Ungleichbehandlung bei Geflüchteten, Teddybären bei Frontex, Revision bei Afrin-Demo-Prozess

Frontex auf «Secret Teddies Mission»: Beamt*innen verteilen Plüschtiere an geflüchtete ukrainische Kinder.
Frontex auf «Secret Teddies Mission»: Beamt*innen verteilen Plüschtiere an geflüchtete ukrainische Kinder.
Themen

Was ist neu?

Updates vom Mittelmeer
Vieles deutet darauf hin, dass der vereinte weisse Mob wieder zurück in Europa ist. Dass dieser nicht zwangsläufig als uniformierte, führergläubige Volksmasse daherkommen muss, sondern als aufgeklärte demokratische Zivilgesellschaft, zeigt sich an der Gleichzeitigkeit von nahezu unbegrenzter Solidarität mit als «diesmal echten», «blauäugigen», «christlichen», «zivilisierten» Geflüchteten aus der Ukraine und den Zuständen an den europäischen Meeresgrenzen.
 
Dieses Boot mit 300 Migrant*innen wurde im August letzten Jahres von der Rettungsmission Seabird aufgefunden.
Dieses Boot mit 300 Migrant*innen wurde im August letzten Jahres von der Rettungsmission Seabird aufgefunden.
  • Seit Anfang des Jahres sind mindestens 340 Menschen im Massengrab Mittelmeer gestorben. 25 Leichen wurden letztes Wochenende an der tunesischen Küste entdeckt. Es wird befürchtet, dass weitere 35 Personen ertrunken sind.
  • Mehrere Hilfsorganisationen (Forum tunisien des droits économiques et sociaux, UNHCR, Alarmphone) stellen in ihren jeweiligen Jahresberichten fest, dass die Anzahl an Menschen, die über das Mittelmeer Europa erreichen wollen, im Jahr 2021 wieder deutlich angestiegen ist.
  • Griechenland ist in Sachen Asylpolitik bekannt für seine abgeschotteten Geflüchtetenlager, illegale Pushbacks und jahrzehntelangen Haftstrafen für Taten wie «Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt». Ukrainische Geflüchtete können schnell und unkompliziert eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, können arbeiten und sind krankenversichert. Der griechische Migrationsminister erklärt diese ungleiche Behandlung damit, dass der Ukraine-Krieg eine Krise in der europäischen Nachbarschaft sei und es sich um „wahre Flüchtlinge“ handle.
  • Spanien hat nach einer knapp einjährigen Pause wieder angefangen, Menschen nach Marokko auszuschaffen.

Was geht ab beim Staat?

Ungleichbehandlung institutionalisiert sich
Der Angriffskrieg in der Ukraine hat laut UNHCR schon fast 3,5 Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Über 11’000 davon haben sich bisher in der Schweiz registrieren lassen. Trotz rassistischer Hetzerei wie jener von SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi bleibt die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten stark. Ebenfalls stark bleiben die weissen Flecken dieser Solidaritätsbewegungen. Dies erleichtert es den Behörden, an der Ungleichbehandlung zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Geflüchteten festzuhalten. Ein Update zu selektiver, nationalistischer Solidarität und zum institutionellen Rassismus.
 
Würden ukrainische Geflüchtete, die aktuell alle den Schutzstatus S erhalten, ein Asylgesuch stellen, ginge es ihnen wie den Menschen, die vor Kriegen und Konflikten in z.B. Afghanistan, Syrien, Eritrea, Somalia oder Sri Lanka flohen. Die meisten würden höchstens vorläufig aufgenommen werden, viele würden auch in der Nothilfe landen. Nur eine Minderheit würde Schutz durch politisches Asyl erhalten. Im Vergleich zum F-Status oder zur Nothilfe ist der Schutzstatus S ein grosser Vorteil, der allen zustehen sollte. Wo zeigt sich die Ungleichbehandlung diese Woche?
 
Privat Wohnen: Für fast die Hälfte der ukrainischen Personen hätten sich private Wohnorte finden lassen. Laut SEM-Chefin Christine Schraner Burgener (Nachfolgerin von Mario Gattiker) hätten sich bereits über 24’872 Haushalte gemeldet, um zusammen 61’495 Betten anzubieten. Nicht-ukrainische Menschen im gewöhnlichen Asylverfahren erhalten keinen Zugang zu diesen privaten Unterbringungen und dürfen bis zum Asylentscheid auch weiterhin nicht bei Verwandten, Freund*innen oder selbstständig wohnen.
 
Kritik der Camps: In den Bundesasylcamps gebe es laut Schraner Burgener schweizweit 9’000 Betten. Die Armee stellte nun zusätzliche Kasernen und Truppenlager zur Verfügung: 300 Plätze auf dem Glaubenberg, 220 Plätze in Brugg, 500 Plätze in Bülach,1’300 Plätze in Bure und 160 Plätze in Les Rochat. Laut Schraner Burgener soll aber niemand aus der Ukraine lange in einem Bundesasylcamp bleiben müssen.
Das SEM wolle nur die Personalien der Menschen erfassen, Fingerprints abnehmen und in den Datenbanken Ripol und SIS nach ihnen suchen, danach seien die Kantone und die Privaten am Zuge. Um zu vermeiden, dass Menschen bei der Registrierung Schlange stehen müssten, arbeite das SEM mit Hochdruck daran, eine digitale Möglichkeit zu schaffen, um sich auch online für den Status S zu registrieren. Kaum denkbar für andere Geflüchtete.
Auch in den Kantonen ist die Unterbringung der ukrainischen Menschen und die Kritik der Behördenentscheide ganz anders als bei anderen Geflüchteten. Üblicherweise bleibt es angesichts der Isolation und Entwürdigung durch das Asylregime meist eher still. Im Kanton Bern wehren sich gerade abgewiesene Aktivist*innen gegen einen Transfer von Biel in ein abgelegeneres Camp. Deren Unterstützung ist leiser. In Luzern hingegen empören sich viele Stimmen heftigst daran, dass der Kanton ukrainische Geflüchtete in Bunkeranlagen unterbringen will.
 
