Bombendrohung gegen BAZ, Asylverfahren in Drittstaaten, Brief an Beat Jans

Was ist neu?

Bombendrohung gegen BAZ auf den Glaubenberg

Vor der Türe des Bundesasylzentrum auf dem Glaubenberg im Kanton Obwalden haben Mitarbeitende am Montagabend (26.02.24) eine schriftliche Bombendrohung gefunden. 

Vom Inhalt der Drohung ist wenig bekannt. Nur, dass 15’000 Franken gefordert wurden. Die rund 240 asylsuchenden Personen und Mitarbeitenden auf dem Glaubenberg wurden anschliessend vollständig evakuiert und die Polizei durchsuchte das Gelände mit Sprengstoffspürhunden. Es wurde kein Sprengstoff gefunden. Im Verlauf des nächsten Tages konnten die asylsuchenden Personen und Mitarbeitenden zurückkehren. 

«Die Asylsuchenden sind mit einem Schrecken davongekommen» schreibt die Online-Zeitung zentralplus. Was nach einer schlechten Floskel klingt, mag insofern wahr sein, als dass asylsuchende Personen in Bundesasylzentren sowieso stetiger Unsicherheit und Angst ausgesetzt sind. Der Angst vor einer jederzeit möglichen Ausschaffung, die Unsicherheit über den Stand des eigenen Asylverfahrens, die Zermürbung durch das Lager-Leben. Diese vom Staat legitimierte und ausgeführte Gewalt schafft für asylsuchende Personen einen Alltag, der Unsicherheit schafft statt Sicherheit bietet, Angst vergrössert, anstatt sie zu nehmen. 

Wer den Brief unterzeichnet und vor dem BAZ deponiert hat, ist nicht bekannt. Unabhängig davon ist klar, dass der Nährboden für weitere Angriffe auf asylsuchende Personen z.B. von rassistischen Wahlkampagnen wie jener der SVP zur «Neuen Normalität» mitgeschaffen wird, oder von einem Bundesrat, der Verschärfung nach Verschärfung in Bundesasylzentren plant sowie von medialer Berichterstattung, die ebendiese Narrative von «Migration als Bedrohung» oft unhinterfragt reproduziert.

https://www.zentralplus.ch/news/bombendrohung-auf-glaubenberg-taeter-wollte-geld-2623848/
 https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-100204.html

Das BAZ auf dem Glaubenberg

Was geht ab beim Staat?

Bundesrat prüft Asylverfahren und Wegweisungen in Drittstaaten

Der Ständerat hat den Bundesrat damit beauftragt, einen Bericht zum Thema Asylverfahren und Wegweisungen in Drittstaaten zu verfassen.

In diesem Bericht soll überprüft werden, ob dieses Vorhaben mit Schweizer und Internationalem Recht vereinbar sei. Das Postulat wurde von Andrea Caroni (FDP/AR) eingerreicht. Laut Beat Jens (Justizminister) soll dieser Bericht nicht bedeuten, dass der Bundesrat Asylverfahren auslagern und Rückführungen ermöglichen möchte. 

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe kritisiert das Vorhaben. Die Auslagerung der Asylverfahren sei rechtlich nicht möglich und verstosse gegen den Sinn des Flüchtlingsschutzes. Die Idee der Externalisierung, die auch in der Schweiz immer wieder aufkommt, verletzt Völkerrecht und internationaler Menschenrechtsnormen, wie beispielsweise dem Non-Refoulement-Prinzip. Dieses besagt, dass Geflüchtete nicht in Länder abgeschoben werden dürfen, in denen ihnen Folter oder unmenschliche Behandlung droht.

Der Nationalrat hat in der Wintersession 2023 einen Vorstoss für ein Pilotprojekt zum Wegweisungsvollzug im Ausland abgelehnt. Gemäss dem Auftrag des Ständerates soll dies erneut geprüft werden werden.

https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/asylverfahren-bundesrat-pruft-wegweisungen-in-drittstaaten-66716902
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2024/20240228123612972194158159038_bsd111.aspx
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/auslagerungen-von-asylverfahren-endlich-klarheit-schaffen
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-100222.html

Andrea Caroni

Was ist aufgefallen?

Todesfälle in Gefängnissen

Während den vergangenen Tagen starben in der Schweiz verschiedene Personen in Haft. 

