Zuschauen in Kroatien, Positionen in Petitionen, Rom*nja in Deutschland

Rückblick auf eine Woche voller Rassismus


Was ist neu?

Mindestens 49 Menschen sterben auf Flucht- und Migrationsrouten

Auch in den letzten Wochen sind viele Menschen aufgrund der Abschottungspolitik und dem europäischen Grenzregime gestorben.

  • An der türkisch-griechischen Grenze, nahe Ipsala, wurden 12 Leichen gefunden. Somit steigt die Zahl der Menschen, die beim Versuch, die Grenze zu überqueren erfroren, auf 19.
  • Im Atlantischen Ozean, etwa 35 km südlich von Fuerteventura sank ein Boot mit Menschen, die versuchten, die Kanarischen Inseln zu erreichen. 40 Menschen konnten gerettet werden, 16 Menschen werden vermisst, mindestens eine Person starb.
  • Vor der Küste von Alicante, Spanien, erlitt ein Boot mit siebzehn geflüchteten Menschen an Bord Schiffbruch. Sie waren in Algerien gestartet. Nur fünf von ihnen überlebten. Zwei Überlebende wurden mit Unterkühlungen ins Krankenhaus gebracht.
  • Auf der Mittelmeer-Route nahe Kreta, auf der Menschen versuchen, von der Türkei direkt nach Italien zu gelangen, wurden drei Leichen entdeckt. Die Behörden gehen davon aus, dass es sich um die Opfer von mehreren Schiffsunglücken handelt, die Ende Dezember vor den Inseln Folegandros, Paros und Kreta passierten und seit denen mindestens dreissig Personen als vermisst gelten.  
  • Ein Floss mit 21 Menschen an Bord verliess am 11. Februar den Hafen von Aboukammash in Libyen. Auf dem Weg nach Lampedusa, Italien, stiess das Floss mit einem Fischerboot zusammen. Hierbei fielen mehrere Menschen ins Wasser. Eine Person aus Somalia und zwei weitere von der Elfenbeinküste gelten seitdem als vermisst. Die restlichen konnten gerettet werden und wurden nach Lampedusa gebracht. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind im Jahr 2022 auf der Route über das Mittelmeer bereits 82 Menschen gestorben oder verschwunden.
  • Am 6. Februar gab es 75 Seemeilen südöstlich von Boujdour in der gemeinsamen Such- und Rettungszone von Spanien und Marokko einen Notruf an die NGO Alarm Phone von einem Boot mit 54 Menschen an Bord. Die in Not geratenen Personen gaben an, dass eine Person gestorben sei und sich der leblose Körper bei ihnen an Bord befinde. Alarm Phone alarmierte daraufhin die spanischen Behörden, die ihnen mitteilten, es würde Hilfe aus Marokko kommen. Somit kamen sie ihrer Pflicht zur Rettung nicht nach und setzten Menschenleben aufs Spiel. Die marokkanische Küstenwache liess auf sich warten. Sie begründeten die verzögerte Rettungsaktion mit den schlechten Wetterbedingungen, gleichzeitig behaupteten die spanischen Behörden weiterhin, die Situation auf dem seeuntüchtigen Schlauchboot auf dem offenen Meer sei unter Kontrolle. Dieser Widerspruch zeigt einmal mehr, wozu die spanischen Behörden bereit sind. Denn im Laufe der Nacht auf den 7. Februar fielen vier Personen ins Wasser und ertranken. Die politische Entscheidung zur Abschottung von der spanischen Regierung und die damit einhergehende unterlassene Hilfeleistung sind der Grund, warum vier Menschen starben.
    Die marokkanischen Behörden gaben schliesslich am Morgen des 7. Februar an, ein Rettungsschiff sei vor Ort und 53 unverletzte Personen seien zurück an Land gebracht worden. Dies widerspricht jedoch den Zeug*innenaussagen der Überlebenden. Ihnen zufolge wurden sie erst am späten Montagabend gerettet und mussten einen weiteren Tag ohne medizinische oder andere Versorgung an Bord des marokkanischen Rettungsschiffes verbringen. Und sie bestätigten den Tod der vier Menschen, die ins Wasser gefallen waren, lange bevor das marokkanische Schiff eintraf.
    Jetzt können wir uns die Frage stellen: Warum wird Polizeibeamt*innen und Behörden mehr geglaubt als Schutzsuchenden? Diese rassistische und autoritätshörige Doppelmoral gefährdet Menschenleben und schützt diejenigen, die Verbrechen begehen.

Und unterlassene Hilfeleistung ist nur einer der Vorwürfe, der europäischen Grenzbeamt*innen gemacht werden kann. Denn laut Medienberichten gab es in der Ägäis seit Mai 2021 mindestens 29 Pushbacks (gewaltvolle und illegale Spontan-Abschiebungen), bei denen Menschen von der Küstenwache ins Wasser geschmissen wurden. Meistens handelte es sich um kleine Gruppen, die auf Chios oder Samos angekommen waren. Hierbei ertranken mindestens zwei Menschen. Wir können also von Totschlag sprechen.

Aber es gibt auch Widerstand dagegen: Die zivilen Seenotrettungsschiffe Geo Barents, Aita Mari und die Ocean Viking haben in den letzten Wochen 821 Menschen auf dem offenen Meer gerettet.

https://www.ansa.it/sito/notizie/topnews/2022/02/03/trovati-altri-migranti-morti-al-confine-tra-turchia-e-grecia_3da0a4da-1718-46be-aed2-18f8ed96fb13.html
https://www.ansamed.info/ansamed/it/notizie/rubriche/cronaca/2022/02/07/migranti-turchia-oltre-23mila-soccorsi-nellegeo-nel-2021_e3056d5a-9eb4-44be-a1ef-b01b99189b29.html
https://www.ansa.it/sito/notizie/mondo/europa/2022/02/03/migranti-naufragio-alle-canarie-si-temono-16-dispersi_8291df0f-9f29-4715-bc0a-c46df178aef2.html
https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/menschen-schicksale/id_91621844/mittelmeer-erneut-leichen-von-migranten-in-der-aegaeis-entdeckt.html
https://www.efe.com/efe/comunitat-valenciana/tribunales-y-sucesos/detenido-un-menor-que-llego-en-patera-por-12-delitos-de-homicidio-imprudente/50000881-4733879
https://ecre.org/central-med-civil-fleet-continue-to-save-lives-as-italian-authorities-drop-charges-italy-urged-in-end-mou-with-libya-where-the-list-of-crimes-against-migrants-grows/
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/197197/
https://www.italpress.com/malta-forze-armate-accusate-di-aver-abbandonato-un-gruppo-di-migranti/
https://alarmphone.org/en/2022/02/09/migrants-lives-dont-matter-in-the-atlantic-another-case-of-fatal-non-assistance
https://www.agi.it/cronaca/news/2022-02-13/domenica-sbarchi-naufragi-3-morti-15614227/
https://www.stol.it/artikel/chronik/400-migranten-auf-lampedusa-eingetroffen
https://www.spiegel.de/ausland/griechenland-eu-grenzschuetzer-sollen-fluechtlinge-ins-meer-geworfen-haben-a-26747b1b-58f6-4f48-a3fe-50284ddca62d

Pnos löst sich auf

Diese Woche hat sich die Pnos nach 22 Jahren Parteigeschichte offiziell aufgelöst. Damit verschwindet die parteipolitische Organisation der radikalen Rechten, nicht aber ihre Inhalte und Akteur*innen.

