Ausnahmezustand an belarussischer Grenze, gewalttätige Pushbacks von kroatischen Grenzpolizisten, Grenzzaun gegen Frontex in Luzern

Grafik Polizeischule Basel-Stadt
Themen
  • UNO prangert Folter, Ausbeutung und Gewalt in Libyen an
  • Rassistische Gewalt: Einmal mehr wird eine Schwarze Person von der Polizei erschossen, andere werden lebensgefährlich verletzt
  • Grenze Belarus-Polen: Der Tragödie nächster Akt
  • Sans-Papiers Kollektive Basel kritisieren rassistische Polizeikontrolle auf Schulausflug
  • Externalisierungsphantasien in England und anderswo
  • Gewalttätige Pushbacks von Kroatien nach Bosnien: Tausendfach dokumentiert und doch nie geglaubt?
  • Fehlender Schutz für von häuslicher Gewalt betroffene Migrantinnen
  • 30 Personen versuchen aus sizilianischem Abschiebezentrum zu fliehen
  • Fischer von Zarzis protestieren gegen sog. libysche Küstenwache
    Gedenken und Proteste zum Jahrestag des Schiffsbruchs vor Lampedusa
  • Migrant*innen in Malta demonstrieren für ihre Rechte
  • Installation in Luzern gegen Frontex und die Rolle der Zentralschweiz

Was ist neu?

UNO prangert Folter, Ausbeutung und Gewalt in Libyen an
Die im Juni 2020 eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission der UNO bestätigte in ihrem Anfang Oktober 2021 erschienenen Bericht die seit langem vermuteten und bekannten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Libysche Staatsangehörige aber vor allem auch Migrant*innen und geflüchtete Personen erleben in Libyen systematische und grausame Gewalt.
 

Chaloka Beyani, Mitglied der Kommission, fasst die Resultate zusammen: “Migrants, asylum-seekers and refugees are subjected to a litany of abuses at sea, in detention centres and at the hands of traffickers. Our investigations indicate that violations against migrants are committed on a widespread scale by State and non-State actors, with a high level of organization and with the encouragement of the State – all of which is suggestive of crimes against humanity.” (dt: „Migrant*innen, Asylsuchende und Flüchtlinge sind auf See, in Haftanstalten und in den Händen von Menschenhändlern einer ganzen Reihe von Misshandlungen ausgesetzt. Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass Verstösse gegen Migrant*innen in grossem Umfang von staatlichen und nichtstaatlichen Akteur*innen begangen werden, mit einem hohen Organisationsgrad und mit Unterstützung des Staates – all dies deutet auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hin.“)

Der Bericht bestätigt die systematische und organisierte Gewalt in libyschen Gefängnissen, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen eingestuft werden müssen. Auch die EU hat dabei ihre Finger im Spiel, so Beyani. Es sei ziemlich klar, dass die Pushback-Politik im Mittelmeer zu massiven Menschenrechtsverletzungen an den Migrant*innen, die nach ihrer Rückkehr in den Gefängnissen Libyens inhaftiert wurden, führte.
Ein aktuelles Beispiel rapportiert der UNHCR Global Refugee Press Release: Libysche Sicherheitskräfte haben am 1. Oktober während Razzien das Feuer eröffnet. Dabei wurde eine migrantische Person getötet, mindestens 15 weitere verletzt und unzählige Migrant*innen in die Camps gesteckt und damit der Folter und Gewalt ausgesetzt.

https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/FFM_Libya/Pages/Index.aspx

https://www.deutschlandfunk.de/libyen-uno-bericht-listet-folter-missbrauch-und-gewalt-auf.1939.de.html?drn%3Anews_id=1308209
https://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/refdaily?pass=52fc6fbd5&id=615aa2db3

Rassistische Gewalt: Einmal mehr wird eine Schwarze Person von der Polizei erschossen, andere werden lebensgefährlich verletzt
Die europäische Grenz- und Asylpolitik fordert jährlich tausende Tote. Menschen sterben auf der Flucht oder sie erfahren in Europa rassistische Gewalt, die in regelmässigen Abständen zum Tod führt. Auch diese Woche starben viele Menschen durch das europäische Migrationsregime oder wurden schwer verletzt. Drei Fälle werden im Folgenden etwas genauer beschrieben, natürlich ist aber die Liste der Gewalttaten viel länger.

 

 

Die französische Polizei eröffnete das Feuer mit Gummigeschossen auf die iranischen Migranten und verletzte zwei von ihnen. Den übrigen gelang es, in Richtung Grossbritannien zu fliehen.


Polizei schiesst im Ärmelkanal auf flüchtende Menschen:

Die französische Polizei hat mit Gummi-Geschossen auf ein Boot mit flüchtenden Menschen im Ärmelkanal geschossen. Gummi-Geschosse klingen oft harmlos, doch sie können Menschen lebensgefährlich verletzen. Zwei Personen wurden von der Polizei so schwer verletzt, dass sie ins Spital gebracht werden mussten.
Laut Aussagen der Betroffenen versuchten sie, von Frankreich nach Grossbritannien zu gelangen, als sie von der Polizei entdeckt wurden. Die Polizei forderte sie auf, das Boot zu stoppen, was die Personen auf dem Boot auch taten. Trotzdem schoss die Polizei anschliessend mehrmals. Die Menschen versuchten, möglichst schnell zu fliehen. Zwei von ihnen schafften es nicht und wurden schwer verletzt.