Am 22. Februar 2024 wurde eine 20-jährige Frau nach einer Nacht in Polizeigewahrsam in der Carl-Vogt-Polizeistation tot aufgefunden. 

Am 23. Februar starb in Orbe ein 73-jähriger Gefängnisinsasse einer Gefängniszelle.

Am 26.02.2024 ist in einer Zelle in Schaffhausen ein Brand ausgebrochen. Bei diesem Brandereignis wurde ein italienisch-algerischer Mann schwer verletzt. 

Am 27. Februar starb ein Marokkaner im Alter von rund 40 Jahren im Gefängnis von Pruntrut im Jura.

Der Staat wäre an sich für das Recht auf Leben in seinen Haftanstalten verantwortlich. Ganz offentlichlich gelingt ihm dies nicht. Besonders bei rassifizierten Personen. 

https://www.nau.ch/news/schweiz/73-jahriger-gefangnisinsasse-stirbt-in-orbe-vd-in-zelle-66715535
https://www.nau.ch/news/polizeimeldungen/marokkaner-wird-tot-in-gefangniszelle-gefunden-66716380
https://www.shpol.ch/CMS/Webseite/Schaffhauser-Polizei-14398304-DE.html
https://renverse.co/infos-locales/article/rassemblement-a-geneve-apres-la-mort-d-une-jeune-femme-dans-un-commissariat-4374

Was nun?

Abolitionismus als Klammer der antirassistischen Bewegung?

Werden in der Schweiz rassifizierte, migrierte, geflüchtete Personen von der Polizei getötet oder ausgeschafft, in Camps oder Gefängnissen isoliert, durch Gesetze entrechtet und diskriminiert, auf dem Arbeitsmarkt ausbeutet, von der Dominanzgesellschaft herabgesetzt und stigmatisiert, reagieren zahlreiche, eher kleine, lokal verankerte und lose vernetzte Gruppen, Communities und Organisationen. Ihre solidarische Praxis subversiert verschiedene Formen der rassistischen Brutalität. Seit der Black Live Matters-Bewegung beziehen sich besonders in der Schweiz grösser werdende Teile dieser Zusammenhänge auf den Abolitionismus. 

Der Abolitionismus geht auf die Befreiungsbewegungen von versklavten Menschen in den USA zurück. Die abolitionistische Befreiungsstrategie besteht zum Einen in der Abschaffung von Gewaltverhältnissen. Alles, was mächtig im Weg steht, tötet, herabsetzt, ausbeutet, entrechtet, diskriminiert, marginalisiert usw. soll so lange geschwächt werden bis es überwunden ist. Zum Anderen geht es im Abolitionismus immer auch um den Aufbau (neuer) emanzipierten Bewegungen, Verbindungen, Strukturen und Communities, in denen kein Abbau von Gewaltverhältnissen nötig ist. Da es gute Gründe gibt, davon auszugehen, dass die Herrschenden, ihre Macht und vor allem ihre Gewalt nicht im Zuge einer Transition aufgeben, denkt der Abolitionismus meist auch den revolutionären Bruch mit den Herrschenden und den Herrschaftsverhältnissen mit. 

Polizei abschaffen statt reformieren. Der abolitionistische Ansatz hat Gruppen radikalisiert, die gegen Polizeirassismus kämpfen. Anstatt Sensibilisierungskurse bzw. mehr Mittel für die Ausbildung der Polizei und transparentere Überwachung von Polizist*innen zu fordern, ist in der Schweiz seit einigen Jahren eine Radikalisierung der Polizeikritik wahrzunehmen. Dies zeigt sich beispielsweise im Prozess rund um den „FALL WILSON A.“. Wilson wurde in der Nacht vom 19. Oktober 2009 Opfer eines Gewaltexzesses von zwei Polizist*innen. Wilson A. überlebte nur mit Glück (https://www.stop-racial-profiling.ch/de/der-fall-wilson-a/). Ein anderes Kollektiv bildete sich nachdem die Polizei am 30. August 2021 in Morges den 37-jährigen Nzoy aus Zürich erschoss. Ein Mord mit eindeutig rassistischem Hintergrund. Auch hier wird kein Blatt vor den Mund genommen, um die Polizei als Institution zu kritisieren (https://justice4nzoy.org/). Eine drittes Beispiel liefert ein Kollektiv, das Helvetzide sichtbar machen und bekämpfen will. Helvetzide sind systematische Todesursachen von rassifizierten Menschen, die in polizeilicher Untersuchungshaft, in Flüchtlingszentren und in Spitälern in der Schweiz stattfinden (vgl. https://www.stop-racial-profiling.ch/de/gerichtsfaelle/helvetzide/). 

