Riots in Belgien, Abschieben um jeden Preis, Bundesrat will Härte

Die antira-Wochenschau blickt zurück auf eine Woche voller Rassismus.
Auch als Podcast zu hören: https://www.megahex.fm/archive/antira-wochenschau-vom-18-januar-2021

  • Deutschland: Abschieben um jeden Preis
  • Die offizielle Schweiz schliesst zwei Abschiebeabkommen mit Gambia ab
  • Sans-Papiers: Bundesrat will bestehende Härte, statt einen Sozialversicherungsausschluss
  • Subsahara-Strategie: Fokus auf Möglichkeiten
  • Tod von Sezgin Dağ sorgt für Schlagzeilen
  • Sturm auf das Capitol, was nun?
  • EU-Antibetrugsbehörde leitet Verfahren gegen Frontex ein
  • Überall Hufeisen, oder: Wo steht der Feind?
  • 2021 keine Verbesserungen auf den Fluchtrouten zu erwarten
  • Tödliche Schüsse in Stade: Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen einen Polizeibeamten
  • Referendum gegen Terrorismusgesetz kam zustande
  • Solidarität mit flüchtenden Menschen an der bosnisch-kroatischen Grenze
  • Bern: Neuer diskriminierungsfreier Begegnungsort entsteht
  • Riots in Belgien nach Tod in Polizeigewahrsam
  • Zehn Abschiebe-Transporter ausgebrannt
  • 350 geflüchtete Menschen treten in britischer Notunterkunft in den Hungerstreik
  • Bürgermeister fordert Auflösung des griechischen Camps Malakasa
  • Hungerstreik eines weissen Lehrmeisters in Frankreich verhindert Abschiebung seines Schwarzen Lernenden

Was ist neu?

Deutschland: Abschieben um jeden Preis

26 Afghanen wurden letzten Dienstag nach Kabul ausgeflogen, obwohl die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin katastrophal ist. Bundesinnenminister Horst Seehofer will mit aller Macht seine grausame Asylpolitik durchsetzen.

Nachdem Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie Ausschaffungen nach Afghanistan im März 2020 vorerst stoppte, werden seit Dezember wieder Menschen in das von Krieg und Zerstörung betroffene Land ausgeflogen. Diese Praxis gilt weiterhin als äusserst umstritten. Die NGO Pro Asyl kritisierte insbesondere, dass durch ein schnelles Vorgehen bei den Abschiebungen bewusst versucht werde, die Anwendung des Rechtsweg für die Betroffenen zu unterbinden. Am Flughafen in Düsseldorf protestierten Aktivist*innen gegen die Abschiebungen. Die Afghan Migrants Advice and Support Organization hat zudem seit November eine Telefon-Hotline eingerichtet, bei der sich ausgeschaffte Menschen nach ihrer Ankunft melden können, wenn sie Unterstützung benötigen.
Das Vorgehen der deutschen Behörden ist das Spiegelbild einer Asylpolitik, die mit aller Macht versucht, asylsuchende Menschen, insbesondere aus Afghanistan, möglichst geräuschlos abzuschieben. Junge Afghan*innen werden an ihrer Arbeitsstelle aufgegriffen und direkt in Ausschaffungshaft gebracht. Eine sorgfältige Einzelprüfung findet nicht statt und Integrationsbemühungen sollen bewusst unterbunden werden. „Der Besuch einer Schule, ein in Aussicht stehender Ausbildungsplatz oder das erfolgreiche Bemühen um Arbeit verschärfen die Abschiebungsdringlichkeit“, sagte Seehofer vor einigen Jahren. Während Menschen wegen angeblich mangelnder Integration die Aufenthaltserlaubnis nach teilweise Jahrzehnten entzogen wird, erhöhen die Integrationsbemühungen von Asylsuchenden gleichzeitig die Gefahr einer Abschiebung.

Zudem versucht die deutsche Regierung durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Herkunftsländern mehr Menschen abzuschieben, indem diese etwa Reisepapiere beschaffen. Bei sogenannten „Botschaftsanhörungen“ soll die Identität der Betroffenen geklärt werden. Afrikanische Diplomat*innen beschuldigen derweil die Bundesregierung, Druck auf die Botschaften auszuüben, schreibt das Inforportal dw.com (https://www.dw.com/de/afrikaner-in-deutschland-angst-vor-umstrittenen-anh%C3%B6rungen/a-56175410).
https://www.infomigrants.net/en/post/29609/germany-deports-26-men-to-afghanistan?preview=1610543570667https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146959.afghanistan-unbedingter-abschiebewille.html

Was geht ab beim Staat?

Die offizielle Schweiz schliesst zwei Abschiebeabkommen mit Gambia ab

Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter haben am 12. Januar 2021 zwei Abkommen mit Gambia getroffen, die es der Schweiz ermöglichen sollen, «stärker gegen irreguläre Migration vorzugehen» – also konkret – effizienter und effektiver nach Gambia auszuschaffen. Das unterzeichnete Abkommen soll die Identifizierung illegalisierter Menschen in der Schweiz vereinfachen und die Ausstellung von Reisedokumenten für die Ausschaffung regeln.

Die Schweiz hat bisher acht ähnliche Migrationsabkommen abgeschlossen, unter anderem mit Angola, Kamerun, Benin und Tunesien. Hinzu kommen 56 weitere Ausschaffungsabkommen. Für illegalisierte Menschen aus Gambia erhöht sich durch die zwei Abkommen das Risiko, ausgeschafft zu werden. Die Abkommen zeigen einerseits, dass die Schweiz ein grosses Interesse daran besitzt, nach Gambia auszuschaffen und andererseits dass dies in Zukunft wohl auch einfacher möglich sein wird. Nebst der Ausübung von Kritik an solchen Rückübernahmeabkommen ist es sicher gut, die Information möglichst breit zu streuen und sicherzustellen, dass potenziell betroffene Menschen darüber informiert sind.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81937.html

Sans-Papiers: Bundesrat will bestehende Härte, statt eines Sozialversicherungsausschlusses 

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) forderte 2018, dass alle Sans-Papiers von allen Sozialversicherungen auszuschliessen seien. Nur dies sei «eine kohärente Gesetzgebung zu Sans-Papiers». In einem langen Bericht zeigt der Bundesrat auf, was im Moment die(Un-)Rechtslageder Sans-Papiers im Bereich der Sozialversicherungen istund wo er „Lösungsansätze“ sieht. Fazit: Als Lohnarbeitende sollen Sans-Papiers ständig Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Zu einem ständigen Aufenthaltsstatus soll dies jedoch nicht berechtigen. Der Bundesrat will, dass Sans-Papiers wehrlose und somit ausbeutbare Arbeitskräfte bleiben.

