Rassistische Behörden und Institutionen in der Schweiz

03.08.20
Weiterhin kein Ausschaffungsdeal mit dem eritreischen Regime in Sicht
Die schweizer Behörden betreiben grossen Aufwand, um mit dem Regime in Eritrea einen Deal abzuschliessen, der systematische Zwangsausschaffungen dorthin ermöglichen würde. Die Bemühungen scheinen weiterhin ins Leeren zu laufen. In den letzten Jahren platzten bereits zwei Treffen. Dieses Jahr fiel ein weiteres wegen Corona aus.
Das eritreische Regime scheint nicht ausreichend Interesse an einem solchen Deal zu haben. Denn die Diaspora gibt mehr Geld in die Staatskassen, als die zusätzlichen Entwicklungsgelder, die dem Regime im Falle eines abgeschlossenen Ausschaffungsabkommens in Aussicht gestellt werden. Dieses Jahr bezahlte die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) sechs Millionen Franken für «Kooperationsprojekte in Eritrea». Dieser Betrag ist dem Regime offenbar zu tief, denn auch ein 200 Millionen Euro-‚Entwicklungs’paket der EU vermochte es nicht, das Regime zu Verhandlungen über ein Rücknahmeabkommen zu bewegen.
https://www.watson.ch/schweiz/bundesrat/519824071-bundesrat-cassis-wartet-auf-den-besuch-aus-eritrea

 
27.07.20

Institutioneller Rassimus: Aargau bezahlt zu wenig
«Anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge haben dieselben Ansprüche auf Sozialhilfe wie Schweizerinnen und Schweizer», so steht es in der Broschüre, die das SEM allen Personen verteilt, die als «Flüchtlinge» oder als «vorläufig aufgenommene Flüchtlinge» anerkannt wurden. Es brauchte wirklich kein langes Studium der Rechtswissenschaften, um zu erkennen, dass der Kanton Aargau gegen dieses Prinzip der Gleichbehandlung verstösst, indem er diesen Personen gleich wenig gibt – nämlich neun Franken pro Tag – wie den entrechteten Menschen mit einem Negativentscheid oder jenen mit einem laufenden Asylverfahren. Nun haben das auch die aargauer Behörden erkannt: «Diese Praxis entspricht nicht den rechtlichen Grundlagen», heisst es in ihrer Mitteilung. Die Geschädigten erhalten aber erst ab September einen höheren Betrag. Den genauen Betrag wollte der Kanton aber nicht bekannt geben. Doch weil in den Asylcamps «Dienstleistungen und Waren zur Verfügung gestellt werden», werde der Betrag sicher tiefer liegen, als jener der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) empfohlene. Rückwirkende Zahlungen an die Geschädigten wurden bisher keine beschlossen.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/gewisse-fluechtlinge-erhalten-zu-wenig-geld-vom-kanton-das-soll-sich-nun-aendern-138515366 file:///Users/nw/Downloads/info-flue-va-de.pdf
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/gewisse-fluechtlinge-erhalten-zu-wenig-geld-vom-kanton-das-soll-sich-nun-aendern-138515366

27.07.20

 

Mario Fehr hält Verträge mit der ORS AG zurück
Die Zeitung «Die Republik» hat sich nach monatelangem Streit gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip Einsicht in die Millionenverträge des Zürcher Asylwesens erstritten. Einsicht forderte die Zeitung in die Verträge zwischen dem Zürcher Sozialamt und den Asylcampbetreiber*innen ORS Service AG (privat) und AOZ (im Besitz der Stadt Zürich). Für dieses Mandat kassieren die beiden Institutionen insgesamt rund 120 Millionen Franken. Das Sozialamt und die Sicherheitsdirektion verweigerten die Einsicht, obwohl die ORS und die AOZ schriftlich festhielten, dass sie kein Geheimhaltungsinteresse hätten. Das Verwaltungsgericht entschied dann aber, dass das Sozialamt umfassend und «ohne weitere Prüfung» Einsicht in die Verträge mit der ORS zu gewähren habe. Mittlerweile hat aber das Sozialamt gegen diesen Entscheid Beschwerde vor dem Bundesgericht in Lausanne eingereicht, was zur Folge hat, dass die Verträge bis zum Entscheid des Bundesgerichts geheim bleiben. Dies kann noch Monate dauern.
Es ist bemerkenswert, wie heftig sich das Sozialamt und die übergeordnete Sicherheitsdirektion gegen Transparenz im Zürcher Asylregime wehren. Zwar kommt es bei sogenannten Private-Public-Partnership-Projekten immer wieder vor, dass sich die privaten Auftragnehmer*innen gegen die Öffentlichmachung von Verträgen wehren. Seltener ist es, dass sich die öffentliche Verwaltung sträubt. Höchst aussergewöhnlich ist aber die hier vorliegende Konstellation: dass der private Auftragnehmer die Transparenz begrüsst, die öffentliche Verwaltung hingegen auf Geheimhaltung pocht.
Wie aus der Beschwerde des Sozialamts hervorgeht, musste Sicherheitsdirektor Mario Fehr dafür eigens seine Ermächtigung erteilen. Es ist also der sozialdemokratische Regierungsrat persönlich, der in diesem Fall Transparenz verhindern will und versucht, die Millionenverträge des Zürcher Asylwesens geheim zu halten. Ungeheuer an diesem Rechtsstreit ist, dass er aufzeigt, dass wir offensichtlich längst noch nicht alles wissen, was im Zürcher Asylregime vor sich geht. Dies obwohl es viele Berichte zu den unhaltbaren Zuständen der knastähnlichen Asylcamps der ORS gibt. Und es ist allgemein bekannt, dass sich die ORS an der Verwaltung von Geflüchteten bereichert und auch, dass sie Deals mit der Securitas hat, welche regelmässig Menschen physische Gewalt antut. Es ist erschreckend, sich vorzustellen, dass es noch sehr viele ungeheure Deals und Details in den Verträgen der Sozialdirektion mit der ORS gibt, die Mario Fehr offensichtlich zu keinem Preis der Öffentlichkeit zugänglich machen will.
https://www.republik.ch/2020/07/21/zuercher-asylbehoerden-streiten-weiter-fuer-geheimniskraemerei

27.07.20

 

Alibi-Folterprävention durch die offizielle Schweiz
Die Nationale Kommission zur Verhütung der Folter (NKVF) begleitet alle Level 4-Zwangsausschaffungen per Flugzeug oder über den Seeweg ab Sète in Frankreich nach Marokko. Zwangsausschaffungen sind eine der brutalsten Formen neokolonialer Gewalt, die in der Schweiz gegen Einzelpersonen oder Familien zum Einsatz kommt. Administrative Entscheidungen von Behörden reichen aus, um Menschen, die eine – teilweise jahrelange und lebensbedrohliche – (Flucht-) Migration hinter sich haben, mit Gewalt und Zwang in – meist neokolonial dominierte – Staaten auszuschaffen. Aufgabe der NKVF ist es, jedes Jahr einen Bericht über die „Verhältnismässigkeit“ dieser unverhältnismässigen Gewalt zu verfassen. Von April 2019 bis März 2020 wurden deshalb acht Personen bezahlt, um bei den Zwangsausschaffungen zuzuschauen.
Die Level 4-Gewalt traf in der Berichtsperiode insgesamt 111 Personen, darunter 16 Familien und 28 Kinder. 18 Personen wurden ganzkörpergefesselt ausgeschafft.

Vier Familien wurden auseinandergerissen und zu ungleichen Zeitpunkten ausgeschafft. Eine Familie mit vier Kindern wurde im Ausschaffungscamp in ihrem Schlafraum von 20 bewaffneten Polzist*innen verhaftet und mit Blaulicht und Sirene zum Flughafen gefahren.
Im Durchschnitt fliegt also alle 10 Tage ein Sonderflug. 18 flogen in europäische Dublinstaaten, 16 in nicht-europäische Staaten.Vor dem Abflug durften nur drei Personen nochmals telefonieren. Alle anderen konnten ihre Verwandten oder Bekannten nicht mehr informieren, dass sie nun ausgeschafft werden. Dabei würden dies internationale Standards vorschreiben. Standards würden auch das präventive Fixieren von Menschen mit Handschellen hinter dem Rücken oder an den Füssen verbieten. Obwohl die NKVF dies schon mehrfach kritisierte, kommt es immer noch vor. Die NKVF hat auch vorgeschlagen, Menschen nicht ohne Vorwarnung in den Zellen zu überraschen. Trotzdem kam dies erneut vor. In einem anderen Fall drückten die Polizist*innen einen Mann 25 Minuten lang auf den Boden, nachdem sich dieser mit einem Rasiermesser selbst verletzt hatte.Es fällt auf, dass die NKVF gegen Folter nicht viel zu melden hat. Sie hat nur Empfehlungen abgeben, die aber nicht befolgt werden müssen. So verlor sie einen Streit gegen das SEM. Die NKVF schlug vor, ab der 28. Schwangerschaftswoche auf Zwangsausschaffungen zu verzichten. Dem SEM war das zu soft. Es beharrte auf Ausschaffungen von schwangeren Personen bis zur 32. Woche. So gilt es nun.Das Absurdeste ist aber, dass die NKVF weder den Auftrag noch die Mittel hat um herauszufinden, ob die abgeschobenen Personen nach ihrer Ausschaffung Folter erleiden, medizinisch schlechte Behandlung erhalten oder diskriminiert werden. Dabei ist die Foltergefahr wohl genau nach der Ausschaffung am höchsten. Sind doch viele der ausgeschafften Menschen aus Furcht vor Verfolgung aus jenem Staat geflohen, wohin die Schweiz sie nun mit Gewalt zurückschickt. Doch das kümmert die offizielle Schweiz offensichtlich in keiner Art und Weise.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79906.html
https://fra.europa.eu/en/publication/2019/forced-return-monitoring-systems-2019-update
https://frontex.europa.eu/assets/Publications/General/Guide_for_Joint_Return_Operations_by_Air_coordinated_by_Frontex.pdf
https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19994789/index.html

21.07.20

 

Kanton Bern bezeichnet die Forderungen der Gruppe „Stopp Isolation“ als unsolidarisch und undemokratisch
Letzte Woche versammelte sich die Gruppe „Stop Isolation“ vor dem SEM in Bern, um gegen die unmenschlichen Bedingungen für Geflüchtete mit Negativentscheid in der Schweiz zu protestieren (https://migrant-solidarity-network.ch/2020/07/07/die-gruppe-stop-isolation-protestiert-vor-dem-sem/). In einem Brief an den Kanton Bern und den Bund stellte die Gruppe konkrete Forderungen: (1) Aufenthaltsbewilligungen, (2) keine Isolation in Rückkehrcamps, (3) keine ständigen Kontrollen, Bussen und Haftstrafen, (4) Respekt und Würde. Nun hat der Kanton Bern auf den Brief reagiert (https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.assetref/dam/documents/portal/Medienmitteilungen/de/2020/07/2020-07-17-sid-schreiben-abev-stopp-isolation.pdf) und stellt sich gegen alle Forderungen der Gruppe «Stop Isolation».
Für den Kanton Bern sind diese Forderungen, die auf eine grundsätzliche Gleichbehandlung und Gleichberechtigung aller Menschen abzielen, erstens unsolidarisch gegenüber Geflüchteten mit einem Positiventscheid, denen es besser gehen soll als jenen mit Negativentscheid. Zweitens seien die Forderungen undemokratisch, weil die diskriminierende Behandlung von Menschen mit Negativentscheid durch Gesetze gerechtfertigt sei. Es ist einfach nur verlogen, dass die Vertreter*innen der unmenschlichen berner Asylpolitik denjenigen Menschen, die sie an den Rand der Existenz und Gesellschaft drängen, unsolidarisches Verhalten gegenüber anderen Geflüchteten vorwerfen. Unsolidarisch sind einzig und allein die Gesetze dieser Asylpolitik, die Menschen isolieren und in die absolute Perspektivlosigkeit drängen. Nicht weniger verlogen ist der Hinweis auf die demokratisch legitimierten Gesetze, die es einzuhalten gilt. Keine einzige dieser betroffenen Personen konnte auch nur ein Wort in dieser Thematik mitsprechen. Die Gesetze, die lediglich auf die Verwaltung und Isolation von Geflüchteten abzielen, wurden von privilegierten Menschen mit Schweizer Pass „legitimiert“. Das hat rein gar nichts mit „demokratisch“ zu tun.
Als Reaktion auf diese Antwort nahm die Gruppe den Protest am Montag wieder auf und demonstrierte auf dem Bundesplatz sowie vor dem Büro der Sicherheitsdirektion in Bern. «Wir sind weder undemokratisch noch unsolidarisch. Wir sagen unsere Meinung und fordern Verbesserungen. Niemandem soll es schlecht gehen. Alle Menschen haben ein Recht auf Respekt und ein gutes Leben in Würde und Freiheit. Es ist aber unsolidarisch Menschen zu isolieren. Deshalb müssen wir weiterkämpfen».
https://www.derbund.ch/sicherheitsdirektion-wehrt-sich-gegen-vorwuerfe-der-demonstranten-529360223371

21.07.20
Ungleicher Zugang zu Unterstützung bei Menschenhandel
Im Asylverfahren befinden sich immer wieder Menschen, die von Menschenhandel betroffen sind. Oftmals ist es für diese Menschen sehr schwer, Asyl zu erhalten, weil das Staatssekretariat für Migration ihnen nicht glaubt und sie ihre Erfahrungen nicht ‚ausreichend‘ beweisen können. So werden ihre Asylgesuche regelmässig abgelehnt und die Menschen werden ausgeschafft, nicht selten zurück in die Länder, in denen sie wieder der Gefahr des Menschenhandels ausgesetzt sind.
Wem geglaubt wird, erhält zwar Asyl in der Schweiz, doch für viele gibt es nicht genügend Unterstützung. Dies liegt am schweizerischen Opferhilfegesetz. In diesem gilt das Territorialitätsprinzip, wodurch Personen, die im Ausland von Menschenhandel betroffen waren, keine Leistungen erhalten, wenn sie zum Zeitpunkt der Straftat keinen Wohnsitz in der Schweiz hatten. Gestützt auf das Krankenversicherungsgesetz und die Nothilfe nach Art. 12 BV können Personen, die von Menschenhandel betroffen sind, aktuell nur drei der sechs Minimalleistungen beanspruchen: medizinische Notversorgung sowie psychologische und materielle Hilfe. Auf die anderen drei Minimalleistungen – geeignete Unterkunft sowie Beratungs- und Übersetzungsleistungen – haben sie keinen Anspruch. Aufgrund dieser Ungleichbehandlung hat die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) letztes Jahr einen Appell (https://www.terre-des-femmes.ch/images/Mini-Kampagne_BR-Bericht_RefuShes/Appell_OpferhilfeFuerAlle.pdf) initiiert. Dieser fordert Zugang zu spezialisierter Unterstützung für alle Gewaltbetroffenen – unabhängig von Tatort und Aufenthaltsstatus.
https://beobachtungsstelle.ch/news/opfer-von-menschenhandel-sind-ungenuegend-geschuetzt/
 
13.06.20

 

Kantonale Ungleichheiten bei rassistischen Doppelstrafen
Werden Nicht-Schweizer*innen verurteilt, so müssen sie – wie Schweizer*innen auch – eine Strafe verbüssen. Doch bei gewissen Verurteilungen sind die Nicht-Schweizer*innen nach abgesessener Haftstrafe nicht frei, sondern werden ein zweites Mal durch «Landesverweis» – sprich Ausschaffung – bestraft. Die Verurteilungen, die zu einer solchen Ausschaffung führen können, finden sich im Artikel 66a des Strafgesetzbuches. Die Liste ist lang und umfasst nebst Taten gegen Menschen auch Taten wie qualifizierter Diebstahl, Betrug, unrechtmässiger Bezug von Sozialleistungen sowie qualifizierte Störung des öffentlichen Verkehrs oder Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz. In der Schweiz besitzen rund 20% der Bevölkerung keinen Schweizer Pass. Die rassistische Doppelbestrafung droht also jeder fünften Person. Sie betrifft auch Personen, die keinen oder kaum Bezug zum Land haben, in das sie ausgeschafft würden. Besonders in solchen Fällen können Richter*innen «ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde» heisst es im gleichen Artikel 66a. Die Limmatthaler Zeitung hat nun eine Rangordnung der Kantone erstellt, die extrem hart auf die rassistische Doppelbestrafung durch Landesverweis zurückgreifen:

Tabelle: Anwendungsrate der obligatorischen Landesverweisung

https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/grosse-unterschiede-bei-ausschaffungen-luzern-weist-neun-von-zehn-kriminellen-auslaendern-aus-zuerich-nur-jeden-zweiten-138358422
https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19370083/index.html#a66a

13.06.20

 

Rassistische DNA-Gesetzesverschärfung
Momentan steht in der Schweiz eine Gesetzesänderung kurz vor der Annahme, die die weiter greifende Erfassung von DNA-Daten beinhaltet. Bisher durften nur x- und y-Chromosomen angeschaut werden, die die Ermittler*innen mit Geschlecht in Verbindung bringen, sowie ein genetischer Abgleich von zwei unterschiedlichen Spuren stattfinden. Nun dürfen auch Informationen über Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie die sogenannte biogeographische Herkunft erfasst werden. Die Verschärfung ist eine Reaktion auf die Motion des FDP-Politikers Albert Vitali aus dem Jahre 2015. Jede Kritik an der erweiterten DNA-Analyse aufgrund des erheblichen Eingriffs in Persönlichkeitsrechte tut er als „Täterschutz für Vergewaltiger und Mörder“ ab. Beim damaligen Einreichen der Motion instrumentalisierte die SVP einen Fall von sexualisierter Gewalt, um Täter*innenschaft rassistisch zu verallgemeinern und daraufhin rechte Hetze zu betreiben.
Drei weitere rassistische Annahmen liegen dem Vorstoss zu Grunde:
1. Die komplette DNA-Analysemethode, die äusserliche Merkmale feststellt – die sogenannte Phänotypisierung – greift auf Schemata zurück, die auf der rassistischen Forschung des 19. Jahrhunderts basieren und davon ausgeht, Menschen anhand körperlicher Merkmale einer spezifischen Gruppe zuordnen zu können.
2. Sichtbare Merkmale einer Person werden mit deren Herkunft in Verbindung gebracht.
3. Wenn bei der DNA-Analyse herauskommt, dass es sich um eine weisse Person mit braunen Haaren handelt, sind die Daten aufgrund der hohen Dichte dieser Körpermerkmale in der Schweiz nicht von Belang, sodass die Analyse nur benutzt werden kann, wenn eine Abweichung von der weissen Norm vorliegt. Die Gefahr liegt also in einer zusätzlichen Stigmatisierung aller Menschen, die ausserhalb der weissen Norm verortet werden, indem sie einem Generalverdacht durch die Ermittlungsbehörden ausgesetzt werden können.
https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/juli-2020/erweiterte-dna-analysen-der-schweiz

