Verschärfungen in der Nothilfe, Anrecht auf Sicherheit, Demo für Bewegungsfreiheit

Was geht ab beim Staat?

Aus Nothilfecamps sollen Nothilfeknäste werden 

Um abgewiesene Personen loszuwerden, sind dem Staat alle Mittel recht. Neu schlägt der Bundesrat vor, dass sechs Stunden Anwesenheitspflicht pro Tag im Nothilfecamp angeordnet werden können. Diese Verschärfung des Ausländer- und Integrationsgesetz ist derzeit in Vernehmlassung. 

Der Bundesrat verspricht, dass die Anwesenheitspflicht „nur für eine bestimmte Zeitdauer pro Tag (maximal sechs Stunden pro Tag) und die maximale Dauer von jeweils einem Monat angeordnet“ werde. Die Anwesenheitspflicht könne angeordnet werden, um Personen mit hoher Sicherheit einem Flughafen für die Ausschaffung, einer Botschaft oder einer Delegation für die Identifikation oder einer Migrationsbehörde für ein Ausreisegespräch zuzuführen. Der Bundesrat behauptet, die Anwesenheitspflicht sei milder als die Administrativhaft, die in den aufgezählten Fällen angeordnet werden könne. Das stimmt nur, wenn die Anwesenheitspflicht nur einmal für einen Monat angewandt wird und nicht – wie es im Kanton Bern schon der Fall ist – zu einem Dauerzustand wird. Wie oft die Massnahme angeordnet werden kann, lässt der Bundesrat offen. 

Hinter der Anwesenheitspflicht steckt in unseren Augen erstens ein Kostenargument: Ein Tag in einer Administrativ-Haftanstalt kostet den Staat mehr als einen Tag in einem Nothilfecamp. Zweitens zeigt sich ein Effizienzgedanke: Obwohl ständig neue Administrativ-Haftplätze geschaffen werden, mangelt es in den Augen der Behörden stets an diesen. Dagegen könnte die freiheitsberaubende Anwesenheitspflicht ständig angeordnet werden, und zwar dort, wo die Betroffenen bereits zu leben haben. Drittens ist es eine Zermürbungstaktik: Vor 20 Jahren wurde das Nothilferegime geschaffen, um abgewiesene Personen durch Isolation, Prekariat und Entrechtung zu zermürben und damit zur Ausreise zu bewegen. Die Rechnung geht oft nicht auf: Trotz dem harten Nothilferegime kehren Menschen nicht in die Länder zurück, die sie verlassen haben. Nun soll die Schraube weiter angezogen werden. 

Angesichts der isolierten Lage vieler Abschiebecamps würde die neue Anwesenheitspflicht praktisch zu einem Freiheitsentzug führen. Dass die Verfassung und die europäischen Menschenrechte für einen Freiheitsentzug einen Haftgrund vorschreiben, den es hier nicht gibt, hat den Bundesrat nicht davon abgehalten, den Vorschlag in Vernehmlassung zu schicken. Obwohl es für Betroffene weitreichende Folgen haben wird, bleiben viele grundsätzliche Fragen offen: Wer ordnet den Freiheitsentzug an? Wann ist von einer Nichteinhaltung die Rede? Wer beurteilt dies? Klar ist nur, dass Personen, die gegen die Anwesenheitspflicht verstossen, in Ausschaffungshaft landet und dass der Angriff grundsätzlich für alle abgewiesenen Personen gilt. Besonders hart wird es einmal mehr vulnerable Personen treffen: Kinder sowie (psychisch oder physisch) erkranke, alte, schwangere Personen. 

https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/85510.pdf
https://www.fluechtlingshilfe.ch/fileadmin/user_upload/Publikationen/Vernehmlassungsantworten/240328_SFH_Vernehmlassungsantwort_AIG.pdf

Was sagen andere?

Bread and Roses oder das Anrecht auf Sicherheit

Rede von Serena Dankwa

Am Donnerstagabend 8. Februar hat ein Geflüchteter (Name unbekannt) im Regionalzug nach Yverdon-les-Bains 13 Passagiere als Geiseln genommen. Handyaufnahmen zeigen einen verwirrten Mann, der mit den Passagieren über die Ungerechtigkeit der Welt zu debattieren versucht. Vier Stunden später wird der Zug erstürmt, der Mann wird von der Polizei erschossen. Die Geiseln bleiben unverletzt.

