Versklavung für Pushbacks, Niederlage von #WirbleibeninBiel, Proteste in Spanien und Italien

Protest in Brüssel: Blut an den Händen der europäischen Regierungen.
Protest in Brüssel: Blut an den Händen der europäischen Regierungen.

Wo gabs Widerstand?

Massaker von Melilla bleibt nicht unbeantwortet – Bündnis fordert Aufklärung und Konsequenzen
Am vergangenen Freitag, 24. Juni, sind am Grenzzaun zu Melilla mindestens 37 Menschen ums Leben gekommen. Die Gewalt der Grenzbeamt*innen löst europaweit Proteste aus. Die spanische Justiz hat Ermittlungen aufgenommen.
 
Tausende Menschen gehen in Spanien auf die Strasse:
Tausende Menschen gehen in Spanien auf die Strasse: „Las Vidas Negras Importan“ („Schwarze Leben zählen“).
Kein Wort des Bedauerns hatte der spanische Regierungschef Sánchez in seiner Ansprache nach dem Massaker von Melilla übrig. Voller Lob war er für die Arbeit der Grenzbeamt*innen, die Spanien vor einem „gewaltsamen Massenangriff beschützt“ hätte. Mindestens 37 Menschen sind bei dem Versuch, über die spanische Exklave Melilla in die EU zu gelangen, ums Leben gekommen. 37 getötete Menschenleben und so viele mehr, die schwer verletzt und traumatisiert zurückbleiben. Ohne Autopsie wurden viele von ihnen bereits in Massengräber geworfen, um das Geschehene zu vertuschen.

Nach offiziellen Angaben sollen bei den Vorfällen 23 Menschen ums Leben gekommen sein, NGOs sprechen von mindestens 37 Opfern. Auf jeden Fall ist es die bisher höchste Zahl an Toten an einem Tag an einer Landgrenze zwischen Europa und Afrika. Das veröffentlichte Bildmaterial machte die Gewalt und die Menschenrechtsverletzungen sichtbar. Anders als dies bei den täglichen unterlassenen Hilfeleistungen und dem unsichtbaren Sterbenlassen auf dem Mittelmeer der Fall ist. Fünfzig spanische und marokkanische NGOs haben am Montag eine Erklärung unterzeichnet, in der sie sowohl von Marokko als auch von Spanien eine dringende Untersuchung der Ereignisse fordern. Sie verurteilen die Todesfälle sowie die mangelnde schnelle Versorgung der verletzten Migrant*innen, was die Zahl der Opfer erhöht hat und fordern die Behörden auf, die Opfer zu identifizieren und die Leichname ihren Familien zurückzugeben. Darüber hinaus muss es eine gerichtliche Aufarbeitung der Taten geben. Die spanische Justiz hat die Ermittlungen aufgenommen.
In spanischen Städten und darüber hinaus in ganz Europa waren tausende Menschen auf den Strassen. Sie forderten die Abschaffung von Grenzen und stellten klar: „Las Vidas Negras Importan“ („Schwarze Leben zählen“).
 


Italien: Migrant*innen protestieren nach Polizeigewalt auf dem Dach des Abschiebelagers
Menschen im Abschiebeknast (CPR) von Caltanissetta auf Sizilien berichten immer wieder von Gewalt und mangelnder medizinischer Versorgung. Am vergangenen Samstag wurden sie erneut Opfer eines Angriffs und erhielten keine medizinische und rechtliche Unterstützung. Aus Protest stiegen sie auf das Dach des Lagers und forderten von den tunesischen Behörden, sich ein Bild von den Zuständen vor Ort zu machen.

Ein Beitrag von LasciateCIEntrare

Gefangene protestieren auf dem Dach des Abschiebeknasts auf Sizilien.
Gefangene protestieren auf dem Dach des Abschiebeknasts auf Sizilien.
„Am Samstag, den 25. Juni, herrscht auf der Caltanissetta CPR allgemeine Unruhe. Inhaftierte riefen uns an, um sich über die fehlende medizinische Versorgung zu beschweren und angesichts des Ernstes einiger Situationen um unsere Unterstützung bei der Forderung nach sofortigem Eingreifen zu bitten.
Wenig später werden wir kontaktiert, nachdem die Polizei einen tunesischen Jungen verprügelt hat. Er erzählt uns, dass die Polizei ihn hinter die Kameras gebracht und verprügelt hat. Sie trafen ihn vor allem in die Beine, den Bauch und den Kopf. Trotz wiederholter Hilferufe kam kein Arzt, um ihn zu untersuchen. Der Junge klagte, er sei schwer verletzt und müsse behandelt werden.

Er ist nicht der Einzige, der im Laufe des Tages körperliche Beschwerden äusserte: Laut der Aussage eines Mitarbeiters der 118 riefen die CPR-Gefangenen wiederholt die Notaufnahme in Caltanissetta an und baten um einen Krankenwagen und Hilfe wegen gesundheitlicher Notfälle. Die Telefonistin erzählt uns, dass alle Einsätze der Notaufnahme von der Polizei blockiert wurden, die die Entsendung von Rettungsfahrzeugen mit der Begründung verhinderte, dass diese nicht notwendig seien, da es in der Einrichtung einen Arzt gibt, der für die medizinische Versorgung der Inhaftierten zuständig ist.

