Protestcamp vor Pariser Rathaus, Rainbow-Washing bei Frontex, Gerichtsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung

Protestcamp vor dem Pariser Rathaus
Protestcamp vor dem Pariser Rathaus

Themen
  • Nach Suizidversuch einfach liegen gelassen – Aufseher*innen vor Gericht 
  • Zürcher Sozialamt missachtet Bundesgerichtsurteil
  • Polizeischikanen in Calais verschlechtern Situation für geflüchtete Menschen weiter
  • Reportagen der Mainstreammedien belegen nun endlich auch illegale Push-Backs aus Kroatien
  • Frontex in Regenbogenfarben ­– zynischer kann Rainbow-Washing nicht sein
  • Griechische Behörden verurteilen Geflüchtete zu 146 Jahren Gefängnis wegen vermeintlichen Menschenschmuggels
  • Aktion Vierviertel fordert Grundrecht auf Einbürgerung
  • Grosse Demonstration in Basel setzt sich gegen das Lagersystem ein
  • Über 300 Menschen campieren vor dem Pariser Rathaus, um sich für Unterkünfte für Migrant*innen stark zu machen

Was ist neu?

 
Nach Suizidversuch einfach liegen gelassen – Aufseher*innen vor Gericht
Im Sommer 2018 kam es im Untersuchungsgefängnis Waaghof zu einem Suizidversuch. Die Aufseher*innen liessen die Person daraufhin einfach liegen. Sie müssen sich jetzt vor Gericht verantworten.
 
Die betroffene Person befand sich zum Zeitpunkt des Suizidversuchs in einer Zelle für «Personen mit besonderem Überwachungsbedarf» aufgrund ihrer «psychisch sehr labilen Verfassung». Als die Person ihr Traineroberteil am Zellenfenster befestigte und sich in die Schlinge fallen liess, reagierte trotz des «besonderen Überwachungsbedarfs» keine*r der Aufseher*innen. Erst nach rund sechseinhalb Minuten entdeckte der Securitas-Mitarbeitende die leblose Frau* auf dem Monitor. Aufseher*innen eilten daraufhin in die Zelle und durchschnitten das Oberteil.
Was im Folgenden geschah bzw. nicht geschah, ist der Grund für die Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen: «Statt Vitalzeichen zu prüfen, Erste Hilfe zu leisten, die Frau in eine stabile Seitenlage zu bringen oder medizinische Hilfe zu leisten, taten die drei Aufseher gemäss Anklage lange Zeit wenig, ausser ihr mit einer handvoll Wasser das Gesicht zu benetzen. Stattdessen liessen sie die regungslose Frau zusammengesackt mit dem Gesicht nach unten in der Ecke liegen und verliessen die Zelle.» Die Person wurde allein in der Zelle zurückgelassen, erst nach rund 10 Minuten wurden die Rettungssanitäter*innen alarmiert, nochmals mehrere Minuten später begann ein Aufseher mit Reanimationsmassnahmen.
Die Rettungssanitäter*innen trafen schlussendlich 25 Minuten, nachdem der Suizidversuch entdeckt worden war, ein – zu spät. Die Frau wurde ins Unispital gebracht, wo sie zwei Tage später an den Spätfolgen ihres Suizidversuchs verstarb. Die Frau wäre nicht gestorben, hätten die Aufseher*innen angemessen gehandelt – davon ist auch die Basler Staatsanwaltschaft überzeugt. Bald wir der Fall vom Gericht beurteilt.
Was der Fall bereits jetzt einmal mehr zeigt: Geflüchtete Menschen erfahren in der Schweiz nicht den nötigen Schutz – sei es in den Asylzentren, im Untersuchungsgefängnis oder in der Öffentlichkeit.  
 

Was ist aufgefallen?

