BAZ-Baustelle brennt in Genf, Mussolinis Ehrendoktortitel wankt in Lausanne, Stop Isolation und Antifa präsent auf den Strassen

Das Bündnis “Stop Isolation Bözingen” mit ihrer klaren Forderung: “Wir bleiben in Biel”.

Was ist neu?

Grand-Saconnex: Grossbrand auf der Baustelle des geplanten Bundesasylcamps

Gleich neben der Startbahn des Genfer Flughafens lassen die Behörden ein riesiges Abschiebezentrum bauen. Die Eröffnung wird nun verzögert. Im Dachgeschoss sind mehrere Gasflaschen explodiert, was einen Grossbrand ausgelöst hat. Augrund der Rauchwolke musste gar der Flugverkehr gesperrt werden. Ob es sich um eine politische direkte Aktion gegen das Bundesasylcamp handelt, ist unklar.

Die Bundesasylcamp-Baustelle brennt gut.
Die Bundesasylcamp-Baustelle brennt gut.

250 Menschen will das SEM in diesem Bundesasylcamp isolieren, um sie einfach und effizient abschieben zu können. Der Ort spricht Bände über den strukturellen Rassismus. Die Menschen müssen direkt neben der Startbahn des Flughafens darauf warten, per Sonderflug zwangsabgeschoben zu werden. Die Kosten für den Bau werden auf 25 Millionen Franken geschätzt.

Der Entscheid, das Camp zu bauen, wurde 2015 getroffen. Seither gibt es Widerstand. 2019 hatte der Genfer Grosse Rat eine Motion angenommen, die die Regierung aufforderte, auf den Bau zu verzichten. 2021 wurde dann eine Petition mit 4400 Unterschriften eingereicht. Es ist zu hoffen, dass das Feuer den Widerstand gegen das Bundesasylcamp stärkt.

https://www.20min.ch/fr/story/enorme-incendie-dans-la-zone-de-laeroport-de-geneve-872259752364
https://www.letemps.ch/suisse/geneve-un-incendie-retardera-louverture-dun-centre-federal-dasile-controverse

Was ist aufgefallen?

Türkei: Rückführungen auf besetzte Gebiete in Nordsyrien geplant

Die Türkei plant die Rückführung von bis zu einer Million geflüchteter Syrier*innen. Diese sollen auf besetzten Gebieten in Nordsyrien untergebracht werden – deren einstige Bewohner*innen von Erdogans Armee ebenfalls vertrieben wurden.

In solchen Lagern sollen die syrischen Geflüchteten untergebracht werden.
In solchen Lagern sollen die syrischen Geflüchteten untergebracht werden.

Seit Januar hat die Türkei bereits 28 581 Menschen ausgewiesen. Dies entspricht einer Zunahme von 70% im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr. Dies dürfte aber erst der Anfang sein. Die Regierung in Ankara plant im grossen Stil die Rückführung von geflüchteten Menschen. Insgesamt leben mindestens vier Millionen Geflüchtete in der Türkei, mehr als 3.7 Millionen davon stammen aus Syrien. Ein Teil davon soll nun nach Nordsyrien umgesiedelt werden. Dort hatte Erdogans Armee und von ihr unterstützte Milizen zuvor während des syrischen Bürgerkrieges die lokale, grösstenteils kurdische, Bevölkerung vertrieben.

Die selbstverwalteten, multi-ethischen Gebiete in Nordsyrien waren Erdogan schon seit der Entstehung ein Dorn im Auge. Mit dem Projekt der «freiwilligen Rückführungen» setzt er sein Projekt des Bevölkerungsaustausches weiter fort. Gleichzeitig hat der Rassismus gegenüber Syrier*innen in der Türkei stark zugenommen. Die faschistische Gruppierung Graue Wölfe greift regelmässig syrische Geschäfte an, in Ankara gab es Angriffe auf Privatwohnungen. Türkische Politiker*innen fordern aufgrund der Wirtschaftskrise die syrischen Geflüchteten auf, die Türkei zu verlassen und in ihre Heimat zurückzukehren.

