Frontex mit «Schweren Herzen», Fabrice Leggeri mit Ultra-Rechten, Solidarität mit Wilson A.

Was ist neu?

Frankreich: Ex-Frontex-Chef kandidiert für die Ultrarechten

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Fabrice Leggeri, der Ex-Frontex-Chef zeigt sein wahres Gesicht und tritt bei der Europawahl für den ultrarechten Rassemblement National (RN) an.

Obwohl er sich an sein Amt klammerte, musste Leggeri als Frontex-Chef gehen. Die Vorwürfe waren zu gross. Jahrelang hat er die illegalen mörderischen Aktivitäten der Grenzschutzagentur mitverantwortet. Jahrelang hat er die Probleme öffentlich totgeschwiegen. Nun will er die Abschottungspolitik der Schengenstaaten politisch gestalten.

Im Juni wählt die EU ein neues Parlament. Der ultrarechte Rassemblement National wird von Marin LePen angeführt. Gemäss Schätzungen könnten sie an den Wahlen ein gutes Ergebnis erzielen. Der RN steht für eine rassistische Abschottungspolitik. Leggeris Kandidatur würdigte der RN auf X: “Sein Fachwissen und seine Erfahrung werden uns helfen, die Migrationsüberflutung zu bekämpfen, die Frankreich und Europa derzeit erleben”. 

https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-02/frontex-fabrice-leggeri-europawahl-frankreich-marine-le-pen
https://www.spiegel.de/ausland/ex-frontex-chef-leggeri-tritt-fuer-rassemblement-national-zur-europawahl-an-a-10361d6b-3ee3-4644-bcc9-3f5b69242fdb
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Der ehemalige Frontex-Chef: Fabrice Leggeri

Mittelmeer-Update: Verfahren, Festsetzung und Tote

Was in den vergangenen Tagen auf und rund um das Mittelmeer passiert ist: Verfahren gegen Seenotretter*innen der ‚Mare Jonio‘ und der ‚Iuventa‘, Festsetzung der ‚Ocean Viking‘, Bootsunglück vor der Hafenstadt Sfax mit 13 Toten und 27 Vermissten. 

Am Mittwoch, 14.02 wurde in Sizilien ein Prozess gegen die Seenotretter*innen der ‚Mare Jonio‘ eröffnet. Als Zeichen der Solidarität mit den Seenotretter*innen begleiteten Mitglieder des Gewerkschaftsbunds CGIL die angeklagten Seenotretter*innen zum Gericht. Die Crew wurde der ‚Beihilfe zur illegalen Einwanderung‘ angeklagt. Dies, weil sie 2020 vor der Küste Lybiens 27 Menschen auf der Flucht aufgenommen hatten, die zuvor 36 Tage auf einem Schiff der dänischen Reederei Mærsk verweilten. Die Öffentlichkeit ist von dem Prozess ausgeschlossen.

Auch die Deutsche Crew der ‘Iuventa‘ steht in Trapani auf Sizilien vor Gericht wegen ‚Beihilfe zur illegalen Einreise‘. Am Samstag, 10.02, kam es zu einer Wende, da sich die Hauptzeug*innen der Staatsanwaltschaft in diverse Widersprüche verwickelten. Es wurde offensichtlich, dass diese keinerlei Wissen zu Seenotrettung sowie grundlegenden maritimen Verhaltensweisen besitzen. So sollten sie beobachtet haben, wie die Seenotretter*innen mit Schlepper*innen kooperierten, mussten dann im Verhör jedoch zugeben, dass sie sich das nur so vorgestellt hätten. Das Motiv hinter ihren Aussagen war höchstwahrscheinlich ihre politisch rechte Ausrichtung sowie die Perspektive auf Jobs bei der Polizei/Lega Nord. Der Verlust der Glaubwürdigkeit dieser Zeug*innen macht eine Einstellung des Verfahrens wahrscheinlicher. Nach zwei Jahren Verfahren soll nun Ende Februar oder Anfang März der Schlussentscheid gefällt werden, hoffentlich ein Freispruch. Trotzdem zeigt auch dieses Verfahren erneut, wie die Ermittlungen als strategisches Mittel des Staates eingesetzt werden, um Seenotrettung zu verhindern und zu kriminalisieren. 