Abschiebungen stoppen statt akzeptieren. Die Schweiz ist Europameisterin im Abschieben. Stolz erinnert das Staatssekretariat für Migration (SEM) jährlich daran, dass „die Schweiz weiterhin eines der vollzugsstärksten Länder Europas“ sei. Im vergangenen Jahr wurden 3719 Personen gegen ihren Willen mit Gewalt aus dem Land geschafft. Das sind jeden Tag 10 Personen. Um auf diese Quote vorzuweisen, unterzeichnete das SEM mit verschiedenen Drittstaaten Ausschaffungsdeals. Regelmässig gelingt es der Schweiz, Länder dazu zu bringen, dass sie Rückführungen von Personen automatisch akzeptieren, nachdem sie in der Schweiz abgewiesen wurden. Die Ausschaffungsmaschinerie läuft also eher schneller und effizienter. Der Kampf dagegen wird erschwert, weil der Ausschaffungszeitpunkt von den Behörden unter Verschluss gehalten werden kann. Personen verschwinden, ohne sich verabschieden zu können. Meist verschwinden betroffene Personen zuerst in Ausschaffungshaft. Diese Isolation kann bis zu 18 Monate dauern. Der Vergleich zu Deutschland zeigt die Härte des Schweizer Regimes. Der deutsche Bundestag verschärfte vor kurzem das Rückführungsverbesserungsgesetz und verlängerte den sogenannte „Ausreisegewahrsam” nach langem Ringen und unter Protest von 10 auf 28 Tage – das ist 18 Mal weniger lang als in der Schweiz. 

Der Protest gegen Abschiebungen wurde im vergangenen Jahr stark von der Gruppe #stopdublincroatie geprägt (vgl. https://www.sosf.ch/fr/fr/project/stop-dublin-croatie). In diesem Netzwerk organisierten sich insbesondere Personen, denen eine Dublin-Ausschaffung von der Schweiz nach Kroatien droht. Die Personen hatten Kroatien durchquert, als sie über die Balkanroute nach Europa gelangten. Viele erlebten in Kroatien Folter und unmenschliche Behandlung durch die Polizei. Tausende erlebten einen oder mehrere Pushbacks. Bisher vertritt die offizielle Schweiz den Standpunkt, dass diese Abschiebungen durchzuführen seien. 

Die Kämpfe gegen Abschiebungen waren im vergangenen Jahr zudem geprägt von der Mobilisierung von abgewiesenen Personen aus dem Iran. Seit der Revolution im Iran wird in der Schweiz nach wie mehr als die Hälfte der iranischen Asylsuchenden abgewiesen. Das SEM vertritt den Standpunkt, dass Abschiebungen in den Iran zumutbar und zulässig seinen. Deshalb gehen die Iran-Ausschaffungen bisher weiter. Dagegen kämpft das Kollektiv „Empathie und Einheit“, bestehend aus abgewiesenen Iraner*Innen. 

Solidarische Strukturen aufbauen gegen die Isolation in Asylcamps. Am 20. Dezember 2023 einigten sich die EU-Institutionen und EU-Mitgliedstaatenda über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Die deutsche NGO ProAsyl sprach von der „dystopischen Vision eines Europas der Haftlager“, die nun Realität werde. In der Schweiz ist Dystopie der Lagerpolitik bereits seit 2019 Realität. Damals intensivierten die Behörden ihre Lagerpolitik. Überall im Land wurden riesige Lager für hunderte von Personen in Betrieb genommen. Meist liegen diese an isolierten Orten, nicht selten gar in unterirdischen Bunkeranlagen. In den Lagern herrschen freiheitsbeschränkende Anwesenheitspflichten. Ausgang ist tagsüber meist nur von 9 bis 17 Uhr möglich. Die Führung im Lager ist repressiv, gewährleistet durch private Sicherheitsfirmen. Auch das Betreuungspersonal arbeitet für gewinnorientierte Firmen. In den Lagern herrschen zudem strenge Hausregeln. Es gibt keine oder nur eingeschränkte Kochgelegenheiten. Alle müssen dieselbe Nahrung zu vorgeschrieben Zeiten einnehmen. Die Lager werden von hohen Zaunanlagen umgrenzt. Diese werden von einer ständigen Kameraüberwachung ergänzt. All dies verleiht den Lagern einen Gefängnischarakter, der den im Rahmen der gesamteuropäischen Asylreform angekündigten Lagern an den Aussengrenzen in nichts nachsteht.

