. In ihnen erscheinen Asiat*innen als „anders“, „exotisch“ und „gefährlich“. Auch in Deutschland lässt sich anhand von historischen Beispielen eine klare Kontinuität und Systemimmanenz von antiasiatischem Rassismus aufzeigen.
https://www.korientation.de/antiasiatischer-rassismus-in-deutschland-apuz/

Gescheiterte Überfahrten und Stille im Ozean: Flucht nach Europa
Wie der junge Südsudanese Lam Magok zur Sklavenarbeit für den libyschen Staat gezwungen wurde – und wie die EU mitwirkte, dass es dazu kam.
https://www.profil.at/ausland/gescheiterte-ueberfahrten-und-stille-im-ozean-flucht-nach-europa/401221470

MoriaCast
Podcast with Updates from the borders of Europe. Latest Episode: Campstrike in Ritsona. Interview with Parwana Amiri (Letters from Moria).
https://www.moriacast.net/

Balkan Region Report – February 2021
In February 2021, the Border Violence Monitoring Network Network (BVMN) collected 44 testimonies, accounting for the experience of 1133 people pushed back across borders in the Balkans. This report highlights the latest trends related to migration policing, offering an eye-level analysis of violent borders all the way from Turkey to Italy.
https://www.borderviolence.eu/balkan-region-report-february-2021/