Laut Bundesrat leben in der Schweiz 76 000 Sans-Papiers bzw. Personen ohne geregelten Aufenthalt. Auch wenn sie während vieler Jahre in der Schweiz Lohnarbeit geleistet haben, sind sie von der Arbeitslosenkasse oder der Sozialhilfe ausgeschlossen. Einziger Anspruch, der ihnen bei Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit in der Schweiz zusteht, ist die Nothilfe. Doch dort droht sofort die Abschiebung. Wenn Sans-Papiers lohnarbeiten, müssen sie sich kranken- und unfallversichern sowie AHV, IV und EO bezahlen. Obwohl nun rassistische Kräfte inklusive die SGK-N Sans-Papiers von allen Versicherungen ausschliessen wollen, ist der Bundesrat dagegen: In der Praxis würden sowieso nur wenige Arbeitgeber“innen ihre papierlosen Angestellten sozialversichern und ein Ausschluss würde Probleme bereiten, da die Schweiz die Menschenrechtskonvention und andere internationale Abkommen unterzeichnet hat, die minimale Rechte für alle arbeitenden Menschen vorsehen und im Fall eines Ausschlusses nicht eingehalten würden. Trotzdem würde der Bundesrat nie so so weit gehen, Sans-Papiers einen besseren Zugang zu Krankenversicherung und Familienzulagen zu verschaffen. Dies könnte er z.B. tun, indem nicht alle verlangten Dokumente vorgewiesen werden müssten. Ein Anrecht, (Sozial-)Leistungen zu erhalten, hätten Sans-Papiers schliesslich allemal, da sie häufig durch Lohnabzüge Beträge einzahlen.
Allgemein hält der Bundesrat im Bericht fest, dass er auch weiterhin gegen die kollektive Regularisierung aller Sans-Papiers (Bleiberecht für alle) einstehen wird, „da dies die Problematik des rechtswidrigen Aufenthalts nicht langfristig zu lösen vermag.“ Die Kantone sollen mit der schwammigen Härtefallregelung regularisieren. Diese soll schwammig bleiben. Damit die Kantone beim Prüfen der Härtefallkritierien auch weiterhin Willkür und Klientelismus walten lassen können. Einzelne Behörden können bestimmen, ob eine Person z.B. 5 oder 10 Jahre in der Schweiz leben soll, um ein Härtefall zu sein, oder ob ein Pass oder ein Fahrausweis ausreicht, um die Identität zu belegen. Kontrolle über diese biographieprägenden Entscheide ist kaum vorgesehen.
An der Regelung für Sans-Papiers-Kinder im Schulalter will der Bunderat nichts ändern. Weiterhin gilt also: „Der Zugang zur obligatorischen Schulbildung von Sans-Papiers-Kindern ist verfassungsrechtlich garantiert. Die Schulen sind auch nicht verpflichtet, den Migrationsbehörden die Namen der eingeschulten Kinder von Sans-Papiers zu melden“. Die fiese Forderung, dass auch Schulen Sans-Papiers verpetzen sollen, kommt also nicht an. Diese Pflicht, Sans-Papiers beim Migrationsamt zu verpetzen – die Behörden sprechen von „Datenaustausch“ – besteht bereits bei den meisten anderen (halb-)staatlichen Instanzen, sobald diese realisieren, dass eine Person Sans-Papiers ist. Das Netz, um Sans-Papiers auffliegen zu lassen, wurde in den letzten Jahrzehnten extrem engmaschig. Obwohl Spitäler, (Sozial-)Versicherungen oder Arbeitgebende keine Fremdenpolizist*innen sind, müssen sie so handeln und tun es auch. Zur Zufriedenheit des Bundesrats. Dieser „kommt trotz der allenfalls möglichen Ziel- und Interessenkonflikte zwischen den beteiligten Behörden zum Schluss, dass die bestehende Regelung des Datenaustausches in diesem Bereich angemessen ist“.
Mit dem Slogan „Kein Mensch ist illegal“ fordern Sans-Papiers-Kollektive seit mindestens 20 Jahren eine kollektive Regularisierung, soziale Sicherheit und Gleichberechtigung. Für den Bundesrat ist klar: Illegalisierung soll auch weiterhin mit Hetze, Entrechtung und Ausbeutung einhergehen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81688.html
https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/menschenrechte/bundesrat-ist-hartherzig-gegenueber-sans-papiers/

Subsahara-Strategie: Fokus auf Möglichkeiten

Bereits der Name der Strategie vom Bundesrat, die am 13. Januar 2021 erstmals an einer Sitzung genehmigt wurde, zeugt von einer gewissen Überheblichkeit – oder zumindest keiner Liebe zum Detail: Der Bundesrat erlässt eine sog. Subsahara-Strategie. In die Strategieplanung sind 49 Nationen integriert, Länder so unterschiedlich wie Ghana und Mauritius, Südafrika und Somalia.

Schon der erste Satz des Papiers zeugt von der Richtung der eingeschlagenen opportunen Strategie und vor allem von der fehlenden Kontextualisierung in die postkoloniale Welt mit ihren ausbeuterischen Realitäten: «Viele Augen richten sich zurzeit auf Afrika. Dabei geht es nicht mehr nur um die seit langem bekannten Herausforderungen, sondern auch um neue Opportunitäten, die der Kontinent eröffnet. Afrika gewinnt an weltpolitischem Gewicht und wirtschaftlicher Relevanz.» Die besagten «bekannten Herausforderungen» werden nicht weiter ausgeführt, antira.org sieht diese jedoch klar im Zusammenhang mit der ehemaligen kolonialen und derzeitigen postkolonialen Herrschaft. Die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents früher wie heute und die daraus folgenden Konsequenzen seien aber «seit langem bekannt» und es gilt nun die Opportunitäten, also die Möglichkeiten, zu fokussieren. Dass die Schweiz an den kolonialen Geschichten zu nicht unbedeutenden Teilen mitgewirkt hat, wie gerade durch die Black Lives Matter-Bewegung und die langsame Aufarbeitung der Geschichte ersichtlich wird, findet wie eh und je mit dem Satz Erwähnung, dass die Schweiz zwar beim Kolonialhandel eine Rolle gespielt habe, jedoch «nie als Kolonialmacht» aufgetreten sei und demnach von den afrikanischen Staaten differenziert wahrgenommen werde. Im Papier werden die friedenspolitischen Erfolge der Schweiz aufgeführt und die erfolgreiche Migrationspolitik, die vor allem Migrationsabkommen mit unterschiedlichen Staaten fokussiert. Und diese bedeuten schlicht, dass geflüchtete Menschen einfacher in ihre Herkunftsländer zurückgeschafft werden können. Einzelne Länder werden in Gruppen zusammengefasst und je nachdem werden entwicklungspolitische, friedensfördernde oder wirtschaftliche Schwerpunkte gesetzt. Eindeutig zeigt sich auf jeden Fall, dass es bei allen Beziehungen immer und vor allem darum geht, was die Schweiz für Vorteile erhalten und wie sie Gewinn schlagen kann.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81958.html
https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/64916.pdf

Was ist aufgefallen?

