Plattgemacht nach Polizeiräumung, Verurteilung nach Fasnachtsrassismus, Flucht nach Notlandung

Mahnwache für Oury Jalloh vor der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin am 7.1.2021
Themen
  • Bosnien: „Sie zerstören alles und reissen die Zelte ab“
  • Neue Dokumente zum EU-Migrationspakt und die alte Logik: Abschottung
  • Wenn das SEM sagt, was das Leben in der Schweiz ausmacht
  • Fluchtrouten: Zahlreiche maritime Notfälle, Pushbacks aus Griechenland, Toter auf Evros
  • Grenzzäune: People on the Move erfrieren an der polnisch-belarussischen Grenze
  • Kein Vergessen! Vor fünf Jahren ermordete die Polizei Hervé Bondembe Mandundu
  • SVP-Brandstetter wegen Rassendiskriminierung an der Fasnacht verurteilt
  • So geht es auch: Migrant*innen legen den Flughafen auf Mallorca lahm
  • Neues Gutachten bestätigt: Oury Jalloh wurde ermordet

Was ist neu?

Bosnien: „Sie zerstören alles und reissen die Zelte ab“
In Velika Kladuša im bosnischen Grenzgebiet zu Kroatien räumte die Polizei eine selbstorganisierte Zeltstadt von People on the Move (PoM). Die Polizei setzte sogar Tracks ein. Dann zwang sie die PoM in Busse. Alleinstehende Männer wurden in das Lager Miral in Velika Kladuša und Familien in das Lager Borici in Bihac sowie ein Lager in Sarajevo – da Borici zu voll war – gefahren. Die Polizei verhindert einmal mehr die Bewegungsfreiheit der PoM.
 

Die meisten PoM wollen nicht in Bosnien bleiben. Besonders jetzt, da der Winter vor der Türe steht. Jene, die die Kraft und die Mittel haben, versuchen ein letztes Mal vor dem Schnee weiterzureisen. Daher werden die meisten Vertriebenen auch diesmal die staatlichen Camps verlassen, um wieder an die Grenze und von dort aus über Kroatien Richtung Westeuropa zu gelangen.

Über Gelder für die bosnische Polizei und deren Ausrüstung fördert die EU solche gewaltvollen Räumungen. Für die nach Bosnien ausgelagerte Gewalt wird die EU rechtlich kaum wirksam belangt werden können. Es liegt an uns, das europäische Grenzregime mit unseren verantwortungsbewussteren, freiheitsliebenden Perspektiven und wahrhaft solidarischen, entschieden-antirassistischen Kämpfen für die Bewegungsfreiheit herauszufordern.

https://theborderstartshere.com/2021/10/29/new-evictions-in-north-west-bosnia-herzegovina/

Ein Bulldozer zerstört die von People on the Move (PoM) errichteten Gebäude.
Ein Bulldozer zerstört die von People on the Move (PoM) errichteten Gebäude.
Neue Dokumente zum EU-Migrationspakt und die alte Logik: Abschottung

Neu veröffentlichte Dokumente zur Operationalisierung des EU-Migrationspakts erzählen über Hintergrundaktivitäten der EU gegenüber Libyen, Marokko, Niger und Tunesien. Die Strategie bleibt die gleiche, wie sie seit Jahren verfolgt und auch im EU-Migrationspakt festgehalten wird: Externalisierung des Grenzregimes, Abschottung und die Förderung von Ausschaffungen.

Vor über einem Jahr hat die EU-Kommission den «Neuen Pakt zu Migration und Asyl» vorgelegt – ein zutiefst rassistisches Papier. Grundpfeiler sind Abschreckung bereits in den Herkunftsländern, Abschottung durch mehr Grenzsicherung und die Förderung von Ausschaffungen. Auch sollen Asylabklärungen direkt an den EU-Aussengrenzen stattfinden. Dies schlägt die sogenannte Screening-Verordnung vor.