Doch Syrien ist kein sicheres Rückkehrland. Bereits 2019 hat Amnesty International der türkischen Regierung die illegale Deportation syrischer Geflüchteter vorgeworfen. An ihre Herkunftsorte können die allermeisten Menschen nicht zurückkehren. Darum baut die türkische Regierung auf völkerrechtswidrig besetztem Land in Nordsyrien Lager, in die sie die Syrier*innen zurückschaffen will. Finanziert werden diese auch mit EU-Geldern, welche der Türkei im Rahmen des «Flüchtlings-Deals» und der Rolle als «europäischer Türsteher» zugesprochen wurden. Mit dieser Strategie schürt die Regierung in Ankara weitere Ressentiments in Nordsyrien und befeuert den Rassismus im eigenen Land. Solange Kriegstreiber wie Erdogan und Assad an der Macht sind und die EU weiter an ihrem Fort Europa baut, wird es keinen Frieden in der Region geben können.

https://www.heise.de/tp/features/Freiwillige-Rueckfuehrungen-aus-der-Tuerkei-Neues-Gaza-in-Nordsyrien-7103641.html?seite=all
https://www.ansamed.info/ansamed/it/notizie/rubriche/cronaca/2022/05/24/turchia-espulsione-migranti-aumentata-del-70-in-un-anno_b47f7488-9d6f-4d21-bd41-cd2f2353524e.html

Was nun?

Lausanne: Petition will Mussolini die Ehrendoktorwürde aberkennen
1937, als das faschistische Regime in Italien bereits 15 Jahre bestand, zeichnete die Universität Lausanne den Faschisten Diktator Benito Mussolini mit der Ehrendoktorwürde aus. Er habe in Italien eine soziale Organisation entworfen und verwirklicht, welche die soziologische Wissenschaft bereichern würde. Nun wurde in Lausanne eine Petition gestartet, damit die Universität Lausanne endlich diese Ehrendoktorwürde widerruft.

Mussolini: 1922 ein gerngesehener Gast im Hotel Beau-Rivage in Lausanne.
Mussolini: 1922 ein gerngesehener Gast im Hotel Beau-Rivage in Lausanne.

Zum Zeitpunkt dieser Auszeichnung war Italien geprägt von der Zerstörung der repräsentativen Demokratie, der Unterdrückung der politischen Opposition und von politischer Gewalt. “Im November 1936 besiegelte das faschistische Regime Italiens ein Bündnis mit dem Nationalsozialismus, das als Achse Rom-Berlin bekannt wurde. Im März 1937 hatte die italienische Armee bereits schreckliche Verbrechen in Äthiopien verübt (u.a. massiver Einsatz von Kampfgas, Massaker an der Bevölkerung). Und dies ist nur eine der vielen Facetten eines europäischen Faschismus, der auf zynische Weise – wie es die Begleitdokumentation zum Doktortitel vorhersagte – eine tiefe Spur in der Geschichte hinterlassen hat”, heisst es in der Petition.

Die Uni Lausanne stellte sich bis anhin auf den unhaltbaren Standpunkt, dass historische Ereignisse nicht ausgelöscht werden sollen und der Titel daher weiterbestehen solle. Hierzu sagt die Peititon: “Historische Ereignisse können und müssen ständig vertieft und neu interpretiert werden, damit sie für die nachfolgenden Generationen zu einer Quelle des ständigen Lernens werden. Diese ständige Neuinterpretation kann und muss auch zu Entscheidungen über in der Vergangenheit getroffene Massnahmen führen. Auf diese Weise kann man sich bei den Opfern vergangener Missbräuche entschuldigen, die Opfer vergangener Verbrechen entschädigen oder jene rehabilitieren, denen in der Vergangenheit Unrecht widerfahren ist.” Statt Mussolini sei Jean Wintsch zu würdigen, der sich seinerzeit gegen diese Auszeichnung ausgesprochen hatte.

Was schreiben andere?

Polen: Hungerstreik kurdischer Menschen im Untersuchungsgefängnis Lesznowola
  • Am 4. Mai 2022 sind wir, 10 kurdische Menschen, im Untersuchungsgefängnis in Lesznowola, Polen in einen Hungerstreik getreten. Wir fordern eine Verlegung in ein offenes Zentrum, Zugang zu unabhängigen Psycholog*innen, medizinische Versorgung und faire Behandlung. Seit Freitag haben bereits vier Interventionen von Parlaments-Abgeordneten stattgefunden, in denen der Grenzschutz zur Aufnahme von Verhandlungen aufgefordert wurde. Trotz des Ablaufs der Frist, innerhalb derer der Grenzschutz verpflichtet ist, auf eine parlamentarische Intervention zu reagieren, haben die Behörden der SOC Lesznowola nicht geantwortet.

    Da noch immer keine Bereitschaft zu Gesprächen besteht, sind wir am 28. Mai in einen Trockenstreik übergetreten. Damit verweigern wir jede Flüssigkeit. Bislang mussten 4 Personen während des Streiks ins Krankenhaus eingeliefert werden. Einige von uns Streikenden befinden sich seit 8 Monaten im Gefängnis, und die Haft kann jederzeit verlängert werden. Die meisten von uns sind politische Geflüchtete, die inhaftiert wurden und sowohl in den Ländern, aus denen wir geflohen sind, als auch in Belarus Gewalt erfahren haben. Doch die polnischen Grenzschutzbeamt*innen verhalten sich, als gäbe es gar keinen Streik.

