Medienspiegel 21. März 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++LUZERN
Gut Integrierte sollen offiziell im Land bleiben dürfen: Luzerner SVP-Politiker will Sans-Papiers legalisieren
Ein Drittel aller Luzerner Kantonsräte fordert, dass gut integrierte Sans-Papiers eine Aufenthaltsbewilligung bekommen könnten. Allen voran: SVP-Politiker Räto Camenisch. Was ihn dazu bewogen hat und inwiefern Luzern auf Erfahrungen aus Genf zurückgreifen soll.
https://www.zentralplus.ch/wieso-luzerner-svp-politiker-sans-papiers-helfen-will-2038273/


+++ZÜRICH
Bea Schwager leitet die Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich.
Zu Besuch bei der Sans Papiers Anlaufstelle
In der Schweiz leben rund 100’000 Sans-Papiers. In der Stadt Zürich geht man von ungefähr 10’000 Menschen aus, die ohne Aufenthaltsberechtigung hier leben. Wir waren zu Besuch bei der SPAZ, der Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich, um einen Einblick in die Probleme und Hindernisse zu erhalten, die für Menschen ohne Papiere Alltag sind.
https://tsri.ch/zh/besuch-sans-papiers-anlaufstelle-spaz-zurich-city-card-bea-schwager/


+++SCHWEIZ
Petition “Sterben auf dem Mittelmeer stoppen!” auch im Ständerat abgelehnt
Am 7. Januar 2020 haben die Organisation Solidaritätsnetz und weitere Organisationen die Petition “Sterben auf dem Mittelmeer stoppen!” eingereicht. Die Petition verlangt umgehend, dass sich die Schweiz am Aufbau eines europäisch organisierten und finanzierten zivilen Seenotrettungssystems beteiligt; dass die Menschen, die aus Seenot gerettet werden, nach rechtsstaatlichen und humanitären Grundsätzen auf die Länder verteilt werden; und dass in der Schweiz die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden, damit rasch und dezentral Bootsgeflüchtete aufgenommen werden können.
https://seebruecke.ch/2021/03/19/petition-sterben-auf-dem-mittelmeer-stoppen-auch-im-staenderat-abgelehnt/


Flüchtlinge hadern mit Corona: «Als ob ich im Stau stehe»
Der Deutschkurs findet online statt, das Praktikum im Restaurant fällt aus: Flüchtlingen fällt es in der Corona-Krise schwer, Anschluss zu finden.
https://www.blick.ch/schweiz/fluechtlinge-hadern-mit-corona-als-ob-ich-im-stau-stehe-id16412102.html


Komiker Kaya Yanar fordert Flüchtlinge zu Game-Duell heraus
Nebst dem Sprüche klopfen hat Comedian und Game-Profi Kaya Yanar auch eine ernste Seite: Er engagiert sich für Flüchtlinge. Um deren Integration zu unterstützen, hat Kaya am E-Sport-Benefiz-Event teilgenommen und ist in einem Videogame-Turnier gegen geflüchtete Menschen angetreten um so Spenden sammeln.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/komiker-kaya-yanar-fordert-fluechtlinge-zu-game-duell-heraus-141265642
-> https://www.telem1.ch/aktuell/komiker-kaya-yanar-zockt-mit-fluechtlingen-fuer-einen-guten-zweck-141264827


Plötzlich gegen Heimatreise-Verbot für vorläufig Aufgenommene: SVP macht Linke glücklich
Seit Jahren kämpfen die Bürgerlichen für eine Verschärfung der Reise-Einschränkungen für vorläufig Aufgenommene. Nun liegt ein mehrheitsfähiger Vorschlag auf dem Tisch. Doch ausgerechnet die SVP will ihn verhindern.
https://www.blick.ch/politik/ploetzlich-gegen-heimatreise-verbot-fuer-vorlaeufig-aufgenommene-svp-macht-linke-gluecklich-id16407408.html


+++ATLANTIK
Ärmellandkanal: 72 Menschen vor französischer Küste gerettet
Mehrere Boote sind in Seenot geraten, als sie über den Kanal nach Großbritannien gelangen wollten. Die französische Küstenwache konnte 72 geflüchtete Menschen retten.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-03/aermelkanal-kuestenwache-fluechtlinge-grossbritannien


+++EUROPA
Schwere Vorwürfe gegen griechische Küstenwache
Fünf EU-Grenzstaaten fordern bei einem Treffen in Athen stärkere Kooperation in Sachen Aufteilung von Flüchtlingen und Migranten
https://www.derstandard.at/story/2000125233702/schwere-vorwuerfe-gegen-griechische-kuestenwache?ref=rss


+++FREIRÄUME
Das Lorrainebad muss ein von der Stadt Bern betriebenes öffentliches Bad bleiben!
Der Gemeinderat schlägt als Sparmassnahme vor das Lorrainebad zu privatisieren. Die Wasserflächen sollen abgedeckt werden, um die Kosten der Badeaufsicht einzusparen. Damit wäre in dem, vor allem bei den Kindern sehr beliebten Becken kein Badebetrieb mehr möglich wäre. Die Karpfen würden in die ewige Düsternis verbannt, vom Pächter wären ausschliesslich die Badenden in der Aare zu bedienen. Er wäre zuständig für die Öffnung bzw. die Schliessung des Lorrainebades sowie für dessen Reinigung. Die Stadt würde es zwar begrüssen, wenn der Zutritt weiterhin kostenlos bliebe, macht dies aber nicht zur Auflage. Es liegt auf der Hand, dass eine Privatperson, die eine Pacht übernimmt Gewinn machen will.
http://www.lorrainebad.ch/?p=1578


