Der Tod von Sezgin Dağ muss aufgeklärt werden | Ausschaffungen: Menschenverachtende Produktion von Prekarität | Fluchtrouten: Mindestens 40 Tote an Europas Aussengrenzen | Bosnien: Geflüchtetenlager Lipa abgebrannt | Bern: Stadt und Kanton nehmen Stellung gegen die Forderungen von „Stopp Isolation“ | Gstaad: Migrantische Arbeitskräfte mussten jahrelang unter höchst ausbeuterischen Verhältnissen die Chalets der Reichen putzen | Brexit verhindert Familiennachzug für 20 Minderjährige | EU-Türkei-Deal komplett bezahlt | Schweizer Firma Faulhaber liefert Bauteile für Drohnenkrieg| Kopf der Woche: Horst Seehofer | Noch 35.000 Unterschriften bis zum Antiterrorgesetz-Referendum | Weihnachtsgrüssen aus Moria via Social Media Gehör verschaffen | Spende für rechtliche und psychosoziale Beratung für Schutzsuchende in Serbien | Aktivist*innen aus der Schweiz wollen Aktivist*innen in Bosnien unterstützen
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Wo gabs Widerstand?
Der Tod von Sezgin Dağ muss aufgeklärt werden!
Am 13. November 2020 starb Sezgin Dağ auf dem Weg vom Asylzentrum Lyss ins Krankenhaus. Trotz des lebensbedrohlichen Zustands hatte die ORS keinen Krankenwagen sondern nur ein Taxi gerufen. 16 Organisationen fordern Aufklärung, Konsequenzen und die Verhinderung zukünftiger Todesfälle.
In einer Medienmitteilung fordern Angehörige, Freund*innen und solidarische Menschen: „Der Tod von Sezgin Dağ muss aufgeklärt werden. Die Verantwortlichen müssen vor dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden.“ Über 60 Personen nahmen an der Kundgebung vor dem SEM teil, an der die Forderungen an die Öffentlichkeit und die Behörden gestellt wurden.“Wir sind der Meinung, dass der Tod von Sezgin Dağ der sich bis zum 13. November 2020 im Asylzentrum an der Grenzstrasse 17 in 3250 Lyss aufhielt, eine Verletzung des Rechts auf Leben darstellt und wir wollen, dass die Verantwortlichen vor dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden. […]Bei der Einreichung seines Ayslgesuches in der Schweiz erklärte er den zuständigen Behörden nicht nur die über ihn zur Vollstreckung ausgesetzten politischen Verurteilungen, er erklärte auch seinen kritischen Gesundheitszustand. Da er nicht nur mit den Splitterstücken in seinem Körper zu kämpfen hatte, sondern auch unter seiner Koronaren Herzkrankheit litt. In der Türkei hatte Sezgin einen Myokardinfarkt erlitten, nach der Genesung wurde ihm ein Stent gesetzt. Er bat die Behörden in der Schweiz um eine angemessene Behandlung für seinen kritischen Gesundheitszustand. Er bat um das Recht auf Leben und Gesundheit.Wir haben ernsthafte Zweifel, ob Sezgin eine angemessene medizinische Versorgung für seinen sensiblen Gesundheitszustand erhalten hat. Es gibt offensichtliche Verstösse und Nachlässigkeiten, die zu seinem Tod geführt haben. Diese müssen untersucht und in den Ermittlungsverfahren miteinbezogen werden. […]Wir wollen, dass die medizinische Versorgung von Sezgin Dağ ab dem Ayslgesuch bis zu seinem Tode; vor allem die Untersuchungsbefunde sowie die Behandlungen vom 12. November 2020 im Spital Aarberg untersucht werden. Insbesondere muss das Management des Asylzentrums, das es vorzieht, in solch einer kritischen und lebensbedrohlichen Situation ein Taxi statt eines Krankenwagens zu rufen, für seine Unverantwortlichkeit vor dem Gesetz Rechenschaft ablegen und die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen offenlegen. Die mangelnden Kontrollen der staatlichen Institutionen in den privatisierten Asylzentren führt zu solchen Ereignissen. Es ist unverantwortlich und wir empfinden es als Diskriminierung gegenüber allen Flüchtlingen, dass die autorisierte Firma ORS ihre Mitarbeiter nicht anweist, in solchen lebensbedrohlichen Situationen einen Krankenwagen zu rufen.Dies zeigt uns, dass der Profit des Managements vordergründiger ist, als ein Menschenleben. Die überhöhten Kosten für die Ambulanzdienste sind ebenfalls ein wichtiger Mangel des schweizerischen Gesundheitssystems.
Wir sind traurig unseren Sohn, Bruder, Cousin und Freund verloren zu haben. Die Verantwortlichen sowie das System, die für den tragischen Tod eine Mitschuld tragen, müssen in Frage gestellt werden. Alle notwendigen rechtlichen Schritte müssen eingeleitet und um den Tod von weiteren Sezgins zu verhindern, müssen die notwendigen Vorkehrungen bedingungslos und dringend getroffen werden.“
https://www.facebook.com/migrantsolidaritynetwork/posts/691251821588484
Was ist neu?
Fluchtrouten: Mindestens 40 Tote an Europas Aussengrenzen
In der letzten Woche gerieten in der Ägäis, im zentralen Mittelmeer und auf dem Atlantik mehrere Boote in Seenot. Mindestens 40 Menschen kamen dabei ums Leben.
Trotz gefährlichen Bedingungen setzte die griechische Küstenwache erneut Menschen auf offener See aus. Zumindest das zivile Seenotrettungsschiff ‚Ocean Viking‘ wurde nach fünf Monaten Blockade von den italienischen Behörden freigegeben.
– Am 18. Dezember fielen drei Frauen aus einem überfüllten Schlauchboot vor der griechischen Insel Lesbos. Das Boot mit 24 Menschen an Bord erreichte schliesslich die Insel und informierte die griechischen Behörden über den Vorfall. Nach mehrstündiger Suchaktion konnten zwei von ihnen lebend geborgen werden, für eine kam jede Hilfe zu spät.
– Am 23. Dezember wurde die Freiwilligenorganisation Alarm Phone darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein Boot mit 59 Menschen an Bord in Seenot geraten war. Es überquerte den Atlantik von Marokko nach Spanien. Die GPS-Koordinaten, die von Alarm Phone an die zuständigen Behörden weitergeleitet wurden, befanden sich in der spanischen Such- und Rettungszone. Das Boot wurde jedoch zurück nach Marokko geschleppt. Da die Behörden sehr langsam reagierten, waren nur noch 44 Menschen an Bord. Vermutlich sind die restlichen 15 Menschen nicht mehr am Leben.