Ausbeutung von Erntehelfer*innen in Italien führt zum Tod einer Person:

Eine Schwarze Person, die als Erntehelfer nach Sizilien kam, starb letzte Woche auf tragische Weise bei einem Brand. Das Feuer brach in einem Camp von Erntehelfer*innen in einer ehemaligen Beton-Fabrik aus. Die Menschen aus dem Camp müssen unter enorm ausbeuterischen Verhältnissen auf italienischen Olivenhainen arbeiten. Seit Jahren werden ihnen keine adäquaten Unterkünfte zur Verfügung gestellt, weshalb sie in eigentlich unbewohnbaren Baracken oder ehemaligen Fabrikgebäuden in Zelten leben. Die Wohnverhältnisse sind für die psychische und physische Gesundheit oft sehr belastend und führten nun einmal mehr zum Tod einer Person. Die anderen Bewohnenden schafften es, dem ausgebrochenen Feuer im ehemaligen Fabrikgebäude zu entfliehen. Jedoch zerstörte das Feuer ihre gesamten persönlichen Gegenstände und Dokumente und sie mussten die Nacht auf der Strasse verbringen. Am Donnerstagmorgen protestierten ca. 50 der betroffenen Personen gegen die unmenschlichen Lebensbedingungen der Erntehelfer*innen. Sie blockierten eine Landstrasse und sagten: «Wir fordern eine menschenwürdige Unterbringung. Sie müssen verstehen, dass wir einen Wert haben, denn ohne uns würden die Oliven nicht geerntet werden. Wir sind alle Brüder, sowohl die mit als auch die ohne Aufenthaltsgenehmigung.» Die Gemeindeverwaltung äusserte sich «bestürzt» über den tragischen Vorfall. Doch genau diese wäre seit Jahren verantwortlich, gute Unterkünfte für die Erntehelfenden zur Verfügung zu stellen, was sie nicht getan hat. Der Tod des Erntehelfers ist also zum grössten Teil auf ihren rassistischen Umgang mit migrantischen Menschen zurückzuführen. Sie haben diesen Tod bewusst in Kauf genommen, weil klar war, wie unmenschlich und gefährlich die Unterbringung in der ehemaligen Betonfabrik ist. Sich jetzt bestürzt zu zeigen, ist einfach nur verlogen.
Schon wieder wird eine Schwarze Person von einem Polizisten erschossen:

Letzten Sonntag, kurz vor Mitternacht, erschoss die Polizei in Harsefeld (Deutschland) eine geflüchtete Person in einem Asylcamp. Die Polizei wurde offenbar gerufen, weil die Person im Camp mit einem Messer bewaffnet war. Als die Polizei eintraf, soll er versucht haben, diese zu attackieren. Die Polizei schoss anschliessend mehrere Male auf den Mann, welcher anschliessend im Spital verstarb. Die Aussagen zum Messerbesitz und -einsatz der getöteten Person stammen bisher nur von der Polizei. Ob die Person wirklich die Polizei attackierte, ist sehr unklar. Wir wissen aus vielen Fällen, dass die Polizei Tatsachen verdreht, um Gewalt gegen (meist) BIPoC* zu legitimieren.
Die Staatsanwaltschaft will den Vorfall untersuchen. Sie wollen «genau klären, ob der Polizist gezwungen war, die Schusswaffe zur Selbstverteidigung einzusetzen». Es ist aber höchst fraglich, ob diese Ermittlungen tatsächlich durchgeführt werden oder ob die Ermordung einer Schwarzen Person einmal mehr als Unfall dargestellt wird und nicht als das, was es ist. Nämlich eine krasse Form von rassistischer Polizeigewalt. Die Vergangenheit zeigt uns, dass die Chancen auf eine Aufarbeitung des Mordes nicht sehr gut stehen. Im gleichen Landkreis wurde nämlich vor zwei Jahren bereits der 19-jährige Aman Alizada von der Polizei in einem Asylcamp erschossen. Trotz vieler offener Fragen und Widersprüche hatte die Staatsanwaltschaft damals wiederholt alle Ermittlungen eingestellt. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren wurde also im selben Landkreis eine geflüchtete Person im Asylcamp von der Polizei erschossen.

 

https://www.infomigrants.net/en/post/35451/fire-in-migrant-camp-in-southern-italy-one-dead
https://nypost.com/2021/10/02/french-cops-shoot-rubber-bullets-at-migrant-boat-headed-to-uk/
http://www.infomigrants.net/en/post/35515/german-police-shoot-sudanese-man-dead-in-asylumseeker-home

Grenze Belarus-Polen: Der Tragödie nächster Akt

Polen verlängert den Ausnahmezustand an der Grenze zu Belarus. Sechs Todesopfer sind mittlerweile sicher gezählt. Die EU bleibt weiterhin tatenlos. Und wir versuchen Wut und Empörung mit Worten zu verarbeiten.

Wir verzichten an dieser Stelle für einmal darauf, euch eine Zusammenfassung und ein genaues Update der aktuellen Ereignisse der Grenze Belarus-EU zu geben. Dafür haben wir euch vier lesenswerte und nicht allzu lange Artikel verlinkt (ja, auch die Zeit hat einige kluge Sätze geschrieben). Immer mehr Fakten und Gewissheiten gelangen ans Licht und immer klarer wird, mit welchem Kalkül die einzelnen Machthaber*innen ihre Positionen ausspielen. Immer das Leid und den Tod von Menschen billigend in Kauf nehmend. Für einmal folgt hier ein etwas anderer Text.

Im klassischen Theater gibt es einige Grundregeln, die für jedes Stück gelten. Den Zuschauer*innen wird in der Form ein gewisses Mass an Vorhersehbarkeit geboten. Was sich seit diesem Sommer an der Grenze zwischen Belarus und den angrenzenden EU-Staaten abspielt, entspricht einigen Merkmalen, die das klassische Theater enthält: Aufeinander aufbauende Szenen, ein linearer Ablauf des Dramas. Die Wochenschau berichtete, seit die ersten Migrant*innen, zu Beginn grösstenteils aus dem Irak, die Grenze nach Litauen überquerten, immer wieder über das Thema. Immer wieder betonten auch wir, dass sich die Lage zugespitzt hat, dass bald mit den ersten Toten zu rechnen sein wird und dass so vieles vorhersehbar ist und war. Während das Drama seinen nächsten Akt erreicht, wird EU-Innenkommissarin Ylva Johansson immer mehr zu einer groteskten Figur in diesem Stück. Mensch weiss, frei nach Hegel, langsam schon nicht mehr, ob dies nun noch eine Tragödie oder schon eine Farce ist.

