Klimarassismus, Polizeimorde, Frontexausschaffungen

 Was ist neu?

Abstimmung: SVP-Klimaschutz besteht aus Ausreden, Rassismus und Angstmache

Am 18. Juni stimmen die stimmberechtigten Personen in der Schweiz über ein Klimaschutzgesetz ab. Das Gesetz will nichts Wildes: Netto-Null-Emissionen bis 2050 einführen, nachhaltige Technologien fördern und zum Heizungsersatz einladen. Doch der niedrig-dosierte Klimaschutz wird mit einer Grosskampagne der SVP bekämpft.

Bild: Ausreden, um nichts für das Klima zu tun, finden sich nicht nur bei der SVP.

Um den fossilen Kapitalismus zu verteidigen, lässt sich die SVP nicht lumpen und verschickte in alle Haushalte des Landes eine Abstimmungszeitung. In den sogenannten «Energie News» finden sich erstens gewaltige Ausreden und Fake-News, die einladen nichts oder noch weniger für den Klimaschutz zu tun. So heisst es im Leitartikel gross, dass fossile Brennstoffe nicht ein Problem, sondern ein Teil der Lösung seien. Stark auf nachhaltige Energiequellen zu setzen, führe ins Chaos und ineine Versorgungskrise. Mit solchen Aussagen wird von der Notwendigkeit abgelenkt, hier und jetzt mit einer anderen Klimapolitik und einer nachhaltigen Produktionsweise zu beginnen. Eine andere Ausrede: «Die Schweiz ist vorbildlich beim Umweltschutz. Der CO2-Ausstoss pro Kopf wurde um 40% gesenkt.» Hier wird davon abgelenkt, dass heute mehr denn je sofort Taten und nicht weitere Worte gefragt sind. Ebenfalls vorhanden sind Ausreden, die darauf abzielen, die Verantwortung auf andere abzuwälzen: «China produziert an einem Tag gleichviel CO2 wie die Schweiz in einem Jahr», daher mache es ohnehin keinen Sinn, etwas zu unternehmen. «Die Schweiz kann das Klima nicht retten», folgert die SVP. Das Gesetz schwäche – ach wie schlimm – den Wirtschaftsstandort Schweiz, was wiederum andere mit grösserem CO2 -Fussabdruck stärke, die davon profitieren werden.

Nebst Ausreden liefert die SVP Argumente aus ihrem rassistisch-nationalistischen Werkzeugkasten: Das Nein zum Klimagesetz sei ein Nein aus Liebe zur Heimat, zu Landschaften, zu Mensch und Tier: «Man industrialisiert die Landschaft. (…) Es ist absurd, ja. Eine Windturbine im Wald bedroht vor allem Vögel und Fledermäuse. (…) Man verliert wichtige Naherholungsgebiete.» Nachdem sich die SVP als nationale Naturschutzpartei gebärdet, stellt sie ihrer Leser*innenschaft rhetorisch die rassistische Gretchenfrage: «Wollen wir Verhältnisse wie in Afrika?» Afrika wird von der SVP verlemdend als Synonym für «Stromunterbrüche und Strom-Rationierungen» verwendet. Wem Afrika in dieser Angelegenheit etwas zu weit weg liegt, um zu verstehen, wie toll das bedrohte nationale «Wir» im Verhältnis zum minderwertigen gefährlichen «Anderen» sei, erhält im nächsten Artikel eine zweite Chance: «Abschreckendes Beispiel Deutschland. (…) Mit dem Strom-Fressergesetz machen wir die gleichen Fehler wie in Deutschland.» Um die Natur zu schützen und besser zu sein als Afrika und Deutschland bleibt die SVP bei den altbekannten Rezepten und stellt Migrant*innen einmal mehr als Sündenbock dar. Der beste Klimaschutz sei – so die SVP – durch einen verstärkten Grenzschutz zu erreichen: «Die Schweiz hat grosse Fortschritte gemacht bei der Energie-Effizienz. Aber die masslose Zuwanderung macht sämtliche Einsparungen zunichte. (…) Die Zuwanderung verbraucht die gesamte Stromproduktion des KKW Gösgen.» Durch rassistische Grenzkontrollen könnte ein Atomkernkraftwerk eingespart werden, lautet hier ökorassistische Argument.