Tod von Sezgin Dağ sorgt für Schlagzeilen

Sezgin Dağ starb im November auf dem Weg vom Asylzentrum Lyss ins Krankenhaus. Die ORS hatte trotz seines lebensbedrohlichen Zustands keinen Krankenwagen, sondern nur ein Taxi gerufen. Dies lenkt den Blick deutscher Medien auf das Asylwesen der Schweiz.

»Es gibt dort nicht einmal Sanitäter«, so betitelt die deutsche Tageszeitung “Junge Welt” einen Beitrag über den Tod von Sezgin Dağ. Darin kommt seine Cousine Nurgül Sener zu Wort. Die Frage, wen sie für den Tod Sezgins verantwortlich macht, beantwortet sie klar: “Die Schlüsselrolle spielt der Schweizer Staat, der die Lagerverwaltungen nicht ausreichend kontrolliert. Es gibt dort nicht einmal Sanitäter. Diese Zustände müssen sich unverzüglich ändern. Sezgin wurden offensichtlich elementare Menschenrechte verwehrt. Wer nach einem Terroranschlag mit den Splitterfragmenten im Körper sowie mit einer koronaren Herzkrankheit lebte, sollte nicht im Flüchtlingslager untergebracht werden.”
Die Rolle der Behörden wurde in der Schweiz öffentlich kritisiert und es wurden aktivistische Forderungen zu einer umfassenden Aufarbeitung der Geschehnisse gefordert (siehe antira-Wochenschau vom 29.12.20,  “Der Tod von Sezgin Dağ muss aufgeklärt werden!”, https://antira.org/2020/12/29/brand-in-lipa-tod-im-taxi-bern-gegen-stoppisolation/). Dass der Fall im Ausland Erwähnung findet, fällt jedoch auf. Es zeigt, wie wertvoll eine gut vernetzte aktivistische Community ist, um seinen Anliegen Reichweite zu verschaffen. Der kritische Blick aus dem Ausland erhöht den Druck auf die schweizer Behörden zur Klärung der Verantwortlichkeit von Sezgin Dağs Tod. Diesen Druck gilt es auch für die bevorstehenden Verfahren gegen die verantwortlichen staatlichen Akteur*innen aufrecht zu erhalten.
https://www.jungewelt.de/artikel/394211.schweizer-asylunterk%C3%BCnfte-es-gibt-dort-nicht-einmal-sanit%C3%A4ter.html

Sturm auf das Capitol, was nun?

Der Sturm auf das Capitol in den USA zeigt, dass Trump und seine Anhänger*innen zu vielem in der Lage sind. Was kommt jetzt?

Wer das Capitol stürmt und ohne grösseren Schaden davonkommt, geniesst mit Sicherheit Privilegien, die das Resutat rassistischer Ideologien, wie ‘white supremacy’ sind. Sowie damit einhergehend die Unterstützung von einem bedeutenden Teil der Verwaltung und der Polizei. Schätzungen zufolge behält Trump trotz aller Kritik und seiner zunehmenden Isolation auch die Unterstützung von ca. 40% der Wählenden. Trumps Kräfte zu unterschätzen wäre falsch. Deshalb tun sich die Opportunist*innen in seiner Partei schwer, sich von ihm abzuwenden. Ebenso wenig ratsam wäre es aber, sie zu überschätzen. Einige Beispiele: Obwohl dieser Coup wochenlang geplant wurde, sind nur einige tausend Entschlossene nach Washington gereist. Und während des ‘historischen Moments’ dachten viele unter ihnen vorwiegend an eines: Selfies. Obwohl sich Trump durchaus verselbstständigen, und sich mit einer eigenen Partei abspalten könnte, (welche in der Behauptung „Die Wahl wurde gestohlen“ einen guten Gründungsmythos gefunden hätte), stehen ihm gut verankerte, entschlossene Kräfte entgegen. Gegner*innen finden sich sowohl auf der Seite der Unterdrückten wie auch auf der der Herrschenden. Auch die meinungsmachenden Medien, Twitter, Facebook, Kapitalist*innenverbände usw. sind im Moment gegen ihn. Die meisten wollen, dass Biden gegen Innen wieder Ruhe und Ordnung herstellt und gegen Aussen die USA als stabile Weltmacht positioniert. US-Business as usual ist gefordert. Gut möglich, dass einmal mehr die altbekannten Rezepte herhalten werden: (Rassistische) Repression gegen Innen und (nationalistische) Gewalt und Unterdrückung gegen Aussen. „All dies erfordert eine konsequente Neuausrichtung der sozialistischen Linken,“ schreibt das Spectre Editorial Board, das die Gedanken für diesen Beitrag formulierte. Was heisst das für antirassistische Bewegungen? Was findest du?
https://spectrejournal.com/we-cannot-let-yesterdays-farce-become-tomorrows-tragedy/
Tnx für die Übersetzung in die deutsche Sprache: https://sozialismus.ch/international/2021/sturm-aufs-kapitol-zeit-fuer-einen-neuen-kurs-gegen-rechts/

EU-Antibetrugsbehörde leitet Verfahren gegen Frontex ein

Bereits im Dezember wurden Büros im Frontex-Hauptquartier in Warschau durchsucht. Frontex-Chef Leggeri nimmt zu den Pushback-Vorwürfen vor dem Innenausschuss des Bundestags Stellung und kann diese nicht entkräften. Viele fordern seinen Rücktritt.