Doch noch kurz zu den Fakten: Die polnische Regierung hat den Notstand im Grenzgebiet zu Belarus für weitere 60 Tage verlängert. Damit bleibt nicht nur Journalist*innen, Menschenrechtsbeobachter*innen und Ärzt*innen der Zugang verschlossen. Auch Frontex-Beamt*innen möchte Polen nicht an der Grenze sehen. Schliesslich hätten die polnischen Grenzschützer*innen alles im Griff. Und ganz zynisch möchte mensch dazu sagen: Ja, tatsächlich zeigt der polnische Grenzschutz, das Pushbacks, Folter und unterlassene Hilfeleistung auch ganz ohne das Zutun von Frontex-Beamt*innen möglich ist. Sechs Todesopfer sind an der polnisch-belarussischen Grenze mittlerweile sicher gezählt: Erfroren oder vor Erschöpfung im Sumpf ertrunken. Wie viele mehr es noch sein mögen, kann bei der aktuellen Faktenlage niemensch genau einschätzen.

In unserem ersten Artikel zu den Zuständen an der Grenze von Belarus zu Litauen (https://antira.org/2021/07/20) haben wir bereits erwähnt, welch abgekartetes Spiel dort gerade stattfindet. Selbes geschieht nun auch an der Grenze zu Polen. Wobei die polnische Regierung die Migrant*innen nicht nur nutzt, um mit rassistischer Hetze und gefakten Handybildern Stimmung im eigenen Land zu machen. Auch der EU, mit welcher Polen sich seit längerem im Streit befindet, kann nun etwas heimgezahlt werden. Die EU-Kommission gibt sich derweil komplett der Lächerlichkeit preis. Innenkommissarin Johansson schrieb auf Twitter, dass Polen nun zeigen könne, dass die Fähigkeit, die Grenze zu schützen, mit der Fähigkeit, die Grundrechte und Verpflichtungen der EU zu respektieren, einhergehen könne. Bringe ihr bitte jemensch einen Spiegel!

Wir können uns an dieser Stelle nur wiederholen: Grenzen auf, kein Mensch ist illegal, abolish Frontex, Nationalstaaten auf den Müllhaufen der Geschichte.

 
Bewaffnete polnische Soldaten halten an der Grenze zu Belarus Geflüchtete von der Einreise ab.
Bewaffnete polnische Soldaten halten an der Grenze zu Belarus Geflüchtete von der Einreise ab.

Was ist aufgefallen?

Sans-Papiers Kollektive Basel kritisieren rassistische Polizeikontrolle auf Schulausflug

In Basel kontrollierte die Polizei einen Schwarzen Schüler auf dem Schulausflug und verhaftete diesen, weil er Sans-Papiers ist. Nun sitzt er in Ausschaffungshaft. Wir geben hier die Stellungnahme der Sans-Papiers Kollektive von Basel wieder:

„Vor wenigen Tagen wurde eines unserer Mitglieder auf einem Schulausflug von der Polizei verhaftet. Die Polizisten haben an der Schifflände grundlos die weit und breit einzige Schwarze Person kontrolliert. Diese rassistischen Kontrollen müssen aufhören. Sofort.

In letzter Zeit wird in den globalen Medien viel über Rassismus gesprochen, über Fälle, in denen Schwarze von der Polizei diskriminiert oder sogar getötet werden. Die Realität rassistischer Polizeikontrollen gibt es auch in Basel. Wir erleben immer wieder solche Kontrollen und wissen, dass diese nur ein Teil davon sind, was auf den Strassen Basels täglich passiert.

Gerade vor wenigen Tagen, am Nachmittag des 9. September 2021, hat die Basler Polizei an der Schifflände eines unserer Mitglieder, einen Schwarzen Schüler angegriffen. Er wartete mit Klassenkameraden auf den Lehrer und den Rest der Klasse, um die Stadt Basel, ihre Sehenswürdigkeiten und ihre Geschichte besser kennen zu lernen.

Er hat nichts gemacht, einfach mit seinen Klassenkameraden auf die anderen gewartet. Er ist weder Verbrecher noch Straftäter. Er ist Einwohner und Schüler. Aber er ist Schwarz. Das reichte der Polizei, um ihn zu kontrollieren. Das Polizeiauto ist vorbeigefahren, hat direkt einen Platz zum Halten gesucht und die Polizisten sind aus dem Auto gesprungen, als ob sie den meistgesuchten Verbrecher gefunden hätten. Sie haben niemanden sonst kontrolliert. Keine anderen Menschen an der Schifflände, keine anderen aus der Klasse.

Kontrollen statt Schule für Schwarze. Es war nur ein kurzer Schulausflug geplant, daher haben alle ihre Sachen in der Schule gelassen. So hatte unser Freund keine Identifikationskarte dabei. Die Polizei hat ihm das nicht geglaubt. Als der Lehrer gekommen ist und mit den Polizisten sprechen wollte, haben sie ihn nur weggeschoben und gesagt, sie wollen nicht sprechen, sie sind in einer Kontrolle. Auch unserem Freund selber wollten sie auf seine Nachfrage nicht sagen, warum er kontrolliert wird. Es sei eine normale Kontrolle und er solle ihnen nicht sagen, wie sie ihre Arbeit zu machen hätten.

In diesem Moment hat er sich in einem schlechten Sinne Schwarz gefühlt. Er war der einzige Schwarze an der Schifflände. Und er war der einzige, der kontrolliert wurde. Was denken Polizist*innen, wenn sie so etwas machen? Sie müssten eigentlich einen Menschen sehen. Aber wir wissen, dass sie uns verurteilen, wenn sie uns anschauen.

Wunden und Narben rassistischer Kontrollen. Unser Freund kommt aus einem Land, aus dem es kaum möglich ist, eine Bewilligung für ein Leben in der Schweiz zu erhalten. Er wurde direkt festgenommen, ist jetzt im Gefängnis und fürchtet sich vor einer Ausschaffung. Statt weiter lernen zu können, verbringt er seine Tage nun in einer Zelle. Menschen wie er müssen sich nicht nur auf den Strassen Basels unsicher fühlen. Sie dürfen auch nicht in Ruhe lernen. Die Gefahr der Polizei ist überall. Und die Polizei interessiert sich für nichts.