– Am 24. Dezember gab es mehrere Vorfälle:
– Vor der tunesischen Küste nahe Sfax sank ein Boot mit mehr als 45 Menschen an Bord. Fünf von ihnen konnten lebend aus dem Wasser geholt werden. Mindestens zwanzig Menschen ertranken und ihre Leichen wurden geborgen. Die Suche nach weiteren Überlebenden dauert an.
– Ein Boot mit 39 Menschen an Bord, welches eine Woche lang gesucht worden war, wurde vor der spanischen Küste nahe Grenada geortet. Auf der Überfahrt starben 4 Menschen. Ihre Leichen wurden von den anderen ins Meer geworfen. Die Überfahrten werden trotz der gefährlichen Wetterbedingungen in Kauf genommen, da sich die Situation für migrierende und flüchtende Menschen durch die coronabedingte Wirtschaftskrise in Libyen und Tunesien weiter verschlechtert hat.
– Die griechische Küstenwache hatte unterdessen nichts Besseres zu tun, als Menschen auf einer manövrierunfähigen, schwimmenden Rettungsinsel auf dem Meer auszusetzen. Die weit verbreitete, aber von den griechischen Behörden geleugnete Praxis, wurde aus der Luft gefilmt.
Vor diesem beschämenden Hintergrund ist die Freigabe des zivilen Seenotrettungsschiffes ‚Ocean Viking‘ durch die italienischen Behörden nur ein milder Trost. Das Schiff war fünf Monate wegen angeblicher technischer Mängel in Sizilien festgehalten worden. Im Januar soll es von Frankreich aus mit neuer Crew und medizinischem Personal seinen nächsten Einsatz starten. Der Geschäftsführer von SOS Mediteranée, der NGO welche das Schiff betreibt, erklärte: »Hunderte Menschen sind in den vergangenen Monaten im Mittelmeer ertrunken, von denen wir und andere blockierte Seenotrettungsorganisationen viele hätten retten können.« Fünf weitere Schiffe sind nach wie vor festgesetzt. Das Projekt ‚jetzt‚ hat versucht, eine Übersicht über diese Festsetzungen, sowie über Schiffbrüche, Seenoteinsätze und Todesfälle im Mittelmeer im Jahr 2020 zu erstellen.
https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/politik/seenotrettung-im-mittelmeer-2020-die-bilanz-e670960/
https://www.derstandard.at/story/2000122772739/mindestens-20-personen-vor-tunesischer-kueste-ertrunken?ref=rss
https://taz.de/Bootsunglueck-vor-tunesischer-Kueste/!5740500/
https://www.facebook.com/NewsfromtheMed/posts/1117047328748862
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146090.seenotrettung-rettungsschiff-ocean-viking-wieder-frei.html
https://www.facebook.com/watchthemed.alarmphone/posts/2849537458653812
https://www.facebook.com/watchthemed.alarmphone/posts/2848884282052463
https://www.infomigrants.net/en/post/29230/woman-drowns-off-lesbos-during-boat-crossing
https://www.facebook.com/watch/?ref=saved&v=198480211934065
Bosnien: Geflüchtetenlager Lipa abgebrannt
Am 24. Dezember brannte das Lager Lipa in der Nähe der bosnischen Grenzstadt Bihać nieder. Die Organisationen No Name Kitchen, SOS Balkanroute und andere rufen dringend dazu auf, die Menschen zu evakuieren und Soforthilfe in der Region sicherzustellen.
Durch den Brand wurden tausende obdachlos. Elementare Grundbedürfnisse wie Sicherheit und warmes Obdach, Hygiene, Ernährung sowie medizinische Versorgung sind in der Region nicht gewährleistet.
Lipa war bereits vor dem Brand nicht eine besonders menschenwürdige Unterkunft. Das sah sogar die IOM, die das Camp verwaltet so und wollte die dort lebenden Geflüchteten in das Camp Bira – ebenfalls in der Stadt Bihać – transferieren. Beobachter*innen zufolge blockierten jedoch Bürger*innen und faschistische Gruppen die Zufahrtsstrassen und hinderten die IOM-Busse an der Zufahrt zum Camp. Nach dem Brand von Lipa versuchten die meisten geflüchteten Menschen zu Fuss nach Bihać zu gelangen, wo sie aber erneut von den örtlichen Behörden blockiert und erniedrigt wurden. Tausende verbrachten die letzten Tage somit ohne Zugang zu einem Camp oder anderen Unterkünften. Die wenigen Solidaritätsstrukturen in Bihać haben zudem aufgrund der jüngsten Gesetzesverschärfungen kein Recht mehr, flüchtende Menschen zu unterstützen. Die Herrschenden Europas tragen die Verantwortung für diese Katastrophe und unternehmen auch weiterhin nichts, um das physische und psychische Leid zu stoppen.
https://www.derstandard.at/story/2000122750806/fluechtlingslager-lipa-in-bosnien-in-brand-gesetzt?ref=rss
https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlinge-bihac-bosnien-lager-garaeumt-101.html
https://www.youtube.com/watch?v=vEMA0CZMIHA&feature=youtu.be
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-12/bosnien-herzegowina-fluechtlingslager-feuer-brand-bihac?wt_zmc=sm.int.zonaudev.twitter.ref.zeitde.redpost.link.x&utm_medium=sm&utm_source=twitter_zonaudev_int&utm_campaign=ref&utm_content=zeitde_redpost_link_x
https://www.facebook.com/NoNameKitchenBelgrade/posts/1149180798813536
http://migrant-solidarity-network.ch/2020/12/23/brand-im-camp-lipa-bei-bihac/
Was geht ab beim Staat?
Bern: Stadt und Kanton nehmen Stellung gegen die Forderungen von „Stopp Isolation“
Diesen Sommer kämpfte „Stopp Isolation“, eine Gruppe von abgewiesenen Geflüchteten, um die Praxis im Schweizer Asylregime zu ihren Gunsten zu verändern und ein würdiges Leben und Gleichberechtigung für alle zu erreichen. Im Zuge der zahlreichen Protestaktionen und Demonstrationen kam es u.a. zu einem Austausch mit Parlamentarier*innen. (Nur) einige waren bereit, die Forderungen der Bewegung im Parlament zu thematisieren.