Zürcher Sozialamt missachtet Bundesgerichtsurteil 
Seit Jahren wehrt sich das Zürcher Sozialamt gegen Einsicht in ihre Millionenverträge im Asylwesen. Trotz Bundesgerichts­urteil hält es weiterhin Dokumente vor den Medien zurück – unter der Leitung des kürzlich aus der SP ausgetretenen Politikers Mario Fehr.
 
Wie wir Anfang April berichteten (antira.org/2021/04/05), gab nach einem zweijährigem Rechtsstreit das Bundesgericht der Zeitung «Republik» Recht: Das Sozialamt und die Sicherheitsdirektion unter Leitung von Mario Fehr müssen die Verträge zwischen dem Kanton Zürich und den beiden Dienstleistern im Asylbereich ORS Service AG und Asyl-Organisation Zürich (AOZ) offenlegen. Obwohl der Kanton Zürich seit über zwanzig Jahren die Betreuung von Asylsuchenden an private Dienstleister auslagert, ist nur sehr wenig darüber bekannt, wie dieses Outsourcing organisiert ist: Entschädigungen, Pflichtenhefte, Betreuungsschlüssel gehören etwa zu den Informationen, die in den Verträgen geregelt sind.
Nach dem Bundesgerichtsentscheid hätte das Zürcher Sozialamt die Verträge sofort offenlegen müssen. Doch die Zeitung «Republik» musste mehrmals nachfragen und erhielt schliesslich die Verträge mit einigen Schwärzungen und ohne zentrale Bestandteile des Vertrages. Auch auf die wiederholte Anfrage nach den vollständigen Verträgen ist das Sozialamt kaum eingegangen, die Antwort: «Ihr Anliegen wird geprüft.»
 
 
Polizeischikane in Calais verschlechtert Situation für geflüchtete Menschen weiter
Die Polizei in Calais räumt migrantische Camps nicht mehr in vorhersehbaren Rhythmen und ermöglicht den Menschen dadurch kein Entkommen mehr. Zudem zeigt ein Bericht zahlreiche aktuelle Fälle von Polizeigewalt gegen Menschen auf der Flucht.
 
In der französischen Hafenstadt Calais haben die Behörden ihren Räumungsrhythmus inoffizieller Camps von Migrant*innen geändert. Bisher waren sie täglich zur gleichen Zeit auf dem Gelände aufgetaucht, sodass die Menschen vorher mit ihrem Hab und Gut gehen und, nachdem die Polizist*innen wieder abgezogen waren, zurückkehren konnten. Nun erscheinen die Beamt*innen zu willkürlichen Zeiten zu Räumungen. Es wurden bereits tausende Zelte zerstört. Die humanitäre Situation wird immer prekärer. Geflüchtete bezeichnen dieses Vorgehen als unmenschlich und nutzlos. Es ändere nichts an der Situation vor Ort, sorge aber dafür, dass sie immer „on the move“ seien. Eine zermürbende Taktik also, die aber keine Perspektiven für die Menschen mit sich bringt, die von Calais aus über den Ärmelkanal nach Grossbritannien gelangen wollen.
Zur Taktik der Polizei gehören neben der Verhinderung der Entstehung fester (Wohn-) Strukturen auch das Verbot der Essensabgabe durch NGOs an Geflüchtete, das Verbot des Betretens öffentlicher Plätze und damit kaum Zugang zu Wasser, sowie die gezielte Blockade von Unterständen bei Regen, beispielsweise durch Zäune und Steine. Ziel der Behörden ist es wohl, die Menschen physisch und psychisch so zu schwächen, dass sie die Region verlassen.
 