Für unseren Freund ist die Kontrolle auch nach dem Gefängnis und auch nach einer Ausschaffung nicht vorbei. Eine rassistische Kontrolle hinterlässt viele Wunden und Narben. Sie schmerzt die Seele, den Körper und das Herz, sie bringt Angst, Qualen und Depressionen mit sich, die wir oft ein Leben lang mit uns herumtragen.

Es reicht! Was unser Freund erleben muss, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie tief Rassismus in unserer Gesellschaft verankert ist. Wen möchte die Polizei mit diesen rassistischen Kontrollen schützen? Welche Sicherheit möchte sie gewährleisten, wenn sie Schwarze auf Schulausflügen kontrolliert und verhaftet? Bis wann werden wir wegen unserer Hautfarbe verurteilt werden? Bis wann?

Es ist nicht die Hautfarbe, die den Charakter eines Menschen ausmacht. Wir sind Menschen. Wir haben das Recht, frei zu sein, unabhängig von Hautfarbe, Religion, sozialer Schicht, Geschlecht, Herkunftsland usw. Wir sind Menschen und wir verdienen Respekt. Es reicht!“

 
Externalisierungsphantasien in England und anderswo

In England sind rassistische Vorschläge zum herabsetzenden Umgang mit Menschen, die über den Ärmelkanal nach England gelangen, hoch im Kurs. Einmal mehr dreht sich alles um die Externalisierung des Migrations- und Grenzregimes. Dies beeinflusst zunehmend auch die Grenzregime im Globalen Süden.

Graffiti mit eindeutiger Botschaft an einer Betonwand.
Graffiti mit eindeutiger Botschaft an einer Betonwand.

Im Juni hiess es, englische und dänische Behörden würden Gespräche über gemeinsame Asylcamps in Ruanda führen. Als Realvorbild für dieses rassistische Modell von ausgelagerten Asylcamps dient ihnen Australien. Dort werden asylsuchende Migrant*innen in Camps auf Nauru und Papua-Neuguinea verbannt, bevor sie eventuell nach Australien einreisen dürfen.
In der vergangenen Woche wurden noch andere Vorschläge geleakt. Offenbar arbeiten die englischen Behörden an einer Möglichkeit, um Menschen, die im Ärmelkanal aufgegriffen werden, direkt in geschlossene Camps nach Albanien abzudrängen. Die albanischen Behörden sprechen bisher aber von „Fake News“.

Versuche wie diese gibt es seit Jahren. Immer wieder suchen Staaten des globalen Nordens nach Wegen, um ihre Abschottungspolitik möglichst in Gebiete des globalen Südens zu verlagern. Dabei werden besonders Nachbarstaaten – für den Fall der EU sind es Staaten im Balkan, Magreb oder die Türkei – auf unterschiedliche Art unter Druck gesetzt, um die Durchreise von Migrant*innen zu stoppen.

Der tragische Erfolg dieser rassistischen Auslagerungspolitik führt dazu, dass sich (flüchtende) Migrant*innen schlussendlich zunehmend in anderen Staaten ansiedeln, als sie ursprünglich vorhatten. Zu solchen „neuen“ Zielstaaten gehören z.B. Brasilien oder Argentinien. Längere Zeit war es für Migrant*innen aus afrikanischen Staaten möglich, mit einem Visum einzureisen und zu bleiben. Diese Staaten kopierten in der Folge das Modell Europa und verschärften ihre Visapolitik gegenüber afrikanischen Staaten (Europa verschärfte die Visapolitik in den 90ern als die EU entstand). Und genau wie Europa, das bis heute ihre Nachbarstaaten unter Druck setzt, begannen auch Brasilien und Argentinien Nachbarstaaten wie Ecuador unter Druck zu setzten, damit auch diese ihre Visapolitik verschärfen.

In der herrschaftlichen Welt geben all jene die Gewalt weiter, die ebenfalls herrschen wollen. Deshalb ist antira.org herrschaftsfeindlich: Wir wollen raus aus der weltweiten Gewaltspirale.

https://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/refdaily?pass=52fc6fbd5&id=615aa1543

https://www.thetimes.co.uk/article/priti-patel-pushes-to-open-channel-migrants-detention-centre-in-albania-jfqlz2jzn
https://www.e-ir.info/2021/10/02/visa-policies-as-externalisation-practices-in-the-global-south/

Gewalttätige Pushbacks von Kroatien nach Bosnien: Tausendfach dokumentiert und doch nie geglaubt?

Die bürgerliche Gesellschaft bracht offenbar Videobeweise von europäischen Mainstreammedien, um der täglich ausgeübten Gewalt der kroatischen Polizei gegen People on the Move Beachtung zu schenken. Dies ist diese Woche gelungen. Entsprechend grösser war die Berichterstattung. Warum war dies in den tausenden Berichten des Boder Violence Monitoring Network nicht der Fall? Und was wird sich nun wirklich ändern? Hier eine Medienschau nach den Aufnahmen. Filmen lohnt sich.

https://www.srf.ch/news/international/pushbacks-an-eu-grenze-video-beweis-kroatische-polizisten-pruegeln-migranten-aus-der-eu
https://www.spiegel.de/ausland/fluechtlinge-wie-eine-schattenarmee-an-europas-grenzen-menschen-misshandelt-a-131dc319-36e8-4204-8e57-7dc04b1d68f3
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/gewalt-an-der-grenze-eu-geld-fuer-kroatische-schlaegerpolizisten?urn=urn:srf:video:0070adc9-5b15-47c1-bfad-b6d50c2636be