Im stadtbernischen Parlament forderte Zora Schneider von der Partei der Arbeit (PdA), dass zum einen in der Stadt Bern Asylcamps abgeschafft und mit einer besseren Wohnmöglichkeit ersetzt werden und zum anderen im Sinne der Gleichbehandlung auch abgewiesene Geflüchtete Sozialhilfe statt wie aktuell Nothilfe erhalten. Doch die rotgrüne Stadtregierung winkte ab. Zum Vorschlag ‚Asylcamps sind keine Lösung, also schaffen wir sie ab‘, heisst es: „Der Gemeinderat kann die im Vorstoss dargelegten Argumente und Anliegen sehr gut nachvollziehen. Allerdings ist die Stadt Bern in diesem Bereich nicht frei“. Auch die Behörden der Stadt Bern werden also geflüchtete Menschen mit vorläufiger Aufnahme in ihren Asylcamps isolieren, bis sie ein „Niveau A1 (Deutsch) sowie Erwerbsarbeit oder berufliche Ausbildung“ vorweisen können“. So will es nämlich die neue kantonale Regelung in Bern. Einzig anerkannte und besonders „vulnerable“ Geflüchete sind von der Isolation ausgenommen. Für die anderen hält die Regierung fest: „Dies kann zugegebenermassen für einige Personen zu einer langen Aufenthaltsdauer in einer Kollektivunterkunft führen“. Viele Menschen mit einer vorläufigen Aufnahme F leben seit Jahrzehnten in der Schweiz und finden keinen Job.
Auch eine Gleichstellungsmotion von Zora Schneider schmetterte die Regierung mit ähnlichen Argumenten ab: „Die Stadt muss sich bei der Umsetzung der ihr übertragenen Aufgaben an die Vorgaben des Kantons halten“.
Im Kantonsparlament interessierte sich die AL-Parlamentarierin Christa Ammann im Zuge der Bewegung „Stopp Isolation“ für die Härtefallpraxis im Kanton Bern. Gemäss dem Schweizer Asylgesetz sollten Härtefallgesuche nach fünf Jahren eine Chance haben. Stopp Isolation forderte, dass berner Behörden für Einzelpersonen nicht mehr zehn Jahre voraussetzen, wie sie dies momentan tun. In seiner Antwort rechtfertigt der Kanton aber genau diese Praxis und verweist auf das Bundesgericht, welches dies offenbar gutheisst. Auch zu einer zweiten Hürde, nämlich der Vorweisung eines Passes oder einer ID, bekennt sich der Kanton Bern. Diese wäre vom Bundesgesetz nicht einmal vorgeschrieben. Es schreibt zwar vor, dass abgewiesene Personen, die ein Gesuch einreichen, ihre Identität offenlegen müssen. Das Gesetz sagt aber nicht wie. Der Kanton Bern verlangt hier grundsätzlich einen Pass oder eine ID. Dies, auch wenn das SEM die Identität zuvor während des Asylverfahrens auch ohne Pass als glaubhaft einstufte. Und der Kanton Bern Personen auch ohne Pass während Jahren oder Jahrzehnten in den Herkunftsstaat abschieben wollte. Dieses politische Kalkül drückt sich auch in den Zahlen zur Berner Härtefallpraxis aus, die Christa Ammann ebenfalls erfragte. In den Jahren 2017-2019 haben abgewiesene Personen in Bern insgesamt 87 Härtefallgesuche eingereicht. Angenommen und an das SEM – das die Gesuche nach dem Kanton ebenfalls prüfen darf – weitergereicht wurden nur gerade 43. Die andere Hälfte wird also nach zehn Jahren in einem Nothilfecamp weiterhin isoliert, um abgeschoben zu werden. Es bleibt noch viel zu tun für „Stopp Isolation“.
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-21-dezember-2020/motion-schneider-gleichbehandlung-aller-menschen.pdf/download
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-e8690128bc014dbcbc44b2f9bc496050.html
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-8ca1bad205904142b445de85bb34974d.html
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-21-dezember-2020/motion-schneider-asylcamps-sind-keine-losung.pdf/download
Was ist aufgefallen?
Migrantische Arbeitskräfte mussten jahrelang unter ausbeuterischen Verhältnissen die Chalets der Reichen in Gstaad putzen
Zwei Menschen sitzen seit Januar wegen des Verdachts auf Menschenhandel in Untersuchungshaft. Die beiden sollen während mehrerer Jahre systematisch Frauen* aus Serbien in die Schweiz gelockt haben, um sie hier als Putzkräfte auszubeuten. Obwohl der Fall schockierend ist, unterscheidet er sich in seiner Struktur nicht grundsätzlich von vielen Ausbeutungsverhältnissen migrantischer Arbeitskräfte in der Reinigungsbrache.
Die Frauen* mussten in Gstaad Putzarbeiten in den Chalets und Hotels reicher Menschen verrichten. Teilweise wurde ihnen der Pass weggenommen. In den Akten zum Fall ist von «sklavenähnlichen und ausbeuterischen» Arbeitsbedingungen die Rede. Um die Frauen* zu rekrutieren, schalteten die zwei Angeklagten unter anderem in einem serbischen Lokalradio einen Werbespot. Sie versprachen ihnen vor der Abreise jeweils ein Gehalt von 1500 Franken im Monat – bei sechs Arbeitstagen die Woche zu acht Stunden am Tag. In Gstaad hatten die Betroffenen dann aber während dreier Monate keinen einzigen freien Tag. Die Arbeitstage dauerten in der Regel zehn bis zwölf Stunden. Eine Betroffene berichtet ausserdem von Hunger während der Arbeit, zwei andere von massivem psychischem Druck. Auch habe man ihnen willkürliche Lohnabzüge gemacht. Wenn es in der für sie reservierten Wohnung keinen Platz hatte, mussten sie zum Teil auf Klappbetten in der Garage schlafen. Andere blieben über Nacht gleich in den Chalets der Gstaader Auftraggeber, wobei ihnen gesagt wurde, dass man sie tagsüber nicht sehen dürfe. Bisher haben einige der betroffenen Menschen gewagt, Aussagen gegen die Beschuldigten zu machen. Sie erhielten in der Folge massive Drohungen. Unter anderem wurde ihnen angedroht, sie zu töten und ihr Haus in Serbien niederzubrennen, sollten sie zur Polizei gehen. Auch ihre Familien seien nach der Inhaftierung der Beschuldigten massiv bedroht worden.
