Neue Soli-Strukturen in Bosnien, Solicamp4Moria, #DefundFrontex

Signet #DefundFrontex
Themen
  • Zum Sterben liegen gelassen – jetzt freigesprochen
  • #DefundFrontex: Neue Kampagne für ein ziviles Seenotrettungsprogramm
  • Obergericht Zürich spricht Polizeibeamten des Vorwurfs der versuchten Tötung frei
  • Bosnien: Der Kriminalisierung von Solidarität trotzen
  • Konsens über die überraschende Machtübernahme durch die Taliban
  • Solicamp4Moria fordert KKS zum Handeln auf
  • Blattkritik für die Wochenschau verfassen

Was ist neu?

Zum Sterben liegen gelassen – jetzt freigesprochen
Im Sommer 2018 kam es im Untersuchungsgefängnis Waaghof zu einem Suizidversuch. Die Aufseher*innen liessen die verletzte Person einfach liegen. Diese Woche standen sie deswegen vor Gericht. Das Urteil: Freispruch.
 

Die Ereignisse hinter dem Tod der 28-jährigen Tamilin K. sind gut dokumentiert: K., die sich zu dieser Zeit in Ausschaffungshaft befand, befestigte ihr Traineroberteil am Zellenfenster und liess sich in die Schlinge fallen. Nachdem die Aufseher*innen die leblose K. auf dem Monitor erblickten, eilten sie in die Zelle und durchschnitten das Oberteil. Daraufhin taten die Aufseher*innen nichts, ausser ihr eine handvoll Wasser ins Gesicht zu spritzen. Statt erste Hilfe zu leisten, liessen sie K. einfach in einer Ecke liegen. Erst Minuten später wurden Sanitäter*innen gerufen. K. wurde ins Unispital gebracht, wo sie zwei Tage später an den Spätfolgen ihres Suizidversuchs verstarb.

Anfang der Woche startete nun der Prozess gegen die vier Aufseher*innen. Angeklagt waren alle wegen fahrlässiger Tötung durch unterlassene Hilfeleistung. Zu ihrer Verteidigung gaben die Aufseher*innen an, sie hätten gedacht, K. würde bloss schauspielern und «ihre Notlage vortäuschen». Das Misstrauen, welches die Aufseher*innen K. entgegenbrachten, selbst als sie regungslos auf dem Boden lag, ist erschreckend. Und zeigt die Hintergründe eines Systems, in dem sich Asylsuchende tagtäglich gefangen sehen. Ihnen wird grundsätzlich kein Vertrauen entgegengebracht, sondern vielmehr unterstellt, jede mögliche Täuschung zu unternehmen, um in der Schweiz bleiben zu können. Dieses Misstrauen endet nicht selten in Gewalt, wie der Tod von K. und weitere dokumentierte Fälle zeigen (siehe antira.org/2021/05/25).

Während der Prozesstage kam es auch zu Widerstand. Am Dienstagabend zogen Aktivist*innen in einer unbewilligten Kundgebung vom Strafgericht zum Gefängnis Waaghof und demonstrierten gegen die gewalttätigen Strukturen im Asylwesen. In ihrem Aufruf schreiben sie: «Die Wärter*innen haben K. nach einem Suizidversuch einfach am Boden liegen lassen. Nicht nur sie trifft eine Schuld an ihrem Tod, auch die unmenschliche Asylpolitik, gewalttätige Strukturen und eine frauenverachtende Gesellschaft sind hier die Täter.»

Am Freitag entschied dann das Basler Strafgericht: Freispruch. Die Richter*innen begründen ihr Urteil mit der «fehlenden Kausalität». Es sei nicht sicher, ob K. tatsächlich hätte gerettet werden können, wenn früher Hilfe geleistet und geholt worden wäre. Die Aufseher*innen sollen bloss einen Teil der Verfahrenskosten bezahlen, da sie ihre Sorgfaltspflicht verletzt hätten. Natürlich sind Gefängnisstrafen keine Lösung, auch dies sehen wir anhand des Falles von K. Aber: Das Urteil zeigt einmal mehr, wen das System schützt, und wer hilflos liegen gelassen wird.