    Als Bedingung zur Beendigung des Hungerstreiks fordern wir seit Beginn:

  • Zugang zu Psycholog*innen und Durchführung psychologischer Beratungen durch unabhängige Fachleute sowie die Ausstellung von Gutachten für alle 10 Streikenden (jeder von uns hat Traumata und Fluchterfahrungen).
  • Sofortige Entlassung derjenigen aus der Haft, deren Gesundheitszustand eine Unterbringung in Einrichtungen nicht zulässt.
  • Frühere Forderung: Zulassung von Mediator*innen von NGOs in das Untersuchungsgefängnis am 24.05.2022. Wenn die Mediatoren nicht hineingelassen werden, gehen wir in einen Trockenstreik über und werden auch kein Wasser annehmen. Dies ist nun eingetreten.
  • In Bezug auf grundlegende Menschenrechte fordern wir, dass unabhängige Psychologieprogramme in allen SOCs eingeführt werden, dass unabhängige Organisationen den Prozess der Legalisierung des Aufenthalts in Polen unterstützen sowie ein Stopp der Abschiebehaft und die sofortige Aufhebung der ‘Einreiseverbotszone’ im polnisch-weissrussischen Grenzgebiet.

Wo gabs Widerstand?

Biel: Solidemo und Kritik-Picknick von Stop Isolation Bözingen

In Biel fand heute ein Aktionstag zur Forderung „Wir bleiben in Biel“ statt. Aufgerufen hatten „Stop Isolation Bözingen“ – eine Gruppe in der sich Bewohner*innen des Rückkehrcamps Bözingen organisieren – zusammen mit dem Migrant Solidarity Network. Am Mittag startete eine Solidemo in der Bieler Innenstadt und führte zum leerstehenden ehemaligen Altersheim „Oberes Ried“, wo ein „Kritik-Picknick“ stattfand. Der Ort könnte ein mögliches Zuhause bieten.

Das Bündnis "Stop Isolation Bözingen" mit ihrer klaren Forderung: "Wir bleiben in Biel".
Das Bündnis “Stop Isolation Bözingen” mit ihrer klaren Forderung: “Wir bleiben in Biel”.

Die Mobilisierung ist eine Antwort an den Bieler Gemeinderat. Dieser hat noch vor wenigen Tagen eine unsolidarische Haltung eingenommen, indem er sich hinter Paragraphen versteckt. In einer Antwort auf zwei Petitionen behauptet er, dass nicht er, sondern der Kanton zuständig für Unterbringungsfragen sei. Dabei hätte die Stadt Biel eindeutig einen Spielraum – das zeigte der Gemeinderat zuletzt gegenüber von Geflüchteten aus der Ukraine, denen er proaktiv solidarisch hunderte Plätze anbot. Unsolidarisch ist er gegenüber Menschen des Rückkehrcamps Bözingen, denen er keinen Platz anbietet. Dabei steht beispielsweise das ehemalige Altersheim „Oberes Ried“ seit zwei Jahren leer. Der Kampf gegen die Isolation der Bewohnenden des Rückkehrcamps Bözingen geht mit der heutigen Aktion in die nächste Runde. Um weitere Transfers von Menschen zu verhindern, braucht es mehr Druck, mehr Solidarität, mehr Kritik.

Das Rückkehrcamp Bözingen schliesst Ende Juni. Die alleinstehenden Frauen und die Familien mit deutschsprachigen Kindern wurden bereits nach Enggistein in einem sehr abgelegenen Camp transferiert. Verschiedene Personen wurden in Administrativhaft isoliert. Die alleinstehenden Männer erhielten die Information, dass sie mit grösster Wahrscheinlichkeit in dem unwürdigen und abgelegenen Rückkehrcamp Ins/Gampelen isoliert werden. Der Ort hat eine zermürbende Wirkung. Erst vor ein paar Monaten noch kam es im Camp Ins/Gampelen zu einem mutmasslichen Suizid.