Weitere Untersuchungen laufen zudem gegen die Chaletbesitzer*innen, Hotelbetriebe sowie Liegenschaftsverwaltungen im Saanenland, welche die Dienstleistungen in Anspruch genommen haben. Es stelle sich die Frage, wie viel sie von den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen gewusst hätten. Wenn wir mal ehrlich sind, stellt sich diese Frage eigentlich nicht wirklich. Die meisten – und wohl gerade Chaletbesitzer*innen, die diese professionell reinigen lassen – wissen um die Preise und Löhne in der Reinigungsbranche. Selbst «reguläre» Anstellungsverhältnisse sind in dieser Branche fast immer ausbeuterisch. Vielleicht sollte es also nicht vordergründig darum gehen, wer was gewusst hat. Wir sollten uns eher die Frage stellen, weshalb es sonst nie einen Aufschrei gibt, wenn wieder bekannt wird, wie lange die Arbeitstage in der Reinigungsbranche dauern, wie miserabel der Lohn ist, wie wenig soziale Absicherung es gibt und wie gesundheitsbelastend die Arbeit sein kann. Nur weil alles in einen rechtlichen Rahmen passt, heisst das noch lange nicht, dass es sich hier nicht auch um Arbeitsausbeutung handelt. Wir wollen den Fall von Gstaad auf keinen Fall kleinreden und er ist in seinem Ausmass und in seiner Brutalität wohl unbestritten eine Dimension grösser als reguläre Ausbeutungsverhältnisse in der Reinigungsbranche. Doch er unterscheidet sich in seiner Struktur nicht grundsätzlich von allen anderen Ausbeutungsverhältnissen von vorwiegend migrantischen Arbeitskräften in dieser Branche. Wir wünschen uns auch hier Empörung!
https://www.bernerzeitung.ch/90-frauen-putzten-teilweise-unter-sklavenaehnlichen-bedingungen-836277627325
Ausschaffungen: Menschenverachtende Produktion von Prekarität
2018 begann der Bund, den Status von rund 3000 vorläufig aufgenommenen Eritreer*innen zu überprüfen. Das sind nach Behördenlogik Personen, die in der Schweiz kein Asyl erhalten haben. Ihre Wegweisung erachtete das SEM aber bisher ebenfalls als unzumutbar. Die Überprüfung ist auf politischen Druck der rechten Parteien geschehen. Das ist ein offenes Geheimnis. 10’000 eritreische Staatsangehörige mussten im Jahr 2015 Schutz in der Schweiz suchen. 2017 gab es eine Motion von der FDP, die forderte, dass die vorläufigen Aufnahmen der geflüchteten Eritreer*innen überprüft werden. Das Bundesverwaltungsgericht kam unter Druck. Und siehe da, im Jahr 2018 prüfte das SEM 3000 vorläufige Aufnahmen von Eritreer*innen. Obwohl die Lage in Eritrea nicht als sicher gilt. Und nun schreibt das SEM in seinem Bericht als Resultat der Überprüfung: Lediglich in 83 Fällen haben die Behörden die vorläufige Aufnahme aufgehoben – das sind weniger als drei Prozent der Dossiers. Für die 83 betroffenen Personen ist das Ganze eine Katastrophe: Sie gelten als Abgewiesene und müssen nun Nothilfe beziehen. Das ist menschenverachtende Produktion von Prekarität, da Ausschaffungen nach Eritrea nicht durchführbar sind. Bereits die vorläufige Aufnahme für die 10’000 Menschen, die seit Jahren nicht nach Eritrea zurück kehren können, gilt es in Frage zu stellen und eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung zu fordern. Die Überprüfung der Dossiers, vor allem in Anbetracht der erneut angespannten Situation am Horn von Afrika, kann nicht einmal mehr Asylpolitik genannt werden.
https://www.nzz.ch/schweiz/nur-ein-bruchteil-der-3000-ueberprueften-eritreer-muss-die-schweiz-verlassen-ld.1592869
https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/sem/medien/mm.msg-id-81690.html
Brexit verhindert Familiennachzug für 20 Minderjährige
Am 31. Dezember endet mit dem Brexit auch das Familienzusammenführungsprogramm zwischen Grossbritannien und der EU. Etwa 20 Minderjährige, die jetzt berechtigt sind, zu ihren Verwandten nach Grossbritannien zu kommen, verlieren diesen Anspruch, wenn Griechenland ihre Asylanträge bis dahin nicht bearbeitet.
Um eine Überstellung zur Familienzusammenführung nach dem „Dublin-Gesetz“ der EU zu beantragen, müssen Jugendliche unter 18 Jahren zunächst in ihrem Einreiseland einen Asylantrag stellen. Sobald dieser Antrag bearbeitet wurde, werden ihre Dokumente an die Dublin-Einheit des Landes geschickt. Diese stellt einen Antrag an das Vereinigte Königreich, eine Überstellung zu akzeptieren. Etwa 20 Kinder und Jugendliche warten in Griechenland aktuell darauf, dass ihre Fälle dort abgeschlossen werden. Das britische Innenministerium hat bereits erklärt, dass es die griechischen Behörden wegen der Fälle nicht kontaktieren oder die Frist verlängern wird. Minderjährige, die in Griechenland einen Antrag gestellt haben, deren Fälle aber noch nicht abgeschlossen sind, bliebe die Einreise nach Grossbritannien nach dem 31. Dezember damit verwehrt. Jetzt sitzen die Kinder und Jugendlichen allein in Griechenland fest, teilweise sind sie obdachlos. Es ist unwahrscheinlich, dass ihre Dokumente rechtzeitig eintreffen, damit die Anwält*innen einen formellen Antrag auf Überstellung ihrer Fälle nach Grossbritannien stellen können.
https://www.theguardian.com/global-development/2020/dec/24/please-help-us-child-refugees-running-out-of-time-to-reach-uk-before-brexit
EU-Türkei-Deal komplett bezahlt
Der Deal der EU mit der Türkei ist „abbezahlt“. Doch was bedeutet dies nun für die Zukunft? Ein Diplomat kündigte bereits die Bereitschaft der EU an, weitere Zahlungen in Richtung Türkei fliessen zu lassen.