ALERT: CSOA Il Molino von Räumung bedroht!
Das Autonome Zentrum Il Molino in Lugano (Tessin-Schweiz) ist von der Räumung bedroht. Nach der starken Unterdrückung der Demo am 8. März am Bahnhof von Lugano, als die Polizei Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Demonstrant*innen einsetzte, starteten Politiker*innen (Lega dei Ticinesi, SVP und FDP) und die lokalen Medien eine Kampagne für die umgehende Räumung des Molinos unter dem alten bürgerlichen Diskurs der “Achtung der Regeln der Demokratie für alle ihre Bürger*innen” und “für sozialen Frieden sowie Recht und Ordnung”.
https://barrikade.info/article/4316


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Wir sind wütend! – Unsere Antwort Widerstand
Als Antwort auf die letzten Tage und Wochen, voller Polizeigewalt, sexistischen und islamophoben Abstimmungsresultaten und patriarchalen Unterdrückung die Frauen, Lesben, inter, non-binäre, trans, agender Personen und genderqueere Menschen (FLINTAQ+ Personen) täglich erleben, haben sich mehrere hundert Menschen heute lautstark und selbstbestimmt in Zürich die Strasse genommen!
https://barrikade.info/article/4315


+++KNAST
tagesanzeiger.ch 21.03.2021

Freie Plätze im Justizvollzug: Corona fegt Zürcher Gefängnisse leer
Im Kanton Zürich sind zurzeit weniger Menschen eingesperrt. Das hat im Wesentlichen drei Gründe – einer davon gibt Rätsel auf.

Corsin Zander

Zürichs Gefängnisse und Vollzugsanstalten sind üblicherweise stets sehr gut ausgelastet. Doch seit dem Ausbruch der Pandemie sind sie mancherorts wie leer gefegt. Am deutlichsten merken das die Vollzugseinrichtungen Bachtel im Oberland, das Flughafengefängnis und die Halbgefangenschaft in Winterthur. Dort sind die Belegungszahlen im vergangenen Jahr von rund 80 auf 50 Prozent gesunken.

Ebenfalls deutlich weniger Plätze sind im Frauengefängnis Dielsdorf (von über 68 Prozent 2019 auf aktuell 41 Prozent) und der Frauenabteilung im Gefängnis Zürich (von 57 auf 33,3 Prozent) besetzt. Aber auch in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies sind 40 Plätze leer. So ist das grösste Gefängnis der Schweiz momentan zu 86 Prozent belegt, 2019 waren es noch 97 Prozent.

Dass Corona einen so grossen Einfluss auf die Gefängnisse hat, hängt mit einem Urteil, einer Entscheidung sowie einem Rätsel zusammen.

Keine Ausschaffungen mehr möglich

Das Urteil hat das Bundesgericht im vergangenen Juli gefällt: Wer aufgrund der Corona-Pandemie nicht in ein bestimmtes Land zurückgeschafft werden kann, muss aus der Ausschaffungshaft freigelassen werden. Dies betrifft vor allem das Flughafengefängnis, hier haben die Migrationsbehörden nach dem Entscheid einen grossen Teil der Gefangenen entlassen.

Der zweite Grund ist der Entscheid des Zürcher Amts für Justizvollzug und Wiedereingliederung (Juwe), die Gefangenen bestmöglich vor dem Virus zu schützen. Im März 2020 wurde eine Aufseherin im Gefängnis Zürich positiv getestet, die zuvor in Italien gewesen war (lesen Sie hier mehr dazu). Die Befürchtung, das Virus könnte sich nun ausbreiten, war gross, denn in den Gefängnissen ist es eng, viele Zellen sind doppelt besetzt. Die Belüftung ist vielerorts schlecht. Zahlreiche Insassen nehmen Medikamente, brauchen Therapien und gehören zur Risikogruppe.

Täter müssen Strafe später absitzen

Nachdem der Kanton kurzfristig das Besuchsrecht eingeschränkt sowie Ausgeh- und Urlaubsverbote erlassen hatte, traf er weitreichende Massnahmen. Das Juwe reduzierte in einigen Gefängnissen die Anzahl der Plätze, sodass möglichst nur eine Person pro Zelle untergebracht ist. Soweit es aufgrund der Verjährungsfristen möglich ist, schob es sogenannte Verhaftungsbefehle raus. Dabei handelt es sich um Personen, die Geldstrafen oder Bussen nicht bezahlen und diese dann im Gefängnis absitzen müssen. Zudem können verurteilte Verbrecher, die keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen, ihre Freiheitsstrafe später antreten.

Ein ungelöstes Rätsel

Nicht vollkommen klären lässt sich die Frage, weshalb vor allem das Frauengefängnis in Dielsdorf und die Frauenabteilung im Gefängnis Zürich deutlich tiefer besetzt sind. Bei der Untersuchungshaft stellt das Juwe bei den Frauen einen «markanten» und bei den Männern einen «leichten Rückgang» fest. In diese Haft kommen Personen, die dringend eines Verbrechens verdächtigt werden und bei denen die Gefahr besteht, dass sie flüchten, die Tat wiederholen oder die Ermittlungen beeinflussen könnten.

Die Staatsanwaltschaft, die beim Zwangsmassnahmengericht den Antrag auf Untersuchungshaft stellt, sagt auf Anfrage, sie habe an ihrer Praxis nichts geändert. Die Anträge seien zwischen 2019 auf 2020 um 5,4 Prozent zurückgegangen. Geschlechterspezifische Daten fehlen. Ein möglicher Grund für den Rückgang könnten aber die stark reduzierten Flugbewegungen sein, heisst es bei der Staatsanwaltschaft.