Diese abschottenden Mechanismen ordnet der «Neue Pakt zu Migration und Asyl» drei Ebenen zu: Das sogenannte «Grundgeschoss» soll die Zusammenarbeit mit Drittstatten sein, um die Externalisierung des Grenzregimes voranzutreiben. Die EU-Kommission spricht in diesem Zusammenhang absurderweise davon, eine «Win-Win-Situation» zu schaffen. Das «Mittelgeschoss» behandelt die Sicherung der Aussengrenzen. Kurz: Mehr Frontex, mehr Rückschiebemechanismen und nochmals mehr Frontex. Zuletzt soll das «Obergeschoss» die Lastenverteilung zwischen den EU-Migliedstaaten klären, um eine «Überlastung» von Erstaufnahmeländern zu verringern. Diese Wortwahl zeigt bereits das grundlegend falsche Narrativ des EU-Paktes: Nicht Migration und Flucht sind das Problem, sondern der menschenverachtende Umgang Europas damit.

Seit September 2020, als der EU-Migrationspakt erstmals vorgelegt wurde, ist in dieser Hinsicht wenig geschehen. Ab und zu trafen sich die EU-Kommissionsmitglieder zum Streit: Die Visegrád-Staaten mit Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn wollen keine Migrant*innen aufnehmen, für die am Mittelmeer liegenden Staaten ist die Verteilung auf alle EU-Staaten ein Hauptanliegen. Währenddessen baute Griechenland gefängnisähnliche Lager, Grenzbeamt*innen schickten Geflüchtete zurück und hunderte von Menschen ertranken im Mittelmeer.

Vor diesem Hintergrund ist es auch wenig überraschend, was neu veröffentlichte Dokumente der EU-Kommission über Hintergrundaktivitäten der EU gegenüber Libyen, Marokko, Niger und Tunesien erzählen – also das, was der EU-Migrationspakt als «Grundgeschoss» bezeichnet.

Niger: Angesichts der zunehmenden Unsicherheiten in der Sahel-Region strebe die EU-Kommission einen Schulterschluss von EUCAP Sahel Niger, EUBAM Libya und Frontex an. Dazu schreiben sie in dem Dokument: «Niger bleibt ein wichtiger Partner in der Sahelzone, wenn es um die Bewältigung der Migration geht, insbesondere als Transitland von Westafrika nach Libyen und Algerien und weiter zum Mittelmeer. Die EU wird sich bemühen, ihre enge Zusammenarbeit mit Niger auszubauen, um die regionalen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Migration und dem Grenzmanagement anzugehen

Lybien: Erstens soll ein «migration-management» und Asylsystem finanziert werden. Ob sich die EU tatsächlich ein Asylsytem in Libyen vorstellt, lässt der Bericht offen. Doch schon nur der Gedanke ist absurd, angesichts der gravierenden Menschenrechtsverletzungen und der Lage geflüchteter Personen in Libyen. Zweitens wird die Stärkung der sogenannten libyschen Küstenwache betont, sprich mehr Ausrüstung und Training. (Über die Rolle der libyschen Küstenwache hat antira.org zuletzt am 18. Oktober berichtet: antira.org/2021/10/18/). Drittens soll das «Team Europe Initiative auf der Zentralen Mittelmeerroute (TEI)» folgende Punkte verfolgen: Gemeinsame Registrierung, Datenaustausch, Transfer in «Detention Centres» – das heisst direkte Kooperation der EU bei der Internierung von Migrant*innen in den libyschen Lagern.

Marokko: Begrüsst wird in diesem Papier die «strategische Kooperation» Marokkos mit Frontex, Europol und EASO, bevor das Papier das Kernproblem anspricht: Die Rücknahme marokkanischer Migrant*innen, wobei sich die EU im Gegenzug an der Rückschiebung subsaharischer Migrant*innen beteiligen würde. Sie schreiben: «Zu diesem Zweck könnte technische Hilfe geleistet werden, um den Aufbau der entsprechenden staatlichen Strukturen zu ermöglichen.»

