Medienspiegel 10. Oktober 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++FRANKREICH
Frankreich will Migrationsabkommen zwischen der EU und Grossbritannien
Der französische Innenminister Gérald Darmanin hat ein Migrationsabkommen zwischen der EU und Grossbritannien gefordert. Damit soll auch der Flüchtlingsstreit zwischen Paris und London beigelegt werden. Man sei für einen europäischen Vertrag, der die Probleme der Asylanträge, der Abschiebungen und der Familienzusammenführung löse, erklärte Darmanin am Sonntag. Das Projekt werde auf den Fahrplan der französischen EU-Ratspräsidentschaft kommen, die ab 1. Januar beginnt.
https://www.cash.ch/news/politik/frankreich-will-migrationsabkommen-zwischen-der-eu-und-grossbritannien-1836440


+++POLEN
Polen/Belarus: Flüchtlinge im Niemandsland
Die Zahl von Flüchtlingen etwa aus Afghanistan oder dem Irak an der Grenze zwischen Polen und Belarus hat dramatisch zugenommen. Im September soll es 9.000 versuchte illegale Grenzübertritte gegeben haben, berichten polnische Medien – und das sind nur die entdeckten. Polen wirft Belarus vor, die Flüchtlinge gezielt an die Grenze zur EU zu bringen.
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/sendung/polen-belarus-fluechtlinge-im-niemandsland-100.html


+++EUROPA
EU: Wie sieht eine bessere Migrationspolitik aus? Live-Gespräch mit Gerald Knaus
Gerald Knaus, in Österreich geboren und aufgewachsen, lebt in Berlin. Der Soziologe und Migrationsforscher hat unter anderem in der Ukraine, in Bosnien und im Kosovo gearbeitet und im Herbst 2015 mit dem sogenannten „Merkel-Plan“ die Blaupause für das EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei erarbeitet. Das Flüchtlingsabkommen ist, so Knaus, de facto seit März 2020 tot. Stattdessen herrsche eine inhumane Abschreckungspolitik.
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/sendung/eu-fluechtlingspolitik-gespraech-gerald-knaus-100.html


+++KATAR
Katar: Zuflucht für afghanische Flüchtlinge
Katar wurde zum Drehkreuz für Flüchtlinge aus Afghanistan. Mehr als 55.000 Menschen kamen über dieses Nadelöhr in die Freiheit. Bei den Flüchtlinge in Doha herrscht Tristesse, auch wenn es den Menschen an nichts fehlt.
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/katar-afghanistan-flucht-100.html


+++SEXWORK
luzernerzeitung.ch 10.10.2021

Lockdown setzte dem Sex-Gewerbe hart zu: Die neuen Co-Leiterinnen des Vereins Lisa sind gefordert

Strassenstrich, Mittagstisch, Sprachkurse: Der Verein Lisa setzt sich für Sexarbeitende ein und managt nun die Aufgaben mit einer Doppelspitze.

Sandra Monika Ziegler

Der Verein für die Interessen der Sexarbeitenden, kurz Lisa, hat neu eine Doppelspitze: Eliane Burkart (34) und Daniela Gisler (54) teilen sich die Leitung. Bis zu ihrer Pensionierung Ende März führte die Stelle Birgitte Snefstrup. Den Entscheid zum Jobsharing haben die beiden Frauen auch deshalb gefällt, weil sie weiterhin in der direkten Beratung tätig sein wollen. So auch im Hotspot-Container auf dem Strassenstrich im Ibach, den Lisa betreibt. Es handelt sich um einen geheizten Aufenthaltsort mit Toilette.

Hier treffen sich die Sexarbeitenden, diskutieren miteinander, holen sich Rat oder warme Getränke. Eliane Burkart sagt: «Es ist uns wichtig, an der Basis aktiv zu sein, um zu wissen, von was wir reden und was sie beschäftigt.»

Und Daniela Gisler ergänzt: «Das sind sehr wichtige Kontakte. Kommen sie dann zu uns aufs Büro zur Beratung, kennen sie uns schon. Das Vertrauen ist da.»

Im Kanton Luzern sind an die 600 Sexarbeitende tätig. Der Strassenstrich ist zwar seit dem 21. April wieder in Betrieb, doch von Normalbetrieb könne noch keine Rede sein. Es habe weniger Kunden und weniger Sexarbeitende. Durchschnittlich arbeiten jetzt etwa 10 Personen im Ibach. «Mit dem Lockdown für ihr Gewerbe sind viele nach Hause zur ihren Familien gereist», sagt Eliane Burkart.