Im letzten Herbst waren die Vorwürfe der Billigung von und Beteiligung an illegalen Push-Backs von Menschen auf der Flucht durch die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex von verschiedenen Medien aufgegriffen worden. Daraufhin war der öffentliche Druck auf die EU-Agentur und ihren Chef Fabrice Leggeri endlich gestiegen. Im Dezember kam es zu mehreren Befragungen durch einen Innenausschuss des Europaparlaments. Leggeri wich aus, lenkte ab und sagte die Unwahrheit. Ohne ersichtliche Folgen. Nun wurde öffentlich, dass ein Verfahren der EU-Antibetrugsbehörde ‚Olaf‘ gegen Frontex eingeleitet wurde. Bereits Mitte Dezember wurde das Büro von Leggeri und das seines Kabinettschefs Thibauld de La Haye Jousselin durchsucht. Die Vorwürfe betreffen einerseits die erwähnten Push-Backs, andererseits (vermutlich damit im Zusammenhang stehende) Einschüchterungsversuche und Mobbing von Frontex-Mitarbeiter*innen durch Leggeri und de la Haye Jousselin, sowie Günstlingswirtschaft: Leggeri stellt neue Leute gerne und vor allem aus seinem Bekanntenkreis in Frankreich ein. In Bezug auf die Push-Backs musste sich Leggeri am Mittwoch zusätzlich vor einem parlamentarischen Gremium des Bundestags verantworten. Das Ergebnis? „Es ist deutlich geworden, dass die fehlende Kontrollierbarkeit dieser Einsätze das Problem ist.“, sagt Grünen-Politikerin Luise Amtsberg. Wir von antira.org finden Frontex-Einsätze an sich sind das Problem. Denn auch unabhängige Kontrollinstanzen ändern nichts an der Frontex zu Grunde liegenden Mission: Der Abschottung Europas. Dass es Leggeri eh nicht so genau nimmt mit den Kontrollinstanzen, zeigt sein Umgang mit den Posten von 40 Grundrechtsbeobachter*innen, die er bis zum 5. Dezember hätte einstellen sollen, um die Einhaltung der Gesetze während Frontex-Einsätzen zu gewährleisten. Eingestellt hat er bisher keine*n.  Zudem kritisierte Amtsberg, dass Frontex kein Interesse an einer tatsächlichen Aufklärung der Vorwürfe habe. Dies werde daran deutlich, dass die EU-Agentur nur interne Dokumente heranziehe und detaillierte Berichte und die Dokumentation von Menschenrechtsorganisationen ausser Acht lasse. Ein weiteres Problem seien juristische Lücken, laut denen es Leggeri in Einzelfällen legitim fände, Schlauchboote, die sich nicht in Seenot befinden, davon abzuhalten, die Küste zu erreichen. Diese Haltung des Frontex-Chefs zeigt einmal mehr die menschenverachtende Politik, die als Grundlage für die europäische Grenz- und Küstenwache dient. In einem Dokument, dass der Athener Tageszeitung Kathimerini vorliegt, beschreibt ein Mitarbeiter vielmehr, Leggeri habe wiederholt geäussert, Frontex sei kein Rettungsdienst und die Meldung von Push-Backs führe weder zu Beliebtheit noch zu einer Beförderung in der Agentur. Viele fordern nun den Rücktritt Leggeris. Mit dessen Rücktritt wird sich jedoch nichts am Auftrag von Frontex ändern: Migrationskontrolle um jeden Preis. Dieser Auftrag wurde ihr von der EU erteilt und die Push-Backs werden von vielen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten gebilligt und sogar angestrebt.
https://taz.de/Vorwuerfe-gegen-EU-Grenzschutzagentur/!5743844/
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-01/frontex-eu-grenzschutzagentur-migration-belaestigung-ermittlungen
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/frontex-abgeordnete-im-bundestag-verlangen-aufklaerung-ueber-illegale-pushbacks-a-826d283c-075b-4da4-ac0c-373e0112876e?utm_source=dlvr.it&utm_medium=%5Bfacebook%5D&utm_campaign=%5Bspontop%5D#ref=rss
https://www.proasyl.de/pressemitteilung/der-frontex-skandal-direktor-von-frontex-im-innen-und-menschenrechtsausschuss-des-bundestages/

Überall Hufeisen, oder: Wo steht der Feind?

Eine Studie belegt, dass die Polizei in den USA dreimal häufiger Gewalt gegen linke als gegen rechte Demonstrant*innen einsetzt. In Deutschland sitzt eine Antifaschistin als angebliche Anführerin einer kriminellen Vereinigung in Haft. Und in der Schweiz wird vor dem rechtsextremistischen Einzeltäter gewarnt. Was das alles miteinander zu tun hat.

Eine Studie des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) zusammen mit der Bridging Divides Initiative (BDI) der Universität Princeton hat 13‘000 Kundgebungen untersucht. Sie kommt zum Schluss, dass die US-Polizei mit dreimal höherer Wahrscheinlichkeit Gewalt gegen linke als gegen rechte Demonstrant*innen einsetzt. Diese Zahlen überraschen nicht wirklich, wenn wir die Bilder von der Erstürmung des Kapitols mit jenen der Black Lives Matter-Demonstrationen vergleichen. Die Studie (in Englisch) findet ihr hier: https://acleddata.com/special-projects/us-crisis-monitor. Ausserdem wurde letzte Woche bekannt, dass keine Anklage gegen den Polizisten erhoben wird, der dem Afroamerikaner Jacob Blake im August 2020 sieben Mal in den Rücken geschossen hatte. Der zuständige Staatsanwalt begründet seinen Entscheid mit dem Recht auf Selbstverteidigung, von dem der Polizist Gebrauch gemacht hätte. Allerdings existieren keine Beweise, dass Blake den Polizisten angegriffen hat.
In Deutschland wurde die Antifaschistin Lina E. verhaftet. Ihr wird vorgeworfen, an mehreren Angriffen auf Neonazis beteiligt gewesen zu sein. Die Bundesanwaltschaft ermittelt nach Paragraph 129 StGB und wirft Lina E. zusammen mit anderen Personen das Gründen einer kriminellen Vereinigung vor. Dieser Paragraph wird immer öfter herangezogen, um gegen antifaschistische Aktivist*innen vorzugehen. Die meisten Verfahren wurden mangels hinreichender Beweise eingestellt. Eine Sprecherin der Soligruppe »Freiheit für Lina« sagt in einem Interview mit der Jungen Welt: „Auffällig ist dabei, dass immer wieder die gleichen Personen, zu denen nichts gefunden wurde, dann wieder in anderen Verfahren als Beteiligte auftauchen. Im Ergebnis wird ein Bedrohungsszenario heraufbeschworen, in dem der Feind »links« steht. Das erkennt man bereits an der »Kampfansage« eines ermittelnden Beamten, der an Lina E. ein Exempel statuieren will und sich »siegessicher« gibt.“
Und auch in der Schweiz gab es letzte Woche Neuigkeiten im Bereich Extremismus, und zwar einen Bericht des Bundesrates zu Instrumentarien gegen Gewaltextremismus. In der Medienmitteilung dazu heisst es unter anderem: „So ist im Bereich des gewalttätigen Linksextremismus eine Lageverschärfung erkennbar, und im Bereich des gewalttätigen Rechtsextremismus besteht mittelfristig die erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Anschlag eines rechtsextremistisch inspirierten Einzeltäters.“ Auffallend ist dabei besonders die Formulierung des „rechtsextremistisch inspirierten Einzeltäters“, welcher nun offensichtlich auch in der Schweiz Einzug hält. Dabei wurde in den letzten Jahren in diversen Studien aufgezeigt, welche rechtsextremistischen Netzwerke in der Schweiz existieren und welche Verbindungen sie ins Ausland besitzen. Doch offenbar sind rechtsextremistische Gewalttaten für die Behörden generell Taten eines Einzeltäters / einer Einzeltäterin. Auch in Deutschland wurden die zahlreichen rassistisch und rechtsextremistisch motivierten Morde in den letzten Jahren immer als Taten eines Einzeltäters / einer Einzeltäterin abgetan. Darum stellt sich auch hier wieder die Frage: Wie viele Einzeltäter*innen braucht es eigentlich für ein Netzwerk?
So unterschiedlich die oben geschilderten Ereignisse auch sind, haben sie etwas gemeinsam: Es existieren offensichtlich fundamentale Unterschiede in der Betrachtung, Verurteilung und Bekämpfung von linkem und rechtem Aktivismus, respektive rechts- und linksextremistischen Handlungen. Wobei wir gezwungenermassen bei der vielfach widerlegten Hufeisentheorie landen. Diese stellt vereinfacht gesagt Links- und Rechtsextremismus als gleichwertige Bedrohungen einer freiheitlichen, gemässigten Mitte dar. Auch FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen fühlt sich in der Mitte dieses Hufeisens offenbar sehr wohl, wenn er in einem Tweet den Kapitolsturm in den USA mit der Bundesplatzbesetzung des Klimastreiks in Bern vergleicht. Für viele scheint der Feind offenbar nach wie vor ohne wenn und aber links zu stehen.
https://www.jungewelt.de/artikel/394015.repression-gegen-linke-das-ist-ein-altbekanntes-instrument.html
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81945.html
https://www.studizytig.ch/allgemein/hauptsache-gesittet.