6 Milliarden Euro. Das ist die Summe, welche die EU der Türkei im Deal von 2016 zugesichert hatte. Im Gegenzug sollte das türkische Regime Menschen auf der Flucht an der Weiterreise Richtung Europa hindern. Nun wurde die letzte Rate bezahlt. Zuvor hatte die türkische Regierung darauf beharrt, die ausstehenden Zahlungen zu erhalten. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, öffnete das türkische Regime im Frühjahr ihre Grenzen nach Griechenland. Nun wurde der Deal vollständig besiegelt. Der deutsche Diplomat in der Türkei, Meyer-Landrut, lobte die Türkei für die Aufnahme so vieler flüchtender Menschen (es sind weltweit am meisten) und versprach weiter, dass die EU „bereit sein wird, weiterhin finanzielle Unterstützung für syrische Flüchtlinge und Aufnahmegemeinschaften in der Türkei zu leisten.“ So wird ein Abschottungsdeal als solidarische Unterstzützungsstruktur dargestellt. Denn immer wieder wurde aufgezeigt, dass die von der EU bezahlten 6 Milliarden Euro selten den Menschen auf der Flucht zugute kamen, sondern lediglich einen Anreiz für das türkische Regime darstellen sollten, diese Menschen aufzuhalten. Und kaum ist der Deal abgeschlossen, wird bereits über nächste Zahlungen diskutiert.
Solidarität wird oft in Geld ausgedrückt. Dass es Geld für diverse Strukturen bedarf, steht ausser Frage. Aber der EU-Türkei-Deal ist sicherlich kein Akt der Solidarität. Er ist ein knallhartes Geschäft der Migrationskontrolle, ausgetragen auf den Rücken vieler Menschen.
https://www.infomigrants.net/en/post/29205/eu-concludes-6-billion-contract-for-refugees-in-turkey
https://www.weforum.org/agenda/2020/12/countries-refugees-asylum-pandemic-covid?fbclid=IwAR1wQyZpJsD8l_iJRzi5wgq8frPrfKLLzfxiPY6KeJBt_PqozpmQcATca54
Kopf der Woche
Horst Seehofer
Der deutsche Bundesinnenminister Horst Seehofer gerät zum Jahresende gleich doppelt in die Bredouille. Wie interne Schreiben zeigen, versuchte Seehofer deutsche Seenotretter*innen zu drangsalieren. Zudem deckte er illegale Rückführungen von geflüchteten Menschen durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex.
Die Organisationen Sea-Eye und FragDenStaat haben drei Briefe aus dem Innenministerium und dem Verkehrsministerium veröffentlicht. Diese belegen, dass Seehofer im Frühling dieses Jahres versuchte, den Einsatz des zivilen Seenotrettungsschiffes ALAN KURDI zu stoppen. Zu diesem Zweck wies er Verkehrsminister Andres Scheuer an, schärfere Regeln für das unter deutscher Flagge fahrende Schiff zu erlassen. Einen ausführlichen Artikel lieferte auch Der Spiegel.
Ebendieser hatte im Oktober gemeinsam mit anderen Medienplattformen veröffentlicht, dass die deutsche Bundespolizei in Griechenland in eine illegale Zurückweisung von Menschen auf der Flucht verwickelt war. Deutsche Frontex-Beamt*innen beobachteten einen sogenannten Push-Back durch die griechische Küstenwache und hielten dies im internen Netzwerk der Bundespolizei fest. Doch das Innenministerium deckte die Version der griechischen Küstenwache, wonach das Boot von alleine umgekehrt sei. Eine Zusammenfassung, was Horst Seehofer dieses Jahr sonst noch alles falsch gemacht hat, gibt es in einem Artikel von Neues Deutschland.
https://sea-eye.org/seehofer/
https://fragdenstaat.de/blog/2020/12/24/seehofer-scheuer-seenotrettung-brief/
https://www.spiegel.de/politik/ausland/horst-seehofer-drang-auf-schaerfere-regeln-fuer-seenotretter-a-88fd2968-6a8f-494b-a5b8-39c5f21510a8
https://www.spiegel.de/politik/ausland/frontex-skandal-horst-seehofer-deckte-offenbar-griechische-verbrechen-a-bd062e3f-e016-4f43-98a1-98cfe9757529
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146119.horst-seehofer-tschuess-herr-seehofer.html
Was nun?
Schweizer Firma Faulhaber liefert Bauteile für Drohnenkrieg
Am 18. Dezember 2020 statteten Aktivist*innen der Fabrik Faulhaber in La Chaux-de-Fonds einen Besuch ab. Faulhaber liefert Motoren an eine israelische Firma, deren Drohnen im Krieg in Bergkarabach eingesetzt wurden.
Die armenische Investigativplattform Hetq deckte Anfang Dezember auf, dass in den israelischen „Kamikaze“-Drohnen Mini-Motoren des Schweizer Unternehmens Faulhaber Minimotor SA enthalten sind. Solchen Drohnen setzte die aserbaidschanische Armee im Krieg gegen Armenien in der Region Bergkarabach ein. Sowohl das Schweizer Radio und Fernsehen SRF wie auch die WOZ berichteten anschliessend über den Vorfall.
Mit Transparenten und Flyern prangerten die Aktivist*innen die Mitschuld von Faulhaber im Krieg gegen das armenische Volk an. In ihrem Statement weisen sie zudem darauf hin, wie die Art des Wirtschaftens im Kapitalismus solche Kriegsgeschäfte antreibt und legitimiert:
„Im Kapitalismus wissen wir, dass […] Handel unvermeidlich ist, denn es wird produziert um Profit zu machen. Aber wir wissen auch, dass in Fabriken, die von den Arbeiter:innen geführt würden, eine Debatte über die Nützlichkeit von Mikromotoren im Kampf gegen die aktuelle Pandemie stattfinden würde. Es käme keiner Arbeiter:in in den Sinn, diese Motoren für die mörderischen und heimtückischen Drohnen herzustellen. Wenn wir den Kapitalismus als mörderisches System zerschlagen und die Bosse auf den Mond schicken, dann entziehen wir den meisten Kriegen ihre Grundlage!“
Was auf die Veröffentlichungen in der Schweiz folgte, war hingegen der übliche Ablauf: Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) teilte mit, dass bei der Ausfuhr alles mit rechten Dingen zuging. Das Unternehmen Faulhaber schweigt. Und in den Medien wird diskutiert, wie solche Zwischenfälle denn zukünftig verhindert werden könnten. Wobei sich in der bürgerlichen Presse und den Kommentarspalten weniger um tote Zivilist*innen in Kriegsgebieten, als um den aussenpolitischen Schaden für die Schweiz gesorgt wird. Was also tun, wenn doch alles mit rechten Dingen zuging? SRF Inland-Redaktor Tobias Gasser schrieb in seiner Analyse: „Die Alternative ist, die Schweiz gewöhnt sich daran, dass bei Drohnenkriegen halt immer wieder mal das Label „Swiss Made“ mitfliegt.“ Als ob sie das nicht schon längst getan hätte. Der Rüstungsreport der WOZ zeigt detailliert auf, wie die Schweizer Wirtschaft mit freundlicher Unterstützung der Politik von Kriegen auf der ganzen Welt profitiert. Und wie eine öffentliche Diskussion über das Thema verhindert werden soll.