Der dritte Strang, den die SVP nutzt, um die Menschen für den fossilen Kapitalismus zu gewinnen, spielt mit deren Sorgen als Lohnabhängige und deren Ängste vor sozialem Abstieg. Immer wieder weist die SVP darauf hin, dass die kleinen Leute die grossen Opfer des Klimaschutzes sein werden: «Das Stromfresser-Gesetz verteuert das Wohnen für alle», «Diesel betriebene Traktoren werden verboten. Benzin für die Notstromgruppe auf der Alp ist nicht mehr erlaubt», «Fleisch wird nur noch für Reiche erschwinglich sein» und «Autofahren nur noch für Reiche?». Dass die SVP konsequent die Interessen des Kapitals im weiten Sinne und der Schweizer Kapitalist*innen im engeren Sinne vertritt und immer gegen eine kollektive demokratischer Kontrolle der Wirtschaft und gegen eine Umverteilung des Reichtums ist, bleibt unsichtbar. Den Lohnabhängigen wird paternalistisch nahegelegt, daran zu glaiben, dass wenn es den Chef*innen und der Nation gut gehe, es allen etwas besser geht.

Während die «Energie News» die Gefahr des Klimawandels relativiert, konzentriert sich eine Nebenkampagne der SVP darauf, diese Gefahren zu leugnen. Für die Nebenkampagne verantwortlich ist SVP-Mitglied Kurt Zollinger. Aussagewunsch hier: Klimawandel ist keine Gefahr, sondern eine Chance. Und: Klimawandel ist nicht menschengemacht, sondern natürlich. Um dies zu verklickern, verschickte Zollinger tausende Flyer mit Verschwörungstheorien. Darin steht, die Angst vor der Klimakrise gebe es nur, «weil seit Jahren Panikmache betrieben wird, hauptsächlich von amerikanischen Milliardären, die mit der Angst riesige Geschäfte machen.» Die Milliardäre würden Forschende bezahlen, damit diese den Klimawandel mit Problemen in Verbindung bringen. Wer – wie Zollinger – es ernst meine, kenne «namhafte seriöse Wissenschaftler» die aufzeigen, dass Erderwärmung stattfinde, doch gut sei für «Pflanzenwuchs und die Nahrungsproduktion. Sie stellt überhaupt keine Bedrohung dar. Und CO2 ist der wichtigste Baustein aller Pflanzen.»

Die beiden Kampagnen verkehren Tatsachen und verleugnen Probleme. Angesichts der zerstörerischen Folgen des menschengemachten Klimawandels ist dies ein Hohn für jedes Lebewesen. Dass solche Ausreden und Rassismen dennoch ankommen, hängt wohl mit der privilegierten Position der Schweiz zusammen. Diese bietet vielen die materielle Grundlage, aus der Klimafrage eine Geschmacksfrage zu machen. Die Kampagnen zeigen zudem auf, wie wichtig es für antirassistische Praxis ist, zu Klimafragen nicht zu schweigen. Die Rechten sind in der Lage, die Themen Umwelt-, Natur- und Klimaschutz zu vereinnahmen. Besonders schnell gelingt ihr dies, wenn wir akzeptieren, die globale Klimafrage auf die Nation zu reduzieren (was die Ja-Kampagne leider tut). Dann nämlich verdreht sich Klimaschutz leicht in einen Schutz von Heimat, Wirtschaftsstandort, Landschaft und Volk. Jedes Stärken des Nationalismus macht es unendlich komplexer, die globale Überwindung des (Green-)Capitalism in die Hand zu nehmen. Doch an dieser Aufgabe führt aus ökologischen Gründen wohl wenig vorbei.

https://stromfresser-gesetz-nein.ch
https://www.rettungwerkplatzschweiz.ch
https://klimaschutzgesetz-ja.ch/
https://lafabrique.fr/fascisme-fossile/
https://reporterre.net/Pourquoi-les-energies-fossiles-sont-le-terreau-du-fascisme?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=nl_quotidienne
https://www.oekom.de/beitrag/was-bedeutet-oekofaschismus-382

Ungarn lässt 800 sogenannte «Schmuggler» frei

Mit der Bedingung, Ungarn innerhalb von 72 Stunden zu verlassen, werden hunderte Migrant*innen aus ungarischer Haft entlassen. Die Betreuung der wegen «Menschenschmuggels» verurteilten Personen ist Orbans Regierung zu teuer – für die schlechten Haftbedingungen wurde Ungarn gerügt und zu Strafzahlungen verurteilt. Die Aktion ist ein klares Zeichen, sich von der EU nicht unter Druck setzen zu lassen.