Ihr Büro ist am Franziskanerplatz 1, im Haus des Pfarramtes St.Maria. Hier werden auf Wunsch den Sexarbeitenden Termine vermittelt. Das Team wird ehrenamtlich von einer ehemaligen Kantonsrichterin, einer Anwältin und Ärztinnen unterstützt. Was bewegt denn die Sexarbeitenden in Bezug auf Corona? Burkart: «Es ist ihnen ein grosses Anliegen, korrekte Papiere zu haben. Sie waren zu Beginn des Lockdown überfordert, wussten nicht, wie sie sich und ihre Familie weiter ernähren sollten. Sie brauchten Hilfe beim Ausfüllen von Papieren oder beim Verhandeln mit Vermietern.»

Viele seien dadurch das erste Mal zur Beratungsstelle gekommen. «Das hat sich rumgesprochen, jetzt sind wir bei den Sexarbeitenden bekannter.»

Die Website von Lisa ist in zehn Sprachen übersetzt. Doch Deutsch ist trotzdem sehr wichtig. Seit Mitte September werden die beliebten Deutschkurse auch wieder angeboten. Ein weiteres Angebot von Lisa ist Rosa, der Mittagstisch – Zugang nur geimpft, getestet oder genesen –, der im Pfarreiheim Barfüesser angeboten wird. Auch hier kommt es in ungezwungener Atmosphäre zum Austausch.

Individuelle Prüfung gefordert

Und wie hat es mit den Härtefallgeldern ausgesehen? Ein Fall ist Burkhart in bester Erinnerung. Eine Sexarbeiterin bekam keine Gelder, weil ihr Jahresumsatz 3000 Franken zu gering war. Es sei versucht worden, den Entscheid zu kippen – jedoch ohne Erfolg. Die Co-Leiterinnen sagen: «Ein Wunsch an die Politik ist, diese Gesuche individuell zu prüfen und nicht pauschal.»

Daniela Gisler hat ihre Arbeit am Franziskanerplatz vor gut drei Wochen aufgenommen. Die beiden Frauen kannten sich bereits von der Container-Arbeit. «Für mich war in etwa klar, was mich erwartet. Die Büroarbeit ist eine optimale Ergänzung», sagt Daniela Gisler. Sie ist seit November 2018 im Beratungsteam, Eliane Burkart seit über fünf Jahren – sie war auch seit 2018 die Stellvertreterin von Birgitte Snefstrup.

Beide Frauen studierten Soziale Arbeit an der Hochschule Luzern. Zum Aufgabenbereich von Lisa gehört seit diesem Januar auch die aufsuchende Arbeit. Es werden alle Erotikbetriebe im Kanton regelmässig besucht. Laut Gewerbeverordnung muss seit 2020 ein Etablissement ab drei Sexarbeitenden angemeldet und bewilligt werden.

Wie gehen sie damit um? Die Idee dahinter sei, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sind sich die Co-Leiterinnen sicher: «Es ist eine Hürde, jedoch zum Vorteil. Denn vor Ort wird auch kontrolliert, ob genügend Tageslicht vorhanden ist, ob es genügend sanitäre Anlagen und Pausenräume gibt.» Lisa machte im Sommer auch eine Impfaktion, die sei gut angekommen. Es konnte auch ohne Krankenkasse oder Aufenthaltsbewilligung geimpft werden. Die Sexarbeitenden stünden der Impfung mehrheitlich positiv gegenüber. Da sie nicht wüssten, woher die Kundschaft kommt, gebe sie ihnen eine gewisse Sicherheit, so Gisler.

Finanzen sind ein Dauerthema

Der Verein Lisa finanziert sich zu Zweidrittel über Spenden. Zurzeit sind 124 Einzel- und Kollektivmitglieder registriert. Daniela Gisler sagt: «Ohne die Unterstützung der Stiftungen, Institutionen, Kirchen und Privaten könnten wir nicht arbeiten.»

Aktuell steht die Verlängerung des Leistungsauftrages mit dem Zweckverband für institutionelle Sozialhilfe und Gesundheitsförderung (ZISG) an. Doch es müssten auch weitere potenzielle Geldgeber gesucht und neue Mitglieder geworben werden.