Mit dem Ziel die Camps abzuschaffen, gehen aktivistische Netzwerke (vgl. z.B. https://pangeakolektif.org/https://www.facebook.com/Rota.migrant/https://migrant-solidarity-network.ch/https://wo-unrecht-zu-recht-wird.ch/de/https://3rgg.ch) vorwiegend mit der Waffe der Solidarität vor. Die staatlich geschaffene materielle Prekarität wird durch Sachspenden durchbrochen. Auf die soziale Isolation wird mit Besuchsgruppen geantwortet. Die räumliche Isolation wird das Vermitteln von Fahrkarten gemildert und durch versteckte Wohngelegenheiten unterwandert. Missstände werden dokumentiert und dienen als Ausgangspunkt abolitionistischer Forderungen. Diese werden einer breiten Öffentlichkeit zugeführt. Trotz dieser Arbeit gelingt es zunehmend schlecht, innerhalb der Dominanzgesellschaft die Normalisierung von Lagern als Orte für rassifizierte Menschen zu stoppen.

Mit Defund-Forderungen gegen die finanzielle Beteiligung an der Abschottung Europas. Die Schweiz ist als finanzieller Partner bedeutsam für die EU und den gesamten Schengenraum. Lange war dies in der Schweiz nicht allgemeinn bekannt. Zwei Referenden, die der abolitionistischen Defund-Strategie zugeordnet werden können, verändern dies.

Als Schengen-Mitglied finanziert die Schweiz Frontex seit 2009 finanziell und personell. Als vor zwei Jahren der jährliche Beitrag auf 61 Millionen Franken erhöht wurde, lancierten Basisorganisationen ein defund-Referendum, um diesen Beitrag zu verhindern bzw. um Frontex finanziell zu schwächen (vgl. https://frontex-referendum.ch). Der Beitrag der Schweiz an das Gesamtbudget der Frontex macht ca. 5% aus, womit die Schweiz beträchtlich zum gewaltvollen Abschottungsregime der EU beiträgt. Das Referendum scheiterte 2021 zwar an der Urne, doch der Kampf rückte die Verantwortung der Schweiz für Gewalt, Elend und Sterbenlassen an den Aussengrenzen des Schengenraums ins öffentliche Bewusstsein. Mehr Menschen wissen nun: Frontex rettet nicht, sondern ist mitschuldig an der Gewalt an den europäischen Aussengrenzen. 

Die defund-Strategie könnte schon bald zu einem weiteren Referendum gegen die Abschottung an den Aussengrenzen führen. Das Parlament entschloss Ende Februar sich mit weiteren 300 Millionen am Border Management and Visa Policy Instrument (BMVI zu beteiligen. Aus diesem europäischen Fonds werden von 2021 bis 2027 neue Grenzabwehrprojekte der Schengenstaaten finanziert. Was mit dem Geld geschieht, zeigte sich beim Vorgängerfonds, der ebenfalls zum Hauptziel hatte, die „irreguläre Migration” zu bekämpfen. Damals leistete sich Malta ein neues Überwachungsflugzeug, Kroatien kaufte sich eine weitere Hundestaffel, Italien finanzierte sich zwei Hubschrauber, Estland ein Patrouille-Schiff u.s.w. Abolitionistische Aktivist*innen haben sich in der Organisation Bewegungsfreiheit für alle (Bfa) zusammengeschlossen und starten nun den Versuch, erneut ein Referendum mit einer Defund-Strategie zu starten (vgl. bewegungsfreiheit.ch). 

