Fasnachtsawareness, Rassismusstudie, Bazahlkartenentmündigung

Was ist neu?

Ägäis Update: Unsere Statistik der Schande Part 

Mit 710 als tot oder vermisst gemeldeten Menschen geht das Jahr 2023 als eines der tödlichsten Jahre in die Geschichte der östlichen Mittelmeerroute ein. An den türkischen und griechischen Küsten werden kontinuierlich Leichen angespült. Die Dunkelziffer fällt daher deutlich höher aus. Wer es nach Griechenland schafft, durchlebt in den Lagern die blanke Hölle. 

Eine mehr als besorgniserregende Entwicklung stellt der Anstieg der Todesfälle und der als vermisst geltenden Personen im Vergleich zum Jahr 2015 dar, in welchem 799 Todesfälle oder «Vermisste» gemeldet wurden. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass im Gegensatz zu den 856.723 Menschen im Jahr 2015, im Jahr 2023 gerade Mal 41.561 Menschen ankamen. Diese drastische Abnahme um 95 % der Ankommenden ist das von europäischen Politiker*innen als «Erfolg» bezeichnete Resultat einer Aufrüstungs- und Abschottungspolitik, in welcher systematische Pushbacks zur täglichen Routine der von der EU finanzierten Auftragsmördern der sog. griechischen Küstenwache und Frontex gehören.

Einen weiteren deutlichen Unterschied zum Jahr 2015, in welchem sich die Medien auf die als «Krise» und «Ausnahmezustand» inszenierte Tragödie – welche in Wahrheit eine logische Konsequenz der kapitalistischen und daher implizit rassistischen Verhältnisse darstellt – einschoss, ist die Tatsache, dass es mittlerweile beängstigend still um die verheerenden Zustände an Europas faktischen und externalisierten Aussengrenzen geworden ist. Die widerwärtige Politik, in welcher Menschen stumm und unsichtbar gemacht werden, zeigt ihre verheerende Wirkung. Fakt ist: Die gewaltvolle Abschottung Europas findet nicht nur durch explizite, physische Gewalt statt, sondern ereignet sich auch auf ideologischer Ebene. Menschen welche sich auf der Flucht vor Krieg, Armut und sogenannten Naturkatastrophen befinden, werden per se kriminalisiert und verrotten in EU-finanzierten Lagern, in welchen sie psychischer und physischer Folter und menschenverachtendsten Zuständen ausgesetzt sind. 

Auf der griechischen Insel Lesbos werden Geflüchtete, welche einen positiven Asylentscheid erhalten, in sogenannte «Rubberhalls» transferiert. Dort sollen sie auf ihre Papiere warten. In diesen «Rubberhalls» befinden sich neugeborene Babys, welche nach wenigen Stunden nach der Geburt zusammen mit ihren Müttern aus dem Krankenhaus zurück ins Camp geworfen werden. In diesen Hallen gibt es keinen Strom und daher keine Heizung – dies in der kältesten Jahreszeit, in welcher die Temperatur in der Nacht um die 0 Grad beträgt. Im gesamten Camp gibt es kein warmes Wasser, manchmal gibt es tagelang überhaupt kein Wasser. Einmal täglich gibt es «Essen», für welches stundenlang angestanden werden muss. Dieses ist oft verschimmelt, oder es befinden sich Würmer oder anderes Ungeziefer darin. Es kursieren verschiedene Krankheiten, welche sich aufgrund der desaströsen Zustände im Camp vor allem bei den Kindern rasant verbreiten. Die Menschen haben oft weder Socken noch Schuhe, noch Kleider, welche sie von der Kälte schützen könnten. Die Flure in der «Rubberhall» sind in Reihen von Etagenbetten – welche bewusst nicht für alle ausreichen – aufgebaut, so dass die Menschen mit Bettlaken notdürftig versuchen ein kleines Bisschen «Privatsphäre» herzustellen. Doch auch dieser letzte Funken Würde, wird ihnen genommen. Immer wieder wird berichtet, dass früh morgens Polizist*innen mit Messern entlang der Reihen marschieren, um die Befestigungen der Laken durchzuschneiden und die verängstigten Menschen in einer Sprache, welche sie nicht verstehen, anzuschreien, dass sie das Camp sofort verlassen müssen. Sollten sie es nicht «freiwillig» tun, würden sie es mit Gewalt tun. Personen, welche einen «positiven» Asylentscheids erhalten, verlieren ab dem Zeitpunkt des Entscheids auch noch die letzten Überbleibsel des «Rechts», welches sich auf nichts anderes als das nackte Überleben bezieht. Sie bekommen kein «Essen» mehr und sie müssen das Camp innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt der Pässe verlassen. 