Die Finanzen sind ein Dauerthema, dies hatte schon Birgitte Snefstrup ins Feld geführt. Einer ihrer Wünsche war, dass sich die öffentliche Hand finanziell stärker engagiert. Denn der Verein Lisa übernehme Arbeiten, die die öffentliche Hand übernehmen müsse. Das sehen auch Daniela Gisler und Eliane Burkart so: «Es braucht immer viel Zeit, um das Geld zusammenzubringen. Eine bessere finanzielle Absicherung durch mehr öffentliche Gelder wäre wünschenswert.»



Lisa – Angebote für Sexarbeitende

– Hotspot – der Container ist der Aufenthaltsraum im Ibach
– Rosa – der Mittagstisch mit Beratung, der im Pfarreiheim Barfüesser durchgeführt wird und das Essen aus dem Personalrestaurant der Stadt Luzern bezieht
– Beratungsstelle – zusammen mit freiwilligen Fachkräften werden Fragen rund um die Sexarbeit beantwortet.
– Sprachkurs – seit Anfang September wird von Freiwilligen der beliebte Deutschkurs angeboten.
– Aufsuchende Arbeit – Gespräche und Beratungen im Etablissement
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/sexarbeit-lockdown-setzte-dem-gewerbe-hart-zu-ld.2198677)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Trotz Klima-Rebellion im Urlaub: Wieso bleibt Karin Rykart stumm?
Eine Woche lang versuchte «Extinction Rebellion» die Stadt Zürich lahmzulegen. Der Verkehr war blockiert und die Polizei stand gegen die unbewilligten Klima-Demonstranten dauernd im Einsatz. Die Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart äussert sich trotz mehrfachen Anfragen diverser Zürcher Medien nicht dazu, nun ist sie auch noch im Urlaub.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/trotz-klima-rebellion-im-urlaub-wieso-bleibt-karin-rykart-stumm-144007134


+++KNAST
Als Witzwil der beste Knast der Welt war – die Geschichte einer legendären Strafanstalt
Auch wenn die wenigsten von uns schon mal dort waren, so ist Witzwil, die Strafanstalt im Berner Seeland, vor allem im Bernbiet ein Begriff. Die erstaunliche Geschichte einer Strafanstalt, die einst die modernste der Welt war. Witzwil-Boss Otto Kellerhals war zu seiner Zeit ein weltweit bewunderter Pionier des Strafvollzuges.
https://www.watson.ch/schweiz/bern/362146757-das-gefaengnis-witzwil-die-geschichte-der-legendaeren-strafanstalt


+++POLIZEI DE
„Copservation“ über Polizeivergehen: „Das Einzelfall-Narrativ ist absurd“
Das Netzwerk „Copservation“ will polizeiliches Fehlverhalten dokumentieren. Fast jeden Tag erhalten die Mitglieder in sozialen Medien Berichte über Vergehen.
https://taz.de/Copservation-ueber-Polizeivergehen/!5804238/


17-jähriger über Rassismus: „Das Polizeiproblem ist massiv“
Musa Farhan wechselt die Straßenseite, wenn er die Polizei sieht. Im April attackierten Beamten den 17-jährigen nach einer Demo gegen Racial Profiling.
https://taz.de/17-jaehriger-ueber-Rassismus/!5804207/


+++RASSISMUS
antira-Wochenschau: Ausnahmezustand an belarussischer Grenze, gewalttätige Pushbacks von kroatischen Grenzpolizisten, Grenzzaun gegen Frontex in Luzern
https://antira.org/2021/10/10/ausnahmezustand-an-belarussischer-grenze-gewalttaetige-pushbacks-von-kroatischen-grenzpolizisten-grenzzaun-gegen-frontex-in-luzern/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Corona-Rebellen «Mass-Voll» wollen sich als eingetragene Marke schützen lassen
Der Verein der Corona-Rebellen möchte sich als Marke eintragen lassen. Und lässt sich dabei in die Karten blicken.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/markenregister-corona-rebellen-mass-voll-wollen-sich-als-eingetragene-marke-schuetzen-lassen-ld.2199526


Leichtgläubige Skeptiker – Youtuber erfindet Impfschaden – selbst Ärzte fallen darauf rein
Ein Winterthurer Informatiker hat mit einem Experiment die Szene der Corona-Skeptikerinnen und -Skeptiker vorgeführt.
https://www.srf.ch/news/schweiz/leichtglaeubige-skeptiker-youtuber-erfindet-impfschaden-selbst-aerzte-fallen-darauf-rein