 
#DefundFrontex: Neue Kampagne für ein ziviles Seenotrettungsprogramm

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex hat neue Verträge zur Luftüberwachung der EU-Aussengrenzen abgeschlossen. Neue Recherchen zeigen, wie Frontex aktiv daran arbeitet, keine Such- und Rettungsmassnahmen durchführen zu müssen und damit den Tod tausender Menschen in Kauf nimmt. Die Kampagne #DefundFrontex fordert daher ein ziviles Seenotrettungsprogramm.

Frontex hat neue Verträge für die Luftüberwachung vergeben. Für insgesamt 84 Millionen Euro gingen Aufträge an fünf Charterfirmen, deren Flugzeuge die EU-Aussengrenzen und das Mittelmeer überwachen sollen. Damit gibt Frontex nun ein Sechstel ihres gesamten Budgets für ihren „Luftüberwachungsdienst“ (FASS) aus. Die grösste europäische Agentur kann durch die erneuerte Frontex-Verordnung von 2016 eigene Ausrüstung kaufen, mieten oder leasen. Frontex-Direktor Fabrice Leggeri macht sich damit immer weiter unabhängig von den EU-Mitgliedsstaaten. Die FASS-Flugzeuge können nicht nur per Seeradar kleine Boote mit geflüchteten Menschen erkennen. In der Ausschreibung konnten die Anbieter punkten, wenn sie auch Technik zur Ortung von Mobil- und Satellitentelefonen an Bord haben.

Seit Jahren fordern internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft, dass Frontex endlich seine Verpflichtung zur Rettung von Menschen in Seenot wahrnimmt. Doch passiert ist das Gegenteil. Frontex investiert nur in die Grenzsicherung und unternimmt nichts zur Erhöhung der Rettungskapazitäten. Seit 2015 wurden 100 Millionen Euro in den Ausbau der Luftüberwachung gesteckt – und keinen Cent in Seenotrettung. Eine gemeinsame Recherche von FragDenStaat und der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch zeigt nun, wie diese Entscheidungen den Tod tausender Menschen zur Folge hatten. Und dass die Lebensgefahr für flüchtende Menschen durch die Partnerschaften mit Drittstatten weiter erhöht wird. Denn mit Schiffen müsste Frontex laut internationalem Seerecht Seenotrettung leisten. Mit der Luftüberwachung schaut Frontex den Menschen hingegen schlicht beim Sterben zu.

Es war eine bewusste politische Entscheidung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, das Mittelmeer zur tödlichsten Migrationsroute der Welt zu machen. Über 18´000 Menschen sind seit 2015 im Mittelmeer ertrunken. 22 Organisationen haben sich darum zur Kampagne #DefundFrontex zusammengeschlossen. Sie fordern «die Umwidmung von Frontex-Budget zum Aufbau eines staatlich geführten und finanzierten, flächendeckenden und zivilen Seenotrettungsprogramms», wie die mitunterzeichnende Seenotrettung-Organisation Sea-Watch schreibt. Die EU verhindert mit ihrer Abschottungspolitik aktiv legale und sichere Einreisewege und schafft damit auf lange Sicht das Grundrecht auf Asyl ab.