Doch die Menschen können nicht weg. Sie sind geflüchtet, sie mussten alles zurücklassen, geliebte Menschen sind auf dem Weg, oder in ihrem Herkunftsland ermordet worden, sie sind hochtraumatisiert, teilweise schwer krank und vor allem haben sie oder ihre Geliebten, welche unter den Trümmern vergraben liegen oder sich selbst auf der Flucht befinden, kein Geld, um sich den Weg weg von der Insel und weg aus Griechenland zu finanzieren. 

Seit dem 8. Oktober 2023 wurden im Gazastreifen mehr als 26.000 Palästinenser*innen getötet und die Zahl steigt kontinuierlich an. Tausende der Getöteten waren Kinder. Wenn sie es bis in die EU schaffen, werden sie weiter misshandelt, illegal zurückgedrängt und ermordet. Es ist längst überfällig, dass die Verantwortlichen die Richtlinie über (vorübergehenden) Schutz für Menschen, die vor dem Gemetzel in Gaza und allen anderen Orten dieser Welt aus denen Menschen aufgrund der von den westlichen Staaten mitproduzierten Zerstörung jeglicher Lebensgrundlagen fliehen müssen, in Kraft setzt, wie es beim Einmarsch Russlands in die Ukraine ohne Zögern getan wurde. 

Diese Zustände sind keine Katastrophe, kein Unglück, kein Ausnahmezustand und keine Krise, sondern bewusst produziertes Symptom eines kapitalistischen und rassistischen Systems, welches sein Überleben mit allen Mitteln und um den Preis des letzten überbleibenden Funkens Menschlichkeit verteidigt. Es sind nicht Grenzen die töten, sondern Menschen, welche diese materiell und ideologisch aufrecht erhalten. 

Get angry, get organized. NOW.

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“Never in my life have I been treated so badly – and you know, I fled the Taliban regime. They treat us like trash, like garbage that needs to be disposed of.” 

Was geht ab beim Staat?

Neue Studie zu Rassismus in der Schweiz veröffentlicht

Am 1. Februar hat die Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) des Bundes die Ergebnisse ihres Monitorings veröffentlicht. Die Erhebung «Zusammenleben in der Schweiz» sammelte im Jahr 2022 Daten zu Rassismus. 17% der Befragten gaben an, in den letzten fünf Jahren rassistisch diskriminiert worden zu sein. Das entspricht 1.2 Millionen Menschen oder jeder sechsten in der Schweiz wohnhaften Person.

Die häufigste Form von rassistischer Diskriminierung, die gemeldet wurde, ist verbaler Rassismus: Beschimpfung, Bedrohung, Verleumdung, diskriminierende Äusserungen und Gesten, sowie Hassrede. Viele Fälle betreffen des Weiteren herabwürdigende Behandlung und diskriminierende Benachteiligung bis hin zu Leistungsverweigerung. Diese Form von rassistischer Diskriminierung kann schwieriger nachzuweisen sein und wird – häufig aus Angst vor Konsequenzen – weniger gemeldet. Generell ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Hierfür gibt es viele verschiedene Gründe: Abhängigkeits- und Machtstrukturen, erschwerter Zugang zu Beratungsstellen und fehlendes Vertrauen in staatliche Behörden oder in den Nutzen einer Meldung – sowie die Schwierigkeit, bestimmte Formen von Rassismus zu benennen und nachzuweisen. Vor allem wenn (staatliche) Strukturen von institutionellem Rassismus durchzogen und nicht darauf ausgelegt sind, Rassismus anzuerkennen, sichtbar zu machen und zu bekämpfen.

Besonders junge Menschen zwischen 15 und 24 gaben an, rassistisch diskriminiert worden zu sein. Sie machen ein Drittel der Betroffenen aus. Seit 2016 hat sich diese Zahl von 19% fast verdoppelt. Dies ist einerseits äusserst beunruhigend und desaströs, kann jedoch auch darauf zurückzuführen sein, dass junge Menschen stärker sensibilisiert sind und mehr für ihre Rechte einstehen. Denn generell gaben 47% aller befragten 15-24-Jährigen – ob mit oder ohne Rassismuserfahrung – an, dass die Massnahmen zur Rassismusbekämpfung nicht ausreichen, und sie empfinden Rassismus auch häufiger als ernstes Problem.