Polizeigewalt und Misshandlungen in Calais
 
Am 21. Juni 2021 veröffentlichte die zivilgesellschaftliche Organisation Utopia 56 eine Liste aktueller Misshandlungsfälle, von denen sie bei ihrer Arbeit mit Geflüchteten in Calais erfahren haben:

„Seit der letzten Woche haben wir zahlreiche Berichte über schwerwiegendes Verhalten der Polizei gegenüber Geflüchteten in Calais erhalten:

  • Mehrere Familien mit kleinen Kindern hatten ihre Zelte mit Tränengas überzogen, was ihre einzige Unterkunft unbewohnbar machte.
  • Ein paar Tage später erzählte uns ein Mann im selben Camp, dass er von einem Polizisten geweckt wurde, der auf ihn urinierte.
  • Wir trafen einen Mann in einem Schockzustand, der berichtete, dass er auf dem Rücksitz eines Lastwagens verhaftet, im Polizeifahrzeug zusammengeschlagen und schließlich eine Strasse weiter wieder freigelassen worden war.
  • Eine Person wurde an der Schulter und am Hals verletzt, um sie zu zwingen, Fingerabdrücke zu nehmen.
  • Ein junger Mann kontaktierte uns, weil er barfuss auf einer Autobahnauffahrt stand. Die Polizei hatte seine Schuhe behalten und ihn dort zurückgelassen.
  • Schließlich trafen wir eine Person mit blutigen Brandflecken an den Beinen, die uns erzählte, dass sie von Polizisten festgehalten worden war, während einer ihrer Kollegen sie mit einem Feuerzeug verbrannte.
Trotz des Entsetzens, das diese traurigen Geschichten in uns hervorrufen, sollten wir nicht vergessen, dass diese Gewalt systematisch ist und dass sie Teil einer globalen Politik der Schikanen und der Gewalt gegen Exilierte durch die öffentlichen Behörden ist, nicht wahr, Präfekt von Pas-de-Calais? Genug davon!“
 
Reportagen der Mainstreammedien belegen nun endlich auch illegale Push-Backs aus Kroatien

Mainstream-Medien und Amnesty International zeigen die systematische und brutale Praxis von illegalen Push-Backs an der bosnisch-kroatischen und griechisch-türkischen Grenze erneut auf. Es gibt kaum oder bloss diffamierende Reaktionen vom kroatischen Innenministerium und der EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, auf die Menschenrechtsverletzungen. Stattdessen kommt es zu weiteren Verschärfungen in Griechenlands Asylpolitik. Auch Frontex steht erneut in der Kritik.