Bild: Die ungarischen Gefängnisse sind überfüllt, die Haftbedingungen schlecht.

Wie auf allen Fluchtrouten nach Europa sind Migrant*innen auf der «Balkanroute» auf Menschen angewiesen, die ihnen über die stark überwachten und gefährlichen Grenzen helfen. Das Stellen eines Asylgesuchs in Europa ist nur im Ankunftsland möglich. Die europäischen Staaten versuchen jedoch alles, um das Ankommen in ihren Ländern zu verhindern. Diese Abschottungspolitik macht die Arbeit von sogenannten Schmuggler*innen erst nötig. Häufig werden auch Migrant*innen selbst wegen der Beilhilfe zur unerlaubten Einreise angeklagt und verurteilt. So sitzen in Ungarn ca. 2’600 ausländische Staatsbürger*innen in Haft, die meisten von ihnen wegen «Schmuggels».

Von den überraschenden Entlassungen betroffen ist eine nicht genau bekannte Zahl an Menschen, zuletzt war von 808 die Rede. Es sind Personen mit Haftstrafen unter fünf Jahren. Von einem Umdenken in der ungarischen Migrationspolitik zeugt dies aber keinesfalls. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Migrant*innen als machtpolitischer Spielball genutzt werden. Nach offizieller Begründung sind die Gefangenen Ungarn zu teuer. «Die Gefängnisse sind überfüllt – und es gibt in Straßburg Prozesse gegen uns – damit wir für diese Strafgefangenen weiter Geld ausgeben sollen. Sie freizulassen ist die richtige Entscheidung, damit wir nicht weiter auf Kosten ungarischer Steuerzahler mehrere hundert Menschenschmuggler mit ungarischer Gefängnisverpflegung durchfüttern», sagte der ungarische Minister Gulyás. Damit reagiert die ungarische Regierung auf die Kritik an den schlechten Haftbedingungen im Land und die von europäischen Gerichten geforderten Strafzahlungen. Ungarn benennt die Kosten für die Unterbringung der sog. “Schmuggler” in den Gefängnissen auf 5 Millionen Euro pro Jahr. Geld, welches sie von der EU zurückfordern – oder eben diese Aufgabe nicht mehr übernehmen.

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ungarn-schlepper-freilassung-100.html
https://www.budapester.hu/ausland/spannungen-wegen-schlepper-freilassungen/
https://unser-mitteleuropa.com/orban-entlaesst-2500-schlepper-in-den-willkommen-westen-eu-fluechtingspoltik-gescheitert/ 

Was ist aufgefallen?

Polizeirassismus: Tod in Gewahrsam und rechte Cancel Culture

Ein Polizeimord in Berlin aus dem Jahr 2018 erhält Aufmerksamkeit. Einer Dozentin, die Rechtsextremismus in der Polizei anprangert, wird gekündigt. Und die Schweizer Polizei veröffentlicht ihren Jahresbericht über Taser- und Schusswaffeneinsätze.