Die Forderung „Wir bleiben in Biel“ bleibt aktuell. Der Gemeinderat darf sich nicht nur mit Ukrainer*innen, sondern muss sich allgemein solidarisch zeigen. Das leere Altersheim „Oberes Ried“ soll den Menschen vom Camp Bözingen als private kollektive Unterbringung zur Verfügung gestellt werden. Es braucht in Biel kein weiteres ORS-betriebenes Camp, sondern ein Zuhause mit Privatsphäre und Selbstbestimmung.

https://migrant-solidarity-network.ch/2022/05/29/biel-solidemo-und-kritik-picknick/
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/05/26/bieler-gemeinderat-will-menschen-des-rueckkehrcamps-boezingen-im-stich-lassen/

Bern: Antifaschistische Demo

Gestern versammelten sich über 200 Menschen am Berner Hauptbahnhof zur antifaschistischen Demo. Eine von vielen Aktionen im Rahmen der Antifa-Rally des Bündnis gegen Rechtsabbiegen.

Die Demonstration war Teil der zweiwöchigen Antifa Rally. Die Demo, zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen machten auf die Diskriminierungen innerhalb des erstarkenden nationalistischen Klimas aufmerksam.

Im Communiqué zur Demo hiess es: “Der Faschismus bedroht alles, das seinem Weltbild nicht entspricht und ganz besonders diejenigen, welche er als seine Feindbilder bezeichnet. So hetzt er beispielsweise gegen Transpersonen, queere Menschen, Menschen mit Beeinträchtigung, Geflüchtete oder Jüd*innen.
Die Demonstration bot eine Plattform, um die weltweit erstarkende Kriminalisierung von Abtreibungen, die rassistische Abschottung Europas, die homo- & transfeindliche Haltung der Familie Läderach, die Angriffe auf die zehnjährige Revolution unserer Genoss*innen in Rojava und die wachsende Repression durch den Staat zu thematisieren. Dies sind nur ein paar Beispiele von faschistischen Auswirkungen, welche die Notwendigkeit von antifaschistischem Widerstand zeigen!”

Was steht an?

Demo: Gleiche Rechte für Drittstaatsflüchtlinge aus der Ukraine
4.6.2022 | 16:00 | Bern, Waisenhausplatz

“On the 4rth of June there is a Demonstration taking place in Bern, which demands equal rights for all refugees from Ukraine. Refugees, that have no ukrainian passport are unfortunately often hindered on their escape and are denied the Status S in Switzerland. Both are expressions of a racist migration policy. The association ‘Society Moko’ is therefore calling for a demonstration in Bern!”
https://instagram.com/society_moko

Veranstalung: Lutter Aujourd’hui – Antirassismus und Polizeigewalt
3.6.2022 | 18:00 | Lausanne, Pôle Sud (Centre socioculturel de l’Union Syndicale Vaudoise)
Im Rahmen des Projekts Lutter Aujourd’hui bietet Pôle Sud in Zusammenarbeit mit Outrage Collectif und Collectif Kiboko einen Abend und eine Matinee zu den transversalen Fragen an, die die Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen und Rassist*innen in der Schweiz aufwirft. Freitag.

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Die Wallis-Connection deutscher Neonazis
Ein deutscher Neonazi steht wegen Raub und Körperverletzung vor Gericht. Der Mann pflegt intensive Kontakte im Wallis.
https://www.srf.ch/news/international/rechtsextremismus-die-wallis-connection-deutscher-neonazis
Rundschau (ab 12:43): https://www.srf.ch/play/tv/sendung/rundschau?id=49863a84-1ab7-4abb-8e69-d8e8bda6c989
https://www.woz.ch/2221/rechtsextremismus/die-zwei-leben-des-silvan-g

Die territoriale Logik herausfordern. Ein Gespräch über Flucht und Exil
Der russische Angriff auf die Ukraine hat Europa abermals mit einer Fluchtbewegung konfrontiert, die Millionen von Ukrainer*innen inner- wie ausserhalb ihres Landes betrifft. Till Breyer spricht mit dem Exilforscher Alexis Nuselovici über das Verhältnis Europas zur Fluchtmigration, den Krieg und die politischen Widersprüche der Gegenwart.
https://geschichtedergegenwart.ch/16408-2/

Fotojournalist Klaus Petrus war eine Woche lang auf der Balkanroute unterwegs. Hier sein Tagebuch:
Die Vergessenen von Bihać

Kürzlich ist der Bieler Fotojournalist Klaus Petrus für seine dokumentarische Arbeit auf der Balkanroute ausgezeichnet worden. Exklusiv für work war er jetzt wieder dort, wo bis heute fast 100’000 Migrantinnen und Migranten aus dem Nahen Osten und den nordafrikanischen Ländern auf ihrem Weg nach Westeuropa durchkommen. In der Stadt Bihać. Von dort versuchen sie, die Grenze zur EU zu überqueren, immer und immer wieder. Ein grausames Glücksspiel. Petrus hat mit den Menschen auf der Flucht gesprochen.
https://www.workzeitung.ch/2022/05/die-vergessenen-von-bihac/