Was seit Monaten von Menschen auf der Flucht, Menschenrechtsorganisationen und Aktivist*innen angeprangert wird, ist nun auch von Mainstream-Medien in einer Reportage dokumentiert worden: illegale und systematische Push-Backs an der bosnisch-kroatischen Grenze. Während einer Woche versteckte sich ein Reporter*innen-Team des SRF in kroatischen Wäldern und filmte heimlich 6 Push-Backs von insgesamt 65 Personen, darunter 20 Kinder.
Kroatische Polizeibeamt*innen befinden sich bewaffnet auf bosnischem Gebiet – alleine das ist bereits ein Gesetzesbruch, sie haben dort keinerlei Befugnisse. Mit Feldstechern spähen sie die Gegend aus. Ihnen ist bewusst, dass sie etwas Illegales tun und dabei nicht gesehen werden dürfen. Kennzeichen zur möglichen Identifizierung haben sie von ihren Uniformen entfernt. Die illegal ausgeschafften Menschen zeigen blaue Flecken: Sie wurden mit Schlagstöcken geschlagen. Damit sie das Geschehene nicht dokumentieren können, wurden ihre Handykameras zerstört, teilweise die Handys weggenommen. Die Polizeibeamt*innen nahmen ihnen zudem alles Geld. In Ruinen im bosnischen Wald müssen die Menschen auf der Flucht anschliessend unterkommen. Die meisten von ihnen haben bereits zehn bis zwanzig Mal versucht, in die EU zu gelangen – immer wieder werden sie illegal abgeschoben.
Die Reaktion des kroatischen Innenministeriums auf die Recherche ist blanker Hohn: Es stellte die Behauptung auf, die kroatischen Polizeibeamt*innen würden die flüchtenden Menschen am Grenzübertritt nach Kroatien hindern, nicht aus Kroatien ausschaffen. Dies entspricht nicht den Aussagen der Menschen, die teilweise sogar mitten in Kroatiens Hauptstadt Zagreb in Busse verfrachtet und über die Grenze gebracht werden. Aber ihnen wird kein Gehör geschenkt, ihre Aussagen werden diffamiert und als Lügen bezeichnet. Sie werden im Gegenteil noch kriminalisiert. Und die Straflosigkeit, die den kroatischen Polizeibeamt*innen begegnet, sendet ein fatales Zeichen. Auch die Kommissarin für Inneres der Europäischen Kommission Ylva Johansson zeigt sich von der Reportage unbeeindruckt und sagt Kroatien gute Chancen für einen Schengen-Beitritt voraus. Welches politische Spiel wird hier gespielt?
Vor allem weil sich die gleiche Praxis auch an anderen EU-Aussengrenzen vollzieht. So stützt ein jüngst veröffentlichter Bericht von Amnesty International die Aussagen hunderter Menschen auf der Flucht, die in illegalen Push-Backs über die türkisch-griechische Grenze gebracht wurden. Im Zeitraum von Juni bis Dezember 2020 seien mindestens 1’000 Menschen über den Grenzfluss Evros illegal in die Türkei abgeschoben worden. Hierbei seien sie geschlagen, erniedrigt und gefoltert worden. Mindestens eine Person ist im Fluss ertrunken.
Die Organisation Human Rights Watch (HWR) klagt die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex an, von dieser Praxis gewusst und sie bewusst vertuscht zu haben. Denn im November 2020 hatte Frontex eine Arbeitsgruppe zusammen gestellt, welche die Vorwürfe gegen griechische Grenzbeamt*innen untersuchen sollte. Im März 2021 veröffentlichte diese schliesslich einen Bericht, der die griechischen Grenzbeamt*innen von jeglichen Vorwürfen freisprach, trotz massiver Beweislast für das Gegenteil. HWR fordert einen Abzug der Frontex-Beamt*innen. Es wird langsam Zeit…
Zusätzlich stufte die rechte griechische Regierung unter Premierminister Mitsotakis die Türkei seit dem 7. Juni als sicheren Drittstaat für alle Menschen aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan und Bangladesh ein. Das erschwert die Stellung eines Asylantrags in Greichenland ungemein und verschlimmert die Lage der flüchtenden Menschen weiter.

https://www.srf.ch/news/international/illegale-ausschaffungen-pushbacks-von-frauen-und-kindern-an-der-kroatischen-grenze
https://www.spiegel.de/ausland/kroatien-videos-dokumentieren-systematische-pushbacks-a-4463a93d-0467-4960-814a-6d959e1df193
https://www.tagesschau.de/ausland/pushbacks-grenze-101.html
https://www.infomigrants.net/en/post/33177/illegal-migrant-pushbacks-from-croatia-to-bosnia-captured-on-camera
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/griechenland/dok/2021/illegale-push-backs-von-menschen-auf-der-flucht
https://www.infomigrants.net/en/post/33161/amnesty-accuses-greece-of-using-pushbacks-as-de-facto-border-policy
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/griechenland-verschaerft-fluechtlingspolitik?id=b32c8ae9-9b6d-4373-96c0-d55ebd0c09f4

 
Die kroatische Polizei bringt Migrant*innen über die grüne Grenze zurück nach Bosnien.
Die kroatische Polizei bringt Migrant*innen über die grüne Grenze zurück nach Bosnien.
 