Die Inhaftierten erzählten uns jedoch, dass kein Arzt sie untersuchte, obwohl sie darum gebeten hatten, und dass sie sich den ganzen Tag über in einem ernsten Zustand befanden. Nach diesen Ereignissen, dem Anprangern der Schläge und der wiederholten Nachlässigkeit der Betreiber und der Polizei, kletterten einige der Inhaftierten auf das Dach eines der Pavillons, aus denen die Einrichtung besteht. Um 17.50 Uhr stürzte einer von ihnen und schlug mit dem Kopf heftig auf. Nach zahlreichen Hilferufen betrat der Krankenwagen schließlich gegen 18.30 Uhr das CPR.

Die tunesischen Demonstranten blieben auf dem Dach und setzten ihren Protest fort: Sie verlangten ein Treffen mit Vertretern des tunesischen Konsulats und forderten sie auf, das Gefangenenlager zu besuchen, um sich mit eigenen Augen von der Gewalt und den Übergriffen zu überzeugen, denen sie ausgesetzt sind.“ 

Niederlage? Bieler Gemeinderat und Philippe Müller setzen sich gegen #WirbleibeninBiel durch
Ein Beitrag von Migrant Solidarity Network
 
Die Bewohner*innen des Rückkehrcamps Bözingen wollten ihre Isolation in abgelegenere Rückkehrcamps verhindern. Rund um ihre Forderung #WirbleibeninBiel ist ein vielfältiger solidarischer Kampf entstanden. Diese Woche zeigte nun einmal mehr, wie die Behörden die Forderungen ignorieren und den Kampf deligitimieren oder gar kriminalisieren. Der Kanton setzte weitere Transfers durch und die Stadt liess das besetzte ehemalige Altersheim «Oberes Ried» räumen.

Entgegen der Empfehlungen der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) setzte der Kanton diese Woche die Transfers der alleinstehenden Männer des Rückkehrcamps Bözingen ins berüchtigte Rückkehrcamp Gampelen durch. Einige Wochen zuvor tat er dies bereits alleinstehenden Frauen und Familien an, die im abgelegenen Rückkehrcamp Enggistein isoliert wurden. In Bözingen bleiben Familien mit französisch eingeschulten Kindern. Der Kanton will sie noch diesen Monat in die abgelegene Ex-Psychiatrie Bellelay im Berner Jura verfrachten.
 
Die Bewohner*innen des Rückkehrcamps Bözingen starteten den Widerstand mit klaren Forderungen an die Stadt Biel: „Wir wollen in Biel bleiben und nicht an einen abgelegenen Ort isoliert werden. Wir wollen, dass Kinder weiter hier zur Schule gehen können. Wir wollen in Wohnungen leben dürfen. Wir brauchen Aufenthaltsbewilligungen für eine Perspektive.“ Darauf folgten Petitionen, Demos, Protestaktionen, eine ausführliche Broschüre, ein anschauliches Erklär-Video. Es wurden offene Briefe an den Gemeinderat und an die NKVF, Stellungnahmen und Leser*innenbriefe veröffentlicht und in Biel waren Wandzeitungen, Plakate und Transparente sichtbar. Zudem fanden Infoveranstalungen und regelmässige Flyerverteilaktionen statt, um mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. All dies erlaubte es, dass der Widerstand auch stark in den (Sozialen) Medien präsent war. Nebst den Mainstreammedien berichteten die WOZ und Le Courrier über den Protest.
 
Ein weiterer Beitrag zu #WirbleibeninBiel kam vom Kollektiv «SoliBiel/Bienne». Es besetzte das ehemalige Altersheim «Oberes Ried». Die Besetzung erhöhte den Druck und die Aufmerksamkeit öffnete Raum für weitere Solidarität. So solidarisierten sich zum Beispiel Anwohner*innen des Oberen Rieds mit den Forderungen der Geflüchteten. Die Besetzung zeigte direkt und konkret auf, dass es in Biel nicht an Platz mangelt, um für die Bewohnenden des Camps Bözingen eine Alternative zu den repressiven Rückkehrcamps der ORS AG und den beschränkt verfügbaren individuellen Privatunterbringsmöglichkeiten zu bieten.
 
Weder die Betroffenen oder ihre Forderungen, noch die Bewegung oder ihre einzelnen Organisationen wurden vom Bieler Gemeinderat ernst genommen, geschweige denn anerkannt. Der Bieler Gemeinderat hätte die geforderte Kollektivprivatunterbringung im Oberern Ried oder in anderen leeren Gebäuden in der Stat Biel solidarisch umsetzen können. Stattdessen glänzte er mit Passivität und servierte die Bewegung mit unannehmbar späten und schlechten Antworten ab. Erst als der Kanton die meisten Transfers durchgesetzt hatte, antwortet er auf die dringliche Gesprächsaufforderung, die er eine Woche zuvor erhalten hatte: „Was ihr Anliegen für ein Gespräch betrifft, so können wir gerne einen Termin vereinbaren (…) Vorbedingung für ein solches Gespräch ist allerdings, dass die besetzte Liegenschaft vorgängig geräumt und verursachte Schäden behoben sind.“ (Antwortschreiben an #WirbleibeninBiel vom 27. Juni 2022)
 
Zynischerweise liess er das «Obere Ried» kurz darauf durch die Polizei räumen – ohne Vorwarnung und ohne Zeit für das Kollektiv, von sich aus zu reagieren.
All dies, nachdem die Stadt dem Kanton das «Obere Ried» und hunderte andere Unterkünfte proaktiv und solidarisch für Menschen aus der Ukraine als mögliche Unterkunft angeboten hatte. Dies war parallel zur #WirbleibeninBiel-Bewegung erfolgt. Gegenüber #WirbleibeninBiel sagte er dann absurderweise das «Obere Ried» sei nicht für Geflüchtete zu nutzten.
 
