Grenze dichtgemacht, Migrationsdeal ausgehebelt, Grenzverwaltung integriert

Sonderflug nach Sri Lanka

Am Dienstag den 21. November 2023 wurden zwei Familien mit einem Sonderflug nach Sri Lanka ausgeschafft. Das schreibt das MSN in einer Stellungnahme. 

Eine der betroffenen Familie hat die Kämpfe gegen die Entrechtung der Menschen in den schweizerischen Nothilfelagernmitgeprägt. Sie wurde vergangenen Dienstag unangekündigt von der Polizei im Asylcamp in Enggistein abgeholt, nach Zürich-Flughafen gebracht und ausgeschafft. Der Vater wurde dabei nach eigenen Angaben von einem Polizisten geschlagen, gekniffen und es wurde versucht, sein Handgelenk zu brechen. Die Spuren der Gewalt sind auch 48 Stunden nachher noch an seinem Körper zu sehen. 

Bild: Verletzungen bei der Ausschaffung

Baume-Schneider und ihr Sturm im Wasserglas

Vor zwei Wochen schlug die SP-Bundesrätin Baume Schneider vor, die kontingentierte* Einwanderung von Nicht-Europäer*innen einzuschränken. Eine Woche später lehnt der Gesamtbundesrat diese Pläne ab. Eine rechte Allianz erinnerte daran, dass Schweizer Migrationspolitik den Interessen der Wirtschaft zu folgen hat. 

Nicht-Europäer*innen können fast ausschliesslich über Kontingente legal in die Schweiz einwandern. Dabei wird zwischen zwei Arten von Nicht-Europäer*innen unterschieden. Es gibt ein Kontingent für 3500 Brit*innen und ein zweites Kontingent von 8500 für alle anderen Nicht-Europäer*innen. Zugelassen werden nur spezifisch hochqualifizierte Arbeitskräfte.

Baume-Schneider wollte beide Kontingente zusammenlegen und insgesamt senken. Insbesondere das Kontingent der Brit*innen wird nicht voll gebraucht. Sie erhofft sich davon, dass der Druck steigt, die gut qualifizierten geflüchteten Menschen im Inland anzustellen. Kapitalist*innen von rechts bis ultrarechts durchkreuzten ihre Pläne. Sie ziehen direkt eingeflogene qualifizierte Expats den über den Asylweg eingewanderten qualifizierten Geflüchteten vor. Deshalb interventierte der Arbeitgeber*innenverband und Parmelin von der SVP setzte sich im Bundesrat gegen Baume-Schneider durch. 

Die Kapitalist*innen sollen die Arbeitskräfte kriegen, die sie wollen – darin sind sich innerhalb der parlamentarisch vertretenen Rechten alle einig (auch die parlamentarische Linke sieht Migrationspolitik vorwiegend als Wirtschaftspolitik). Hier zeigen sich Unterschiede zu strammen Faschos, die Migration auch dann rassistisch abblocken, wenn Kapitalist*innen einwandern lassen wollen, um sich den Mehrwert einzustecken.

*kontingentiert: durch Beschränkung auf Kontingente einteilen, in Umfang oder Menge begrenzen

https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/kontingente-fuer-fachleute-aus-drittstaaten-bleiben-unveraendert?partId=12496722
https://www.derbund.ch/asyl-schweiz-baume-schneider-will-nordafrikaner-abschrecken-155092109621
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/in-24-stunden-zum-asylentscheid?urn=urn:srf:video:9b5c05e5-7f61-4b06-9835-364c251482a9

Bild: Kontingentssysteme für ausländische Erwerbstätige. 

Finnische Grenze zu Russland dichtgemacht

Die finnischen Behörden haben die Grenzen zu Russland geschlossen, nachdem im hohen Norden offenbar die Grenzübertritte von geflüchteten Migrant*innen anstiegen. Sofort begann das Gerede vom hybriden Krieg. 

Die europäischen Behörden werfen dem russische Regime vor, geflüchtete Migrant*innen als Waffen einsetzen, um Europa zu destabilisieren. Doch die Gefahr ist hausgemacht und heisst Rassismus. Ohne rassistische Glaubenssätze wären geflüchtete Menschen keine Gefahr und könnten nicht destabilisieren. Ohne Rassismus wären geflüchtete Migrant*innen einfach Menschen. 