13.06.20
Rassismusbericht 2019: Strukturell-weisse Flecken im staatlich subventionierten Antirassismus
An den aktuellen «Exit Racism»-Demonstrationen wird gefordert, dass in den staatlichen und quasi-staatlichen Antirassismusstellen BIPoC-Personen (Pblack, Indigenous, People of Color) angestellt werden sollen. Die angesprochenen Beratungsstellen sind seit einer Initiative der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR und humanrights.ch 2005 als «Beratungsnetze für Rassismusopfer» organisiert. Trotz oder eventuell genau wegen des stärker werdenden Rassismus ist das Netzwerk letztes Jahr von 24 auf 22 Beratungsstellen geschrumpft. Somit gibt es weniger als eine Beratungsstelle pro Kanton. Jedes Jahr veröffentlicht dieses Netzwerk einen Bericht über Rassismusvorfälle aus ihrer Beratungspraxis. «Im Berichtsjahr 2019 wurden 352 Beratungsfälle zu rassistischer Diskriminierung registriert, so viele wie noch nie,» heisst es. Doch das sind gerade mal 16 Fälle pro Beratungsstelle während eines gesamten Jahres. Es scheint also, als würden sich rassismusdiskriminierte Personen nur in den seltensten Fällen an eine solche Beratungsstelle wenden. Trotz der tiefen Fallzahlen seien die Daten des Berichts «von grosser Bedeutung», heisst es weiter, denn sie würden den Kantonen «massgeschneiderte statistische Auswertungsmöglichkeiten» zum Thema Rassismus bieten. Dass die Einschätzung zur zweifelsohne sehr wichtigen Arbeit der Beratungsstellen nicht etwas selbstkritischer bzw. bescheidener ausfällt, liegt wohl an den Interessen ihrer Geldgeber*innen, die an nicht-signifikanten Daten zum Rassismus Freude haben dürften: «Die Mehrheit der Kantone unterstützt das Beratungsnetz finanziell. Sie sind die wichtigsten Geldgeber des Projektes. Diese Strukturfinanzierung ist für das Projekt unerlässlich. Dem Bund dienen der vorliegende Bericht und die strukturierte Datenbasis einerseits dem nationalen Monitoring, andererseits der Berichterstattung an internationale Organe. Hierzu gehören unter anderem die Staatenberichte an den UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) und an die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats».
Angesichts des Zielpublikums des Berichts erstaunt es also nicht, dass vergebens nach einer kritischen Analyse zu strukturellem Rassismus – u.a. der Behörden und in Gesetzen – gesucht wird. Und dass die Einschätzungen zum Rassismus gegen Nicht-Schweizer*innen, BIPoC, Migrant*innen, Geflüchtete, Muslim*innen, Sinti, Roma, Jenische sehr milde ausfallen. Hier das Fazit der Medienmitteilung zum Bericht: «Ein bedeutender Teil der gemeldeten Fälle rassistischer Diskriminierung fanden im öffentlichen Raum und am Arbeitsplatz statt. Die am häufigsten gemeldeten Formen rassistischer Diskriminierung waren Benachteiligungen und Beschimpfungen. Das häufigste Motiv war die Ausländerfeindlichkeit/ Fremdenfeindlichkeit, gefolgt vom Rassismus gegen Schwarze und von Muslimfeindlichkeit. Erkennbar ist ausserdem eine Zunahme von Fällen mit rechtsextremem Hintergrund.» Übrigens: Über die gelesene Hautfarbe der Vorstände, Mitarbeitenden oder der Geldgeber*innen der Beratungsstellen finden sich im Bericht keine Informationen.
https://www.humanrights.ch/de/fachstellen/fachstelle-diskriminierung-rassismus/news-rassismusbericht-2019
http://network-racism.ch/cms/upload/200421_Rassismusbericht_19_D.pdf

29.06.20

 

Bundesrat berichtet über seine Antimigrationspolitik 2019
Das offizielle Ziel der «Migrationsaussenpolitik» der offiziellen Schweiz sind weiterhin nicht die Interessen der Migrant*innen. Im Gegenteil: Im ersten Satz des Bundesratsberichts heisst es, «Migrationsaussenpolitik (ist) ein wichtiges Instrument, um die Interessen der Schweiz im Migrationsbereich zu wahren». Deshalb bestand die Strategie der letzten Jahre auch nicht etwa darin, zu verhindern, dass Menschen im Mittelmeer sterben oder darin, die kolonial-rassistische Abschiebemaschinerie zu stoppen. Um die nationalen Interessen zu wahren, bemühten sich die Behörden erstens darum, immer mehr Projekte, Strukturen und Gelder der internationalen Zusammenarbeit (IZA) – früher Entwicklungszusammenarbeit – den migrationspolitischen Interessen der Schweiz – sprich der Abschottung – unterzuordnen. «Insgesamt wurden über 200 Millionen Franken der IZA in migrationsrelevante Kontexte investiert». Zweitens versuchten die Behörden 2019 möglichst viele Ausschaffungsdeals bzw. «Migrationspartnerschaften und –abkommen» abzuschliessen. Neue Deals erzwangen sie mit den Herrschenden der Ukraine und Bangladesch, während die Verhandlungen mit den Herrschenden im Sudan stocken. Auch der Deal mit Afghanistan konnte wieder aktiviert werden, um Menschen dorthin ausschaffen zu können. Dritter strategischer Hebel der Behörden ist das gezielte Erschweren von Flucht- und Migrationsbewegungen. Die Behörden sprechen von «Steuerung» oder «Migrationsmanagement». Sofern das EU-Rahmenabkommen zustandekommt, wollen die Behörden «200 Millionen Franken für Massnahmen zur verbesserten Migrationssteuerung in den von den Migrationsbewegungen besonders betroffenen EU-Mitgliedstaaten einsetzen». Zudem erhält der europäische «Fonds für die innere Sicherheit im Bereich Aussengrenzen und Visa» 37 Millionen Franken und Frontex-Operationen können auf schweizer Qualitätsrepression durch Expert*innen zählen: «Im Jahr 2019 wurden 1.300 Einsatztage geleistet. Die Einsätze erfolgten auf französischen, italienischen, georgischen und spanischen Flughäfen, an der Seegrenze in Griechenland, Italien und Spanien, und an der Landgrenze zwischen Albanien und Montenegro, zwischen Bulgarien und Serbien, zwischen Kroatien und Montenegro sowie zwischen Griechenland und Albanien/Nordmazedonien».
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79567.html
https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/internat-zusarbeit/europa/ber-br-migpol-2019-d.pdf

22.06.20

 

Solidarische Strukturen schaffen, statt Menschen in Nothilfecamps isolieren

Noch im Frühjahr sprachen die schweizer Behörden von „wenigen Ausnahmen“, in denen abgewiesene Asylsuchende – im Wissen der Behörden – statt in den staatlichen isolierenden Rückkehrzentren bei Freund*innen untergebracht wären. Dies hat sich erfreulicherweise geändert und so leben nun im Kanton Bern bereits 120 der aktuell rund 700 abgewiesenen Asylsuchenden bei Privatpersonen, das sind fast 20% der abgewiesenen Asylsuchenden im Kanton Bern.
Durch diese solidarischen Strukturen, entziehen sich Menschen, die sonst in Rückkehrzentren „verwaltet“ würden. Menschen, die in den Augen der Behörden nicht bleiben dürfen. Von diesen aber auch nicht ausgeschafft werden können, da es beispielsweise mit dem Herkunftsland kein sogenanntes Rückübernahmeabkommen gibt. Das unmenschliche Wort allein erinnert an das Rückgaberecht defekter Waren. Ihnen möchte die offizielle Schweiz keinerlei Anreiz bieten zu bleiben. Sie erhalten 8 Franken Nothilfe pro Tag und eine medizinische Grundversorgung. Keine Sprachkurse, keine Bildung, keine Arbeitsmöglichkeit, keine Beschäftigung. Stattdessen Anwesenheitspflicht unter der Kontrolle der ORS. «Sie sollen nicht integriert werden», sagte dazu der zuständige Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) gegenüber dem «Bund». So verwundert es nicht, dass solidarischen Menschen von offizieller Seite Steine in den Weg gelegt werden, wenn sie sich diesem System widersetzen. Grundsätzlich müssen die Privatpersonen für alle Kosten aufkommen: Essen, Hygiene, Verpflegung, Unterbringung, Transportkosten, Kleidung. Sogar die kaum nennenswerten 8 Franken Unterstützung erhalten die Geflüchteten nicht mehr vom Kanton. Man könnte meinen, diese Lösung sei für die Behörden attraktiv, da sie Kosten spart. Dennoch wurde mehreren Menschen der Umzug in private Unterkünfte verwehrt. Eine Anfrage von Christa Ammann (AL) brachte nun offizielle Begründungen zutage:

  • Einer Familie wurde der Umzug in einen Privathaushalt vorläufig verwehrt, da vorgängig nicht mit der Schule der Gemeinde abgeklärt wurde, ob das Kind im schulpflichtigen Alter in der betreffenden Schule einen Platz erhalten wird. In der Antwort zeigt sich Bürokratie und Kontrolle: Die Familie habe kein Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen. Das Kind könne die Schule im Ort des Rückkehrzentrums besuchen. Die Familie würde viel mehr zeigen, dass sie staatlicher Leistungen wie Schulbildung nicht bedürftig sei, wenn sie einen anderen Wohnort wählt. Auch sei der neue Ort für die Einschulung halt nicht zuständig.
  • In einigen Fällen wurde die private Unterbringung verwehrt, weil die Privatperson, die den Wohnraum zur Verfügung stellt, nicht selbst in der Wohnung wohnhaft ist. Hier listen die Behörden folgende Bedingungen zur privaten Unterbringung auf: Die abgewiesene Person kann nicht ausgeschafft werden. Dennoch muss sie für Organisation und Durchführung der Abschiebung erreichbar sein. Aus der privaten Unterbringung dürfe keine Hoffnung auf ein Bleiberecht entstehen. Die unterbringende Person müsse eine Übersicht haben, wer sich in den angebotenen Räumlichkeiten aufhält. Würde sie selbst dort nicht wohnen, könne sie nicht gewähren, dass die Geflüchteten für ihre Ausschaffung verfügbar seinen. Solidarische Menschen werden damit in die Verantwortung genommen, sich zur Handlangerin eines rassistischen und menschenverachtenden Systems zu machen.
  • Mit dieser Begründung wird auch die Unterbringung in Wohnraum abgelehnt, der beispielsweise von Vereinen gemietet wird. Diese Lösung könnte für viele Geflüchtete eine Chance auf eine dezentrale Unterbringung und die Reduktion psychischer Belastungen im Lagersystem bedeuten.

Das Solinetz Bern ruft mit der Kampagne #StopIsolation zum Widerstand gegen die neu geschaffenen Rückkehrzentren im Kanton Bern auf. Dafür braucht es einerseits finanzielle Mittel und anderseits Menschen, die ihren Wohnraum mit Betroffenen teilen und einen entsprechenden Vertrag mit dem Migrationsdienst eingehen.Alle Infos auf
https://solidaritaetsnetzbern.ch/stopisolation/
https://www.derbund.ch/abgewiesene-asylbewerber-kommen-bei-privaten-unter-367032081508
https://www.gr.be.ch/etc/designs/gr/media.cdwsbinary.DOKUMENTE.acq/9d56f0632ea5448baa2aa6894c11c952-332/29/PDF/2020.STA.525-Beilage-D-208604.pdf

22.06.20

 

Geflüchtete reichen Strafanzeigen gegen prügelndes Sicherheitspersonal im Abschiebecamp Giffers ein
Es gebe keine Hinweise darauf, dass es in Basel oder in einem anderen Asylcamp zu unverhältnismässigem körperlichen Zwang komme. Das behauptete der SEM-Sprecher Bach am 13. Mai, nachdem das Kollektiv 3 Rosen gegen Grenzen bekannt machte, dass geflüchtete Migrant*innen im Bässlergut durch Securitasangestellte verprügelt werden (vgl. https://3rgg.ch/securitas-gewalt-im-lager-basel/). Doch wie die Zeitung Le Courrier diese Woche bekannt gab, haben Angestellte der Securitas und/oder der Protectas im Abschiebelager Giffers im Kanton Freiburg mindestens am 4. Mai und 7. Mai ebenfalls Menschen spitalreif geprügelt. Drei Betroffene haben nun Strafanzeige eingereicht.
Eine Person kehrte am 4. Mai krank ins Camp zurück. Am Campeingang liess ihn das Sicherheitspersonal 30 Minuten auf die jedes Mal durchzuführende Körperdurchsuchung warten. „Als ich dem Sicherheitspersonal sagte, es solle seine Arbeit tun, reagierten sie, als hätte ich sie beleidigt“, sagt der Betroffene. Weil sie ihn weiter ignorierten und krank ausserhalb des Camps warten liessen, rief der Mann schliesslich die Polizei. Diese befand, er müsse seinen Einlass ins Camp selbst aushandeln. Kurz darauf verprügelte ihn das Sicherheitspersonal spitalreif. Die Reise vom total abgelegenen Camp ins Spital musste der stark blutende Mann selbst organisieren.
Am selben Tag beschwerte sich ein anderer geflüchteter Mann beim Leiter des Camps, weil die Sicherheitsleute ihn unverhältnismässig aggressiv und unhöflich aufforderten, den Schlafraum zu reinigen. Kurz danach packte ihn das Sicherheitspersonal derart krass an der Kehle, dass im medizinischen Bericht des Spitals ein Würgemal am Hals erwähnt ist. Die Securitas behauptet, dieses stamme von einem Streit mit einem anderen Bewohner.
Drei Tage später der nächste Vorfall: „Ein Streit brach aus, ich unterhielt mich leise mit anderen und sie baten mich, wieder in mein Zimmer zu gehen». Daraufhin knallten ihn die Sicherheitsleute gewaltsam gegen ein Fenster. Dieses zerbrach und durchtrennte mehrere Sehnen. Der Mann musste operiert werden. Gemäss Securitas habe der Mann sein Gleichgewicht verloren und sei von sich aus auf das Glas gefallen.
Gegenüber der Zeitung Courrier brachen auch zwei Sicherheitsangestellte das Schweigen: «In diesem Frühjahr ist die Situation sehr angespannt geworden. Einige sind zu weit gegangen“, sagt der eine. „Das Sicherheitspersonal ist sehr schlecht ausgebildet. Es braucht Erfahrung, um eine Person bewegungsunfähig zu machen. Interventionen, deren Zeuge ich wurde, waren sehr ’schmutzig‘, sie können oft die Menschen verletzen“, sagt der andere. „In den Übungsszenarien werden die Asylsuchenden als gewalttätige Menschen dargestellt, denen wir nicht trauen können. (…) Wir werden aufgefordert, Null Toleranz zu zeigen, ohne zu erklären, was das bedeutet. Wenn etwas schief geht, versuchen wir nicht, darüber nachzudenken, sondern wir schlagen zu. (…) Wenn die Ereignisse aus dem Ruder laufen, werden die Berichte selbst geschrieben. Sie schreiben darin, was sie wollen, und werden von der Hierarchie gedeckt».
https://lecourrier.ch/2020/06/18/malaise-a-chevrilles/?fbclid=IwAR2PeVSQgAdH55XV4Iyd5cv7zrY4uEuYdDcFJDO-jfTW8qZiJSmVxivDK1I

 

15.06.20

 

311 negative Asylentscheide und157 Nichteintretensentscheide in nur einem Monat
Negative Asylentscheide geschehen hinter verschlossenen Türen. Sie sind kaum sichtbar, aber sie sind Ausdruck eines Systems voller Gewalt und haben immense Auswirkungen für betroffene Personen. Darum ist es wichtig, sich diese Zahlen und Entscheide immer wieder zu vergegenwärtigen. Ein negativer Asylentscheid soll nicht einfach eine Zahl in einer Statistik bleiben. Er soll als das dargestellt werden, was er ist – nämlich ein gewaltvoller Entscheid, einem Menschen ein Leben in der Schweiz zu verbieten, einen Menschen zu einem «illegalen Menschen» zu erklären, einen Menschen unter Umständen in die völlige Perspektivlosigkeit zu drängen.
Im Mai 2020 wurden in der Schweiz 311 negative Asylentscheide und157 Nichteintretensentscheide gefällt. Den schweizer Migrationsbehörden ist offensichtlich egal, dass viele dieser Menschen aus Staaten fliehen, in denen mörderische Konflikte toben undTötungen, Folter, Entführungen, sexualisierte Gewalt und massenhafte Vertreibungen an der Tagesordnung liegen. Besonders mörderische Konflikte wüten im Moment in der Demokratischen Republik Kongo, in Kamerun, Nigeria, Somalia, Sudan, Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik, Äthiopien, Burkina Faso, Mosambik, dem Tschad und vielen weiteren Orten. Menschen, die aus diesen Staaten fliehen, erhalten in der Schweiz nicht per se ein Bleiberecht. Asyl erhielt im Monat Mai dieses Jahres im Durchschnitt nur jede 7. Person aus den genannten Staaten. Die anderen erhalten eine negative Antwort, weil die SEM-Mitarbeiter*innen ihnen nicht glauben oder ihre Fluchtgründe nicht anerkennen. Vermutlich aus Angst vor einer Abschiebung oder um dem zermürbenden Leben im Abschiebecamp zu entgehen, tauchten im Mai insgesamt 178 Menschen unter und sind nun gezwungen, ein Leben in der Illegalität zu führen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79404.html

08.06.20

 

Neues neoliberales Bezahlungsmodell des berner Integrationsbusiness
Darüber, dass vorläufig aufgenommene Geflüchtete mit Ausweis F im Kanton Bern ab Juli nicht mehr aus den Asylcamps in eine eigene Wohnung ziehen dürfen, bevor sie ein Sprachzertifikat A1 und eine 60%-Stelle vorweisen, hat antira.org letzte Woche berichtet (https://antira.org/2020/06/01/6416/). Nun veröffentlichte die Zeitung «Der Bund», wie die privaten Organisationen und Firmen bezahlt werden, die sich der Kanton als sogenannte «Partner» ausgesucht hat, um geflüchtete Menschen zu verwalten. Damit diese sich kräftig am Integrationszwang beteiligen und die Menschen um jeden Preis von der Sozialhilfe in irgendeine Arbeitsstelle zwingen, bezahlt ihnen der Kanton nicht einen fixen Preis. Die ORS, Heilsarmee und Konsorten erhalten nur noch 40% von maximal 12.000 Franken als fixe Bezahlung pro Person, die ihnen zugeteilt wird. 60 Prozent ihres Einkommens macht der Kanton vom «Integrationserfolg» abhängig. 
https://www.derbund.ch/corona-krise-schmaelert-chancen-fuer-asylsuchende-752631457064