Bild: Gegen die PNOS gab es immer wieder konsequenten Widerstand.

Niemand wird sie vermissen. In der Öffentlichkeit spielte die Partei National orientierter Schweizer schon seit Jahren keine grosse Rolle mehr. Selbst in ihren besten Zeiten hatte die Partei wohl nie mehr als 300 Mitglieder. Die Hauptakteur*innen der Partei wie Florian Gerber und Tobias Steiger waren seit jeher gut vernetzt und es ist unwahrscheinlich, dass sie von der Bildfläche verschwinden werden. Gerber ist Inhaber der Firma White Rex, die Kleidung mit rechten Symbolen für den Kampfsport verkauft.
Dass sich vor allem junge Leute zunehmend nicht in Parteien, sondern ausserparlamentarisch engagieren, ist nichts Neues. Auch in der Schweiz etablieren sich Strukturen der Neuen Rechten. Allen voran die Junge Tat, die im Januar die Corona-Massnahmendemo in Bern anführte und damit einen starken öffentlichen Auftritt hatte. Auch vergangene Woche in Zürich traten sie in einem 30er-Mob in Erscheinung und versuchten erfolglos, Antifaschist*innen anzugreifen.  Die Neue Rechte, so auch die Junge Tat, tritt modern, sportlich und anschlussfähig auf. Bildung und Sport stehen im Zentrum ihrer Aktivitäten. Die Internetpräsenzen sind professionell und verkleiden die rassistische, völkische und nationalistische Ideologie im hippen Anstrich.Neben neuen Strukturen haben alte weiterhin Bestand. Blood & Honour und Hammerskins geben weiterhin den Ton an. Auch sie sind europäisch gut vernetzt, setzen auf Schiessübungen und Bewaffnung, bringen die Szene bei Konzerten und anderen Veranstaltungen zusammen. Insgesamt kann man sagen, dass die rechte Szene nach der Auflösung der Pnos alles andere als geschwächt dasteht.
Zum Weiterlesen: „Die braune Szene der Schweiz“: https://www.antifa.ch/wp-content/uploads/2021/05/antifa_revue2.pdf

https://www.derbund.ch/sie-hassten-die-auslaender-und-die-svp-942868871090
https://www.nzz.ch/schweiz/die-aufloesung-der-pnos-verheisst-nicht-nur-gutes-ld.1669230
https://www.srf.ch/news/schweiz/extremismus-in-der-schweiz-die-pnos-war-schon-sehr-lange-dysfunktional
https://www.derbund.ch/das-ende-der-pnos-aber-nicht-das-ende-der-berner-rechtsextremen-353740610121

Was ist aufgefallen?

Nach Zürich-Nazifrei-Demo: Rechtsrutsch wird deutlich

Die Berichterstattungen rund um die Zürich-Nazifrei-Demo vom 12.02. bezeugen einmal mehr die fehlende Abgrenzung von faschistischen Ideologien.

In den Medien wird auffallend wenig über die 30 Neonazis geschrieben, die am Samstag, 12. Februar, am Bahnhofsplatz in Zürich hinterhältig Gegendemonstrant*innen angriffen. Stattdessen wird die altbekannte „Extremismus-Debatte“ losgetreten und Aussagen wie „Gewalt ist Gewalt – egal ob sie von rechts oder links kommt“, werden besonders häufig zitiert. nau.ch schreibt von Expert*innen, die nun befürchten, dass extremistische Gruppen Zulauf bekommen. Dies im Zusammenhang mit linken Jungpolitiker*innen, die sich mit der antifaschistischen Demo solidarisch zeigten. Vom Zulauf, den momentan Neonazi-Gruppen durch die Corona-Demonstrationen erhalten, wird hingegen nichts erwähnt. Währenddessen spricht sich der Bundesrat gegen ein Verbot von Nazi-Symbolen aus. Dies rechtfertigt er mit dem Argument der „Meinungsfreiheit“. Öffentliche Sympathie mit diskriminierenden Ideologien sei noch keine Propaganda und ausserdem sei Prävention besser geeignet als Verbote und Strafen.
Diese Haltung des Bundesrates in der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage macht deutlich, wie stark sich gerade der öffentliche Diskurs nach rechts verschiebt und spielt der neuen rechten Bewegung geradezu in die Hände. Angebliche „Massnahmenkritiker*innen“ provozieren seit Monaten mit rassistischen und antisemitischen Äusserungen im öffentlichen Raum unter dem Deckmantel der „Meinungsfreiheit“. Dass „Coronaskeptiker*innen“ mit gelben David-Sternen und anderen Holocaust-verharmlosenden Parolen im öffentlichen Raum toleriert werden und von Medien und Politik keine Abgrenzung von solchen Aktionen stattfindet, ermöglicht, dass sich Neonazi-Gruppierungen ungehindert organisieren und etablieren können.
Auch das Medien-Echo nach der antifaschistischen Demo in Zürich kommt den Neonazis und den mit ihnen sympathisierenden Rechts-Populist*innen gerade recht. Es wird von der psychischen und physischen, häufig tödlichen Gewalt abgelenkt, die von nationalistischen und rassistischen Ideologien ausgeht. Stattdessen wird die „neutrale Mitte“ zwischen antifaschistischer Demo und Nazi-Aufmarsch verteidigt. Dass diese angeblich „neutrale“ Mitte jedoch immer weiter nach rechts rückt, zeigen auch zwei aktuelle Beispiele von politischen Vorstössen aus der gesellschaftlichen Mitte. Während die gescheiterte Kampagne „Ja-zum-Medienpaket“ auf das Symbol des „Nationalhelden“ Wilhelm Tell zurückgriff, benutzte die Petition „Verbot von Nazisymbolen“ anfänglich gleich selber ein national(istisch)es und ausgrenzendes Narrativ. („Keine Haken an unserem Kreuz“, daneben gross die Nationalfahne der Schweiz). Letztere hat ihren optischen Auftritt mittlerweile geändert und auch den Slogan angepasst, was wir von antira.org sehr begrüssen.
Faschismus entsteht aus der Mitte der Gesellschaft. Statt Debatten über Gewalt und Extremismus zu führen, müssen wir Neonazis als solche benennen. Statt sich an ein rechts-populistisches Klima anzupassen, müssen wir klar anti-rassistische, anti-nationalistische und anti-faschistische Haltungen einnehmen. Antifaschismus bedeutet, Position zu beziehen und nicht wegzuschauen, wenn sich Nazis in den öffentlichen Raum drängen! Kein Fussbreit dem Faschismus!