2021 keine Verbesserungen auf den Fluchtrouten zu erwarten

Der Guardian zeigt in einer lesenswerten Analyse Szenarien auf den Fluchtrouten Balkanroute,  Griechenland, Mittelmeer und Ärmelkanal auf. Darin werden auch die wichtigsten Entwicklungen  im vergangenen Jahr sowie die Anzahl Todesfälle und Pushbacks  zusammengefasst. Insgesamt ein deprimierendes Fazit: Keiner der befragten Akteur*innen erwartet eine Verbesserung der Situation für geflüchtete Menschen. Auf der Balkanroute wird sich die Zahl der ankommenden Menschen wieder erhöhen, sobald sich die Coronasituation verbessert, während die betroffenen Länder, insbesondere Bosnien als Haupttransitpunkt, in keiner Weise auf die Versorgung dieser Menschen vorbereitet sind. Für die griechischen Lager sind ebenfalls keine Verbesserungen zu erwarten, solange die europäischen Regierenden an ihrer Strategie der Abschreckung und Abschottung festhalten. Die Pandemie könne von den griechischen Behörden hingegen weiterhin genutzt werden, um ihre Agenda zu beschleunigen, geschlossene Zentren auf den griechischen Inseln zu schaffen und die Grenzkontrollen zu verstärken. Die Flucht über das Mittelmeer wird auch 2021 häufig tödlich enden, solange keine Bereitschaft für ein offizielles europäisches Seenotrettungsprogramm besteht. Zivile Akteur*innen der Seenotrettung wären schon über ein Ende der Kriminalisierung ihrer Arbeit froh. Die Möglichkeiten, in Grossbritannien Asyl zu beantragen, sind nach dem Brexit noch weitestgehend unklar. Für die Flucht über den Ärmelkanal stehen die Zeichen weiterhin klar auf Abschottung.
https://www.theguardian.com/global-development/2021/jan/14/journeys-of-hope-what-will-migration-routes-into-europe-look-like-in-2021

Tödliche Schüsse in Stade: Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen einen Polizeibeamten

Die Staatsanwaltschaft betrachtet den Fall als Notwehr. Der Bruder des Getöteten weist auf Ungereimtheiten hin und fordert unabhängige Ermittlung.
Im August 2019 wurde der 19-jährige Aman Alizada in einem Asyllager in Stade, Niedersachsen, von einem Polizeibeamten erschossen. Das Verfahren gegen diesen wurde zuerst im Juni 2020 eingestellt und als „glasklare Notwehr“ eingeschätzt. Nachdem die Oberstaatsanwaltschaft Celle das Verfahren erneut aufnahm, wird es nun ein zweites Mal eingestellt: mit der gleichen Begründung. Lediglich ein weiterer Beamter wurde vernommen. Für das Tötungsdelikt gibt es jedoch keine Zeug*innen. Drei von vier Beamt*innen waren draussen vor dem Zimmer in Deckung gegangen. Alizada befand sich zum besagten Zeitpunkt in einer psychischen Krise und war laut geworden. Sein Mitbewohner rief daraufhin die Polizei. Als diese eintraf, war Alizada alleine in einem verschlossenen Raum. Wieso die Polizeibeamt*innen in dieser Situation akuten Handlungsbedarf sahen, ist fragwürdig. Wieso zogen sie nicht zumindest eine*n Dolmetscher*in oder eine*n Betreuer*in oder Psycholog*in hinzu? Ein Gutachten besagt, Alizada sei im Sitzen, Liegen oder Hocken erschossen worden. Der Schütze stellt es anders dar: Alizada sei mit einer Hantelstange auf ihn losgegangen und auch ein Schuss in die Schulter habe ihn nicht gestoppt. Dies ist die einzige Aussage, der nun von der Staatsanwaltschaft Glauben geschenkt wurde. Der Bruder des Getöteten wird erneut Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens einreichen. Er fordert ein Gerichtsverfahren und die Untersuchung durch eine unabhängige Staatsanwaltschaft. Er und die Bürgerinitiative Menschenwürde und der Flüchtlingsrat Niedersachsen sehen zudem Handlungsbedarf: Sie verlangen bessere Betreuung von traumatisierten Jugendlichen, Schulungen für Polizeibeamt*innen im Umgang mit Menschen in akuten Krisen, sowie unabhängige Beschwerdestellen für Polizeieinsätze.
Wir von antira.org halten die Abschaffung des Migrationsregimes und des Polizeiapparates für weitere Lösungsansätze.
https://taz.de/Schuesse-auf-Fluechtling-in-Stade/!5744161

Was war eher gut?

Referendum gegen Terrorismusgesetz kam zustande

142’800 Unterschriften konnten der Bundeskanzlei diese Woche übergeben werden. Bis vor kurzem sah es noch danach aus, dass das Referendum gegen das neue Polizeigesetz zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) scheitern würde. Neben dem linkspolitischen Referendumskomitee hat die Bewegung “Freunde der Verfassung” zahlreiche Unterschriften gesammelt. Die beiden Gruppen überreichten ihre gesammelten Unterschriften getrennt voneinander. Die “Freunde der Verfassung” treten seit Monaten aktiv gegen die Coronamassnahmen des Bundesrates auf, missachten Schutzkonzepte und verbreiten Verschwörungsideologien. Das Antiterrorgesetz, dessen Massnahmen Grundrechte beschränken und der Polizei noch weitreichendendere Repressionsmöglichkeiten gibt, kommt somit vors Volk.
https://www.tagblatt.ch/schweiz/demokratie-in-einem-monat-ein-referendum-hingeknallt-die-freunde-der-verfassung-reichen-55000-unterschriften-ein-ld.2085578

Was nun?