08.06.20

 

«Mitwirkungspflicht» bedeutet Handys, Tablets und Laptop von geflüchteten Menschen durchsuchen dürfen
Schon bald könnten Behörden systematisch Zugang zu Smartphones, Tablets oder Laptops erhalten, falls die Geräte einer geflüchteten Person gehören, die keinen Reisepass vorweisen können. So will es zumindest die staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-N) in ihrem Gesetzesentwurf. Die Initiative ergriff SVP-Nationalrat Gregor Rutz, der die Idee 2017 aus Deutschland und Norwegen kopierte. Dort war es schon damals üblich, Elektrogeräte von geflüchteten Personen zu durchwühlen. Die SPK-N geht nun sogar über das hinaus, was von Rutz gefordert war. Laut ihr sollen die Daten nebst der «Feststellung der Identität» auch dazu genutzt werden, den Reiseweg der Personen zu rekonstruieren. Dass wegen dieser Auslegung der sogenannten «Mitwirkungspflicht im Asylverfahren» bürgerliche Grundrechte wie Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Privatsphäre, Verhältnismässigkeit oder Datenschutz kommentarlos verloren gehen, ist aufgrund eines tief verankerten institutionellen Rassismus möglich. Schwer vorstellbar, dass irgendwann gefordert würde, die Handys von Schweizer Kapitalist*innen zu durchforsten, um beispielsweise festzustellen, ob diese genügend mitwirkten, um Massenentlassungen oder Arbeitsunfälle zu vermeiden. Die Vorlage geht auch weit über die bereits repressiven Handyauswertungsregeln im Strafrecht hinaus. Während dafür in einem Strafverfahren ein Gericht grünes Licht geben muss, reicht bei geflüchteten Migrant*innen die Meinung von SEM-Mitarbeitenden aus. Die Vernehmlassungsfrist für diesen Gesetzesentwurf ist nun abgelaufen. Als nächstes diskutiert das Parlament.
https://www.parlament.ch/de/organe/kommissionen/sachbereichskommissionen/kommissionen-spk/berichte-vernehmlassungen-spk/vernehmlassung-spk-17-423
https://www.digitale-gesellschaft.ch/uploads/2020/06/Vernehmlassungsantwort-Mitwirkungspflicht-im-Asylverfahren-%C3%9Cberpr%C3%BCfungsm%C3%B6glichkeit-bei-Mobiltelefonen-Digitale-Gesellschaft.pdf
https://freiheitsrechte.org/studie-handydatenauswertung/

08.06.20

 

Italiengrenze nur für migrantische Arbeitskräfte und Menschen mit Schweizer Pass offen
Die schweizerischen Landesgrenzen wie auch die Grenzen anderer europäischer Länder sind grösstenteils wieder geöffnet. Auch die italienische Regierung hat entschieden, die Grenzen ab dem 3. Juni wieder zu öffnen, obwohl die Pandemie von Covid-19 in diesem europäischen Land die schwerwiegendsten Folgen verursachte. Die schweizerische Regierung jedoch zögert und öffnet die Grenze nach Italien nur für gewisse Menschen und gewisse Zwecke. Das Staatssekretariat für Migration schreibt, dass zur «Einreise in die Schweiz im Wesentlichen nur berechtigt ist, wer das Schweizer Bürgerrecht besitzt, über eine ausländerrechtliche Bewilligung verfügt oder zugelassen wird, weil die Einreise aufgrund der persönlichen Umstände dringend geboten ist». Die Grenzkontrollen bestehen weiterhin und gar in «intensiviertem» Masse wie das SEM in der Medienmitteilung ebenfalls schreibt. Die Situation von geflüchteten Menschen wird in der Diskussion der Grenzöffnung mit keinem Wort erwähnt. Für sie gilt weiterhin ein Einreiseverbot in die Schweiz. An der Landesgrenze wird den Schutzsuchenden  mit dem Hinweisdie Einreise verweigert, sie sollten doch ihre Asylanträge in den Nachbarländern stellen. Diese Auslegung der Dublin-Verordnung – die an sich problematisch ist – wird von verschiedensten NGOs als völkerrechtswidriges Vorgehen verurteilt (siehe humanrights.ch), gilt aber trotz Grenzlockerungen auch nach dem 8. Juni weiterhin.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79314.html
https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/inneres/asyl/politik/asylwesen-coronavirus-menschenrechte

01.06.20
Geflüchtete werden im Asylcamp Traiskirchen eingesperrt
Zum zweiten mal werden die über 400 Menschen aus dem Asyllager Traiskirchen (Österreich) unter Quarantäne gesetzt. Sie dürfen das Lager nicht verlassen und die Zimmer nur zum Essen holen. Ansonsten drohen mehrere tausend Franken Busse (mehr Infos zur ersten Quarantäne in Traiskirchen gibt es hier: https://antira.org/2020/05/04/antira-wochenschau-rassistische-grenzoeffnung-fuer-wenige-statt-fuer-alle-staatliche-pushbacks-mit-privaten-fischerbooten-auf-streife-mit-nazis/) Während überall weitgehende Lockerungen der Corona-Massnahmen stattfinden, sind es die Menschen in den Asyllagern, denen immer noch ein hartes Corona-Regime auferlegt wird. Auch im Lager auf Moria gelten Ausgangssperre und faktische Inhaftierung, während sich die Menschen ausseralb der Lager wieder unter „Normalbedingungen“ bewegen können (vgl. antira-Wochenschau von 18. Mai 2020: https://antira.org/2020/05/18/antira-wochenschau-securitas-gewalt-im-bundesasyllager-juedinnen-liste-wegen-polizei-migrantinnen-streik-gegen-spargelhof-ritter/). Dass es genau in den Asyllagern noch solche repressiven Massnahmen gibt, erstaunt nicht. Einerseits gab es keinerlei Bemühungen, die Menschen in den Asylcamps tatsächlich vor einer Ansteckung zu schützen, weshalb es jetzt immer noch relativ viele Fälle von Neuansteckungen gibt. Zweitens lassen sich aufgrund von rassistischen Strukturen und der Kriminalisierung von Geflüchteten oft sehr weitreichende und einschränkenden Massnahmen gegenüber diesen durchsetzen, ohne diese rechtfertigen oder erkären zu müssen.
https://www.derstandard.at/story/2000117670849/zweiter-corona-lockdown-im-asylzentrum-traiskirchen
 
01.06.20
Kanton Bern kürzt Gelder für vorläufig aufgenommene Personen
Es wird weniger gekürzt als geplant, dennoch sind es fast 30 Prozent. Aufgenommene geflüchtete Menschen, die im Kanton Bern nach sieben Jahren Aufenthalt keine Arbeit gefunden haben, sollen ab Juli 2020 statt 977 Fr. nur noch 696 Franken pro Monat erhalten. Eigentlich wurden noch massivere Kürzungen vorgesehen. Im Februar 2020 hat der Regierungsrat des Kantons Bern entschieden, dass die Sozialhilfe in vielen Bereichen massiv gekürzt werden solle, unter anderem sollen vorläufig aufgenommene Geflüchtete statt den bisherigen rund 1000 Franken nur noch 382 Franken erhalten. Dies soll abgeschwächt werden: So forderte eine Motion von SP-Vertreter*innen, dass sich die Sozialhilfe zumindest an den Grundleistungen orientieren müsse. Denn, so auch der bisherige Leiter des Sozialamtes Bern, mit so wenig Geld zu Leben sei schlicht nicht möglich. Nun sind 696 Franken entschieden worden. Der Kanton Bern rühmt sich, sich mit diesem Betrag den anderen Kantonen anzugleichen – so bspw. dem Kanton Zürich. Dieser zahlt seit zwei Jahren vorläufig aufgenommenen Personen nur noch Asylsozialhilfe aus. Map-F, eine Anlaufstelle für vorläufig aufgenommenen Personen, hat in einem Monitoring festgestellt, dass mit diesem Betrag eine Integration – was immer das heisst – nicht möglich sei. Fazit: Damit ist im Kanton Bern für die betroffenen Personen auch mit diesem Betrag von 700 Franken kein soziales Leben und keine Teilnahme am öffentlichen Geschehen möglich.
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-e06b036a32e64d699fe43aff6b22cca8.html

https://www.watson.ch/schweiz/asylgesetz/244218821-asylfuersorge-vorlaeufig-aufgenommene-haben-nachteil-bei-integration

https://www.derbund.ch/nach-kritik-mildert-regierungsrat-kuerzungen-fuer-fluechtlinge-258018
 
01.06.20
Kritische Bedingungen für Gefangene in solothurner Ausschaffungshaft
Die Anti-Folter-Komission kritisierte, dass Menschen in regulären solothurner Strafanstalten auf ihre Ausschaffung warten müssen. Sie forderte separate Einrichtungen für Menschen in Ausschaffungshaft. Doch in den fünf Jahren, welche seit der Kritik und Forderung vergingen, hat sich nichts verändert. Auf Kritik hin heisst es beim Kanton: «Der im Untersuchungsgefängnis Solothurn für die Administrativhaft vorgesehene Trakt ist bundesrechtskonform». Entgegen dazu heisst es in einem neuen Urteil des Bundesgerichts: «Die Inhaftierung einer ausländischen Person im Hinblick auf eine Ausschaffung müsse grundsätzlich in einer speziell dafür vorgesehen Hafteinrichtung erfolgen, deren Haftbedingungen unterstreichen, dass die Festhaltung nicht in Zusammenhang mit einem Strafvollzug oder Untersuchungshaft steht.» Ausländische Straftäter*innen, die auf ihre Rückweisung warten, werden nicht freigelassen, auch wenn sie ihre Strafe abgesessen haben. Ein weiteres Beispiel von rassistischer Doppelbestrafung. Aufgrund der Reisebeschränkungen bedingt durch Corona kommt es bei Ausschaffungen zu Verzögerungen. Bei Dublin-Fällen haben sich wohl Verbesserungen abgezeichnet: da die Ausschaffungen in diese Länder derzeit ausgesetzt sind, gibt es keinen Grund für die Infaftierung betroffener Menschen. Es wurden Menschen aus der Haft entlassen.
https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/was-hat-sich-geaendert-kritik-an-ausschaffungshaft-im-kanton-solothurn-bleibt
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/corona-fuehrt-zu-verzoegerter-ausschaffung-krimineller-aus-dem-kanton-137942472
 
01.06.20

 

Arbeitslosengeld für Sans-Papiers?
Nachdem letzten Monat die Bilder der kilometerlangen Warteschlange für ein kostenloses Lebensmittelpaket in Genf für mediatischen Aufruhr sorgten, hat die Genfer Regierung entschieden, die Menschen, die während der Lockdown Periode ihre Arbeit verloren haben und weder Arbeitslosengeld noch Sozialhilfe beziehen können, finanziell zu entschädigen. Die Entschädigung soll ein einziges Mal ausbezahlt werden, soll 80 Prozent der letzten Einkünfte abdecken und für die Dauer von zwei Monaten gelten, eine Art quasi-Arbeitslosengeld für präkere Arbeitende, darunter Sans-Papiers, die sich seit einem Jahr in Genf aufhalten und zumindest in den drei Monaten vor Ausbruch der Corona-Krise eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben. Für Sans-Papiers wird es aber schwierig, von diesem 15 Millionen-Notmassnahmenfonds zu profitieren:  Um an die Entschädigung zu gelangen, müssen die in informellen Arbeitsverhältnissen unüblichen Arbeits- und Lohnnachweise vorgelegt und im Falle der Sans-Papiers das rechtswidrige Arbeitsverältnis verraten werden. Ausserdem müssen sich Sans-Papiers selber melden und ihren illegalen Aufenthalt in der Schweiz für die Behörden sichtbar machen.
https://www.derbund.ch/arbeitslosengeld-fuer-sans-papiers-181953015367

01.06.20
F-Ausweis: Nur wer ein Sprachniveau A1 und eine 60%-Stelle vorweist, darf vom Camp wegziehen
Mehrmals hat antira.org über die Härte und Kälte gegenüber abgewiesenen Geflüchteten und die auf Juli geplanten Ausschaffungscamps im Kanton Bern berichtet. Nun präsentiert die Berner Regierung, was sie ab Juli mit den geflüchteten Migrant*innen mit Asyl (Ausweis B) oder mit vorläufiger Aufnahme (Ausweis F) vorhat. Der zuständige weisse freikirchliche SVP-Regierungsrat Schnegg stampft ein Regime aus dem Boden, das Menschen im Namen der „Integration“ möglichst rasch zurichten und in den Arbeitsmarkt pressen will.. In der neuen „Verordnung über die Sozialhilfe im Asyl-und Flüchtlingsbereich“ geht es nur darum, zu fordern – mit Druck, Zwang, Abschreckung und Sanktionen. Hier einige leider nicht abschliessende Punkte:
– Freiheitsberaub
ung in Camps als Druckmittel: Viele wollen die Asylcamps verlassen, um in eine Wohnung zu ziehen. Ab dem 1. Juli werden die freiheitsberaubenden Camps zu einem Druckmittel der Integrationspolitik: «Der Wechsel von der Kollektivunterkunft in eine individuelle Unterkunft erfolgt bei Erreichen der Integrationsziele. Grundsätzlich müssen die Anforderungen an die sprachliche Integration Sprachniveau A1 sowie an die berufliche Integration erfüllt werden». Das gilt für Menschen mit F-Ausweis. Sie  bleiben also so lange im Asylcamp isoliert, bis sie ein Sprachzertifikat und über mindestens sechs Monate einen 60%-Job vorweisen können. „Anerkannte Flüchtlinge und anerkannte Staatenlose“ haben zwar freie Wohnsitzwahl, doch Unterstützung erhalten sie nur, wenn sie denselben Zielen entsprechen. Die Jobs dürfen übrigens «nicht im Rahmen einer subventionierten Anstellung (z.B. als Teillohn-Anstellung) erfolgen. Praktika gehören ebenso wenig dazu. Das gleiche gilt für die Aufnahme einer Ausbildung», heisst es in den Ausführungen zur Verordnung.
– Zwang und Sanktionen wegen des
«Integrationsplans»: Der Integrationsplan ist eine Art Vertrag, den die geflüchteten Migrant*innen unterschreiben müssen. Darin verpflichten sie sich, die Zwischenziele zu erreichen und Integrationsangebote zu besuchen. Unter Integrationsangebote laufen auch Programme, die mit harter Arbeit einhergehen, die sonst vom 1. Arbeitsmarkt übernommen würde. Die Bezahlung übersteigt jedoch nie 400 Franken pro Monat. Zweimal pro Jahr wird überprüft, ob die Person auf Kurs ist. Sonst gilt: «Die Personen sind zur Einhaltung des Integrationsplans verpflichtet. Eine selbstverschuldete Nichteinhaltung hat für vorläufig Aufgenommene eine Kürzung oder Einstellung der wirtschaftlichen Hilfe zur Folge», schreiben die Behörden. Bis zu 400 Franken können gestrichen werden.
– Privatisierung und Auslagerung
: Über die Integrationszwischenziele, die aufgezwungenen Integrationsprogramme, aber auch über Unterbringung entscheiden keine staatlichen Behörden, sondern die Mitarbeitenden von sogenannten «Regionalen Partnern». Dazu zählen auch die gewinnstrebende ORS AG oder die religiöse Heilsarmee. An sie hat der Kanton die Verwaltung der Geflüchteten ausgelagert. Auch die Macht, die extremen Sanktions- und Druckmittel einzusetzen, wurde an sie übertragen. Die „Partner“ werden diese einsetzen, denn ihre Bezahlung bzw. Profit beruht auf einer «erfolgsorientierten Abgeltung», die sich von der Zielerreichung des Integrationsplans ableitet.
– Sackgassen
wegen hierarchisch-entrechtenden Menschenkategorien: Um den «Integrationsplan» aufzustellen, führen die «Partner» vorgängig eine folgenschwere «Potenzialanalyse» durch. Diese ordnet die betroffenen Menschen in 12 Kategorien ein und kanalisiert sie in ungleiche Bahnen mit ungleichen Möglichkeiten und Zwängen in Bezug auf Integrationsprogramme, (Aus-)Bildungen und Lohnarbeitsstellen. Grundsätzlich soll z.B. nur wer unter 25 ist, Zugang zu einer Lehre oder einer Ausbildung erhalten. Die Älteren sollen «die Planschritte systematisch in Richtung Arbeit gehen». Oder wer bei der Potenzialanalyse schlecht abschneidet oder Betreuungsaufgaben für Kinder hat, verliert gewisse Zugänge.
Entscheidend ist nicht die Perspektive der Bedürfnisse, der Träume oder Wünsche, sondern die Perspektive des Systems, das die Sozialhilfekosten senken und den Arbeitsmarkt mit sprachfitten und passgenau ausbeutbaren Arbeitskräften versorgen wird. Die Berner Regierung vollzieht in diesen Monaten einen gewaltigen qualitativen Sprung innerhalb seines institutionellen Rassismus.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.html/portal/de/meldungen/mm/2020/05/20200520_1111_rechtliche_grundlagenzurumsetzungverabschiedet
https://www.rr.be.ch/etc/designs/gr/media.cdwsbinary.RRDOKUMENTE.acq/636ebf40faa34fca877e9bca112b53fd-332/4/PDF/2018.GEF.996-Vortrag-D-206706.pdf
https://www.derbund.ch/nach-kritik-mildert-regierungsrat-kuerzungen-fuer-fluechtlinge-258018763836
 
 
25.05.20

 

