Frontex abschaffen, Kolumbus-Statue ersetzen, BAZ Zürich schliessen

"Frontex abschaffen. Das Lagersystem bekämpfen. Abschiebungen stoppen." Fronttranspi der #AbolishFrontex-Demo in Zürich am 10.09.21
„Frontex abschaffen. Das Lagersystem bekämpfen. Abschiebungen stoppen.“ Fronttranspi der #AbolishFrontex-Demo in Zürich am 10.09.21
Themen
  • Familie auf Samos klagt griechische Behörden nach Gewalt und Pushback an
  • Folter und Tod nach Abschiebungen nach Syrien
  • Linke Parteien fordern Schliessung des Bundesasylzentrums Zürich
  • Anker Indigene- statt Kolumbus-Statue in Mexiko
  • Proteste zu Afghanistan in mehreren Schweizer Städten
  • Kämpferische #AbolishFrontex-Demo in Zürich

Was ist neu?

Familie auf Samos klagt griechische Behörden nach Gewalt und Pushback an
Im April verschwanden 32 Menschen, die mit einem Boot auf Samos ankamen, von den Behörden undokumentiert. Eine damals abgeschobene Familie erreichte nun ein zweites Mal die Insel und klagt gegen das Vorgehen und die Gewalt durch die Behörden. 
 
An einem Morgen im April erreichte ein Boot aus der Türkei die Küste von Samos. Die Menschen versuchten in kleineren Gruppen durch die Wälder selbstständig das Aufnahmezentrum zu erreichen, da bekannt war, dass alle Ankommenden von der griechischen Küstenwache umgehend wieder abgeschoben werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde von den griechischen Behörden im Jahr 2021 keine einzige Ankunft auf der Insel registriert – und das nicht, weil keine Boote angekommen wären. 
 
Eine der angekommenen Familien klagt nun die griechische Küstenwache an: Sie seien abgefangen, beraubt, die Frau sexuell belästigt und mehrere Personen gewalttätig behandelt worden, bevor sie auf ein Schlauchboot geworfen und durch erzeugte Wellen in griechische Gewässer zurückgedrängt worden seien. Das Boot sei nicht einmal dicht gewesen. Mithilfe eines Telefons, das die Beamt*innen übersehen und daher nicht zerstört hatten, konnten die Menschen die türkische Küstenwache rufen und gerettet werden. 
 
Es ist die erste Klage dieser Art in Griechenland. Während Gewalt und Menschenrechtsverletzungen durch die griechischen Behörden umfassend dokumentiert sind, bleiben sie weitestgehend ohne Konsequenzen oder politische Reaktionen. Es ist daher umso wichtiger, diese Fälle auch bei uns bekannt zu machen. Denn auch die offizielle Schweiz unterstützt das Vorgehen an den EU-Aussengrenzen und finanziert die europäische Abschottungspolitik mit.
 
 
Bilder der Familien dokumentierten im April die Ankunft der Menschen auf Samos, von der die Behörden keine Kenntnis haben wollen.
Bilder der Familien dokumentierten im April die Ankunft der Menschen auf Samos, von der die Behörden keine Kenntnis haben wollen.

Was geht am beim Staat?

Folter und Tod nach Abschiebungen nach Syrien
Amnesty International dokumentiert in einem neuen Bericht das Schicksal von 66 Personen, die nach ihrer Abschiebung von den syrischen Geheimdiensten inhaftiert, vergewaltigt und misshandelt wurden.

Das Assad-Regime kontrolliert im Moment mehr als 70 % des Landes und fordert Personen, die aus dem Land geflüchtet sind, öffentlich zur Rückkehr auf. Das hat Wirkung auf Staaten, die gerne die Gräueltaten des Regimes in Vergessenheit geraten lassen wollen, um abzuschieben. In Deutschland wurde der Abschiebungsstopp nach Syrien Ende 2020 nicht verlängert. In Dänemark sitzen Syrer*innen in Abschiebungshaft, nachdem ihr Schutzstatus widerrufen wurde. Im Libanon und in der Türkei, wo Geflüchtete unter prekären Bedingungen leben und Diskriminierung ausgesetzt sind, üben die Regierungen zunehmend Druck auf Syrer*innen aus, damit sie zurückkehren.
 
In dem neuen Bericht dokumentiert Amnesty International schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Regierung an Abgeschobenen, die zwischen Mitte 2017 und Frühjahr 2021 aus dem Libanon, Rukban (einer informellen Siedlung zwischen der jordanischen und der syrischen Grenze), Frankreich, Deutschland, der Türkei, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Syrien zurückgekehrt sind.
 
Das Fazit von Amnesty: „Jede Regierung, die behauptet, Syrien sei jetzt sicher, ignoriert vorsätzlich die schreckliche Situation vor Ort und lässt die Flüchtlinge erneut um ihr Leben fürchten“.

Was ist aufgefallen?

Linke Parteien fordern Schliessung des Bundesasylzentrums Zürich
Grüne und AL fordern in einem Postulat die Schliessung des BAZ auf dem Duttweiler-Areal, sollten sich die menschenunwürdigen Zustände nicht endlich ändern. Die Reaktionen von bürgerlichen Politiker*innen, aber auch von Sozialvorsteher Raphael Golta (SP), sind zynisch und widerlich.
 

