Themen
- Nach Suizidversuch einfach liegen gelassen – Aufseher*innen vor Gericht
- Zürcher Sozialamt missachtet Bundesgerichtsurteil
- Polizeischikanen in Calais verschlechtern Situation für geflüchtete Menschen weiter
- Reportagen der Mainstreammedien belegen nun endlich auch illegale Push-Backs aus Kroatien
- Frontex in Regenbogenfarben – zynischer kann Rainbow-Washing nicht sein
- Griechische Behörden verurteilen Geflüchtete zu 146 Jahren Gefängnis wegen vermeintlichen Menschenschmuggels
- Aktion Vierviertel fordert Grundrecht auf Einbürgerung
- Grosse Demonstration in Basel setzt sich gegen das Lagersystem ein
- Über 300 Menschen campieren vor dem Pariser Rathaus, um sich für Unterkünfte für Migrant*innen stark zu machen
Was ist neu?
Nach Suizidversuch einfach liegen gelassen – Aufseher*innen vor Gericht
Was ist aufgefallen?
Zürcher Sozialamt missachtet Bundesgerichtsurteil
Polizeischikane in Calais verschlechtert Situation für geflüchtete Menschen weiter
„Seit der letzten Woche haben wir zahlreiche Berichte über schwerwiegendes Verhalten der Polizei gegenüber Geflüchteten in Calais erhalten:
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Mehrere Familien mit kleinen Kindern hatten ihre Zelte mit Tränengas überzogen, was ihre einzige Unterkunft unbewohnbar machte.
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Ein paar Tage später erzählte uns ein Mann im selben Camp, dass er von einem Polizisten geweckt wurde, der auf ihn urinierte.
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Wir trafen einen Mann in einem Schockzustand, der berichtete, dass er auf dem Rücksitz eines Lastwagens verhaftet, im Polizeifahrzeug zusammengeschlagen und schließlich eine Strasse weiter wieder freigelassen worden war.
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Eine Person wurde an der Schulter und am Hals verletzt, um sie zu zwingen, Fingerabdrücke zu nehmen.
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Ein junger Mann kontaktierte uns, weil er barfuss auf einer Autobahnauffahrt stand. Die Polizei hatte seine Schuhe behalten und ihn dort zurückgelassen.
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Schließlich trafen wir eine Person mit blutigen Brandflecken an den Beinen, die uns erzählte, dass sie von Polizisten festgehalten worden war, während einer ihrer Kollegen sie mit einem Feuerzeug verbrannte.
Reportagen der Mainstreammedien belegen nun endlich auch illegale Push-Backs aus Kroatien
Mainstream-Medien und Amnesty International zeigen die systematische und brutale Praxis von illegalen Push-Backs an der bosnisch-kroatischen und griechisch-türkischen Grenze erneut auf. Es gibt kaum oder bloss diffamierende Reaktionen vom kroatischen Innenministerium und der EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, auf die Menschenrechtsverletzungen. Stattdessen kommt es zu weiteren Verschärfungen in Griechenlands Asylpolitik. Auch Frontex steht erneut in der Kritik.
Was seit Monaten von Menschen auf der Flucht, Menschenrechtsorganisationen und Aktivist*innen angeprangert wird, ist nun auch von Mainstream-Medien in einer Reportage dokumentiert worden: illegale und systematische Push-Backs an der bosnisch-kroatischen Grenze. Während einer Woche versteckte sich ein Reporter*innen-Team des SRF in kroatischen Wäldern und filmte heimlich 6 Push-Backs von insgesamt 65 Personen, darunter 20 Kinder.