Am folgenden Tag schreibt SP-Bundesrat Beat Jans : «Mit grosser Betroffenheit habe ich von der Geiselnahme in einem Regionalzug erfahren. Ich habe mit den involvierten Polizeikräften telefoniert und ihnen für ihren Einsatz gedankt. Die Bevölkerung hat ein Anrecht auf Sicherheit. Ich wünsche den Beteiligten und ihren Angehörigen viel Kraft bei der Bewältigung der Erlebnisse.»

Kein Wort zu dem Menschen, der erschossen wurde. Zu sehr scheint dieser Vorfall zu bestätigen, dass geflüchtete Personen eine potenzielle Bedrohung gegen «die Bevölkerung» darstellen. Unter dem Stichwort «Sicherheit» werden Asylgesetze laufend verschärft, Asylcamps isoliert und Repressionsmassnahmen ausgeweitet. Im Gegensatz zum Vorfall am 8. Februar macht aber diese langsame Gewalt, welche Geflüchtete zermürbt und in die Verzweiflung treibt, keine Schlagzeilen.

Wie sicher kann der öffentliche Raum für uns alle sein, wenn die Auswirkungen einer traumatisierenden Flucht komplett ignoriert werden?

Um wessen Anrecht auf Sicherheit handelt es sich hier? Das Asylgesuch des Verstorbenen war noch nicht abschliessend beurteilt worden, doch als Iraner lagen seine Chancen, Schutz zu erhalten, deutlich unter 50%. Trotz der desolaten Menschenrechtssituation, Diskriminierungen, Folter und Hinrichtungen fordert das Staatsekretariat für Migration (SEM) geflüchtete Iraner*innen mehrheitlich dazu auf, die Schweiz zu verlassen. Das «Anrecht auf Sicherheit» ist demnach kein universelles Recht, es ist das Privileg derjenigen mit dem richtigen Pass, dem richtigen sozialen Status, der richtigen Rassifizierung.

Laut RTS-Recherchen wollte der 32-jährige Iraner auf seine Situation als Asylbewerber aufmerksam machen. Wir erfahren zudem, dass er auf der Flucht in die Schweiz mehrmals misshandelt wurde, unter Angststörungen litt, depressiv und suizidal war – ein Therapieplatz wurde ihm nicht zur Verfügung gestellt. Nun soll das SEM den Fall aufarbeiten. Ob dabei auch ein Zusammenhang hergestellt wird, zwischen den Lebensumständen und der Verzweiflungstat?

Wie sicher kann der öffentliche Raum für uns alle sein, wenn die Auswirkungen einer traumatisierenden Flucht, die Unsicherheit von Asylverfahren und die existenzielle Armut und Perspektivlosigkeit der meisten Geflüchteten komplett ignoriert werden? Wenn «Kraft bei der Bewältigung der Erlebnisse» bei Geflüchteten keine Priorität hat? Wenn Menschen am Rande der Gesellschaft verzweifeln und ihren stillen Protesten kein Gehör geschenkt wird?

Wenn über Sicherheit gesprochen wird, dann müssen «alle» mitgedacht werden, sonst bleibt der öffentliche Raum unsicher. Denn mit den gängigen Antworten auf die aktuellen Krisen wird die Welt nicht sicherer: höhere Mauern, längere Grenzzäune, Wegsperrung, Militarisierung, Kriege; Gewalt und Repression machen uns letztlich unsicher. Ich plädiere auf Sicherheit für alle. Zusammen mit dem Migrant Solidarity Netzwerk, welches den Vorfall von Yverdon dokumentiert hat, fordere ich Lebensperspektiven für alle auch für Geflüchtete: Zugang zu psychologischer Unterstützung, Wohnraum, Arbeit, gesellschaftliche Teilhabe, kurz Bread and Roses. Nur so kann der öffentliche Raum sicher werden – für uns alle.
https://journal-b.ch/artikel/bread-and-roses-oder-das-anrecht-auf-sicherheit/

Wo gab es Widerstand? 

Demonstration für Bewegungsfreiheit

Mehrere hundert Personen demonstrierten am Samstag in Bern gegen die tödliche Abschottungspolitik Europas. Insbesondere kritisierten sie die Beteiligung der Schweiz, die diese Politik mit Millionenbeiträgen unterstützt – beispielsweise durch den BMVI-Fonds. Organisiert wurde die Demonstration von der Gruppe Bewegungsfreiheit für alle (Bfa). 