Die neuen Aufträge zur Luftüberwachung zeigen ausserdem erneut, wie intransparent die Behörde agiert. Denn wo die Einsätze erfolgen sollen, wurde nicht bekannt gegeben. Zwei weitere geplante Aufträge für die Durchführung von Kurzstreckenflügen und Hubschraubern kamen aus nicht genannten Gründen nicht zu Stande. Dafür könnte die sogenannte Lybische Küstenwache bald Helikopter zur Migrationsabwehr einsetzen. Letztes Jahr ging eine Bestellung über zehn Hubschrauber an die Firma Airbus.

https://netzpolitik.org/2021/vertraege-mit-charterfirmen-frontex-zahlt-weitere-84-millionen-euro-fuer-luftueberwachung/
https://fragdenstaat.de/blog/2021/08/24/frontex-abschaffen-sar-aufbauen/
https://sea-watch.org/defundfrontex/
Download Hintergrundpapier: Defund Frontex, Build a European Search and Rescue programme. https://sea-watch.org/wp-content/uploads/2021/08/DefundFrontex_briefingpaper.pdf

Die „Osprey 3“ der britischen Firma DEA, die auch zukünftig Flüge für Frontex durchführt.
Die „Osprey 3“ der britischen Firma DEA, die auch zukünftig Flüge für Frontex durchführt.

Was ist aufgefallen?

Obergericht Zürich spricht Polizeibeamten des Vorwurfs der versuchten Tötung frei

Omar Mussa A. überlebt dreizehn auf ihn abgefeuerte Schüsse. Der Richter des Obergerichts Zürich sympathisiert mit dem Angeklagten und verweist in seinem Urteil auf Notwehr.

Ein Jahr nach dem Freispruch eines weissen Polizeibeamten vor dem Zürcher Bezirksgericht wegen versuchter Tötung einer Person of Color, (siehe antira.org/2020/06/29/) wird dieser auch in zweiter Instanz vor dem Obergericht Zürich freigesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Offen bleibt, ob der Fall von dem Anwalt des Betroffenen bis vor das Bundesgericht gezogen wird. Dass die Anklage gegen den Polizeibeamten überhaupt zustande kam, ist der Hartnäckigkeit des Betroffenen und seines Anwalts zu verdanken.

Letztlich forderte das Bundesgericht die Staatsanwaltschaft dazu auf, ein Verfahren einzuleiten. Doch die Staatsanwaltschaft war von Anfang an parteiisch und forderte einen Freispruch des Polizeibeamten. Bereits kurz nach der Tat im Dezember 2015 war in der Medienmitteilung der Polizei von ‚Notwehr‘ die Rede gewesen. Doch können elf abgegebene Schüsse noch Notwehr bedeuten? Denn so häufig drückte der angeklagte Polizeibeamte ab, als eine fünfköpfige Polizeipatrouille in Zürich-Wiedikon den 42-jährigen Omar Mussa A. anhielt. Seine Frau hatte die Polizei informiert, nachdem er infolge eines psychotischen Schubes mit einem Messer in der Hand die Wohnung verlassen hatte. A.s Frau hatte bereits einige Male zuvor die Polizei kontaktiert, wenn ihr Mann im Verlauf seiner psychischen Krisen unterwegs gewesen war. A. war daraufhin immer entweder zu ihr oder in eine Klinik gebracht worden. Dieses Mal wurde er niedergeschossen.

Mehrere Zeug*innen-Aussagen berichten davon, dass sie A. in den vorangegangenen Tage bereits draussen gesehen und wie sie ihn wahrgenommen hätten. Eine Zeugin sagte aus, er sei eher auf sich bezogen gewesen, wirkte nicht aggressiv, habe vor sich hin gesummt, Fotos gemacht, mit dem Messer in einen Baum geritzt. Ein anderer Zeuge berichtete, er habe mit dem Messer in eine Böschung geschlagen, sich aber daraufhin bei einer Familie entschuldigt, die in seine Nähe kam. Er habe nicht bedrohlich gewirkt und das Messer nicht gegen andere gerichtet. Auch eine*r der Polizeibeamt*innen, die an dem Einsatz beteiligt waren, sagte aus, Omar Mussa A. habe abwesend und apathisch gewirkt.