Kroatische Polizeibeamt*innen befinden sich bewaffnet auf bosnischem Gebiet – alleine das ist bereits ein Gesetzesbruch, sie haben dort keinerlei Befugnisse. Mit Feldstechern spähen sie die Gegend aus. Ihnen ist bewusst, dass sie etwas Illegales tun und dabei nicht gesehen werden dürfen. Kennzeichen zur möglichen Identifizierung haben sie von ihren Uniformen entfernt. Die illegal ausgeschafften Menschen zeigen blaue Flecken: Sie wurden mit Schlagstöcken geschlagen. Damit sie das Geschehene nicht dokumentieren können, wurden ihre Handykameras zerstört, teilweise die Handys weggenommen. Die Polizeibeamt*innen nahmen ihnen zudem alles Geld. In Ruinen im bosnischen Wald müssen die Menschen auf der Flucht anschliessend unterkommen. Die meisten von ihnen haben bereits zehn bis zwanzig Mal versucht, in die EU zu gelangen – immer wieder werden sie illegal abgeschoben.
Die Reaktion des kroatischen Innenministeriums auf die Recherche ist blanker Hohn: Es stellte die Behauptung auf, die kroatischen Polizeibeamt*innen würden die flüchtenden Menschen am Grenzübertritt nach Kroatien hindern, nicht aus Kroatien ausschaffen. Dies entspricht nicht den Aussagen der Menschen, die teilweise sogar mitten in Kroatiens Hauptstadt Zagreb in Busse verfrachtet und über die Grenze gebracht werden. Aber ihnen wird kein Gehör geschenkt, ihre Aussagen werden diffamiert und als Lügen bezeichnet. Sie werden im Gegenteil noch kriminalisiert. Und die Straflosigkeit, die den kroatischen Polizeibeamt*innen begegnet, sendet ein fatales Zeichen. Auch die Kommissarin für Inneres der Europäischen Kommission Ylva Johansson zeigt sich von der Reportage unbeeindruckt und sagt Kroatien gute Chancen für einen Schengen-Beitritt voraus. Welches politische Spiel wird hier gespielt?
Vor allem weil sich die gleiche Praxis auch an anderen EU-Aussengrenzen vollzieht. So stützt ein jüngst veröffentlichter Bericht von Amnesty International die Aussagen hunderter Menschen auf der Flucht, die in illegalen Push-Backs über die türkisch-griechische Grenze gebracht wurden. Im Zeitraum von Juni bis Dezember 2020 seien mindestens 1’000 Menschen über den Grenzfluss Evros illegal in die Türkei abgeschoben worden. Hierbei seien sie geschlagen, erniedrigt und gefoltert worden. Mindestens eine Person ist im Fluss ertrunken.
Die Organisation Human Rights Watch (HWR) klagt die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex an, von dieser Praxis gewusst und sie bewusst vertuscht zu haben. Denn im November 2020 hatte Frontex eine Arbeitsgruppe zusammen gestellt, welche die Vorwürfe gegen griechische Grenzbeamt*innen untersuchen sollte. Im März 2021 veröffentlichte diese schliesslich einen Bericht, der die griechischen Grenzbeamt*innen von jeglichen Vorwürfen freisprach, trotz massiver Beweislast für das Gegenteil. HWR fordert einen Abzug der Frontex-Beamt*innen. Es wird langsam Zeit…
Zusätzlich stufte die rechte griechische Regierung unter Premierminister Mitsotakis die Türkei seit dem 7. Juni als sicheren Drittstaat für alle Menschen aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan und Bangladesh ein. Das erschwert die Stellung eines Asylantrags in Greichenland ungemein und verschlimmert die Lage der flüchtenden Menschen weiter.