Ein weiterer starker Indikator für rassistische Diskriminierung ist der sog. Migrationshintergrund. Dieser wird in der Studie wie folgt definiert: «Personen, deren beide Elternteile im Ausland geboren wurden.» Schweizer*innen, von denen nur ein Elternteil im Ausland geboren wurde und Personen ausländischer Nationalität, deren beide Eltern in der Schweiz geboren wurden, fallen nicht unter den Begriff. Es bleibt fraglich, inwiefern diese Einteilung nützlich oder hilfreich ist. Jedenfalls gaben 30% der Menschen, deren beide Elternteile im Ausland geboren sind, an, rassistische Diskriminierung erfahren zu haben, während dies nur bei 9% Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund der Fall war.

69% der von rassistischer Diskriminierung betroffenen Menschen gaben an, diese im Arbeitsalltag oder bei der Arbeitssuche erfahren zu haben. Sie zeigte sich in Form von Benachteiligung im Bewerbungsverfahren über Lohndiskriminierung bis hin zu Beleidigungen und Mobbing am Arbeitsplatz. Mit 30% ist der öffentliche Raum der am zweithäufigsten genannte Ort für rassistische Diskriminierung, dicht gefolgt von Schule / Studium / Bildungsinstitutionen mit 27%.

Generell ist aus den ausgewerteten Daten nur wenig über die Täter*innen rassistischer Diskriminierung bekannt. In der Studie kommen so auch nur strafrechtlich relevante Vorfälle vor. Und auch diese Erfassung ist ungenau. Denn wenn Straftaten wie Körperverletzung oder Sachbeschädigung rassistisch motiviert sind (sog. Hassverbrechen), wird dies von den Schweizer Strafverfolgungsbehörden nicht systematisch erfasst. So handelt es sich bei den Angaben in der Studie nur um die Verletzungen der Diskriminierungs-Strafnorm.
Im Jahr 2021 wurden in diesem Zusammenhang knapp 300 Straftaten registriert, von denen nur knapp 60 zu Verurteilungen führten. (Ein weiteres Zeichen dafür, dass staatliche Behörden nicht für die Anerkennung, Sichtbarmachung und Bekämpfung von Rassismus ausgelegt sind.). Von diesen Straftaten wurden über 80% von Männern mit Schweizer Pass begangen, fast die Hälfte von ihnen zwischen 35 und 59 Jahren.

Hinzu kommt, dass wohl kaum alle rassistisch motivierten Straftaten zur Anzeige kommen, da die rassistischen Strukturen der Institution Polizei dies verunmöglichen. Sei es, dass Menschen keine Anzeige erstatten, weil sie rassistische Diskriminierung fürchten, dass Anzeigen gar nicht erst aufgenommen werden, weil Polizeibeamt*innen diese nicht ernst nehmen oder seien es rassistische Übergriffe, die von Polizeibeamt*innen selber durchgeführt werden.

Die verhältnismässig geringe Zahl an Meldungen von rassistischer Diskriminierung durch die Polizei ist sehr wahrscheinlich kein Indiz dafür, dass diese nicht stattfindet, sondern dass es keine ausreichenden und unabhängigen Kontrollinstanzen gibt. Dass alle zehn Fälle von Racial Profiling, die im Jahr 2022 überhaupt nur eingegangen sind, als nicht gerechtfertigt fallen gelassen wurden, zeichnet ein deutliches Bild.

Die Auswertung der Erhebung von 2022 zeigt, dass die Schweizer Bevölkerung anscheinend nach wie vor den Begriff Rassismus nicht versteht. Denn während der sog. Rassismusindex aus dem Jahr 2022 impliziert, dass rassistische Einstellungen in der Schweiz mehrheitlich angelehnt werden, gab ein Drittel der Befragten bei der Erhebung der FRB an, sich an Personen zu stören, welche sie als «anders» wahrnimmt. Frei nach dem Motto: «Ich bin nicht rassistisch, aber…» Was für eine verzerrte Selbstwahrnehmung.
Vor allem Männer, Menschen, die auf dem Land wohnen und ältere Menschen lehnen diese vermeintliche «Andersartigkeit» ab, haben also rassistische Einstellungen.
Und insbesondere Fahrende, Jenische, Sinti*zze/Manouches und Rom*nja sind laut der Befragung von dieser rassistischen Ablehnung betroffen.