Psychologie der Verschwörung: Das ist ja wie ein Krimi!
Verschwörungsmythen wirken oft glaubhaft, weil sie viel unterhaltsamer sind als die Realität.
https://www.bernerzeitung.ch/das-ist-ja-wie-ein-krimi-434796198196


Die Suche nach Mustern
Was sind Verschwörungen und was Verschwörungstheorien? Umberto Eco zeigt, warum es darauf keine einfachen Antworten gibt
Was sind Verschwörungen und was Verschwörungstheorien? Darauf gibt es keine einfachen Antworten, wie die Forschung und eine neuerschienenen Sammlung von Texten des Wissenschaftlers und Autors Umberto Eco zeigt.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157418.verschwoerungstheorien-die-suche-nach-mustern.html



Sonntagszeitung 10.10.2021

Covid-Abstimmung: So wollen Massnahmengegner die Städter überzeugen

Mit Crowdfunding und Betonung auf den Datenschutz kämpft das Nein-Komitee um urbane Anhänger.

Cyrill Pinto

Schon ab 50 Franken ist man dabei: Per Mausklick können Massnahmengegner die Kampagne gegen das Covid-19-Gesetz finanzieren. Die Spende ist an ein konkretes Ziel geknüpft: Mit dem Geld werden Werbeflächen in grossen Bahnhöfen gekauft.

Die Crowdfunding-Strategie funktioniert offenbar: Die nötigen 300’000 Franken waren schon nach ein paar Tagen beisammen. «Wir setzen auf viele Kleinspenden, um unsere Kampagne zu finanzieren», sagt Josef Ender vom Nein-Komitee.

Im Hintergrund arbeitet bereits eine vielstimmige Gruppe daran, bei der kommenden Abstimmung am 28. November den ersten Achtungserfolg vom Juni zu übertreffen. Damals stimmten knapp 40 Prozent Nein zum Covid-Gesetz. Im Komitee sind die Freunde der Verfassung, das Netzwerk Impfentscheid und das Aktionsbündnis Urkantone. Dessen Präsident Josef Ender reichte im Juli nach kurzer Sammelzeit 187’500 Unterschriften für das Referendum ein.

Gegner vollziehen Strategiewechsel

In der kommenden Kampagne vollzieht das Komitee einen Strategiewechsel – und zielt inhaltlich neu auf das urbane Publikum. «Die ländlichen Kantone müssen wir nicht mehr überzeugen, jetzt geht es darum, die Städte mit unserer Botschaft zu erreichen», sagt Ender. Er hofft, die Menschen mit dem Thema Datenschutz erreichen zu können: «Wir lehnen das Covid-Gesetz auch wegen des digitalen Contact-Tracings ab, das eine Massenüberwachung der Bürger ermöglicht.» Tatsächlich wehrt sich mittlerweile auch eine links-urbane Gruppe rund um die Schriftstellerin Sibylle Berg gegen das Covid-Gesetz, wie die «Schweiz am Wochenende» gestern meldete. Die Vereinigung nennt sich «Geimpfte gegen das Covid-Gesetz» – und argumentiert explizit mit dem Datenschutz.

Während diese Gruppe also explizit für eine Impfung ist, bekämpft das Nein-Komitee um Josef Ender aber vor allem auch diese Massnahme – laut eigenen Angaben soll verhindert werden, dass die Menschen «dauergeimpft» werden: «Wir wehren uns dagegen, dass nach einer dritten Impfung eine vierte oder fünfte nötig wird», sagt Ender.

Amtschef muss Kopf für Kampagne hinhalten

Für den Abstimmungskampf setzt das Komitee auf Social-Media-Kanäle und Werbung auf Plakaten – speziell in den Städten. Generell solle die Kampagne die Botschaft vermitteln, dass man sich mit der Ablehnung des Gesetzes gegen Diskriminierung und eine Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte wehre. «Wer sich nicht impfen lassen will, soll deswegen nicht diskriminiert und aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden», sagt Ender.