Parlamentarische Feinschliffe am präventiveren und repressiveren Strafrecht
Nicht verurteilte Menschen, die die Behörden aber als „Gefährder*innen“ lesen, sollen «präventiv» eingesperrt werden. Auch dann, wenn «die Hinweise zur Eröffnung eines Strafverfahrens nicht ausreichen». Das sagt die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates (SiK-N) und schickt mit diesem Hinweis zwei Gesetzesvorlagen zur «verstärkten Terrorismusbekämpfung» zur Annahme in den Nationalrat. Im März wurde das vom Bundesrat – unterer SP-Sommaruga-Leitung – ausgearbeitete Entrechtungspaket im Ständerat abgesegnet. Nun wird der Nationalrat das Geschäft in der Sommersession behandeln. Das verschärfte Strafrecht und das Gesetz über polizeilich-präventive Massnahmen schaffen die Grundlage für eine qualitativ neue Dimension staatlicher Repression.
Die Diskussion zur Verschärfung des Strafrechts zielt rhetorisch stark auf djihadistischen Terrorismus ab. Die Artikel schliessen jedoch alle sogenannte «gewaltextremen» Organisationen mit ein. Gemäss dem Nachrichtendienst des Bundes (NBD) sind das Organisationen, «welche die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen ablehnen und zum Erreichen ihrer Ziele Gewalttaten verüben, fördern oder befürworten». Wem nun die Behörden Handlungen nachweisen – auch nicht strafbare – die solche Organisationen unterstützen, drohen neu bis zu 10 Jahre Haft. Ebenfalls härter bestraft wird das konkrete Anwerben, die Ausbildung, das Reisen, sowie Finanzierungshandlungen für solche Organisationen. Und zudem wird auch akzeptiert, dass kantonale Strafverfolgungsbehörden und Bundesbehörden mit nichtschweizerischen Ermittlungsbehörden Gruppen bilden, um zu ermitteln und gewaltextreme oder terroristische Straftaten irgendwo auf der Welt zu verfolgen.
Nebst der Strafrechtverschärfung geht es um das neue Gesetz über „polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus“. Dieses fordert, dass Behörden auch hart gegen jene vorgehen, die sie als «Gefährder» einstufen. Gemäss einem fedpol-Bericht reichen dazu Anhaltspunkte aus wie «die Kontaktpflege zu Personen, die zu terroristischer Gewalt aufrufen; das Erstellen von Social-Media-Profilen und das Weiterverbreiten (durch das «Befürworten» (z.B. auf Facebook liken) oder das «Verlinken») terroristischer Inhalte und Äusserungen; erste Abklärungen oder anderweitige Vorkehrungen, die auf eine Reise in Konfliktgebiete (z.B. das Austesten von Sicherheitsvorkehrungen an einem Flughafen) oder den Anschluss an ein terroristisches Netzwerk schliessen lassen.» Der Bundesrat und der Ständerat haben gutgeheissen, dass sich solche «Gefährder*innen» regelmässig bei den Behörden melden müssen, dass ihnen die Ausreise verweigert, sowie ein Hausarrest oder ein Rayonverbot verhängt werden kann. Der SiK-N ist das zu lasch. Sie schlägt dem Nationalrat vor, „Gefährder*innen“ in eine „gesicherte Unterbringung von Gefährdern (GUG)“ präventiv wegzusperren. Diese Massnahmen gelten ab dem zwölften Lebensjahr oder nachdem eine Strafe abgesessen wurde, die Person aber immer noch als Gefährder*in eingestuft wird.
Das Thema ist antirassistisch bedeutsam. Erstens schürt die Debatte den antimuslimischen Rassismus. Denn sie überfokussiert auf den Djihad, lässt den rechten Gewaltextremismus untererwähnt und äussert sich nicht transparent zur beabsichtigten Kriminalisierung gewisser linken und antirassistischen Widerstandskämpfe. Zweitens gilt für Migrant*innen einmal mehr die Doppelbestrafung, denn werden sie verurteilt oder als Gefährder*innen eingestuft, droht nebst der Repression, die Schweizer*innen erfahren würden, auch die Abschiebung. Drittens rahmt es den Widerstand neu, denn durch die (drohende) Repression steigt der Preis, um sich nicht spalten lassen bzw. der Druck sich von Organisationen zu distanzieren, «welche die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen ablehnen und zum Erreichen ihrer Ziele Gewalttaten verüben, fördern oder befürworten».
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-sik-n-2020-05-19.aspx?lang=1031
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20190032
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20180071
https://www.ejpd.admin.ch/dam/data/fedpol/terrorismus/terrorismus/berichte/erlaeuternder-bericht-d.pdf

 

18.05.20

 

Securitas-Gewalt im Bundesasyllager

Menschen aus dem Bundesasyllager Bässlergut ergreifen das Wort und decken systematische und gewalttätige Übergriffe auf sie, durch Mitarbeitende der Securitas AG, auf. Diese Woche erschienen dazu eine ausführliche Broschüre, sowie ein WOZ-Artikel und eine Rundschau-Reportage. Die Aussagen der Betroffenen, sowie die Protokolle der Sicherheitsleute aus den letzten vier Jahren machen einen Teil der unfassbaren Gewalt sichtbar, die sich täglich hinter den Mauern der Asyllager und im schweizer Asylregime abspielt. Im Zentrum der Erzählungen steht oft ein Ort, der im Behördenjargon «Besinnungsraum» heisst: ein kleines, fensterloses Zimmer, ausgestattet mit einer Matratze und verriegelt durch eine schwere Metalltür. Räume wie diese stehen in den meisten Bundesasyllagern zur Verfügung. Dort werden Asylsuchende, die sich angeblich nicht an die Hausregeln halten, bis zum Eintreffen der Polizei eingesperrt. In vielen Fällen dient der Ort aber schlicht als Prügelkammer für die im Bundesasyllager angestellten Securitas. Aufenthalte im «Besinnungsraum» enden mit Verletzungen wie blauen Knöcheln bis hin zu mehrtägigen Spitalaufenthalten. Ein Bewohner erzählt: «Ich war krank und habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Am Morgen kamen die Securitas, es war sehr kalt, doch sie öffneten das Fenster, nahmen mir die Decke weg. Sie nahmen mich mit Gewalt mit und brachten mich in den Raum. Dort schlugen sie mich in den Bauch, bis ich nicht mehr atmen konnte. Ich kam für zwei Tage ins Spital.»
Eine andere Person erzählt: «Der Securitas wollte, dass ich die Identitätskarte zum Essen mitnehme. Wenn ich keine habe, müsse ich auf die neue warten. Ich habe mir dann einfach etwas genommen. Der Securitas nahm mir das Essen weg, steckte mich in den Raum und schlug mich. Bis abends um elf Uhr gab es nichts zu essen.» Das sind keine Einzelfälle. Geschichten wie diese gibt es unzählige und sie spielen sich meist ähnlich ab.
Selbst nach der Dokumentation dieser unfassbaren Gewalt, die das Staatssekretariat für Migration (SEM) als Auftraggeber dieser Organisation mitzuverantworten hat, sieht dieses kein systematisches Problem. Zu den Vorwürfen der Asylsuchenden, dass sie regelmässig Opfer gewalttätiger Übergriffe werden, schreibt das SEM: «Wir haben keine Hinweise darauf, dass die Sicherheitsdienstleister in Basel oder in anderen Bundesasylzentren unverhältnismässigen Zwang anwenden. Das SEM würde dies nicht dulden und entsprechend sanktionieren.»
Laut Aussagen von Securitas gibt es fast täglich körperliche Auseinandersetzungen zwischen Bewohnenden und Securitas. Und wie gesehen, enden diese meist in brutaler Gewalt gegenüber den Bewohnenden. Dass das SEM nichts davon weiss, ist schlicht nicht möglich. Als es nach den ausführlichen Berichten selbst für das SEM schwierig wurde, die Gewalt zu negieren oder zu verharmlosen, spielte ihr Pressesprecher die beliebte «Einzelfallkarte» und meinte nur, Fehler könnten schliesslich jeder Person mal passieren. Schwere körperliche Gewalt gegen Menschen anzuwenden, die in eine Zelle eingesperrt sind, ist aber kein Fehler, der halt mal passieren kann. Das ist systematische staatliche Gewaltanwendung, die keinen Platz haben darf. Die Reaktion auf die Vorfälle kann deshalb auch nicht darin bestehen, einzelne Securitas zur Verantwortung zu ziehen. Denn die Gewaltanwendung ist ein essentielles Mittel, damit das Lager- und Asylregime überhaupt so effizient funktionieren kann, wie es dies tut. Wir kritisieren deshalb grundsätzlich die Lagerstruktur und die Verwaltung von Menschen durch das Asylregime, die eine solche Gewalt möglich macht.
https://www.woz.ch/2020/asylpolitik/tatort-besinnungsraum
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/gewalt-im-asylheim-schwedens-sonderweg-verkupplungsboom?id=539cd587-8b5e-46b0-bb3f-62f669d4d371
https://3rgg.ch/securitas-gewalt-im-lager-basel/

18.05.20

Selbsttötung in einem Berner Asylcamp

 

„Wir trauern um P. S.“, schreibt das Migrant Solidarity Network und veröffentlicht folgende Informationen: „Am 3. Mai nahm sich ein junger Mensch in einem Asylcamp im Kanton Bern das Leben. Zuvor hatte er von den schweizer Behörden erfahren, dass sie kein Bleiberecht erteilen und ihn bei Gelegenheit gewaltvoll in die Ukraine abschieben wollen. Gemäss unseren Informationen hat P.S. seinen Geburtstag als Todestag gewählt. Der Tod von P. S. macht uns betroffen. Die Umstände, die es leichter machen, den Tod dem Leben vorzuziehen, machen uns wütend.
Wer seine Heimat verlassen muss, kennt die Verzweiflung. Wer – nach einer oft lebensgefährlichen Reise – im Asylcamp leben muss, kennt die Verzweiflung. Wer von Behörden die Drohung erhält, gegen den eigenen Willen gewaltvoll abgeschoben zu werden, kennt die Verzweiflung. Diese Verzweiflung kann auch tödlich enden. Wir alle wissen das und wir alle wissen, dass Selbsttötung unter diesen Umständen auch mit diesen Umständen zu tun hat. Kein Vergessen!“
https://migrant-solidarity-network.ch/2020/05/15/selbsttoetung-im-camp-wir-trauern-um-p-s/

27.04.20

SEM-Fassade besprayt
„Das Migrationsregime tötet, das SEM mordet mit!“ Diesen Satz sprayten Antirassist*innen in der Nacht auf Dienstag an die Fassade des Staatssekretariats für Migration (SEM). Die Aktion richtet sich gegen die rassistischen Praxen, die sich hinter der makellosen Fassade des Gebäudes vollziehen. Dort fällen Behörden täglich gewaltvolle Entscheide und beteiligen sich aktiv an der Gewalt, die sich an Grenzen und in Asyllagern abspielt.
https://barrikade.info/article/3411

27.04.20
„Humanitäre Hilfe“ der offiziellen Schweiz auf den griechischen Inseln ist ein Witz
Da die Zustände auf den griechischen Inseln selbst für Bürgerliche kaum mehr mitanzuschauen sind, gab es in den vergangenen Wochem relativ viele ans Parlament und die an Regierung gerichtete Forderungen zur Evakuierung der Lager und zur Aufnahme von Geflüchteten. Wie so oft in parlamentarischen Prozessen, die eher einem Theater mit vorgegebenen Rollen und Abläufen gleichen, fühlt sich der Bundesrat irgendwann bewegt, zu handeln. Um nicht unmenschlich oder antidemokratisch dazustehen, schlägt er dann irgendwelche Alibi-Massnahmen vor. Natürlich werden von staatlicher Seite nicht alle gehört und nicht alle Stimmen werden als relevant eingestuft. Was zählt, sind die Stimmen der Dominanzgesellschaft und ihrer Akteur*innen. Was zählt, sind Forderungen, die in den vorgegebenen Strukturen umsetzbar sind, die den Courrant normal niemals herausfordern, kritisieren oder angreifen. So auch vergangene Woche, als der Bundesrat doch auf einmal das Gefühl hatte, er sollte vielleicht etwas unternehmen gegen die Zustände auf den griechischen Inseln. Und so sieht es dann in der Realität aus, wenn sich ein Staat in solidarischem Handeln versucht:
– Finanzielle Unterstützung: Der Bundesrat genehmigt sagenhafte 1,1 Millionen Franken, um den Schutz von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in den Unterbringungsstrukturen zu verstärken. Von Staaten gesprochene Summen klingen meist nach viel Geld, doch im Vergleich zu den Beträgen die sich in schweizer Staatskassen befinden und im Vergleich zur Anzahl Menschen, die damit unterstützt werden sollten, ist das ein Klacks.
– Unterstützung beim Aufbau leistungsfähiger Asylstrukturen: Konkret soll die Umsetzung der neuen Asylverfahren unterstüzt werden. Dies als Hilfe für Geflüchtete darzustellen, ist ein Witz. Seit letzten Sommer in Griechenland die rassistische Partei Nea Dimokratia an die Macht kam, wurde die Situation für Geflüchtete noch prekärer und die Umsetzung des neuen Asylverfahrens bedeutet eine massive Verschärfung des Asylregimes.
– Bereitstellung von Personal für Frontex-Einsätze: Ebenfalls äusserst zynisch. Was Frontex mit Hilfe zu tun haben soll, soll uns mal erklärt werden. In den letzten paar Monaten machte Frontex vor allem dadurch von sich reden, dass sie illegale Push-Backs durchführten und auf Geflüchtete schossen.
– 22 unbegleitete Minderjährige mit familiärem Bezug zur Schweiz werden von den griechischen Inseln aufgenommen. Damit tut die offizielle Schweiz nicht weniger und nicht mehr als das, wozu sie durch internationale Abkommen verpflichtet ist. Denn laut Dublin-Verordnung müssen Minderjährige mit familiären Bezug zur Schweiz aufgenommen werden. Angesichts dieser Massnahmen ist es umso wichtiger, die Reaktion auf eine humanitäre Katastrophe wie auf den griechischen Inseln nicht der offiziellen Schweiz zu überlassen. Sich nicht zurückzulehnen und zu denken, dass der Staat ja angesichts der dringlichen Situation schon etwas unternehmen wird. Es ist umso dringlicher, selbstorganisierte solidarische Strukturen weiter auszubauen und zu unterstützen, die die Systematik hinter solchen Zuständen erkennen und bekämpfen. Solidaritätsstrukturen zu schaffen, die direkte Unterstützung leisten und tatsächlich das Ziel verfolgen, die Zustände für alle zu verbessern. Eine Zusammenstellung von solchen Strukturen, die unterstützt werden können, findet sich hier, hier und hier.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78847.html
https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/bundeshilfe-fuer-fluechtlinge-in-griechenland-amnesty-international-fordert-weitere-massnahmen-ld.1214207

13.04.20
Widerstand angesichts der Normalisierung der Willkür oder: Wenn plötzlich zu viele Menschen von einem Recht Gebrauch machen könnten, schaffen wir es besser schnell wieder ab
Im Moment zeigt sich oft die Situation, dass linke Strukturen für gewisse Minimalstandards kämpfen, die ursprünglich von nationalstaatlich denkenden Akteur*innen geschaffen wurden. Gerade im Migrationsregime zeigt sich dies relativ deutlich. Zivilgesellschaftliche Strukturen, die dann als «linksradikal» kriminalisiert werden, müssen dafür kämpfen, dass z.B. Menschen überhaupt noch Zugang zu Asylverfahren erhalten, dass die Rechtsweggarantie gegeben ist, dass keine illegalen Push-backs von Geflüchteten stattfinden – weil nationalstaatliche Akteur*innen von ihren eigenen Regeln abweichen. Die Grenze des Mach- und Sagbaren verschiebt sich dauernd nach rechts. Plötzlich sind ehemals bürgerlich nationalistische Positionen linke Positionen. Doch wo kommen wir hin, wenn selbst linke Zusammenhänge für «faire» Asylverfahren kämpfen? Wer führt dann die Kämpfe, die sich grundsätzlich gegen das Asylregime richten, weil sie die Bewegungsfreiheit für alle fordern, ohne Eintrittsprüfungen und -bedingungen?
Jedenfalls werden in den nächsten Wochen einmal mehr linke Strukturen für eine sich selbst auferlegte Regel der Dublin-Staaten kämpfen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Deutschland (BAMF) hat nämlich diese Woche entschieden, die Überstellungsfrist in den Dublin-Verfahren auszusetzen. Die Überstellungsfrist ist eine der Grundprinzipien der Dublin-III-Verordnung und sagt, dass eine Person im aktuellen Dublin-Mitgliedsstaat bleiben kann und Zugang zu einem Asylverfahren erhält, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten in denjenigen Dublin-Staat ausgeschafft wird, in dem die Person ihre Fingerabdrücke abgeben musste bzw. erstmals registriert wurde. Die Regel wurde dafür geschaffen, dass Betroffene nach einer bestimmten Zeit endlich eine minimale Rechtssicherheit erhalten und nicht während des gesamten Asylverfahrens damit rechnen müssen, ausgeschafft zu werden.
Seit Corona könnten plötzlich relativ viele Menschen von dieser Regel «profitieren», weil im Moment keine Dublin-Ausschaffungen stattfinden. Somit überschreitet bei vielen Menschen ihre Zeit in Deutschland die 6-Monate-Frist. Dadurch sollten sie laut Dublin-Verordnung in Deutschland bleiben dürfen. Doch hier zeigt sich das Verlogene an europäischer Rechtsstaatlichkeit. Das Rechtssystem ist nicht neutral, es ist nicht «fair» und es ist vor allem nicht unveränderbar, wie es von sich selbst behauptet. Verändern können es die Mächtigen, wenn es ihnen nicht mehr passt und das tun sie jetzt, weil die Menschen, die sie unterdrücken wollen, von ihren Alibi-Regeln profitieren könnten. Darum haben sie die Überstellungsfrist kurzum ausgesetzt. Geflüchtete im Dublin-Verfahren können sich jetzt also nach sechs Monaten nicht mehr sicher sein, dass sie nicht ausgeschafft werden, sondern müssen ständig damit rechnen. Und das möglicherweise über eine längere Zeit, denn wer weiss schon, wie lange sich die Corona-Situation noch hinzieht. Nebst der Aussetzung der Überstellungsfrist wird auch gleich die bereits in Deutschland verbrachte Zeit gelöscht. Wenn also eine Person vor Corona bereits 5 Monate in Deutschland durchgehalten hat, wird ihr Zeitzähler nach der Aussetzung der Überstellungsfrist wieder auf null gesetzt.
Weil Nationalstaaten in Konkurrenz zueinander stehen, wollen sie auf keinen Fall bessere Bedingungen für gesellschaftlich diskriminierte Gruppen schaffen als ihre Nachbar*innen. Darum rechnen wir damit, dass die schweizer Regierung und weitere Dublin-Staaten in den nächsten Wochen nachziehen werden.
https://www.proasyl.de/news/aussetzung-der-dublin-fristen-erst-chaos-dann-klagewelle/