Seit Jahren herrschen im BAZ in Zürich West skandalöse Zustände. Und fast genau so lange werden diese von linken Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen und den Betroffenen selber benannt und kritisiert. (Auch die antira-Wochenschau berichtete in der Vergangenheit mehrmals.) Nun hat das Stadtparlament ein Postulat von AL und Grünen überwiesen. Darin wird gefordert, dass sich die Zustände sofort ändern – oder andernfalls das Zentrum trotz laufenden Verträgen geschlossen wird. Denn bisher schoben sich alle Beteiligten die Verantwortung gegenseitig in die Schuhe: Das Staatssekretariat für Migration (SEM), der Bund, die für die Betreuung zuständige Organisation AOZ, die Stadt Zürich. Die «radikale» Forderung von AL und Grünen will dieses Trauerspiel nun endlich beenden.

Die Reaktionen von bürgerlichen Politiker*innen und Sozialvorsteher Raphael Golta (SP) auf das Postulat sind geradezu abstrus. Golta äussert sich im Tagesanzeiger mit den Worten: «Sie [die Bewohner*innen des BAZ, Anm. v. antira.org] dürfen nicht zum Spielball einer Auseinandersetzung um die Schweizer Asylpolitik werden.» Ins gleiche Horn stösst Stefan Urech (SVP) der der Linken «Schaumschlägerei auf dem Buckel der Asylsuchenden» vorwirft. Genau das sind asylsuchende Menschen und Migrant*innen im Allgemeinen in der Schweiz doch seit Jahrzehnten: Spielball der Politik. Dabei ändern sich in regelmässigen Abständen nur die Herkunft, Religion oder der Status der Menschen, welche zur Bedrohung und zum Feindbild stilisiert werden. Das föderale System befördert zudem eine organisierte Unverantwortlichkeit. Der Versuch von Golta und Urech den Spiess umzudrehen, ist geradezu zynisch. Im Stich gelassen werden Asylsuchende gerade von Politiker*innen wie Golta mit seiner «Da können wir leider nichts machen»-Haltung.

SVP-Gemeinderat Urech geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt einen verstörenden Vergleich an. Die Kritik an den Zuständen im BAZ seien übertrieben und erinnern ihn an die RS, «die er nicht als toll, aber sicher nicht als menschenunwürdig in Erinnerung habe.» Wir sparen es uns an dieser Stelle dem Herrn Urech im Detail aufzuzählen, welche Unterschiede es zwischen der RS und einem Leben in einem BAZ während eines laufenden Asylverfahrens so alles gibt. Wer solche Vergleiche aufstellt, stellt seinen Rassismus offen zur Schau oder hat schlicht jeden Realitätsbezug verloren. Die Forderung nach der Schliessung des BAZ ist längst überfällig. Dass sie nun auch in der parlamentarischen Politik Einzug hält, sehen wir als einen kleinen, aber wichtigen Schritt im Kampf für ein menschenwürdiges Leben und Bewegungsfreiheit für alle.

https://antira.org/2021/09/09/medienspiegel-8-september-2021/#more-8868

Innenhof des Bundesasylzentrums auf dem Duttweiler-Areal in Zürich-West.
Innenhof des Bundesasylzentrums auf dem Duttweiler-Areal in Zürich-West.

Was war eher gut?

Indigene- statt Kolumbus-Statue in Mexiko

In Mexiko-Stadt soll eine Statue von Christoph Kolumbus durch ein Denkmal zu Ehren indigener Frauen ersetzt werden.

Die neue Statue heisst „Tlalli“, was „Land“ bedeutet und soll Ende des Jahres fertig werden. Der Seefahrer Kolumbus steht symbolisch für die Kolonialgeschichte Amerikas. Bereits im letzten Jahr wurde die Kolumbus-Statue aufgrund von Restaurierungen geräumt. Allerdings soll die Statue nicht ganz verschwinden: Sie wird an einen weniger prominenten Ort verlagert.
Dass solche Statuen fallen, ist wichtig. BIPoC sind nach wie vor durch Rassismus diskrimiert. Die Statuen sind also nicht eine Erinnerung. Sie beweisen den Rassist*innen, dass sie auch als Statue verewigt werden, wenn sie genügend erfolgreiche Rassist*innen werden. BIPoC erinnern die Statuen ständig an diese schrecklichen Dinge. An sich klar, dass all diese Statuen fallen müssen. Oder haben wir da was falsch verstanden?

https://www.facebook.com/cosmoard/photos/a.116447445090797/4491581480910683/
https://www.dw.com/de/kommentar-st%C3%BCrzt-die-denkm%C3%A4ler-um-uns-zu-entkolonialisieren/a-53865267

Statue von Christoph Kolumbus


Wo gabs Widerstand?