https://www.srf.ch/news/international/illegale-ausschaffungen-pushbacks-von-frauen-und-kindern-an-der-kroatischen-grenze
https://www.spiegel.de/ausland/kroatien-videos-dokumentieren-systematische-pushbacks-a-4463a93d-0467-4960-814a-6d959e1df193
https://www.tagesschau.de/ausland/pushbacks-grenze-101.html
https://www.infomigrants.net/en/post/33177/illegal-migrant-pushbacks-from-croatia-to-bosnia-captured-on-camera
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/griechenland/dok/2021/illegale-push-backs-von-menschen-auf-der-flucht
https://www.infomigrants.net/en/post/33161/amnesty-accuses-greece-of-using-pushbacks-as-de-facto-border-policy
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/griechenland-verschaerft-fluechtlingspolitik?id=b32c8ae9-9b6d-4373-96c0-d55ebd0c09f4
Frontex in Regenbogenfarben – zynischer kann Rainbow-Washing nicht sein
Anlässlich des Pride-Monats und der Weigerung der UEFA, das Stadion fürs EM-Spiel in München bunt zu beleuchten, meinte auch Frontex, sich dazu äussern zu müssen. Auf Twitter ist untenstehendes Bild und folgender Text zu finden: «As part of our commitment to fostering the EU’s core values of equality and non-discrimination, we teamed up with @GayPoliceEU to hold a conference on the rights of the LGBT community.» (auf deutsch: „Als Teil unseres Engagements, die Kernwerte der EU – Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung – zu pflegen, haben wir zusammen mit @GayPoliceEU eine Konferenz über die Rechte der LGBTQ+-Community abgehalten.“)
Nebendem, dass solches Rainbow-Washing und die halb ernst gemeinten Solidaritätsbekundungen nichts an den herrschenden Verhältnissen ändern und kein ernsthaftes Bemühen gegen Homofeindlichkeit darstellen, so ist das Regenbogenfarben-Bekenntnis von Frontex an Zynismus nicht mehr zu übertreffen. Von welchen Werten der Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung soll Frontex da sprechen? Um es auch mit Zynismus zu versuchen: Frontex ist die sexuelle Orientierung von flüchtenden Menschen tatsächlich egal, im Meer lassen sie nämlich alle ertrinken. Und das europäische Recht, auf dem Weg in die Festung Europa umzukommen – dazu verhilft Frontex den flüchtenden LGBTQ+ Personen sehr gerne.
Griechische Behörden verurteilen Geflüchtete zu 146 Jahren Gefängnis wegen vermeintlichen Menschenschmuggels
Was nun?
Aktion Vierviertel fordert Grundrecht auf Einbürgerung
Das schreibt die Aktion Vierviertel in ihrem Manifest für ein Grundrecht auf Einbürgerung. Sie fordert, dass endlich objektive Kriterien und faire Verfahren zur Anwendung kommen: »Jeder Mensch, der seit vier Jahren in der Schweiz lebt, soll unabhängig vom Aufenthaltsstatus ein Recht auf Einbürgerung haben. Veraltete, unsachliche und willkürliche Kriterien gehören abgeschafft. So lassen sich kantonale und kommunale Wohnsitzfristen heute nicht mehr rechtfertigen. Auch ist es diskriminierend, wenn Menschen, die Sozialhilfe beziehen müssen, das Bürgerrecht verwehrt bleibt. Die Einbürgerung muss von einer Verwaltungsbehörde in einem schnellen und günstigen Bewilligungsverfahren erteilt werden.»
Man kann die Aktion mit einer Unterschrift auf ihrer Homepage unterstützen und natürlich die Inhalte supporten und verbreiten:
https://rabe.ch/2021/06/21/wer-bekommt-wann-einen-schweizer-pass/
https://aktionvierviertel.ch/
https://www.woz.ch/2125/aktion-vierviertel/bullakajs-weg-zum-schoeneren-buergerrecht
Wo gabs Widerstand?
Grosse Demonstration in Basel setzt sich gegen das Lagersystem ein
Am Sonntag, 20. Juni, fand bei der Claramatte in Basel eine Standkundgebung gegen Gewalt im Lagersystem statt. Die Organisator*innen beantragten ursprünglich eine Demonstration, diese wurde von der Stadt jedoch aus unverständlichen Gründen nicht genehmigt. Teilnehmer*innen der Standkundgebung akzeptieren die versuchte Einschränkungen der Stadt nicht und liefen ohne Bewilligung los. Das Ziel der Demonstration war das Bundesasylzentrum, doch die Polizei versperrte den Weg dahin und drohte, Tränengas einzusetzen. Nach der Auflösung der Demonstration führten sie Personenkontrollen durch und versuchten, Anwesenden irgendwelche vermeintliche Straftaten anzuhängen.