13.04.20
Update: Ausschaffungen und Asylcamps in Corona-Zeiten
Ausschaffungen: Die offizielle Schweiz schafft auch zu Coronazeiten aus – wann immer möglich und mit Zwang. Seit dem 25. März verzichten die Behörden zwar auf Dublinabschiebungen, doch Abschiebungen in nichteuropäische Staaten gehen weiter. Eine rassistische Hierachie. Wieviele Personen es seit dem Lockdown waren, will oder kann das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) nicht sagen. Hier ihre Antworten auf unsere Fragen (https://antira.org/2020/04/08/nachgefragt-was-sagt-das-ejpd-zu-zwangsausschaffungen-in-coronazeiten/.) Obwohl sozusagen keine Flugzeuge mehr fliegen, es fast keine juristische Unterstützung in Verfahren mehr gibt und Menschen aus Europa aufgrund von Corona eine Gefahr für andere Weltregionen darstellen, sprechen die Behörden immer noch Wegweisungen aus und führen Ausschaffungen durch. Dafür nehmen sie wohl relativ viel Aufwand in Kauf, wie Vorfälle aus Deutschland zeigen, wo trotz Corona ebenfalls noch abgeschoben wird. Z.B. wollte das Bundesinnenministerium letzte Woche zwei Iraner*innen in einem eigens für sie gecharterten Flugzeug ausschaffen. Dank Protesten konnte die Abschiebung verhindert werden. Dieser Erfolg ist nun auch der Person zu wünschen, die demnächst in einem ebenfalls eigens für sie gecharterten Flugzeug in den Togo abgeschoben werden soll. Dafür soll das Einreiseverbot für Flüge aus Europa, welches im Togo seit dem 20. März gilt, für einen Tag aufgehoben werden.
Asylcamps: Nach wie vor gibt es in Asylcamps faktisch keine Möglichkeit, sich vor einer Corona-Ansteckung zu schützen. Die Prekarität der Situation zeigt sich sehr deutlich in diesem Gespräch (https://revoltmag.org/articles/unsere-lebensbedingungen-m%C3%BCssen-sich-grundlegend-%C3%A4ndern/?fbclid=IwAR2DTSLiOOUQKkJV7BUP9Y0sz8PV3qcMq0vy-QbKIlL9jCAgC2UC5oSvvBY), das die migrantische Selbstorganisation ROTA mit Mamado* aus Kurdistan geführt hat. Er lebt seit über einem Jahr im Rückkehrlager in Adliswil. ROTA hat solche Interviews insgesamt in 20 Lagern in Zürich, Basel, Bern, St. Gallen, Graubünden und Aargau durchgeführt. Basierend auf diesen Interviews haben sie eine Bedarfsliste mit dringend notwendigen Utensilien zusammengestellt und veröffentlicht. Wer die Notfallversorgung unterstützen möchte, kann sich über die unten angegebenen Kontaktdaten bei ROTA melden. (Bild einfügen: https://barrikade.info/article/3370). In gewissen Gemeinden werden jetzt langsam Quarantänelager für Corona-infizierte Menschen eröffnet, so z.B. in Frick. Über mehrere Wochen unter Quarantäne gestellt zu werden, ist auch ausserhalb von Lagern oder Knästen sehr belastend. In Asyllagern spitzt sich die Situation zusätzlich zu: Ausser WLAN gibt es nichts, womit du dir den Tag um die Ohren schlagen könntest. Gelände verlassen ist verboten und abgesehen von einem kurzen Spaziergang wirst du in deinem Zimmer isoliert. Dort bist du alleine ohne irgendwelchen Kontakt zu anderen Menschen. Ansprechpersonen für die Menschen im Quarantänelager sind zwei Securitas. Sie haben auch die Aufgabe, „auf die psychische Verfassung der Bewohner zu achten, sie bei der Stange zu halten und dem Lagerkoller entgegenzuwirken.» In keinem anderen Kontext würde es irgendwem in den Sinn kommen, Securitas als Ansprechpersonen in Quarantänesituationen einzustellen, geschweige denn, sie mit psychologischen Unterstützungsaufgaben zu betrauen. Das rassistische Muster der Kriminalisierung von Geflüchteten sitzt so tief.
https://www.migazin.de/2020/04/06/abschiebung-afrika-corona-deutschland-schickt-abgelehnte-asylbewerber-statt-corona-hilfe/

https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/eritreer-muss-trotz-pandemie-gehen-ld.1210925
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/fricktal/corona-isolierstation-fuer-asylsuchende-am-ehemaligen-werkhof-nimmt-betrieb-auf-137611566

https://www.woz.ch/2015/asylpolitik/ausgeliefert-im-bunker
https://solidarischgegencorona.wordpress.com/2020/04/06/situation-in-gefluchtetenlagern-in-der-schweiz/

06.04.20
QGOs und NGOs kritiseren Rassismus in der Schweiz und fordern Massnahmen
In der „NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz“ organisieren sich 82 Quasi- und Nichtregierungsorganistionen (QGO/NGO), die sich in der Schweiz für Menschenrechte einsetzen. Gemeinsam haben sie dem „UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ (CERD) einen Bericht geschickt. Sie sind sich einig: Es brauche seitens des Staates dringend mehr antirassistische Anstrengungen. Deshalb schlagen sie der UNO Massnahmen vor, damit diese besser weiss, wie die offizielle Schweiz antirassistisch zu stressen wäre. Der Bericht zeigt, dass die NGOs Rassismus nicht als dummes Vorurteil, sondern auch als perfide Struktur verstehen. Doch da sie organisatorisch, strategisch oder teilweise auch finanziell von strukturell mächtigen (rassistischen) Akteur*innen wie Behörden, Medien, Parteien, Dominanzgesellschaft abhängen, kommt ihre Kritik handzahm daher. Es fehlt im Bericht eine politische Sensibilität dafür, dass es nicht nur Massnahmen im Bereich Sensibilisierung, Gesetzesreformen oder Monitoring braucht, um die strukturell-rassistischen Kräfteverhältnisse zu verschieben, sondern auch kollektive Kämpfe, soziale Bewegungen und antirassistische Kultur. Es braucht Druck, denn (anti-)rassismusbewusste Privilegierte geben selten freiwillig Privilegien auf und auch die aufgeklärtesten Behörden und Regierenden verzichten nicht freiwillig auf „die Vorteile“ Neokolonialismus, Nationalismus, Grenzen oder rassistischer Arbeitsmarkt, solange ihre rassistischen Strukturen nicht dazu bewegt werden. Für diese Bewegung müssen die NGOs auch mal (wieder) von ihren Büros raus auf die Strasse. Genug gebasht, wo sehen die NGOs Möglichkeiten, um Rassismus zu bodigen: (1) Sensibilisierung: Die Behörden sollen sich mit ihrem eigenen strukturellen Rassismus befassen, statt seine Existenz zu leugnen. Auch die Bevölkerung, die Medien, die Politik, die Lehrpersonen und die Cops sollen stärker antirassistisch sensibilisiert werden. Nicht nur allgemein zu Rassismus, sondern auch zu spezifischen Formen wie Antiziganismus, antimuslimischer Rassismus, Antisemitismus sowie zu Ethnic und Racial Profiling oder institutioneller Diskrimierung von (geflüchteten und/oder illegalisierten) Migrant*innen. Hierfür wollen die NGOs Geld. (2) Repression: Um vor Rassismus und rassistischen Diskursen in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens zu schützen, schlagen die NGOs ein eigenes Antira-Gesetz vor. Auch soll der Zugang zur Justiz erleichtern werden, damit sich Rassismusdiskriminierte besser wehren können. Schliesslich soll beim Erlass von rassistischen Gesetzen – wie jüngst bei den antiziganistischen Gesetzen – konsequenter eingegriffen werden. (3) Monitoring: Die NGO’s wollen mehr Daten und Wissen sammeln. Eine Art staatlich finanzierte Menschenrechtsinstitution soll hierfür Abhilfe schaffen. Der Bundesrat hat dafür schon halbwegs grünes Licht gegeben. Diese Institution könnte vermutlich auch hilfreich sein, um endlich das vielgeforderte Monitoring des Polizeirassismus umzusetzen. (4) Minderheitenschutz: Romas sollen endlich als Minderheit anerkannt werden und fahrende Romas, Jenische, Sinti egal welcher Nationalität sollen genügend Plätze erhalten, um zu existieren. Auch soll der Holocaust gegen Roma-, Sinti- und Jenische stärker anerkannt werden. (5) Antiterrorismusgesetz verhindern: Um antimuslismischen Rassismus zu bekämpfen, fordern die NGOs, das entrechtende Antiterrorismusgesetzes zu stoppen.
https://www.humanrights.ch/de/front_content.php?idcat=1772&idart=14180&lang=1&kennung

30.03.20
Bundesrat und Parlament sind gegen besseren Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen
Bieten Verfassungen oder Gesetze einen wirksamen Schutz vor rassistischer Diskriminierung? antira.org sagt nein, denn sie sind Teil des Problems. Sie sind eine Art DNA des Staatsgebildes, das wiederum als eine Art Skelett der Nation funktioniert. Zusammen halten sie Rassismus in grossen Teilen aufrecht, fördern und fordern ihn. Mit etwas anderen Argumenten kam 2016 das Schweizer Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) zum gleichen Schluss. Der Zugang zur Justiz bei Diskriminierung sei nicht genügend gegeben. In der Hoffnung auf Veränderungen formulierte das SKMR Empfehlungen, die im hier und jetzt ohne Systemwechsel umsetzbar wären und Diskriminierung wirksam mindern könnten. Fast vier Jahre später fällt die Bilanz vernichtend aus: (1) Vom geforderten Diskriminierungsverbot will der Bundesrat nichts wissen. Er verzichte, „um keine falschen Erwartungen zu wecken“  und wolle deshalb den Persönlichkeitsschutz im Zivilgesetzbuch nicht weiter ausbauen. (2) Das SKMR empfahl dem Bundesrat auch eine Ausweitung der Rassismusstrafnorm, damit „die xenophobe Herabsetzung und Hasspropaganda gegenüber bestimmten Nationalitäten oder aufgrund des ausländerrechtlichen Status (Asylsuchende, Flüchtlinge) strafbar sein soll“. Auch davon wollte der Bundesrat nichts wissen. (3) Einen Prozess gegen Rassist*innen zu eröffnen, ist sehr riskant, anstrengend und teuer. Im Moment sind nur rassismusdiskriminerte Einzelpersonen befugt, Rassist*innen anzuklagen. Damit diese antirassistische Arbeit nicht immer bei ihnen hängen bleibt, hat die SKMR ein sogenanntes Verbandsklagerecht vorgeschlagen. Antirassistische Organisationen könnten so ebenfalls Rassist*innen vor Gericht bringen. Ratet mal was die Antwort des Bundesrates darauf war? Er überlegt es sich noch. (4) Wer nicht lernen will, soll fühlen, fand die SKMR und schlug krassere Strafen vor. Der Bundesrat und das Parlament sind dagegen. (5) Sie sind auch gegen eine erleichterte Beweislast in zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verfahren oder (6) gegen eine Sensibilisierungskampagne, um dem heftigen Rassismus auf dem Wohnungsmarkt entgegenzutreten. (7) Bei der Ungerechtigkeit ist es kein Wunder, dass die Dunkelziffer betreffend rassistischer Gewalt und Diskriminierung in der Schweiz sehr hoch ist. Die SKMR forderte aber auch hier vergebens, dass diskriminierungsrelevante Daten systematisiert und verbessert erhoben und ausgewertet werden. So geht das leider eben im schweizer Rechtsstaat.
https://www.skmr.ch/de/themenbereiche/geschlechterpolitik/publikationen/diskriminierungsstudie.html?zur=2

Keine Entschädigung für Haft in der Schweiz für Nekane
Fast siebzehn Monate lang sass Nekane Txapartegi in schweizer Auslieferungshaft, bevor sie im September 2017 nach langen Protesten frei kam. Das höchste spanische Gericht erklärte ihre Strafe für verjährt, worauf das Auslieferungsgesuch zurückgezogen wurde. Nekane verlangte für die 527 Tage dauernde Inhaftierung von der Schweiz eine Entschädigung in der Höhe von rund 100’000 Franken. Das Bundesgericht lehnte die Beschwerde nun ab. Das Gericht begründet die Entscheidung damit, dass Spanien das Auslieferungsgesuch zurückgezogen hat und damit Ansprüche nicht an die Schweiz, sondern an Spanien zu stellen seien. Dabei ist es völlig absurd, an das Land, das einem noch immer verfolgt, Forderungen zu stellen. Zumal dasselbe spanische Gericht im Mai ein neues Verfahren gegen die baskische Aktivistin eröffnete und erneut beim Bundesamt für Justiz ein Rechtshilfegesuch gestellt hat. Nekane, deren Asylgesuch von der Schweiz abgelehnt wurde, droht damit eine erneute Inhaftierung. Nekane wird von den spanischen Behörden gesucht, weil sie wegen angeblicher Unterstützung der ETA im Jahr 2007 in einem Massenprozess, gestützt auf ein unter Folter erzwungenes Geständnis, zu einer Gefängnisstrafe von 11 Jahren und dann nach einem Rekursverfahren zu 6 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt worden war, der sie sich durch Flucht entzogen hat.
https://www.watson.ch/schweiz/spanien/891958511-fall-nekane-keine-entschaedigung-fuer-haft-in-der-schweiz>
https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/inneres/strafen/folterverbot/foltervorwuerfe-spanien-nekane-txapartegi>
https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://10-03-2020-1C_611-2019&lang=de&zoom=&type=show_document
https://www.woz.ch/-9cc

23.03.20

„Der Bundesrat und Schweiz zählen auf Sie!“- Bei was? 
So endet die Radiodurchsage, in der sich der Bundesrat mehrmals pro Tag an die Bevölkerung richtet, um sie zur Corona-Solidarität aufzurufen. Viele werden sich angesichts der allgemeinen Verunsicherung angesprochen fühlen, um etwas Entscheidendes für das Grosse und Ganze beizutragen. Doch während wir es sinnvoll finden, dass sich Menschen gemeinsam vor dem Coronasterben schützen, ist es auch überlebenswichtig, kollektiv dem nationalistischen und rassistischen Gehalt der eingeforderten Solidarität zu trotzen. Rassismus und Nationalismus töten täglich… mehr als Corona. Dass die von den Behörden gepredigte Solidarität nicht allen Menschen, sondern nur wenigen gilt, machte Karin Keller Sutter (KKS) an der viel beachteten Medienkonferenez des Bundesrates deutlich. Statt sich transnational gegen die Pandemie zu wehren, stellte sie die „anderen“ pauschal als Gefahr dar, indem sie ankündigte, die Grenzen dicht zu machen. Ausnahmen gäbe es für Menschen mit rotem Pass, aber nicht für Geflüchtete, die vor Verfolgung fliehen. Geflüchtete seien „Personengruppen wie andere auch. Sie sind daher gleich zu behandeln wie alle anderen Personen. Dies bedeutet, dass es für sie bezüglich der heute beschlossenen Massnahmen an der Grenze keine Ausnahme gibt.“ Solidarische Ausnahmen für Geflüchtete will KKS auch innerhalb der Grenzen keine. Das Asylregime soll weiterfunktionieren wie gewohnt. KKS ist gegen das dringend geforderte Asylentscheidmoratorium, lässt Geflüchtete – trotz social distancing Gebot – kollektiv zusammengepfercht in Administrativhaft oder Camps isolieren oder ordnet die Cops nicht an, mit der Jagd auf Sans-Papiers zu pausieren, sodass Illegalisierte es weiterhin kaum wagen werden, Kontakt mit dem Gesundheitswesen aufzunehmen. 
Corona enthüllt also gerade vieles über die Welt, in der wir Widerstand leisten. antira.org ist erschüttert zu erleben, wie gut es Staaten aktuell gelingt, bis in intimste Zusammenhänge zu bestimmen, wo Solidarität beginnt, wo sie endet und wer auf dieser komischen Welt wann mit wem wie solidarisch zu sein habe. Wir sind auch beeindruckt davon, wie es Staaten gelingt, mit Repression und Ideologie nationalistische Vorstellungen von „Sicherheit“ durchzuboxen und wie breit und kritiklos diese Unterstützung finden – auch in antirassistischen Zusammenhängen. Dabei gibt es doch weiterhin gute Gründe für einen grossen Sicherheitsabstand zum Staat. Immerhin sorgt dieser mit ungleichmachenden Bürger*innenrechten, Sozialwerken, Gesetzen und Gewalt immer nur für das (Über-)Leben der „eigenen Nation“ und nimmt die unsolidarische Diskriminierung der „Anderen“ kalt in Kauf. Gerade in Coronazeiten zeigt sich sehr gut, wie Staaten mit der rassistischen und nationalistischen Idee eines „Wir“ arbeiten, die damit einhergeht, dass die „Ausländer*innen“ kommentarlos und scheinbar natürlich von „Sicherheit“ und „Solidarität“ ausgeschlossen werden. Ein „wir“, das nur bis an die Landesgrenzen gilt und blind ist für Ungleichheiten und Unsicherheiten wegen klassistischen, sexistischen, rassistischen und weiteren Herrschaftsformen, ist nicht unser „wir“. Solange wir nicht alle sind, werden wir weiterkämpfen. 
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78481.html
https://daslamm.ch/in-zeiten-von-corona-sind-wir-alle-gleich-ach-ja/