https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-experte-warnt-vor-gewaltbereitem-zulauf-der-antifa-66107897
https://www.watson.ch/schweiz/sp/408827019-teilnahme-an-demonstration-sp-nationalrat-molina-droht-busse
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/molina-und-jansen-ernten-fur-antifa-lob-kritik-nach-gewalt-an-demo-66108306
https://www.20min.ch/story/srf-nach-bagatellisierung-von-antifa-gewalt-in-der-kritik-306218291373
https://www.blick.ch/politik/stiftung-macht-druck-auf-parlament-unterschriften-fuer-ein-hakenkreuz-verbot-id17238440.html
https://www.blick.ch/politik/editorial-zum-mediengesetz-die-schlechteste-kampagne-aller-zeiten-id17231592.html

Diskriminiert und abgelehnt: Studie zur Situation von moldauischen Rom*nja in Deutschland erschienen

Eine neue Studie untersucht die Situation schutzsuchender Rom*nja aus der Republik Moldau. Obwohl diese in ihrer Heimat starker Diskriminierung ausgesetzt sind, schiebt Deutschland sie in fragwürdigen Schnellverfahren fast ausnahmslos ab. Wie sieht die Situation in der Schweiz aus?

Die soeben von PRO ASYL und dem Berliner Flüchtlingsrat publizierte Studie beleuchtet die unsensiblen und problematischen Schnellverfahren der deutschen Behörden. Und sie zeigt die allgegenwärtige Diskriminierung und existenzbedrohende Marginalisierung der Betroffenen in der Republik Moldau auf. Als Angehörige einer Minderheit werden sie von vielen gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen. In Folge der Ablehnung und Stigmatisierung ist ihre Lage durch mangelnde Bildung und extreme Armut gekennzeichnet, aus der sich die Betroffenen kaum selbst befreien können. Frauen und Mädchen sind durch Mehrfachdiskriminierung besonders gefährdet und insbesondere stark von häuslicher Gewalt betroffen.
An diesem Punkt richtet die Studie den Blick auf ein weiteres wichtiges Problem, nämlich die Vorurteile, von welchen der Umgang mit Rom*nja nach wie vor geprägt ist. So rechtfertigen «moldauische Strafverfolgungsbehörden ihre Untätigkeit bei der Anzeige von Fällen häuslicher Gewalt, indem sie auf die vermeintlich »eigenen Gesetze« der Rom*nja verweisen.» Diese Vorurteile spiegeln sich dann auch in der Behandlung durch die deutschen Behörden wieder, welche moldauische Schutzsuchende in separierten Notunterkünften unter besonders schlechten Bedingungen unterbringen und öffentlich diskreditieren. Kein einziger Asylantrag wurde anerkannt und selbst schwer kranke Menschen abgeschoben.
Über die spezifische Situation schutzsuchender Rom*nja aus Moldau in der Schweiz ist kaum etwas bekannt. Allgemein existieren gegenüber Rom*nja aber auch hier grosse Vorurteile. Über die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) ist die offizielle Schweiz mit verschiedenen Projekten in Moldau aktiv. Auf ihrer Website erwähnt sie zwar die allgemeine Armut und dass der Zugang zu medizinischer Grundversorgung vor allem in ländlichen Gebieten nicht gewährleistet ist. Die Situation der Rom*nja oder allgemein von Minderheiten wird aber mit keinem Wort erwähnt. Dabei gibt das DEZA explizit als Ziel vor, « (…) eine grössere Beteiligung der Bevölkerung in lokalen Angelegenheiten zu erreichen, damit ihre Bedürfnisse und Interessen im politischen Prozess miteingebracht werden.»
Im Fazit der Studie schreibt die Autorin: »Der Ausschluss aus der Gesellschaft aus allen Lebensbereichen ist derart umfassend, dass Rom*nja von der Mehrheit der Bevölkerung nicht als Teil der Gesellschaft anerkannt werden. (…) Die Ausgrenzung ist so deutlich, dass auch viele Rom*nja sich selbst nicht als gleichberechtigte und gleichwertige Bürger*innen begreifen.« Asylverfahren scheitern auch darum, weil die Betroffenen sich dem Ausmass ihrer Diskriminierung teilweise gar nicht bewusst sind und gewisse Lebensumstände im Verfahren unerwähnt bleiben. Dadurch erhalten die Behörden ein falsches oder zumindest unvollständiges Bild.
Diese Problematik besteht in Asylverfahren auch bei anderen Gruppen und Konstellationen geflüchteter Menschen. Aus Angst, Unwissenheit oder falschen Tipps von Schlepper*innen betreffend Aussagen in Asylverfahren entsprechen die Geschichten in den Akten der Behörden oft nicht den realen Lebens- und Fluchtumständen der Betroffenen. Dazu kommen mangelnde juristische Beratung, fehlende Dolmetscher*innen und bewusst erzeugte Stresssituationen.
Die Studie bietet darum auch diverse Anknüpfungspunkte für die politische Arbeit betreffend Asylverfahren, zum Beispiel bei Themen wie Mehrfachdiskriminierung, Vorurteilen und Unwissen über die Lebensumstände von Rom*nja und anderen Minderheiten oder dem problematischen Prozess der Schnellverfahren.
Studie als pdf: https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/220210_BHP_PA_Moldau_final-1.pdf

https://www.proasyl.de/news/diskriminiert-und-abgelehnt-romnja-aus-moldau/
https://www.eda.admin.ch/deza/de/home/laender/moldau.html

Was tut Frontex?

Zuschauen in Kroatien und neues Abkommen in Senegal

Zlatko Čačić ist stellvertretender Leiter der Grenzwache in Bajakovo, einer kroatischen Stadt an der Grenze zu Serbien. Er verschickte ein Mail an seine Kollegen, wie sie sich verhalten sollen um „Migranten an verschiedenen Orten verteilt abzuschieben.“ Dabei sollen sie sich nicht filmen lassen. Unnötig krasse Schikanen sollen gemeldet werden. Die Mail stellt, so Der Spiegel treffend, eine Anleitung für „illegale Pushbacks“ dar. Acht Tage zuvor hat der Spiegel, ARD und weitere Journalist*innen ein Video veröffentlicht, das kroatische Polizisten zeigt, die People on the Move aus der EU prügeln. Was an der EU-Aussengrenze läuft, ist ein Krieg gegen geflüchtete Menschen.

Frontex ist die europäische Grenzschutzagentur und laut EU-Auftrag v.a. da, die europäischen Aussengrenzen zu sichern. Unter Einhaltung von Menschenrechten, unter Einhaltung von Asylrechten, wohl auch gedacht unter Einhaltung der Menschlichkeit. Soll und tut es nicht verwundern, dass die Frontex – obwohl seit Monaten bekannt ist, dass die kroatische Polizei Gewalt entwendet – nicht eingreift? Die EU schaut zu! Das Verhalten der Frontex zeigts!