Für die digitale Kampagne schreckt das Komitee nicht davor zurück, auf den Mann zu spielen – zum Beispiel auf Peter Indra, den Vorsteher des Gesundheitsamtes des Kantons Zürich. Indra sagte letzte Woche gegenüber dem deutschen Sender ZDF, eine «gutmütige Diktatur» sei eine «gute Art und Weise, eine Pandemie zu bewältigen» – eine Steilvorlage für die Massnahmengegner. Das Komitee hat aus diesem Zitat und dem Bild des Amtschefs sogleich einen digitalen Flyer hergestellt, der heruntergeladen und weiterverbreitet werden kann. Auch auf den Social-Media-Kanälen des Komitees wurde der Flyer gepostet. Dort wird Amtschef Indra nun beschimpft und bedroht.

Josef Ender beteuert, dass solche Einträge gelöscht würden: «Solche Kommentare tolerieren wir nicht auf unseren Plattformen.» Aufrufe zu Gewalt und beleidigende Aussagen würden nicht geduldet. «Wir wollen den Dialog fördern und sind grundsätzlich für die Meinungsfreiheit», sagt Ender.

Die Zürcher Gesundheitsdirektion «bedauert», dass ihr Amtschef für Abstimmungspropaganda verwendet wird, wie Sprecher Patrick Borer auf Anfrage sagt. Sie prüfe derzeit, ob sie rechtlich gegen die ehrverletzenden Aussagen auf der Plattform vorgehen wird.
(https://www.derbund.ch/so-wollen-massnahmengegner-die-staedter-ueberzeugen-263896421643)
-> https://www.blick.ch/politik/referendum-gegen-covid-gesetz-jetzt-bekaempfen-auch-linke-das-zertifikat-id16898301.html



tagblatt.ch 09.10.2021

Kritik am Zertifikat

«Überwachungsstaat», «falsche Sicherheit» – Geimpfte gründen Komitee gegen das Covid-19-Gesetz

Ein linkes Komitee mischt die Debatte um das Corona-Zertifikat auf. Schriftstellerin Sibylle Berg stellt sich gegen das Zertifikat. Das könnte den Abstimmungskampf um das Covid-Gesetz neu lancieren.

Pascal Ritter

Am 28. November stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung zum zweiten Mal über das Covid-19-Gesetz ab. Nun geht es vor allem um die Gesetzesgrundlage des Covid-Zertifikats. Sie wurde in das Gesetz geschrieben, als gegen die erste Version schon Unterschriften gesammelt wurden. Bisher sah es so aus, als wären die Lager klar getrennt.

Auf der einen Seite die Covid-Skeptiker von «Freunde der Verfassung» bis «Mass-Voll» zusammen mit der SVP. Auf der anderen Seite alle anderen wesentlichen Parteien. Die Gewerkschaften und der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse sind für das Gesetz. Es war auch ein Kampf von Ungeimpften gegen Geimpfte. Eine Umfrage zeigte, dass Geimpfte für das Zertifikat, Ungeimpfte dagegen waren.

Nun mischt ein neues Nein-Komitee den Abstimmungskampf auf und bringt die Lager durcheinander. Es sind Personen, die sich bisher aus einer linken Perspektive gegen Überwachung und für Datenschutz eingesetzt haben, die jetzt das Covid-19-Gesetz ins Visier nehmen. Ihnen ist der Einsatz des Covid-Zertifikats im Inland ein Dorn im Auge.

Während aus Kreisen, die das Referendum ursprünglich zustande gebracht haben, auch die Impfung kritisiert wird, sind unter den Gründern des neuen Komitees ausdrücklich nur Geimpfte. Noch ist das Komitee nicht formell lanciert, ein Arbeitstitel lautet aber «Geimpfte gegen das Zertifikat». Gegen Maskentragen oder (punktuelle) Shutdowns ist das Komitee ausdrücklich nicht. Es befürwortet die meisten Massnahmen.

Sybille Berg und Netzaktivisten gegen das Zertifikat

Bekanntestes Unterzeichnerin des Aufrufes des Komitees ist die Schriftstellerin Sibylle Berg, die 2019 für ihren dystopischen Roman «GRM Brainfuck» den Schweizer Buchpreis gewann. Diese Zeitung kürte sie zudem zur wichtigsten Intellektuellen der Schweiz.

Sie sagt: «Bei vollem Respekt für die Schwierigkeit der Situation und in Anerkennung einer weltweiten schweren Erkrankung, die viele das Leben gekostet hat, sie krank, einsam und ruiniert zurückliess, halte ich ein Zertifikat, das Menschen Zugang oder Nichtzugang zur Teilhabe am täglichen gesellschaftlichen Leben gestattet oder verweigert, für gefährlich.»