https://www.20min.ch/story/so-vertreiben-staatliche-schlaegertrupps-migranten-auf-der-balkanroute-824708745823
https://www.srf.ch/news/international/pushbacks-an-eu-grenze-video-beweis-kroatische-polizisten-pruegeln-migranten-aus-der-eu
https://www.independent.co.uk/news/world/europe/eu-migrants-pushback-asylum-illegal-b1933519.html
https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-10/illegale-pushbacks-fluechtlinge-kroatien-griechenland-eu-kommission
https://www.spiegel.de/ausland/kroatien-und-griechenland-eu-kommissarin-johansson-ueber-pushbacks-schockiert-a-954e1750-beff-4b17-b0c7-6b83b63726cd
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/pushbacks-in-kroatien-worum-geht-es?partId=12069630
https://www.srf.ch/news/international/eu-aussengrenzen-wer-migranten-aus-der-eu-rauspruegelt-verstoesst-gegen-eu-recht
https://www.srf.ch/news/international/pushbacks-an-eu-grenze-video-beweis-kroatische-polizisten-pruegeln-migranten-aus-der-eu
https://www.srf.ch/news/schweiz/gewalt-gegen-gefluechtete-schweizer-sicherheitspolitiker-entruestet-ueber-brutale-pushbacks
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/pushbacks-auch-die-schweiz-traegt-eine-verantwortung
https://www.derstandard.at/story/2000130240395/laut-spiegel-fuehren-in-griechenland-und-kroatien-spezialeinheiten-pushbacks-durch?ref=rss

Was geht ab beim Staat?

Fehlender Schutz für von häuslicher Gewalt betroffene Migrantinnen

Das Schweizer Asylrecht bietet ungenügend Schutz, insbesondere auch für von häuslicher Gewalt betroffene Migrantinnen. Wehren sich betroffene Personen gegen ihre gewalttätigen Ehemänner, müssen sie mit Abschiebung rechnen – der Schweizer Staat zwingt sie damit, in der Ehe auszuharren. Verschiedene Parlamentarierinnen fordern nun eine neue Härtefallpraxis.

Die restriktive Schweizer Asylpraxis zeigt sich auch im Bereich Familie und Ehe: Nach einer Scheidung darf die Person, deren Aufenthaltsstatus an die Ehe gebunden war, nur in der Schweiz bleiben, wenn sie mindestens drei Jahre verheiratet war und als «integriert» angesehen wird. Für Betroffene von häuslicher Gewalt gibt es Ausnahmen, die jedoch äusserst streng sind: Es muss nachgewiesen werden, dass die häusliche Gewalt in einer «gewissen Intensität und Systematik» stattgefunden hat. Dies zu beurteilen, hängt heute von den Migrationsbehörden oder zuständigen Sachbearbeitenden ab. Gerade bei häuslicher Gewalt, die sich oft versteckt in privaten Räumen abspielt, ist dies jedoch äusserst schwierig. Die Realität zeigt: ​​​​​​​Wehren sich Betroffene gegen ihre gewalttätigen Ehepartner, müssen sie mit Abschiebung rechnen.

Nach einem Artikel im «Magazin», in welchem die Geschichte zweier von häuslicher Gewalt betroffenen Personen erzählt wurde, fordert eine überparteiliche Gruppe von Parlamentarierinnen die Anpassung des Integrations- und Ausländergesetzes. In Zukunft soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn die Frau mit polizeilichen oder richterlichen Massnahmen von ihrem Partner geschützt werden musste oder eine Opferhilfe-Beratungsstelle häusliche Gewalt feststellte.

Die SVP-Parlamentarierinnen wissen dabei wieder einmal nichts Besseres, als sich gleichzeitig des rassistischen Stereotyps des gewalttätigen Migranten zu bedienen. Abgesehen davon, dass in den beschriebenen Fällen von Jekaterina Schmidt und Minda Pandar (Name geändert) der gewalttätige Ehepartner einen Schweizer Pass besass, spielt die Nationalität ohnehin keine Rolle. Gewalt an FLINTA-Personen (gemeint sind Frauen, Lesben, Inter Menschen, Nichtbinäre Menschen, Trans Menschen und Agender Menschen) ist ein Resultat der patriarchalen Strukturen und des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Wie unter anderem die Istanbuler Konvention festhält, ist die Gleichberechtigung der Geschlechter in allen Lebensbereichen einer der zentralen Schritte in der Bekämpfung von geschlechterspezifischer Gewalt. Der Kapitalismus, der auf der geschlechtlichen Arbeitsteilung, auf der grösstenteils von FLINTA-Personen unbezahlt verrichteten Care-Arbeit beruht, verhindert ebendies. Es sind patriarchale Strukturen und die damit einhergehenden Geschlechterbilder in Kombination mit gewissen Risikofaktoren, welche Gewaltausbrüche verstärken. Noëmi Landolt von der WOZ schreibt dazu: «Finanzielle Probleme, Arbeitslosigkeit, soziale Isolation, enge Wohnverhältnisse, das sind alles Risikofaktoren für häusliche Gewalt. Migrant*innen sind davon besonders oft betroffen. Schweizer, die denselben Risikofaktoren ausgesetzt sind, werden gleich oft gewalttätig: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Nationalität und Gewalt.»

Die Istanbul-Konvention – ein Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen FLINTA-Personen und häusliche Gewalt – definiert häusliche Gewalt als «alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partner*innen vorkommen». Die Schweiz ist der Istanbul-Konvention im Jahr 2018 unter gewissen «Vorbehalten» beigetreten.  Dies brachte bestimmte Einschränkungen mit sich und führte dazu, dass bestimmte Inhalte «nicht oder nur in bestimmten Fällen oder unter bestimmten Bedingungen angewendet werden müssen». So sieht die Instanbul-Konvention vor, den Aufenthaltsstatus der von häuslicher Gewalt Betroffenen von jenem des Ehepartners zu lösen. In der Schweiz ist dessen Umsetzung jedoch mangelhaft: Zwar kennt das Schweizer Recht Regelungen, die es ermöglichen, den Aufenthaltsstatus nach Vorfällen häuslicher Gewalt zu verlängern. Die Gewährleistung eines Aufenthaltsstatus ist aber an spezifische Bedingungen geknüpft und liegt im Ermessen der Behörden. Betroffene müssen die Gewalterfahrungen nachweisen können, was jedoch äusserst schwierig ist. Als Beweise für eheliche Gewalt gelten etwa Arztzeugnisse, Polizeirapporte, Strafanzeigen oder entsprechende strafrechtliche Verurteilungen. Allerdings werden diese Belege in migrationsrechtlichen Verfahren oft ignoriert oder ungenügend gewürdigt. Brigitte Kämpf von der Beratungsstelle Frauen-Nottelefon in Winterthur erzählt, dass Zeug*innenaussagen von Betroffenen, Nachbar*innen oder Frauenhäusern zu wenig stark gewichtet werden. «Ein Problem ist auch, dass eine gewisse Schwere der häuslichen Gewalt vorliegen muss, damit die Behörden es als einen Härtefall akzeptieren. Wie der Schweregrad jedoch einzustufen ist, das liegt im Ermessen der kantonalen Behörden. Gerade Frauen, die weniger als drei Jahre verheiratet sind, müssen abwägen, was für sie schlimmer ist: die häusliche Gewalt oder die Probleme mit dem Migrationsamt.»