Auch in Bezug auf Tunesien geht es um dasselbe Thema. In den veröffentlichten Papieren steht: «Die EU ist bereit, die praktische Zusammenarbeit mit Tunesien in folgenden Bereichen zu verstärken: Identifizierung und Dokumentation sowie Rückkehr.» Tunesien solle die Annahme von Rückkehrcharterflügen aus allen EU-Mitgliedstaaten ausweiten. Auch eine Zusammenarbeit mit der Grenzschutzagentur Frontex wird betont: «Die EU wird jede Gelegenheit nutzen, um die Rolle von Frontex zu klären und die tunesischen Behörden mit der Agentur vertraut zu machen.»

Zu Afghanistan, Bosnien und Herzegowina sowie Nigeria wurden inzwischen auch Dokumente veröffentlicht (https://migration-control.info/weitere-eu-dokumente-zur-operationalisierung-des-pakts/). Die Logik bleibt dabei stets die gleiche und verfolgt konsequent, was die EU-Komission als «Grundgeschoss» des Pakts definiert hat: die Externalisierung des Grenzregimes. Menschen, die überhaupt noch in Europa ankommen, müssen es durch ein Netz von Abschottung, Frontex, Grenzgewalt, Pushbacks schaffen – und aufgrund des rassistischen Systems von Nothilfe, Administrativhaft und zuletzt Ausschaffungen ist nicht einmal sicher, ob sie auch bleiben können.

https://migration-control.info/operationalization-of-the-pact-niger-libyen-marokko-tunesien/

Was geht ab beim Staat?

Wenn das SEM sagt, was das Leben in der Schweiz ausmacht
Das SEM richtet sich über eine neue Internetseite an Migant*innen in den Bundesasylcamps. Im Comicstil finden sich auf der Seite Infos, die das SEM wichtig findet. Es geht um Themen wie Asylverfahren, die Bundesasylcamps, Zugang zu medizinischer Versorgung. Ein Themenfeld heisst zudem „Leben in der Schweiz“. Was macht das „Leben in der Schweiz“ in den Augen des SEM aus? Was wird speziell betont?
 
„Eltern sind für ihre minderjährigen Kinder verantwortlich und müssen diese beaufsichtigen.“ Das ist eine der ersten Infos im Bereich „Leben in der Schweiz“. Dass das SEM davon ausgeht, dass Eltern in anderen Weltregionen nicht für ihre Kinder sorgen, ist problematisch und rassistisch. „In der Schweiz müssen Sie vor der Fahrt mit allen öffentlichen Verkehrsmitteln ein Billett kaufen“, heisst es weiter. Auch hier lässt sich fragen, warum das SEM diese Information an zweiter Stelle zum „Leben in der Schweiz“ heraushebt. Es entsteht der Eindruck, Menschen anderer Weltregionen bezahlen ihre Tickets nicht. Dritte Info: „Die Nachtruhe ist in der Schweiz wichtig. Im Allgemeinen gilt sie von 22.00 bis 6.00 Uhr. In dieser Zeit müssen Sie Lärm vermeiden.“ Dann spricht das SEM über das Gesetz: „Die staatlichen Gesetze in der Schweiz gelten für alle Menschen, die hier leben. Männer und Frauen sind vor dem Gesetz gleich.“
 
Wenn vor dem Gesetz alle gleich wären, gäbe es keinen institutionellen Rassismus, der Nicht-Schweizer*innen auf vielfältigste Arten diskriminiert. Da das Gesetz vom SEM idealisiert wird, erstaunt es nicht, dass das SEM dies auch bei der Polizei tut: „Die Polizei hat die Aufgabe, Menschen zu schützen und ihnen zu helfen.“ Das ist Fake News, denn die Polizei beteiligt sich an (Zwangs-) Ausschaffungen und BIPoC werden ständig Opfer von ihrer rassistischen Gewalt. Teilweise kommt es gar zu rassistischen Morden durch die Polizei. „Religion ist eine private Angelegenheit.“ Nochmals Fake News: Religion ist politisch: Es gibt staatliche Diskriminierungen gegen den Islam und staatliche Privilegierung und Finanzierung christlicher Religionen. Und zum Leben in der Schweiz heisst es: „Gewalt ist verboten.“ Geht das SEM wieder davon aus, dass dies eine Schweizer Erfindung ist, die es anderswo nicht gibt?
 
