Femizid an Jamilia, Frontex fliegt auf, Update Mittelmeer-Route

Antirassistischer NoFrontex-Block an der 1. Mai-Demo in Zürich
Antirassistischer NoFrontex-Block an der 1. Mai-Demo in Zürich

Was ist neu?

Femizid an Jamilia — Ni una menos!

Jamilia wurde in der Nacht vom 23. auf den 24. April von ihrem Ehemann getötet. Es handelt sich um den siebten Femizid in der Schweiz in diesem Jahr. Nach der Flucht aus Afghanistan lebte sie, ihre fünf Kinder und ihr Ehemann im Asyllager in Büren an der Aare – vor der Gewalt ihres Ehemannes wurde sie dort nicht geschützt.

Jamilia war die Mutter von fünf Kindern, sie war die Tochter und Schwester von Menschen. Sie war eine Freundin. Bei all diesen Menschen, bei den Angehörigen und ihrer Familie sind wir in Gedanken und teilen ihre Trauer. Jamilia ist aus Afghanistan geflohen, um in der Schweiz für sich und ihre Kinder Schutz vor dem Krieg zu finden. Doch der Schweizer Staat und das herrschende System haben ihr dies verwehrt; Jamilia und ihre Kinder mussten in einem Lager für geflüchtete Menschen leben, auf engstem Raum gemeinsam mit ihrem gewalttätigen Ehemann. Als sie die Leitung des Lagers auf die von ihrem Mann ausgehende Gewalt angesprochen hat, wurde sie nicht gehört, ihr wurde nicht geholfen. Jamilia wurden keine Mittel zur Verfügung gestellt, dieser Situation zu entfliehen.

Dahinter steckt ein rassistisches System, welches Menschen in Lager steckt und ihnen Hilfe verwehrt. Ein System, das gewaltvoll mit Menschen umgeht, die nach Schutz und Unterstützung suchten. Sowie bei Jamilia. An Jamilia wurde der 7. Femizid in diesem Jahr in der Schweiz begangen. Die Medien berichten kaum davon, die Öffentlichkeit bemerkt es nicht, möchte es nicht bemerken. Der Staat weigert sich einmal mehr, zu sehen und zu benennen, dass es sich hierbei um den gewaltvollen, tödlichen Ausdruck dieses patriarchalen Systems handelt. Und dass Femizide keine Einzelfälle sind, sondern Struktur haben. Dass der Tod von Jamilia kein Einzelfall ist.

Wir sind traurig, aber wir sind auch unglaublich wütend. Wütend auf dieses System welches nichts verändern will, obwohl eine Schwester nach der nächsten ermordert wird. Und wir werden diese Wut immer lauter werden lassen, werden uns wehren gegen diese gewaltvollen Strukturen, bis wir sie zerschlagen! In Solidarität mit allen Betroffenen patriarchaler und rassistischer Gewalt fanden vergangenen Donnerstag in verschiedenen Städten Ni Una Menos Kundgebungen statt.

https://migrant-solidarity-network.ch/2022/04/26/femizid-an-jamilia-ni-una-menos/
https://www.derbund.ch/frau-bei-streit-toedlich-verletzt-ehemann-festgenommen-924769696868

Was ist aufgefallen?

Was auf dem Mittelmeer passiert ist

Tod, Rettungen, gekenterte Boote. Das sind die Folgen des politisch gewollten Sterbenlassen auf dem Mittelmeer. Auch in den vergangenen Tagen.
 
– Am 23. April hat das das Rettungsschiff «Geo Barents» rund 100 Menschen auf dem Mittelmeer gerettet.
– In der gleichen Nacht auf Sonntag ist vor der Küste Libanons ein Boot mit etwa 60 Menschen an Bord gekentert. Den Behörden zufolge sind sechs Migrant*innen gestorben. Ein Überlebender sagte gegenüber den Medien: «Das Boot der Küstenwache hat uns zweimal absichtlich gerammt». Die libanesische Marine schreibt in ihrem offiziellen Statement, «hohe Wellen» seien für den Unfall verantwortlich gewesen. In Tripoli (Libanon) kam es daraufhin zu Protesten.
– Am 24. April rettete die Ocean Viking der Seenotrettungsorganisation SOS Mediterranee in internationalen Gewässern vor Libyen 70 Menschen aus einem in Seenot geratenen Schlauchboot, das bereits an Luft verlor.
– Am 27. April erreichte die Ocean Viking ein Boot mit 72 Menschen. Später wurde ein in Seenot geratenes Schlauchboot in über 2 Meter hohen Wellen mit dem Fernglas gesichtet. 59 Menschen wurden aus unmittelbarer Todesgefahrt auf die OceanViking evakuiert. Es befinden sich nun 295 Menschen an Bord der Ocean Viking. Nach 9 Anfragen wartet die Ocean Viking und die Menschen auf ihr immer noch darauf, sicher an Land gehen zu können. 
– Im gleichen Zeitraum sind vor der Küste von Tunesien vier Boote mit Menschen auf der Flucht gekentert, dabei kamen mindestens 17 Menschen ums Leben – die Todeszahlen können jedoch deutlich höher liegen. Laut Schilderungen von Überlebenden hätten sich in jedem Boot zwischen 30 und 32 Menschen befunden. 