Ein Verdacht, den auch die Leiterin des Frauengefängnisses Dielsdorf, Simone Keller-da Cunha Sarandão, teilt. Im Dezember sagte sie zu dieser Zeitung: «Seit der Direktflug aus São Paulo seltener landet, kommen weniger Drogenkurierinnen zu uns.» Ein Grossteil der Gefangenen in Dielsdorf stammt normalerweise aus Osteuropa und Lateinamerika.



Welche Corona-Massnahmen in Gefängnissen getroffen wurden

Um die Gefangenen vor dem Virus zu schützen und eine verheerende Ausbreitung in den Gefängnissen zu verhindern, traf der Kanton Zürich eine Reihe von Massnahmen. Bei Einvernahmen setzte die Staatsanwaltschaft vermehrt auf Videobefragungen. Die Möglichkeiten, zu telefonieren, wurden ausgebaut. Während in einzelnen Gefängnissen duschen nur einmal in der Woche möglich war, wird es heute täglich erlaubt. Zudem wurde das 2019 stillgelegte Gefängnis in Horgen zu einem Quarantäne-Gefängnis umfunktioniert und wiedereröffnet. Wer festgenommen wird, wird hier zuerst unter Quarantäne gesetzt und nach einem negativen Test einem Gefängnis zugeteilt (lesen Sie hier mehr dazu). Eine ähnliche Station gibt es auf der anderen Seeseite in Meilen.

Wie auch ausserhalb der Gefängnismauern hofft man beim Juwe auf die Impfung. Im Dezember befragte das Amt alle 1000 Mitarbeitenden und über 1000 Gefangene, ob sie sich impfen lassen würden. Rund 60 Prozent der Gefangenen und 70 Prozent der Mitarbeitenden meldeten sich zur freiwilligen Impfung. Doch einen Termin haben sie noch nicht erhalten. In der Impfstrategie des Bundesamts für Gesundheit gehören die Gefängnisse in die Zielgruppe 4. Dies sind Erwachsene unter 65 Jahren, die sich in Gemeinschaftseinrichtungen mit erhöhtem Infektions- und Ausbruchsrisiko befinden. Durchführen wird die Impfung der interne Gesundheitsdienst. Bis der Impfstoff vorhanden ist, müssen sich dabei auch Gefangene über 75 Jahren noch gedulden, obwohl sie bereits jetzt berücksichtigt werden könnten. In Gegensatz zu Zürich hat Bern Senioren in den Gefängnissen schon geimpft, wie der «Blick» berichtete. (zac)
(https://www.tagesanzeiger.ch/corona-fegt-zuercher-gefaengnisse-leer-666491225869)


+++BIG BROTHER
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung – EU-Kommission will Technik zum Abhören von 5G-Verbindungen erforschen
In einem Projekt der EU-Sicherheitsforschung sollen Polizeibehörden technische Möglichkeiten gegen verschlüsselte Telefonie entwickeln. Auch Behörden aus Drittstaaten können sich daran beteiligen. Als Türöffner dienten mehrere deutsche Initiativen, darunter auch des Verfassungsschutzes.
https://netzpolitik.org/2021/ende-zu-ende-verschluesselung-eu-kommission-will-technik-zum-abhoeren-von-5g-verbindungen-erforschen/


+++POLICE BE
Ein Brugger Unternehmer wird wegen Gedicht auf dem Bundesplatz verhaftet
Der Brugger Unternehmer Richard Fischer wurde auf dem Berner Bundesplatz von Polizisten weggeführt. Er gehört in erster Linie nicht zu den Corona-Kritikern, in einem Gedicht hat er jedoch die Parlamentarier aufgefordert, dass sie mit der Bevölkerung in den Dialog treten sollen.
https://www.telem1.ch/aktuell/ein-brugger-unternehmer-wird-wegen-gedicht-auf-dem-bundesplatz-verhaftet-141264812


+++POLIZEI CH
Polizeikontrolle. Was tun?
Du hast das Recht, Dich einer rassistischen Kontrolle zu widersetzen und institutionellen Rassismus der Polizei entgegenzutreten.
Diskriminierende Polizeikontrollen sind rechtswidrig. Allerdings sind sie für viele Menschen alltägliche Realität. Es gibt nur wenige Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, vor allem weil Du damit das Risiko eingehst, dass die Polizei Dich anzeigt. Eine Diskriminierung durch die Polizei ist vor Gericht schwer zu beweisen und das Gericht schützt in aller Regel die Polizei. Und eine strafrechtliche Verurteilung kann schwerwiegende Folgen haben, insbesondere, wenn Du keinen sicheren Aufenthaltsstatus hast. Aber Du hast das Recht, Dich einer rassistischen Kontrolle zu widersetzen und institutionellen Rassismus der Polizei entgegenzutreten.
https://www.stop-racial-profiling.ch/de/know-your-rights/polizeikontrolle-was-tun/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Anti-Corona-Demo wirft Fragen auf – Echo der Zeit
In Liestal demonstrierten am Samstag gegen 8000 Personen gegen die Corona-Massnahmen des Bundes. Es war die bisher grösste Anti-Corona Demo in der Schweiz. Und dabei hielten sich viele Teilnehmende nicht an die Schutzmassnahmen. Hätte die Polizei härter durchgreifen müssen?
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/anti-corona-demo-wirft-fragen-auf?id=dd976715-c5c4-4b89-9226-5ce4304b3101
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/anti-corona-demo-in-liestal-warum-liess-die-polizei-die-massnahmen-verweigerer-gewaehren


Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer zur Demonstration
Einsätze an grossen Demonstrationen seien immer heikel, sagt Kathrin Schweizer im Interview. Die Polizei müsse stets abwägen, wann sie eingreife. Der Kanton prüfe nun, ob die Organisatoren mit Bussen bestraft werden können. Klar sei: Eine Bewilligung würden sie im Kanton Baselland nicht mehr bekommen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/sicherheitsdirektorin-kathrin-schweizer-zur-demonstration?partId=11953120
-> https://www.bzbasel.ch/schweiz/liestal-wir-werden-immer-mehr-so-lief-die-bislang-groesste-corona-demo-der-schweiz-ab-ld.2116887



tagesanzeiger.ch 21.03.2021

Corona-Leugner in Liestal: Journalist bei Demo blutig geschlagen

Beim «Stillen Protest» am Samstag waren Medienvertreter nicht gern gesehen, einer wurde verletzt. Laut Beteiligten nutzten Rechtsextreme die Kundgebung für Pöbeleien gegen Linke und die Presse.

Simon Bordier

Die über 5000 Demonstranten, die am Samstag in Liestal gegen die Corona-Massnahmen protestiert haben, sind weg, doch die Emotionen nicht verflogen. «Richtig stolz» zeigt sich ein Mitglied der Facebook-Gruppe «Liestal vernetzt». Er freut sich, dass das Stedtli Schauplatz der Grosskundgebung der Organisation «Stiller Protest» war und dass diese von den hiesigen Behörden bewilligt wurde.

Dieses Bekenntnis stösst allerdings nicht nur auf Begeisterung, sondern hat auch eine Tirade wütender Kommentare ausgelöst. Eine «elende, verdammte Schweinerei» sei das Ganze gewesen, entgegnet ein anderer Facebook-Nutzer. Ausser die Infektionszahlen nach oben zu treiben, hätten die Demonstranten nichts erreicht, bemerkt jemand – zumal sich viele Teilnehmer um die Maskenpflicht foutiert hatten. (Hier geht es zur Reportage.)

Die Baselbieter Polizei zog am Samstagabend eine «mehrheitlich positive» Bilanz, vermeldete indes zwölf Festnahmen von Leuten, welche die Demo gestört hätten, sowie eine verletzte Person. Beim Verwundeten handelt es sich um einen Medienvertreter. «Dieser Journalist wurde heute an der Corona-Demo in Liestal von einem Rechtsextremen niedergeschlagen», schreibt Fabian Eberhard, Reporter beim «SonntagsBlick», auf Twitter.

Faustschlag ins Gesicht

Der Verwundete, der anonym bleiben möchte, konnte nach knapp zwei Stunden das Spital wieder verlassen. Sein Zahnfleisch sei lädiert, doch er werde glücklicherweise keine langwierigen Schäden davontragen, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Verletzung sei durch einen Faustschlag ins Gesicht entstanden. «Ich hatte eine Gruppe Männer fotografiert und war daran, die Bilder auf meinem Fotoapparat zu sichten», erklärt er. Da sei plötzlich ein Mann vor ihm gestanden und habe befohlen: «Lösch das!» In dem Moment, da er zum Mann aufgeblickt habe, habe dieser ihm einen Faustschlag verpasst.

Die Stimmung an der Kundgebung habe er als «mehrheitlich friedlich» empfunden, so der Journalist. Allerdings seien einzelne kleine Gruppen aggressiv aufgetreten und hätten mit Sprüchen linke Gegendemonstranten und Journalisten angepöbelt. «Die Mehrheit der Corona-Demonstranten schien dies eher belustigt zu dulden.»

Die Baselbieter Polizei bestätigt den Angriff auf den jungen Pressevertreter. Man könne zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht sagen, ob der Angriff einen rechtsextremen Hintergrund habe. An dem Tag seien ganz unterschiedliche Gruppierungen zugegen gewesen, so Mediensprecher Roland Walter. «Es gab Demonstranten und Gegendemonstranten; Gruppen aus dem rechts- wie aus dem linksextremen Milieu stiessen hinzu.» Vermutlich habe sich der Täter nicht fotografieren lassen wollen und sei deshalb aggressiv geworden. «Gewalt ist natürlich nicht akzeptabel, wir gehen dem Fall nach.»

Ein Fotograf von der Agentur Jorimphotos berichtet von einem anderen Vorfall in Liestal. Er habe beobachtet, wie Aktivistinnen der antifaschistischen «Jugend gegen Unterdrückung Liestal» von einem Mann mit einer Glasflasche beworfen worden seien. Danach habe die Gruppe dieses Manns nochmals Streit gesucht. Kurz nach dem Angriff sei ein Polizist gekommen. «Dieser musste feststellen, dass die Angreifer schon weg waren.» Man habe den Polizisten gebeten, zu bleiben, da man vermutet habe, dass die Täter zurückkehren würden. «Leider verliess uns der Polizist mit den Worten, das Dialogteam sei auf dem Weg.»

Polizeisprecher Roland Walter sagt, er könne den beschriebenen Sachverhalt weder bestätigen noch dementieren. «Ich kenne den Fall nicht.» Die Polizei habe die Demonstration jedoch mit einem grossen Aufgebot begleitet. «Wir waren präsent und konnten in einem Fall, beim tätlichen Angriff auf den Journalisten, den Täter gleich anhalten.»