Forderung nach einem sofortigen Entscheidmoratorium und Ausschaffungsstopp
Seit Corona werden viele Gerichtsprozesse, Verhandlungen und auch Teile des Strafvollzugs unterbrochen. Unter anderem, weil die Rechtsweggarantie nicht mehr gewährleistet ist. Im Asylbereich sieht es anders aus. Es wurden zwar gewisse kleinere Hygiene-Massnahmen getroffen, doch ansonsten herrscht business as usual. Obwohl fast alle Rechtsberatungsstellen und Anwaltsbüros den Betrieb zur Zeit eingestellt haben und der Rechtsschutz in den Bundesasylzentren stark eingeschränkt ist, werden immer noch Asylentscheide gefällt. Gerade seit dem neuen Asylgesetz ist bekannt, dass viele Asylentscheide zu Unrecht negativ ausfallen und später vor Bundesverwaltungsgericht, mithilfe einer Anwältin oder eines Anwaltes, positiv angefochten werden können. Unter den derzeitigen Bedingungen ist die Rechtsweggarantie nicht mehr gewährleistet und Asylsuchende können sich bei einem negativen Entscheid juristisch nicht mehr genügend zur Wehr setzen. Gerade bei einem so hohen Anteil falscher Entscheide ist dies unhaltbar. Verschiedene Stellen fordern deshalb ein sofortiges Entscheidmoratorium (was bedeutet, dass im Moment keine Asylentscheide gefällt werden dürfen). Mario Gattikers (Staatssekretär beim Staatssekretariat für Migration) zynische Antwort auf die Frage nach einem Entscheidmoratorium lautet: „Wir müssen jetzt alle ruhig bleiben. Gerade in der Krise muss der Rechtsstaat funktionieren.“ In einer Zeit, wo es sozial mehr als erwünscht ist, in Corona-Hysterie zu verfallen, fordert er tatsächlich von Geflüchteten, die nun einen Asylentscheid ohne jeglichen Rechtsbeistand durchstehen müssen, ruhig zu bleiben. Und auf die Frage, ob es momentan rechtlich überhaupt möglich sei, Asylentscheide zu fällen, meint Gattiker: „Mit Notrecht ist vieles möglich“. 
Solidarité Sans Frontières fordert zudem eine sofortige Freilassung aller Menschen in Ausschaffungshaft. Wegen der im Zuge der Bekämpfung des Coronavirus erfolgten restriktiven Massnahmen im Flugverkehr können die meisten Ausschaffungen sowieso nicht durchgesetzt werden. Beispielsweise finden momentan aufgrund der geschlossenen Grenzen keine Dublin-Ausschaffungen statt. Es ist deshalb absurd, Menschen im Hinblick auf eine rasche Ausschaffung in Haft zu behalten. In Spanien beispielsweise wurden bereits Menschen aus Ausschaffungshaft entlassen: Am Mittwoch begann das Innenministerium mit der Freilassung von Personen, die in den Ausschaffungsknästen festgehalten werden und deren Ausweisung aufgrund des Corona-Notstands nicht durchgeführt werden kann. Mehrere Personen berichteten, dass es auch in der Schweiz zu Freilassungen kam – unter anderem im Bässlergut. Es gibt nachfolgend mehrere Aufrufe mit diesen beiden Forderungen, die unterschrieben werden können.
https://www.sosf.ch/de/themen/asyl/informationen-artikel/appell-an-alle-behoerden.html?zur=41
http://freiplatzaktion-basel.ch/entscheidmoratorium/?fbclid=IwAR0pXO4x4N97eJl2Na7Wazh48_kSKzQhOixIS2C5HdDIsPTcG1HnbvSplJc
https://beobachtungsstelle.ch/news/entscheidmoratorium-fuer-asylentscheide/

Rassismusbericht 2019 ist blind für strukturellen Rassismus
Trotz des grassierenden Rassismus über den wir jede Woche schreiben, würdigt die europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) in ihrem sechsten Bericht über die Schweiz die positiven Entwicklungen im Kampf gegen Rassismus. Gelobt wird z.B., dass Rassismusdiskriminierte vermehrt Zugang zu einer Rechtsberatung oder zu Hilfsangeboten hätten. Super sei auch die „Integrationsagenda“, die seit 2014 eine frühere und intensivere „Integration“ von geflüchteten und vorläufig aufgenommenen Menschen vorsehe. Asylsuchende Menschen würden schon nach drei Monaten arbeiten dürfen. Auch lobt der Bericht die Legalisierung von Sans-Papiers im Kanton Genf sowie den besseren Zugang zu Bildung für Kinder fahrender Familien. Der Bericht kratzt nur an der glattpolierten Oberfläche der Schweiz. Denn er fokussiert vor allem auf die gesetzlichen Veränderungen. Wenig bis keine Beachtung findet der strukturelle Rassismus, der in der Schweiz herrscht. So zeigt sich im Bericht, dass der Diskurs um Integration (die vor allem aus Zwangsforderungen an die zu «Integrierenden» und deren Dankbarkeit besteht) nicht hinterfragt wird. Auch verweist der Bericht nicht darauf, dass die Legalisierung von Sans-Papiers ein jahrelanger Kampf der Sans-Papiers war, die sich gewerkschaftlich organisiert haben und dass die Operation «papyrus» strukturell eine Ausnahme und nicht eine allgemeine staatliche Überwindung von Rassimus darstellt. Insofern fokussiert der Bericht mit einer spezifischen Perspektive auf gewisse gesellschaftliche Felder, in denen Rassismus herrscht. Er zeugt aber auch davon, dass staatliche und legalistische rassistische Strukturen nicht hinterfragt werden.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78493.html
https://www.coe.int/en/web/portal/-/racism-switzerland-should-improve-support-for-victims-says-ecri

22. Juni 2019
Stadt Bern verbietet gesamtschweizerische Demonstration zum Flüchtlingstag
Das Migrant Solidarity Network wollte in der berner Innenstadt eine gesamtschweizerische Demonstration zum Flüchtlingstag durchführen. Leider haben sie keine Bewilligung erhalten. Die städtischen Behörden verhindern, dass Geflüchtete und ihre Organisationen auf Anliegen aufmerksam machen können. Im Gegensatz zu den zahlreichen Demonstrationen am Frauenstreik, zur Klimarbewegung oder zur Demonstration gegen das Formel E Rennen zeigen die Behörden den Geflüchteten die kalte Schulter und unterwandern das Demonstrationsrecht. In dieser politisch aufgeladener Zeit ist dieser diskriminierende Entscheid traurig. Das Migrant Solidarity Network kritisiert die unverhältnismässige Missachtung der Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit: „Geflüchtete haben in der Schweiz nur wenig Möglichkeiten, um sich politisch Gehör zu verschaffen“.
https://migrant-solidarity-network.ch/2019/05/20/stadt-bern-verbietet-gesamtschweizerische-demonstration-zum-fluechtlingstag/

8. Juni 2019
Gezielte Diskriminierung von nicht-europäischen Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind
Der Ständerat hat den Bundesrat beauftragt zu prüfen, wie die Sozialhilfe für nicht-europäische Personen einschränkt werden kann. Der Bundesrat hat diese Woche in einem Bericht verschiedenste krasse Möglichkeiten aufgezählt. Da die Höhe der Sozialhilfe von den Kantonen und der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) geregelt wird, zielen die Vorschläge des Bundesrat mehr darauf ab, möglichst vielen Personengruppen das Recht auf Sozialhilfe abzusprechen oder dieses einzuschränken. Zum Beispiel indem:

  • in den ersten drei Jahren in der Schweiz die Sozialhilfe eingeschränkt wird. Oder:
  • Nicht-Europäer*innen unabhängig vom Zeitpunkt der Einreise während drei Jahren nur eine eingeschränkte Sozialhilfe zustehen würde.
  • die Kriterien verschärft werden, um den Ausweis F von vorläufig aufgenommenen Personen (mit einer tieferen Sozialhilfe) in einen Ausweis B umzuwandeln, sodass dies für weniger Menschen möglich wird.
  • Nicht-Europäer*innen den Ausweis B verlieren und ausgeschafft werden, sobald sie von der Sozialhilfe abhängig werden.
  • Nicht-Europäer*innen zwingend Integrationsvereinbarungen unterzeichnen und einhalten müssen, um Sozialhilfe zu erhalten.
    Die verschiedenen Vorschläge sollen nun im Rahmen einer Expert*innengruppe und durch das EJPD bis Ende November 2019 weiterdiskutiert werden. Danach bestimmt der Bundesrat das weitere Vorgehen in dieser Sache.
    https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2019/2019-06-070.html

26. Mai 2019
Berner Regierungsrat nicht an Verbesserung der Situation von Asylnothilfe-Beziehenden interessiert
Der Regierungsrat wurde per Motion bauftragt, die Sitiuation von in Asylnothilfe lebenden Migrant*innen im Kanton Bern zu verbessern.
Der sieht aber z.B. „keine sachlichen Gründe, um Familien mit Kindern generell als „verletzliche Personen“ zu betrachten und diesen die Nothilfeleistungen individuell aufgrund der besonderen Bedürfnisse auszurichten.“ Auch will er nicht, dass alle Kinder unabhängig von ihrem Status die öffentliche Schule besuchen können.
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-59f3872b2ca240f9bd885d56cb0739a5.html

Erster Juni 2019
Bundesrat feiert die Migrationsaussenpolitik 2018
Diese Woche veröffentlichte der Bundesrat seinen Bericht über die Aktivitäten der Migrationsaussenpolitik 2018. Die offizielle Schweiz hat sich auch letztes Jahr zum Ziel gesetzt, das Engagement im Bereich Entwicklungszusammenarbeit systematisch mit migrationspolitischen Interessen zu verknüpfen. Durch diese Strategie können die Behörden den Druck auf Herkunfts- und Transitstaaten erhöhen, damit diese bei der Ausschaffungspolitik der Schweiz mitmachen. Entsprechend ist es den Behörden letztes Jahr leider gelungen, mit Regimen in Sri Lanka und Äthiopien neue Abschiebeabkommen bzw. „Migrationspartnerschaften“ zu vereinbaren. Weitere solche Abkommen stehen an. Der Bericht erwähnt Gespräche und Verhandlungen mit den Herrschenden in Gambia, Mali und Kamerun. In Bezug auf Afghanistan führten die Herrschenden beider Staaten Gespräche über die Beteiligung der Schweiz an den von der Frontex durchgeführten Sonderflügen.
Allgemein zeigt sich der Bundesrat mit der Systematisierung seiner Ausschaffungsgewalt zufrieden: „Allein in den letzten zehn Jahren konnte das SEM 25 Abkommen im Rückkehrbereich abschliessen. Insgesamt hat die Schweiz mit fast 60 Staaten entsprechende Abkommen abgeschlossen (…) Auf europäischer Ebene gehört die Schweiz zu den effizientesten Ländern beim Wegweisungsvollzug“. Die Schweiz hat im Jahr 2017 durchschnittlich 56,8 Prozent der Wegweisungen in den Herkunftsstaat vollzogen, in der EU lag dieser Wert bei 36,6 Prozent. In Bezug auf Algerien wurde so die Zahl der Zwangsausschaffungen zwischen 2017 und 2018 von 27 auf 62 mehr als verdoppelt. In Bezug auf Marokko haben die Behörden 2018 begonnen, Abschiebungen auf dem Seeweg durchzuführen. In Bezug auf den Iran schafften sie allerdings keine Veränderung. Seit Jahren akzeptiert der Iran nur „freiwillig Rückkehrende“. In Bezug auf Äthiopien fanden im September 2018 zum ersten Mal Identitätsbefragungen durch den Foltergeheimdienst Äthiopiens statt und zwei Menschen wurden zwangsausgeschafft. Allerdings konnten die Behörden in Bezug auf Eritrea und Iran über keinen Durchbruch in Sachen Zwangsausschaffungen berichten.
Der Bericht hält fest, dass in den schweizer Asylcamps immer weniger abgewiesene Personen auf ihre Abschiebung warten. Die Behörden führen die „Reduktion der Vollzugspendenzen“ auf die systematischen Ausschaffungen und die sinkenden Asylzahlen zurück. Die Asylstatistik weist allerdings seit längerem auch einen hohen Anteil „unkontrollierter Abgänge“ auf. Die Personen, die entweder in ein anderes Land weiterreisen oder sich in der Schweiz als Sans-Papiers durchschlagen, erwähnen die Behörden in ihrem Bericht nicht. Die Toten im Mittelmeer und auf den Migrationsrouten, die direkt mit der Migrationsaussenpolitik der Schweiz zusammenhängen, werden im Bericht ausschliesslich in einer Zeile erwähnt.
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2019/2019-05-290.html

11. Mai 2019
Beschleunigung durch Ablehnung und Abschiebungen
Diese Woche hat das SEM die Strategie vorgestellt, wie es die durchschnittliche Behandlungsdauer für Asylgesuche senken will: Es will nicht etwa mehr Personal anstellen, um die Anträge zu prüfen, sondern vorrangig Asylgesuche behandeln, die rasch abgelehnt werden können. Das sind neben den Dublin-Verfahren Asylgesuche von Geflüchteten aus Ländern mit geringer Schutzquote. Zurzeit werden z.B. sogenannte 48-Stunden-Verfahren bei Geflüchteten aus den visumsbefreiten Ländern Serbien, Bosnien und Herzegowina, Albanien, Mazedonien, Kosovo und Georgien angewandt. Ebenfalls Vorrang haben Gesuche im sogenannten Fast-Track-Verfahren. Dieses wird bei Menschen aus Guinea, Marokko, Nigeria, Tunesien, Algerien, Gambia und Senegal angewandt.
Die Beschleunigung der Asylverfahren ist ein Ziel des verschärften Asylgesetzes, das am 1. März 2019 in Kraft getreten ist. Für die Mehrheit der institutionellen Linken, die Flüchtlingshilfe oder Amnesty International war die Verschärfung des Gesetzes okay. „Das deutliche Ja zum Asylgesetz ist ein Sieg der lösungsorientierten Politik über die Problembewirtschaftung“, liess sich der aargauer SP-Nationalrat Cédric Wermuth zitieren. Auch Balthasar Glättli von den Grünen lobte das Gesetz: «Wer Schutz sucht, weiss schneller, dass er Schutz erhält. Das gibt den Ausschlag.»
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2019/ref_2019-05-09.html
https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/aktuell/news/2017/2017-02-24.html

14. April 2019
Stadt Frauenfeld reduziert für Menschen im Asylbereich die Sozialhilfe
Die Stadtbehörden von Frauenfeld halten es für eine gute Idee, Asylsuchenden die Sozialhilfe-Tagespauschale zu senken, um „den Haushalt auszugleichen“. Betroffen sind Personen in einem laufenden Asylverfahren und vorläufig aufgenommene Personen in den ersten sieben Jahren. In Frauenfeld sind das 15 Dossiers mit 52 Personen. Die Senkung des Grundbedarfs – also alles ausser Miete und Krankenkasse – bedeutet für eine vierköpfige Familie eine Senkung von 1’688 auf 1’477.- im Monat. Eine Einzelperson bekommt 428 statt 489 Franken im Monat. Schon vorher war die Stadt Frauenfeld 20% unter der SKOS-Richtlinie. Der Gipfel: „Im Rahmen von «Balance» sei es darum gegangen, mögliches Sparpotenzial in der Verwaltung auszuloten“. Also statt z.B. Gehälter der am besten Verdienenden im Departement zu senken, wird bei der Sozialhilfe der Allerschwächsten abgezwackt. Einfach nur mies.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/noch-weniger-von-wenig-ld.1108522


6. April 2019

Schweiz von Anfang an Teil des transatlantischen Sklavenhandels
Bis anhin wurde in der postkolonialen Geschichtsschreibung davon ausgegangen, dass die Verstrickungen der Schweiz mit der Sklaverei und dem europäischen Kolonialismus Ende des 17. Jahrhundert begannen: Es gibt aus dieser Zeit Beweise für schweizer Plantagen, auf denen versklavte Menschen arbeiten mussten in Surinam und Jamaika. Neue Forschungsergebnisse zeigen nun aber, dass der St. Galler Hieronymus Sailer 1528 den vom Spanischen König Karl V dritten ausgestellten ‘asiento de negros’ erwarb. Sailer verpflichtete sich damit, 4000 versklavte Menschen in die Kolonien zu «exportieren» und dort zu verkaufen. Diese von Karl V ausgestellten Verträge gelten als Startschuss für den transatlantischen Sklavenhandel – Schweizer(*innen) waren also von Anfang an in den Sklavenhandel involviert. Wo genau das ganze Geld, das sich Leute wie Hieronymus durch die Ausbeutung und Versklavung von Menschen verdient haben, heute steckt, ist immer noch weitgehend unbekannt. Ein Beispiel ist der Basler Bankier Christof Merian, der sich an Sklavenschiffen beteiligt hat, und dessen „Christof-Merian-Stiftung“ nun ganz viele Häuser und ein Park in Basel gehören.
Hiernoymus Sailer ist nur eine*r von vielen Schweizer*innen, die Kolonialprojekte in der ganzen Welt durchgeführt haben – eine post-koloniale Aufarbeitung solcher Geschichten ist wichtig, damit endlich das Bild einer ‘unschuldigen, kleinen Schweiz’ zum Fall gebracht wird.
https://blog.derbund.ch/historyreloaded/index.php/4338/der-erste-sklavenhaendler-der-eidgenossenschaft/
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-1799-3/postkoloniale-schweiz/
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20033014

22. März 2019
Bundesgericht verwehrt Diabetiker in der Nothilfe zusätzliches Essen
Das Bundesgericht hat mit drei gegen zwei Stimmen entschieden: 8.50 Franken pro Tag müssen einem Nothilfebezüger reichen, um sich diabetesgerecht zu ernähren. Dabei ist nicht mal klar, ob die 8.50 nur fürs Essen da sind oder auch noch für Kleider und Hygieneartikel reichen müssen. Das Gericht mochte nicht beim zuständigen zürcher Sozialamt nachfragen. Völlig lebensfremd, menschenverachtend und elitär befanden die Richter*innen Daniela Viscione (SVP), Alexia Heine (SVP) und Marcel Maillard (CVP), dass auch 6 Franken pro Tag reichen würden. Bundesrichter*innen verdienen 300’000.- im Jahr, gibt pro Tag 822 Franken. Zusätzlich gibts pro Jahr noch 100’000 Pensionsgeld, sobald die Bundesrichter*in nicht mehr als solche arbeitet. 