Philippe Müller reagierte aggressiv und herablassend auf den Widerstand. Seine Tweets sprechen Bände: „Zuerst anprangern, wie ‹menschenunwürdig› es dort (A.d.R. im Rückkehrcamp Bözingen) sei und dann, wenn man dort Platz braucht für Ukraine Flüchtlinge: Weigert man sich zu gehen! = Paradebeispiel, wie NGOs, Migrant Solidarity Network, SP Schweiz, Grüne Schweiz und Co. die abgewiesenen Asylsuchenden instrumentalisieren,“ Philippe Müller auf Twitter am 26. März 2022. Für ihn ist #WirbleibeninBiel «Das Resultat der extremistischen Asylorganisationen um Migrant Solidarity Network, Juso Schweiz». Von rechts erhielt Müller für solche Äusserungen Rückendeckung. Der SVP Regierungsrat Pierre-Allain Schnegg «likte» den Tweet und behauptet gegenüber Medien ebenfalls, die Kritik sei Ergebnis von Instrumentalisierung. Auch die rassistische «Weltwoche» unterstützt Müllers Zermürbungspolitik gegenüber abgewiesenen Personen.
 
Anerkannte NGOs und linke Parteien äusserten sich zurückhaltender. Abgesehen von einem Tweet von Amnesty und einem Facebook-Post von der Beobachtungsstelle für Ausländer und Asylrecht (SBAA) sowie einer robusten Stellungnahme der SP Biel schien es für sie nicht gewinnbringend, sich offen solidarisch auf der Seite von politisch aktiven abgewiesenen Geflüchteten und einer stark diskreditierten Bewegung zu positionieren.
 
Das Ergebnis der wochenlange Proteste löst Ohnmacht, Wut und Frust aus unter den direkt betroffenen Menschen, denen sonst schon konstant Rechte und Perspektiven verwehrt werden. Die politischen Akteure von Kanton und Stadt gehen gewaltvoll und verantwortungslos mit den Leben von Menschen um. Jene, die sich entscheiden, dazu zu schweigen auch!

https://migrant-solidarity-network.ch/2022/07/03/niederlage-bieler-gemeinderat-und-philippe-mueller-setzen-sich-gegen-wirbleibeninbiel-durch/

Was ist neu?

Griechische Polizei zwingt Geflüchtete zur Beteiligung bei Pushbacks
Geflüchtete Menschen berichteten immer wieder, dass sie von Personen zurückgepusht wurden, die ihre eigene Sprache sprachen. Nun zeigt eine Recherche von Spiegel, Lighthouse Report, Le Monde und Guardian: Die griechische Polizei zwingt Geflüchtete systematisch dazu, bei Pushbacks zu helfen.

Sicherheitszone am Evros.
Sicherheitszone am Evros.
Sechs Geflüchtete erzählten dem Rechercheteam ihre Geschichte, Bassel ist einer von ihnen: Auf seinem Weg nach Griechenland, in der Region Evros, wurde er von der griechischen Polizei aufgegriffen, geschlagen und misshandelt und dann vor die «Wahl» gestellt: Entweder würde er der griechischen Polizei bei den Pushbacks helfen oder er würde des Menschenschmuggels angeklagt (weil er Englisch sprach) und ins Gefängnis kommen. Im Folgenden wurde Bassel von der griechischen Polizei tagsüber eingesperrt und nachts freigelassen, um andere Menschen auf der Flucht zurückzudrängen. «We were slaves» – so Bassel.
 
Die sechs interviewten Geflüchteten durften ihre Handys während der Pushback-Aktionen nicht bei sich haben. Einigen von ihnen gelang es jedoch, einige Bilder aus dem Inneren der Polizeistation in Tychero zu machen. Das Rechercheteam konnte dank der Bilder das Gebäude identifizieren: Es befindet sich auf dem Parkplatz der Polizeistation in Neo Cheimonio in der Region Evros. In der einen Hälfte des Gebäudes wurden Geflüchtete festgehalten, bis sie zurück in die Türkei gebracht wurden, in einem anderen Teil des selben Gebäudes Bassel und weitere «Sklaven» – wie sie sich selbst bezeichneten, die für die griechische Polizei die gefährliche «Drecksarbeit» übernehmen mussten.
 
Die Reaktionen seitens EU-Politiker*innen auf die Medienberichte hören sich an wie immer: «Dieses Vorgehen ist ein Bruch mit allen Werten, die wir in der Europäischen Union vertreten», klingt es zum Beispiel. Absolut zynisch ist es, die eigenen Werte zu betonen und hochzuhalten, angesichts der enormen und systematischen Gewalttätigkeit des EU-Migrationsregimes, das von den europäischen Staaten selbst gestützt und weiter gestärkt wird. So trifft es der SRF-Korrespondent in Griechenland schon besser, der klarstellt: «Griechenland und die Türkei leisten die schmutzige Arbeit, um dem Rest von Europa Geflüchtete vom Hals zu halten». Europäische Politiker*innen würden sich darum auch nicht gross darum kümmern wollen, was in griechisch-türkischen Grenzregionen passiert – aber ein ablehnender Kommentar, das liegt noch drin.
 
Italienische Küstenwache löscht Daten über Such- und Rettungsaktivitäten im Mittelmeer

Seit diesem Jahr hat die italienische Küstenwache die seit 2016 verfügbaren Daten zur SAR-Aktivität von ihrer Website entfernt. Diese waren bisher nützliche Elemente zur Rekonstruktion der Strategie der „delegierten Ablehnung“, die von der EU und Italien umgesetzt wurde. Neben der fehlenden Transparenz besteht ein weiteres Problem: Die im Juni veröffentlichten Zahlen für das Jahr 2021 ergeben keinen Sinn.