In Italien wurde das Rettungsschiff Ocean Viking zum dritten Mal seit November festgesetzt, es droht eine Geldstrafe von mehr als 3’000 Euro. Das Rettungsschiff lief am 09.02 im Hafen Brindisi ein, mit 261 geretteten Menschen auf der Flucht an Bord. 

Vor der tunesischen Hafenstadt Sfax sind am Donnerstag 08.02 bei einem Bootsunglück 13 sudanesische flüchtende Menschen ums Leben gekommen, 27 Menschen werden noch vermisst. Zwei Personen wurden geborgen und mit Unterkühlung ins Krankenhaus gebracht. Aufgrund des starken Windes und den tiefen Temperaturen werden die Überlebenschancen der Vermissten als gering eingeschätzt. Seit dem Herbst befinden sich um den Fischerort Al Amra unter katastrophalen Bediungungen rund 16’000 Geflüchtete, vor allem aus Ländern südlich der Sahara. Dies kreiert Spannungen vor Ort: einige Jugendgangs hetzten auf Social Media gegen die Menschen auf der Flucht, Nationalgarde und Polizei vertrieben sie aus Wohnungen und Parks. Daraufhin kam es zu Demonstrationen gegen willkürliche Verhaftungen und Deportationen in die Wüste. Internationalen und lokalen Journalist*innen wird oft verboten, die Situation um Al Amra zu untersuchen oder mit Migrant*innen zu sprechen. Auch Gesuche von Diplomat*innen und Parlamentsabgeordneten für Besuche von Al Amra wurden abgelehnt. Hilfsorganisationen sind nicht vor Ort. Oft sagen Schmuggler*innen bereits bezahlte Überfahrten wieder ab. Aufgrund der katastrophalen Bedingungen rund um Sfax hatte sich die Gruppe sudanesischer Geflüchteter, die in dem Dord Hmaydiya lebten, trotz widriger Wetterverhältnisse selbst auf den Weg gemacht. Laut Zeug*innenaussagen legten sie nahe des Dorfes Jebiniana ab und gerieten bald darauf in Seenot. 

https://www.jungewelt.de/artikel/469381.italien-seenotretter-vor-gericht.html
https://www.woz.ch/taeglich/2024/02/13/anruf-bei-sascha-girke-seenotretter
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179941.iuventa-prozess-seenotretter-demontieren-ex-polizisten.html
https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-02/mittelmeer-italien-rettungsschiff-ocean-viking
https://taz.de/Bootsunglueck-vor-Tunesien/!5991419/

Kriminalisiert wegen der Rettung von Menschen: Die Mare Jonio beim Andocken in Lampedusa (2019)

Ein Bericht zum Fall von Wilson A.

Verhandlung des Falles von Wilson A. durch das Obergericht am 15. Februar 2024. Ein kurzer Abriss des Prozesstages.

Am 19. Oktober 2009 wurde Wilson A. bei einer Polizeikontrolle in Zürich an der Station Wiedikon beinahe zu Tode geprügelt. Der Gruppenführer des Einsatzes wurde vergangenen Donnerstag vor dem Zürcher Obergericht von allen Anklagepunkten freigesprochen und erhält eine Entschädigung von 48’000 Franken plus eine Genugtuung von 5’000 Franken.