Frontex in Regenbogenfarben ­– zynischer kann Rainbow-Washing nicht sein

Anlässlich des Pride-Monats und der Weigerung der UEFA, das Stadion fürs EM-Spiel in München bunt zu beleuchten, meinte auch Frontex, sich dazu äussern zu müssen. Auf Twitter ist untenstehendes Bild und folgender Text zu finden: «As part of our commitment to fostering the EU’s core values of equality and non-discrimination, we teamed up with @GayPoliceEU to hold a conference on the rights of the LGBT community.» (auf deutsch: “Als Teil unseres Engagements, die Kernwerte der EU – Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung – zu pflegen, haben wir zusammen mit @GayPoliceEU eine Konferenz über die Rechte der LGBTQ+-Community abgehalten.”)
Nebendem, dass solches Rainbow-Washing und die halb ernst gemeinten Solidaritätsbekundungen nichts an den herrschenden Verhältnissen ändern und kein ernsthaftes Bemühen gegen Homofeindlichkeit darstellen, so ist das Regenbogenfarben-Bekenntnis von Frontex an Zynismus nicht mehr zu übertreffen. Von welchen Werten der Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung soll Frontex da sprechen? Um es auch mit Zynismus zu versuchen: Frontex ist die sexuelle Orientierung von flüchtenden Menschen tatsächlich egal, im Meer lassen sie nämlich alle ertrinken. Und das europäische Recht, auf dem Weg in die Festung Europa umzukommen – dazu verhilft Frontex den flüchtenden LGBTQ+ Personen sehr gerne.

https://twitter.com/Frontex/status/1407692887492542473

Griechische Behörden verurteilen Geflüchtete zu 146 Jahren Gefängnis wegen vermeintlichen Menschenschmuggels
Borderline Europe berichten über drei Fälle allein in den letzten Wochen, in denen Menschen, die selbst auf der Flucht sind, illegalisiert, in unfairen Verfahren schuldig gesprochen und zu enormen Haftstrafen verurteilt wurden.
 
27-Jähriger auf Lesbos zu 146 Jahren Haft verurteilt: »Am 13. Mai 2021 wurde der Geflüchtete Mohamad H. vom Gericht in Mytilene, Lesbos, zu 146 Jahren Haft verurteilt. Ihm wurde “Schmuggel” (“Beihilfe zur illegalen Einreise”), die Gefährdung von Menschenleben und das Verschulden des Todes von zwei Personen vorgeworfen, weil er versucht hatte, bei einem Schiffsunglück sein eigenes und das Leben der anderen 33 Passagier*innen zu retten. Der Fall von Mohamad H. ist kein Einzelfall, sondern paradigmatisch für eine weitere Facette der europäischen Abschottungspolitik. Derartige Anklagen gegen in Griechenland ankommende Menschen als “Schmuggler*innen” sind seit einigen Jahren systematisches Vorgehen des griechischen Staates.»
10 Jahre Haft für vier Jugendliche nach Brand in Moria: «Am 12. Juni 2021 wurden die restlichen vier der Moria6, die wegen angeblicher Brandstiftung angeklagt waren, in einem intransparenten und unfairen Prozess auf Lesbos schuldig gesprochen und zu zehn Jahren Haft verurteilt. Weder internationale Prozessbeobachter*innen noch Presse wurden zugelassen. Die Anwältinnen der Angeklagten  bezeichnen den Prozess als eines Rechtsstaats nicht würdig.»
Syrischer Geflüchteter zu 52 Jahren Haft verurteilt: «K.S. floh mit seiner Frau und ihren kleinen Kindern von der Türkei nach Griechenland. Nach Ankunft wurde er beschuldigt, das Boot gefahren zu haben und am 23. April 2021 wegen “unerlaubter Einreise” und “Schmuggel” (“Beihilfe zur illegalen Einreise”) zu 52 Jahren Haft verurteilt. Wir verurteilen diesen weiteren Schauprozess und fordern die sofortige Freilassung des Angeklagten!»
 
 

Was nun?