Noch konfliktreicher kann die Situation werden, wenn die verheirateten Personen gemeinsame Kinder haben. Das «Magazin» und die WOZ berichteten von Fällen, in welchen die Mutter abgeschoben wurde und die Kinder in der Schweiz blieben. Diese Regelungen machen es für betroffene Migrantinnen noch schwieriger, sich aus der gewalttätigen Situation zu befreien. Inwiefern der Vorstoss der Parlamentarierinnen dem engegenwirken kann, ist abzuwarten. Konsequent und absolut notwendig bleibt vielmehr die Forderung: Bleiberecht für alle!

Wo gabs Widerstand?

30 Personen versuchen aus sizilianischem Abschiebezentrum zu fliehen
Bereits im September versuchten 30 Personen gemeinsam aus dem Abschiebezentrum Pian di Lago auf Sizilien zu entkommen. Polizei und Militär hinderten sie daran. Zwei der flüchtenden Personen wurden verletzt und werden im Spital behandelt.
 
Das Abschiebezentrum Pian di Lago ist eine hochüberwachte, gefängnisartige Einrichtung. Sie vereint das Identifikationsbüro der Polizei, in das auf Sizilien ankommende Menschen zuerst gebracht werden, ein zur Quarantänestation umfunktioniertes Erstaufnahmezentrum und die Abschiebungshaft. Die meisten Menschen, die in Italien ankommen, darunter viele Tunesier*innen, erhalten keine Aussicht auf Asyl in Europa und werden bis zu drei Monaten von der Erstidentifikation bis zu ihrer Abschiebung in diesem Lager festgehalten. Es gibt kaum Möglichkeiten, von aussen Zugang zum Lager zu erhalten oder auf anderen Wegen mit den dort festgehaltenen Menschen zu kommunizieren. Durch diese Überwachung und Isolation erhalten sie oftmals keinen Kontakt zu unterstützenden Organisationen, Anwält*innen oder juristischen Fachkräften, die überprüfen können, ob das Recht auf Zugang zum Asylverfahren gewährt wurde. Die Menschen bleiben in diesen Strukturen unsichtbar, als wären sie nie in Europa gewesen.
 
 
Im Abschiebezentrum Pian del Lago werden Menschen verwaltet wie Waren
Im Abschiebezentrum Pian del Lago werden Menschen verwaltet wie Waren.
Fischer von Zarzis protestieren gegen sog. libysche Küstenwache
In der tunesischen Hafenstadt Zarzis wehren sich Fischer gegen die Handlungen der sogenannten libyschen Küstenwache in ihren Fischereigebieten. Dabei kommt es immer wieder zu Angriffen und Entführungen, ohne dass der tunesische Staat für ihren Schutz sorgt.
 
Die Fischer von Zarzis arbeiten in den internationalen Gewässern zwischen Italien, Tunesien und Libyen. Seit Jahren retten ebendiese Fischer immer wieder Migrant*innen, die in überladenen und baufälligen Booten aus Libyen aufs Meer kamen. Die Entführung von tunesischen (und anderen) Fischern durch verschiedene bewaffnete libysche Gruppen, oft gegen Lösegeld, ist kein neues Phänomen. In letzter Zeit haben solche Entführungen mit Schusswaffen, Entführungen von Booten und Lösegeldforderungen jedoch zugenommen.
Deshalb gab es einen Streik und eine Demonstration der Fischer. Sie sehen die Abkommen zwischen der EU, Malta, Tunesien und Libyen als Grundlage für den Verlust der Souveränität des tunesischen Staates über sein maritimes Territorium. Die Fischer fordern die tunesische Regierung auf, die eigene Küstenwache mit dem Schutz der tunesischen Fischerboote vor der sog. libyschen Küstenwache zu beauftragen sowie die Fischerei wirtschaftlich zu unterstützen.

 

In ihrer Erklärung heisst es: „Die Fischer von Zarzis leiden nicht nur unter der unzureichenden Hafeninfrastruktur, der mangelhaften Unterstützung, den Auswirkungen der politischen Lage in den Nachbarländern, der Umweltzerstörung und deren Auswirkungen auf die Meeresfauna, sondern auch unter den jüngsten Piratenangriffen und bewaffneten Drohungen gegen tunesische Fischer in den tunesischen Hoheitsgewässern, die von bewaffneten Männern begangen werden, die sich als Mitglieder der [sogenannten] libyschen Küstenwache ausgeben. Diese Praktiken haben sich gehäuft, einschliesslich der Entführung von Menschen, der illegalen Beschlagnahmung von Booten und der Aushandlung von Lösegeldern.“

 

Die sog. libysche Küstenwache ist eine von der EU bezahlte Schar Milizen, die von den europäischen Staaten legitimiert wird. Sie handelt im Auftrag der europäischen Abschottung, wobei sie offensichtlich keiner rechtlichen Kontrollen und Beschränkungen untersteht. Wie die tunesischen Proteste zeigen, leiden darunter nicht allein Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer, sondern auch solche, die ihren Lebensunterhalt dort bestreiten. Solange die Milizen Menschen aus Europa fern halten, scheint den Autoritäten allerdings egal zu sein, zu welchem Preis.
 