Entlang der Demoroute, die von der Schützenmatte durch die Innenstadt auf den Bundesplatz führte, wurde in verschiedenen Redebeiträgen die europäische Todespolitik und die Schweizer Beteiligung daran verurteilt. Gewalt, Elend und Tod sind an den europäischen Aussengrenzen zum Alltag geworden. Menschen auf der Flucht werden entrechtet, verprügelt und abgeschoben. Seit 1993 sind über 52’760 Menschen beim Versuch nach Europa zu gelangen ums Leben gekommen. Gleichzeitig werden Zäune und Mauern werden immer länger, höher und massiver. Die Schweiz finanziert diese Todespolitik mit.

Die Schweiz beteiligt sich mit 300 Millionen an der europäischen Todespolitik 

Anlass der Demonstration ist unter anderem der Entscheid des Parlaments in der vergangenen Frühjahrssession, sich mit 300 Millionen am BMVI-Fonds zu beteiligen. Die Massnahmen, welche durch den BMVI-Fonds finanziert werden, dienen grösstenteils der Bekämpfung von Migration und der Abschottung Europas.

Aus dem Vorgängerfonds hat sich die kroatische Grenzpolizei eine Hundestaffel gekauft. Polen hat 280 Nachtsichtgeräte finanziert und Bulgarien hat sich 80 Gasanalysatoren gekauft. Nach den Frontex-Millionen fliessen somit erneut 300 Millionen Franken in ein Abschottungskässeli der Schengenstaaten.

Kritik an der Sozialdemokratischen Partei 

Auch das Verhalten der SP Schweiz wurde kritisiert. Im Parlament hat sich die SP für die finanzielle Beteiligung der Schweiz am BMVI-Fonds ausgesprochen. Die SP trägt mit diesem Abstimmungsverhalten die europäische Todespolitik mit. Die Grünen konnten sich einzig zu einer Enthaltung durchringen. Die einzige Gegenstimme kam von der SVP, welche das Geld lieber in die Abschottung an den Schweizer Grenzen investieren will.

«Bleiben die grossen linken Parteien stumm, braucht es umso dringender eine starke Bewegung, die diese rassistische Todespolitik nicht weiter hinnimmt. Es braucht dringend Alternativen zu Sterbenlassen, Abschottung, Polizeibrutalität, Rassismus und Kolonialismus. Auch über die Demo am 30. März hinaus bleiben wir als Bewegungsfreiheit für alle aktiv» – kündigt die Gruppe Bewegungsfreiheit für alle in der Abschlussrede auf dem Bundesplatz an.

Was steht an?

FREE MUMIA – FREE THEM ALL!
Am Mittwoch, 24. April 2024 wird der afroamerikanische Journalist und politische Gefangene Mumia Abu-Jamal 70 Jahre alt. Der Black Panther verbrachte 42(!) Jahre davon in Haft. Aus der Haft heraus kämpft er gegen Rassismus, Ausbeutung und Krieg und veröffentlichte unter anderem elf Bücher. Diese Bücher, Texte und Radiobeiträge sind ein fester Bestandteil der abolitionistischen Bewegung. Weder 29 Jahre Isolationshaft noch Hinrichtungsbefehle haben ihn je davon abgehalten am Ort der aktuellen Sklaverei unter anderem Namen die “Voice of the Voiceless” zu sein.

“Manche sagen, es sei unvernünftig, Widerstand gegen dieses gewalttätige System zu leisten. Ich denke, es ist unvernünftig, das nicht zu tun.” (Mumia Abu-Jamal).

Lasst uns Mumias bisherige Lebensleistung würdigen!
Zusammen gegen Rassismus, Ausbeutung und Krieg!

Mittwoch – 24. April 2024 – 18.00 Uhr
Kundgebung vor der US Botschaft
https://barrikade.info/article/6373

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Schlechte PR ist besser als keine PR
Erst vor wenigen Tagen ist den sogenannten “Aktivist*innen der neuen Rechten” ein neuer Schachzug geglückt. Der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner wurde an einer Veranstaltung der Jungen Tat von der Kantonspolizei Aargau verhaftet. Wer Martin Sellner und die Junge Tat (JT) sind ist bekannt. Die Informationen sind online auf barrikade.info und nazifrei.org verfügbar und es lohnt sich, sich zu informieren. Was auf den ersten Blick wie eine erfreuliche Nachricht wirkt, ist jedoch Teil eines perfiden Plans zur Verbreitung von rechtsextremen, rassistischen Inhalten in die Mitte der Gesellschaft.
https://barrikade.info/article/6365