Stattdessen soll das Mandat von Frontex erweitert werden. Die Grenzagentur Frontex will im Senegal ihren ersten Einsatz ausserhalb der EU beginnen. Das hat die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, am vergangenen Freitag auf einer Pressekonferenz in Dakar mitgeteilt. Senegals Innenminister Abdoulaye Diome hat nun „Technischen Verhandlungen“ zugestimmt. Die EU-Kommission will bis zum Sommer ein Statusabkommen mit dem Land abschliessen. Darin werden Bestimmungen zum Einsatz von Waffen und anderen Zwangsmitteln geregelt, ausserdem sollen die europäischen Beamten Immunität vor straf- und zivilrechtlicher Verfolgung im Einsatzland geniessen. Grundlage ist ein »Musterstatusabkommen«, das die Kommission nach mehreren Einsätzen in Albanien, Montenegro und Serbien erarbeitet hat. Für die Erlaubnis des Frontexeinsatzes erhält die senegalesische geschwächte Wirtschaft finanziellen Support. Das ist der Deal.

Das Statusabkommen mit Senegal zeigt, dass die Kritik an Frontex, die immer lauter wird, einfach überhört wird. Die Festung Europas steigt um eine weitere Drohnenmauer.

https://www.jungewelt.de/artikel/420927.abschottung-senegal-wird-eu-außenposten.html
https://www.woz.ch/-c2d8
https://www.spiegel.de/ausland/illegale-pushbacks-in-kroatien-bitte-nicht-filmen-lassen-a-e2501cfe-6941-4e94-b20d-bb66af2ca094

Kopf der Woche Der Bundesrat

Heute enden offiziell die Olympischen Winterspiele in Peking. Bereits zu Beginn der Spiele vor zwei Wochen haben tibetische und uigurische Organisationen in der Schweiz gemeinsam mit der Gesellschaft für bedrohe Völker (GfbV) dem Bundesrat die Goldmedaille im Schweigenverliehen. Und da der Bundesrat wie nicht anders zu erwarten auch während der Spiele geschwiegen hat, erhält er für seine China-Politik von der antira-Wochenschau auch noch die Ernennung zu den Köpfen der Woche.

In einem offenen Brief vom 4. Februar kritisiert die Koalition, dass der Bundesrat sich dem diplomatischen Boykott nicht angeschlossen hat und stellt fest, dass sich diese Politik des Schweigens als roter Faden durch die aktuelle Chinapolitik der Schweiz zieht. Doch bringt ein diplomatischer Boykott, wie ihn andere Länder wie Dänemark, Grossbritannien, Japan und die USA während der olympischen Spielen an den Tag gelegt haben, überhaupt etwas? Ein solcher diplomatischer Boykott ist in unseren Augen auch nur ein symbolischer Akt im politischen Machtspiel. Und er wird zu einer Farce, wenn auf wirtschaftlicher Ebene gleichzeitig ohne Rücksicht weiter geschäftet wird.
Dass die offizielle Schweiz aber seit Jahren zur politischen Lage in China schweigt, ist eine Tatsache. Oder wie es die Verfasser*innen des offenen Briefes schreiben: «Durch das bewusste Nichtansprechen der Menschnrechtslage im Entscheid des Bundesrats, reiht sich die Schweiz in die Liste der Staaten, welche die repressive Politik der Regierung der Volksrepublik China tolerieren und angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen schweigen.»

Den offenen Brief könnt ihr hier lesen: https://www.gfbv.ch/wp-content/uploads/offene_brief_china-1.pdf

Was nun?

Wir müssen reden – solidarische intersektionale Kritik

Rassismus verursacht elende Tragödien und führt in leidvolle Beziehungen. Ob direkt davon betroffen oder nicht, wer offenherzig empathisch lebt und fühlt, kann dies bemerken. Wer nicht kalt wird vor Verdrängung, versucht wohl auch etwas daran zu verändern. Z.B., indem anders in Beziehung getreten wird, damit es wenigstens dort sicherer und angenehmer wird. Viele versuchen sich auch zu organisieren und antirassistisch auf die Gesellschaft einzuwirken. Doch ob auf Beziehungs- oder Gesellschaftsebene ist Politik durchzogen von rassistischen Fallstricken. Um sich in diesen weissen Labyrinthen antirassistisch zurechtzufinden, bieten nebst empathischem Fühlen auch intersektionale Kritik und solidarischer Dialog Orientierung. Diese Woche haben wir diese kaum originelle Methode getestet.

Bild: Nach Kritik verändert die GRA den Slogan und die Illustration der Petition gegen Nazisymbolik.

Wir nervten uns nämlich ab der Petition der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA). Die GRA ist empört vom Bundesrat, weil dieser sich weiterhin weigert, Nazisymbole wie das Hakenkreuz zu verbieten. Um dies zu verändern, startete die GRA diese Woche die Petition „Kein Haken an unserem Kreuz“. Rechts vom Slogan untermauerte die GRA die Aussage graphisch mit einer verhältnismässig grossen Nationalflagge.
Hier unser Mail an die GRA: „Vielen Dank für all die tolle Arbeit, die Sie ständig leisten. Inhaltlich finden wir es top, dass sich die GRA für ein „konsequentes Verbot von Nazisymbolik im öffentlichen Raum“ ausspricht. Trotzdem hat uns Ihre Petition sehr genervt. Wir möchten Ihnen mitteilen weshalb und hoffen, Sie fassen unsere Kritik als solidarisch auf, denn so ist sie gemeint. Wir verstehen nicht, was ihre Überlegungen sind, im Kampf gegen faschistische Symbole (1) auf national(istisch)e Symbole – nebst der geographischen Schweiz steht prominent die Nationalflagge und rekurriert an pauschale Swissness-Vorstellungen – zurückzugreifen; (2) mit (rassistischem) In- und Outgroup-Denken – „unser Kreuz“…ist nicht aller Kreuz – zu spielen oder gar (3) national(istisch)e Überlegenheitsgefühlen – „Keine Haken an unserem Kreuz“…die Schweiz ist was besseres – zuzulassen. Wir sind überzeugt davon, dass Antifaschismus nachhaltiger und wirksamer ist, wenn er auch klar antirassistisch und antinationalistisch ist und sich intersektional von weiteren Herrschaftsverhältnissen abgrenzt. Was halten Sie von unserer forsch formulierten Kritik? Ihre Meinung und Überzeugungen interessieren uns.“
Die GRA hat uns geantwortet: „Vielen Dank für eure Kontaktaufnahme. Es freut uns, dass unsere Arbeit und vor allem auch die diese Woche lancierte Petition positiv bei euch ankommt. Wir konnten innert 3 Tagen bereits über 10’000 Unterschriften sammeln, was zeigt, dass ein Verbot nationalsozialistischer Symbole im öffentlichen Raum nicht nur in unserem Interesse ist, sondern auch im Interesse vieler Menschen, die hier leben. Diese vielen Stimmen geben dem Anliegen hoffentlich den nötigen Aufwind, um sich im Parlament durchzusetzen. Danke auch für eure Anregung bezüglich unseres Logos für die Kampagne. Da das Gesetz nun mal innerhalb der Schweizer Landesgrenzen gültig ist, schien uns die entsprechende Grafik passend. Wir hören zudem immer wieder von rassismus- und antisemitismusbetroffenen Menschen, dass ihnen die Zugehörigkeit zur Schweiz (welche ja nicht nur über den Pass definiert werden sollte) oftmals abgesprochen wird, obwohl sie sich sehr wohl als Teil dieser Gesellschaft sehen. Von dieser Hinsicht kann das Logo auch als ein Bekenntnis an diese Menschen gesehen werden – denn es ist auch ihre Schweiz. Wir respektieren natürlich, wenn ihr hier anderer Meinung seid. Es führen ja bekanntlich viele Wege nach Rom – und solange das Ziel dasselbe ist, nämlich ein Verbot von nationalsozialistischen Symbolen im öffentlichen Raum, sollten wir uns bei dem «Wie» wohl gegenseitig nicht im Wege stehen“.
Ob wir den Dialog fortsetzen, ist noch offen, doch bereits an diesem Punkt lässt sich einiges lernen, was für den Antirassismus wichtig sein kann. UND: Die GRA ersetzte den Slogan und Bildsprache der Petition. Die „Petition für ein Verbot von Nazi-Symbolik“ verzichtet nun auf Flaggen und illustriert die Hauptaussage mit einer geographischen Karte der Schweiz und ein Verbotszeichen.