Das von der Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen betriebene Schiff
Das von der Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen betriebene Schiff „Geo Barents“.

Die italienische Küstenwache hat alle seit 2016 verfügbaren Daten zu Suche, Rettung und Schutz von Menschenleben auf See von ihrer Website entfernt und aus der Rubrik „Suche und Rettung“ die Registerkarten „SAR-Einwanderungsaktivität“ und „Jährlicher operativer Tätigkeitsbericht“ gelöscht. Eine wertvolle Fülle von Informationen, anhand derer man die Art und die Auswirkungen der Strategie der „delegierten Zurückweisung“ von Menschen beobachten konnte, die in den letzten Jahren von der EU und Italien gegenüber den libyschen Küstenmilizen umgesetzt wurde. Der Versuch, die Bulletins zu entfernen, war jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Die italienische Zeitschrift Altreconomia hat Kopien aufbewahrt und die Bulletins auf ihrer Website in der ursprünglichen Aufmachung wieder veröffentlicht.

Zu diesem Transparenzproblem gesellt sich die falsche Klassifizierung der Rettungseinsätze, die auch aus dem Jahresbericht 2021 hervorgeht, der am 27. Juni vom Generalkommando der Hafenämter unter dem Titel „Ein Jahr im Dienste des Meeres“ veröffentlicht wurde. Auf den 67 Seiten wird zwischen „geretteten Menschen“ und „geretteten Migranten“ unterschieden, wobei Libyen nie erwähnt wird. Diese Unterscheidung entbehrt jeglicher Rechtsgrundlage und hat dazu geführt, dass der Bericht unzulässige Passagen wie diese schreibt: „1.529 koordinierte Einsätze zugunsten aller Meeresnutzer: Segler (789), Schwimmer (324), Taucher (45), Fischer (24). 6.000 Menschen wurden gerettet; zu dieser Zahl kommt noch die ständige operative Tätigkeit hinzu, die sich aus dem Fortbestehen des Migrationsphänomens in Richtung der nationalen Küsten ergibt“.

Auf See werden, wie es das internationale Recht vorschreibt, „Schiffbrüchige“ gerettet, ungeachtet ihres Zustands, ihrer Nationalität, ihres Einkommens, ihrer Sprache oder ihres Namens. Und in der Tat hat sich die italienische Küstenwache, die sich dieser goldenen Regel sehr wohl bewusst ist, bis 2018 nie instrumentalisieren oder politisch verzerren lassen. Die entfernten Such- und Rettungsbulletins (SAR) dokumentieren diesen Wandel in der Herangehensweise und die Änderung der Klassifizierung von Rettungseinsätzen. Bis vor vier Jahren wurden „Rettungsaktionen“, an denen „Menschen“ beteiligt waren, sauber gemeldet. Seit 2019 hingegen wird in den statistischen Angaben auf bisher nicht gekannte „Ereignisse, die auf das Phänomen der irregulären Einwanderung auf dem Seeweg an die italienischen Küsten zurückzuführen sind“, hingewiesen.

Darüber hinaus gibt es ein weiteres Problem. Die Daten über die von der Küstenwache im Jahr 2021 durchgeführten Such- und Rettungsmassnahmen stimmen nicht überein. So gibt das Generalkommando der Hafenämter im oben genannten Jahresbericht an, 300 SAR-Aktivitäten „im Zusammenhang mit Migrationsströmen“ für 22.233 „gerettete Migranten“ koordiniert zu haben. Diese Zahl unterscheidet sich von dem, was die Küstenwache selbst im Februar dieses Jahres an die Redaktion von Altreconomia übermittelt hat, als sie bekannt gab, dass im Jahr 2021 im Rahmen von Such- und Rettungsmassnahmen, die von der Koordinierungsstelle für die Seenotrettung (Mrcc) koordiniert wurden, 14.346 Menschen bei 211 SAR-Ereignissen gerettet wurden. Zwischen dem, was im Februar gesagt wurde, und dem, was am 27. Juni bekannt wurde, klafft also eine Lücke von etwa 8.000 Personen.

Die Veröffentlichung des Jahresberichtes geschah in den dramatischen Stunden, in denen noch mindestens 22 Menschen auf dem Mittelmeer vermisst wurden und eine schwangere Frau nach dem Untergang eines Schlauchbootes gestorben war. Dies ist die tragische Bilanz der Rettungsaktion, die am 27. Juni vom Schiff Geo Barents von Ärzte ohne Grenzen durchgeführt wurde. Insgesamt sind seit Jahresbeginn 721 Menschen auf See gestorben oder werden vermisst.

https://altreconomia.it/la-guardia-costiera-rimuove-i-dati-sullattivita-di-ricerca-e-soccorso-nel-mediterraneo/
https://altreconomia.it/app/uploads/2022/06/ReportGC_def-1.pdf
htps://www.nigrizia.it/notizia/migranti-emergenza-non-sono-gli-sbarchi-ma-i-morti-in-mare

 

Was ist aufgefallen?

Kommission gegen Rassismus rügt Zürcher Regierungsrat für Absage des Alba-Festivals 2021

An diesem Wochenende fand das Alba-Festival in Zürich statt. Vor einem Jahr wurde es mit rassistischer Begründung zwei Tage vor Beginn abgesagt. Dafür wurde der Zürcher Regierungsrat nun gerügt. Die Vermischung der Anwendung von Covid-Schutzmassnahmen und Rassismus reiht sich ein in die Zunahme von Hass und Hetze. 