Wie weiter laut FRB?
– Präventionsmassnahmen: Die FRB fordert Massnahmen, welche gezielt «institutionelle Abläufe und Prozesse in den Blick nehmen, statt nur (…) individuelle Haltungsänderungen». Diese müssen z.B. beim Arbeitsmarkt oder der Institution Schule ansetzen.
Sie fordert Schulungen zu Diskriminierungssensibilität und Diversitätsförderung, sowie weitere Schritte zum Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz. Sie kritisiert, dass Lehrmittel bisher kaum Ansätze für rassismuskritische Bildung bieten und dass Lehrpersonen «über das Wissen und die Instrumente für ein rassismuskritisches Lernumfeld verfügen müssen».

Sie fördert zudem gezielt Projekte, die sich mit Rassismus im Netz auseinandersetzen und dazu beitragen, «effektive Massnahmen gegen digitale Hassrede» zu entwickeln.

– Anlaufstellen:
Sie kritisiert die prekäre Finanzierung von Beratungsangeboten und dass diese nur einen Bruchteil der Betroffenen erreichen würden und fordert, dass Beratungsstrukturen dementsprechend gestärkt werden müssen.

– Juristische Massnahmen:
Weiter fordert sie, «umfassende zivilrechtliche Bestimmungen einzuführen», da diese lückenhaft seien. Die «vorhandenen Rechtsinstrumente» seien zu wenig bekannt, zu kompliziert oder zu teuer.

– Forschung: Immer wieder wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass es kaum Studien und Forschung zu Rassismus in der Schweiz gibt. So z.B. zu Rassismus in Sport und Freizeit, zu Rassismus im Gesundheitsbereich und zu Rassismus im Angehörigenkreis und der Familie.

Unsere Kritik? 
Zuallererst sind (quasi-)staatliche Fachstellen gegen Rassismus immer in die rassistischen Strukturen des Staates eingebunden und nicht von ihnen zu lösen. Dies wird unter anderem daran deutlich, dass Elisabeth Baume-Schneider, die ehemalige Leiterin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments (EJPD), das Vorwort zu der Studie verfasste. Wobei doch Baume-Schneider und das EJPD mit ihrer aggressiven und rassistischen Asyl- und Migrationspolitik einen beträchtlichen Teil zu rassistischen Strukturen in der Schweiz beigetragen hat.

Die Staatsnähe per se kann radikale Kritik an staatlichen Strukturen beeinträchtigen. Des Weiteren sind auch Fachstellen gegen Rassismus nicht vor Rassismus gefeit. Dies wird an der GRA deutlich, welche teilweise Daten in die Veröffentlichung mit einfliessen liess. Zuerst starteten sie eine fragwürdige Plakatkampagne, «Nicht bei uns!», welches Rassismus in einem vermeintlichen aussen verortet. Und eine problematische Zweiteilung in ein ‚wir‘ und ‚sie‘ vornimmt. Zudem machten sie die in den begleitenden Texten zu den Plakaten die palästinensische Zivilbevölkerung unsichtbar. Dann gipfelte diese Kampagne in der erheblichen Kriminalisierung der palästinensischen Solidaritätsbewegung, indem sie das Palästinakomitee Zürich anzeigten, weil diese die Parole «From the river to the sea» in arabischer Schrift auf ihren Flyer druckten. Dies hatte zur Folge, dass einer lang ersehnten Demonstration die Bewilligung entzogen und diese in eine Kundgebung umgewandelt werden musste. Die weiteren Folgen stehen noch aus.

Generell muss gesagt werden, dass das Erfassen der Daten kaum repräsentativ sein kann, da sich Meldestellen, wie bereits oben erwähnt, aus verschiedenen Gründen als nicht sonderlich zugänglich erweisen, z.B. aufgrund von fehlendem Wissen darüber, fehlenden Sprachkenntnissen, fehlendem Vertrauen in Behörden wegen wiederholter Diskriminierungserfahrung und dem fehlenden Glauben an einen Nutzen der Meldungen.

Vor allem weil die Befragung nur die ständige Bevölkerung der Schweiz erfasst, also Menschen, z.B. ohne Aufenthaltsstatus in der Schweiz nicht einmal erfasst. Obwohl doch genau Menschen im Schweizer Asylregime und Menschen, welche illegalisiert und irregularisiert werden, erhebliche rassistische Diskriminierung erfahren. Diese horrenden Leerstellen in der Befragung verhindern eine adäquate Abbildung der Rassismus-Situation in der Schweiz.

https://www.rassismus-in-zahlen.admin.ch/de/
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-99910.html
https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/85937.pdf
https://www.blick.ch/politik/bundesrat-ist-besorgt-jede-sechste-person-erlebt-rassistische-diskriminierung-id19390577.html
https://www.derbund.ch/elisabeth-baume-schneider-ist-alarmiert-1-2-millionen-menschen-in-der-schweiz-fuehlen-sich-rassistisch-diskriminiert-945986488282
https://www.watson.ch/schweiz/leben/100218447-rassismus-in-der-schweiz-wer-von-wem-wo-und-wie-diskriminiert-wird
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/viel-luft-nach-oben-in-sachen-rassismusbekaempfung?partId=12531194

Was ist aufgefallen?