Zusätzlich zu dieser öffentlich zugänglichen Seite gibt es zu jedem Bundesasylcamp noch spezifische Informationen, die nur über das interne W-LAN aufgerufen werden können. Dort geht es unter anderem um die Ausgangszeiten, das Lebensmittelverbot in den Camps und die Taschengeldausgabe.
 

Was ist aufgefallen?

Fluchtrouten: Zahlreiche maritime Notfälle, Pushbacks aus Griechenland, Toter auf Evros
Jeden Tag erreichen uns Berichte von Pushbacks und Gewalt. Jeden Tag gibt es Meldungen von Booten in Seenot, vermissten Personen, vereinzelten Rettungen. Das europäische Abschottungsnetz ist für Menschen auf der Flucht kaum noch zu durchdringen.
 
Die Meldungen von den maritimen Fluchtrouten nach Europa sind so zahlreich, dass sich kaum mehr ein Wochengeschehen vollständig zusammenfassen lässt.
 
In das Holzboot mit 400 Menschen an Bord drang bereits Wasser ein.
In dieses Holzboot mit 400 Menschen an Bord drang bereits Wasser ein.
Zentrales Mittelmeer
Auf dem zentralen Mittelmeer retteten die SEA-EYE 4 und der RISE ABOVE  in der vergangenen Woche innerhalb von 48 Stunden über 800 Menschen von mehreren Booten aus Seenot. Nach tagelangem Warten und Untätigkeit insbesondere der maltesischen Behörden als Reaktion auf die Notrufe bekam die Sea-Eye 4 die sizilianische Stadt Trapani als Sicheren Hafen zugewiesen. Auch die Ocean Viking konnte Menschen retten und wartet mit 314 Überlebenden aus mehreren Rettungen noch immer auf einen Sicheren Hafen.
 
Ägais
In der Ägais vor der türkischen Küste sank ein Boot mit zehn Menschen an Bord. Sieben von ihnen wurden von der türkischen Küstenwache gerettet. Drei vermisste Personen sind vermutlich ertrunken. Ebenfalls in der Ägais feilschten griechische und türkische Behörden über vier Tage hinweg über das Schicksal von etwa 375 Menschen aus Afghanistan, die sich auf einem Schiff unter türkischer Flagge befanden. Der Frachter war auf dem Weg nach Italien, erlitt aber  kurz nach dem Auslaufen aus der Türkei einen Motorschaden und sendete ein Notsignal.
Von der griechischen Ägais-Insel Farmakonisi verschwanden 36 Personen palästinensischer Herkunft. Sie hatten die NGO Aegean Boat Report kontaktiert, als sie mehrere Tage lang in einem Schuppen nahe des Hafens festgehalten wurden. Sie äusserten den Wunsch, Asyl zu beantragen und befanden sich dafür auch auf griechischem Hoheitsgebiet. Bild- und Videomaterial dokumentieren die Anwesenheit eines griechischen Küstenwacheschiffs. Dass die Menschen nun verschwunden sind und auf der Nachbarinsel Leros nicht ankamen, lässt auf einen illegalen Pushback schliessen. Die Behörden hätten aber einmal mehr keine Kenntnis vom Vorfall. Damit auch weiterhin niemand hinschaut, wenn Menschen ihrer Rechte beraubt werden, lehnt der griechische Migrationsminister Menschenrechtsbeobachter*innen an den griechischen Küsten harsch ab.
 
Evros
Regelmässige Pushbacks finden auch am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros statt. Dabei wurde zahlreich dokumentiert, wie Menschen auf einer Insel inmitten des Flusses ohne Versorgung ausgesetzt werden. Jetzt wurde ein weitere Todesfall berichtet: Alaa Muhammad al-Bakri aus Syrien starb laut Berichten eines Freundes am 2. September, nachdem er aus Griechenland zurückgewiesen worden und auf einer Insel mitten im Fluss Evros ausgesetzt wurde.
 