SRF ist nicht erwünscht

Dass Pressevertreter bei den Gegnern der Corona-Massnahmen nicht durchwegs wohl gelitten sind, zeigte sich am Samstag verschiedentlich. Der Reporterin dieser Zeitung gab ein Mediensprecher des «Stillen Protests», Roland Lüthi, bereitwillig Auskunft. Zugleich merkte er an, dass er das Schweizer Radio- und Fernsehen vom Platz gewiesen habe. Denn mit der Berichterstattung von SRF sei man nicht einverstanden. Auf Nachfrage, ob er überhaupt befugt sei, Journalisten vom Platz zu weisen – es handelt sich schliesslich um öffentlichen Grund – sagte Lüthi: «Wir haben ihnen verboten, weiterhin über uns zu schreiben.»

Der angesprochene SRF-Journalist Philippe Chappuis stellt den Sachverhalt in einem Mail an diese Zeitung anders dar. Er habe Lüthi im Vorfeld der Demo um ein Interview gebeten, doch der Mediensprecher habe das Angebot ausgeschlagen: «Er kam vor Beginn des Protestmarsches auf mich zu und teilte mir mit, dass ‹Stiller Protest› uns kein Interview geben würde», erklärt Chappuis. Einen Satz wie «Ich verweise Sie vom Platz» habe Lüthi nicht ausgesprochen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/journalist-bei-demo-blutig-geschlagen-512338373175)



tagesanzeiger.ch 21.03.2021

Corona-Demo in Liestal«Das verurteile ich scharf»

Die Baselbieter Polizeidirektorin Kathrin Schweizer ist enttäuscht, dass die Auflagen missachtet wurden.

Thomas Dähler

Kathrin Schweizer, sind Sie zufrieden, dass die Grossdemonstration in Liestal bis auf den einen Verletzten ohne Zwischenfälle verlief?

Die Durchführung einer solchen Grossdemonstration unter Corona-Bedingungen war äusserst anspruchsvoll. Dass die Mehrheit der TeilnehmerInnen die Maskentragpflicht, die eine Auflage für die Bewilligung war, missachtet hat, verurteile ich scharf. Ich habe den Auftrag erteilt, zu prüfen, ob die Veranstalter deswegen gebüsst werden können. Ich bin froh, dass es zu keinen weiteren Ausschreitungen gekommen ist.

Hätte die Polizei in Anbetracht der Missachtung der Corona-Regeln nicht aktiv eingreifen müssen?

An dieser bewilligten Demonstration waren auch einige Familien mit Kindern dabei. Darum war ein sehr zurückhaltendes Vorgehen der Polizei notwendig, solange die Sicherheit sonst gewährleistet war.

Finden Sie, dass eine solche Veranstaltung das Renommee des Kantons Baselland beschädigt?

Für mich ist klar, dass Demonstrationen auch in Corona-Zeiten möglich sein müssen: Diese Grundrechte müssen gewährleistet bleiben. Trotzdem ist es auch klar, dass dieser Veranstalter in Liestal keine Bewilligung mehr erhalten würde. Wir sind uns da mit der Stadt Liestal einig.
(https://www.tagesanzeiger.ch/das-verurteile-ich-scharf-279132344488)



„Stellungnahme der “Jugend gegen Unterdrückung Liestal” zu den brutalen Attacken aus den Reihen des rechten Coronaprotests “Stiller Protest” gegen Andersdenkende und JournalistInnen.“
(https://twitter.com/__investigate__/status/1373713917269118983)



Gewaltbereite Gruppe griff Personen während Corona-Demonstration an
Tausende demonstrierten am Samstag in Liestal BL gegen die Corona-Massnahmen. Darunter hatte sich auch eine gut mit Bier ausgerüstete Gruppe von Gewaltbereiten gemischt.
https://www.20min.ch/story/gewaltbereite-gruppe-griff-personen-waehrend-corona-demonstration-an-341076435116



Zug-Wagon mit Menschen ohne Maske sorgt für Empörung
In den sozialen Medien kursiert ein Video, dass einen Zug-Wagon voller Menschen zeigt,  von denen die keine Maske tragen. Dabei dürfte es sich um eine Aufnahme von Corona-Skeptikern, die am Samstag in Liestal demonstrierten handeln.
Die Aufnahme sorgt für Empörung: «Wurden die betroffenen Wagen gründlich dekontaminiert?», fragt ein Twitter-User an den RailService der SBB gerichtet.
«Vielen Dank für den Hinweis», kommentiert die SBB. «Die SBB verurteilt Missachtungen des mit dem BAG abgestimmten ÖV-Schutzkonzepts. Wir appellieren an Kundinnen und Kunden, sich selbst und andere zu schützen», so das Statement weiter. Zudem kündigt die SBB an, dass Video genauer zu untersuchen. Sie fragt nach der Zugnummer und weiteren Details. «Damit wir dem nachgehen können». Den Passagieren ohne Maske könnte damit eine Busse drohen.
https://telebasel.ch/2021/03/20/corona-skeptiker-rufen-zur-grossdemo-in-liestal-auf


EKR – Sündenböcke als Krisenphänomen
Im aktuellen, von der Pandemie geprägten Kontext nehmen Hassreden und Intoleranz weltweit zu, auch in der Schweiz. Die Suche nach Sündenböcken, die für alle Übel verantwortlich gemacht werden, schlägt sich in einer Flut von «Fake News» und Verschwörungstheorien nieder. Anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung der Rassendiskriminierung am 21. März ruft die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus dazu auf, dieses aus Angst und Vorurteilen entstehende Phänomen zu bekämpfen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-82770.html
-> https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/verschwoerungstheorien-rassismus-kommission-internet-ist-voll-von-hass-diskriminierung-und-vorurteilen-ld.2116914



NZZ am Sonntag 21.03.2021

 «Ich kenne keine jüdische Person, die nicht diese Wut in sich hat. Weil man sich das Leben lang so viel Mist anhören muss»

Alle drei Wochen hört Thomas Meyer einen Spruch über Juden. Antisemitismus versteckt sich mitten im Alltag. Der Schweizer Autor erzählt, warum ihn das wütend macht.