Ein weiteres Beispiel, wo es gut gemeint wurde und dennoch nicht auf antirassistische Nachhaltigkeit geachtet wurde, ist uns in Biel aufgefallen. Dort sammelt die Gruppe „Alle Menschen“ derzeit Unterschriften für ihre Petition „Biel hat Platz“. Anlass für die Petition war die Ankündigung des Kantons Bern, das Nothilfecamp Bözingen zu schliessen und die Bewohner*innen in anderen abgelegeneren Nothilfecamps zu isolieren.
Das Camp Bözingen ist eine notdürftige Countainersiedlung am Stadtrand und wird seit der Errichtung von vielen Bewohner*innen für die schlechten Lebensbedingungen kritisiert. Die Bieler Stadtregierung war schliesslich nicht mehr bereit, den kantonalen Behörden Platz zu bieten, um dort Menschen entwürdigend zu isolieren und kündigte den Vertrag.
Die Gruppe „Alle Menschen“ knüpfte seit der Eröffnung des Camps vor zwei Jahren viele Beziehungen zu Menschen im Camp. Besonderes Augenmerk erhielten Familien und Kinder. In der Petition verlangt die Gruppe, dass „Schulkinder weiterhin ihre angestammte Schule besuchen“ können und kritisiert, die geplante Isolation in abgelegenere Orte. Denn: „Biel hat Platz“. Doch der Platz in Biel, den die Gruppe vorschlägt, ist alles andere als unproblematisch. Von der Stadt gefordert wird kein würdevolles Wohnen für alle, sondern „eine neue und verbesserte Containersiedlung“. Auf der Suche nach einer möglichst breiten Unterstützung der Petition werden auch in diesem Beispiel Zugeständnisse an den Rassismus autonom nachvollzogen. Dies drückt sich auch in einer unkritische Haltung der Polizei gegenüber aus. Diese kenne nun das Camp und sei „nötigenfalls zeitgerecht vor Ort“. Auch wirtschaftliche Denkweisen werden autonom übernommen, obwohl diese rassistische Entwürdigung von Menschen fördern (können): „Ein Camp von der Grösse von Bözingen kann wirtschaftlich betrieben werden – ein kleineres kaum“. Schliesslich wird das aktuelle Containercamp verharmlosend dargestellt: „Der gewachsene Dorfcharakter von „Bözingen“ soll nicht kaputt gemacht werden“.

Petitionen wie jene der GRA oder von „Alle Menschen“ wollen die Zustände verändern. Wir auch, deshalb lohnt es sich zu reden.

https://philosophie.us15.list-manage.com/subscribe?u=1cf98f8c8611e98ae7922bd18&id=bbc4e3e60d
https://www.gra.ch/petition_verbot_nazisymbolik/
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20214354

Aktionstag #DontForgetAfghanistan

Vor sechs Monaten übernahmen die Taliban die Macht in Afghanistan. Noch immer sind zehntausende Menschen im Land in Lebensgefahr. Am europäischen Aktionstag am 26.02.22 wird eine Luftbrücke nach Europa gefordert.

Bild: Hunderte Menschen protesterten im August für die Evakuierung Afghanistans in Bern

Im August 2021, direkt nach dem Machtwechsel in Kabul, lobte sich die Schweizer Regierung mit der abgeschlossenen Evakuierung von insgesamt 385 Personen aus Afghanistan. Unter ihnen waren 34 Schweizer Staatsangehörige, 218 Lokalangestellte der DEZA mit ihren Familien, 51 Personen mit ständiger Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz und 82 Personen mit Laissez-Passer, einem diplomatischen Reisedokument. Seither: Keine weiteren Resettlement-Kontingente, quasi keine humanitären Visa. Der Aktionsaufruf von Kabul Luftbrücke, Seebrücke Deutschland und ProAsyl lässt sich entsprechend einfach auf die Schweiz übersetzen. Wir fordern von der Schweizer Regierung:   

  • Die sofortige Einrichtung einer Luftbrücke, um akut gefährdete Menschen und ihre Familien in die Schweiz zu holen.
  • Schutz und Aufnahmeprogramme für alle Afghan*innen, die von den Taliban verfolgt werden.
  • Direkte Aufnahme der Menschen aus Afghanistan durch die aufnahmebereiten Schweizer Städte ermöglichen.
  • Die Einrichtung von sicheren Fluchtwegen für alle Menschen, die das Land verlassen wollen.
  • Sicherheit und dauerhaftes Bleiberecht für afghanische Menschen, die in der Schweiz leben und kommen werden.

Als solidarische Gesellschaft müssen wir jetzt Druck aufbauen und zeigen: Wir lassen keinen Menschen zurück! Wir stehen an der Seite der afghanischen Menschen!Deswegen gehen wir in ganz Europa auf die Strassen und sagen laut und klar: Holt die Menschen raus, baut eine Luftbrücke nach Europa – Sichere Fluchtwege für alle Menschen aus Afghanistan!

https://c.nau.ch/i/ZVNM3/1360/nau.webp
https://seebruecke.org/aktuelles/kampagnen/fluchtwege-aus-afghanistan
https://www.woz.ch/-c1c0https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-84881.html
https://www.proasyl.de/news/sechs-monate-nach-dem-fall-von-kabul-vergesst-afghanistan-nicht-handelt-jetzt/

Petition gegen die Verlängerung des Italien-Libyen-Abkommens

Zahlreiche Organisationen fordern die Kündigung des „Migrationsabkommens“ zwischen Italien und Libyen, das in den vergangenen fünf Jahren zu 80‘000 Rückführungen in die libyschen Folterlager durch die sogenannte libysche Küstenwache führte. Mit einer Unterschrift der Amnesty-Petition kannst du diese Forderung unterstützen.