Nach mehr als 14 Jahren zähen, retraumatisierenden und erniedrigenden Verhandlungen versammelten sich am 15. Februar beim Stüssibrunnen Wilson A. und eine bemerkenswert grosse Gruppe Solidarischer, mit Aussicht auf eine frustrierende Gerichtsverhandlung. Bei der Versammlung wurden vorab noch einige Worte seitens der Allianz gegen Racial Profiling gesagt, bevor sich die Gruppe Solidarischer gemeinsam zum Gerichtsgebäude begab. Vor diesem waren auffällig viele Polizeiautos geparkt, mind. eines davon komplett besetzt. Die Verhandlung mit Wilson A. als Privatkläger und dem angeklagten Polizisten – Gruppenführer Zumstein – sollte um 10 Uhr vor dem Obergericht in Zürich in der Strafkammer 1 starten. Beim Eingangsbereich gab es einige Verzögerungen durch die systemüberlastende Menge an Zuschauer*innen, die den Öffentlichen Prozess mitzuverfolgen gedenkten, und den nur fünf kontrollierenden Polizist*innen. Dannach erreichte mensch den Raum, in dem zwischen Polizei und Gericht unter Kläger und Angeklagten zu verweilen war. 

Kurz darauf wurde die Türe zum Gerichtssaal geöffnet und mensch konnte eintreten, um im Zuschauer*innenbereich Platz zu nehmen. Der Saal flankiert mit je einer*/m Polizistin*/en. Anwesend waren ebenfalls einige Medienschaffende sowie die offizielle Gerichtsschreiberin und der Gerichtszeichner. Um die Eindrücke auch aus der Perspektive der Klagenden Partei festzuhalten, zeichneten und schrieben ebenfalls zusätzliche solidarische Personen mit.
Vor dem Zuschauer*innenbereich zu unterst sass ganz links Wilson, zu seiner Rechten sein Anwalt und dessen beratende Anwaltsperson, dann der Anwalt des angeklagten Polizieibeamten und ganz rechts der polizeiliche Gruppenführer Zumstein selbst. Vor ihnen erhöht hinter einem Massivholztresen ganz links der Präsident der Strafkammer I. Christian Prinz, der vorsitzende Oberrichter Stefan Volken und der Ersatzrichter Alain Kessler mit der Gerichtsschreiberin ganz rechts.

Der vorsitzende Oberrichter S. Volken startete mit dem Zitat; “Herr A. hatte vor 6 Jahren noch Mühe Schweizerdeutsch zu sprechen. Ich spreche heute aber auf Hochdeutsch, weil Journalist*Innen aus Teilen der Schweiz anwesend sind, die nicht deutsch sprechen”

Anschliessend wurden erwartungsgemäss alle durch Wilsons Anwalt in den Vorfragen gestellten Anträge nach einer halben Stunde Beratungszeit durch die zuständigen Richter abgelehnt. Darauf folgte eine Befragung des Angeklagten Gruppenführer Zumsteins durch den vorsitzenden Oberrichter Stefan Volken, die magerer nicht hätte ausfallen können. Zitat des vorsitzenden Oberrichters während der Befragung des Angeklagten; “Du kannst auch sagen, dass du dich nicht erinnerst…”

Nach einer Mittagspause folgte ein über zweistündiges Plädoyer des Anwalts der klagenden Partei, welches mit Unterbruch einer zehnminütigen Pause vonstatten ging. Laut dem Anwalt des Angeklagten Gruppenführer Zumsteins sei dies, wie er es selbst ausdrückte, sein “seither kürzestes Plädoyer”. Alle Punkte, die im Plädoyer des Anwalts von Zumstein vorkamen und zu einem Freispruch Zumsteins führen sollten, wurden zuvor von Wilsons Anwalt wiederlegt. Wilsons Anwalt zeigte anhand vorliegender Beweise auf, warum es zu einem Schuldspruch kommen sollte. Weiter legte er dar, warum eine Stattgebung seiner in den Vorfragen beantragten Anträge erst recht zu einem Schuldspruch führten und somit für ein Urteil nicht verzichtbar wären.

Die Richter terminierten die Urteilsverkündung auf 18 Uhr am selben Tag. Sie verkündigten das Urteil nach einer zweistündigen Beratung: Der Angeklagte Gruppenführer Zumstein wurde freigesprochen und soll eine Entschädigung von 48’000 Franken sowie einer Genugtuung von 5’000 Franken erhalten.

Im Allgemeinen schien es, als fühlte sich der vorsitzende Oberrichter Stefan Volken durch die hohe Anzahl der dem Klagenden wohlgestimmten Zuschauer*innen provoziert. 