Seit Anfang Jahr sind bereits über 500 Menschen auf ihrem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Kein einziger dieser Tode ist ein Unfall, sondern politisch gewolltes Sterbenlassen. Getötet von der europäischen Abschottungspolitik, der Grenz- und Küstenwache Frontex, welche systematisch mit der lybischen Küstenwache zusammenarbeitet, welche Migrant*innen in lybische Foltercamps zurückführen lässt.
 

Was tut Frontex?

Fail, Failure, Frontex

Systematische Fehlkategorisierung in der Frontex-Datenbank von Push-Backs in der Ägäis. SeaWatch und FragDenStaat klagen Einsicht in Dokumente über Pull-Backs im zentralen Mittelmeer ein. Frontex-Chef Leggeri tritt endlich zurück: überfällig, aber nicht ausreichend.

Die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex fällt seit Monaten mit Skandalen zu Menschrechtsverletzungen auf. Verwicklungen in brutale und illegale Push- und Pull-Backs wurden öffentlich. Frontex hatte nicht nur Kenntnis davon und versuchte diese aktiv zu vertuschen. Sie betreibt auch eine systematische Zusammenarbeit mit der griechischen Küstenwache in der Ägäis und der sogenannten libyschen Küstenwache auf dem zentralen Mittelmeer, um diese Push- und Pull-Backs vorzubereiten.

Zwischen März 2020 und September 2021 informierten Überwachungsflugzeuge von Frontex regelmässig die griechische Küstenwache über Boote mit insgesamt 957 Menschen an Bord, die daraufhin alle auf aufblasbaren Rettungsinseln auf dem offenem Meer in türkischen Gewässern ausgesetzt wurden. Worüber NGOs und auch antira.org bereits 2020 berichteten, wurde nun auch in einer Recherche mehrerer bürgerlicher Medien veröffentlicht. Desweiteren hatten diese auch Zugang zur Datenbank von Frontex “Jora”. In dieser wird deutlich, dass die Push-Backs in der Ägäis systematisch als ‚Verhinderung der Ausreise‘ klassifiziert werden. Und dies in mindestens 22 Fällen in besagtem Zeitraum. Die kaum vorhandenen Frontex-internen Kontrollinstanzen hatten Kenntnis von dieser Praxis und bezeichneten sie in mehreren Fällen vage als ‚fragwürdig‘ oder ‚widersprüchlich‘. Folgen hatten diese Aussagen keine. Auch der alibimässig eingeführte Posten des*der Grundrechtsbeauftragte*n hat kaum Wirkung auf das Schaffen der Agentur. Denn von den Fällen, in denen sogenannte Serious Incident Reports überhaupt angelegt wurden (Serious Incident Reports ist eine Kategorie, in der Menschenrechtsverletzungen, Push-Backs etc. in der Bürokratie von Frontex erwähnt werden können), erreichten mehrere den Grundrechtsbeauftragten von Frontex gar nicht erst.

Zu fehlenden Kontrollmechanismen und der fehlenden Rechenschaftspflicht von Frontex kommt noch deren Intransparenz hinzu. Über 90% aller Anfragen über Dokumenteneinsicht lehnte Frontex ab. Nun klagen SeaWatch und FragDenStaat vor dem Gericht der Europäischen Union für die Einsicht in 73 Dokumente zu mindestens einem Fallbeispiel der systematischen Zusammenarbeit zwischen Frontex und der sogenannten libyschen Küstenwache bei Pull-Backs auf dem zentralen Mittelmeer. FragDenStaat schreibt dazu, Frontex habe offenbar kein Interesse daran, detaillierte Informationen über die Art und das Ausmass der Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache preiszugeben und dass sie für die Offenlegung von Beweisen kämpfen würden, die Frontex der Öffentlichkeit vorenthalte.