Es bleibt daher weiterhin notwendig, den Profiteur*innen der Kriegsmaschinerie genau auf die Finger zu schauen und sie direkt mit den Auswirkungen ihrer Geschäfte zu konfrontieren.
https://barrikade.info/article/4095
https://hetq.am/en/article/124955
https://www.srf.ch/news/schweiz/swiss-made-drohnenteile-aus-der-schweiz-der-aussenpolitische-schaden-bleibt
https://www.woz.ch/2050/ruestungsindustrie/die-handlangerin-des-kriegsgeschaefts
https://www.rüstungsreport.ch/
Noch 35.000 Unterschriften bis zum Antiterrorgesetz-Referendum
Die im neuen Antiterrorgesetz beschlossenen Massnahmen beschränken unsere Rechte und geben der Polizei weitreichende Repressionsmöglichkeiten. Dafür ist nichts weiter als die Annahme nötig, dass jemand „gefährlich“ sei. Es bleiben noch 14 Tage, um die benötigten Unterschriften für das Referendum zu sammeln.
Das Referendum gegen das neue Polizeigesetz zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) ist aus antirassistischer Perspektive bedeutsam. Es kriminalisiert nicht alle Menschen gleichermassen, sondern entlang von rassistischen Trennlinien. Es richtet sich gezielt gegen Menschen, die Staaten, ihre Grenzen sowie die Diskurse, Ideologien und Herrschaftsverhältnisse, die sie hervorbringen, bis auf den Grund ablehnen und bekämpfen. Öffentlich ist meist von Djihadist*innen und Terrorist*innen die Rede, doch auch antirassistisch Aktive könnten als sogenannte „Gefährder*innen“ der weissen, nationalen Ordnung eingestuft werden.
Neu kann die Polizei OHNE richterliche Verfügung, rein aufgrund eines Verdachts (der nicht für ein Strafverfahren reicht) Menschen überwachen, Kontakt zu Einzelpersonen oder Gruppen verbieten, Zugang zu Gebieten (z.B. der Innenstadt) verbieten und eine regelmässige Meldepflicht bei der Polizei verordnen. Per richterlicher Verfügung kann auch Hausarrest von bis zu 9 Monaten angeordnet werden, begleitet von Handyortung oder Fussfesseln.
Alle Massnahmen gelten schon für Kinder ab 12 Jahren, beim Hausarrest ab 15 Jahren. Unter Terrorverdacht stehen explizit auch „Linksextreme“ und deren Gedankengut. Dies bedeutet, dass auch Systemkritiker*innen, Antifaschist*innen oder Anarchist*innen solchen Massnahmen ausgeliefert sein können.
Das Referendum wurde ergriffen, bis Mitte Januar fehlen noch 35.000 Unterschriften. Mehr als die Hälfte. Ob mit deiner Unterschrift, deinem Balkontranspi oder einer anderen Aktion, FIGHT Against It! In seiner aktuellen Form erlaubt das Gesetz eine willkürliche Überwachung dieser «Gefährder*innen». Der Unterschriftenbogen ist in wenigen Minuten ausgedruckt und unterschrieben.
https://willkuerparagraph.ch/
https://www.woz.ch/-b15a
Weihnachtsgrüssen aus Moria via Social Media Gehör verschaffen
„Unsere Lebensbedingungen sind schlechter als die von Tieren.“ Mit dieser Feststellung wenden sich Menschen aus dem Geflüchteten-Camp Moria in einem Weihnachtsgruss an die Europäer*innen. Ihre Forderungen und Stimmen können in den sozialen Medien durch Teilen bekannter gemacht werden.
In einem offenen Brief wenden sich das Moria Corona Awareness Team und die Moria White Helmets an die Öffentlichkeit. Während sich weisse Europäer*innen vielerorts durch die Coronapandemie in ihren Weihnachtsfeierlichkeiten eingeschränkt sehen, warten 7000 Menschen im neuen Lager Moria weiterhin: Auf warme Duschen, auf trockene Zelte, auf Asylverfahren, auf mehr Sicherheit, auf Evakuierung. Ihr Weihnachtswunsch: Es sollen wenigstens die Bedingungen geschaffen werden, die das Tierschutzgesetz vorgibt: „Freiheit von Hunger oder Durst. Freiheit von Unbehagen durch Bereitstellung einer angemessenen Umgebung, einschliesslich eines Unterschlupfs und eines bequemen Ruhebereichs. Freiheit von Schmerzen, Verletzungen oder Krankheiten durch Vorbeugung oder schnelle Diagnose und Behandlung. Freiheit, (die meisten) Regungen und ein normales Verhalten zeigen und leben zu können durch die Bereitstellung von ausreichend Platz, geeigneten Einrichtungen und sozialer Gesellschaft. Freiheit von Angst und Bedrängnis durch Gewährleistung von Bedingungen und einer Behandlung, die psychisches Leiden vermeiden.“
Ihre Analyse: „Geniessen wir hier im neuen Camp diese Rechte? Sorry: Nein. Vielleicht haben wir keinen Hunger, aber wir leben in keiner ‚angemessenen Umgebung‘, wir haben keine Freiheit von Schmerz und Not. Keiner von uns ist in der Lage, normales Verhalten zu zeigen, weil wir den ganzen Tag darum kämpfen müssen, etwas Wasser zum Reinigen und Essen zu organisieren und um ein warmes Plätzchen zu bekommen. Wir alle leben in Angst und Not. Eine neue Studie besagt, dass Geflüchtete auf griechischen Inseln so deprimiert sind, dass jeder Dritte an Selbstmord denkt.“ Der ganze Brief hier:
https://www.medico.de/moria-brief
https://www.facebook.com/MoriaWhiteHelmets
https://www.facebook.com/MoriaCoronaAwarenessTeam
Spende für rechtliche und psychosoziale Beratung für Schutzsuchende in Serbien
Asylverfahren in Serbien sind voller Hürden. Die NGO KlikAktiv bietet Rechtshilfe an, um Flüchtenden den Zugang zum Asylverfahren zu ermöglichen. Mit einer Spende kann ihre Arbeit im kommenden Jahr gesichert werden.