Aktion Vierviertel fordert Grundrecht auf Einbürgerung
„Von den acht Millionen Menschen, die in der Schweiz leben, haben zwei Millionen keinen Schweizer Pass: Dies ist auch eine Folge ausgrenzender Politik. Nach wie vor ist es in der Schweiz europaweit mit am schwersten, eingebürgert zu werden. Während die gelebte Vielfalt längst Alltag ist, sind Chancen und Rechte ungleich verteilt – auf politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Ebene. Weil dies der Demokratie grossen Schaden zufügt, brauchen wir einen neuen, mutigen Gesellschaftsentwurf.»

Das schreibt die Aktion Vierviertel in ihrem Manifest für ein Grundrecht auf Einbürgerung. Sie fordert, dass endlich objektive Kriterien und faire Verfahren zur Anwendung kommen: »Jeder Mensch, der seit vier Jahren in der Schweiz lebt, soll unabhängig vom Aufenthaltsstatus ein Recht auf Einbürgerung haben. Veraltete, unsachliche und willkürliche Kriterien gehören abgeschafft. So lassen sich kantonale und kommunale Wohnsitzfristen heute nicht mehr rechtfertigen. Auch ist es diskriminierend, wenn Menschen, die Sozialhilfe beziehen müssen, das Bürgerrecht verwehrt bleibt. Die Einbürgerung muss von einer Verwaltungsbehörde in einem schnellen und günstigen Bewilligungsverfahren erteilt werden.»

Man kann die Aktion mit einer Unterschrift auf ihrer Homepage unterstützen und natürlich die Inhalte supporten und verbreiten:
https://rabe.ch/2021/06/21/wer-bekommt-wann-einen-schweizer-pass/

https://aktionvierviertel.ch/
https://www.woz.ch/2125/aktion-vierviertel/bullakajs-weg-zum-schoeneren-buergerrecht

Wo gabs Widerstand?

Grosse Demonstration in Basel setzt sich gegen das Lagersystem ein

Am Sonntag, 20. Juni, fand bei der Claramatte in Basel eine Standkundgebung gegen Gewalt im Lagersystem statt. Die Organisator*innen beantragten ursprünglich eine Demonstration, diese wurde von der Stadt jedoch aus unverständlichen Gründen nicht genehmigt. Teilnehmer*innen der Standkundgebung akzeptieren die versuchte Einschränkungen der Stadt nicht und liefen ohne Bewilligung los. Das Ziel der Demonstration war das Bundesasylzentrum, doch die Polizei versperrte den Weg dahin und drohte, Tränengas einzusetzen. Nach der Auflösung der Demonstration führten sie Personenkontrollen durch und versuchten, Anwesenden irgendwelche vermeintliche Straftaten anzuhängen.
Es ist schade, dass der Demozug aufgelöst wurde, bevor das Bundesasylzentrum erreicht wurde. In diesem Asylzentrum erleben Migrant*innen täglich extreme Gewalt durch Mitarbeitende der Securitas AG. In den letzten Monaten kamen immer mehr schreckliche Details ans Licht und obwohl die Lagerleitung wie auch die Securitas die Vorfälle immer leugneten, war die Beweislage zuletzt so eindeutig, dass sie sich die Wahrheit schliesslich eingestanden. Doch mit einer Entschuldigung ist nichts getan, das sind nur leere Worte aus Mündern, die jeden Tag von der Ausbeutung anderer profitieren. Das Lagersystem muss abgeschafft werden. Wir werden nicht schweigen. Und wenn uns deshalb keine Bewilligungen erteilt werden, werden wir trotzdem nicht kapitulieren.

Über 300 Menschen campieren vor dem Pariser Rathaus, um sich für Unterkünfte für Migrant*innen stark zu machen

Am Donnerstagabend schlugen mehr als dreihundert obdachlose Migrant*innen und ihre Unterstützer*innen über 250 Zelte auf dem Place de l’Hôtel de Ville vor dem Pariser Rathaus auf. Sie wollen damit auf ihre Lebensbedingungen aufmerksam machen und fordern die Pariser Behörden auf, ihnen Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. In Frankreich müssen selbst legalisierte Migrant*innen nach drei Monaten ihre Sozialwohnungen verlassen. Wohnungen sind wie in den meisten Grossstädten rar und teuer.

https://www.infomigrants.net/en/post/33200/paris-300-people-camp-in-front-of-city-hall-to-protest-migrant-accommodation-provision

Protestcamp vor dem Pariser Rathaus
Protestcamp vor dem Pariser Rathaus

Was steht an?