Am Wochenende besuchten über 10'000 Menschen das Alba-Festival in Zürich.
Am Wochenende besuchten über 10’000 Menschen das Alba-Festival in Zürich.
Im September 2021 wurde das grösste albanische Musikfestival in Europa, das Alba-Festival, in letzter Minute abgesagt. Die Begründung: Die hohen Covid-Infektionszahlen und die Sorge um eine Überlastung der Spitäler. Und: Die Veranstaltung richte sich an eine stark betroffene Gemeinschaft – in der albanischen Community sei die Impfquote tief. Das ist eine nicht sachliche und diskriminierende Argumentation, bestätigt nun die Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). Das Argument ist nicht tragbar, da an der Veranstaltung die 3G-Regel gegolten hätte. Sie stigmatisiert die Balkancommunity. Sie verstärkt die Tendenzen, die Schuld für die Pandemie und ihre Auswirkungen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen abzuwälzen. Dass die Zürcher Regierung den Bericht der EKR lieber unter den Teppich gekehrt hätte, lässt sich aufgrund der stark verzögerten Veröffentlichung vermuten. Erst jetzt, kurz vor dem diesjährigen Festival und auf Nachfrage von Medien, wurde dazu Stellung bezogen. Der Bericht wurde bereits im November 2021 erstellt.
 
Seit Beginn der Covid-Pandemie haben Rassismus und Hass im Netz und auf der Strasse zugenommen. Besonders betroffen waren zu Beginn asiatisch gelesene Personen, später Sinti*zze und Rom*nja. Verschwörungserzählungen haben sich weiter verbreitet und antisemitische Stigma verhärtet. Schmerzlich in Erinnerung ist auch die Absage der Gedenkdemonstration in Hanau sechs Monate nach dem Attentat. Die Stadt erlaubt nur eine Platzkundgebung, bei der die Freund*innen und Angehörigen der Ermordeten auf sorgfältig markierten Punkten mit Abstand und Masken trauern mussten, während rund herum das Markttreiben und der Einkaufstrubel der Innenstadt florierten. Das schmerzte. Die Pandemie betraf und betrifft nicht alle Menschen gleich. Bleiben wir wachsam, wenn zu einfache Antworten gegeben und diskriminierende Entscheidungen getroffen werden.

https://www.tagesanzeiger.ch/rassismuskommission-ruegt-zuercher-regierung-883182993296
https://www.blick.ch/schweiz/fdp-gemeinderat-perparim-avdili-zum-diskriminierungsentscheid-nach-alba-absage-macht-den-eindruck-als-wollte-man-es-unter-den-teppich-kehren-id17618742.html?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=blick-page-post&utm_content=bot
https://taz.de/Absage-der-Hanau-Gedenkveranstaltung/!5704039/

Leiter von Zuger Asyllager Steinhausen wegen diskriminierender Posts entlassen

Vorwürfe wegen Mobbings seiner Mitarbeiter*innen, seit sechs Monaten Hetze auf facebook. Aber erst nachdem die Presse auf die Posts aufmerksam wurde, reagierte die Direktion des Innern, kündigte ihm und distanzierte sich öffentlich. Warum nicht bereits viel früher eingegriffen wurde, bleibt fraglich.

Der Leiter der Durchgangsstation in Steinhausen wurde nach homophoben, sexistischen und prorussischen Beiträgen auf Facebook freigestellt.
Der Leiter der Durchgangsstation in Steinhausen wurde nach homophoben, sexistischen und prorussischen Beiträgen auf Facebook freigestellt.

Denn mehrere Mitarbeiter*innen hatte ihn bereits vor über einem Jahr wegen Mobbings und Beleidigungen gemeldet. Dass die Stimmen von Betroffenen anscheinend keine Rolle spielten, ist erschreckend. Und bereits seit sechs Monaten veröffentlichte der Leiter rassistische, sexistische, homofeindliche und gewaltverherrlichende prorussische Kommentare auf facebook.
Immer wieder wird daraufhin in den Medien betont, er habe keinen Kontakt mit Ukrainer*innen gehabt. Aber was ist mit den anderen Bewohner*innen des Camps? Waren sie seiner Schikane nicht potenziell ausgesetzt? Die Stimmen jener, die unter seiner Leitung in den Camps wohnen mussten, werden unsichtbar gemacht. Vielmehr werden Leute zitiert, die darauf verweisen, dass es ein bedauerlicher Einzelfall war. Aber dass bei seiner Einstellung anscheinend nicht überprüft wurde, mit welchem ideologischen Gedankengut er diesen Posten antreten wird, ist kein Einzelfall, sondern zeigt einmal mehr, wie kümmerlich der Fürsorgepflicht nachgegangen wird, wenn Leute in Asyllagern eingestellt werden. Unabhängig davon, dass die Verwaltung, Konzentration und Kontrolle von Menschen in Asyllagern an sich schon rassistisch ist.

https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/zug/welt-von-unreinheit-befreien-leiter-von-zuger-asylheim-entlassen-wegen-prorussischer-aussagen-id17619985.html
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/zug-gefeuerter-homophober-zentrumsleiter-gibt-zu-reden-2399249/
https://www.20min.ch/story/prorussische-rassistische-facebook-posts-leiter-von-durchgansstation-freigestellt-617562379774$

Eindrücke vom bosnischen Grenzgebiet zu Kroatien

Vor einigen Tagen bin ich in Velika Kladusa angekommen. Die kleine Grenzstadt im Norden von Bosnien ist ein Nadelöhr der Balkan Route. Ich bin zum zweiten Mal hier. Bereits ein Jahr zuvor engagierte ich mich in den informellen Basisorganisationen, die hier direkte Solidaritätsarbeit leisten, um Grenzgewalt der Festung Europa zu untergraben. Ein Augenschein.