Ärmelkanal
Viele Menschen versuchen weiterhin über den Ärmelkanal hinweg von Frankreich nach England zu gelangen. Alleine am Mittwoch griff die britische Küstenwache 853 Menschen bei dem Versuch auf, die Meeresenge zu überqueren. Von französischer Seite wurden in dieser Woche mindestens 700 Menschen aus Seenot gerettet. Zwei Menschen kamen nach Angaben der französischen Behörden ums Leben, weitere werden vermisst und sind vermutlich ertrunken.
 
Schon heute wird es neue Berichte von den maritimen Fluchtrouten geben. Über Gewalt, Pushbacks, Seenotfälle, Todesfälle. Auch heute werden die europäischen Behörden weiter an der Abschottung arbeiten, um das Netz um den europäischen Kontinent immer undurchlässiger zu machen. Es ist schwer, anhand der hohen Zahlen von Betroffenen nicht die Gedanken an jeden einzelnen Menschen zu verlieren. Jede Person hat einen individuellen Grund, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Und das Recht, hier ein Asylgesuch zu stellen. Bekämpfen wir weiter das menschenverachtende Migrationsregime. Für offene Grenzen. Kein Mensch ist illegal.

 
Grenzzäune: People on the Move erfrieren an der polnisch-belarussischen Grenze

„Ich schreibe dieses Mail im Namen von rund 300 geflüchteten Menschen, die zwischen den Grenzen von Weissrussland und Polen festsitzen und die mit den unmenschlichsten Bedingungen konfrontiert sind. Es gibt viele Kinder und Frauen in der Gruppe, die in einem Waldgebiet ohne Unterkunft, Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung sind. Es ist bekannt, dass mindestens vier Menschen bei dem Versuch, die weißrussisch-polnische Grenze bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt zu überqueren, gestorben sind.“

Dies schreibt eine geflüchtete Aktivistin verschiedenen Kollektiven. Ihre Schwester hat es über die Grenze geschafft und in einem Hospital in Polen Hilfe erhalten. Der Mann der Schwester ist jedoch immer noch in den Wäldern bei der polnischen Grenze. Sie wissen nicht, was mit ihm ist. Die Tochter der Genossin ist an die Grenze gereist. Sie hat keinen Einlass erhalten in das Sperrgebiet. Menschen, die den geflüchteten Menschen helfen, haben Angst vor Repression oder werden aktiv daran gehindert.

Ende September wurde eine Sperrzone eingerichtet. Medizinische Hilfe und der Zugang für Journalist*innen ist nicht möglich. Das ganze Waldgebiet wurde abgesperrt. Über 1’000 polnische Grenzbeamt*innen lassen keine Hilfe zu. Ein Zaun wird gebaut. Was genau im Sperrgebiet geschieht, das erzählen die wenigen People on the Move, die es geschafft haben, irgendwie zu den helfenden Organisationen oder Menschen in Polen oder Belarus zu kommen. Sie erzählen von unzähligen illegalen Push-back-Situationen über die polnisch-belarussische Grenze, von Schlägen, von unterlassener Hilfestellung, von Kälte, Erfrierungen, Hunger und Durst und Erniedrigungen. Ihre Mobiltelefone wurden ihnen abgenommen. Sie haben keine Möglichkeit, nahe stehende Menschen zu kontaktieren. 

Europa schottet seine Grenzen ab. Menschen sterben. Hilfe wird unterlassen. Asyl nicht gegeben. Europa tötet an einem weiteren Ort der europäischen Aussengrenze! 