 

2. März 2019
Neues Ausländergesetz ab jetzt in Kraft
Seit dem 1.  März ist das neue Ausländer- und Integrationsgesetz in Kraft. Es bringt eine Neustrukturierung des Asylwesens mit sich. Das Hauptziel in dem von Sommaruga vorangetriebenen Gesetz besteht darin, die Asylverfahren zu beschleunigen. Die Verfahren werden noch effizienter getacktet und sollen innert 140 Tagen in einem Bundesasylzentrum (BAZ) abgeschlossen werden. Damit die Asylverfahren schneller durchgeführt werden können, sind die Asylsuchenden und die für das Verfahren zuständigen Organisationen neu an einem – oft sehr abgelegenem – Ort vereint und isoliert. Die Befragungen und die Rechtsberatung finden ebenfalls im Lager statt, wobei die Asylsuchenden vom ersten Tag an eine kostenlose Rechtsberatung erhalten. Die Pauschale für die Rechtsberatung ist viel zu tief, so dass Anwält*innen dazu tendieren, von Anfang an die meisten Fälle als aussichtslos zu behandeln (https://antira.org/2019/02/16/antira-wochenschau-betverbote-gegen-musliminnen-schlechte-rechtsvertretung-im-asyllager-antisemitismus-auf-dem-vormarsch/). Auch sonst ist so ziemlich alles an diesen Bundeslagern kritisierbar: Die medizinische Versorgung ist völlig unzureichend, die Beschwerdefrist ist auf 10 Tage verkürzt worden (was nicht lang genug ist um die erforderlichen Berichte einzuholen), die Bewegungsfreiheit der Bewohnenden ist stark eingeschränkt, solidarisierende Menschen haben keinen Zutritt, es gibt keine Steckdosen in den Zimmern und die Abgelegenheit der Bundeslager soll Widerstand und Solidarität erschweren.
https://www.woz.ch/-9656

9. Februar 2019
Geschäfte mit Apartheid-Regime – Ein weiteres düsteres Kapitel Schweizer Geschichte
Die Schweizer Behörden und Firmen waren sehr verlässliche Partner des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Eine Schlüsselrolle hätten die Schweizer Geschäftsbanken gespielt, vor allem die damalige Bankgesellschaft und der Schweizerische Bankverein, die später zu UBS wurden – sowie die Schweizerische Kreditanstalt, die heutige Crédit Suisse. Sie zählten zu den treuesten und wichtigsten Kapitalgeberinnen des Regimes. Sie übernahmen auch eine wichtige Rolle bei der Umschuldung, rund zehn Jahre vor Ende des Apartheid-Regimes, als Südafrika am Rande der Pleite stand. Damals zogen sich die US-Banken unter dem Druck der Anti-Apartheid-Bewegung zurück und verlangten die Rückzahlung ihrer Schulden. Ohne Schweizer Vermittlung und Geld wäre das Ende womöglich früher gekommen. Noch auf anderen Wegen stützte die Schweiz das Apartheid-Regime: Unternehmen lieferten ihm Waffen. Die Schweiz fühlte sich als neutrales Land nicht an die internationalen Sanktionen gebunden.
Ausserdem war die Schweiz ab 1979 wichtigster Verkaufsplatz für südafrikanisches Gold – und löste damit London ab: «Südafrika war damals die grösste Goldmine der Welt. Bis zu 80 Prozent des Goldes wurde in die Schweiz verkauft». Die staatlichen Archive in der Schweiz bleiben indes verschlossen, die heiklen Dokumente zur Kooperation der schweiz mit dem Apartheids-Regime können nicht eingesehen werden. Der Schlüssel dazu liegt beim Bundesrat. Doch der will mit der neuen südafrikanischen Regierung ins Geschäft kommen – und drängt auf Rüstungskooperationen und rasche Freihandelsverhandlungen.
https://www.srf.ch/news/wirtschaft/geschaefte-mit-apartheid-regime-ein-dunkles-kapitel-schweizer-geschichte

Rassist*innen beliebt als Gemeindeschreiber*innen
Das 800-Einwohner-Dörfchen Oberwil im Simmental BE wollte offenbar nicht von Boswil (AG) lernen und hat nun ebenfalls einen Rassisten als Gemeindeschreiber eingestellt: Nils Fiechter (22), Co-Präsident der Jungen SVP Bern, wurde erst gerade zusammen mit dem anderen Co-Präsidenten Adrian Spahr (24) wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Wegen einem «Zi******»-Plakat, mit dem die Junge SVP Bern im Wahlkampf 2018 gegen Transitplätze für ausländische Fahrende kämpfte. Die Einstellung sorgt auch in der Gemeinde selbst für Ärger. Gemeindepräsident Michael Blatti (36) verteidigt die Wahl: Für kleine, abgelegene Gemeinden sei es schwierig, Leute für diesen Job zu finden, Fiechter war der einzige Kandidat. Wir rufen auf: Helft der Gemeinde Oberwil und bewerbt euch als Gemeindeschreiber*in. (Möglicherweise finden sich auch andere Aktionsformen, um der Gemeinde Oberwil mitzuteilen, dass Rassist*innen auch im Simmental nicht erwünscht sind).
https://www.blick.ch/news/politik/er-wurde-wegen-rassendiskriminierung-verurteilt-neuer-job-von-jung-svpler-fiechter-sorgt-fuer-aerger-id15157465.html

Neuvergabe der Leistungsverträge im Asylbereich
Der Kanton Bern bringt Konkurrenz unter Firmen und Organisationen, die ihr Geld mit der Betreuung von Geflüchteten verdienen. Diesen Frühling vergibt er sämtliche Leistungsverträge im Asylbereich neu. Zu den Konkurrierenden gehören nebst der Caritas, der Heilsarmee oder der ORS AG auch der Verein «Asyl Berner Oberland». In einem Interview offenbart Christian Rohr, Geschäftsleiter von Asyl Berner Oberland, die neoliberale Logik nach der solche menschenverwaltende Organisation ticken: Schneller, billiger, effizienter sind die üblichen Schlagwörter, um nicht darüber zu sprechen, dass die Bedrüfnisse der Menschen sich der Marktlogik und staatlichen Interessen unterzuordnen haben: „Wir sind überzeugt, dass wir ein gutes Angebot eingegeben haben, der springende Punkt wird der Preis. (…) Wir sind im Berner Oberland sehr gut vernetzt und haben einen lokalen Touch. Das macht uns einzigartig. (…) Der gesamte Integrationsprozess wird vom ersten Tag an komplett anders laufen. Sehr zielgerichtet und auf Geschwindigkeit und Wirkung bedacht. (…) Gewisse Branchen sind auf diese Menschen angewiesen. (…) Dort sehe ich ein grosses Potenzial. (…) Was viele nicht realisieren: Vorläufig aufgenommene Ausländer und Flüchtlinge mit B-Ausweis gehörten offiziell zum inländischen Potenzial.”
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/171366/

2. Februar 2019
Abgelehnter Asylsuchender musste 100 Tage in den Knast, weil er das zürcher Migrationsamt aufsuchte
Ein Mann aus Ägypten, der kein Asyl bekommen hatte, musste in Pfäffikon dahinvegetieren, weil er eine „Eingrenzungsverfügung“ bekommen hatte, also Pfäffikon nicht verlassen durfte. Als er sich auf Zürich zum Migrationsamt begab, um dort ein Arztzegnis vorzuzeigen, wurde er von den Angestellten des Amtes verpfiffen und für 100 Tage eingeknastet. Das zürcher Obergericht hat nun bestätigt, dass das alles mit rechten Dingen zugeht und nur die Haft auf 60 Tage verkürzt. Eigentlich bekommen Leute, die zu lange eingeknastet wurden 200.- pro Tag den sie zu lange eingesperrt waren, doch der Mann aus Ägypten bekommt nur 100.-, „weil er im Durchgangsheim ja nicht viele Ausgaben und Freiheiten hat“. Und ausserdem sei er beruflich nicht „integriert“ – dabei dürfen abgewiesene Asylsuchende gar nicht arbeiten.
https://www.republik.ch/2019/01/28/menschen-dritter-klasse
https://www.nzz.ch/zuerich/eingrenzung-missachtet-um-nach-zuerich-zum-migrationsamt-zu-fahren-ld.1455196

Bern: (Geflüchtete) Migrant*innen verklagen den Kanton Bern vor Bundesgericht
Mit der neuen Anwesenheitspflicht für Personen in den berner Asyllager beschneidet der Kanton Bern ohne gesetzliche Grundlage die Rechte von geflüchteten Migrant*innen. Eine absurde Freiheitsberaubung, geschaffen in einem politischen Klima, geprägt von zunehmender Repression gegenüber Migrant*innen. 59 geflüchtete Personen haben in Zusammenarbeit mit den Demokratischen Jurist*innen DJB und dem Migrant Solidarity Network (MSN) eine Beschwerde gegen die revidierte Asylsozialhilfeweisung des Kantons Bern erhoben. Das Bundesgericht ist nun frei, diese unwürdige Herabsetzung der betroffenen Menschen zu beenden: Erstens kann sich die Anwesenheitspflicht auf keine genügende gesetzliche Grundlage stützen und verletzt deshalb das Legalitätsprinzip. Zweitens führt sie zu empfindlichen Grundrechtseingriffen, die selbst bei Vorliegen einer genügenden gesetzlichen Grundlage unzulässig wären.
https://migrant-solidarity-network.ch/2019/02/01/wir-haben-die-berner-behoerden-beim-bundesgericht-verklagt/
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/schweiz-aktuell-vom-31-01-2019-1900?id=56f944fb-aabf-462c-9b1e-d1573da22ec5
https://www.derbund.ch/bern/kanton/berner-asylregime-vor-bundesgericht/story/24016889

 27. Januar 2019
Reduzierter Brandschutz in Asylunterkünften wird verlängert
Trotz dem tödlichen Brand vom November, bei dem 7 Menschen in einer Unterkunft für Asylsuchende ihr Leben verloren, werden im Kanton Zürich die reduzierten Brandschutzbestimmungen um zwei Jahre verlängert. Ein Antrag für die Abschaffung der Lockerung wurde im Kantonsrat abgelehnt. Wieder einmal mehr werden bewusst Menschenleben riskiert, um etwas Geld einzusparen. Siehe dazu auch die antira-Wochenschau vom 7.12.2018
https://antira.org/2018/12/07/antira-wochenschau-rechter-terror-asyllager-in-daenemark-und-der-schweiz-antisemitismus-in-basel/
https://www.kantonsrat.zh.ch/Geschaefte/Geschaefte.aspx?GeschaeftID=cd6ac36d-d520-4080-8845-c018b6a0ed78
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/nach-toedlichem-brand-drama-es-bleibt-bei-reduziertem-brandschutz-in-drei-zuercher-asylunterkuenften-134002174

Adrian Spahr wird nach Verurteilung wegen Rassendiskriminierung versetzt
Die JuSo forderte seine Entlassung, wir von antira stimmen dem zu. Nach seiner erstinstanzlichen Verurteilung vor dem Regionalgericht Bern wegen Rassendiskriminierung wurde Adrian Spahr nun in den Innendienst versetzt. Die Basler Kantonspolizei will „das Wohl des Mitarbeiters wie auch die Interessen der Kantonspolizei angemessen schützen“
Wir Fragen uns: Wer schützt uns vor einem offen rassistischen Jungpolitiker, der sich in der Position befindet, staatliche Gewalt ausführen zu können? Wenn es darum geht, die Interessen der Polizei und das Wohl von Adrian Spahr zu schützen, offensichtlich niemand. Das erinnert an die jüngsten rechtsextremen Verstrickungen der Polizei in Deutschland und daran, dass rassistische Tendenzen bei der Polizei weit verbreitet sind.
(Siehe dazu antira-Wochenschau vom 6. Januar 2019: https://antira.org/2019/01/06/antira-wochenschau-neo-koloniale-banken-rechte-polizei-schoene-plakate/)
https://bazonline.ch/basel/stadt/svppolizist-wird-versetzt/story/14602550
https://www.basellandschaftlichezeitung.ch/basel/basel-stadt/nach-zigeuner-hetze-basler-polizist-wurde-von-der-front-abgezogen-133988832

20. Januar 2019
Ausschaffungshaft variiert stark nach Kanton
Um abzuschieben, dürfen die kantonalen Behörden (geflüchtete) Migrnat*innen in Administrativhaft stecken, damit diese jederzeit für eine Abschiebung zur Verfügung stehen. Für Schweizer*innen existiert diese Haftform nicht. Administrativhaft ist deshalb ein klassischer Ausdruck von institutionellem Rassismus. Eine Studie zeigt, dass die Behörden von 2011 bis 2017 durchschnittlich 5823 Personen pro Jahr inhaftierten. 81% von ihnen wurden abgeschoben. Bei Inhaftierungen von über 30 Tagen sinkt der Anteil der Personen, die ausreisen. Die durchschnittliche Haftdauer beträgt 22 Tage. In der Hälfte aller Fälle dauert sie weniger als 10 Tage. Es gibt jedoch auch lange Inhaftierungen zwischen 9 und 18 Monaten. Mehrheitlich befanden sich junge Männer aus afrikanischen Staaten (insbesondere Nigeria und Tunesien) oder dem Westbalkan (insbesondere Albanien) in Administrativhaft. Diese werden im Vergleich zu abgewiesenen Personen aus Asien häufiger eingesperrt. Hat das etwas mit Hautfarbe zu tun? Der Rückgriff auf die Administrativhaft variiert zudem je nach Kanton, was zu weiteren massiven Ungleichbehandlungen führt.
https://www.presseportal.ch/de/pm/1…
https://nccr-onthemove.ch/wp_live14…
https://www.tdh.ch/sites/default/fi…
https://www.buerobass.ch/fileadmin/…

Rassistischer Gemeindeschreiber zuerst zurück an den Arbeitsplatz, dann entlassen
Rassistische Facebook-Beiträge des Boswiler Gemeindeschreibers sorgten medial für Aufregung und führten zu seiner Beurlaubung. Diese Woche ist er wieder an den Arbeitsplatz zurückgekehrt. Er wurde beurlaubt, weil er im Internet gegen Menschen ohne Schweizerpass hetzte. Nun wurde bekannt, dass er Einbürgerungen verhinderte, indem er die Unterlagen „verlor“ oder nicht weiterleitete. Ihm wurde nun fristlos gekündigt.
https://www.blick.ch/news/schweiz/m…

6. Januar 2019
Credit Suisse fördert in Mosambik den Staatsbankrott für Profitmaximierung
Die Credit Suisse schloss 2013 mit mosambikanischen Staatsunternehmen Kreditgeschäfte von über 2 Milliarden US-Dollars ab. Gegen aussen hiess es, die Kredite dienten dem Aufbau einer Thunfischfangflotte und Reedereien. Verschleiert wurde, dass die Kredite vor allem dazu dienten, Waffen zu kaufen. Dies in einer Zeit, als in Mosambik Frelimo und Renamo wieder Krieg gegeneinander führten und tausende in Nachbar­länder flohen.
Die CS hatte für die Kredite eine Staatsgarantie verlangt, wusste aber, dass diese vom mosambikanischen Parlament nie abgesegnet wurde. Als die Investor*innen leer ausgingen, weil die Schulden nicht bedient werden konnten, folgte 2016 eine Umschuldung und der IWF und andere westliche Geldgeber*innen stellten die für die Entwicklung des Landes erforderliche finanzielle Zufuhr ab. Noch im selben Jahr musste Mosambik Bankrott erklären, was für die Bevölkerung im neuntärmsten Land Afrikas katastrophale Folgen hat.
Weil die Transaktionen dieses Kreditskandals über New Yorker Banken abgewickelt wurden, müssen sich nun drei CS-Banker*innen vor einem Gericht in Brooklyn verantworten müssen. Am Donnerstag wurden sie in London festgenommen, kamen allerdings gegen Kaution wieder frei. Ihnen wird vorgeworfen, Investor*innen mit falschen Angaben zur Verwendung der Kredite betrogen, mosambikanische Regierungsvertreter*innen und Banker*innen bestochen und Fehlinformationen über Moçambiques Schuldensituation gemacht zu haben.
Der Kreditskandal zeigt, was postkoloniale Verhältnisse heute bedeuten und wie sie laufend reproduziert werden. Um Gewinne zu erzielen, nahm die CS bewusst den Staatsbankrott des neuntärmsten Land Afrikas in Kauf, torpedierte dessen Zukunftsperspektiven und förderte Flucht und Armut. Statt die Aufklärung zuzulassen und für die Wiedergutmachung zu bezahlen, konzentriert sich die Bank darauf, dies zu verhindern.
https://www.nzz.ch/wirtschaft/ex-mitarbeiter-der-credit-suisse-wegen-mosambik-affaere-angeklagt-ld.1448903?mktcid=nled&mktcval=106&kid=_2019-1-4
http://www.rat-kontrapunkt.ch/neu/kreditskandal-in-mosambik-die-intransparente-rolle-der-credit-suisse/

Immer mehr rechte und rassistische Vorfälle bei Polizeibehörden werden bekannt
In den letzten Monaten häuften sich Meldungen über rechte Netzwerke in Polizei und Militär in Deutschland. Nach der Enttarnung des rechten Netzwerks »Hannibal«, in das Polizist*innen und ehemalige Soldat*innen involviert waren, wurde kürzlich auch bei der frankfurter Polizei ein rechtsextremes Netzwerk bekannt. Auch wurden mehrere Kasernen ganz im Nazi-Style dekoriert. Soldat*innen und Polizist*innen, die sich in rechten Chats austauschten, sind auch im Verein Uniter aktiv. Dieser baut eine Kampfeinheit auf.
Auch in der Schweiz sind solche rechten Netzwerke fester Teil der staatlichen Gewaltsturkturen. Offiziell herrscht zwar „Nulltoleranz“, doch eben erst ist ein Sympathisant des Neonazi-Netzwerks Blood and Honour zum Unteroffizier befördert worden. Verfahren gegen Militärgrenadiere, die sich mit dem Hitlergruss begrüssen, wurden vom Militärgericht eingestellt.
Immer wenn solche Fälle ans Licht kommen, wird von bedauernswerten Einzelfällen gesprochen. Doch die rechte Tendenz von Polizei und Militär ist ganz klar institutionell. Korpsgeist, starre Hierarchien und Männerbündelei bei Polizei und Militär wirken auf rechtes Pack sehr anziehend, weshalb es überhaupt nicht erstaunlich ist, wenn sie sich dort organisieren. Dass juristische Verfahren gegen rassistisches Verhalten sehr oft eingestellt werden oder mit Freisprüchen enden, trägt auch noch dazu bei.
https://jungle.world/artikel/2019/01/hutbuerger-uniform
https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5557397&s=netzwerk%2Bpolizei/
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/armee-befoerdert-rechtsextremisten/story/17023644
http://www.fr.de/frankfurt/rassismus-bei-der-polizei-polizisten-haben-haeufig-rechte-weltbilder-a-1648534,0?fbclid=IwAR1OiaNOEvm513wdPNzaS_ma2BQfuN3iLBu7wauJPQaJGsOVGLekgYUu_IM#artpager-1648534-1