Infoveranstaltung über italienische Abschiebeknäste
27.06.21 I 15:00 I Studerstrasse 1312, Bern

In der Nacht vom 22. auf den 23. März begeht Moussa Balde im Abschiebeknäst von Turin (CPR) Selbstmord.  Ein weiterer illegalisierter Mensch, der in den Händen des Staates sterben muss. In der Diskussion sprechen wir über die Mobilisierung, die folgte, darüber, wie die italienischen Abschiebeknäste funktionieren, die Gesundheitsprobleme in diesen modernen Lagern und die Kämpfe, die daraus in der Stadt resultieren.
https://barrikade.info/event/1580

Kolonialismus und Geschlecht – Vortrag mit SchwarzRund
29.06.21 I 18:30 I online

Kolonialismus -die Sortierung der Welt durch Europa. Diese Sortierung veränderte auch Fragen nach Begehren, Geschlecht und Körper. Jene Nachfahren der Kolonialisierten haben in Gedichten, Videos und wissenschaftlichen Texten überlegt: was bedeutet die Kolonialisierung unserer Körper über die Jahrhunderte für unsere Gegenwart? Wie überlebte das widerständige Wissen durch unsere Körper? Aus queerer Perspektive wird SchwarzRund mithilfe der decolonial-, queer-, gender und Black-latin Studies Antworten suchen – aber vor allem weitere Fragen aufwerfen.

Anmeldung per Mail an veranstaltung {at} stura.tu-dresden.de

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

augenauf-Bulletin Juni 2021
Mit diesen Themen: Entwürdigende Polizeikontrolle: Alltag für Geflüchtete, Haftbedingungen: «Foltercharakter kaum zu verleugnen», Bodycams: Im Dienste ihrer Polizei, Frontex: Waffen gegen Geflüchtete, Läppische Wiedergutmachung, Workshops für rechtsextreme Polizist*innen, Schikanen im Asylbereich, Poesie von jungen Geflüchteten, Das Korps macht einfach, was es will.
 
Adoptierte Personen auf Herkunftssuche – die Uhr tickt!
Der UNO-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen rügt die Schweiz: Sie unternimmt zu wenig, um die Betroffenen von illegalen Adoptionen aus Sri Lanka zu unterstützen, die Täter*innen zu verfolgen und das Recht auf Wiedergutmachung konkret umzusetzen. Die Mütter in Sri Lanka, die ihre verschwundenen Kinder suchen, sind häufig schon über 60 Jahre alt. Die nun erwachsenen Kinder warten bei der Suche nach ihrer Herkunft bis heute auf die Unterstützung der Schweizer Behörden.
https://www.humanrights.ch/de/ueber-uns/sri-lanka-adoption-schweiz
 
Madi, Houssein, und die anderen Namenlosen
Aktuell können wir die Hilfsanfragen nicht mehr bewältigen, die uns von migrierenden Menschen erreichen, welche alles verloren haben. Immer häufiger werden sie vom politisch-institutionellen System zu Sklaverei und Unsichtbarkeit verurteilt, die sie physisch und psychisch zerstört.
https://www.borderlinesicilia.it/de/monitoring/madi-houssein-und-die-anderen-namenlosen/
 
Visualising 70 years of refugee journeys
On World Refugee Day, Al Jazeera looks at the painful journeys refugees were forced to take in 2020 despite the global pandemic.
https://www.aljazeera.com/news/2021/6/20/infographic-world-refugee-day-journey