https://www.youtube.com/watch?v=CVfHminD4U0
https://migrant-solidarity-network.ch/2021/11/07/people-on-the-move-erfrieren-an-der-polnische-belarussischen-grenze-die-eu-baut-zaeune/
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-belarus-123.html
https://www.swissinfo.ch/ger/alle-news-in-kuerze/fluchtroute-belarus–wie-hussein-und-saravan-nach-deutschland-kamen/47024116
https://www.derbund.ch/die-mauer-zu-weissrussland-waere-ein-monument-der-ehrlichkeit-946734158156

https://de.euronews.com/2021/10/30/polen-beschliesst-mauerbau-zu-belarus

 
Kein Vergessen! Vor fünf Jahren ermordete die Polizei Hervé Bondembe Mandundu

Am 6. November 2016 wurde Hervé Bondembe Mandundu in seinem Haus in Bex von einem Polizisten ermordet. Mit scharfer Munition schoss der Polizist in Begleitung von vier anderen ausgebildeten Polizisten drei Kugeln in Hervés Körper, von denen zwei tödlich waren. Bis heute haben sich weder die Polizei noch der Staat bei den Angehörigen entschuldigt. Vor einem Jahr kam es zu einem Scheinprozess, der zu Gunsten des Mörders ausging, der mit 35’000 Franken entschädigt wurde. Kein Vergessen!

https://outragecollectif.noblogs.org/post/2021/11/02/herve-mandundu-5-ans-apres/

Kopf der Woche

SVP-Brandstetter wegen Rassendiskriminierung an der Fasnacht verurteilt
Letzten Mittwoch (3. November) wurde das ehemalige SVP-Mitglied Walter Brandstetter im Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland wegen Rassendiskriminierung an der Fasnacht 2020 in Wangs (St. Gallen) zu einer bedingten Geldstrafe von 8400 Franken verurteilt.

Der Fasnachtsumzug in Wangs 2020 fand zwei Wochen vor den Kantonsratswahlen statt. Walter Brandstetter wollte mit einem Wagen am Fasnachtsumzug teilnehmen, auf dem die Frage „Wie viele ‹N****› brauchen wir in St.Gallen?“ stand. Über dem Satz prangte das Bild des Schwarzen damaligen Kantonsratskandidaten Nirosh Manoranjithan. Als Brandstetter mit dem Wagen in Wangs zum Umzug eintraf, machten ihn die Vertreter*innen der Fasnachtsgesellschaft darauf aufmerksam, dass er mit dieser Wortwahl nicht teilnehmen dürfe, woraufhin er das Wort mit Klebeband abdeckte. Gegenüber der Presse gab Brandstetter dann an, dass das N-Wort für ihn keine negative Bedeutung hätte und es sich bei seinem Satz keinesfalls um eine abwertende Darstellung handle.

Die Staatsanwaltschaft untersuchte den Fall, der nach Art. 261 (Diskriminierung und Aufruf zu Hass) strafbar ist. Art. 261 ist ein Offizialdelikt, das heisst, die Behörden sind verpflichtet, den Sachverhalt zu prüfen und eine Strafverfolgung einzuleiten. Nirosh Manoranjithan selber legte auch eine Privatklage ein.

Die Staatsanwaltschaft forderte eine bedingte Geldstrafe von insgesamt CHF 13’800.-, bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie eine Busse von CHF 2’760.- und die Übernahme der Verfahrenskosten.
Das Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland verurteilte Brandstetter aber nur zu einer Geldstrafe von CHF 8’400.- bedingt mit einer Probezeit von zwei Jahren. Das Gericht begründet den milderen Entscheid unter anderem mit der aktuellen finanziellen Situation von Brandstetter und damit, dass keine Wiederholungsgefahr bestehe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftigt.
Brandstetter hat sich vor Gericht unter anderem mit diesen «Argumenten» selber verteidigt:
-An der Fasnacht ist mehr erlaubt als sonst.
-Er versteht das N-Wort als neutrale Bezeichnung für eine Gruppe von Menschen, nicht als herabwürdigend.
-Er hat das N-Wort in Anführungszeichen geschrieben und für den Fasnachtsumzug abgeklebt.

Hierzu können wir Walter Brandstetter sagen: «Das N-Wort ist eine Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen von weissen Menschen. Das Wort lässt sich nicht von seiner rassistischen Entstehungsgeschichte entkoppeln. Ebenso bezieht sich der Begriff auf die Hautfarbe von Menschen und konstruiert demnach Identität über die Pigmentierung von Menschen». (Tupoka Ogette, Exit Racism). Ebenso entscheidet die Wirkung auf die betroffene PoC, ob etwas rassistisch ist, nicht die Intension hinter der rassistischen Tat. Und schon gar nicht, ob sie während der Fasnacht stattgefunden hat oder nicht.