Bild: Beim Vertragsabschluss 2017 schüttelt Italiens Premier Paolo Gentiloni dem Premierminister Libyens sichtlich erfreut die Hand.

Das Abkommen zwischen Italien und Libyen läuft im Februar 2023 aus, wird aber automatisch um weitere drei Jahre verlängert, wenn die italienischen Behörden sie nicht bis zum 2. November 2022 kündigen. Die EU und die italienischen Behörden hatten sich Anfang Februar für eine Verlängerung der Zusammenarbeit ausgesprochen (sh. Antira Wochenschau vom 07.02.22: https://antira.org/2022/02/07/meuten-tritt-ab-le-pen-tritt-an-ees-tritt-in-kraft/#5_Jahre_Italien-Libyen-Ankommen_bringt_Tod_statt_Seenotrettung).
Die Petition fordert: „Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten müssen alle Formen der Zusammenarbeit aussetzen, die zur Inhaftierung von Migrant*innen und Flüchtlingen in Libyen und zu deren Menschenrechtsverletzungen beitragen. Stattdessen fordern wir, dass sie sich dafür einsetzen, den Tausenden von Menschen, die in Libyen festsitzen und internationalen Schutz benötigen, den dringend benötigten Rechtsweg zu eröffnen.“
https://www.amnesty.it/appelli/italia-libia-cancellare-il-memorandum-dintesa/

Was schreiben andere?

Ein Junge aus dem Tschad hinter Gittern: Ist das Gerechtigkeit?

Ein Beitrag von Borderline Sicilia
„Mehr als ein Jahr ist vergangen und nach diesem Schiffsunglück gab es noch mehr Tote und noch mehr Tragödien. Heute scheint es schwierig, sich an dieses Ereignis und die Worte, die darüber verloren wurden, zu erinnern. Aber vor einem Jahr war dieses Schiffsunglück in den Schlagzeilen, weil dabei auch ein sechs Monate altes Baby, Youssef aus Guinea, ums Leben kam. Das Video mit den verzweifelten Schreien der überlebenden Mutter wurde von der Nichtregierungsorganisation Open Arms veröffentlicht, um dem tauben Europa die Stimme derjenigen ins Gesicht zu schlagen, die unter der katastrophalen Vernachlässigung der Migrant*innen leiden, die aus Libyen flüchten.
In den darauffolgenden Tagen wurden heftige Beschuldigungen gegen die italienische und europäische Politik laut, die nicht daran interessiert ist, legale Wege der Einreise zu sichern oder Personen zu retten, die gezwungen sind, das Meer zu überqueren. Anstatt Rettungsschiffe zu finanzieren, beschlagnahmt Europa sie. Anstatt die Menschen zu retten, überlässt sie sie dem Tod. Anstatt sie willkommen zu heißen, weist sie sie zurück.All dies war im November 2020 bereits klar, als die Staatsanwaltschaft von Agrigent abseits der Scheinwerfer gegen einen 21-jährigen Jungen aus dem Tschad ermittelte, anstatt die institutionelle Verantwortung für eine weitere Tragödie im Mittelmeerraum zu klären. Denn wenn ein sechs Monate altes Kind stirbt, ist die Empörung groß und jemand muss auf der Anklagebank landen. Und wer, wenn nicht der „Schlepper“, der Sündenbock, auf den Europa und Italien weiterhin ihre Verantwortung abwälzen?Ahmed wurde am 27. November 2020 in Trapani verhaftet, nachdem er das „Quarantäneschiff“ verlassen hatte, auf dem er mit den anderen Überlebenden festgehalten worden war. Zusätzlich zur mehrfachen Anklage wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung und Tod infolge einer anderen Straftat gibt es diesmal einen weiteren Anklagepunkt: die Straftat des fahrlässigen Schiffbruchs. Die letztgenannte Anklage hat eine strafende Bedeutung, da die Tatbestandsmerkmale des fahrlässigen Schiffbruchs bereits mit dem erschwerenden Umstand der Beihilfe zur illegalen Einwanderung angefochten werden. Das bedeutet, dass Ahmed zweimal dafür bestraft wird, dass er ein Boot mit Migrant*innen gesteuert hat, von denen einige den Schiffbruch nicht überlebt haben.Am 02. Februar 2022 verurteilte das Gericht von Agrigento Ahmed zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 8 Monaten und ging damit sogar über die Forderungen der Staatsanwaltschaft hinaus. Ahmed wurde für die unsichere Reise, den Schiffbruch und den Tod dieser Menschen, einschließlich des kleinen Youssef, verantwortlich gemacht. Für einen 21-jährigen Jungen sind das viele Verantwortlichkeiten – zu viele, wenn man bedenkt, wie die Fahrer der Boote, die Libyen verlassen, ausgewählt und oft unter Drohungen und Folter der Menschenhändler zum Steuern der Boote gezwungen werden.Es sind zu viele Verantwortlichkeiten, wenn man bedenkt, dass es kein 21-jähriger Junge war, der eine gefährliche Seereise zur einzigen Möglichkeit machte, Europa zu erreichen; es war kein 21-jähriger Junge, der die Rettung von Menschen im Mittelmeer aufgab und die Aufgabe an einige wenige NGOs delegierte, die zudem oft kriminalisiert werden.Aber all das wurde nicht als wichtig erachtet.Italien hat seinen Schuldigen.“
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/ein-junge-aus-dem-tschad-hinter-gittern-ist-das-gerechtigkeit/

Komentar zur Umsetzung des Verbots der Gesichtsverhüllung

https://lesfoulardsviolets.files.wordpress.com/2022/01/prise-de-position-unitaire-application-burqa-1.pdf

Wo gabs Widerstand?

Tunesien: Familienangehörige gegen Grenzregime

Eine tunesische Delegation von Familienangehörigen vermisster Migrant*innen besuchte Sizilien und Lampedusa. Sie machte deutlich: Erinnern heisst Widerstand.