Luzerner Gericht hebt Bewegungsverbote gegen Geflüchtete auf
Im Kanton Luzern stehen derzeit knapp 100 Migrant*innen unter Bewegungsverboten, die die Betroffenen auf ein bestimmtes Gebiet eingrenzen oder aus Gebieten aussperren. Im Juni wurde etwa ein junger Mann aus dem Kanton Luzern verbannt, da er zuviel getrunken habe. In diversen solchen Fällen mussten die Gerichte schon intervenieren und die Entscheide aufheben. Das Luzerner Amt für Migration (Amigra) wurde für ihre Praxis schon mehrfach scharf kritisiert, zuletzt auch vom Bundesgericht. Der Fall eines Tibeters, der für unbestimmte Zeit die Stadt Luzern nicht verlassen durfte, gab dafür den Anstoss. Der Leiter des Amtes legitimiert diese menschenfeindliche Praxis mit dem Verweis darauf, dass abgewiesene Asylsuchende so zu einer Ausreise bewogen werden können. Leider findet man solche Praktiken sogar im „linken“ Lager. SP-Regierungsrat Mario Fehr genehmigte als Sicherheitsdirektor des Kanton Zürichs ähnliche Bewegungsverbote.
https://www.zentralplus.ch/de/news/gesellschaft/5584099/Nach-R%C3%BCge-des-Gerichts-Amt-f%C3%BCr-Migration-passt-Praxis-an.htm

30. Dezember 2018
Neue kantonale Gesetze gegen Fahrende
Momentan beschliessen mehrere Kantone Gesetze, welche den Aufenthalt von nicht-schweizerischen Fahrenden erheblich erschweren und Wegweisungen derselben erleichtern. Als letztes hat der Kanton Neuenburg ein neues Gesetz erlassen, das die polizeilichen Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Fahrenden stark ausweitet. Jede fahrende Gemeinschaft, die Halt auf Kantonsgebiet machen möchte, muss neu im Vornherein bei einem Kontrollorgan vorsprechen und strengen Auflagen zustimmen. Zudem wird im Gesetz verankert, dass nur die spezifische Kategorie der Transitplätze den nicht-schweizerischen Fahrenden offensteht.
Auch private Grundeigentümer*innen, die ihr Grundstück für spontane Halte zur Verfügung stellen möchten, werden neu mit restriktiven Regulierungen eingedeckt: Ein Beherbergen von Fahrenden setzt neu zwingend einen schriftlichen, vom Kanton vorgegebenen Vertrag voraus. Die Dauer des Aufenthalts spielt dabei keine Rolle – eine Nacht reicht aus, um die administrative Maschinerie in Gang zu setzen. Das Beherbergen von Fahrenden in Landwirtschaftszonen wird privaten Grundeigentümer*innen schliesslich für höchstens zweimal 30 Tage im Jahr erlaubt.
Wird irgendeine dieser Auflagen nicht befolgt, kann mit sofortiger polizeilicher Räumung und Wegweisung reagiert werden.
Auch im Kanton Bern sollen durch die Revision des Polizeigesetzes Wegweisungen von Fahrenden erleichtert werden. «Unerlaubtes Campieren auf privatem und öffentlichem Boden» stellt neu einen legitimen Wegweisungsgrund dar. Dass damit nicht zeltende Tourist*innen und ausser Kontrolle geratene Pfadilager angegangen werden sollen, liegt auf der Hand – der Artikel ist inhaltlich auf die Wegweisung von fahrenden Minderheiten zugeschnitten.
http://www.studizytig.ch/ausgaben/ausgabe-14/fahr-ab/

Behörden stellen Ermittlungen gegen Neonazis ein
Die anonyme Neonaziband „Mordkommando“ veröffentlichte 2016 das Album „Schwarze Liste“ auf dem in mehreren Songs zu Folter und Mord an prominenten schweizer Homosexuellen und dem Präsidenten des Schweizerischen Isrealitischen Gemeindebundes aufgerufen wird. Zudem wird in einem Lied die Ausrottung der orthodoxen Jüd*innen in Zürich Wiedikon besungen. Verschiedene Betroffene reichten daraufhin eine Strafanzeige ein. Nach zwei Jahren hat die Staatsanwaltschaft nun die Ermittlungen aufgegeben, da scheinbar keine Hinweise auf die Täter*innenschaft gefunden werden konnten. Die Staatsanwaltschaft stützt sich auf die faule Ausrede, die Ermittlungen seien dadurch gescheitert, dass die USA die nötigen IT-Daten nicht herausgegeben habe und somit nicht festgestellt werden konnte, wer die Lieder hochgeladen hatte (offenbar fallen in den USA Mordaufrufe unter Redefreiheit). Erstaunlich dabei ist ausserdem, dass keine einzige Person zur Befragung vorgeladen wurde, so mal für Szene-Kenner*innen keine grossen Zweifel bestehen, dass hinter „Mordkommando“ Exponent*innen der bekannten schweizer Neonaziband „Amok“ stecken, die Lieder beider Bands ähneln sich in Sound, Stimme und Text.
https://www.watson.ch/schweiz/justiz/457538073-neonazi-band-drohte-mauch-co-mit-mord-justiz-scheitert-bei-ermittlungen
https://www.queer.de/detail.php?article_id=32621
https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/verfahren-gegen-die-band-mordkommando-eingestellt

Eritreer*innen drohen unterzutauchen
Als diesen Sommer (2018) die Regierungchefs Äthiopiens und Eritreas ein bisschen Händchen hielten und der Welt verkündeten sie seien neuerdings Freunde, applaudierte das Staatssekretariat für Migration (SEM) und erklärte die Rückkehr nach Eritrea für zumutbar. Flugs bestätigte ebenso das Bundesverwaltungsgericht, dass auch der versklavende Nationaldienst kein Grund für Zweifel sein soll. Diese rassistische Abschreckungstaktik ist besonders absurd, da die eritreischen Behörden bis heute keine zwangsweisen Rückführungen akzeptieren und angesichts der desolaten Lage in der sich Eritreer*innen in ihrem Heimatstaat ausgesetzt sehen, nicht damit gerechnet werden kann, dass Eritreer*innen freiwillig zurückkehren wollen. Die einzige Folge, die diese neue Praxis mit sich bringen wird, ist, dass tausende von Eritreer*innen untertauchen müssen. Damit werden sie in die Hoffnungslosigkeit abgedrängt. Angesichts dessen, dass die schweizer Behörden letzte Woche bewiesen, dass es auch anders geht und 40’000 Brit*innen legalisierten, erscheint die Praxis gegenüber Eritreer*innen äusserst rassistisch.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/im-thurgau-gibt-es-mehr-untergetauchte-asylsuchende-ld.1080976

21. Dezember 2018
Anerkannte Geflüchtete dürfen nur noch in Ausnahmefällen in Herkunftsstaaten oder in deren Nachbarländer reisen
Auf das Reiseverbot haben sich diese Woche der National- und der Ständerat geeinigt. Dieser massive Eingriff in die Bewegungsfreiheit geht weniger weit als die ursprüngliche Forderung des Nationalrats. Dieser wollte anerkannten Geflüchteten automatisch den Status entziehen, wenn wegen einem Besuch von schwerkranken Verwandten oder eines Todesfalls in der Familie eine Reise ins Heimatland erfolgte. Die nun beschlossene Verbotsregel sieht in diesen Fällen nun Ausnahmen vor. Dabei müssen neu die Geflüchteten und nicht wie bisher die Behörden beweisen, dass die Reise aufgrund eines „Zwangs“ erfolgte.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2018/parlament-verschaerft-reiseverbote-fuer-fluechtlinge.html
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2018/20181212163748741194158159041_bsd182.aspx

Trotz Brexit werden Brit*innen nicht auf den Rechtsstand von Nicht-Europäer*innen gestellt
Der Bundesrat sicherte diese Woche in einem neuen Abkommen mit dem Vereinigten Königreich, dass die rund 43 000 in der Schweiz lebhaften UK-Staatsangehörigen auch nach dem Brexit über die selben Rechte verfügen wie EU-Bürger*innen. In diesem Entscheid kommt zum Ausdruck wie tief das rassistische Zwei-Kreise-Modell institutionell verankert ist. In dieser Logik, werden die Rechte der Weltbevölkerung in zwei herkunftsbezogene Kreise unterteilt bzw. werden Europäer*innen systematisch mehr Rechte zugesprochen als allen Nicht-Europäer*innen. Würde der Bundesrat beispielsweise ein ähnliches Abkommen für die rund 40‚000 in der Schweiz lebhaften Eritreer*innen abschliessen, die Reaktionen wären durchaus kontroverser…
https://www.handelszeitung.ch/politik/brexit-schweiz-regelt-kunftige-beziehungen#
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2018/2018-12-20.html

Jede Mitverwaltung des Asyl- und Grenzregimes stinkt zum Himmel.
Besonders wenn aus ihr Profit geschlagen wird. Deshalb war es positiv, dass die gewinnorientierte ORS AG vor einigen Jahren im Kanton Bern kein Geld mehr auf dem Buckel von (geflüchteten) Migrant*innen scheffeln konnte. Nun versucht die ORS AG erneut im Kanton Bern Marktanteile zu gewinnen. Im ersten Quartal des nächsten Jahres vergibt der Kanton Bern die Leistungsverträge für die Lagerverwaltung von geflüchteten Migrant*innen neu. Unter den Konkurrent*innen um den kantonalen Zuschlag, bei dem der Preis zu 35% die Auswahl beeinflussen wird, ist auch die ORS AG. Wer sich vergewissern will, warum es sich lohnt, antirassistisch gegen die ORS AG Widerstand zu leisten, findet hier gute Argumente. https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/kanton-bern/asylriese-plant-offensive
https://www.studizytig.ch/ausgaben/ausgabe-7/schweigen-ist-gold/#comment-265
https://www.balthasar-glaettli.ch/2017/06/15/kritische-fragen-zur-ors-ag/
https://nzzas.nzz.ch/schweiz/ors-marktfuehrerin-im-geschaeft-mit-fluechtlingen-ld.1295334?reduced=true
https://www.aargauerzeitung.ch/wirtschaft/umstrittene-asylfirma-will-mehr-transparenz-schaffen-und-weiter-wachsen-132135185
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20173472

15. Dezember 2018
Administrative Zwangsmassnahmen in der Schweiz: Minderjährige Geflüchtete werden wahrscheinlich weiter eingeknastet
Die Inhaftierung von unter 15-jährigen ist zwar eigentlich verboten, diesen Sommer kam jedoch heraus, dass in gewissen Kantonen auch unter 15-jährige eingeknastet werden. (siehe antira Wochenschau vom 27. Juli 2018). Das Schweizer Kinderhilfswerk Terre des hommes fordert jetzt in einem neuen Bericht, dass die Administrativhaft für alle Minderjährigen, auch die 15- bis 18-jährigen, verboten werden soll. Die Forderungen scheinen jedoch in dem von Rassist*innen geprägten Parlament keine Chance zu haben. Das Hilfswerk kritisiert zudem, dass präzise Informationen über Inhaftierung von Minderjährigen nicht zugänglich gemacht werden. Ausserdem seien die Zahlen, die das SEM angibt z.T. bis zu vier Mal höher als die Zahlen aus den Kantonen. Das verunmögliche es, die Situation überschauen zu können.
https://www.tdh.ch/sites/default/files/tdh_plaidoyer-ch_201811_de.pdf
https://www.nzz.ch/schweiz/ausschaffungshaft-fuer-kinder-kantone-passen-praxis-an-ld.1443422

7. Dezember 2018
Bundesasyllager: Neue Sommaruga-Verordnung zum Lagerregime
SP-Bundesrätin Sommaruga lies am 6. Dezember informieren, wie die ORS AG und Securitas AG Geflüchtete in den „Zentren des Bundes“ zu führen haben. Das Regime der vorgestellten Verordnung richtet sich gegen Geflüchtete, die Asyl beantragen und gegen Menschen mit einem negativen Asylentscheid. Die Verordnung ist deutlich. In den Bundesasyllagern herrschen Isolation, Zwang und Entrechtung. Auch wenn es sich eindeutig nicht um KZ-ähnliche Orte handelt, ist es in unseren Augen wichtig, von Lagern zu sprechen. Dies, weil in den sogenannten Zentren des Bundes erstens hunderte Menschen auf engem Raum ohne Privatsphäre isoliert werden. Zweitens, die Geflüchteten bewusst in materieller Knappheit gehalten werden (Schmuck oder Gegenstände, die mehr als 1000 Franken Wert sind, werden konfisziert; das Taschengeld ist bewusst tief gehalten; die Entlöhnung der Personen, die sich an einem Arbeitsprogramm beteiligen, ist fakultativ). Drittens, weil es keinen richterlichen Entscheid braucht, um an einem solchen Ort zu landen. Die Entscheidung einer Behörde reicht aus. Mehr Details gibts auf antira.org.
https://antira.org/2018/12/07/isolation-zwang-und-entrechtung-neue-sommaruga-verordnung-zu-bundesasyllager/
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2018/ref_2018-12-05.html

Gelockerte Brandschutzvorschriften für Asyllager
Dass beim Brand in Solothurn von letzter Woche 7 Asylsuchende ums Leben kamen, ist kein Zufall. Denn Menschen in Not können leichter in marode und brandgefährdete Unterkünfte verfrachtet werden als privilegierte Personen mit grösseren Wahlmöglichkeiten.
Die gleich Problematik zeigt sich im Kanton Aargau: Dort hat der Regierungsrat 2015 die Brandschutzvorgaben für Asyllager gelockert. Namentlich gibt es nun also im Kanton Aargau zwei Brandschutzregimes: Ein strenges für die wertvollen, schützenswerten Menschen und ein gelockertes für geflüchtete Menschen. Begründet wird dies damit, dass es aufwendig und teuer sei, ein Gebäude brandschutztechnisch aufzurüsten, was sich aus Sicht des aargauer Regierungsrates wohl nicht für alle Personengruppen in gleichem Masse lohnt. Der Regierungsrat macht sich nicht einmal die Mühe, uns vorzugaukeln, dass der Schutz der Geflüchteten immer noch gewährleistet ist. Denn im Bericht zur Lockerung der Brandschutzvorschriften in Asyllagern heisst es, dass sie sich bewusst seien, «dass mit diesen Abweichungen das anvisierte Schutzziel im Personenschutz nicht mehr im gleichen Umfang gewährleistet ist“. Ein weiteres trauriges Beispiel von institutionellem Rassismus in der Schweiz.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/in-asylunterkuenften-gelten-weniger-strenge-brandschutzregeln-133802078

Tibeterin wegen Abschiebung fast gestorben
Am 2. Februar 2017 wurde Yangdon Chorasherpa als erste Tibeterin von den schweizer Behörden nach Nepal ausgeschafft (siehe antira-Wochenschau vom 21.9.18). Obwohl die Tibeterin dem Staatssekretariat für Migration (SEM) von Anfang an offengelegt hatte, dass ihr nepalesischer Pass unrechtmässig erworben und sie nicht Nepalesin sei, glaubte ihr das SEM nicht. Obwohl das SEM verpflichtet gewesen wäre, die Identität der Tibeterin zweifelsfrei zu klären, tat es dies nicht und schaffte sie nach Nepal aus. Der grobe Fehler des SEMs hatte katastrophale Folgen für Yangdon: Kaum war sie in Kathmandu gelandet, wurde sie verhaftet und sass neun Monate unter widrigsten Bedingungen im Gefängnis. Sie infizierte sich mit Hepatitis B und wäre in der Haft fast gestorben. Eine befreundete Person konnte zudem in letzter Minute verhindern, dass sie nach China ausgeliefert wurde, wo ihr Umerziehung, Zwangsarbeit und Folter gedroht hätten.
Das SEM denkt aber nicht im Geringsten daran, diese Katastrophe wieder gut zu machen und weigert sich aus „formaljuristen Gründen“, den Fall neu zu prüfen und hat zudem vor einigen Tagen auch Chorasherpas Gesuch um ein humanitäres Visum abgelehnt. Dieses tragische Beispiel zeigt, wie sich die rassistischen schweizer Behörden keinen Dreck um die Schicksale der Menschen scheren.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/ein-fataler-fehler-der-schweizer-behoerden/story/17180006
https://www.derbund.ch/zuerich/region/ausgeschaffte-tibeterin-stirbt-beinahe-in-haft/story/26553973

2. Dezember 2018
Keine Härtefall- und Arbeitsbewilligung allein wegen guter Integration bei rechtskräftiger Wegweisung
Die berner Polizei- und Militärdirektion kam unter Druck, weil hunderte von Leuten brieflich gegen eine Ausschaffung des Eritreers Salomon Berihu interveniert haben. Sie sah sich zu einer langen Medienmitteilung veranlasst, in welcher sie darlegt, wieso sie unbedingt alle Menschen aussschaffen muss, die einen Negativeintscheid kriegen und wieso sie diese vom Arbeiten abhalten muss. Damit ein Härtefallgesuch Chancen auf Erfolg habe, „muss sich die Person in einer persönlichen Notlage befinden. Ihre Lebens- und Daseinsbedingungen müssen gemessen am durchschnittlichen Schicksal ausländischer Staatsangehöriger, namentlich verglichen mit Landsleuten in grundsätzlich ähnlicher Ausgangslage, in gesteigertem Masse in Frage gestellt sein. Bei einem illegalen Aufenthalt oder einem Aufenthalt von unter fünf Jahren ist eine Härtefallgesuch zum Vornherein ausgeschlossen.“ Dass es auch ganz anders geht, zeigt der Kanton St. Gallen: Dieser hat Familien und Einzelpersonen, die für das Härtefallgesuch in Frage kommen, gleich selbst angeschrieben und auf ihre Möglichkeiten aufmerksam gemacht, ein Gesuch einzureichen. Migrationsbehörden haben einen Spielraum – Immer. Wenn sie ihn nicht dazu nutzen, geflüchteten Menschen zu helfen, handeln sie rassistisch und menschenverachtend.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2018/11/20181128_0820_keine_haertefall-undarbeitsbewilligungalleinwegenguterintegratio
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/fassler-das-ist-eine-humanitare-aktion-ld.1074206
https://www.derbund.ch/bern/kanton/kanton-wiegelt-buergerprotest-ab/story/18505684
https://www.sg.ch/news/1/2018/11/haertefall-ueberpruefung-von-amtes-wegen.html

7 Geflüchtete sterben bei Brand eines maroden Hauses in Solothurn
Vier Erwachsene und drei Kinder starben beim Brand des Hauses, in dem sie der Kanton einquartiert hatte. Das Haus war heruntergekommen und systematisch überbelegt. Eine sechsköpfige Familie hauste in zwei Zimmern. Offenbar sind den zuständigen Behörden des Kanton Solothurns die Geflüchteten nicht wichtig genug, um sie in anständigen Wohnungen unterzubringen. Im Echo der Zeit wurde typischerweise nicht erwähnt, dass es sich um geflüchtete Menschen handelt, die dem Brand zum Opfer fielen. Im Gegensatz dazu, wird bei „Straftaten“ quasi durchs Band die Nationalität von vermeintlichen Täter*innen erwähnt.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Opfer-waren-alle-Asylsuchende-17056508