Verwaltung: Um in der aktuellen Situation teilweise weitgehende Veränderungen koordiniert und mit kurzen Entscheidungswegen durchzusetzen, hat Karin Keller-Sutter (KKS) nicht nur den Sonderstatus S aktiviert. Diese Woche setzte sie zudem den sogenannten Sonderstab Asyl (SONAS) ein. Diese Möglichkeit besteht seit 2011, kommt nun aber zum ersten Mal zur Anwendung. Das Gremium tritt erstmals am 24. März zusammen. Es kann rasch und mächtige Entscheidungen herbeibringen. Im Fall von Afghanistan oder Syrien hielt es die Schweiz nicht für nötig, einen solchen Zauberstab einzusetzen, um nach solidarischen Lösungen zu suchen.
 
Mobilität: Der Ausweis S gilt mindestens bis Ende Mai schweizweit als GA. Für andere Geflüchtete gilt dies aber nicht. Sogar die SP forderte hier Gleichbehandlung und schlug vor, die ÖV-Preise allgemein erschwinglicher zu machen. Dieser Punkt ist keine Bagatelle. Viele Geflüchtete verschulden sich, weil sie die Ticketpreise nicht bezahlen (können), dann erwischt werden und auch die Busse nicht bezahlen können. Nicht selten kann das Ausüben der Bewegungsfreiheit mit einer sogenannten „ersatzweise Freiheitsstrafe“ zum Abbezahlen der Kosten enden.
 
Anerkennung von Kriegstraumatisierung: Vielen Asylsuchenden aus verschiedensten Kriegsregionen der Welt wird die Traumatisierung abgesprochen. Wenn sie sich nicht extrem anstrengen, ihre Traumatisierung von Fachspezialist*innen attestieren zu lassen, geht das SEM von sich aus nicht von einer solchen aus: Weder um eine solche zu behandeln und schon gar nicht, um im Asylinterview und im Verfahren Traumatisierung zu berücksichtigen. Wer dies vor Augen hat staunt, was nun möglich ist: Die SEM-Chefin Schraner Burgener hielt z.B in der Samstagsrundschau des SRF pauschal fest, die meisten nun aus der Ukraine ankommenden Menschen seien vermutlich traumatisiert. Im Kanton Aargau fordern die Behörden Schiessvereine auf, sensibel zu sein. Es gibt Kritik daran, dass die Menschen in den BAZ keine Haustiere halten dürfen, da diese Beziehungen gut seien angesichts von Traumatisierungen.
 
Spracherwerb: Vor einigen Wochen kündigte KKS an, der Schutzstatus S für ukrainische Geflüchtete sei von Gesetzes wegen ein sogenannter „rückkehrorientierter Status“. Der Bund bezahle den Kantonen daher kein Geld für Sprachkurse und andere integrative Unterstützung. Nun hiess es diese Woche trotzdem, der Bund bezahle eine Pauschale von 3’000 Franken pro Person an Sprachkurse.
 
Reisefreiheit: Ukrainische Geflüchtete haben die uneingeschränkte Reisefreiheit. Das ist gut so und wäre auch der Wunsch von Menschen im Asylverfahren und Menschen mit einer vorläufigen Aufnahme. Ihre Reisemöglichkeiten sind stark eingeschränkt. Ein Rückreisevisum für einen Verwandtenbesuch wird nur erteilt, wenn die Verwandten schwer krank sind oder bei einem Todesfall. Reisen ins Herkunftsland oder dessen Nachbarstaaten sind untersagt.
 
Familiennachzug: Die meisten ankommenden Menschen aus der Ukraine sind Frauen und Kinder. Das Recht auf Familiennachzug steht ihnen uneingeschränkt zu. Für den Familiennachzug für Menschen mit einem F-Ausweis gilt eine Wartefrist von drei Jahren. Dann braucht es genügend Geld, eine ausreichend grosse Wohnung und genügend Kenntnis einer Landessprache, damit der Familiennachzug bewilligt wird. Daher bleiben Familien oft jahrelang getrennt.
 
FLINTA-Rechte: Die Behörden scheren sich in der Regel nicht um die feministische Kritik, dass das Asylregime für als Frauen gelesene Personen grosse Risiken für (Hetero-)Sexismus birgt. Nun, im Fall von den ukrainischen Geflüchteten, zeigt sich plötzlich auch KKS besorgt. Die Bundespolizei habe die sexistischen Risiken «extrem auf dem Radar». Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), die die privaten Unterbringungen koordiniert, kümmere sich ganz besonders um diesen Aspekt. Zudem werden Flugblätter in ukrainischer Sprache verteilt, um FLINTAs zu sensibilisieren und zu warnen.

 

Schweizer Parlament verweigert Wiedereinführung des Botschaftsasyls
2012 wurde der einzige sichere Fluchtweg in die Schweiz abgeschafft: das Botschaftsasyl. Tausende Tote und unzählige Gewalterfahrungen an den Grenzen später wurde die Wiedereinführung gefordert – und nun abgelehnt. Die angepriesenen Alternativen wie die Erteilung von humanitären Visa oder das Resettlement bleiben sogar hinter den selbst gesteckten Zielen des Parlaments zurück.
 
ier Tage vor der Machtergreifung der Taliban entscheidet das SEM, Ausschaffungen nach Afghanistan auszusetzen. Menschen aus Afghanistan sind aber weiterhin nicht willkommen.
Vier Tage vor der Machtergreifung der Taliban entscheidet das SEM, Ausschaffungen nach Afghanistan auszusetzen. Menschen aus Afghanistan sind aber weiterhin beim SEM nicht willkommen.
Das Botschaftsasyl erlaubte es Menschen ausserhalb der Schweiz ein Asylgesuch zu stellen, welches dann von den Behörden geprüft wurde. Es wurde mit der Begründung abgeschafft, dass es diese Möglichkeit nur in der Schweiz, nicht aber in anderen europäischen Staaten gäbe. Die Rede ist von einer «Sogwirkung», die man auf keinen Fall (wieder) riskieren könne und von genügend anderen Möglichkeiten, zum Beispiel mit einem humanitären Visum oder via Resettlement-Programm in die Schweiz zu gelangen. Praktisch hatte die Abschaffung des Botschaftsasyls aber zur Folge, dass Menschen bis heute nur auf Schweizer Boden ein Asylgesuch stellen können. Der Weg dahin ist illegalisiert und lebensgefährlich.
 