Die finnische Grenzpolizei beantragte die Unterstützung von 60 Frontex-Mitarbeiter*innen, um die 1340 Kilometer langen Grenze zu Russland für geflüchtete Drittstaatenangehörigen zu schliessen. Gleichzeitig werden zusammen mit der finnischen Armee Stacheldrahtzäune errichtet.

https://www.spiegel.de/ausland/finnland-grenze-zu-russland-soll-wegen-migration-aus-drittstaaten-geschlossen-werden-a-ff4541cb-66a5-4ec9-8575-ceb913423a4a
https://taz.de/Finnisch-russische-Grenze/!5974463/
https://www.tagesanzeiger.ch/migration-aus-russland-finnland-schliesst-letzte-grenze-nach-russland-612389468622
https://www.watson.ch/international/finnland/348787259-finnland-schliesst-grenzposten-zu-russland-karte-zeigt-auswirkungen

Bild: Finnische Militärfahrzeuge errichten eine Barriere am Grenzübergang Kuhmo.


Nigers Militär-Regierung entzieht sich der Kollaboration mit der EU

In Niger putschten im Frühling Militärs den damals amtierenden profranzösischen Präsidenten von der Macht. Dieser hatte 2015 mit der EU ein Abkommen abgeschlossen, das ganz im Zeichen der Externalisierung der europäischen Grenzpolitik stand. General Abdourahmane Tchiani, der seit dem Putsch regiert, hob den Deal mit der EU aus. Der Transport von Migrant*innen Richtung Libyen ist nun nicht mehr illegal.

Der Entscheid stehe im Zusammenhang mit den Sanktionen der EU gegen das Land. Die EU reagierte auf den Putsch, indem sie EU-Kooperationsprojekte, Militärkooperation und in weiten Teilen des Landes auch die Arbeit von Hilfsorganisationen stoppte.

In der Bevölkerung kommt der Entscheid gut an. Aufgrund der Kriminalisierung der Migration verloren viele ihre Einnahmen oder ihren Job. Besonders traf es die Region rund um Agadez. Diese lebt wirtschaftlich und kulturell von der Migration. In den vergangenen Jahren wurden hunderte Fahrer*innen festgenommen und Pick-Ups beschlagnahmt. Wer nach Libyen wollte, musste mehr bezahlen und gefährlichere Wege durch die Wüste in Kauf nehmen.

Nach dem Putsch wurde zudem auch der sogenannte »Notfall-Transit-Mechanismus« ausgehebelt. Dieser bestand seit 2017 und sieht vor, dass internationale Behörden ausgewählte Schutzsuchende – meist Überlebende von Gewalt, Folter und Inhaftierungen – aus Libyen nach Niger evakuieren, um sie von dort aus über Resettlement-Programme in willige Aufnahmestaaten zu transportieren. In der Praxis blieben viele der betroffenen geflüchteten Menschen stecken. Weil die Verfahren lange dauern und Aufnahmestaaten kaum Menschen aufnehmen, verbrachten viele Personen Monate bis Jahre in den Transitcamps. Diese werden vom UNHCR betrieben und von der EU finanziert.

https://taz.de/Ein-halbes-Jahr-nach-dem-Putsch-in-Niger/!5976440/
https://www.proasyl.de/news/endhaltestelle-niger/

Bild: Nigers Machthaber seit dem Putsch, General Abdourahmane Tchiani.


Was geht ab beim Staat? 

Integrierte Grenzverwaltung wird gestärkt

Ein Bericht zur Grenzverwaltung der Schweizer Schengen-Aussengrenzen zeigt nichts Überraschendes und ist dennoch wichtig, um sich dessen zu erinnern. 

Auch die Schweiz hat Schengen-Aussengrenzen: Sie befinden sich an den für eine Einreise aus Drittstatten vorgesehenen Flugplätzen. Die Zuständigkeit für die verschiedenen Flugplätzen und die damit verbundenen Einreisekontrollen unterliegt unterschiedlichen Behörden: So ist jeweils die Polizei des entsprechenden Kantons oder das BAZG zuständig (Bundesamt für Zoll- und Grenzsicherheit).

Dass diese Behörden unterschiedlich strukturiert und unterschiedlich gross sind, stellte eine Herausforderung für die Zusammenarbeit dar. So beschloss der Bundesrat 2019 die «Strategie der integrierten Grenzverwaltung 2027» (Integrated Border Management – IBM-Strategie 2027) um deren Zusammenarbeit und schlussendlich die Kontrolle der Schweizer Schengen-Aussengrenzen zu verbessern. 