Solidarität mit flüchtenden Menschen an der bosnisch-kroatischen Grenze
Bild: Soliaktion in Bern am 18. Januar

Unter extremen Bedingungen müssen Menschen auf der Flucht momentan an der bosnisch-kroatischen Grenze in Bihać ausharren. Der Ort wurde in den letzten Monaten zum Brennpunkt des europäischen Abschottungsregimes. Die Menschen werden im Grenzgebiet blockiert, weil sich die EU weigert, die Menschen aufzunehmen, und kommentarlos zuschaut, wie die kroatische Polizei Pushbacks durchführt und Menschen illegal über die Grenze zurückdrängt. Den geflüchteten Menschen werden Schuhe und Jacken weggenommen und zusammen mit Handies sowie den wenigen mitgeführten Sachen zerstört. Viele berichten von Beschimpfungen, Demütigungen, Schlägen. Nach dem Pushback bleibt der Weg in der Kälte zurück nach Bihać, im T-Shirt und barfuss.
In Bihać geht es ums Überleben und es mangelt am Nötigsten. Die wenigen solidarischen Strukturen und Menschen sind finanziell am Anschlag. Viele der offiziellen Hilfsorganisationen haben sich aufgrund der katastrophalen Situation zurückgezogen. Auch die Unterbringungssituation ist extrem prekär. Im Camp Lipa lebten rund 1500 Personen. Bis das ungeheizte Zeltcamp am 23. Dezember niederbrannte. Erst Wochen danach begann die bosnische Armee mit dem Aufbau neuer Zelte. Bis dahin mussten die Menschen die Nächte ohne Obdach in eisiger Kälte verbringen und bis heute gibt es viel zu wenig beheizbare Schlafplätze für alle Menschen. Nahrung gibt es die ganze Zeit über zu wenig. Die Rationen sind klein und es ist nicht möglich, davon satt zu werden.
An Neujahr sind über 500 (geflüchtete) Migrant*innen in einen Hungerstreik getreten. Auf Schildern hielten sie Forderungen und Kritikpunkte fest: „We want help from the EU!“, „Where are the human rights organizations? Help!“, „We are immigrants but we are not criminals!“, „We are not animals. We are human beeings“. Der Hungerstreik endete letzte Woche ohne Erfolg.
Solidarität und Handeln von uns allen ist dringend gefragt! Insbesondere von Menschen in Europa, die das Geld und die Zeit haben, die Betroffenen des brutalen europäischen Grenzregimes zu unterstützen.
Hilf deshalb mit, die Situation im Grenzgebiet wenigstens ein klein wenig besser zu gestalten, indem du zum Beispiel Geld spendest. Damit werden die momentan dringend benötigten Dinge wie Kleider, Schlafsäcke, Zelte und Essen gekauft. Auch Sachspenden sind willkommen, mehr Infos dazu findest du hier: https://www.openeyes.ch/spende-sachen
Spenden: Bleiberecht Bern, IBAN: CH72 0900 0000 6024 4887 5, Vermerk, Bihac
Mehr Informationen zur Situation in Bihać: https://migrant-solidarity-network.ch/blog/

Bern: Neuer diskriminierungsfreier Begegnungsort entsteht

Ein Kollektiv junger BIPOC-Frauen und Femmes hat das Café Révolution gegründet. Das Projekt im Berner Progr soll ein Safer Space und eine Plattform für anti-rassistische Projekte werden. Einen längeren Bericht gibt es hier: https://www.bernerzeitung.ch/wir-brauchen-diesen-raum-415400958063
Für die Finanzierung wurde ein Crowdfunding gestartet. Das Ziel von 30‘000 Franken konnte bereits erreicht werden. Spenden sind weiterhin willkommen: Das Crowdfunding findet ihr hier: https://www.crowdify.net/de/projekt/cafe-revolution

Wo gabs Widerstand?

Riots in Belgien nach Tod in Polizeigewahrsam

Hunderte Menschen gingen in Brüssel wütend auf die Strasse. Sie forderten die Aufklärung des Todes in Polizeigewahrsam von Ibrahima Barrie.

Brennende Polizeiwache, in der Ibrahima starb

Der 23-Jährige Ibrahima Barrie wurde am vergangenen Samstag bei einer Polizeikontrolle verhaftet und starb kurz darauf. Seine Angehörigen wurden erst Stunden später informiert. Laut belgischen Medien haben die Behörden der Familie teils widersprechende Versionen über den plötzlichen Tod von Ibrahima vermittelt. Er soll kurz nach seiner Ankunft das Bewusstsein verloren haben und wurde vom Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht, wo er kurz darauf starb. Laut dem Anwalt der Familie sei er jedoch zuvor fünf Minuten lang auf dem Boden liegen gelassen worden. “Diese mehreren Minuten ohne Versorgung sind entscheidende Momente, in denen Ibrahimas Leben hätte gerettet werden können. Die Beamten haben ihn zum Sterben zurückgelassen”, sagte der Anwalt, und weiter: “Das ist inakzeptabel. Leider sehen wir in Brüssel, dass dies keine Ausnahme ist.” Der Vorwurf steht im Raum, dass Ibrahima sterben gelassen wurde, weil die Polizeibeamt*innen rassistisch motiviert handelten.
Der Tod von Ibrahima Barrie reiht sich ein in eine lange Liste weltweiter Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen und People of Colour. Mit der Kraft der Black Lives Matter-Proteste des vergangenen Jahres kam es am Mittwoch in Brüssel zunächst zu einer Demonstration mit über 400 Teilnehmer*innen, anschliessend zu Ausschreitungen. Die Demonstrierenden sind wütend und sich sicher, Ibrahima würde noch leben, wäre er nicht Schwarz gewesen. Sie skandieren “Polizisten, Mörder”. Bei den Ausschreitungen wurden unter anderem sechs Polizeifahrzeuge beschädigt sowie die Polizeistation, in die Ibrahima gebracht wurde, in Brand gesetzt. Es kam zu über 100 Festnahmen.
https://www.hln.be/brussel/betoging-voor-overleden-ibrahima-23-ontspoort-volledig-meer-dan-100-arrestaties-relschoppers-bekogelen-politiekantoor-met-molotovcocktails~aab0f60e/?referrer=https%3A%2F%2F
www.brusselstimes.com%2F&referrer=https%3A%2F%2Fwww.derstandard.at%2Fstory%2F2000123285555%2Fnach-tod-eines-festgenommenen-schwarzen-demonstration-in-bruessel-eskalierte%3Fref%3Drss
https://www.derstandard.at/story/2000123285555/nach-tod-eines-festgenommenen-schwarzen-demonstration-in-bruessel-eskalierte?ref=rss

Zehn Abschiebe-Transporter ausgebrannt

Am vergangenen Wochenende wurden im deutschen Braunschweig zehn Autos der Landesaufnahmebehörde (LAB), die für die Abschiebungen aus Niedersachsen verantwortlich ist, abgebrannt. Es entstand Sachschaden in Höhe von 500.000 Euro.