Ein humanitäres Visum zu erhalten, ist mit grossen Hürden verbunden. Eine Person muss in ihrem Herkunftsstaat «unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet» sein, einen Bezug zur Schweiz, Integrationsaussichten und keine Möglichkeit haben, in einem anderen Land Schutz zu suchen. Und das muss dann das SEM auch noch so beurteilen. Zudem muss man einen Antrag in einer Schweizer Botschaft stellen, die es nicht in jedem Land gibt und die für viele Menschen nicht erreichbar ist. 2020 wurden entsprechend auch nur 296 humanitäre Visa ausgestellt.
 
Ähnlich eng sind die Resettlement-Möglichkeiten. Seit 2019 werden immer für 2 Jahre Aufnahmequoten festgelegt. Bisher betrug die Zahl 1’600 Personen pro zwei Jahre, die von der UNHCR vorausgewählt und vorgeschlagen werden. Dazu muss ihre Flüchtlingseigenschaft schon anerkannt werden und ebenfalls eine Integrationsbereitschaft in der Schweiz zugesagt werden. 2020/21 wurde diese sowieso schon sehr tiefe Quote nicht erfüllt. Lediglich 1’380 Menschen konnten innerhalb von zwei ganzen Jahren via Resettlement in die Schweiz kommen. Allein aus Afghanistan suchen nach der Machtergreifung der Taliban tausende Menschen Schutz. Resettlement-Plätze der Schweiz für Menschen aus Afghanistan 2021: 219.
 
In Afghanistan wie an so vielen anderen Orten wolle man lieber vor Ort helfen. Die Gelder, die meist aus dem Topf der Entwicklungszusammenarbeit fliessen, sind immer häufiger an Migrationsabkommen und Abschottungsmassnahmen geknüpft. Die Herkunftsländer sollen aktiv dafür sorgen, dass sich Menschen nicht auf den Weg nach Europa machen, um dort dann ein Asylgesuch stellen zu können. Denn: Eine wirtschaftlich bessere Situation der Menschen führt nicht zwingend dazu, dass sie in ihrem Herkunftsland bleiben wollen. Vielmehr gibt es vielen Menschen erst die Chance, sich Flucht oder Migration nach Europa leisten zu können.
 
Die offizielle Schweiz wiederholt immer wieder mantraartig zwei Kernargumente: Es gibt genügend Möglichkeiten, auf sicherem Wege ein Asylgesuch in der Schweiz zu stellen. Wir können nicht mehr machen, sonst stehen wir in Europa allein da. Beide Aussagen werden durch ihre Wiederholung nicht wahrer. Beide Narrative lassen sich verändern. So wie eine andere Schweizer Politik möglich ist, wenn man dann will, so ist auch eine andere europäische Politik möglich. Eine, in der humanitäre und rechtsstaatliche Grundsätze eingehalten werden – zumindest also das, was man sich als Staat selbst auf die Fahnen schreibt. Von einer Welt ohne Grenzen und gleichen Möglichkeiten für alle Menschen sind wir auch dann noch weit entfernt.
 
 

Was tut Frontex?

Abschottung, Aufrüstung und Teddybären bei Frontex
Die europäische Grenz- und Küstenwache Frontex nutzt den Krieg gegen die Ukraine, um ihre Präsenz im Osten Europas zu erweitern. Die Agentur folgt dort ebenso wie anderswo ihren rassistischen Sicherheitsüberlegungen. Sie nutzt die Situation aus, um die EU-Abschottungspolitik für gewisse Menschen weiterzuführen, zu rechtfertigen, zu verstärken. Folgendes ist bei Frontex in den letzten Tages Neues passiert:
 
Gegen Frontex Direktor Leggeri wurde eine Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union eingereicht.
Gegen Frontex Direktor Leggeri wurde eine Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union eingereicht.
Grenzwächter*innen in Rumänien
Anfang März entsandte Frontex 150 Beamt*innen mit 45 Einsatzwagen und anderer Ausrüstung nach Rumänien. Ein Teil der Beamt*innen wurde an der Grenze zu Moldawien stationiert. Dabei handelte es sich um Vorbereitungen des Einsatzes in der Republik Moldau, der inzwischen bereits vertraglich geregelt wurde:
 
Statusabkommen mit Moldawien
Der Europäische Rat hat vergangene Woche den Beschluss für ein Statusabkommen mit Moldawien unterzeichnet. Gewöhnlich liegen zwischen dem Abschluss eines Statusabkommens und dessen Umsetzung mehrere Monate. Grund für das schnelle Inkrafttreten seien die zahlreichen geflüchteten Personen, die seit dem Krieg in der Ukraine bereits in Moldawien angekommen sind. So kann Frontex neu im Nicht-EU-Staat bewaffnete Operationen mit über 80 Grenzbeamt*innen durchführen, um die Abschottung auch ausserhalb des Schengenraums weiterzuführen.
 