Es ist schade, dass der Demozug aufgelöst wurde, bevor das Bundesasylzentrum erreicht wurde. In diesem Asylzentrum erleben Migrant*innen täglich extreme Gewalt durch Mitarbeitende der Securitas AG. In den letzten Monaten kamen immer mehr schreckliche Details ans Licht und obwohl die Lagerleitung wie auch die Securitas die Vorfälle immer leugneten, war die Beweislage zuletzt so eindeutig, dass sie sich die Wahrheit schliesslich eingestanden. Doch mit einer Entschuldigung ist nichts getan, das sind nur leere Worte aus Mündern, die jeden Tag von der Ausbeutung anderer profitieren. Das Lagersystem muss abgeschafft werden. Wir werden nicht schweigen. Und wenn uns deshalb keine Bewilligungen erteilt werden, werden wir trotzdem nicht kapitulieren.
https://telebasel.ch/2021/06/20/unbewilligter-demonstrationszug-nach-protest-auf-claramatte
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/basel-zwoelf-personen-nach-unbewilligter-demonstration-kontrolliert-ld.2153587
https://barrikade.info/article/4531
https://barrikade.info/article/4577
Über 300 Menschen campieren vor dem Pariser Rathaus, um sich für Unterkünfte für Migrant*innen stark zu machen
Am Donnerstagabend schlugen mehr als dreihundert obdachlose Migrant*innen und ihre Unterstützer*innen über 250 Zelte auf dem Place de l’Hôtel de Ville vor dem Pariser Rathaus auf. Sie wollen damit auf ihre Lebensbedingungen aufmerksam machen und fordern die Pariser Behörden auf, ihnen Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. In Frankreich müssen selbst legalisierte Migrant*innen nach drei Monaten ihre Sozialwohnungen verlassen. Wohnungen sind wie in den meisten Grossstädten rar und teuer.
Was steht an?
Infoveranstaltung über italienische Abschiebeknäste
27.06.21 I 15:00 I Studerstrasse 1312, Bern
In der Nacht vom 22. auf den 23. März begeht Moussa Balde im Abschiebeknäst von Turin (CPR) Selbstmord. Ein weiterer illegalisierter Mensch, der in den Händen des Staates sterben muss. In der Diskussion sprechen wir über die Mobilisierung, die folgte, darüber, wie die italienischen Abschiebeknäste funktionieren, die Gesundheitsprobleme in diesen modernen Lagern und die Kämpfe, die daraus in der Stadt resultieren.
https://barrikade.info/event/1580
Kolonialismus -die Sortierung der Welt durch Europa. Diese Sortierung veränderte auch Fragen nach Begehren, Geschlecht und Körper. Jene Nachfahren der Kolonialisierten haben in Gedichten, Videos und wissenschaftlichen Texten überlegt: was bedeutet die Kolonialisierung unserer Körper über die Jahrhunderte für unsere Gegenwart? Wie überlebte das widerständige Wissen durch unsere Körper? Aus queerer Perspektive wird SchwarzRund mithilfe der decolonial-, queer-, gender und Black-latin Studies Antworten suchen – aber vor allem weitere Fragen aufwerfen.
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Der UNO-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen rügt die Schweiz: Sie unternimmt zu wenig, um die Betroffenen von illegalen Adoptionen aus Sri Lanka zu unterstützen, die Täter*innen zu verfolgen und das Recht auf Wiedergutmachung konkret umzusetzen. Die Mütter in Sri Lanka, die ihre verschwundenen Kinder suchen, sind häufig schon über 60 Jahre alt. Die nun erwachsenen Kinder warten bei der Suche nach ihrer Herkunft bis heute auf die Unterstützung der Schweizer Behörden.
https://www.humanrights.ch/de/ueber-uns/sri-lanka-adoption-schweiz
Aktuell können wir die Hilfsanfragen nicht mehr bewältigen, die uns von migrierenden Menschen erreichen, welche alles verloren haben. Immer häufiger werden sie vom politisch-institutionellen System zu Sklaverei und Unsichtbarkeit verurteilt, die sie physisch und psychisch zerstört.
https://www.borderlinesicilia.it/de/monitoring/madi-houssein-und-die-anderen-namenlosen/
https://www.aljazeera.com/news/2021/6/20/infographic-world-refugee-day-journey