Über die letzten Jahre gesehen, traten von hier aus zehntausende (flüchtende) Migrant*innen – People on the Move (PoM) – den hoffentlich letzten Abschnitt ihrer Flucht oder Migration an. Zu Fuss oder in Fahrzeugen versteckt, versuchen sie über Kroatien und Slowenien in den Schengenraum zu gelangen. Um dies zu verhindern, setzt die kroatische (Grenz-)Polizei (1) auf hochtechnologische Überwachung des Grenzraums durch Drohnen, (Wärmebild-)Kameras, Handyortungen usw. Und (2) auf Grenzgewalt bzw. brutale Pushbacks. Diese (noch) illegale Form der Abschottung besteht im gruppenweise Zurückdrängen von Menschen, ohne Durchführung eines Asylverfahrens, ohne rechtliches Gehör und vor allem unter Anwendung von extremer Gewalt wie z.B. Schläge, Tritte, Drohungen, Beschimpfungen, Erniedrigungen, Zerstörung und Stehlen von Eigentum.

Nach wie vor sind PoM aufgrund dieser Abschottung in Bosnien blockiert. Sie leben unter extrem prekären Verhältnissen, teils in Wäldern, verlassenen heruntergekommenen Häusern, Bauruinen und teils in Camps, die der bosnische Staat zusammen mit den internationalen Organisationen IOM, UNHCR, DRC, Rotes Kreuz verwalten. Das grösste dieser Camps liegt stark ausserhalb von Ortschaften in Lipa. Ende 2020 brannte es gänzlich nieder. Vor einigen Monaten wurde es erneut in Betrieb genommen. Die Zuführung in das Camp erfolgt in vielen Fällen unfreiwillig durch die bosnische Polizei, während die IOM mit „mobilen Teams“ versucht, die PoM dazu zu bringen, sich von ihr „freiwillig“ nach Lipa transportieren zu lassen. Laut IOM waren im Mai 430 von den rund 1500 Plätzen belegt. Im Schnitt blieben die Menschen 31 Tage. Diese Zahlen sind vergleichsweise niedrig. Vor dem Brand waren ein Vielfaches an Menschen unter unwürdigsten Bedingungen in Lipa isoliert.

Auch in Velika Kladusa halten sich aktuell weniger PoM als zuvor auf. Seitdem ich hier bin, habe ich noch keine PoM getroffen, die ich noch vom Vorjahr her kannte. Alle reisten weiter. Viele der Orte, wo Menschen Unterschlupf fanden, sind derzeit unbelebt. Während ich vergangenes Jahr ständig Menschen kennenlernte, die bereits bis zu zwei Jahren in Bosnien blockiert waren, trifft dies aktuell nur auf wenige zu. Was sind die Gründe? Die ständige Gewalt der kroatischen Polizei und die humanitäre Krise in Nordbosnien hat sicherlich viele Menschen abgeschreckt und dazu bewegt, andere Routen zu suchen. Doch von einer Umlagerung kann nicht ausgegangen werden. Zumindest berichten solidarische Organisationen in Serbien nicht von einem starken Anstieg von PoM.

Die akutelle Lage hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die kroatische (Grenz-)Polizei – aber auch jene inn Slowenien und Italien – sei längerem unter starker Kritik stehen. Nachdem PoM, Basisorganisationen und NGO’s zehntausende Male von brutalen Menschenrechtsverletzungen berichteten, taten das auch Medien und es entwickelte sich ein gewisser politischer, juristischer und humantiärer Druck zur Veränderung: (1) In Italien kam es 2021 zu einem wegweisenden Gerichtsurteil gegen sogenannte „Kettenpushbacks“. Seither übergeben die italienischen Behörden keine PoM nach Slowenien. Zuvor wurde dies regelmässig gemacht. Danach wurden diese PoM dann an Kroatien weitergereicht, die sie nach Bosnien abschoben. Oft unter unmenschlichen Bedinungen. (2) Auch baute der kroatische Staat in Zagreb die Kapazitäten des Asylcamps aus und akzeptiert im Moment öfters Asylgesuche von aufgegriffenen Familien oder Verbänden mit Kindern. Noch vor einem Jahr wurden auch diese konsequent zurückgedrängt. (3) Alleinstehende Männer berichten davon, dass es derzeit schlicht etwas einfacher sei, der Brutalität der kroatischen (Grenz-)Polizei zu entkommen. Dass die Gewalt nicht vorüber ist, wissen hier aber alle. Nach wie vor erleben täglich Gruppen von Menschen Gewalt und Entrechtung durch Pushbacks.

Der Rückgang von PoM in Nordbosnien hängt letztlich auch direkt mit der Externalisierung der Grenze zusammen. Die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei und zwischen der Türkei und Syrien wurde dermassen dichtgemacht, dass es schlicht immer weniger Menschen bis auf die eigentliche Balkanroute schaffen.

Was war eher gut?

Weitere Revisionsgesuche nach Afrin-Demo gutgeheissen

Im April 2018 haben in Bern Kurd*innen und solidarische Aktivist*innen gegen die Militäroffensive in Syrien demonstriert. Danach stellte die Berner Staatsanwaltschaft 147 Anzeigen aus. Rund 50 der angezeigten Personen haben beim Obergericht Revisionsgesuche eingereicht, welche bisher alle bewilligt wurden. Das Beispiel zeigt, dass sich der juristische Kampf gegen staatliche Repression lohnen kann.