Deal mit EASA (Europäische Agentur für Flugsicherheit)
Frontex und die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) wollen zukünftig enger zusammenarbeiten. Sie unterzeichneten dazu am 25. März ein Arbeitsabkommen. Darin geregelt sind ein intensivierter Know-How-Transfer und ein gemeinsamer «Kapazitätsaufbau». Auch soll die EASA Frontex bei ihrer Aufrüstung beraten. Frontex stützt sich bei der Umsetzung ihrer rassistischen Abschottungspolitik zunehmend auf Luftüberwachung mit dem Einsatz von Flugzeugen oder Drohnen. So zum Beispiel über dem Mittelmeer: Während Frontex die Luftüberwachung ausbaut, werden für Rettungen dringend benötigte Schiffe abgezogen. Die Strategie dahinter: Frontex umgeht die rechtliche Verpflichtung, Menschen in Seenot zu helfen. Was Frontex stattdessen macht – und was Menschen auf der Flucht schon lange sagen – wurde letzte Woche durch Recherchen des EU-Antibetrugsamts erneut bestätigt:
 
Frontex-Leaks
Ein Jahr lang haben Beamt*innen des Antibetrugsamtes Olaf recherchiert, Leggeris Büro durchsucht und einen 200-seitigen Bericht geschrieben. Darin wird nachgewiesen, dass Leggeri, der Menschenrechtsverletzungen durch Frontex-Beamt*innen stets abstritt, bereits früh eindeutige Beweise für die illegalen Pushbacks hatte. Ein konkretes Beispiel aus dem Bericht: Am 19. April 2020 stoppten griechische Grenzbeamt*innen ein Boot mit Menschen auf der Flucht auf dem Weg nach Europa, schleppten es zurück in türkisches Gewässer und liessen das Boot auf dem Meer zurück, ohne funktionierenden Motor. All dies wurde von einem Frontex-Flugzeug aus der Luft aufgenommen, die Bilder davon direkt in die Zentrale in Warschau gesendet.
 
Nun werden erneut Stimmen laut, die die Absetzung von Leggeri fordern. Eines darf dabei nicht vergessen werden: Leggeri ist nicht das Hauptproblem. Klar muss Leggeri abgesetzt werden, aber mit ihm ist es die rassistische Agentur, die abgeschafft gehört und die Politik dahinter, die verändert werden muss.
 
Während Frontex ihre Abschottungspolitik ausserhalb des Schengenraums verstärkt, die eigene Aufrüstung und die Militarisierung der Aussengrenzen weiter vorantreibt, zeigen sich Frontex-Beamt*innen auf Twitter mit Teddybären, die sie an geflüchtete ukrainische Kinder verteilen – Frontex auf «Secret Teddies Mission». Die Bilder wären fast zum Lachen, stünden dahinter nicht das verbreitete, rassistische Narrativ: Frontex-Beamt*innen schützen die europäischen Aussengrenzen vor der vermeintlichen Gefahr durch Migration, sie sind die «good cops», die die Sicherheit im Innern Europas bzw. des Schengenraums mitgarantieren. Es gilt, diesem rassistischen Narrativ von Migration als Gefahr vehement entgegenzutreten: Denn es sind diese Vorurteile, die grenzenlose, weltweite Solidarität verhindern.

 

Kopf der Woche

Philippe Müller

Angesichts der Wahlen, die dieses Wochenende stattgefunden haben, und der Tatsache, dass Philippe Müller mit grosser Wahrscheinlichkeit für weitere 4 Jahre in der Regierung sitzen wird, lohnt es sich, seine Politik und seine Person etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

FDP-Politiker und Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller.
FDP-Politiker und Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller.

Müller ist FDP-Politiker und seit vier Jahren Regierungsrat im Kanton Bern. Er lenkt die Sicherheitsdirektion. In seine Kompetenz fallen unter anderem die Kantonspolizei, Teile des Berner Asylwesens und die Strafanstalten. Als Sicherheitsdirektor war er in den letzten drei Jahren für die Neuorganisation des bernischen Asylwesens zuständig. Er ist beispielsweise für die Umsetzung negativer Asylentscheide verantwortlich.

Vielleicht sind den anarchistisch denkenden und fühlenden Menschen unter uns Wahlen auch etwas egal. Doch am Ende des Tages wird diese Person die Gesetze ausführen, welche das Leben von tausenden Menschen massgeblich beeinflussen. Darum halten wir es für wichtig, diese Menschen im Blick zu haben. Philippe Müller ist ein überheblicher Typ, der enorm rassistisch denkt und handelt. Sehr sichtbar wurde das in seinen Reaktionen auf die Proteste von Stop Isolation, welche ein würdigeres Leben für Personen in der Nothilfe und allgemein für Personen in den Asylcamps forderte. Wir wollen nicht vergessen, mit welcher Kälte und Brutalität er auf die Forderungen von Menschen reagierte, welche für ein kleines bisschen mehr Würde und Freiheit kämpften. Hier ein kleiner Zusammenschnitt:

Als sich eine Person im letzten Jahr bei einer Protestaktion von Stop Isolation selbst anzündete, bezeichnete Müller dies als «fahrlässigen PR-Gag». Er glaube nicht an einen Suizidversuch. «Das war eine organisierte Show.» Wer die Selbstanzündung eines Menschen als ‹Show› bezeichnet, weigert sich wirklich sehr aktiv, das Leiden dieses Menschen und dessen politische Forderungen ernstzunehmen. Müller meinte, dass er sich von solchen Aktionen nicht erpressen lassen würde. Politische Aktionen mit Forderungen für ein menschenwürdigeres Leben als Erpressung darzustellen, ist eine Argumentation, die Machtverhältnisse ignoriert und verdreht – die aus Opfern Täter macht.