Rassistische Todespolitik beenden. Gewalt, Elend und Tod sind an europäischen Aussengrenzen sowie im Herzen der Festung zum Alltag geworden. Während sich EU-Arbeitskräfte sowie privilegierte Personen mit einem Visum relativ frei bewegen, werden rassifizierte, flüchtende und migrierende Personen durch das Schweizer Migrationsregime blockiert. Für die Kontinuität von Sterbenlassen, Abschottung, Polizeibrutalität sowie rassistischen und kolonialen Verhältnssen sorgt in der Schweiz die ultrarechte SVP. Institutionell stösst sie migrationspolitisch nicht auf radikale Opposition. Im Gegenteil, sie wird von Nutzniesser*innen und Opportunist*innen, die politisch und ökonomisch profitieren, direkt oder indirekt unterstützt. Ob im Abolitionismus das nötige Gegengift gefunden wurde, bleibt offen und zu hoffen. 

Was schreiben andere?

Offener Brief an Herrn Bundesrat Beat Jans
«…und eine Notschlafstelle ist kein Asylzentrum»

von der Freiplatzaktion

Lieber Herr Bundesrat Beat Jans

seit gerade einmal 51 Tagen sind Sie nun im Amt und bereits zum zweiten Mal kündigen Sie Verschärfungen im Asylwesen an. Zunächst sinnieren Sie am WEF über Zwangsausschaffungen in den Irak, dann kündigen Sie eine Palette an möglichen Verschärfungen an, um vermeintlich dringende Probleme im Asylwesen anzugehen. Tamedia zitierte Sie dabei mit den Worten: «Es ist keine linke Politik, bei Problemen wegzuschauen». 

Richtig, es gäbe tatsächlich so vieles anzugehen. Sie könnten sich für einmal der katastrophalen medizinischen Versorgung im schweizerischen Asylwesen widmen. Oder der genauso katastrophalen Situation rund um die Unterbringung. Sie könnten die völlig falsch konzipierte und fehlgeschlagene Notfallorganisation überarbeiten. Oder die Organisation der Loge im Bundesasylzentrum in Basel resp. die Zusammenarbeit des SEM mit der Securitas AG ganz generell überdenken. Wie wäre es, wenn Sie sich dafür einsetzen würden, dass die Asylgesuche aller afghanischen Asylsuchenden behandelt, statt weit über den SEM-eigenen Behandlungszeiträumen liegen gelassen werden? Gegenbenfalls könnten Sie sich auch für die Wiedereinführung der 30-tägigen Beschwerdefristen in den materiellen Asylverfahren einsetzen. Oder Sie setzen eine Task Force zu den Umsetzungsmodalitäten des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ein, und zwar eine, die auch die Interessen der Asylsuchenden mitberücksichtigen könnte. Pick one.

Das sind alles Beispiele von Problemen, die eine ‹linke Politik› angehen könnte. Sie aber verfallen leider in die gleichen Reflexe wie schon Ihre Vorgänger:innen. Sie bedienen die (rechte) Asylmissbrauchsrhetorik, stimmen in den Kanon von Sicherheitsbedenken ein und preisen 24- oder 48-Stundenverfahren sowie weitere Verschärfungen als Heilmittel für Pendenzenabbau an. Und sie erliegen der Verlockung, dabei auf die Gruppe von Personen zu hauen, die ohnehin schon der blanken Verachtung der breiten Öffentlichkeit ausgesetzt ist: junge Männer aus Nordafrika. Diese Politik ist kurzsichtig, sie ist langweilig, weil absolut nicht neu, sie ist anbiedernd an die politische Rechte und sie beschäftigt sich darüber hinaus auch nicht mit Ursachen, sondern maximal mit Symptomen. 

Klar, es ist natürlich verlockend jeweils ein hartes Vorgehen gegen all die vermeintlich aussichtslosen Asylgesuche zu verkünden, um Glaubwürdigkeit und Entschlossenheit zu demonstrieren, gerade zu Amtsbeginn. Ob all diese Gesuche tatsächlich aussichtslos sind… das sei dahingestellt und niemand kann das im Vornherein beurteilen. Was aber klar ist: ob sie diese Gesuche jetzt noch schneller abhandeln wie bisher, hat nicht den von Ihnen propagierten Effekt. Ich nehme nicht an, dass Sie die Betroffenen direkt danach gefragt haben (falls Sie dies möchten, dann wissen Sie ja, wo unsere Beratungsstelle ist), aber Sie denken sicherlich auch nicht ernsthaft, dass die von Ihnen anvisierten jungen Männer aus dem Maghreb nicht wissen, was sie in Europa erwartet und wie es hier um sie bestellt ist. Diese Menschen werden ohnehin und überall wie – pardon – der ‹letzte Dreck› behandelt. Sie kommen nicht mit der Absicht nach Europa, ein Asylgesuch zu stellen, sondern sie versuchen schlicht und einfach, irgendetwas anderes aus ihrem Leben zu machen als gar nichts. Dafür setzen sie sich in Bewegung und beanspruchen letztlich die einzige Möglichkeit des Ankommens, die Europa und das System ‹Europäisches Asylwesen› pro Forma noch zulassen: ein Asylgesuch zu stellen. Natürlich ist das für die Allermeisten der falsche Weg, das wissen alle. Aber solange keine Alternativen bestehen können Sie so hart auf diese Personengruppe schlagen wie sie wollen, es wird in der Breite nie den von ihnen propagierten (abschreckenden) Effekt haben. Diese Feststellung ist mittlerweile so alt und so dermassen banal, dass Sie das auch selber wissen. 