Dies äusserte sich durch die wiederholten emotionalen Mahnungen zum Ausschluss der Öffentlichkeit seinerseits. Diese wurden ausgesprochen als Reaktion auf ein Raunen in den Reihen der Solidarischen, welches auf die erstens einseitigen Frage zur Beinträchtigung des Privatlebens Zumsteins durch die Anklage, zweitens dem Freispruch und drittens der Entschädignung von 48’000 Franken für den Freigesprochenen folgten. Ebenfalls wurde vom vorsitzenden Oberrichter wiederholt betont, dass im Gericht keine politischen Entscheide getroffen werden und jeglich aus “objektiver Position” gehandelt würde. Dies biss sich gewaltig mit seiner Emotionslage beim Aussprechen von den oben genannten Inhalten. Doch diese sichtbare Heraus- bis Überforderung seitens des vorsitzenden Richters, die sich in Emotionalitäten äusserte, liess auch zu hoffen übrig. Zu hoffen, dass er irgendwann verstehen musste. Verstehen musste, dass auch er emotional auf die nicht-neutralen Reaktionen der solidarischen Zuschauer*innen reagierte und somit die gepredigte Neutralität eine Farce darstellte. Doch im hier und jetzt steht ein fehlendes Verständnis der Unmöglichkeit der Neutralität den Richtern beim Hinterfragen der eigenen Haltung im Weg. Ohne das Hinterfragen der möglichen politischen Position können keine Fehler anerkannt werden. Ohne anerkannte Fehler gibt es keinen Handlungsbedarf. Ohne Handlungsbedarf gibt es keine Handlung. Und ohne sofortiges Handeln bleiben etliche BIPoc, die täglich unter strukturellem sowie direktem Rassismus zu leiden haben oder daran sterben.

Die selben Punkte, die im Gerichtssaal zur Unruhe führten, waren auch jene, die von einer Täter-/Opfer Umkehr zeugten. Dies zeigte sich dadurch, dass es in der Gerichtsverhandlung mehr um die Gewalt ging, die dem angeklagten Gruppenführer Zumstein aufgrund seiner Position als Angeklagter wiederfuhr, anstatt von der Gewalt zu sprechen, die 2009 Wilson wiederfahren ist. Als wäre das sich-zu-Wehr-setzen zu bestrafen, weil mensch immer auch selbst Täter*in ist. Zusätzlich zu der in der Polizeikontrolle erlebten Gewalt kamen durch die Gerichtsverhandlung – die schlussendlich ins nichts führte – weitere rassistische Erniedrigungen und massive Gerichtskosten hinzu. Zudem war der Aufwand immens, um selber zu den Beweisen des Geschehens vom 19. Oktober zu gelangen. Dies nicht nur zeittechnisch, sondern auch finanziell. Der Angeklagte Gruppenführer hingegen erhält eine Entschädigung von 48’000 Franken + 5’000 Franken Genugtuung.

Ebenfalls erwähnenswert gilt, dass der vorsitzende Oberrichter Stefan Volken sich dafür einsetzte, dass aufgrunde der durch Zumstein vorgelegten Fahndungsmeldung kein Racial Profiling vorliege. Doch ob der Angeklagte Wilson A. und seinen Freund B. tatsächlich wegen einer Fahndungsmeldung (so ihr bisher gerichtlich anerkannter Grund) kontrollieren liess oder nicht, ist in diesem Zusammenhang eigentlich nicht von Relevanz. Das Fahndungsmeldungssystem ist ebenfalls auf denselben strukturellen Rassismen gebaut. Doch um vor Gericht zu erklären, wie Rassismen oder Klassismen das Fundament des Justizapparates darstellen, hätte wohl die vom vorsitzenden Oberrichrer auf 2 Stunden beschränkte Redezeit Wilsons Anwalt nicht gesprengt. So argumentierte er, dass wenn mensch beweisen könne, dass der Gruppenführer Z. erst Monate nach der Kontrolle Wilsons die Fahndungsmeldung auf dem Intranet der Polizei gefunden hatte, es sich klar um Racial Profiling handle. Eine der Sachen die sich kontrollieren liesse, dessen Anträge dazu jedoch bisher wiederholt abgelehnt wurden. Was wohl auch seine Gründe haben wird.