15 Euro für die Rechtsbeihilfe + 15 Euro für eine*n Übersetzer*in. Das sind die Kosten, die das Team von Klikaktiv – Centar za razvoj socijalnih politika zu tragen hat. Eine Spende in dieser Höhe ist von grossem Wert für Menschen auf der Flucht, die in Serbien einen Asylantrag stellen möchten. Die serbische NGO bietet rechtliche, medizinische und psychologische Unterstützung für Menschen auf der Flucht an und betreibt zusätzlich Öffentlichkeitsarbeit durch Dokumentation und Berichte über die Situation an den Grenzen und die politischen und asylrechtlichen Entwicklungen wie Abschottung, Grenzgewalt und Pushbacks.
Asylverfahren in Serbien sind durch bürokratische Hürden, Formulare in ausschliesslich serbischer Sprache, wenig bis keine Aufklärung über Rechte und Pflichten und das Verbot, ein zweites Asylgesuch zu stellen, extrem erschwert. Generell erhalten nur wenige Menschen in Serbien Zugang zu Asylverfahren. Zwischen 2008 und März 2020 haben 647.512 Menschen ihre Absicht bekundet, Asyl in Serbien zu beantragen. Nur 173 Personen wurde der internationale Schutzstatus gewährt.
Unterstützt unter folgendem Link die Arbeit von KlikAktiv, um Menschen auf der Flucht einen Zugang zu Rechtsbeihilfe und psychologischer Unterstützung zu gewährleisten:https://www.gofundme.com/f/balkanbrcke-supports-klikaktiv oderhttps://balkanbrueckesupports.org/spendenbox/
Mehr Infos zur rechtlichen Situation für Menschen auf der Flucht in Serbien könnt ihr hier nachlesen: https://balkanbruecke.org/themen/serbien/
Aktivist*innen aus der Schweiz wollen Aktivist*innen in Bosnien unterstützen
Anfang 2021 reisen Aktivist*innen aus der Schweiz nach Bosnien, um Menschen auf der Flucht und solidarische Menschen vor Ort zu unterstützen. Diese Gruppe sammelt momentan Geld für Transport, Unterkunft, Essen und Medikamente. Dafür haben sie ein Crowdfunding gestartet.
Die Situation für flüchtende Menschen an der EU-Aussengrenze ist katastrophal. Knapp 10’000 Menschen befinden sich zurzeit im bosnischen Grenzgebiet zu Kroatien in prekärsten Bedingungen und werden an der Weiterreise gehindert. Es gibt nur wenige offizielle Camps, welche von der International Organization for Migration (IOM) betrieben werden und stark überfüllt sind. Deswegen suchen viele der Migrant*innen einen Unterschlupf in leerstehenden Baracken oder Zelten im Wald. Durch den Wintereinbruch verschlimmert sich ihre Situation noch zusätzlich. Minustemperaturen, Schnee und Eiseskälte führen zu noch menschenunwürdigeren Verhältnissen.
Vor ein paar Tagen brannte das Lipa Camp. 1200 weitere Menschen sind nun obdachlos. Viele versuchten nach dem Brand nach Bihac zu gelangen, wurden von den lokalen Behörden aber daran gehindert. Während das eigentliche Verbrechen – namentlich die mörderische europäische Migrationspolitik – nach wie vor unbeachtet bleibt, ermittelt die Polizei nun unter den ehemaligen Campbewohner*innen nach den Brandstifter*innen.
Für einen Grossteil der Menschen auf der Flucht ist Bosnien nur eine Zwischenstation; sie wollen über die bosnisch-kroatische Grenze weiter in die EU reisen. Das Überqueren der Grenze nennen sie ‚The Game’, das Spiel. Ein hartes Spiel, denn an der EU-Aussengrenze sind Push-Backs an der Tagesordnung. Etliche Menschen werden beim Versuch, über die Grenze zu gelangen, von der Polizei zurückgedrängt. Dabei kommt es oft zu Gewalt und Repression von Seiten der Polizei. Allein im Oktober 2020 wurden mindestens 200 Push-Backs von Kroatien nach Bosnien dokumentiert. Diese Praxis ist nicht nur brutal, sondern auch widerrechtlich: Die Menschen auf der Flucht haben ein Recht darauf, dass ihr Asylantrag in der EU individuell geprüft wird, was ihnen durch die Push-Backs verwehrt wird.
Auch für solidarische Menschen ist die Situation nicht einfach. Ein neues Gesetz verbietet es, Migrant*innen ausserhalb der offiziellen Camps zu unterstützen – unter dem Deckmantel der Coronakrise. Es ist verboten, Essen oder Kleider zu verteilen oder Menschen mit einem Auto mitzunehmen. Es gibt aber Organisationen, die weiterhin vor Ort Unterstützung leisten – wie SOS Bihac, SOS Balkanroute, oder No Name Kitchen.
Anfang 2021 reisen einige Aktivist*innen aus der Schweiz nach Bosnien um die vorhandenen Strukturen zu unterstützen. Diese Gruppe sammelt momentan Geld für Transport, Unterkunft und um Essen und Medikamente zu kaufen. Dafür haben sie ein Crowdfunding gestartet. “Wir möchten uns solidarisch zeigen mit den Menschen auf der Flucht und im Rahmen unserer Möglichkeiten Hilfe leisten”, erzählt das “Frachkollektiv”. Nebst der akuten Hilfe sei es aber auch essentiell, dass sich politisch etwas ändert. “Wir fordern die sofortige Evakuierung der Menschen im bosnischen Grenzgebiet, die Bereitstellung akuter Hilfe von Seiten der Behörden und eine antirassistische und grenzenlose Aussenpolitik – mit sicheren Fluchtwegen!”
https://www.instagram.com/frachkollektiv/
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Einblicke – Rassismus in Schulbüchern
Die drei Broschüren „Einblick: Rassismus in Lehrmitteln“ von Mandy Abou Shoak und Rahel El-Maawi umfassen eine Einführung mit Glossar sowie eine Analyse mit Geschichts- und eine mit Deutschlehrbüchern.
https://www.el-maawi.ch/assets/templates/public/image/Flyer/Brosch%C3%BCren%20Einblicke%20Rassismus%20in%20Schulb%C3%BCchern.pdf
#HalleProzess: Das Urteil darf kein Abschluss sein. Kein Schlussstrich!