Wenn sie also die Kriminialität, die das Asylwesen beherbergt, reproduziert und neu hervorbringt und das systemfremde Aufprallen im Asylwesen bekämpfen wollen, dann müssen Sie sich mit der Errichtung und dem Aufbau ernst gemeinter Alternativen, die eine Perspektive bieten beschäftigen: alternative Zulassungsmodelle zum Asylwesen, grosszügigere finanzielle Individualunterstützungen, flexible Arbeitsmarktmodelle, eine mögliche Beschneidung der hochqualifizierten Zuwanderung, etc. Sie sehen, es gibt tatsächlich andere ‹linke› Denkansätze, deren Umsetzung bis dato nie ernsthaft überprüft wurde.

Wir halten unsere Erwartungshaltung an neue Amtsträger:innen gemessen an den Erfahrungen der Vergangenheit jeweils tief. Trotzdem sind wir reichlich enttäuscht über Ihre ersten Ankündigungen und Schritte als Bundesrat. Aufgrund Ihrer Historie und Ihrer Personalpolitik haben wir uns mehr erhofft. Aber was nicht ist, kann ja hoffentlich noch werden.

Freundliche Grüsse
Freiplatzaktion Basel

PS: Der Blick titelte mit Ihrer Aussage: «Ein Asylzentrum ist keine Notschlafstelle!». Das gilt auch umgekehrt, mit Verweis auf die Jahr(zehnt)elange Praxis in der Stadt Basel bezüglich der Notschlafstelle, die Ihnen als ehemaliger Regierungspräsident sicherlich bekannt ist.

Verweise:

SRF: https://www.srf.ch/news/schweiz/justizminister-in-chiasso-mit-diesen-massnahmen-will-jans-das-asylsystem-entlasten
Blick: https://www.blick.ch/politik/medienkonferenz-um-13-uhr-jans-will-asylschraube-anziehen-id19452604.html
Tamedia/Der Bund: https://www.derbund.ch/bundesrat-in-chiasso-beat-jans-kuendigt-asylplaene-an-512564809252 

Was steht an?

NEIN ZU RASSISMUS!JA ZUR REGULARISIERUNG!
Samstag, 16. März 2024, 14.00 Uhr, Claraplatz, Basel

NEIN ZU RASSISMUS! – Gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. – GLEICHHEIT UND FREIHEIT FÜR ALLE! – JA ZUR REGULARISIERUNG! – Gegen Grenzen und Polizeikontrollen. – FÜR EINE SOLIDARISCHE WELT! 
https://sans-papiers-basel.ch/nein-zu-rassismus/

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Maassen, Weidel, AfD: Das Netz reicht bis in die Schweiz
Die Verbindung zwischen der radikalen Rechten in Deutschland und in der Schweiz wird enger. Der erbitterte Kampf gegen Migranten, Klimaschützerinnen, Corona-Massnahmen und die «Lügenpresse» eint sie.
https://www.republik.ch/2024/02/27/maassen-weidel-afd-das-netz-reicht-bis-in-die-schweiz

Auswandern wegen Rassismus & Diskriminierung?
https://www.ardaudiothek.de/episode/bbq-der-black-brown-queere-podcast-von-cosmo/auswandern-wegen-rassismus-und-diskriminierung-mit-ferda-ataman/cosmo/13171579/

Der produzierte Notstand: Asylkrise? Welche Asylkrise? 
https://www.woz.ch/!BQVXAP78S1PV