Proteste zu Afghanistan in mehreren Schweizer Städten

Lezten Freitag wurde in Bern und Luzern, am Samstag in Lugano für Freiheit in Afghanistan demonstriert. Die Demonstrant*innen protestierten gegen die schlimme Lage in Afghanistan, gegen die Verletzung der Frauenrechte und gegen die pakistanische Militärintervention in der Provinz Panjshir. Im Aufruf steht: «Wir sind voller Wut und Abscheu gegen die Taliban und voller Solidarität mit dem Widerstand.»

In Bern versammelten sich am Freitagabend über hundert Personen auf dem Bahnhofplatz. In Redebeiträgen wurde besonders die Lage der Frauen* betont, die sich durch die Machtübernahme der Taliban stetig verschlimmert. Anschliessend lief der Demonstrationszug durch die Innenstadt.

Protestaufruf zur Situation in Afghanistan.
Protestaufruf zur Situation in Afghanistan.
Kämpferische #AbolishFrontex-Demo in Zürich
Am Freitagabend nahmen sich in Zürich über tausend Menschen für mehrere Stunden die Strassen. Mit vielfältigen Redebeiträgen, Parolen und Transparenten forderten sie die Abschaffung der Grenzagentur Frontex und kritisierten das rassistische Schweizer Migrationsregime. 
 
In vielfältigen und starken Reden wurde über Rassismus gesprochen, über die Gewalt im Schweizer Asylwesen und an den Grenzen sowie den Alltag von Sans-Papiers in Zürich. Zu Wort kamen dabei vor allem Menschen, die von strukturellem Rassismus, wie auch von alltäglicher Diskriminierung betroffen sind. In einer Schweigeminute wurde der Menschen gedacht, die auf der Flucht nach Europa ums Leben kamen. 
 
Die Kampagne #AbolishFrontex bringt auf den Punkt, was unsere Berichte über die Gewalt an den europäischen Aussengrenzen Woche um Woche aufzeigen: Frontex lässt sich nicht reformieren, Frontex gehört abgeschafft. Stattdessen brauchen wir einen sofortigen Abschiebestopp, Bewegungsfreiheit für alle und die Schliessung aller Camps.
 
Auch in anderen europäischen Städten fanden Aktionen und Demonstrationen statt. Der nächste transnationale Aktionstag ist am 3. Oktober. Für die Schweiz ist dann eine Aktion in Luzern geplant. 
 
Auf einem grossen Transparent wurden die Namen aller Menschen veröffentlicht, für deren Tod der europäische Grenzschutz mitverantwortlich ist.
Auf einem grossen Transparent wurden die Namen aller Menschen veröffentlicht, für deren Tod der europäische Grenzschutz mitverantwortlich ist.

Was steht an?

Die Festung Europa und ihre Profiteure
23.09.21 I 19:00 Uhr I Online-Veranstaltung
Während es inzwischen zahlreiche Studien und Veröffentlichungen über die tragischen Folgen der EU-Abschottung gibt, ist über ihre Profiteure weniger bekannt. Sensoren, Wärmebildkameras, Drohnen, Satelliten, Grenzzäune – um das Projekt „Festung Europa“ ist in den vergangenen Jahren eine ganze Industrie entstanden. Rüstungskonzerne wie Rheinmetall oder Airbus erschließen sich damit neue Geschäftsfelder, Lobbyist:innen preisen in Berlin und Brüssel ihre neuesten Erfindungen für eine „effizientere Flüchtlingsabwehr“ an.
https://fb.me/e/HqE1RqCJ

Quo vadis Frontex? – Reform, control or abolish?
25.09.2021 I 11:30 Uhr I Live Stream aus Berlin
Panel discussions on the illegal activities of the EU border agency and its glaring control deficit
https://www.borderline-europe.de/termine?fbclid=IwAR3A3amr_GWnmqO5llhNRI8f2vWZEV4WoS4yveQhevgUkxzF1wvUaGkon68

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

 
Vergessenes Elend: Ein Jahr nach dem Brand in Moria
Am 8. September 2020 brannte das Elendslager Moria auf Lesbos ab. Aber anstatt die Menschen endlich vernünftig unterzubringen, wurde in Windeseile Moria 2.0 aufgebaut und die Abschottung intensiviert. Leider erfolgreich: Heute spricht kaum mehr jemand vom Schicksal der Geflüchteten, die in Griechenland festsitzen. Eine Chronik des Vergessens.
https://www.proasyl.de/news/vergessenes-elend-ein-jahr-nach-dem-brand-in-moria/
 
EU „seeking to turn migrant database into mass surveillance tool“
Campaigners from 31 NGOs urge MEPs to rethink plans to overhaul Eurodac database.
https://www.theguardian.com/world/2021/sep/08/eu-seeking-to-turn-migrant-database-into-mass-surveillance-tool

«Festung Europa»: Wie EU-Länder ihre Grenzen gegen Migration befestigen
«Festung Europa» bekommt angesichts der jüngsten Grenzsicherungsprojekte in Polen und Litauen noch einmal eine besondere Bedeutung. Auch für Schutzsuchende aus Afghanistan dürften die Entwicklungen schlecht sein.
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.festung-europa-wie-eu-laender-ihre-grenzen-gegen-migration-befestigen.a8e94b3f-39f8-4d1e-86eb-1d6eaeb922d3.html