Heute wurde der Attentäter von Halle verurteilt. Wir dokumentieren die Schlussworte der Nebenkläger:innen, die es im Prozess und in der Öffentlichkeit geschafft haben, die Dimensionen des Anschlags und die dafür verantwortlichen Strukturen in den Vordergrund zu bringen.
https://www.nsu-watch.info/2020/12/hoert-den-ueberlebenden-zu-schlussworte-von-nebenklaegerinnen-im-halle-prozess/
Gesundheitsversorgung für alle, ohne Diskriminierung. Health Magazine von Women in Exile
Geflüchtete Frauen haben im deutschen Gesundheitssystem oft mit Rassismus zu kämpfen. Sie bekommen beispielsweise keine ausreichende medizinische Behandlung oder sollen Schmerzen aushalten können, „weil sie schwarz sind.“ Mit dem Projekt „Health care for all – without discrimination“ unterstützt Women in Exile e.V. geflüchtete Frauen in Brandenburger Unterkünften dabei, über Gesundheitsthemen ins Gespräch zu kommen und sich gegen die Diskriminierung zu wehren.
https://www.women-in-exile.net/wp-content/uploads/2020/10/Health-Magzine-Deutsch-14.09.20-low.pdf
Stigmatisiert, kriminalisiert, inhaftiert. Der Kampf gegen vermeintliche ›Schleuser‹ auf den griechischen Hotspot-Inseln
Der Kampf gegen ›illegale Einreise‹ und ›Schleusung‹ ist ein integraler Bestandteil der Grenzpolitiken der Europäischen Union. ›Schleuser‹ werden als Kriminelle betrachtet, die Menschen ausbeuten und in Lebensgefahr bringen. Dieser Bericht zeigt die Auswirkungen dieser Politiken an der EU-Aussengrenze in Griechenland. Er analysiert, wie die Gesetze der Europäischen Union und des griechischen Staates genau diejenigen treffen, die sie zu beschützen vorgeben: Die Betroffenen sind marginalisiert und aus der Gesellschaft ausgeschlossen, häufig selbst Geflüchtete, die gezwungen durch ihre sozioökonomische Situation oder um Asyl zu suchen, ein Boot von der Türkei auf die griechischen Inseln steuern.
https://bordermonitoring.eu/berichte/stigmatisiert-kriminalisiert-inhaftiert-der-kampf-gegen-vermeintliche-schleuser-auf-den-griechischen-hotspot-inseln/
Pushback from Lesvos: A testimony
This is evidence of another illegal pushback from Land. We spoke to people who were among the group of 24 refugees that landed at Katia in the south of Lesvos at around 1 a.m. on 10 November. After they reached the shore they went into hiding in the surrounding woods, because they were afraid that the Greek police would illegally push them back to Turkey.
https://mare-liberum.org/en/news/pushback-from-lesvos-a-testimony/
Glossar
Intersektionalität
Der Begriff Intersektionalität (1989 von Kimberlé Crenshaw eingeführt) veranschaulicht, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht einfach aneinanderreihen lassen, sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen Bedeutung bekommen. Kategorien wie Geschlecht, ‚Rasse‘, Alter, Klasse, Ability oder Sexualität wirken nicht allein, sondern vor allem im Zusammenspiel mit den anderen. Die intersektionale Perspektive erlaubt, vielfältige Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse miteinzubeziehen, die über eine Kategorie allein nicht erklärt werden können.
(von: https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet)
Heteronormativität
„Der Begriff benennt Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse. (…) Die Heteronormativität drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist. (…) Was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht (…) Heteronormativität (erzeugt) den Druck, sich selbst über eine geschlechtlich und sexuell bestimmte Identität zu verstehen, wobei die Vielfalt möglicher Identitäten hierarchisch angeordnet ist und im Zentrum der Norm die kohärenten heterosexuellen Geschlechter Mann und Frau stehen. Zugleich reguliert Heteronormativität die Wissensproduktion, strukturiert Diskurse, leitet politisches Handeln, bestimmt über die Verteilung von Ressourcen und fungiert als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung. “
(zitiert nach Peter Wagenknecht auf: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90274-6_2)
„Analysiert wird, wie Heterosexualität in die soziale Textur unserer Gesellschaft, in Geschlechterkonzeptionen und in kulturelle Vorstellungen von Körper, Familie, Individualität, Nation, in die Trennung von privat/öffentlich eingewoben ist, ohne selbst als soziale Textur bzw. als produktive Matrix von Geschlechterverhältnissen, Körper, Familie, Nation sichtbar zu sein.“
(zitiert nach Sabine Hark auf: https://gender-glossar.de/h/item/55-heteronormativitaet)
Neokolonialismus
1963 benannte der erste Ministerpräsident Ghanas, Kwame Nkrumah, Neokolonialismus, indem er »vor den sehr realen Gefahren einer Rückkehr des Kolonialismus in versteckter Form« warnte.
„Unter dem Terminus ›Neokolonialismus‹ sind zwei Ebenen zu unterscheiden: ein Zustand, der von massiver Benachteiligung einheimischer Bevölkerungen zugunsten ausländischer Investoren gekennzeichnet ist, und eine Politik, die auf die Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen abzielt. Im ersten Fall geht es um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, im zweiten darüber hinaus um die Kontrolle über die politischen Entwicklungen und die Machtpositionen im internationalen Kontext.“
(aus D. Göttsche et al. (Hrsg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur)
Eurozentrismus
Der Begriff des Eurozentrismus stützt sich auf eine Weltsicht, die weitestgehend durch europäische Werte und Traditionen geprägt ist und wurde. Er steht für eine Einstellung, die Europa unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Ausgehend von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell darstellen, wird Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxis betrachtet. Die europäische Geschichte und Gesellschaftsentwicklung wird als Norm verstanden, die erfüllt oder von der abgewichen wird. Die westlichen Kulturen dienen als Bewertungsmaßstab und haben im Laufe der Kolonialisierung ihre Wertvorstellungen global durchgesetzt und expandiert.
Im eurozentristischen Denken, bleiben die Denkweisen und Philosophien der nicht europäischen Kulturen häufig unbeachtet und werden abgewertet oder negiert.
(von https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/eurozentrismus/2242 und http://wikifarm.phil.hhu.de/transkulturalitaet/index.php/Eurozentrismus)