Die Richterin des Bezirksgericht hielt in ihrem Urteil von letztem Jahr fest, A. habe „Kill me! Kill me!“ gerufen und mit dem Küchenmesser herumgefuchtelt, aber die Polizeibeamt*innen nicht direkt angegriffen. Diese Aussagen stützen sich jedoch lediglich auf die Äusserungen der Polizeibeamt*innen, denn A. selber kann sich an nichts erinnern. Was ihm bleibt sind ein Bruch der Augen­wand­höhle und komplizierte Trümmer­brüche an den Armen und an der Hüfte – sein linker Arm ist dauerhaft geschädigt und kaum funktionsfähig. Ausserdem leidet A. nach wie vor unter chronischen Schmerzen und hat sich sozial isoliert. Dass er überlebt hat, nachdem insgesamt dreizehn Schüsse aus zwei Waffen auf ihn abgegeben wurden, ist kaum zu glauben.

Bei der Urteilsverkündung vor dem Obergericht von letzter Woche zeigte der Richter Verständnis für die Reaktion des angeklagten Polizeibamten: «Auch für einen abgebrühten Polizisten war das nicht Alltag». Doch wie kann es sein, dass sich fünf bewaffnete Polizeibamt*innen in schusssicherer Weste von einem einzelnen Menschen so bedroht fühlen, dass sie dreizehn Schüsse abgeben? Vor allem, wenn das ballistische Gutachten zeigt, dass mindestens ein Schuss A.s Rücken traf, also abgegeben wurde, nachdem A. sich bereits abgewandt hatte? Wie kann eine Situation überhaupt so eskalieren? Selbst wenn der Angeklagte die Tötung A.s nicht vorsätzlich beabsichtigt hat, so muss er doch in Kauf genommen haben, dass A. stirbt. Und so müssen wir das Gericht fragen, wie sie 13 Schüsse als ‚Notwehr‘ und als verhältnismässig betrachten können? Und die Beamt*innen der Zürcher Stadtpolizei müssten wir wiederum fragen, was anders (z.B. deeskalativ) hätte verlaufen können bzw. müssen und wie diese unverhältnismässige Reaktion in Zukunft verhindert werden kann.

Aber wurde A. überhaupt als Mensch und Subjekt betrachtet, als die Polizeibamt*innen auf ihn losgingen? Ein Funkspruch, der zwei Minuten vorm Fallen der ersten Schüsse abgegeben wurde, beinhaltete Folgendes: „Der N**** hat ein Messer in der Hand.“ Die Objektifizierung und Herabsetzung, die hinter dieser Aussage steht, zeigen erneut deutlich auf: Rassismus kann tödliche Folgen haben. Und die zusätzliche Stigmatisierung, die A. aufgrund seiner Schizophrenie-Diagnose erlitt, trug seinen Teil dazu bei.

So ist der Fall Omar Mussa A. ein weiteres Beispiel dafür, welche Körper die Polizei als schützenswert erachtet und welche nicht. Welche als versehrbar gelten und welche nicht. Und ein migrantischer, Schwarzer Körper, der eine psychiatrische Diagnose erhalten hat, gehört garantiert nicht zu den von der Polizei als schützenswert erachteten Körpern, sondern vielmehr zu denen, die kontrolliert, kriminalisiert und eingesperrt werden und deren Tod in Kauf genommen wird.

https://www.republik.ch/2020/06/25/herr-ali-und-die-polizei
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/schuesse-auf-psychisch-kranken-zuercher-polizist-freigesprochen-00164260/
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/schuesse-in-zuerich-wiedikon-freispruch-fuer-zuercher-polizisten?
https://www.nzz.ch/zuerich/gab-es-in-zuerich-polizeigewalt-gegen-einen-schwarzen-nein-sagt-das-obergericht-aber-es-spart-nicht-mit-kritik-an-der-untersuchung-ld.1641994) (Volltext auf antira.org)

Omar Mussa A. hat nach wie vor mit den psychischen und pyhsischen Folgen zu kämpfen.
Omar Mussa A. hat nach wie vor mit den psychischen und pyhsischen Folgen zu kämpfen.