Angriff auf Selbstbestimmung von Geflüchteten: Bezahlkarte statt Bargeld

In Deutschland soll asylsuchenden Personen ab diesem Sommer kein Bargeld mehr ausbezahlt werden, stattdessen sollen sie eine sog. Bezahlkarte erhalten. Nun wird die Diskussion auch in der Schweiz aufgenommen. 

Es ist, nicht verwunderlich, ein rassistischer Diskurs, der im Moment rund um die Bezahlkarte für asylsuchende Menschen geführt wird. Ausgangslage ist Misstrauen und ein Generalverdacht, sowie ein Narrativ von Migration als Bedrohung: Das Bargeld, welches asylsuchende Menschen ausbezahlt wird, würde zweckentfremdet werden, zB. für «Schlepperbanden und Terroristen» – so steht es in einer Motion, welche von Berner Grossrät:innen von SVP bis GLP Ende Januar eingereicht wurde und die den Regierungsrat damit beauftragen will, ein Bezahlkartensystem im Kanton Bern einzuführen. 

Mit der Einführung einer Bezahlkarte soll die Verwendung der Gelder kontrolliert werden – ein massiver Eingriff in die Privatsphäre geflüchteter Menschen. Auch sollen keine Auslandszahlungen mehr möglich sein. In der Motion steht: «Die Bezahlkarte kann wie eine Prepaidkarte mit Guthaben aufgeladen und überall dort eingesetzt werden, wo mit Kredit- oder EC-Karten gezahlt werden kann. Sie ist regional für Einkäufe, aber nicht für Überweisungen ins Ausland oder an Schlepper nutzbar.» Das Recht auf Selbstbestimmung, welches für geflüchtete Menschen bereits stark eingeschränkt ist, würde so weiter beschnitten werden. 

Nebst der Motion im Kanton Bern fordert die SVP St. Gallen eine Einführung des Bezahlkartensystems. Und auch wenn entsprechende Vorschläge momentan medial aufgegriffen werden, bleibet festzuhalten, dass dies keinesfalls eine neue Idee ist. Entsprechende Vorstösse – auch auf nationaler Ebene – gab es bereits früher. 

https://www.gr.be.ch/de/start/geschaefte/geschaeftssuche/geschaeftsdetail.html?guid=7b2b1af0227141c988ec0e3b1bf1b55a
https://www.nzz.ch/international/die-bezahlkarte-fuer-asylbewerber-in-deutschland-kommt-ein-umstieg-auf-sachleistungen-erfolgt-damit-jedoch-nicht-ld.1776709

Kopf der Woche

Pierre Alain Schnegg ist unser Kopf der Woche

Niemand konnte in dieser Woche besser den Rassismus in unserer Gesellschaft verleugnen, gegen Migrant*innen hetzten und unser Gesundheitswesen kaputt sparen, als Pierre Alain Schnegg.

«Ich glaube nicht, dass die Schweiz ein Rassismus-Problem hat» Mit diesem grossartigen Zitat der Rassismus Verleumdung betitelte der «Anzeiger Bern» das Interview mit dem Berner SVP-Regierungsrat und Vorsteher der Gesundheits- Sozial- und Intergrationsdirektion Pierre Alain Schnegg. Für Ihn bleiben es rassistische Einzelfälle, nicht jedoch ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft, das es zu bekämpfen gilt.

Die vorherrschende Politik, von rechts bis sozialdemokratisch, stützt sich durch das Schaffen von Feindbildern. Dabei werden bestimmte Bevölkerungsteile durch Illegalisierung, Kriminalisierung und rassistische Diffamierung abgewertet. Durch Repressalien wie Ausgrenzungen und Racial-Profiling wird sichergestellt, dass die rassistischen Herrschaftsverhältnisse gefestigt werden und standhaft bleiben.
Ganz im Sinne der bereits bekannten rassistischen Hetze der SVP zieht auch Pierre Alain Schnegg eine Linie zwischen den Menschen, welche «wirklich unsere Hilfe brauchen und denjenigen, die nur unser System ausnutzen wollen». Dazu kreiert auch er ein Bild des «kriminellen Ausländers». So behauptet er im selben Interview, dass in den Gefängnissen gewisse Personengruppen deutlich überrepräsentiert sind und schlussfolgert daraus, dass es Probleme mit kriminellen Ausländern gibt.
Dass Menschen ohne das Privileg einen Schweizerpass weitaus mehr Straftaten begehen, kann so nicht nachgewiesen werden. Dass jedoch Menschen ohne einen gesicherten Aufenthaltsstatus nur wegen ihrer illegalisierten Existenz Monate lange Haftstrafen kassieren, kann sehr wohl nachgewiesen werden und beschreibt den Lebensalltag vieler illegalisierter Menschen in der Schweiz.