Was war eher gut?

So geht es auch: Migrant*innen legen den Flughafen auf Mallorca lahm
Ein Flug aus Casablanca nach Istanbul musste in Mallorca zwischenlanden. Grund dafür war ein medizinischer Notfall an Bord. Später stellte sich jedoch heraus, dass der angebliche Kranke gesund sei. Kurz nach der Landung verliessen die Passagier*innen die Maschine, liefen auf das Rollfeld und verschwanden in der Nacht. Zwölf Personen entkamen der Polizei erfolgreich.
Der Flughafen war während drei Stunden lahmgelegt. 27 anfliegende Maschinen mussten zu anderen Flughäfen auf Ibiza, in Barcelona oder Valencia umgeleitet werden, 20 Starts wurden verzögert.
 
Hier seht ihr das Video der Aktion.

Wo gabs Widerstand?

Neues Gutachten bestätigt: Oury Jalloh wurde ermordet

Ein neues Brandgutachten untermauert den Verdacht, dass der Asylsuchende Oury Jalloh 2005 in einer Polizeizelle in Dessau mit Brandbeschleuniger übergossen und von Polizisten angezündet wurde. Nun soll die Staatsanwaltschaft gezwungen werden, das Verfahren neu aufzurollen.

Letzten Mittwoch fand in Berlin eine internationale Pressekonferenz statt, an der die «Initiative in Gedenken an Oury Jalloh» ein neues Gutachten des britischen Brandexperten Iain Peck veröffentlichte. Dieser hatte den Tatort und den Brandverlauf rekonstruiert um zu beweisen, dass Jalloh sich in seiner Zelle nicht selbst in Brand gesteckt haben konnte. Dies ist bis heute die offizielle Version der deutschen Staatsanwaltschaft und der Gerichte. Obwohl bereits bei vergangenen Gutachten und Gerichtsverfahren zweifelsfrei festgestellt wurde, dass es schwerwiegende Mängel bei der Untersuchung des Todes Jallohs gab, wurde der Fall nie richtig neu aufgerollt.

Es ist dem Engagement der privaten Initiative und der Beharrlichkeit vieler Aktivist*innen zu verdanken, dass es nun doch noch zu einer Wende kommen könnte. Sonderermittler hatten in einem 300-seitigen Untersuchungsbericht bereits vor Jahren festgestellt, dass es zahlreiche Fehler auf Seiten der Polizei und anderer Behörden gab. Dennoch weigern sich die Strafermittlungsbehörden bis heute, gegen die verdächtigten Polizisten wegen Mordes zu ermitteln. Das Narrativ der Behörden ist dabei seit Jahren das gleiche: Wir würden ja, aber wir können nicht. Sprich: Solange keine neuen Beweismittel vorgelegt werden, welche den Tatverdacht gegen eine konkrete Person begründen, könnten sie nicht weiter ermitteln. Mag diese Position isoliert betrachtet juristisch auch standhalten, so zeigt sie das strukturelle Problem dahinter ganz deutlich: Dass durch das jahr(zehnte)lang dauernde Verfahren in der breiten Öffentlichkeit mittlerweile der Eindruck entstand, dass der Rechtsstaat formell funktioniert und dass, wenn nach so langer Zeit immer noch keine Beweise vorliegen, die Mordthese wohl doch nicht so ganz stimmen könne.

Dabei hat der NSU-Prozess als prominentestes Beispiel doch eindeutig gezeigt, dass wenn es um die Verschleierung von Straftaten und Versagen bei staatlichen Behörden geht, es ganz viele Wege gibt, ein Verfahren im gewünschten Sinne zu steuern. Solange die Öffentlichkeit weiterhin daran glaubt, dass der Rechtsstaat im Grossen und Ganzen «bei uns» doch funktioniert, lässt sich noch jede Ermittlungspanne, rassistische Polizeigewalt oder im Falle Jallohs sogar Mord mit der entsprechenden Zermürbungstaktik irgendwann unter den Teppich kehren. Hoffen wir, dass es wenigstens dieses eine Mal nicht so ist und Oury Jallohs Tod endlich richtig aufgeklärt wird.