Was nun?

Bosnien: Der Kriminalisierung von Solidarität trotzen
Im bosnischen Una-Sana Kanton gibt es Gesetze und Regeln, die solidarische Unterstützung für People on the Move (PoM) kriminalisieren und zu diskriminierenden Ungleichbehandlungen führen.
 
Zum einen gilt seit einem Jahr im ganzen Kanton ein Transportverbot für PoM. Weder dürfen sie in privaten Pkw mitgenommen werden, noch den öffentlichen Nahverkehr benutzen. Wer zuwider handelt, macht sich strafbar. Wenn Schutzsuchende also zum Beispiel von Sarajevo nach Velika Kladusa reisen wollen, müssen sie den Bus in Bosanska Otoka oder Cazin, zwei an der Kantrongrenze gelegene Orte, verlassen. Von dort müssen viele die restlichen 50 km nach Velika Kladusa zu Fuß zurück legen, denn nur wenige können sich das aufgrund der Illegalität besonders teure Taxi (25€ pro Person) leisten. Wer das Geld aufbringen kann, muss heimlich bei Nacht über die Kantonsgrenze und durch den Kanton gefahren werden. Werden PoM in Taxis erwischt, droht dem/der Fahrer:in eine Geldstrafe. Diese Einschränkung der Mobilität der PoM erschwert ihre alltägliche Grundversorgung und erhöht ihre Abhängigkeit von internationalen Hilfsorganisationen wie der International Organisation of Migration (IOM). Der rechtliche Sonderstatus trägt zur Marginalisierung der PoM bei, indem sie eine degradierende, unmenschliche Behandlung nicht nur zulässt, sondern explizit vorschreibt.
 

Zum anderen wird den PoM in den meisten Cafés und Geschäften im Una-Sana Kanton der Zutritt verwehrt. Rassismus und/ oder die Angst davor, lokale Kund:innen zu verlieren, führen dazu, dass die große Mehrheit der semi-öffentlichen Räume den PoM unzugänglich gemacht werden. In Velika Kladusa gibt es nur wenige solidarische Geschäfte, die PoM eintreten lassen.

Ein weiterer Teil der repressiven Gesetze betrifft Soli-Strukturen aus dem Ausland: Jegliche Arbeit, die im entferntesten ‘illegale’ Grenzübertritte ermöglicht oder erleichtert kann als Menschenschmuggel kriminalisiert werden. Wer also zum Beispiel Powerbanks oder Handys verteilt, die auch -aber nicht nur- für das “Game” (Ausdruck für ‘illegale’ Grenzübertritte) gebraucht werden, läuft Gefahr als Menschenhändler*in verurteilt zu werden.

Außerdem wird die Care-Arbeit von internationalen Herlfer*innen und Solidaritässstrukturen vor Ort, abgesehen von der Versorgung durch eingetragenen Organisationen wie der IOM und dem DRC, indirekt erschwert. Denn, wer offiziell als Tourist*in im Land ist, riskiert den Entzug der Aufenthaltserlaubnis, wenn die unterstützende Person bei der Arbeit “erwischt” wird. Reparaturarbeiten in Squats, das Liefern von Holz und das Verteilen von Lebensmitteln und Hygieneprodukten muss daher unter dem Polizeiradar geschehen.

Diese Anhäufung an rassistisch-diskriminierenden Regelungen erschwert das Leben und Überleben für PoM im bosnischen Grenzgebiet erheblich. Es trägt zur Zermürbung durch unmenschliche Behandlungen bei und forciert die Herabwürdigung von Schutzsuchenden.