Zu den Komiteegründern gehören Hernani Marques, Sprecher des Chaos-Computer-Clubs Schweiz, und Christian Grothoff, Professor für Technik und Informatik an der Berner Fachhochschule. Netzaktivist Marques regt sich darüber auf, dass er in den sozialen Medien dafür kritisiert wird, mit Querdenkern unter einer Decke zu stecken.

Er sagt: «Viele glauben, nur Impfgegner seien gegen die Zertifikatspflicht. Das ist Bullshit!» Für Marques ist das Covid-Zertifikat nutzlos, wenn nicht kontraproduktiv. «In Clubs tummeln sich nun Geimpfte und Getestete ohne Maske und fühlen sich sicher. Dabei sind auch Geimpfte ansteckend und manch einer ist mit gefälschtem Zertifikat unterwegs», sagt er.

Ginge es nach ihm, würde man die Clubs dichtmachen und die Betreiber grosszügig entschädigen. Erst bei deutlich tieferen Fallzahlen solle man sie wieder öffnen. Er sieht in der Zertifikatspflicht zudem einen Verstoss gegen Grundrechte. Sie schliesse Sans Papiers von Teilen des öffentlichen Lebens aus.

Das Fachgebiet von Professor Grothoff ist Netzwerksicherheit und Datenschutz. Er betont, dass das Covid-19-Zertifikat technisch gut umgesetzt wurde. Er befürchtet aber, dass mit der Zertifikatspflicht eine «Normalisierung der ständigen Identifikation» einhergeht.

«Es wächst eine Generation heran, für die es normal ist, sich bei jedem Restaurantbesuch auszuweisen. Das ist eine gefährliche Entwicklung hin zum Überwachungsstaat.» Er warnt davor, dass Personenkontrollen im Inland nicht mehr verschwinden, sondern für andere Zwecke eingesetzt werden könnten, etwa zur Fahndung.

Grothoff räumt ein, dass die Zertifikatspflicht Ansteckungen zu einem gewissen Grad reduzieren könne, sagt aber: «Es gibt günstigere und weniger heikle Massnahmen, die effektiver sind.»

Dazu zählt er bessere Lüftungen in Hörsälen, Schulzimmern und Zügen oder Luftfilter. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Grothoff politisch einbringt. Er unterstütze auch das Referendum gegen die elektronische Identitätskarte.

Eine Sprecherin des Bundesamts für Gesundheit hält den Argumenten des neuen Komitees entgegen, dass es offensichtlich sei, dass das Zertifikat das Risiko von Übertragungen nicht auf Null reduziere. Die Wahrscheinlichkeit von Übertragungen werde durch die Impfung oder zeitnahe Tests aber soweit reduziert, dass andere – einschränkendere – Massnahmen aufgehoben werden könnten.

Befürchtungen, das Zertifikat werde nicht mehr verschwinden, hält das BAG entgegen, dass es nur so lange genutzt würde, wie es die epidemiologische Lage erfordere. Aktuell sei eine Befristung bis 24. Januar 2022 vorgesehen. Auch Sans Papiers könnten zudem ein Covid-Zertifikat erhalten, sobald sie in Besitz eines Ausweisdokuments mit Foto gelangten. Hierfür genüge ein SwissPass oder ein Studentenausweis.

«Beim Bundesrat muss ein Warnlicht aufleuchten»

Rechte von Sans-Papiers, Kampf gegen Überwachung. Das Komitee bringt neue Argumente ein, welche auf der linken Seite ziehen könnten. Was bedeutet das für den Abstimmungskampf?

Michael Hermann ist Politgeograf. Sein Forschungsinstitut Sotomo befragt regelmässig die Bevölkerung zu Corona-Themen. Im Juli sprachen sich 61 Prozent für das Zertifikat aus. Hermann beobachtete damals einen starken Zusammenhang zwischen Impfstatus und der Haltung zum Zertifikat. Geimpfte waren dafür, Ungeimpfte dagegen. Zudem waren Anhänger der SVP gegen das Zertifikat. Hermann sagt: «Wenn nun Linke und explizit Geimpfte auftreten und aus bürgerrechtlicher Sicht gegen das Gesetz argumentieren, könnte dies eine neue Dynamik auslösen.»