Auch in Langenhagen bei Hannover wurden Brandsätze an der dortigen Niederlassung der LAB entdeckt, die aber nicht gezündet hatten. Im Bekenner*innen-Schreiben heisst es: „Die LAB beteilligt sich an ihren verschiedenen Standorten an der Organisierung und Durchführung von Abschiebungen. Auf dem Gelände der LAB Hannover-Langenhagen wird gerade eine zentrale Abschiebebehörde (ZAB) aufgebaut und mit mehr Personal ausgestattet. Ziel der Politik ist es, Abschiebungen mit der ZAB schneller, effizienter und konsequenter durchzuführen. Ganz im Sinne des tödlichen Paktes der auf Bundesebene und Europaebene für den Ausbau der Festung Europa nach vorne getrieben wird. Mit den Transportern werden Refugees gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen und aus Lagern direkt zu Abschiebeflügen bzw. in den Abschiebeknast transportiert. Mitten in der Nacht oder tagsüber aus der Schule. Unsere militanten Aktionen sind ein praktischer Beitrag, um die Abläufe im menschenverachtenden Abschiebesystem wirksam zu behindern. […] Solidarität muss praktisch werden.»
Bild: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146825.niedersachsen-zehn-abschiebe-transporter-ausgebrannt.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146825.niedersachsen-zehn-abschiebe-transporter-ausgebrannt.html
https://de.indymedia.org/node/131687

350 geflüchtete Menschen treten in britischer Notunterkunft in den Hungerstreik

In der Nähe der Stadt Folkestone auf der britischen Seite des Ärmelkanals sind etwa 350 geflüchtete Menschen in den Hungerstreik getreten. Sie sind teilweise bereits seit September in der ehemaligen Kaserne Napier untergebracht, in der schlechte hygienische Bedingungen herrschen, die beengten Platzverhältnisse keinen Schutz vor Covid-19 bieten und die medizinische Versorgung unzureichend ist.

Sie kritisieren, dass sie ungenügend Rechtsbeistand erhalten und über den Stand ihres Asylverfahrens nicht informiert werden. Einige der Männer weigern sich aufgrund der schlechten Bedingungen trotz eisiger Temperaturen, in der Unterkunft zu schlafen. In der vergangenen Woche gab es zwei Selbstmordversuche.
Unterstützt werden die Hungerstreikenden von dutzenden Anwohner*innen, die am Dienstag vor dem Lager für die Rechte der Untergebrachten protestierten. Aufgrund der hohen Coronafallzahlen in der Region erhalten Unterstützer*innen keinen Zugang mehr zum Lager.
Die Reaktion auf die Proteste von Chris Philp, weisser Mitarbeiter der Innenministeriums: “Diejenigen, die in Napier sind, sind im Allgemeinen mit kleinen Booten aus Frankreich gekommen. Diese Reise ist nicht nur gefährlich, sondern auch unnötig – Frankreich ist ein sicheres Land mit einem gut funktionierenden Asylsystem. Migranten sollten diese Reise gar nicht erst antreten.” Statt vor der eigenen Haustür zu kehren und seine Aufgaben zur sicheren Unterbringung geflüchteter Menschen zu erfüllen, wird die Schuld für ihre Situation den Menschen zugeschoben, die unter seiner Politik zu leiden haben. Ein sehr plakatives Beispiel für weisse Überheblichkeit und einen Mangel an Menschlichkeit im Allgemeinen.
Bild:https://www.independent.co.uk/news/uk/home-news/asylum-seekers-napier-barracks-camp-home-office-b1786001.html
https://www.theguardian.com/uk-news/2021/jan/12/asylum-seekers-on-hunger-strike-over-conditions-at-kent-barracks-site

Bürgermeister fordert Auflösung des griechischen Camps Malakasa

Giorgos Giasimakis ist Bürgermeister der Gemeinde Oropos, in der sich das Geflüchtetenlager Malakasa befindet. In einer öffentlichen Mitteilung prangert er die unmenschlichen Bedingungen an, unter denen die Menschen dort leben müssen. Anlass für seine Äusserungen ist der Tod eines fünfjährigen Jungen, der vor dem Eingang des Lagers von einem Lastwagen überfahren wurde. “Die Schaffung von Lagerhäusern für Menschen ist keine Lösung, noch sind temporäre Lösungen dieser Art Ausdruck einer zivilisierten Gesellschaft, da sie offensichtlich die Probleme nicht lösen, sondern sie nur vorübergehend überdecken. Sie bieten zudem keinen Ausweg sowohl für die lokalen Gemeinden als auch für die Migrant*innen selbst, die auf diesem Weg auf tragische Weise behandelt werden und keine Möglichkeit erhalten, in Würde und Menschlichkeit zu leben.” Vielmehr sei in den Lagern lediglich ein Überleben möglich. Er forderte die Schliessung des Lagers und eine menschenwürdige und angemessene Unterbringung für die Menschen auf der Flucht. Im überbelegten Camp leben über 2000 Menschen, darunter über 800 Kinder, für die keine kindgerechten Strukturen zur Verfügung stehen. Zusätzlich zu den Belastungen enger Platzverhältnisse, schlechter Infrastruktur und Perspektivlosigkeit stand Malakasa wie die übrigen griechischen Lager im vergangenen Jahr monatelang unter Corona-Quarantäne, die Menschen durften das Lager also nicht verlassen. Die Forderungen sind klar: No Camps. Alle Lager abschaffen. Menschen wie Menschen behandeln.
https://www.infomigrants.net/en/post/29568/no-more-human-warehouses-urges-athens-regional-official

Hungerstreik eines weissen Lehrmeisters in Frankreich verhindert Abschiebung seines Schwarzen Lernenden

Im französischen Besançon ist ein Bäcker in den Hungerstreik getreten, um gegen die Abschiebung seines Lernenden nach Guinea zu protestieren. Dieser war als Minderjähriger in die Schweiz geflüchtet und begann 2019 seine Ausbildung in der Backstube. Mit der Volljährigkeit beantragte er Asyl in Frankreich, welches allerdings abgelehnt wurde.
Der Protest des Bäckers erregte Aufmerksamkeit und veranlasste bekannte Persönlichkeiten zu einem offenen Brief an Präsident Macron. Darin heisst es: «Sie können nicht so unsensibel gegenüber der Tatsache bleiben, dass ein französischer Bürger seine Gesundheit aufs Spiel setzt, um die humanistischen Grundsätze – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – zu verteidigen.» Zusätzlich sammelte eine Petition 240’000 Unterschriften für ein Bleiberecht des jungen Mannes. Die Proteste führten zu einer Neubewertung des Asylantrags: „In Anbetracht seiner vorbildlichen Integrationsleistungen und seiner Aussichten auf eine berufliche Eingliederung (…) hat der Präfekt der Haute-Saône beschlossen, die gegen ihn ergriffene Maßnahme aufzuheben und ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen“, heisst es von der zuständigen Behörde.
Erfreulich ist, dass dieser Protest ein Bleiberecht erreicht hat und sich zahlreiche Menschen öffentlich solidarisch erklärt haben. Auffällig ist jedoch leider auch, dass es eine Geschichte über “gelungene Integration” braucht, die dieses Bleiberecht rechtfertigt. Und dass es in der Geschichte den “weissen Retter” gibt, der mit seinem Hungerstreik Aufmerksamkeit erregt und dessen Gesundheit im offenen Brief an den Präsidenten im Mittelpunkt steht.
https://www.tagesanzeiger.ch/lehrling-aus-guinea-darf-bleiben-wegen-vorbildlicher-integration-752935753606
 Bild: https://taz.de/Nach-Hungerstreik-von-Baecker/!5744409/

Was steht an?