Ein Bericht zu dessen Umsetzung schlägt nun weitere Massnahmen vor, die die zuständigen Behörden weiterverfolgen und prüfen sollen. Die Empfehlungen zeigen nichts Überraschendes: Die Technologie zur Einreisekontrolle soll ausgebaut werden, es sollen nationale Risikoanalysen erstellt werden bzw. gleich ein gesamtes «Schweizerischen Risikoanalysezentrums» aufgebaut werden (die wiederum von dem Narrativ «Migration als Gefahr» ausgehen). (Die vollständige Liste findet sich hier: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/84750.pdf)

Die Entwicklung mag demnach nicht überraschend sein. Was sich aber zeigt: Grenzen bestehen zu einem nicht unerheblichen Teil aus Papieren: Aus Strategiespielen, Berichten dazu, aus VISA-Papieren, Einreisekriterien, Pässen etc.

Zünden wir sie an. 

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-99043.html

Bild: Ein Transparent bei einer Aktion gegen das Bundesamt für Zoll- und Grenzsicherheit.

Was schreiben andere?

Dringend: Schutz und Perspektive für FINTA aus dem Iran

Am Tag gegen Gewalt an FINTA (weibliche, intergeschlechtliche, nonbinäre, trans und agender Personen) fordert die Verenigung Empathie und Einheit zusammen mit dem Migrant Solidarity Network Schutz und Perspektive für geflüchtete FINTA aus dem Iran.

https://migrant-solidarity-network.ch/2023/11/25/dringend-schutz-und-perspektive-fuer-finta-aus-dem-iran/


Was nun? 

Schönwaschen: Globales Flüchtlingsforum in Genf

Am 13. bis 15. Dezember findet in Genf das zweite globale Flüchtingsforum statt. Dieses Forum ist das weltweit grösste internationale Treffen zum Thema Menschen auf der Flucht und findet alle vier Jahre statt. Fünf Staaten – Kolumbien, Frankreich, Japan, Jordanien und Uganda – haben das Forum 2023 einberufen. Es wird von der Schweizer Regierung und dem UNHCR gemeinsam organisiert.

Das Forum soll die Umsetzung des Globalen Flüchtlingspaktes sicherstellen. Dessen Ziele sind unter anderem «die Eigenständigkeit der Geflüchteten zu stärken, den Druck auf die Aufnahmeländer zu verringern und Verbesserung des Lösungszugangs in Drittländern sowie Verbesserung der Bedingungen in Herkunftsländern». Es soll den Teilnehmenden ermöglichen, neue finanzielle Beiträge oder Programme vorzustellen, sich über bewährte Praktiken austzuauschen und Bilanz über bisherige Tätigkeiten für künftige Herausforderungen zu ziehen.

Für dieses Forum hat der Bundesrat eine temporäre Einschränkung des Luftraums beschlossen, sowie die Armee zur Unterstützung eingerufen. 

Die Hoffnung, dass die Diskussionen zwischen Staaten zu einer Entwicklung hin zu verstärkten Schutzpolitiken führen können, ist klein. Im Blick auf das vergangene Forum vom 17. – 18. Dezember 2019 zeigt sich, dass das erste Forum für politische Instrumentalisierung verwendet und der Fokus auf positive Beispiele und individuelle Erfolgsgeschichten einiger geflüchteter Personen gelegt wurde. Und die Diskurse einiger Teilnehmenden waren stark widersprüchlich. Als Beispiel dafür dient Präsident Erdogan, der seine eigene Migrationspolitik lobt, gleichzeitig aber Zwangsabschiebungen durchführt. Zudem waren wenige konkrete Resultate zu verbuchen. 

Deswegen ist ratsam, dem zweiten Forum mit kritischem Blick entgegenzusehen. Was genau es für Veränderungen bringen wird, ist abzuwarten. ​​​​​​​

Global Refugee Forum 2023 | UNHCR

Globale Trends zu Flucht und Asyl im Jahr 2022 – Netzwerk Fluchtforschung

(PDF) Das erste Globale Flüchtlingsforum in Genf: Scheinheiligkeit in Migrationsdebatte (researchgate.net)

Globales Flüchtlingsforum in Genf: eingeschränkter Luftraum und Einsatz der Armee (admin.ch)

Bild: Das Globale Flüchtlingforum in Genf 2019.

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Solidarität ist keine Sonntagsrede: Die offene Gesellschaft verteidigen
https://www.borderline-europe.de/unsere-arbeit/solidarit%C3%A4t-ist-keine-sonntagsrede-die-offene-gesellschaft-verteidigen