Trotzdem soll ein neues Projekt entstehen, das die Lücken der Repressionsnetze nutzen will.
Aktivist:innen wollen im unmittelbaren Grenzgebiet ein Haus kaufen und dieses unter dem Deckmantel eines Campingplatzes als Support-Basis für Schutzsuchende nutzen. Eigentum kann ein Schutzinstrument gegen polizeiliche Repressionen sein, da die Polizei nur bedingt und unter strengen Voraussetzungen Zugriff auf Privatgrundstücke hat. Auf dem Gelände sollen Toiletten und Duschen entstehen, die PoM können das WLAN-Netz des Hauses benutzen und sie können ihre Handys laden. Außerdem soll ein “Kiosk” die Versorgung mit Lebensmitteln im abgelegenen Grenzgebiet erleichtern. Auch die lokale Bevölkerung, von denen Teile ebenfalls unter der Armutsgrenze leben, sollen von dem Kiosk profitieren und dort günstig Lebensmittel erhalten können.

Der Plan steht, doch noch fehlt das Geld. Um Haus und Grundstück zu kaufen werden 25.000€ gebraucht. Umbau und Renovierungen werden weitere 10.000-15.000€ kosten. Jede Spende zählt und wir freuen uns über jede Unterstützung!

Spendenkonto: Marita Fischer (Fröbelweg 12; 42781 Haan; Deutschland) | IBAN: DE46 1101 0101 5747 0535 31 | Verwendungszweck: Haus B

Flyer Spendenaufruf Haus B

Konsens über die überraschende Machtübernahme durch die Taliban

Die Afghan*innen sind einem unvorstellbaren Gewaltregime ausgesetzt. Viele zeigen sich erstaunt darüber, dass die Taliban in Afghanistan so schnell die Macht erobern konnten. Dabei war lange angekündigt, dass die USA abziehen würden. Zwischen den einflussreichen Mächten herrschte ein Konsens darüber, die Taliban an der Macht zu beteiligen. Die Frage bleibt mehr wie als ob.

Regional steht Pakistan seit den 90ern öffentlich dazu, die afghanischen Taliban zu unterstützen. Der Iran pflegt seit 2005 gute Kontakte zu ihnen. Seitens der Grossmächte lädt der Kreml Talibanvertretende nach Moskau ein und in Kabul trifft sich der russische Botschafter ebenfalls regelmässig mit ihnen. Ähnliches gilt für China. Russland wirft den USA vor, mit dem Truppenabzug bezwecken zu wollen, dass islamistische Kräfte in Afghanistan nun Zeit und Ressourcen haben, um ihre Freunde in Zentralasien zu unterstützen und dort die Gegend zu destabilisieren. Dies wäre eine denkbare Erklärung für den Abzug der USA.

Während zwei Jahrzehnten feierte der militärisch-industrielle Komplex der USA Hochkonjunktur. Söldner*innenfirmen, Waffen- und Munitionsindustrie und Zulieferfirmen – von nationalem Interesse – verdienten Millionen mit der Entwicklung, Produktion, Lieferung, Wartung usw. von allem, was für die Besatzung und den Krieg gegen die „Achse des Bösens“ nötig sei. Mit der Anerkennung der „Bösen“ als Verhandlungspartner gelangen Gefangenenaustauschdeals. 2018 starteten dann wirkliche Verhandlungen, die am 29. Februar 2020 in einen Vertrag zwischen den USA und den Taliban mündeten. Darin verpflichteten sich die USA zum Truppenabzug. Die Taliban sollten sich im Gegenzug politisch mit der bestehenden Regierung arrangieren beziehungsweise Verhandlungen eröffnen und falls möglich auf Gewalt verzichten.