Diese treffe auf eine Ausgangslage, die sich seit der letzten Befragung ohnehin verändert habe. Damals sei es eher eine theoretische Diskussion gewesen, sagt Hermann, heute hätten die meisten Erfahrung mit dem Zertifikat gesammelt, positive oder negative. «Beim Bundesrat muss ein Warnlicht aufleuchten», sagt Hermann. Es sei nicht mehr gesichert, dass quasi mit jeder verabreichten Spritze die Zustimmung zum Zertifikat steige.

Für Hermann ist das Rennen offen. Es komme darauf an, aus welchem Gesichtspunkt die Wähler ihre Entscheidung träfen. «Steht die Kosten-Nutzen-Frage im Vordergrund wird ein Ja herauskommen. Die Geimpften haben kaum Mühe mit dem Zertifikat und bei einem Nein drohen grosse Probleme bei Reisen ins Ausland», sagt er. Weil aber ein grosser Teil des Covid-19-Gesetzes schon im Trockenen sei, bestehe auch die Möglichkeit, dass Wähler dem Bundesrat symbolisch signalisieren wollten, es sei dann auch mal gut.

* in einer früheren Version hiess es, Sibylle Berg habe das Komitee mitgegründet. Richtig ist, dass sie deren Aufruf als eine der Ersten unterstützte.
(https://www.tagblatt.ch/schweiz/kritik-am-zertifikat-ueberwachungsstaat-falsche-sicherheit-geimpfte-gruenden-komitee-gegen-das-covid-19-gesetz-ld.2199612)



Coronavirus: Friedliche Proteste in Basel und Genf
Auch am Wochenende fanden wieder Kundgebungen zum Coronavirus statt. Diesmal versammelten sich Skeptiker in Basel und Genf.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-friedliche-proteste-in-basel-und-genf-66020108


+++FUNDIS
Sonntagszeitung 10.10.2021

Irreführende Propaganda: SRF übernimmt Kampfbegriff der Abtreibungsgegner

Amerikanische Fundamentalisten haben einen hochemotionalen Begriff kreiert, mit dem sie fleissig hausieren – so erfolgreich, dass ihn sogar «10 vor 10» und SRF 3 verwenden.

Bettina Weber

Am vergangenen Montag berichtete «10 vor 10» über das neu eingeführte Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in Texas. Moderator Urs Gredig erklärte zu Beginn des Beitrags, eine Abtreibung sei im besagten Bundesstaat fortan nach der 6. Woche rechtlich nicht mehr erlaubt, weil dann «ein Herzschlag beim Embryo feststellbar» sei.

Drei Tage später vermeldete Radio SRF 3, dass ein Bundesrichter die Verschärfung für rechtswidrig erklärte und ausgesetzt hatte (inzwischen hat ein Berufungsgericht diesen Entscheid rückgängig gemacht). Wieder wurde der «Herzschlag in der 6. Woche» erwähnt.

Die Formulierung «fetal heartbeat» stammt von radikalen Abtreibungsgegnern in den USA und wird von diesen seit mehreren Jahren verwendet. Sie ist Teil ihrer Propaganda, denn sie appelliert an Emotionen, vor dem geistigen Auge entsteht ein fertiges Lebewesen mit einem kräftig pumpenden Herzen – und nicht ein drei Millimeter kleines Wesen, das der Embryo zu besagtem Zeitpunkt ist. Deshalb wird auch, medizinisch falsch, schon in der 6. Woche anstatt erst in der 11. Woche vom «Fötus» gesprochen – es klingt mehr nach Mensch als «Embryo».

Thomas Eggimann, praktizierender Frauenarzt mit eigener Praxis in Kreuzlingen und Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, hält «den Herzschlag in Sinne eines hörbaren Geräusches für unkorrekt». Gegen Ende der 6. Woche nach der letzten Regelblutung könne allenfalls mit einem vaginalen Ultraschall «ein erstes langsames Schlagen des Herzschlauches dargestellt werden. Zu hören ist überhaupt nichts.»

Die Absicht hinter dem Begriff ist eindeutig

Ein Pochen ist erstmals nach acht bis neun Wochen akustisch wahrnehmbar, und auch das nur mit einem Doppler-Ultraschallgerät, «das aber so früh nicht routinemässig angewendet werden sollte, wegen der Belastung für den Embryo», so Eggimann. Von aussen, zum Beispiel mit einem Pinard-Hörrohr, lässt es sich gar erst ab der 18. Woche ausmachen. «Und bis man es mit eigenen Ohren hören kann, indem man am Bauch lauscht, dauert es nochmals etwa bis zur 23. Woche.»