Trotz allem war stärkend, dass sich viele Betroffene und Solidarische gemeinsam zusammenfanden. Sich austauschen zu können mit Menschen, die eher nicht absprechen, was mensch empfunden hat oder denen mensch solches miteilen könnte und die ihr Handeln eher überdenken würden. Sich nicht durchgehend direkt selbst anzuzweifeln. Ein Gegenüber zu haben, das wirklich zuhört und deinen Schmerz nicht anhand ihres Schmerzes abspricht. Das Wissen, dass Solidarische von Betroffenen rassistischer Gewalt in den vergangenen 14 Jahren mehr wurden.

Touche one Touche all
Fuck neutrality!

Gerechtigkeit für Wilson
Gerechtigkeit für Nzoy
Gerechtigkeit für Hervé
Gerechtigkeit für Lamin
Gerechtigkeit für Mike 
Gerechtigkeit für alle rassifizierten Personen die Gewalt durch die Polizei und die “Justiz” erfahren mussten!
Gerechtigkeit für alle rassifizierten Personen die täglich hinter den Mauern der Festung Europa sterben!
Gerechtigkeit für alle rassifizierten Personen die sich selbst das Leben nehmen, weil sie die rassistische Kackscheisse nicht mehr ertragen wollten!

https://www.tagesanzeiger.ch/fall-wilson-a-am-zuercher-obergericht-als-der-polizist-sagt-das-verfahren-belaste-ihn-raunt-der-ganze-saal-953269403452
https://www.facebook.com/allianzgegenracialprofiling
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/polizisten-stehen-wegen-eskalierter-kontrolle-vor-obergericht?id=12539918

Solidarität mit Wilson A.

Was geht ab beim Staat? 

Schweizer Migrationspolitik: Asylstatistik, Ausschaffung, Auslagerung von Asylverfahren

Das SEM präsentiert in der Asylstatistik 2023 eine Vielzahl von Zahlen: Im Vorjahr haben 30’223 Menschen in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. 5’742 Personen wurden ausgeschafft oder sind «freiwillig» zurückgereist. Dabei gilt es nicht zu vergessen: Dahinter stehen immer Lebensrealitäten von einzelnen Menschen. 

Asylstatistik
Das SEM hat die Asylstatistik für 2023 veröffentlicht: Im Jahr 2023 haben in der Schweiz 30’223 Menschen ein Asylgesuch gestellt. Das sind 23.3 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten Menschen, die ein Asylgesuch stellen, kommen aus Afghanistan (7’934), aus der Türkei (6’822) oder Eritrea (2’309). Gefolgt von Menschen mit einem algerischen Pass (1’810) und marokkanischer Nationalität (1’606). Menschen aus letzteren beiden Ländern erhalten dabei höchst selten einen positiven Entscheid. Nur rund ein Viertel aller asylsuchenden Personen werden als Geflüchtete anerkannt. Rund ein weiteres Viertel werden vorläufig aufgenommen. 

Ausschaffungen
In einer Medienmitteilung teilt das Staatssekretariat für Migration (SEM) mit, dass 2023 5’742 weggewiesene Personen ausgeschafft wurden oder die Schweiz «freiwillig»* verlassen haben – in den Herkunftsstaat oder im Rahmen des Dublin-Abkommens in einen anderen europäischen Staat. Im Vergleich zu 2022 ist dies eine Zunahme von 19,6 Prozent. Das SEM schreibt: «Damit ist die Schweiz weiterhin eines der vollzugsstärksten Länder Europas.»

Die Ausschaffungen und Ausreisen in einen anderen europäischen Staat im Rahmen des Dublin-Abkommens haben im Vergleich zu 2022 um 28,3 Prozent zugenommen. 2023 verzeichnete die Schweiz drei Mal mehr Ausreisen als Einreisen im Rahmen des Dublin-Systems.