Dass die Eroberung des Landes hingenommen werden sollte, zeigte sich aber nicht nur an der wachsenden Anerkennung der Taliban, sondern auch daran, dass bewusst in Kauf genommen wurde, dass die afghanische Armee nach dem Truppenabzug nicht wehrhaft war. Mit den US-Truppen gingen auch die US-Hightechwaffen und das (in US-Firmen privatisierte) Wissen, um diese zu bedienen, zu beliefern und zu warten. Dies führte sofort dazu, dass die Luftwaffe ausfiel. Nur diese hielt die Taliban davon ab, die Städte einzunehmen. Als diese Drohung wegfiel, fielen die Städte. Das war voraussehbar. Zuvor war ausserdem auch bekannt, dass es den Taliban vielerorts gelang, mittels Korruption die staatliche Armee zu kaufen oder, dass Kampfeinheiten oppositioneller Kriegsfürsten, die lange gegen die Taliban gekämpft hatten, von der Regierung inkl. den USA nicht mehr unterstützt wurden. All dies und der Umstand, dass die Regierung nicht über ein breit überzeugendes Projekt verfügte, als die USA abzogen, verbreitete eine starke Demotivation, zu kämpfen. Auch diese war allen bekannt, als die USA entschieden, das Land zu verlassen.

Die Taliban können sich nun als die Gewinner eines 20-jährigen Krieges gegen eine Grossmacht feiern. Ihre Macht bleibt aber relativ, denn ihnen fehlen die finanziellen Ressourcen. Die afghanischen Staatsreserven lagern in den USA. Diese Gelder sind im Moment eingefroren. Auch der IWF und die Weltbank haben ihre Kredite eingefroren. Das Land steht finanziell gesehen also nach wie vor unter Kontrolle der USA. Die Einnahmen aus Drogenhandel (Heroin, Opium), Rohstoffraub (Edelsteine, Lycium) und die Spenden von privaten und staatlichen Sympathisant*innen reichten für den Krieg. Um den Staat nachhaltig zu finanzieren, reicht es wohl nicht.

Um in Afghanistan zu herrschen, werden sich die Taliban wohl verkaufen. Die Frage ist, an wen. Die Chancen stehen gut, dass sie Käufer*innen finden. Sie bieten gefragte Güter an: Kontrolle über ‘Flüchtlingsströme’, islamistische Netzwerke, sowie Drogen und Rohstoffe. Den USA können sie in Aussicht stellen, die Al Quaida besser im Griff zu halten, als die vorherige Regierung. Russland oder China können sie anbieten, die islamistische Opposition in deren Einflussgebieten zu kontrollieren. Mit der Schweiz und Europa lassen sich bekanntlich Deals abschliessen, wenn die Migrationsbekämpfung vor Ort z.B. über Camps in Pakistan oder Iran gefördert wird.

Keiner der mitmischenden Mächte geht es um Solidarität, Freiheit oder gleichen Rechten und Würde für alle. Diese Perspektive bleibt uns überlassen. Lasst uns verstärkt für sie einstehen, indem wir nicht nur die Taliban verteufeln, sondern auch all jene, die mit ihnen zusammen diese Welt beherrschen.

Wo gabs Widerstand?

Solicamp4Moria fordert KKS zum Handeln auf

Das zweite Solicamp for Moria fand im Heimatort der Justizministerin Karin Keller-Sutter statt. Sie wurde aufgefordert, die Türen zur Schweiz für Menschen auf der Flucht zu öffnen.

Tausende Menschen leben an den europäischen Aussengrenzen in ländlichen Lagern, in denen maximal ihre Grundbedürfnisse nach sauberen Toiletten, Wasser, Nahrungsmitteln und Sicherheit gewährleistet werden. Diese Struktur möchte ein Kollektiv aus der Ostschweiz mit der Aktionsform Solicamp sichtbar machen.

Die Verantwortung seitens der Schweiz, dass Menschen in Lager wie Moria kommen und dort gelassen werden, trägt Karin Keller-Sutter. Passant*innen und Aktivist*innen schrieben am Samstag Nachrichten an die Justizministerin, die auf einer riesigen Postkarte zusammengefasst wurden. Diese wurde am Sonntagmittag am Haus von Karin Keller-Sutter in Wil überreicht.