 
Protest der Fischer von Zarzis gegen den sog. Libysche Küstenwache
Protest der Fischer von Zarzis gegen den sog. Libysche Küstenwache.
Gedenken und Proteste zum Jahrestag des Schiffsbruchs vor Lampedusa
Auf Lampedusa wurde am 3. Oktober der 368 Toten des Schiffbruchs vor 8 Jahren gedacht. Gleichzeitig wurde bekannt, dass einige der Toten aus ihren Grabstätten in ein Massengrab umgebettet wurden.
 
Am 03. Oktober 2013 sinkt vor Lampedusa ein Schiff mit 545 Menschen an Bord. 155 Menschen können gerettet werden, 368 Menschen verlieren ihr Leben. Es ist der erste Schiffbruch dieser Grössenordnung. Die EU zeigt sich öffentlich betroffen – so etwas dürfe sich nie wieder wiederholen. Seither liess sie tausende weitere Menschen auf dem Mittelmeer sterben.

 

Zum Jahrestag fanden verschiedene Gedenkveranstaltungen am Strand, auf den Friedhöfen und in den Städten Lampedusas statt. Viele Angehörige reisten aus dem Ausland an, um gemeinsam an die Toten zu erinnern.
Für mehrere Opfer des Schiffbruchs vom 3. Oktober 2013 gibt es auch im Tod keinen Frieden. Angehörige fanden ihre Grabstätten auf dem Friedhof von Sciacca leer vor. So waren vier eritreische Geflüchtete aus Schweden angereist, um ihren Angehörigen und Freunden, die bei der Tragödie ums Leben gekommen waren, die letzte Ehre zu erweisen. Sie fanden die Grabnischen ebenso leer vor, wie kurz zuvor zwei Eritreer*innen aus der Schweiz, die vergeblich nach dem Grab ihrer Schwester gesucht hatten. Die örtlichen Behörden begründen die Umbettung in ein Massengrab damit, dass die Menschen zu den „nie Identifizierten“ gehören, was ganz offensichtlich nicht der Wahrheit entspricht. Den Toten von Lampedusa wurde somit nicht nur das Recht auf Leben und Schutz verweigert, nun wird ihnen und ihren Angehörigen auch das Recht auf eine Grabstätte verwehrt.

 

Während der Gedenkveranstaltungen auf Lampedusa kommen weiterhin dutzende Boote auf der Insel an. Gleichzeitig werden erneut 40 Menschen vor der libyschen Küste vermisst.
 
 
Familien und Freund*innen erinnern an ihre Angehörigen, die im Mittelmeer ertranken oder verschwanden. Anlässlich des Jahrestags des Schiffbruchs vor Lampedusa am 3. Oktober 2013 wurde mit einer Decke der Erinnerung an die Toten & Vermissten gedacht.
Familien und Freund*innen erinnern an ihre Angehörigen, die im Mittelmeer ertranken oder verschwanden. Anlässlich des Jahrestags des Schiffbruchs vor Lampedusa am 3. Oktober 2013 wurde mit einer Decke der Erinnerung an die Toten & Vermissten gedacht.
Migrant*innen in Malta demonstrieren für ihre Rechte

Am Montag demonstrierten rund hundert Migrant*innen in den Strassen Valettas, Malta, für ihre Rechte. Sie forderten die Dokumente zurück, die ihnen aufgrund kürzlicher Gesetzesänderungen abgenommen worden waren und verlangten eine stabile Zukunft für ihre Kinder.

Nachdem letztes Jahr die Regelungen für Aufenthaltsgenehmigungen geändert wurden, ist die Situation für migrantische Arbeiter*innen in Malta noch prekärer geworden. Es ist schwieriger, Arbeit zu finden und der Zugang zu Bildung und zum Gesundheitssystem wurde durch die Gesetzesänderungen erschwert. Auch wurde im Mai diesen Jahres eine Liste sog. ‚sicherer Länder‘ eingeführt, die allen Asylbewerber*innen, die aus diesen Ländern kommen, ihr Recht auf Arbeit nimmt. So stehen Menschen, die seit Jahren in Malta leben, plötzlich ohne Dokumente und ohne Zugang zu Arbeit da. Auf den Plakaten stand unter anderem: „We deserve long term residency!“ oder „We are humans, not cheap labour!“ (dt. „Wir verdienen eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung!“ oder „Wir sind Menschen, keine billigen Arbeitskräfte!“). Des weiteren wurde Gerechtigkeit für Lamin Jaiteh gefordert. Er war vor einer Woche zwei Stockwerke tief von einem Baugerüst gestürzt und wurde daraufhin verletzt am Strassenrand liegen gelassen. Das ist das direkte Ergebnis der gesetzlichen Massnahmen: Menschen verlieren ihre Rechte, sie werden ausbeutbar. Jaiteh hatte keine Arbeitserlaubnis. Ein Bauunternehmer wurde mittlerweile wegen schwerer Körperverletzung angeklagt.

Vom Parlament bis zum Innenministerium nahmen sich die demonstrierenden Migrant*innen die Strasse, es wurden Reden gehalten und Trommeln geschlagen. Ahmed Karim Abdul aus Togo hebt die Ungerechtigkeit des Systems der maltesischen Behörden hervor: “A lot of us like me do the domestic work in Malta, work very hard, pay a lot of taxes for many many years and so there is no reason we should not be able to travel, and gain benefits.” (dt. „Viele von uns, wie ich, arbeiten als Hausangestellte in Malta, arbeiten sehr hart, zahlen viele Jahre lang eine Menge Steuern, und deshalb gibt es keinen Grund, warum wir nicht reisen können und Vorteile erhalten sollten.“) Schliesslich überreichten sie einen Brief an Minister Byron Camilleri. Hierin forderten sie die Wiedereinführung der entzogenen Aufenthaltsbewilligungen, Zugang zu Schulbildung und Gesundheitsversorgung, Anspruch auf Kinderzulagen und Regularisierung aller Kinder ohne Dokumente. Zudem verlangten sie besseren Zugang zu Informationen über ihre Rechte und bessere Behandlung von der Migrationsbehörde.