Die rassistische und koloniale Vorherrschaft der Schweiz haben wir hart erarbeitet. «Aber der Schweiz ist der Wohlstand auch nicht einfach vor die Füsse gelegt worden, wir haben ihn dem Engagement unserer Eltern und Grosseltern zu verdanken! In vielen der Regionen mit Problemen haben die Leute Entscheidungen getroffen, welche die schwierige Situation verursacht haben.» Wir danken niemandem, dessen Engagement dem Schweizer Nationalstaat mit gewaltvoller Kolonisierung, Unterdrückung und Auslöschung ganzer Gemeinschaften zum materiellen Wohlstand verholfen hat. Wir danken denen, die sich dazu entschieden haben Widerstand gegen eben diese Herrschaftsverhältnisse zu leisten und für die Befreiung aller kämpfen.

In seinem Amt als Gesundheitsdirektor ist Pierre Alain auch mitverantwortlich für die neusten Kürzungen bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern. Diese führen dazu, dass wohl bald wichtige Angebote für Patient*innen gestrichen werden. Für Pierre Alain haben alle, die sich jetzt über die Sparmassnahmen aufregen, die Komplexität des Gesundheitswesens noch nicht verstanden. Kürzungen im Gesundheitswesen sind Kürzungen, die gegen unser aller Wohlbefinden gerichtet sind, das ist leicht verständlich. Erfreulicherweise kommt auch hier Widerstand aus der Bevölkerung auf. Die Hoffnung, dass wir gemeinsam gegen ultrarechte Politiker*innen ankämpfen und gewinnen können, bleibt.

https://www.anzeigerbern.ch/politik/444-ich-glaube-nicht-dass-die-schweiz-ein-rassismus-problem-hat
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/berner-psychiatrie-in-geldnot?urn=urn:srf:video:a7872a74-8bd0-43d8-9dc5-f4f20454c116

Pierre Alain Schnegg

Was war eher gut?

Basel: Awarenesskonzept gegen Fasnachtsrassismus

In den letzten Jahren mobilisierten sich antirassistisch aktive Personen und Gruppen gegen das, was antira.org Fasnachtsrassismus nennt. Nun übernehmen die Organisierenden der Basler minimale Teile eines Awarenesskonzepts. 

Wer länger sucht, findet sie: «Die Fasnacht ist eine Zeit der Freude und des Feierns, dabei sollen sich alle wohl und sicher fühlen und sich darum respektvoll verhalten. Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Sexismus, Beschimpfungen und Beleidigungen, Herabwürdigung Andersdenkender und Andersfühlender sowie alle anderen Formen von diskriminierendem Verhalten entsprechen nicht dem Geist der Basler Fasnacht – sich anständig und gesetzeskonform zu verhalten, hingegen schon.»

Bis heute kommt es an der Fasnacht zu Rassismus. Oft in der Form von Blackfacing und herabsetzenden Verkleidungen sowie in Form von Sprüchen und Witzen. Dabei werden Menschen aus ehemals kolonialisierten Regionen in Afrika, Nordamerika oder im hohen Norden als rückständig und minderwertig gebrandmarkt. Die Überzeichnungen gehen auf jene zurück, die bereits während der europäischen Expansionspolitik dazu dienten, den Kolonialismus zu rechtfertigen, indem die kolonialisierten Menschen herabgesetzt wurden. Auch antimuslimische und antisemitische Sujets tauschen ab und wann auf.

Fasnachtsrassismus ist ein Ausdruck des rassistischen Konsens in der Dominanzgesellschaft. Diese hat das Othering sowie dämonisierende Fantasien aus der Kolonialzeit nicht aufgearbeitet und abgelegt. Antira.org gab vor einigen Jahren einen kurzen Clip (https://youtu.be/6ZJ-rk2fKk4) heraus. Dieser problematisiert den Fasnachtsrassismus und macht Vorschläge, um ihn zu bekämpfen. Erfreulicherweise bedankt sich die Basler Fasnacht für antirassistische Praxis. Am Schluss der Verhaltensregeln heisst es: «Wir danken allen Kritikern, dass sie uns herausfordern.» Lasst uns das weiterhin tun.

https://www.fasnachts-comite.ch/de/basler-fasnacht/
https://www.watson.ch/schweiz/leben/753821534-basler-fasnachts-comite-will-verstaerkt-gegen-rassismus-vorgehen

Fasnacht in Basel

Was nun?