Martina Läubli

NZZ am Sonntag: Herr Meyer, ich frage Sie jetzt nicht nach Ihrer Nase, sondern nach dem Moment, in dem Sie die Nase voll hatten. Wann konnten Sie die antisemitischen Sprüche nicht mehr ertragen?

Thomas Meyer: Mir hat es schon vor dreissig Jahren gereicht. Und etwas dazu sagen wollte ich auch schon lange, aber alle Versuche, die ich unternommen habe, sind bisher gescheitert.

Warum?

Weil sie nur dazu geführt haben, dass ich mich furchtbar aufgeregt habe. Und Zorn ist keine gute Grundlage, um ein Buch zu schreiben. Jahrelang musste ich mir antisemitisches Zeugs anhören, das auch noch dumm und frech ist, und wenn ich mich dagegen wehre, kommt gleich der nächste Übergriff, indem mir gesagt wir: «Du irrst dich.» Oder: «Das ist doch nur ein Witz.»

Ihre Gesprächspartner liessen nicht zu, dass Sie sich wehren?

Nein. Ich wollte endlich einmal sagen, was ich dazu denke, ohne dass man mir die ganze Zeit erklärt, dass ich es falsch verstehe. Das ist ein doppelter Übergriff, und das macht einen wütend. Ich kenne keine jüdische Person, die nicht diese Wut in sich hat. Weil man sich das Leben lang so viel Mist anhören muss. Es ist wie eine Missbrauchsgeschichte, die kein Ende nimmt.

Sie schätzen, dass Sie in Ihrem Leben bisher etwa 700 antisemitische Aussagen hören mussten. So viele?

Vielleicht waren es auch mehr. Ich zähle nicht nur, was man mir direkt gesagt hat, sondern auch, was ich an Sprüchen mitgehört habe, im Militär, bei der Arbeit, irgendwo. Schon auf dem Pausenplatz hörte ich die typischen Judenwitze.

Wie fühlt sich das an, als Kind solches zu hören und zu wissen: Ich bin damit auch gemeint?

In der ersten Phase hat man ein Angriffsgefühl, ein ausgrenzendes Gefühl. Man spürt eine erniedrigende, verletzende Energie. Früher hatte ich das nur, wenn es gegen die Juden ging, aber mittlerweile ist das so universal, dass es mich auch schmerzt, wenn jemand schlecht über Frauen, Dunkelhäutige oder Homosexuelle spricht. Grad gestern machte ein Mann einen Blondinenwitz. Und ein Kollege sagte kürzlich: «Das ist ein Möngifilm.» Aber es ist nicht okay, so zu reden. Und auch nicht lustig.

Sie sprechen die Diskriminierung von Menschengruppen ganz allgemein an. Was unterscheidet Vorurteile gegenüber Juden von Vorurteilen gegenüber anderen Personengruppen?

Nehmen wir das Beispiel der Zürcher und der Basler. Dass die Basler Zürcher arrogant oder laut finden, steht dem Problem antisemitischer Vorurteile sehr gering gegenüber. Meines Wissens sind keine Zürcher derart benachteiligt oder verfolgt oder ermordet worden, weil sie Zürcher sind.

Entscheidend ist also die historische Dimension dessen, was die antisemitischen Vorurteile angerichtet haben, also die Shoah?

Ja, das ist ein Kontext, den man nicht ausser acht lassen kann. Es geht um den Schaden, den ein Vorurteil anrichtet. Und es passiert immer wieder, dass man Juden ausgrenzt und schlecht über sie spricht, weil sie jüdisch sind. Die Aussage «Er isch halt en Jud» habe ich Dutzende Male gehört, als erklärte das irgendetwas. Und das mit den Blondinenwitzen ist schon etwas ärger als die Vorurteile gegen Zürcher, weil es sexistisch ist.

Bei Sexismus hat sich in den letzten Jahren aber doch einiges geändert, sexistische Sprüche sind heute weniger akzeptiert. Haben Sie das auch in Bezug auf Antisemitismus beobachtet?

Hat es sich wirklich verändert? Vor einiger Zeit widersprach ich in einem Gespräch über «Wolkenbruch» antisemitischen Klischees. Meine Gesprächspartner warfen mir vor: «Man darf ja nichts mehr sagen.» Man ist sich bewusst, dass man das nicht so sagen sollte, aber man hat trotzdem das Bedürfnis, es zu sagen. Wenn dann tatsächlich ein Jude vor einem steht, wird man beinahe wütend, weil der einen daran erinnert, dass man es ja nicht sagen darf. Man fühlt sich eingeschränkt in der Redefreiheit. Darum finde ich die Diskussion darüber, was man sagen darf und was nicht, überflüssig. Wir müssen nur darüber reden, was gesagt wird und warum. Warum wollen die Leute denn etwas sagen? Wo drückt denn der Schuh mit den Juden?

Welche Antwort bekommen Sie, wenn Sie das fragen?

Dann hört es natürlich auf. Die Leute tun dann pseudofreundlich und fühlen sich, nicht ganz unbegründet, in die Ecke gedrängt. Einige werden unwirsch. «Ihr seid auch immer gleich beleidigt», heisst es dann. Das finde ich auch immer schön: Ihr! Wer jetzt? Die Familie Meyer? Die Autoren? Man wird da mit einer fragwürdigen Logik konfrontiert. Wer sind «ihr»? Und warum «gleich beleidigt»?