Im April 2018 kesselte die Polizei in der Berner Innenstadt hunderte Demonstrant*innen ein.
Im April 2018 kesselte die Polizei in der Berner Innenstadt hunderte Demonstrant*innen ein.

Erfreuliche Nachrichten aus Bern. Die Revisionsgesuche gegen die Strafbefehle anlässlich der Afrin-Demo im April 2018 wurden bisher alle gutgeheissen. Nachdem eine Teilnehmerin der Demonstration Einspruch gegen ihren Strafbefehl eingereicht und Recht bekommen hatte, wurden zeitlich versetzt diverse Revisionsgesuche eingereicht (die Wochenschau berichtete in der Ausgabe vom 28. März 2022, antira.org/2022/03/28).

Der Fall zeigt, dass es sich durchaus lohnen kann, juristische Mittel gegen staatliche Repression zu ergreifen. Denn Polizei und Staatsanwaltschaften nutzen oft bewusst das Informations- und Ressourcen-Gefälle zwischen staatlichen Behörden und Zivilist*innen, um rechtlich heikles oder gar illegales Vorgehen trotzdem durchzubringen. Umso wichtiger sind darum Strukturen (wie in diesem Falle die Demokratischen Jurist*innen), welche Betroffene mit Fachwissen unterstützen können.

Neben der Entlastung der betroffenen Personen, könnten die erfolgreichen Revisionsgesuche auch eine allgemeine Praxisänderung für die Zukunft bewirken. Der Polizei dürfte es zukünftig schwerer fallen, Teilnehmer*innen einer friedlichen Demo mit dem Vorwurf des Landfriedensbruchs abzuurteilen.

https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/nach-afrin-demo-obergericht-heisst-rund-50-revisionsgesuche-gut?id=12213098
https://www.srf.ch/news/schweiz/unbewilligte-kurden-demo-afrin-demo-in-bern-gericht-hebt-50-strafbefehle-auf
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/200871/

Was steht an?

Haftlager auf den griechischen Inseln: Eine „neue Ära“ in der EU Migrationspolitik?

05.07.22 I 19:00 I online
Doppelter Stacheldraht, strenge Eingangskontrollen und Überwachungskameras – auf den Inseln Kos, Samos und Leros haben die EU und die griechische Regierung gefängnisartige Lager für Migrierende gebaut. Auf Lesbos und Chios sind zwei weitere geplant. Asylanträge werden in „beschleunigten Grenzverfahren“ geprüft. 
In einer Podiumsdiskussion, in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wollen wir am 05. Juli über die reale Situation in diesen Lagern informieren. Welche Rechte werden verletzt? Wie sind die Haftlager europapolitisch einzuordnen? Und wie kann Widerstand aussehen?
Es diskutieren die freie Journalistin und Dokumentarfilmerin Daphne Tolis aus Athen, die Anwältin der NGO Equal Rights Beyond Borders Athina Ntavasili und der Leiter der Europaabteilung von ProAsyl Karl Kopp. Moderiert von Lisa Westhäußer, borderline-europe.
https://www.borderline-europe.de/termine

Infotour Alarme Phone Sahara

Alarme Phone Sahara spricht über Kämpfe um Bewegungsfreiheit, Ernärungssouveränität und Klimagerechtigkeit vor dem Hintergrund der aktuellen Situation im Niger.

06.07.22, 20:00 Uhr, Basel
Eine andere Welt ist möglich – Widerständiges Sommercamp

07.07.22, 19:00 Uhr, Kriens bei Luzern
Teiggi, Schachenstrasse 15A, ab 18:00 Uhr Essen, 19:00 Uhr Vortrag

08.07.22, 20:30 Uhr, Bern
Brasserie Loraine, Quartiergasse 17, 3013 Bern

Die Grenzen, die die europäischen Staaten gegen Migrant*innen und Flüchtende hochziehen, verlaufen längst nicht mehr nur an den EU-Außengrenzen, sondern weit darüber hinaus, u.a. durch viele Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Dieses repressive Grenzregime schafft lebensgefährliche Bedingungen und lässt Menschen nicht nur im Mittelmeer und im Atlantik sterben, sondern auch auf den Reisewegen durch die Sahel-Staaten und Nordafrika. Es führt zu brutalen Massenabschiebungen zwischen afrikanischen Staaten und zur Internierung von Migrant*innen und Flüchtenden in Folterlagern in Libyen. Zudem sorgt es dafür, dass tausende von Menschen, denen ein Weiterkommen versperrt ist, mit leeren Händen und unter prekären Bedingungen in Ländern wie dem Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, festsitzen. Die historisch seit langem bestehende zirkuläre Migration insbesondere in sowie zwischen West- und Nordafrika wird dadurch immer mehr eingeschränkt. Folglich zerstört diese von der EU durchgesetzte Politik in kolonialer Tradition an vielen Orten wirtschaftliche Existenzgrundlagen und damit das Leben der Menschen aus diversen Regionen.

Das Alarme Phone Sahara (APS) setzt diesem brutalen EU-Grenzregime in Agadez und an anderen Orten im Norden Nigers solidarische Intervention entgegen. Moctar Dan Yayé und Azizou Chehou des APS Niger werden auf ihrer Info-Tour von Hintergründen und aktuellen Entwicklungen in Niger zur repressiven Migrationspolitik und von ihrer alltäglichen Arbeit berichten.
https://seebruecke.ch/event/alarme-phone-sahara-infotour/

No Fides – Never trust cops, soldiers or the state!