Viele weitere Informationen zum Fall Oury Jalloh und dem aktuellen Gutachten gibt es hier: https://initiativeouryjalloh.wordpress.com

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/dessau/dessau-rosslau/neues-gutachten-tod-oury-jalloh-100.html
https://taz.de/Fall-Oury-Jalloh/!5809374/
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158292.polizeigewalt-neues-gutachten-im-fall-jalloh.html
https://www.jungewelt.de/artikel/413816.tod-in-gewahrsam-mord-durch-verbrennen.html
https://www.tagesspiegel.de/politik/verbrannt-in-einer-polizeizelle-in-dessau-neues-gutachten-staerkt-zweifel-an-behoerdenversion-vom-tode-oury-jallohs/27765112.html
 
Transparent in Gedenken an Oury Jalloh bei einer Demonstration in Dessau 2020.
Transparent in Gedenken an Oury Jalloh bei einer Demonstration in Dessau 2020.

Was steht an?

Internationalistische Kundgebung „Gegen Landraub und Unterdrückung“

Samstag, 13. November 2021, ab 13:30 – „Ni una Menos“-Platz (ehemals Helvetiaplatz), Zürich
Das Bündnis „Gegen Landraub und Unterdrückung“,  bestehend aus diversen solidarischen und politischen Gruppierungen, laden zu einer gemeinsamen Kundgebung auf, um Landraub und Unterdrückung den Kampf anzusagen.
https://barrikade.info/article/4823

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Ohne Schweizer Pass kann Sozialhilfebezug gefährlich werden
Armutsbetroffene Migrant:innen laufen Gefahr, aufgrund von Sozialhilfebezug ausgeschafft zu werden. Dieser Extremfall tritt selten ein, doch das Migrationsamt setzt Betroffene vorher oft jahrelang unter Druck. Grund dafür ist die fehlende Zusammenarbeit der Behörden – und die systematische Diskriminierung von Migrant:innen.
https://daslamm.ch/ohne-schweizer-pass-kann-sozialhilfebezug-gefaehrlich-werden/
 
The disputed Mediterranean
As it has been happening every month for the last year and a half, on Wednesday September 29 a quarantine ship, the GNV Atlas docked at the port of Catania. Unlike to what we have been recounting over the past year and a half, however, this time the quarantine ship did not disembark its “passengers” in silence encapsulating them in buses headed for reception or detention centers scattered throughout Sicily and Italy.
 
Abgeworfene Rettungsinseln könnten für Pullbacks missbraucht werden
Erstmals fliegen Drohnen im Auftrag einer EU-Agentur mit Rettungsmitteln an Bord. Auf Hoher See könnte die eigentlich sinnvolle Technik völkerrechtswidrige Zurückweisungen in Länder wie Libyen oder die Türkei begünstigen.
https://netzpolitik.org/2021/eu-drohnen-fuer-menschen-in-seenot-abgeworfene-rettungsinseln-koennten-fuer-pullbacks-missbraucht-werden/
 
Dismantling Detention: International Alternatives to Detaining Immigrants
As the harmful effects of immigration detention become more widely known and the appropriateness of detaining migrants is increasingly questioned, governments are looking at alternatives to detention as more humane and rights-respecting approaches to addressing the management of migrants and asylum seekers with unsettled legal status. This report examines alternatives to immigration detention in six countries: Bulgaria, Canada, Republic of Cyprus, Spain, the United Kingdom, and the United States to highlight viable, successful alternatives that countries should implement before resorting to detention. While the report provides an analysis of specific alternatives to detention (often referred to as ATDs) in each country, it is not intended to provide a comprehensive overview of all alternative programs available.
https://www.hrw.org/node/380237/printable/print