Allgemein betonte Müller immer wieder, dass von der Nothilfe betroffene Menschen selbst die Schuld an ihrer prekären Situation tragen. «Wer länger in der Nothilfe bleibt, hat das in den allermeisten Fällen freiwillig so entschieden. Diese Leute ignorieren unsere rechtsstaatlichen Verfahren und wollen unsere Entscheidungen übersteuern. Sie können ausreisen, weigern sich aber. Es kann nicht sein, dass jemand vom Ausland her in die Schweiz kommt und uns sagt, wie wir zu entscheiden haben.» Auch hier eine krasse Opfer-Täter-Umkehr. Als hätten Menschen in der Nothilfe auch nur die allerkleinste Möglichkeit, den mächtigen schweizer Behörden zu sagen, wie sie zu entscheiden haben. Philippe Müller und seine Behörde können nach Lust und Laune über das Leben von tausenden Menschen entscheiden. Sie können mit dem Finger schnippen und es ihnen zur Hölle machen. So sehen die Machtverhältnisse aus.

Weitere Vorwürfe der Erpressung fielen. «Dass die Kinder in den Zentren leben müssen, haben ihre Eltern so entschieden.» Eltern würden ihre Kinder als Schutzschilder benutzen, um in der Schweiz bleiben zu können. Auf die Frage, was Kinder dafür können, wenn ihre Eltern die Schweiz nicht verlassen, meinte Müller: «Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Wir können uns aber auch nicht erpressen lassen.» Dass Kinder so leben müssen, haben Menschen wie Philippe Müller entschieden. Nicht deren Eltern.

Die Kritik an der Unterbringung und der Lebenssituation von Menschen in der Nothilfe hat in letzter Zeit jedoch so stark zugenommen, dass eine Untersuchung durch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) durchgeführt wurde. Im deren Abschlussbericht war unter anderem zu lesen: «Nach Beurteilung der Kommission sind diese Verhältnisse in den Rückkehrzentren nicht mit der UNO-Kinderrechtskonvention vereinbar, sie verletzten das Recht von Kindern auf angemessene Lebensbedingungen und das Recht auf Ruhe und Freizeit sowie auf Spiel und altersgemässe aktive Erholung». Weiter wurde die zu knappe Nothilfe, der fehlende Schutz für Frauen, die nicht vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten und die beengenden Platzverhältnisse kritisiert. Müller fasste den Bericht als Angriff auf seine Person auf und nahm das zum Vorwand, um inhaltlich kaum auf die Kritik einzugehen. Beim Bericht handle es sich laut Müller um eine «politische» und nicht «juristische» Schlussfolgerung. Diese Arroganz muss man zuerst einmal hinbekommen. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass die NKVF nicht gerade für politisch radikal einzuordnende Positionen bekannt ist. Sie ist eine staatliche Behörde, welche sehr zurückhaltend Kritik übt und wenn sie diese ausübt, müssen die Zustände bereits enorm prekär sein.

Was Müller auch gar nicht passt, ist die politische Zusammenarbeit von Menschen aus den Rückkehrcamps mit Gruppen wie dem Migrant Solidarity Network. Linke Gruppen und Bewegungen, die sich an den Protesten von Stop Isolation beteiligten oder diese unterstützten, bezeichnet er als «Lobbyorganisation», bei deren «Propaganda die Medien schön mitmachen». Seine Hauptkritik gehe an die Organisatoren, die zum Teil aus Schweizern bestehen, sagte Müller im Anschluss an eine Protestaktion von Stop Isolation. «Diese Menschen haben eine schwierige Situation und werden als Handlanger benutzt.» Er wirft Organisationen wie dem Migrant Solidarity Network vor, geflüchtete Personen zu instrumentalisieren.

Nie würde er auf die Idee kommen, diese Menschen als Personen mit einem eigenen politischen Willen, mit Organisierungkraft, Kompetenzen und Fähigkeiten zu betrachten, was zutiefst rassistisch ist. Er spricht ihnen jegliche Individualität ab, stellt sie als eine instrumentalisierte Masse dar, statt als bewusst handelnde Subjekte. Eine solche Negierung jeglicher Persönlichkeit, jeglichen politischen Willens, die völlige Absprache von Definitionsmacht, ist etwas vom brutalsten, was Menschen in Machtpositionen anderen antun können. Es versetzt Menschen in Ohnmacht und Passivität, in ein Gefühl der völligen Ausgeliefertheit an die Launen eines aggressiven, rassistischen Egoisten mit null Einfühlungsvermögen.

Zum Schluss noch die jüngsten Äusserungen von Müller nach Ausbruch des Angriffskriegs in der Ukraine: Selbst von bürgerlichen Medien wurde in den letzten Tagen immer mal wieder leise darauf hingewiesen, dass eine rassistische Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus unterschiedlichen Regionen und Kriegsgebieten stattfindet. Während Menschen aus der Ukraine den Schutzstatus S erhalten, leben Menschen aus anderen Kiegsregionen teils seit Jahren in der Nothilfe. Doch wenige Politiker*innen gaben so offen zu, dass die Ungleichbehandlung politisch so gewollt ist, dass sie den betroffenen Menschen und ihren Leben unterschiedlich viel Wert geben.

Auf die Frage, warum die Vergabe des Schutzstatus nun plötzlich möglich sei, antwortete Müller, dass es jetzt um Leute gehe, welche direkt aus einem Kriegsgebiet flüchten und Schutz suchen, solange der Krieg dauert. Wir müssen hier wohl nicht aufzählen, wieviele anderes Kriegsgebiete es auf dieser Welt noch gibt. Und auf die Frage, warum der Schutzstatus nicht bereits beim Syrien-Krieg aktiviert wurde, meinte Müller: «Die Syrien-Flüchtlinge sind in der allgemeinen Wahrnehmung nicht vergleichbar mit diesen Leuten, die jetzt kommen.» Eine zutiefst rassistische Aussage. Auf die Aussage, dass sich eine Eritreerin, die mit ihren Töchtern gerade einen negativen Asylentscheid erhalten hat, ungerecht behandelt fühlt, meint Müller: «Wenn Sie direkt betroffen sind, dann sind Sie nicht objektiv. Wer im demokratischen Prozess verliert, sieht das oft als «ungerecht» an.» Fast vergessen, dass ja immer nur der weisse Mann objektiv sein kann.