Vom 15. bis 19. August halten Polizei und Armee in Bern die Übung «Fides» (Vertrauen) ab. Mit dem Szenario einer «lang anhaltenden terroristischen Bedrohung» soll der Schutz «kritischer Infrastruktur» trainiert werden, etwa von bedeutenden Energie-, Verkehrs- und Regierungszentren.

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Diese Übung ist weit mehr als die realitätsferne Spinnerei einiger Sicherheitsfanatiker*innen: In einer Zeit, in der die Kriege und Krisen des Kapitalismus zum Dauerzustand geworden sind und die Klimakatastrophe bereits Realität ist, geht es den Herrschenden unweigerlich darum, ihre Profite und ihre Macht abzusichern. Denn die diversen Aufstände und Proteste zeugen davon, wie viele Menschen weltweit für ein besseres Leben kämpfen und die Ausbeutung und die Zerstörung der Lebensgrundlagen nicht länger hinnehmen wollen.
Mit «Fides» bereiten sich auch das Schweizer Militär und die Polizei auf eine mögliche Zukunft vor. Unter dem Deckmantel, Sicherheit für die Bevölkerung zu gewährleisten, trainieren sie Aufstandsbekämpfung, um die allgemeinen Macht- und Besitzverhältnisse sowie den «Wirtschaftsstandort Schweiz» zu schützen.
Dass das Szenario einer «terroristischen Bedrohungslage» geprobt wird, nachdem erst kürzlich die neuen Antiterrorgesetze in Kraft getreten sind, überrascht keineswegs. Denn mit dem Schlagwort «Terrorismus» wird nicht nur eine diffuse Angst vor einem unsichtbaren Feind erzeugt, um mehr Kontrolle zu rechtfertigen; es dient zugleich Regierungen seit jeher dazu, all jene als «Terrorist*innen» zu diskreditieren, die sie radikal in Frage stellen und für einen sozialen Umbruch kämpfen.
Als bewaffnete Arme eines patriarchalen und rassistischen Systems ist es klar, dass auch die Institutionen Armee und Polizei nur patriarchal und rassistisch sein können.
Dies zeigt sich zum Beispiel am militärischen Angriff auf Migration an Europas Aussen- und Binnengrenzen. Es zeigt sich am Bild des gemeinen Soldaten: einem weissen, rechtskonservativen, bewaffneten Mann – nicht unbedingt ein beruhigendes Bild in einer Gesellschaft, in der durchschnittlich alle zwei Wochen ein Feminizid geschieht.
Armee und Polizei schützen nicht uns, sondern eine Welt, die auf Herrschaft und Ausbeutung basiert – wenn nötig mit tödlicher Gewalt. Kämpfen wir dagegen an mit unseren Werten der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe. Sabotieren und stören wir «Fides» auf vielfältige Weise!

Stay tuned!
https://nofides.noblogs.org/

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Die Ausschaffung des Herrn K.
Vor fast zwanzig Jahren wurde sein Asylgesuch abgelehnt. Seither lebt Herr K. als Sans-Papiers in der Schweiz. Er hofft, als Härtefall anerkannt zu werden. Doch dann wird er unvermittelt abgeschoben. Aber hätte er überhaupt verhaftet werden dürfen?
https://www.republik.ch/2022/06/29/am-gericht-die-ausschaffung-des-herrn-k?

Das gesperrte Archiv im Streitfall Musey
Der Streit um das Bleiberecht des kongolesischen Intellektuellen Mathieu Musey warf Ende der 1980er-Jahre enorme Wellen. Der Fall Musey würde Historiker*innen einen tiefen Einblick in die schweizerische Asylgeschichte geben. Wären da nicht die Behörden, die seit Jahren Einsicht in die Akten verhindern.
https://daslamm.ch/das-gesperrte-archiv-im-streitfall-musey/
 

Online-Archive gegen das Vergessen
Mit der Unterstützung von tausenden Freiwilligen und moderner Texterkennungssoftware entstehen digitale Archive über die Opfer und Überlebenden des Nationalsozialismus. Trotz technischen Herausforderungen lassen sich so bereits Millionen Namen online recherchieren.
https://netzpolitik.org/2022/ns-dokumente-online-archive-gegen-das-vergessen/

 
„Memento Moria“ – ein Podcast in 8 Folgen                        
Hört rein in den ausführlich recherchierten Podcast von Sham Jaff zur europäischen Migrationspolitik, an dem auch wir ganz direkt, durch Recherche sowie das Vermitteln von Kontakten mitgewirkt haben. In acht Folgen könnt ihr hören, was Geflüchte erleben, bekommt vieles erklärt und lernt auch viele Menschen kennen, die versuchen, etwas gegen die Ungerechtigkeiten und Gewalt des Grenzregimes zu unternehmen. 
https://open.spotify.com/show/5wWxhWzI2YFyc47JF0mNIZ
 
Maritime Überwachung: Spionagesatelliten im Frontex-Einsatz
Die elektronische Aufklärung aus dem All war lange Geheimdiensten und Militär vorbehalten. Mini-Satelliten und das Musk-Unternehmen SpaceX machen dies nun für Grenzbehörden interessant. Neben Telefonen werden Radare von Schiffen überwacht.
https://netzpolitik.org/2022/maritime-ueberwachung-spionagesatelliten-im-frontex-einsatz/
 
Höchste Tödlichkeit, nette Atmosphäre
Spielzeugpanzer, Algorithmen, Bilder mit russischen Panzerwracks: Vier Monate nach dem Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine offenbart sich die grösste Rüstungsmesse der Welt als eine Parallelgesellschaft. Die WOZ war eine Woche lang auf Rundgängen.
https://www.woz.ch/2226/ruestungsbranche/hoechste-toedlichkeit-nette-atmosphaere