«Wir sind Awatef, Fatma, Gamra, Jalila, Leila, Hajer, Marwa, Nourhene, Samia, Sana, Sarra. Wir sind Mütter, Schwestern und Töchter der im Mittelmeer Verstorbenen und Verschwundenen, und wir sind hier im Namen vieler weiterer Frauen und Familien.»
Im Herbst 2021 reiste die Delegation von elf tunesischen Frauen nach Sizilien und Lampedusa, um nach ihren Angehörigen zu suchen und öffentlich gegen die tödliche Migrationspolitik im Mittelmeerraum zu protestieren.  Es war das erste Mal, dass eine so grosse Delegation von Familienangehörigen die beiden Inseln besuchte. Auf ihrer Reise zeigten die Familienangehörigen Fotos der Verschwunden und hängten sie in sizilianischen Häfen auf, sprachen mit Journalist*innen, lokalen Aktivist*innen und NGOs. Immer wieder prangerten sie die tödliche Abschottungspolitik Europas an: «Wir prangern die Visapolitik an, um zu verhindern, dass noch mehr Menschen im Meer ertrinken. Aus mindestens zwei Gründen dürfen wir nicht aufgeben: Wir müssen die Wahrheit über das Schicksal unserer Kinder und Geschwister ans Licht bringen, und wir müssen die Verantwortlichen dieser Tragödien erkennen».
Die Delegation der tunesischen Familienangehörigen zeigt eines deutlich: Die Gewalt, die die tödliche Migrationspolitik Europas stets aufs Neue produziert, endet nicht mit dem Sterben im Mittelmeer. Die Gewalt trifft auch Mütter, Väter, Geschwister, Partner*innen der Verstorbenen, die vergeblich auf Lebenszeichen warten. «Wo ist Fedi? Ich habe ein Recht auf Antworten.» «Wo ist Hamdi? Bis zum letzten Tag meines Lebens werde ich nach ihm suchen.» Seit dem Verschwinden ihrer Angehörigen 2020 und 2021 sind Samia und Awatef auf der Suche. So auch Leila, die nach ihrem Sohn sucht: «Ich frage die Regierungen: Ist das gerecht? Wie lange müssen wir noch warten? Ihr bringt auch uns um».
Während Europa bewusst wegschaut und die Toten im Mittelmeer oft ohne Namen bleiben, bestehen die Familienangehörigen darauf, sich zu erinnern und weiter Widerstand zu leisten gegen das tödliche Migrationsregime.

https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/jusquau-bout-tunesische-frauen-gegen-das-grenzregime/

Polen: Proteste gegen die systematische Internierung von Menschen auf der Flucht

Im und vor dem Abschiebegefängnis in der westpolnischen Stadt Krosno Odrzańskie kam es in den vergangenen Tagen zu zahlreichen Protesten. Das Abschiebegefängnis ist eines der insgesamt acht polnischen Internierungszentren wo derzeit rund 1’700 Menschen inhaftiert sind. Die Proteste wurden von der Polizei brutal beendet, am Einsatz beteiligt waren unter anderem auch deutsche Polizeibeamt*innen.

Aus Belarus kommend erreichen Menschen auf der Flucht oft Polen als erstes EU-Land. Obwohl es meist nicht das gewünschte Ziel ist, stellen viele Menschen bei ihrer Ankunft einen Asylantrag, in der Hoffnung, die Notversorgung und den Schutz zu erhalten, den das EU-Recht Geflüchteten eigentlich garantieren sollte. Doch ihre Asylgesuche werden oft ignoriert und die Menschen werden stattdessen interniert. Eine geläufige Praxis im Zuge der Externalisierung der EU-Aussengrenzen.
Ende vergangenen Jahres inspizierte die stellvertretende polnische Menschenrechtskommissarin Hanna Machinska unter anderem das Zentrum in Wedrzyn, einem Truppenübungsplatz nahe Krosno Odrzanskie, etwa 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Rund 700 Personen werden dort gefangen gehalten. Sie kritisierte die Bedingungen in den neu geschaffenen Haftanstalten als »unmenschlich« und »inakzeptabel«. Beispielsweise hätten die Inhaftierten nur zwei Quadratmeter pro Person zur Verfügung und sie dürften nicht nach draussen. Ausserdem würden ihnen beim Ankommen die Handys abgenommen, sodass sie selbst keine Möglichkeit hätten, die Zustände im Inneren zu dokumentieren oder Kontakt nach aussen herzustellen. Wichtige Dokumente, die auf ihren Handys gespeichert sind und die sie für das Asylverfahren brauchen, gehen verloren. Die monatelange Isolation und das Festhalten in den Zentren ohne Informationen über Aufenthaltsdauer und -grund führe zu Zermürbung, Desorientierung und Suizidgedanken.
Aus Protest über die Lebensrealität in den Abschiebegefängnissen befinden sich einige der eingesperrten Menschen im Hungerstreik. Ausserdem gab es eine Kundgebung vor dem Internierungszentrum. Es wurden Briefe der Weggesperrten vorgelesen und ein Ende der Kriminalisierung von Flucht und Migration gefordert. Einige der Protestierenden näherten sich im Anschluss der Mauer des Gefängnisses und versuchten, Kontakt zu den Inhaftierten aufzunehmen. Die Kundgebung stiess auf eine schnelle Reaktion der Polizei, die Berichten zufolge Tränengas und Schlagstöcke gegen die Demonstrierenden einsetzte und 11 Personen festnahm. Auf Twitter gepostete Videos zeigen einen Teil der Kundgebung sowie das brutale Einschreiten der Polizei. https://www.facebook.com/portalstrajk/videos/1079393686173806/
https://twitter.com/RobTheRich0001/status/1492901939071311878?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1492901939071311878%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_c10&ref_url=https%3A%2F%2Fcdn.embedly.com%2Fwidgets%2Fmedia.html%3Ftype%3Dtext2Fhtmlkey%3Da19fcc184b9711e1b4764040d3dc5c07schema%3Dtwitterurl%3Dhttps3A%2F%2Ftwitter.com%2Frobtherich0001%2Fstatus%2F1492901939071311878image%3Dhttps3A%2F%2Fi.embed.ly%2F1%2Fimage3Furl3Dhttps253A252F252Fabs.twimg.com252Ferrors252Flogo46x38.png26key3Da19fcc184b9711e1b4764040d3dc5c07. No Borders schrieb auf Facebook, dass einer der Festgenommenen offiziell wegen „aktiven Angriffs auf einen Beamten“ angeklagt wurde, ein Verbrechen, das mit einer Strafe von einem bis zehn Jahren Gefängnis geahndet werden kann. Die Festgenommenen befinden sich in den Städten Zielona Góra und Krośno Odrzański in Gewahrsam.
Auffällig war, dass auch deutsche Polizeibeamt*innen im Einsatz waren: Deutschland und weitere EU-Länder dulden also nicht nur die Existenz der Hanftanstalten an den EU-Aussengrenzen, sondern schützen sie auch aktiv. Und auch auf EU-Ebene schlug Innenkommissarin Ylva Johannsson im Dezember eine Verschärfung des polnischen Asylrechts vor, statt gegen die miserablen Zustände in den Internierungszentren vorzugehen. Umgesetzt ist das noch nicht, da Warschau darauf drängt, die Prüfung von Asylanträgen an der Grenze zu Belarus komplett auszusetzen. Für die seit Ende Januar im Bau befindliche 353 Millionen Euro teure Grenzmauer hat Polen zudem einen Antrag auf finanzielle Unterstützung in Brüssel gestellt.
Hier gibt es einen ausführlichen Bericht zur Lage in den polnischen Abschiebegefängnissen sowie zur Kundgebung vom No Border-Team in Polen (übersetzt aus dem Englischen): https://antira.org/zur-lage-in-den-polnischen-abschiebegefaengnissen/

https://www.jungewelt.de/artikel/420706.eu-grenzregime-aller-rechte-beraubt.html
https://pomagam.pl/7w7ephhttps://medium.com/are-you-syrious/ays-news-digest-12-14-02-22-demonstration-in-poland-outside-pom-detention-facility-sees-arrests-2fc8f869e7b0
https://www.facebook.com/nobordersteam/