Aufruf zur Prozess-Unterstützung

26. – 28.01.2021 I Bezirksgericht Luzern
Vom Dienstag, 26. bis am Donnerstag 28. Januar, finden am Bezirksgericht Luzern Strafprozesse wegen Nötigung anlässlich einer Ausschaffung statt. Die Staatsanwaltschaft wirft den 9 Angeklagten vor, den Gefangenentransport während der Demonstration blockiert zu haben. Wir beziehen unsere Würde und Stärke nicht aus den Urteilen des Gerichts. Darum freuen wir uns umso mehr auf die Anwesenheit und Unterstützung von solidarischen Personen vor, während und nach den Prozessen. Die Prozesse finden einzeln bzw. nacheinander statt. Beginn ist am Morgen jeweils um 8 Uhr und am Nachmittag um 13 Uhr (ausser Mittwochnachmittag, am 27.01. ist keine Verhandlung).
https://barrikade.info/event/1448

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Antisemitismus in der Armee: Was, wenn die herausfinden, dass ich Jude bin?
Benjamin besucht in Kloten die Rekrutenschule. Und gerät in einen Albtraum.
https://www.tagesanzeiger.ch/was-wenn-die-herausfinden-dass-ich-jude-bin-146066523102

Vo da.: «Rassismus geht uns alle etwas an – ob als Privilegierte oder als Benachteiligte»
Das Kollektiv Vo da. setzt sich für eine antirassistische Gesellschaft ein und äussert sich öffentlich dazu. Dafür erhalten die Mitglieder viel Zuspruch – sie müssen aber auch kritischen Stimmen trotzen. Das Kollektiv über rassistische Häusernamen, diskriminierende Strukturen und eine überwältigende Solidaritätswelle.
https://tsri.ch/zh/vo-da-rassismus-geht-uns-alle-etwas-an-ob-als-privilegierte-oder-als-benachteiligte/

„Querdenken“: Die erste wirklich postmoderne Bewegung
Die Soziologen Oliver Nachtwey und Nadine Frei haben in einer Studie untersucht, wer an den Corona-Protesten teilnimmt und wie sie denken. Im Interview sprechen sie über überraschende Ergebnisse, anti-autoritäre Autoritäre und die Dialektik des Emanzipationsprozesses.
https://www.philomag.de/artikel/querdenken-die-erste-wirklich-postmoderne-bewegung

Schweiz und Kolonialismus – Johann Jakob von Tschudi: Naturforscher und Rassist
Statt Eroberer schickte die Schweiz im 19. Jahrhundert Forscher wie Johann Jakob von Tschudi nach Übersee. Auch sie trugen eine politische Verantwortung.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/schweiz-und-kolonialismus-johann-jakob-von-tschudi-naturforscher-und-rassist
https://www.srf.ch/play/tv/kulturplatz/video/der-naturforscher-johann-jakob-von-tschudi

Press Release from BVMN-member InfoKolpa on Slovenian Court Ruling
Over the last year the civil initiative Info Kolpa, a key member of the Border Violence Monitoring Network, are sharing an important victory on their applicant’s court proceedings seeking justice against the Slovenian state’s expulsion practices. This month, the administrative court established once again that the Republic of Slovenia violated the applicant’s right to prohibition of collective expulsions, his right to prohibition of torture and his right to access to the asylum procedure, by following the abbreviated procedure on the basis of the Readmission Agreement between the Republic of Slovenia and the Republic of Croatia, through which it handed the applicant over to the Croatian authorities in August 2019.
https://www.borderviolence.eu/press-release-from-bvmn-member-infokolpa/

AYS Special from Italy: Voices from Turin’s CPR
This comes after weeks of protest and brutal repression in several detention centres in Italy. On Christmas night, 2 people attempting to escape from the CPR in Gradisca d’Isonzo (northeastern Italy), were stopped, taken back to the centre and violently beaten up. On New Year’s eve, detainees protesting in Ponte Galeria CPR in Rome, were met with CS gas thrown into the closed structure. The two detainees in Turin called the radio from public phones, as all mobiles had been seized by the centre’s guards. Here are their voices.
https://medium.com/are-you-syrious/ays-special-from-italy-voices-from-turins-cpr-a17a3b9ca134

Spanien will Grenzüberwachung in Gibraltar übernehmen
Eigentlich sollte Frontex die neuen EU-Außengrenzen am Affenfelsen kontrollieren. Laut einem EU-Papier übernimmt dort aber erstmals die Guardia Civil hoheitliche Aufgaben. Dies betrifft auch Abfragen des Schengener Informationssystems oder des neuen EU-Reiseregisters ETIAS und die Verhängung von Einreiseverboten in die britische Exklave.
https://netzpolitik.org/2021/brexit-folgen-spanien-will-grenzueberwachung-in-gibraltar-uebernehmen/

Death on the Central Mediterranean: 2013-2020
Since 2013, more than 17,000 asylum seekers and migrants are known to have disappeared or died. Against this backdrop, we present a timeline not only of the EU’s steady withdrawal from search and rescue activities in the Central Mediterranean, but also of the increasing criminalisation of the NGOs that have attempted to fill the gap, and of the worsening humanitarian consequences.
https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2021/01/12/migration-central-mediterranean-timeline-rescue

Unsere fremden Grenzen – Europas Türsteher am Rande der Sahara | Doku
Seit Jahren arbeitet die EU an einem Kordon von Barrieren, quer durch den Sahel. Jene, die sich auf den Weg nach Europa machen, sollen bereits weit vor ihrem Ziel gestoppt werden. Christian Jakob führt an die Orte, an denen die Zukunftshoffnungen junger Afrikaner*innen und die Grenzschutzmission Europas miteinander kollidieren. Das Feature ist in Kooperation von rbb und taz entstanden.
https://www.ardaudiothek.de/feature/unsere-fremden-grenzen-europas-tuersteher-am-rande-der-sahara-doku/84267428