Propalästinensische Solidarität stärken

Während der Terrorangriffe am 7. Oktober tötete die Hamas 1139 Personen. Die westlichen Herrschenden und Dominanzgesellschaft solidarisierten sich mit den Opfern und rund 200 Personen, die seit diesem Tag in Geiselhaft der Hamas befinden. Um die schreckliche Gewalt besonders eindeutig zu verurteilen, blendeten viele das Apartheid- und Besatzungsregime der letzten Jahre aus. Viele, die daran erinnerten, sahen sich mit dem Antisemitismusvorwurf konfrontiert.

Seither sind fast drei Monate vergangen. Laut der Hamas-Gesundheitsbehörde tötete die israelische Armee in dieser Zeit 27’365 Palästinenser*innen. 66’630 Personen seien verletzt. Meist handelt es sich um Frauen, Kinder, Jugendliche und ältere Männer. Die rund 2 Millionen Menschen im Gazastreifen stehen unter permanenter Bombardierung extremer Intensität. Die israelische Armee nimmt auf die Zivilbevölkerung kaum Rücksicht. Da das Gebiet nach wie vor quasi nicht zugänglich ist, leiden und sterben die Menschen an Hunger, Krankheiten und Elend. Das offizielle Ziel der israelischen Armee bleibt, die Auslöschung der Hamas. Machthabende Ultrarechte wie beispielsweise der Verteidigungsminister Yoav Gallant benennen weit schlimmere Absichten und sprechen von einem «Kampf gegen Tiere».

Was die israelische Armee aktuell durchzieht, hat den Staat Südafrika bewogen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag für Völkermord zu verklagen. Letzte Woche forderte der Gerichtshof Israel auf, einen Völkermord zu verhindern und endlich humanitäre Hilfe zuzulassen, doch einen Waffenstillstand ordnete der Gerichtshof nicht an. Hingegen kündigte er an, den Genozid-Vorwurf vertieft prüfen zu wollen.

Dies ist jedoch nicht als Zeichen dafür zu sehen, dass sich die einseitige Solidarisierung der westlichen Herrschenden und Dominanzgesellschaft angesichts des menschenfeindlichen Vorgehens der israelischen Armee relativiert hat. Die Ereignisse der vergangenen Wochen weisen eher in eine andere Richtung:

– Es wurde bekannt, dass sich unter den 13’000 mehrheitlich palästinensischen Mitarbeitenden des UNO-Hilfswerk UNWRA einige befinden, die sich am Massaker am 7. Oktober beteiligten. Daraufhin sistierten die USA, Deutschland, Grossbritannien, Niederlande, Kanada, Australien unmittelbar ihre Zahlungen. Die Schweiz hat ihre Zahlungen bereits seit Herbst eingestellt. Da die UNO nur 10% der Ausgaben der UNWRA finanziert und 90% der Kosten vorwiegend von diesen Staaten finanziert werden, droht dem aktuell grössten Hilfswerk im Gazastreifen der Kollaps. Eventuell springen aus politisch opportunistischen Gründen nun noch arabische Staaten, Russland oder China in die Bresche, doch bisher ist dies nicht geschehen.

– Die Uni Bern löste das Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften auf. Ein Dozent, der auch der Ehemann der Institutsleiterin ist, hatte sich am 7. Oktober auf Twitter sarkastisch geschmackslos über den Terrorangriff der Hamas gefreut. Die Uni rechtfertigt die Auslösung damit, dass Politik und Wissenschaft am Institut nicht klar unterschieden wurden. Als ob dies bei neoliberalen Professor*innen in den Wirtschaftswissenschaften der Fall sei. Als ob der Entscheid der Unileitung nicht genauso Politik und Wissenschaft verbindet. Als ob es überhaupt eine neutrale Wissenschaft geben würde.