Der Vorwurf, empfindlich zu sein, fällt auch in der Diskussion über Rassismus, wenn sich jemand gegen gewisse Aussagen wehrt.

Ja, das Problem heisst «Racial Gaslighting».

Ist das derselbe Mechanismus wie beim Antisemitismus?

«Racial Gaslighting», das habe ich x-mal erlebt. Der Begriff kommt von einem Theaterstück aus den 1940er Jahren, das «Gaslight» heisst. In diesem Stück treibt ein Mann seine Frau in den Wahnsinn, indem er auf der Bühne dauernd Sachen verändert und seiner Frau sagt: «Spinnst du? Das war schon immer so.» «Gaslighting» bezeichnet das Verhalten von Menschen, die missbräuchlich vorgehen, aber die Kritik an ihrem Verhalten infrage stellen. «Du verdrehst immer alles», sagt derjenige, der alles verdreht. Im Zusammenhang mit Antisemitismus gibt es das oft, eben mit dem Vorwurf, man sei zu leicht beleidigt oder humorlos.

Dient «Racial Gaslighting» dazu, die Verantwortung für das eigene Verhalten abzuschieben?

Das ist ja das Faszinierende am Ganzen: Niemand will ein Antisemit sein. Denn wir sind uns einig: Das ist schäbig.

Sie finden aber, dass viele Menschen in diesem Land, in dieser Stadt Antisemiten oder Antisemitinnen sind?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Das ist zu absolut. Wir sprechen ja von einem sehr diffusen Antisemitismus. Wenn jemand überzeugt ist, dass alle Juden gut mit Geld umgehen können, ist das allein noch nicht feindselig. Sondern es ist einfach eine falsche Idee. Das Problem beginnt, wenn man es sich nicht ausreden lässt. Aber zurück zur Frage: Ja, ich finde, es gibt in diesem Land sehr viele Menschen mit antisemitischen Elementen in ihrer Geisteshaltung und antisemitischem Verhalten.

Haben wir ein Antisemitismus-Problem?

Eindeutig! Aber die Frage ist: Was heisst Antisemitismus? Viele Menschen denken, Antisemitismus sei das, was in Deutschland stattgefunden hat oder stattfindet. Wie der Anschlag auf die Synagoge in Halle. Weil wir solche Sachen in der Schweiz fast nie erleben, glauben viele, das Problem existiere hier nicht und alles, was sie sagen, gehöre nicht in die Schnittmenge dieses Problems. Aber es ist trotzdem antisemitisch, wenn man zu mir sagt: «Du hast so eine Nase.» Und dann darauf beharrt: «Doch, du hast so eine Nase!»

Welches Vorurteil ärgert Sie am meisten?

Jedes gleich. Weil es mir die Individualität abspricht. Das ist ja der Mechanismus. Man nimmt ein Bild des Kollektivs, wendet es auf das Individuum an und nimmt ihm damit die Individualität.

Sollten wir weniger über andere Menschen reden?

Ja, und wenn, sollten wir uns darauf beschränken, was wir tatsächlich über jemanden wissen. Wir meinen schnell zu wissen, wie jemand tickt, was er will oder nicht will. Dabei haben wir ihn gar nie gefragt. Ich erlebe es immer wieder, dass jemand sagt: «Sie, Herr Meyer, ich habe eine Frage zu den Juden.» Und mir daraufhin «die Juden» erklärt. Es ist ja schön, wenn man ein Interesse hat, aber dann sollte man sich auch wirklich informieren lassen und nicht widersprechen, weil man glaubt, es besser zu wissen.

Auch Freundschaft schützt nicht vor antisemitischem Denken. Das zu lesen, fand ich erschütternd.

Ich habe schon einige Freundschaften so verloren. Wenn es hart auf hart geht, sind einem das eigene Ego und der eigene Stolz offenbar näher. Wenn es jemanden nicht interessiert, wer ich bin und was ich fühle, wenn er Unsinn über die Juden sagt, ist das eine schlechte Basis für eine Freundschaft. Immer wieder musste ich mir Unsinn anhören über die Juden, Israel, den Nahostkonflikt, die Orthodoxen. Soll ich anfangen, meinen Bekannten Fragen über die Kreuzzüge zu stellen? Das ist absurd. Ich bin doch kein Auskunftsjude.

Na ja, ganz unschuldig sind Sie daran nicht – dass Sie zum «Ombudsmann für alles Jüdische» geworden sind, dass Sie über jüdische Themen und Figuren schreiben.

Natürlich. Aber es ist eine Frage der Art und Weise. Kommt jemand mit einer Frage, die ihn umtreibt, zu mir und nimmt meine Antwort dann an? Oder fragt jemand nur, um seinen Missmut abzuladen? Das sind verschiedene Dinge. Wenn jemand fragt: «Warum sind alle jüdischen Kinder verkleidet?» Dann kann ich antworten: «Jetzt ist grad Purim.» Wenn jemand sagt: «Die sind aber alle laut!», dann sage ich: «Was geht mich das an?»

In Ihrem literarischen Werk arbeiten Sie aber bewusst mit Stereotypen.

Reden wir jetzt vom «Wolkenbruch»?

Ja.

Da muss ich fragen: Welches Klischee jetzt genau?

Zum Beispiel die Rolle der jüdischen Mutter.

Ja, das ist aber das einzige. Ich spiele nicht nur mit dem Klischee der jüdischen «Mame», sondern mit dem der Mutter allgemein. Und im zweiten «Wolkenbruch»-Roman gibt es auch nur ein einziges Klischee: die jüdische Weltverschwörung. Eine Verschwörungstheorie.