Es wäre überraschend gewesen, hätte sie sie entgegen genommen. Auch ohne ihre Reaktion ist es wichtig und wertvoll, abseits der grossen Städte Präsenz zu zeigen.

http://solicamp4moria.ch

Die Postkarte an Karin Keller-Sutter auf dem Weg zu ihrem Wohnhaus in Wil.
Die Postkarte an Karin Keller-Sutter auf dem Weg zu ihrem Wohnhaus in Wil.

Was steht an?

Sponsoringlauf für Solidarität mit geflüchteten Menschen in Luzern
Jetzt Sponsor*innen suchen und anmelden!
04.09.2021 – Lidowiese, Lidostrasse, Luzern
Das Anmeldeformular und alles Weitere findest du auf solinetzluzern.ch/solilauf
 
enough. – Aktionstage zu Migrationskämpfen und antirassistischem Widerstand
enough. ist eine Plattform, ein Treffpunkt, eine Bühne, eine Informationsstelle, ein Austauschort. Wir schaffen Raum, um antirassistische Intitativen und den Widerstand gegen das Migrationssystem sichtbar zu machen.
6.-12.09.2021 – Parkplatz, Zürich, Parkplatz und weitere Orte
 
Abolish Frontex – Demonstration in Zürich
Gemeinsam auf die Strasse gegen das Grenzregime! Solidarität mit migrantischem Widerstand gegen Frontex, das Campsystem und Auschaffungen.
Freitag, 10. September 2021, 19 Uhr, Landesmuseum Zürich
 
Diskussionsabend Fiasko
Im Juli erschien die 7. Ausgabe des Magazin Fiasko – critical intervention against migration regimes.
Sonntag, 12. September 2021, 16 Uhr, Kurdischer Verein Komel, Elsässerstrasse 215, Basel
 
 

In eigener Sache

Blattkritik für die Wochenschau verfassen
Die Aktionstage enough (aktionstage-enough.ch) stehen vor der Türe. antira.org wird vom 6. September – 12. September in Zürich mit einem Stand mit dabei sein. Hierfür fänden wir es toll, wenn uns Menschen im Vorfeld eine Art Blattkritik (max. 1 A4 Seite, 14 Schriftgrösse) zusenden (antira@immerda.ch).
Wir möchten eine Stellwand mit Kritik und Anregungen tapezieren, um zu weiteren Rückmeldungen anzuregen. Magst du bei dieser Idee mitmachen? Du darfst direkt ehrlich solidarisch reinfetzen 🙂 Ob du eine einzelne Ausgabe ins Visier nimmst oder dich allgemein hältst, ist dir überlassen. Zur Anregung ein paar allgemeine Fragen: Was wollte ich schon immer mal über die Wochenschau sagen? Was gelingt ihr? Was soll endlich enden? Was wäre anders, wenn es sie nicht gäbe? Was sollte sie besser (nicht) auf den Punkt bringen? Wo liegt noch Potential für die Wochenschau? Wir freuen uns auf eure Beiträge.

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Keine Chance auf Asyl
Zwei politisch Verfolgte aus der Türkei scheitern an kaum nachvollziehbaren Entscheidungen der deutschen Behörden. Sinem Mut und Anıl Kaya waren in der türkischen Opposition aktiv und wurden wegen absurder Terrorvorwürfe angeklagt. Sie flohen nach Deutschland, wo ihnen kein Asyl gewährt wird – das deutsche Asylrecht ist ausgehöhlt.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155830.bleiberecht-keine-chance-auf-asyl.html
 

Theologen warnen vor rechtsradikalen Christen-Gruppierungen
Rechtes Christentum gibt es nicht nur in den USA. Auch in Europa wirken Rechte unter christlichen Vorzeichen. Ein neues Buch klärt auf.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/neuer-sammelband-theologen-warnen-vor-rechtsradikalen-christen-gruppierungen