Für Thomas Eggimann ist die Formulierung deshalb «irreführend», die Absicht dahinter «offensichtlich». Sie ist auch clever. Denn die Erwähnung des Herzschlags verfängt. Mit der neuen Begrifflichkeit hält das Vokabular der Abtreibungsgegner ganz selbstverständlich in den Medien Einzug, nicht nur bei SRF, auch beim «Spiegel», es wird gar vom «Herzschlag-Gesetz» gesprochen.

Während US-Medien wie «New York Times», «Forbes Magazine» oder «New York Magazine» immer wieder darauf hinwiesen, die Formulierung sei «unwissenschaftlich» und «irreführend», weil «das Pulsieren von Embryo-Zellen nicht als Herzschlag» bezeichnet werden könne, hat SRF damit kein Problem. Auf Anfrage heisst es vielmehr: «In den verwendeten Begrifflichkeiten sehen wir weder eine Wertung noch eine tendenziöse Übernahme von Argumenten einer Interessengruppe.»

In der Schweiz ist die Abstimmungsfrage im Gegensatz zu den USA kein grosses Thema mehr. Es gilt, wie in den meisten Ländern Europas, die Fristenlösung, ein Schwangerschaftsabbruch ist bis in die 12. Woche legal. Die 2002 eingeführte Regelung hat nicht zu einer Zunahme von beendeten Schwangerschaften geführt, wie von den Gegnern prophezeit wurde, die Zahlen sind seit Jahren stabil: 2020 etwa wurden rund 11’000 Abbrüche durchgeführt. Angesichts des Bevölkerungswachstums ist die Tendenz also eher abnehmend.

95 Prozent aller Abbrüche finden innerhalb der ersten zwölf Wochen statt. Für alle anderen Fälle sind die Hürden höher, möglich sind sie aber ebenfalls. Thomas Eggimann sagt: «Je weiter fortgeschritten die Schwangerschaft ist, desto besser muss man eine Intervention begründen können.» Bisweilen wird dann die Ethikkommission kontaktiert, der Kantonsarzt oder eine Psychiaterin hinzugezogen.

In den USA wären Abbrüche bis in die 24. Woche erlaubt

In den USA ist gemäss dem wegweisenden Urteil Roe v. Wade ein Schwangerschaftsabbruch bis in die 24. Woche erlaubt, mit der Begründung, dass ein Fötus danach ausserhalb des Mutterleibes überleben kann. Angesichts des medizinischen Fortschritts, der es möglich macht, dass Frühgeburten immer jünger überleben – müsste diese Grenze nicht angepasst werden?

Thomas Eggimann sagt: «Ein Mensch ist quasi mit drei Monaten fertig, dann ist alles dran, er muss nur noch wachsen. Das vergisst man gern.» Heute sei es in Extremfällen möglich, Babys, die in der 22. Woche zur Welt kommen, am Leben zu erhalten. «Meist erleiden diese Kinder aber Komplikationen und sind, falls sie überhaupt überleben, oft lange und schwer krank und auf Intensivpflege angewiesen. Von daher stimmt das mit der 24. Woche in der Regel immer noch.»

Auch in der Schweiz wird Druck ausgeübt

Obwohl in der Schweiz die Fristenlösung auf breite Akzeptanz stösst, falle die Entscheidung zum Abbruch keiner Frau leicht, sagt Thomas Eggimann. Und immer wieder werde Druck ausgeübt, durchaus erfolgreich: Werdende Mütter sind von der Franchise befreit. Dies gilt aber nicht bei Komplikationen, zu denen auch ein Schwangerschaftsabbruch gehört. Dies war ein Zugeständnis an die kleine, aber hartnäckige Minderheit der Abtreibungsgegner.

Dass damit auch Frauen mit Fehlgeburten finanziell bestraft werden, wurde in Kauf genommen. Gemäss Eggimann formiere sich auf politischer Ebene langsam Widerstand gegen diese Benachteiligung.
(https://www.derbund.ch/srf-uebernimmt-kampfbegriff-der-abtreibungsgegner-852125049598)


+++HISTORY
1986: „Der Einzelfall zählt“
In einer Zeit hitziger Debatten über Migration, Rassismus und Asylrecht gründet sich die Organisation „Pro Asyl“. Gegenwind kommt nicht nur von CDU und CSU
https://www.freitag.de/autoren/benmen/1986-der-einzelfall-zaehlt