Vor dem Hintergrund all dessen (und vor dem Hintergrund der abgeschlossenen Ermittlung der europäischen Anti-Betrugsbehörde OLAF, dessen Bericht jedoch zurzeit unter Verschluss steht), hat sich Frontex-Chef Fabrice Leggeri endlich dazu entschlossen, zurückzutreten. SeaWatch bezeichnete diesen Schritt betreffenderweise als “überfällig, aber nicht ausreichend“ und Frontex als ein “Symbol tödlicher europäischer Abschottung“. Wir von antira.org können der damit einhergehenden Forderung der Abschaffung von Frontex nur zustimmen. Die Gefahr besteht nun, dass behauptet wird, mit eine*r neuen Chef*in würde sich alles ändern, aber die Europa-Abgeordnete Birgit Sippel beschreibt es sehr treffend: “Der Fisch stinkt vom Kopf.“ Der Rücktritt Leggeris ist nur der Anfang. Auch das No Frontex-Referendum am 15. Mai ist nur ein Anfang. Zuerst DEFUND FRONTEX, dann ABOLISH FRONTEX!

https://www.republik.ch/2022/04/27/inside-frontex-die-geheime-datenbank-der-eu
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/ausgesetzt-in-der-aegaeis-sauberer-strom-kanzler-scholz-unter-druck?urn=urn:srf:video:32f7fabb-0c83-43ae-a9d4-67df0f8dfc9f
https://fragdenstaat.de/blog/2022/04/28/gemeinsam-mit-seawatch-ziehen-wir-gegen-frontex-vor-gericht/
https://fragdenstaat.de/blog/2022/04/21/europaeische-laender-frontex-operationen/
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/abstimmung-mit-einer-kartonmauer-und-stacheldraht-gegen-die-frontex-vorlage-gegnerschaft-formiert-sich-im-aargau-in-einem-komitee-ld.2280243
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/eu-aussengrenzen-und-die-rolle-von-frontex-loesungsansaetze-der-sfh

Was nun?

Armut ist kein Verbrechen

Einem Menschen kann alleine durch den Bezug von Sozialhilfe die Landesverweisung drohen. Das Ausländer- und Integrationsgesetz in der Schweiz macht es möglich. Das bestätigt die Realität einer Basler Familie: Aufgrund von Schulden und dem Bezug von Sozialhilfe soll eine seit 26 Jahren in der Schweiz wohnhafte Mutter von zwei Töchtern das Land verlassen müssen.

Am Samstag wurden in Basel dagegen demonstriert. Die Aktivist*innen schreiben: “Wir prangern das Vorgehen der Behörden als unmenschliche Praxis an und fordern, dass Mudza E. nicht des Landes verwiesen und ihre Aufenthaltsbewilligung verlängert wird, damit sie hier in der Schweiz ihrem Familien- und Arbeitsleben weiterhin nachgehen kann! Wir fordern eine Änderung der Gesetzeslage, damit seit Jahrzehnten in der Schweiz lebende Menschen nicht verwiesen werden können, nur weil sie in Not Sozialhilfe beziehen!”

https://act.campax.org/petitions/armut-ist-kein-verbrechen-drohende-ausschaffung-trotz-26-jahren-in-der-schweiz?fbclid=IwAR1ZJW13TNlHb2L_1tvUeY8XHzkWDK_aESIG6s_Yya7lH5pDTXnT94EBtg0
https://telebasel.ch/2022/04/27/anouchka-gwen-kaempft-um-ihre-mutter-armut-ist-kein-verbrechen/

Wo gabs Widerstand?

Widerständige Aktionen gegen den Angriff auf Rojava

Seit dem 14.4.22 werden verschiedene Gebiete auf nordirakischem Boden, die die kurdische Widerstandsbewegung selber verwaltet, vom türkischen Staat massiv mit Bomben, Artillerie und Bodentruppen angegriffen. In Solidarität mit Rojava haben in den letzten Tagen diverse Aktionen stattgefunden. Denn auch in Europa gilt es, sich zur neuen Angriffswelle des türkischen Faschismus gegen die kurdische Freiheitsbewegung zu verhalten.

https://barrikade.info/article/5145
https://barrikade.info/article/5144

https://barrikade.info/article/5139

Was steht an?

No Frontex Veranstaltungen
Im Vorfeld der Abstimmung über das Frontex-Referendum am 15. Mai finden in verschiedenen Schweizer Städten (Winterthur, Basel, St. Gallen, Lausanne, Interlaken, Neuchatel, Zürich, Brugg) Veranstaltungen statt: Filmvorführungen, Diskussionen, Podien, Lesungen.
Alle Daten findet ihr hier: https://frontex-referendum.ch/events/

Grenzen Töten Demo Bern
14.05.2022 | 14:00 | Bern (Genauer Ort folgt)
Aufruf: https://barrikade.info/event/1737

Soliparty für das Legal Centre Lesvos mit best-elle und anschliessender Tanzmusik
14.05.2022 | Reitschule Bern, Frauenraum
Türöffnung: 21:00 Uhr

Beginn Konzert: 22:00 Uhr
anschliessend: DJs

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Das Gespräch: «Die Schweiz könnte eine Vorreiterrolle einnehmen»
Hinter dem Frontex-Referendum stehen Aktivist:innen, die einst selber in die Schweiz geflüchtet sind. So wie Malek Ossi und Amine Diare Conde. Im Gespräch mit der WOZ reden sie über ihre Motivation, die Mängel der Schweizer Demokratie und die Hoffnung auf eine menschlichere Asylpolitik.
https://www.woz.ch/-c56e