Von den 5’742 Personen reisten 35,2 Prozent «freiwillig» aus, 3’719 Personen (64,8 Prozent) wurden ausgeschafft. Die meisten weggewiesenen Personen kehrten nach Algerien zurück – «freiwillig» und zwangsweise (474), in die Türkei (363) und nach Georgien (362). Das SEM schreibt: «Insbesondere mit Algerien und dem Irak konnte das Staatssekretariat für Migration (SEM) die Zusammenarbeit im Rückkehrbereich 2023 stark verbessern; so wurden erstmals einzelne Sonderflüge in diese beiden Staaten für weggewiesene Personen durchgeführt»

Auslagerung von Asylverfahren
Der Bundesrat will einen Bericht zur Möglichkeit von der Auslagerung von Asylverfahren verfassen. In seiner Antwort auf das Postulat von Andreas Caroni (FDP) «Auslegeordnung zu Asylverfahren und Wegweisungsvollzug im Ausland» schreibt der Bundesrat: «Da die Thematik aber in verschiedenen Ländern intensiv diskutiert wird, ist der Bundesrat der Ansicht, dass es angezeigt ist, im Rahmen einer aktuellen Auslegeordnung die jüngeren Bestrebungen und Diskussionen auf europäischer Ebene darzulegen und die Vereinbarkeit mit schweizerischem Recht und den internationalen Verpflichtungen der Schweiz zu prüfen.»

*Eigentlich ist das Wort «freiwillig» hier fehl am Platz: Auf die Personen wird massiv Druck ausgeübt, die Schweiz zu verlassen. Und grundsätzlich ist in einer Situation grosser Perspektivlosigkeit nicht mehr viel an Freiwilligkeit möglich. 

https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/asylstatistik-2023-des-sem?urn=urn:srf:video:3f98a880-a6a4-48f2-a70f-390651bce612

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-100012.html

https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20234490

Was ist aufgefallen?

Steigende Antisemitismus-Meldungen

Die Zahlen sind erschreckend und schreien nach antirassistischen Antworten. Besonders viele Vorfälle wurden seit dem Terrorangriff der Hamas gemeldet. Während der Monatsdurchschnitt bis September bei 42,5 Taten pro Monat lag, wurden ab Oktober mehr als 150 antisemitische Taten pro Monat gezählt. 

Es ist davon auszugehen, dass mehr antisemitische Angriffe stattfanden und gleichzeitig eine höhere Aufmerksamkeit auf Antisemitismus lag. Dies motivierte viele Betroffene sich zu melden. Einen verzerrenden Effekt auf diese Zahlen haben die israelische Regierung und ihre Verbündeten. Um ihre genozidale Gewalt im Gazastreifen durchzusetzen, verschreit die israelische Regierung jede Kritik an ihr als antisemitisch.

Der Anstieg des Antisemitismus steht jedoch auch im direkten Zusammenhang mit dem ständigen Erstarken der ultrarechten und faschistischen Kräfte sowie der schleichenden Verbreitung von rechts-esoterischen Ideologien, die ebenfalls gespickt sind von antisemitischen Elementen.

https://www.tagblatt.ch/schweiz/nach-hamas-terrorangriff-antisemitismus-in-der-romandie-steigt-explosionshaft-an-68-prozent-mehr-vorfaelle-registriert-ld.2580692
https://www.srf.ch/news/schweiz/vorfaelle-2023-antisemitismus-siebenmal-mehr-schwere-taten-in-der-westschweiz
https://www.baerntoday.ch/schweiz/antisemitische-vorfaelle-sind-in-der-westschweiz-um-68-prozent-gestiegen-156252448

Was tut Frontex?

«Schweren Herzens» an libysche Milizen ausgeliefert

Frontex verschickte innerhalb von drei Jahren 2’200 Mails an die sogenannte libysche Küstenwache. Sie beinhalteten die Koordinaten von den Booten Flüchtender in Seenot. Frontex gibt so das (Über-)Leben von Menschen auf der Flucht in die Hände von libyschen Milizen.