– Zum zweiten Mal hat die Stiftung Gemeinsam gegen Rassismus und Antisemitismus Strafanzeigen gegen Teile der propalästinensische Solidaritätsbewegung eingereicht. Eine erste richtete sich gegen den Funken. Die zweite nun gegen das Committee-Zurich-Palestine. Es geht dabei um den umstrittenen Slogan «From the river to the sea, Palestine will be free»-Slogan. «Die GRA Stiftung ist der Ansicht, dass es sich bei der Ankündigung um einen Gewaltaufruf handelt und die Organisatoren mit dem Slogan auf Arabisch ihre wahren Absichten gegenüber dem Schweizerischen Durchschnittsleser versuchen zu verbergen», sagt Geschäftsleiterin Stephanie Graetz. Die Basler Staatsanwaltschaft kam vor einigen Tagen zum Schluss, dass der Slogan durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt sei. Egal was sich die GRA von den Strafanzeigen wirklich erhofft, schwächt sie damit potentiell eine bitter notwendige und antirassistisch absolut gerechtfertigte Solidaritätsbewegung. Damit disqualifiziert sich die GRA gerade selbst – wenn sie es nicht eh schon war.

https://antira.org/2022/02/21/zuschauen-in-kroatien-positionen-in-petitionen-romnja-in-deutschland/#Wir_muessen_reden_solidarische_intersektionale_Kritik)
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/internationaler-gerichtshof-zu-sofortmassnahmen-im-gazakrieg?id=12528461
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/universitaet-bern-loest-bisheriges-nahost-institut-auf?partId=12531386
https://www.20min.ch/story/zuerich-strafanzeige-gegen-organisatoren-von-palaestina-demo-eingereicht-103023137
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/palaestinenserhilfswerk-vor-dem-bankrott?id=12528881
https://www.instagram.com/p/C2Zg5qNqc5b/

Teile des Gazastreifens in Trümmer

Wo gabs Widerstand?

Solibanner für die angeklagten Antifas im Budapest-Fall

Kleines Zeichen der Solidarität aus Bern für die inhaftierten Antifaschist:innen, welche ab Montag in Budapest vor Gericht erscheinen müssen.

Am Montag 28.1. beginnt der Prozess gegen die Antifaschist:innen Ilaria, Tobias und Anna in Budapest. Ilaria und Tobias drohen bis zu 24 Jahren Haft!! Anna bis zu 5 Jahren. Ilaria und Tobias sind unter katastrophalen Bedingungen in Ungarn inhaftiert, so ist Ilarias Zelle knapp 3,5m² klein und voll mit Ungezifer. Ihnen und weiteren, zum Teil untergetauchten Genoss:innen wird vorgeworfen im Februar 2023 Nazis, welche an die SS-Gedenkfeierlichkeiten gehen wollten, abgepasst und sie geschlagen zu haben oder zumindest von den Angriffen Kenntnis gehabt zu haben.Für mehr Infos schaut auf der Website des Unterstützungskomitees vorbei: https://www.basc.news/

https://barrikade.info/article/6296

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Gemeinsames europäisches Asylsystem: Licht ins Wirrwarr der Paragrafen
Die EU-Institutionen haben sich nach jahrelangem Ringen auf eine Reform ihres Asylsystems geeinigt. Das Paket ist umfassend und unübersichtlich. Was darüber schon bekannt und was davon zu halten ist.
https://www.woz.ch/2405/gemeinsames-europaeisches-asylsystem/licht-ins-wirrwarr-der-paragrafen/!Q4SR0EY1X1NZ

Inglorious Bastards
In der Geschichte bildeten sich einige antifaschistische Selbstschutzgruppen, die versuchten ihre communities zu schützen. “Die Sache in die eigenen Fäuste nehmen”1 war ihr Motto. Alle aufgeführten Gruppen handelten jenseits des Gesetzes. Und doch sind gerade sie es, die man heute noch kennt.
https://antifainfoblatt.de/aib140/inglorious-bastards

Schwarzarbeit
Schwarzarbeit ist illegal und bei Illegalität gibt es stets Täter und Opfer. So meint man, doch die Realität ist, wie so oft, komplexer und die Identifizierung der Schuldigen fast unmöglich. Aufregend unaufgeregt, mit menschlichem Feingefühl und politischem Engagement begleitet der Dokumentarfilm Arbeitsmarktinspektoren im Kanton Bern.
https://www.playsuisse.ch/watch/2292291?locale=de

Sklaverei – Auf den Spuren Schweizer Kolonialherren in Brasilien
Das SRF sendet eine Doku über Siedler*innen aus der Schweiz. Sie waren Sklavenbesitzer in Bahia, Brasilien. Ein Teil der schweizer Geschichte der immer noch ein Tabu ist.
https://www.srf.ch/news/dialog/sklaverei-auf-den-spuren-schweizer-kolonialherren-in-brasilien