Dass eine solche Person immer noch in der Regierung sitzt, ist schwer auszuhalten und manchmal auch schwer nachvollziehbar. Aber auch Philippe Müller ist angreifbar. Das haben die ausdauernden Proteste von Stop Isolation gezeigt. Denn hinter seiner kalten Maskerade brachten ihn die Proteste mehr als einmal in Abwehrhaltung. Er fühlte sich in regelmässigen Abständen angegriffen und sah sich zur Verteidigung gedrängt. Schauen wir zu, dass dies weiterhin passiert, auf welche Art und Weise auch immer wir bereit dazu sind!

https://www.derbund.ch/sicherheitsdirektion-wehrt-sich-gegen-vorwuerfe-der-demonstranten-529360223371
https://www.derbund.ch/das-war-eine-organisierte-show-464848414935

https://www.derbund.ch/mueller-schockiert-die-linke-405305911676

https://www.derbund.ch/wir-koennen-uns-doch-nicht-erpressen-lassen-973717012066

https://www.derbund.ch/bericht-unterbringung-von-familien-ist-menschenunwuerdig-655045532190

Was schreiben andere?

Philippe Müllers Asylregime: Nicht nur menschenrechtsverletzend und krankmachend, sondern auch anti-demokratisch
Ein Beitrag von Migrant Solidarity Network
Mit der Kritik am bernischen Nothilferegime stehen „Stop Isolation“ und das Migrant Solidarity Network längst nicht mehr alleine da. Im Parlament gab es Motionen und Vorstösse. Ein Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) spricht von Menschenrechtsverletzungen und über 400 Gesundheitsfachpersonen bestätigen in einem offene Brief krankmachende Verhältnisse. Besonders kritisiert wird die freiheitsberaubende Anwesenheitspflicht. Der zuständige Regierungsrat Philippe Müller liess diese ohne gesetzliche Grundlage einführen und masste sich an, selbst als Gesetzgeber tätig zu werden.
Philipp Müller führte die freiheitsberaubende Anwesenheitspflicht über eine blosse Anpassung der kantonalen Nothilfeweisung ein. Ziffer 5.4 verwandelt Nothilfecamps in offene Gefängnisse: „Die zwingende Anwesenheitspflicht bedeutet, dass sich die Nothilfebeziehenden an sieben Tagen die Woche im Rückkehrzentrum aufhalten und dort übernachten.“ Hunderte abgewiesene Personen werden so während Jahren – teilweise Jahrzehnten – in Nothilfecamps isoliert. Wer drei Mal gegen die Anwesenheitspflicht verstösst, verliert das Recht auf Nothilfe und gilt unmittelbar als untergetaucht, was die Chancen auf ein Härtefallgesuch gegen Null sinken lassen kann.
Im Bundesrecht finden sich keine Hinweise für eine derartige Freiheitsberaubung. Artikel 12 der Bundesverfassung sichert abgewiesenen Personen das Recht auf Nothilfe explizit zu – ohne es an Freiheitsbeschränkungen zu knüpfen. Einschränkungen wären nur erlaubt, wenn ihre zwangsweise Durchsetzung zur Beseitigung der Notlage führt, was hier nicht behauptet werden kann. Die Anwesenheitspflicht widerspricht zudem dem Recht auf Bewegungsfreiheit (Artikel 10) und dem Recht auf soziale Kontakte (Artikel 13), die beide ebenfalls in der Bundesverfassung geschützt wären. Auch im kantonalen Recht finden sich keine gesetzlichen Grundlagen für die freiheitsberaubende Anwesenheitspflicht. Es gab für die verschärfte Weisung keine Vernehmlassung, keine Parlamentsdebatte und kein Parlamentsentscheid.

 

https://migrant-solidarity-network.ch/2022/03/22/philippe-muellers-asylregime-nicht-nur-menschenrechtsverletzend-und-krankmachend-sondern-auch-anti-demokratisch/

 

Situation an der polnisch-belarussischen Grenze

Bericht aus dem Telegramkanal des No-Borders-Teams (übersetzt aus dem Englischen)

20.März 2022
Ständig kommt während unserer Tätigkeit an der polnisch-belarussischen Grenze das Gefühl auf, dass wir es hier mit sogenanntem „Hilfs-Rassismus“ („aid racism“) zu tun haben. Es ist nicht eine Zeit, um über Ausmass oder Gewichtung von Leid zu diskutieren. Trotzdem kommt dieses Phänomen mehr und mehr zum Vorschein. Es manifestiert sich in der Aufrechterhaltung der Sperrzone im Podlasie Distrikt, der Kriminalisierung von Hilfs-Aktivitäten für Menschen aus nicht-europäischen Ländern und die noch immer zugelassenen und durchgeführten Pushback-Prozeduren zurück nach Belarus. Es ist für uns komplett unverständlich, dass Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze wie Geflüchtete zweiter Klasse behandelt werden.