Dort müssen Menschen stundenlang warten, werden unmenschlich behandelt und werden nicht angehört, selbst wenn sie drei Tage hintereinander in den Schlangen vor der Behörde standen. So beschreibt es z.B. die Ghanaerin Doris Doku: „Once you’re in there you feel as the staff get a medal each time someone loses their status.“ (dt. „Wenn man einmal drin ist, hat man das Gefühl, dass das Personal jedes Mal eine Medaille bekommt, wenn jemand seinen Status verliert.“)

https://timesofmalta.com/articles/view/we-are-humans-not-cheap-labour-migrants-hold-protest-in-valletta.905338

Bildunterschrift: Migrantische Arbeiter*innen demonstrieren in Valetta, Malta für ihre Rechte
Bildunterschrift: Migrantische Arbeiter*innen demonstrieren in Valetta, Malta für ihre Rechte.
Installation in Luzern gegen Frontex und die Rolle der Zentralschweiz

Auf dem Luzerner Inseli ist noch bis zum 18. Oktober die “Installation über das Desinteresse Zentralschweizer Gemeinden und die Festung Europa” zu sehen. Die Installation in Form eines Grenzzauns thematisiert die Abschottungspolitik von Europa und die fehlende Solidarität der Schweiz Menschen auf der Flucht gegenüber.

Die Vernisage wurde von Redner*innen der Seebrücke Schweiz, der Autonomen Schule Luzern und des Solinetzes Luzern eröffnet: «Im Mittelmeer, in den Wäldern von Bosnien oder in Moria auf Lesbos – Europas Grenzregime verursacht unfassbares Leid. Verantwortlich für die Umsetzung der gewalttätigen Politik gegen Menschen auf der Flucht ist unter anderem die Grenzschutzagentur Frontex. An den Aussengrenzen Europas und auf den Fluchtrouten führen sie zahlreiche illegale Pushbacks durch, verletzen systematisch Menschenrechte und lassen flüchtende Personen im Mittelmeer ertrinken.»

Auch die Rolle der Schweiz wurde thematisiert. Nebstdem, dass sie Frontex personell und finanziell unterstütz – die Schweiz zahlt neu jährlich 61 Millionen Franken an Frontex – ist auch ihre fehlende Solidarität Menschen auf der Flucht gegenüber für die tödliche Abschottungspolitik mitverantwortlich. Im Sommer 2021 kontaktierte die Seebrücke Schweiz die 156 Zentralschweizer Gemeinden mit einer offiziellen Anfrage, sich solidarisch zu zeigen und sich für die direkte Aufnahme von geflüchteten Menschen auszusprechen. Viele von ihnen reagierten mit einer ablehnenden Haltung oder gar nicht – seitens der institutionellen Politik fehlt es in der Zentralschweiz am Willen, sich aktiv für flüchtende Menschen einzusetzen. Am Grenzzaun auf dem Inseli sind diese Antwortbriefe von Zentralschweizer Gemeinden befestigt.

Anschliessend wurden Erfahrungsberichte von geflüchteten Personen vorgelesen, die verdeutlichten, was in grossen weissen Buchstaben bereits inmitten des Grenzzaunes zu lesen ist: Grenzen töten – sei es auf der Balkanroute oder im Mittelmeer. Zum Abschluss der Vernissage zündeten die Teilnehmer*innen Kerzen an und gedachten in einer Schweigeminute den über 44’000 Opfern, die die Abschottungspolitik Europas bis heute bereits zu verantworten hat. An der Vernissage nahmen etwa 50 Personen teil. Die Stühle für die eingeladenen National- und Ständerät*innen des Kantons Luzern blieben allerdings allesamt leer.

Die Installation zeigt: Beide Grenzen – die durch Frontex verteidigte Aussengrenze Europas sowie die Mauer des Desinteresses der Schweiz – sind tödlich. Sie wird bis am 18. Oktober noch auf dem Inseli in Luzern stehen.

https://seebruecke.ch/2021/10/04/grenzen-toeten-installation-ueber-das-desinteresse-zentralschweizer-gemeinden-und-die-festung-europa/

Grafik Installation Grenzen töten.

Was steht an?

Grenzen töten – Installation über das Desinteresse Zentralschweizer Gemeinden und die Festung Europa
4. Oktober – 18. Oktober – Inseli Luzern
Finissage // 18.Oktober 2021 // 18:30 // Inseliquai

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Kirche und Kolonialismus – Wer christlich ist, kann nicht rassistisch sein?
Das Hilfswerk «Mission 21» hinterfragt sich: Wie funktionierten die Missionen – und wie stehen die Hilfswerke heute da?
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/kirche-und-kolonialismus-wer-christlich-ist-kann-nicht-rassistisch-sein

Zeitsprung: 60 Jahre Massaker von Paris
Was die Opferzahlen anbelangt, gehört das Massaker von Paris zu den grössten Staatsverbrechen auf französischen Boden, sagt der in Paris lebende Journalist und Buchautor Bernard Schmid.
Am 17. Oktober 1961 schlug die Pariser Polizei eine friedliche Massenkundgebung von algerischen Franzosen und Französinnen blutig nieder. Gemäss Schätzungen starben dabei weit über 200 Menschen.
https://rabe.ch/2021/10/05/zeitsprung-60-jahre-massaker-von-paris/

Refugee map: The countries and borders where desperate migrants face ‘dangerous and unlawful’ pushback
The number of people who have made the dangerous journey across the English Channel in small boats this year is already double the total for all of 2020
https://inews.co.uk/news/world/refugee-map-countries-borders-where-migrants-face-dangerous-pushback-1227175
 
Kolonialismus und Klimakrise – 500 Jahre Widerstand
In den Debatten um die Klimakrise wird immer häufiger von Klimagerechtigkeit gesprochen. Dieses Konzept stellt die Verantwortung für die Klimakrise in den Vordergrund und erklärt, dass nicht alle Länder und Menschen weltweit gleich viel Treibhausgase ausgestoßen haben und ausstoßen.
https://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/Kolonialismus-und-Klimakrise-Ueber-500-Jahre-Widerstand-11.pdf