Ihren Erzählansatz, die jüdische Weltverschwörung wahr machen und ad absurdum zu führen, finde ich witzig. Aber ein Buch über dieses antisemitische Klischee konnten Sie nur schreiben, weil Sie selber Jude sind.

Ich finde, das hätte auch jemand anders machen können. Es ist immer eine Frage der Machart. Aber ja: Ich muss mir die Frage nach dem Dürfen nicht stellen lassen. Das ist natürlich praktisch.

Dürfen sich nur Juden über Juden lustig machen?

Das ist bei allen Minderheiten so. Es hat mit Selbstbehauptung zu tun: Man übernimmt die Diktion des Täters und stellt sich durch Ironie über ihn: Bevor du mir so sagst, sage ich mir selber so. Das ist eine Entmachtung des Täters. Aber dass ich mich in den «Wolkenbruch»-Büchern oder im Film über Juden lustig mache, stimmt nicht.

Was ist der Unterschied zwischen Witz und Spott?

Es ist immer die Frage, wer der Absender und der Adressat des Witzes sind. Witze können entgleisen. Ich habe schon ein paarmal Sachen gesagt, die ich saumässig lustig fand, meine Partnerin aber nicht. Einen Witz kann man niemandem aufzwingen. Spott macht aber genau das. Er setzt sich über den Verspotteten hinweg. Und der Spruch: «Das ist halt Satire», ist auch nur halb gültig. Es macht einen Unterschied, ob ich mich über Afrikaner lustig mache oder über Christoph Blocher.

Worin liegt der Unterschied?

Der Unterschied ist, dass Afrikaner oft ausgebeutet, misshandelt oder benachteiligt werden, aber dass Christoph Blocher solches noch nicht einmal im Ansatz erlebt hat. Da geht es wieder um den Schaden, den man anrichtet.

Ihr neues Buch ist nun viel ernsthafter. Und persönlicher. Sie fragen darin auch nach den Gründen von antisemitischem Denken. Welche Ursachen haben Sie gefunden?

Was man einem Kind vorlebt, ist viel prägender, als wir glauben. Was wir als Eltern zueinander sagen, wie wir miteinander umgehen, überhaupt, wie wir uns verhalten: Alles ist ein Beispiel für das Kind. Als Vater muss ich genau überlegen, was ich meinem Sohn vermittle. Nicht nur inhaltlich, sondern auch energetisch. Gebe ich ihm das Gefühl, dass er in Ordnung ist? Und wenn man einem Kind sagt: «Die Juden sind halt geizig», dann glaubt es das. Von irgendwoher kommen diese Klischees ja. Die werden am Familientisch erzählt.

Neben der Familie gibt es auch noch einen grösseren Kontext. Eine Gesellschaft kann Antisemitismus akzeptieren oder nicht akzeptieren. Wie sieht das in der Schweiz aus?

In der Schweiz haben wir das Problem, dass wir finden, wir hätten kein Problem. Viele denken, Antisemitismus heisse, dass Grabsteine beschmiert und umgestossen werden, und das passiert bei uns kaum, also gibt es das Problem nicht. Es herrscht Ignoranz; man kann es auch Blindheit nennen.

Was wäre zu tun?

Wir müssen darüber reden, dass wir alle diese Stereotype in uns drin haben. Aber in der Schweiz haben wir grundsätzlich ein Problem damit, uns etwas sagen zu lassen. Keine fremden Vögte! Sofort wird «Diktatur!» gerufen. In meiner Kolumne für «Galaxus» verwende ich jetzt ein Gendersternchen – und prompt ging in den Kommentaren ein Shitstorm los.

Und Sie denken, das liege an der Schweiz?

Das ist natürlich nur meine persönliche Erfahrung. Aber ja, Deutschschweizer lassen sich ungern etwas sagen. Dabei geht es nur darum, zu akzeptieren, dass andere auch Empfindungen haben. Es ist eine Frage des Respekts. Genauso wie es respektlos ist, mir ins Gesicht zu sagen: «Du hast eine Judennase.»

Was machen solche Bemerkungen mit Ihnen?

Ich habe längst eine regelrechte Angststörung entwickelt. Ich gehe mittlerweile davon aus, dass früher oder später ein dummer Spruch kommt. Es ist wie in den Metropolen des Westens: Wir fragen uns nicht mehr, ob ein Terroranschlag stattfinden wird, sondern wann. Antisemitismus ist eine Form von Terrorismus.



«Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein?»

Persönlicher Essay über Antisemitismus

Thomas Meyer hat einen christlichen Vater und eine jüdische Mutter – also ist er Jude. Was aber bedeutet das? Das erkundet der Zürcher Autor in seinem neuen Buch «Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein?» (Salis Verlag, 128 S., Fr. 22.–, erscheint am 22. März). Meyer schlägt in diesem Essay, anders als in den beiden erfolgreichen Romanen über Motti Wolkenbruch und ihrer Verfilmung, einen ernsten und persönlichen Ton an. Es geht um seine Familiengeschichte und um den Antisemitismus, mit dem er schon als Kind konfrontiert war – und es bis heute ist. Im Gespräch, das wir draussen führen, ist zu spüren, wie sehr ihn das Thema bewegt. Auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund stellt in seinem neusten Bericht einen Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft fest, nicht zuletzt bei Corona-Protesten. (läu.)
(https://nzzas.nzz.ch/kultur/thomas-meyer-antisemitismus-versteckt-sich-mitten-im-alltag-ld.1607432)
-> https://www.blick.ch/schweiz/thomas-meyer-ueber-den-alltaeglichen-antisemitismus-in-der-schweiz-eigentlich-fehlen-mir-die-worte-id16410515.html