Die Zusammenfassung der letzten März-Wochen zeigt, dass die Anzahl Anrufe dynamisch steigt, im Vergleich zu den letzten zwei Monaten. Vom 8. bis 14. März erhielten Hilfs-Kollektive 123 Anrufe (20 Kinder waren in diesen Gruppen). Vom 15. zum 19. März erhielt unser Team tägliche Berichte direkt von Menschen, die sich im Wald befanden, oder indirekt durch andere Gruppen. Wir nahmen Teil an Hilfs-Aktionen und unterstützten durch Information. Unsere März-Zusammenfassungen zeigen, dass trotz der Errichtung eines Zauns an der polnisch-belarussischen Grenze immernoch zahlreiche Versuche unternommen werden, die Grenze zu überqueren. Jedoch entscheiden viele Menschen wegen der errichteten Hindernisse, die Grenze an Stellen mit hohen Risiken zu überqueren, so dass sie beispielsweise Gefahr laufen, in einem Sumpf zu ertrinken. Wir haben auch die Information bekommen, dass auf der belarussischen Seite, in einem Dorf namens Bryzgi, wo geflüchtete Menschen untergebracht werden, die Gewalt gegen diese Menschen immer wieder eskaliert. Die Gründe für ihren Aufenthalt in Bryzgi sind fehlendes Geld für die weitere Reise, Erschöpfung, Krankheit oder Hoffnungslosigkeit. Gemäss diesen Informationen sei wegen des Kriegs in der Ukraine den Menschen, die sich bisher in Bryzgi aufgehalten hatten, von den belarussischen Grenzbeamt*innen befohlen worden, das Lager zu verlassen.

Unsere Anwesenheit an der polnisch-belarussischen Grenze ist noch immer sehr wichtig und notwendig. Wir fokussieren uns darauf, das Leben und die Gesundheit von Menschen zu retten, denen ihre grundlegenden Menschenrechte verwehrt werden. In einer Zeit, wo die polnische Bevölkerung damit beschäftigt ist, Solidarität mit der Ukraine zu bekunden, merken wir als Team, dass unsere Hilfe in der Podlasie-Region noch immer notwendig ist. Deshalb sind wir noch immer hier und versuchen, diejenigen zu unterstützen, die von einem Grossteil der Gesellschaft vergessen wurden. Gleichzeitig begrüssen wir es, dass Bewegungsfreiheit in der Ukraine funktioniert, für geflüchtete und intern vertriebene Menschen, die vor den Bomben der russischen Invasion fliehen.

25.März 2022
An der polnisch-belarussischen Grenze wurde in einem Wald bei Białowieża eine weitere Person tot aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft ist mit dem Fall befasst. Ersten Informationen zufolge gibt es keine Identifizierung, aber wir können davon ausgehen, dass es sich um ein weiteres Opfer der Festung Europa handelt. Das war zu erwarten, und der Frühling wird noch viele weitere düstere Geheimnisse ans Licht bringen…
Wir können nicht aufhören, über die Tatsache zu sprechen, dass Grenzen töten, Würde und Freiheit wegnehmen. Die Grenzsoldat*innen haben Blut an ihren Händen! Und wir stehen immer an der Seite der Menschen, die unterwegs sind!

Was nun?

Revision gegen Fehlurteil nach Afrin-Demo einreichen
Die Demokratischen Jurist*innen Bern konnten in der Revision Freispüche für Teilnehmer*innen der Afrin-Demo von 2018 erreichen. Diese sind für viele weitere Menschen möglich, wenn sie jetzt Revision einreichen, wie die Gruppe empfiehlt:
Afrin-Demo in Bern 2018
Afrin-Demo in Bern 2018


„Am 7. April 2018 fand in Bern eine Demonstration für die syrische Stadt Afrin statt (Afrin-Demo). Fast 200 Teilnehmende erhielten anschliessend einen Strafbefehl wegen Landfriedensbruchs. In einigen weitergezogenen Fällen kam es zu erstinstanzlichen Verurteilungen. Ein neues, nun rechtskräftiges Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 21. Januar 2022 zeigt, dass für (praktisch alle) Teilnehmenden der Afrin-Demo vom 7. April 2018 ein Freispruch in Revision und die Rückerstattung der Verfahrenskosten sowie der bezahlten Strafen (Geldstrafen/Bussen) erwirkt werden könnte. Am 9. März 2022 kam es erneut zu Freisprüchen des Regionalgerichts Bern-Mittelland bezüglich Afrin-Demo im Rahmen des Kill-Erdogan-Prozesses.

Die Frist für ein Revisionsgesuch beträgt lediglich 90 Tage nach Kenntnisnahme eines positiven Urteils. Sofern ihr Personen kennt, die an der Afrin-Demo dabei waren (und verurteilt wurden), sollte durch diese rasch ein Revisionsgesuch eingereicht werden. [Auf unserer Webseite] findet ihr ein Muster-Revisionsgesuch zum Abändern oder Einreichen. Sofern anwaltliche Bemühungen vorhanden waren, müsste für diese auch die Rückerstattung verlangt werden.“

Baue mit Blindspots einen neuen Stützpunkt an der ukrainisch-slowakischen Grenze auf
„Wir brauchen Leute, die uns unterstützen wollen und für mindestens 2 Wochen in Ubla in der Slowakei sein können. Wir brauchen dies ab JETZT und für die nächsten 3 Monate sind wir sicher, dass sich die Situation nicht ändern wird.
 
Wir von Blindspots haben beschlossen, einen neuen Stützpunkt an der ukrainisch-slowakischen Grenze zu eröffnen. Wir sind dabei, dort Strukturen aufzubauen, die es uns ermöglichen, für das nächste Jahr sowohl Lebensmittel als auch Non-Food-Artikel in der Ukraine zu verteilen. Da auch Evakuierungsfahrten aus ukrainischen Städten nicht abgedeckt sind, werden wir sie durchführen. Mit unseren EXIT-Bussen wird dies in Zusammenarbeit mit ukrainischen Fahrern geschehen und wir sind auch im Austausch mit dem HELP BUS. Ziel ist es, neben unserem Lager in Ubla in der Slowakei ein weiteres in der Ukraine gleich hinter der Grenze aufzubauen. Der Grund dafür ist, dass wir so noch besser und gezielter Blindspots in der Ukraine finden und beliefern können.
Wenn Sie also Zeit und Kapazitäten haben, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf: Info@blindspots.support.“
https://blindspots.support

 

Wo gabs Widerstand?

18. März – Aktionen für politische Gefangene

Am Tag der politischen Gefangenen wurde mit Transparenten und Öffentlichkeitsarbeit auf inhaftierte Aktivist*innen aufmerksam gemacht.