Berlin: Proteste gegen Bau eine Abschiebezentrums am Hauptstadtflughafen

Etwa 350 Menschen haben gegen den Bau des geplanten Abschiebezentrums am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) protestiert. Auf dem Gelände in Schönefeld ist ein sogenanntes Behördenzentrum, in dem die „Ein- und Ausreise von ausländischen Personen“ künftig „effizient und zügig“ bearbeitet werden soll geplant. Das Abschiebezentrum soll 2025 eröffnet werden. Allerdings: Aktuell gibte es weder fertige Baupläne noch ein genehmigtes Budget, dafür aber ein starkes Bündnis zur Bekämpfung des Vorhabens. https://taz.de/Demo-gegen-Abschiebezentrum-am-BER/!5830981/
https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/02/demonstration-flughafen-ber-abschiebezentrum.html

Hanau zwei Jahre danach: Kein Vergeben, kein Vergessen

Am 19. Februar jährt sich das Attentat von Hanau zum zweiten Mal. In Basel demonstrierten mehrere hundert Personen in Gedenken an Ferhat, Hamza, Said, Vili, Mercedes, Kaloyan, Fatih, Sedat und Gökhan. Wir teilen hier eine Rede, die am Samstag in Basel gehalten wurde:

Hanau: Bei Morden ist es zu spät. Der Attentäter von Hanau war ein Rassist. Und ein Mörder. Nicht jeder Rassist ist ein Mörder. Zumindest kein direkter. Aber jeder Rassist trägt zu einem gesellschaftlichen Klima bei, welches das Attentat von Hanau ermöglichte.
In seinem Manifest beklagt sich der Mörder über die Kriminalität von „bestimmten Volksgruppen“. Er meint migrantische Menschen aus Westasien und Nordafrika. Er nennt Kurdistan, Türkei, Marokko, und viele andere Länder. Er entschliesst, in eine Shisha-Bar zu gehen, und Menschen, welche nach ihm diesen „bestimmten Volksgruppen“ angehören, zu ermorden. Das gleiche Vorurteil führte dazu, dass die Polizei den Notausgang versperrte, und der Mörder sein Ziel erreichen konnte.
In seinem Manifest schreibt der Mörder von einer Situation, die so alltäglich ist wie sie wahrscheinlich alle schon erlebt haben: dass er in seiner Banklehre mit einem Kollegen gesprochen hat, welcher seine Meinung über diese „Volksgruppen“ teilt. Ein Bankangestellter, welcher, wie 1000 andere, der Meinung ist, dass so genannte „Südländer“ kriminell sind. Aber der Mörder schreibt, dass dieser Moment für ihn ein Schlüsselmoment hat: Sein Kollege, der Alltagsrassist, hat nicht selbst gemordet. Aber ohne, dass er den Rassismus nicht bestätigt, konsolidiert, ermutigt, und angetrieben hätte, wären wahrscheinlich die 10 ermordeten Menschen heute noch am Leben. Hanau fängt nicht in Hanau an. Sondern an der Arbeitsstelle, der Schule, im Alltag.
Der Mörder war ein Verschwörungsideologe. Und auch hier gilt: Verschwörungsideologie beginnt im Alltag. Und dass können wir auch sehen, wenn wir die vielen Mobilisierungen anschauen, in welchen sich Verschwörungsideolog*innen mit Rassist*innen und Nazis mischen.
Hanau fängt nicht mit Hanau an; Rassismus beginnt früher und muss früher bekämpft werden. Denn wenn Menschen ermordet werden, ist es zu spät.

Hörenswerte Podcast-Reihe über die Hintergründe:
190220 – Ein Jahr nach Hanau
https://open.spotify.com/show/0Z2UJwgGfDnxrIhJpefINW?si=c8bab6204948470f

Was steht an?

Lokalgruppentreffen NoFrontex Winterthur
21.02.2022 I 19:00 Uhr I Unia Sitzungsraum, Lagerhausstr. 6

Lokalgruppengründung NoFrontex Luzern
27.02.2022 I 14:00 Uhr I RäZel
Gemeinsam wollen wir uns organisieren und laden dazu an eine erste Sitzung ein. Unsere Ziele: Aktionen, Infoveranstaltungen und Mobilisation planen. Bist du auch dabei? Gegen Frontex und für die Bewegungsfreiheit!

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Eine klare Antwort
Rund 4000 Menschen haben vergangenen Samstag in Zürich gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremen und Coronamassnahmengegner:innen demonstriert. Hat die Mobilisierung ihren Zweck erfüllt? Zwei Beteiligte geben Auskunft.
https://www.woz.ch/2207/zuerich-nazifrei/eine-klare-antwort

CeMAS-Studie: Das Protestpotential während der COVID-19-Pandemie
Mit Aufkommen der COVID-19-Pandemie begann auch die verschwörungsideologische und rechtsoffene Mobilisierung in Deutschland, die sich zumindest vorgeblich gegen die staatlichen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als auch die Impfungen richteten.
https://cemas.io/blog/protestpotential/

Die „Hammerskins“ im NSU-Komplex
Im November 2011 enttarnte sich der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) selbst und deren rechtsterroristische Mordserie wurde bekannt. Bis heute ist der NSU-Komplex nicht aufgeklärt. Einige der UnterstützerInnen laufen (wieder) frei herum. Viele gerieten nicht einmal in den Fokus. Die „Hammerskins“ blieben fast vollständig unter dem Radar der Ermittler.
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/die-hammerskins-im-nsu-komplex

SFH rät von der Überstellung psychisch Erkrankter nach Italien ab
Die Situation für geflüchtete Menschen in Italien ist in vielerlei Hinsicht problematisch, unter anderem auch der Zugang zu psychologischer Behandlung. In einem heute veröffentlichten Bericht hat sich die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) eingehender mit dem Thema befasst. Sie weist darin auf die Lücken im italienischen Aufnahmesystem hin und rät von der Überstellung psychisch Erkrankter nach Italien ab.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/sfh-raet-von-der-ueberstellung-psychisch-erkrankter-nach-italien-ab

Dreifache Opfer
Gewalt gegen Migranten in Libyen geht von der Regierung, den Milizen und Menschenhändlern aus
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161310.libyen-dreifache-opfer.html