Ein neuer Bericht von «Lighthouse Reports» deckt erneut Menschenrechtsverletzungen durch die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex auf. Bereits in vorherigen Berichten legten sie die Zusammenarbeit zwischen Frontex und der sogenannten libyschen Küstenwache offen. Basierend auf diesen Berichten verfasste das «EU Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs (LIBE)» einen Brief an den Frontex-Chef Hans Leijtens. Die Antwort vom Frontex-Chef enthält alle Berichte über schwerwiegende Zwischenfälle im Zusammenhang mit der sogenannten libyschen Küstenwache. Aus diesen geht hervor, dass Frontex über die letzten drei Jahre ganze 2’200 Positionen von Booten flüchtender Menschen mit der sogenannten libyschen Küstenwache geteilt hat. Als «Lighthouse Reports» Frontex mit den Vorwürfen konfrontierte, antwortete diese, dass die Entscheidung, Informationen über Schiffe in Seenot mit der libyschen Rettungsleitstelle und anderen nationalen Leitstellen zu teilen, von ihnen «schweren Herzens» getroffen worden sei.
Frontex versucht ihre Zusammenarbeit mit den libyschen Milizen nicht einmal mehr zu leugnen. Zu klar und zu vielfältig sind die Beweise. So entschied selbst der oberste Gerichtshof Italiens, dass Libyen kein sicherer Hafen ist. Die durch die italienische Küstenwache unterstützten Rückführungen von Flüchtenden nach Libyen sind somit illegal. Nun ist nur zu hoffen, dass mit diesem neuen Urteil die Praxis des tödlichen EU-Grenzregimes und die Deals zwischen Italien und Libyen in Frage gestellt werden.

Die griechische Küstenwache tötet, ganz offiziell
Neben dem Urteil aus Italien gibt es auch Neuigkeiten zu dem Massaker von Pylos. Ein Frontex-eigener Grundrechtsbeauftragter veröffentlichte einen Bericht über das Massaker von Pylos bei dem rund 350 Menschen ihr Leben verloren. Dieser bestätigt, was schon lange klar war: die griechische Küstenwache ergriff am 14.Juni 2023 keine Massnahmen, um das Leben der über 750 Schutzsuchenden auf dem Boot vor Pylos zu sichern. Sie tragen die Verantwortung für den Tod all jener, die am 14. Juni ihr Leben liessen.

Offen und ehrlich
Der ehemalige Frontex-Chef Leggeri outet sich öffentlich als Ultrarechter: Er wird in den Europawahlen als Kandidat für Marine Le Pens Rassemblement National antreten. Frontex gibt «schweren Herzens» ihre Unterstützung der libyschen Milizen zu, die tagtäglich Menschen auf der Flucht foltern, in Lager sperren und versklaven. Frontex-Grundrechtsbeauftragte machen die griechische Küstenwache ganz offiziell verantwortlich für den Tod hunderter Menschen. Das menschenverachtende Grenzregime versteckt sich nicht, es tötet in aller Öffentlichkeit und wird von den erstarkenden Ultrarechten gestützt und gefeiert.

https://www.repubblica.it/cronaca/2024/02/17/news/cassazione_sentenza_condanna_migranti_libia-422153545/
https://www.lighthousereports.com/investigation/2200-frontex-emails-to-libya/

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Frontex-Bericht bestätigt: Griechenland hat mehr als 600 Menschen sterben lassen
Ein Bericht des Grundrechtsbeauftragten von Frontex stellt griechischen Behörden ein vernichtendes Zeugnis aus und bestätigt, dass sie beim Schiffsunglück von Pylos im Juni 2023 keine Maßnahmen ergriffen haben, um die mehr als 750 Schutzsuchenden zu retten. PRO ASYL fordert, dass endlich massive Sanktionen gegen Griechenland eingeleitet werden.
https://www.proasyl.de/news/frontex-bericht-bestaetigt-griechenland-hat-mehr-als-600-menschen-sterben-lassen/