Transpis am Tag der politischen Gefangenen.
Transpis am Tag der politischen Gefangenen.

 

„Am 18. März sind unsere Herzen und Augen speziell bei den politischen Gefangenen. Bei jenen Menschen, welche im Kampf und für ihre Überzeugung im Knast sitzen. Menschen welche sich bewusst oder unbewusst entschieden haben, nicht in der herrschenden Logik der Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung mitzuspielen. Menschen wie Ella, die sich entschieden haben gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlage zu kämpfen. Menschen wie Azat Miftakhov und nun 15’000 weitere Gefangene welche mit einfachsten Mitteln gegen Putins Regime kämpfen. Menschen wie Elany, die ihre Überzeugungen auch zur Praxis werden lassen. Menschen wie wir, die an jedem Abend mit der Hoffnung auf einen herrschaftsfreien Morgen in die Nacht gehen.“

 
 
Petitionsübergabe: „Wir bleiben in Biel-Bienne“

54 Bewohnende des Nothilfe-Camps Bözingen haben eine Petition mit vier Forderungen unterzeichnet. Die Petition wurde von „Stop Isolation Bözingen“ – einer Gruppe von Bewohnenden – gestartet und vom Migrant Solidarity Network unterstützt. Was wird gefordert? Wir wollen in Biel bleiben und nicht an einen abgelegenen Ort isoliert werden. Wir wollen, dass Kinder weiter hier zur Schule gehen können. Wir wollen in Wohnungen leben dürfen.Wir brauchen Aufenthaltsbewilligungen für eine Perspektive.
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/03/23/petitionsuebergabe-wir-bleiben-in-biel-bienne/

Was steht an?

NoFrontex – Kunstinstallation in Luzern wirbt für ein Nein zu Frontex am 15. Mai
28.03.22 – 26.04.22 I Vernissage Montag 28.03.22, 18:30 Uhr I Luzern, Pavillon am See 
Gewalt, Elend und Tod sind an den Aussengrenzen Europas Alltag geworden. Menschen auf der Flucht werden entrechtet, geprügelt und abgeschoben. Als europäische Grenz- und Küstenwache ist Frontex mitverantwortlich. Im Vorfeld der Abstimmung über den geplanten Unterstützungsausbau der Agentur prangern verschiedene Gruppen in Luzern die europäische Abschottungspolitik an – mit einem Grenzzaun in Luzern.
https://solinetzluzern.ch/veranstaltungen/nofrontex

Kundgebung: Isolation Kills
31.3.22 | 14 Uhr | Waisenhausplatz Bern

Am 15. Februar 2022 wurde Nesurasa zuletzt von einem Zimmermitbewohner gesehen. Sein Leichnam wurde erst am Freitag darauf auf einem Feld ungefähr 500m vom Rückkehrcamp Gampelen entfernt gefunden. Ohne die genaue Todesursache und den Todeszeitpunkt zu kennen, liessen die Behörden den Leichnam von Nesurasa kremieren, obwohl seine Familie dies ausdrücklich nicht wollte! #IsolationKills
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/03/24/isolation-kills-31-3-22-14-uhr-waisenhausplatz-bern/

Demo – Gerechtigkeit für Nzoy
02.04.22 I 14:00 I Lausanne
 Demo gegen die Morde und die Straflosigkeit der Polizei und fordern Gerechtigkeit für Nzoy und alle anderen. Am 30. August 2021 hat die Polizei im Kanton Waadt wieder einmal getötet. Roger „Nzoy“ Wilhelm, ein 37-jähriger Mann dunkler Hautfarbe, wurde vier Minuten lang ohne Hilfe am Boden liegen gelassen, nachdem er von drei Kugeln eines Beamten getroffen worden war. Nach der Veröffentlichung von Zeug*innenvideos änderte die Polizei ihre Version des Vorfalls ab, die ganz offensichtlich gelogen war. Nach wie vor lautet sie: der Beamte hätten in Notwehr gehandelt.
https://barrikade.info/article/5051
https://renverse.co/infos-locales/article/manifestation-justice-pour-nzoy-3450

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Alle heisst alle. Für eine antirassistische Migrationspolitik
Texte zum unterschiedlichen Umgang der Schweiz mit geflüchteten Menschen aus der Ukraine und anderen Ländern
 
Interview mit Anwältin nach Machtübernahme der Taliban
Die Anwältin Benafsha Efaf wurde aus Afghanistan evakuiert und schilderte der SBAA ihre Erfahrungen.
 
Zündfunk-Generator: So leiden afghanische Frauen unter den Taliban – und kämpfen trotzdem weiter
Die Situation in Afghanistan ist so schlecht wie nie. Die Machtübernahme der Taliban hat erneut alles verändert – besonders für die Frauen im Land. Sie dürfen nicht zur Schule, nicht mehr arbeiten und müssen sich teilweise entweder verstecken, oder das Land verlassen. Dieser Podcast zeigt, wie sie weiterkämpfen.
https://www.br.de/mediathek/podcast/zuendfunk-generator/so-leiden-afghanische-frauen-unter-den-taliban-und-kaempfen-trotzdem-weiter/1853154
 
El-Hiblu 3 youth publish their testimonies
The three youth have been waiting since 2019 for their trial, as they are accused of terrorism, violence and hijacking (among a long list of charges) by the Maltese State. They have now published their testimonies for the first time in a document ahead of a seminar, on the third anniversary of their arrest.
https://cdn-others.timesofmalta.com/0a05c655494359bb485ffc11e2c81ae609dd7c01.pdf
 
Migrant resistance against yet another new level of brutality
Alarm Phone – Central Mediterranean Analysis, July to December 2021
https://alarmphone.org/en/2022/03/02/migrant-resistance-against-yet-another-new-level-of-brutality/?post_type_release_type=post