Erst im April veröffentlichte antira.org einen Artikel über den institutionellen Rassismus in der Londoner Polizei, in dem wir auch drei unaufgearbeitete Polizeimorde an BIPoC-Personen in Deutschland alleine im Jahr 2022, sowie den Polizeimord an Nzoy in der Schweiz erwähnten. Ebenfalls im April veröffentlichte antira.org einen Artikel zu Rassismus in der deutschen Polizei. Und jetzt ist noch nicht einmal Juni und wieder kommen neue Fälle ans Licht. Rassismus und Diskriminierung von Menschen in psychischen Ausnahmezuständen durch Polizeibeamt*innen (was im schlimmsten Fall tödlich enden kann) sind eben allgegenwärtig und machen nie Pause. Selbst wenn die deutschen Behörden noch so gerne das Gegenteil behaupten.
So bekommt nun ein Fall aus dem Jahr 2018 mehr Medienaufmerksamkeit, in dem der 36-jährige Aristeidis L. in Berliner Polizeigewahrsam kollabierte und zwei Wochen später im Krankenhaus starb. Er hatte einen Atemstillstand erlitten, nachdem drei Polizeibeamt*innen auf ihm gekniet hatten. Zu diesem Zeitpunkt war er sowohl an Händen als auch an Füssen gefesselt gewesen, er war mit Pfefferspray besprüht worden und ihm war ein „Spuckschutz“ (eine OP-Maske) aufgesetzt worden. Zudem geht aus dem Polizeibericht hervor, dass die Beamt*innen ihn als unter Alkohol- oder Drogeneinfluss eingeschätzt hatten. Und in diesem Fall ist der Einsatz von Pfefferspray immer risikoreich. Zusätzlich hatte er sich mehrfach selbst verletzt, in dem er seinen Kopf gegen die Scheibe des Polizeiwagens geschlagen hatte. Wenn man sich also alle diese Faktoren anschaut, scheint es kein Wunder, dass er letztlich kollabierte. Wie können die Polizeibeamt*innen ihr Verhalten für gerechtfertigt gehalten haben? Und wie kann die Staatsanwaltschaft nur zwei Monate später die Ermittlungen einstellen?

Forderungen nach einer unabhängigen Instanz zum Melden von Polizeigewalt und zur Ermittlung gegen Polizei-Beamt*innen werden leider seit Jahrzehnten ignoriert. Ebenfalls der Aufruf danach, dass Situationen mit Menschen in psychischen Ausnahmezuständen nicht von bewaffneten Polizei-Beamt*innen gehandhabt werden sollten, sondern z.B. von unbewaffneten Krisendienst-Mitarbeitenden, wird kaum erhört. Obwohl das Rufen der Polizei Menschen in psychischen Krisen in tödliche Gefahr bringen kann. Dies wird u.a. in der Recherche von der Zeitschrift CILIP / Bürgerrechte & Polizei deutlich, die tödliche Polizeischüsse seit 1989 dokumentiert, sowie in der Aussage des Kriminologen und Polizeiwissenschaftlers Thomas Feltes: „In drei von vier Todesfällen durch Polizeigewalt sind die Opfer psychisch krank.”

Dass die Institution Polizei genauso daraus entstanden ist, die Reichen zu schützen und die Armen zu bestrafen und zu disziplinieren wird auch an einem weiteren Beispiel in Rorschach deutlich, in dem ein junger Mann (ebenfalls in psychischem Ausnahmezustand) mit einem Taser beschossen wurde, weil er ein Schiff beschädigte. Besitz vor Menschen also.
Im Jahresbericht der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten der Schweiz (KKPKS) ist im Jahr 2022 von 69 Tasereinsätzen die Rede, mit der schönen Formulierung: „Insgesamt mussten die Elektroimpulspistolen 69 Mal ausgelöst werden.“ Als hätten Beamt*innen keine Wahl gehabt, dies zu tun. So wird ihnen selbst in der schriftlichen Berichterstattung die Verantwortung für den Einsatz entzogen.

Schliesslich gibt es noch ein weiteres anschauliches Beispiel dafür, wie der ‚Korpsgeist‘, die Polizei durchzieht und die Augen vor Rassismus in der Polizei nicht nur verschlossen, sondern zugekniffen werden. Nachdem Bahar Aslan, Dozentin für „Interkulturelle Kompetenz“ an der Polizeihochschule in Kaiserslautern in einem Tweet Rechtsextremismus in der Polizei kritisierte, wurde ihr prompt gekündigt. Der »ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden« mache ihr Angst. Ihre Angst dürfte sich durch die rechte Cancel Culture nicht vermindert haben.
Ein Tweet, der Rassismus ‚in den eigenen Reihen‘ anprangert: Kündigung!
Stephan Maninger, Dozent an der Bundespolizeiakademie Lübeck, faselte von „Afrikanisierung und Islamisierung“, hetzte gegen die Ehe für alle, schrieb für die rechte Zeitung „Junge Freiheit“, gründete einen rechtsextremen Verein und hielt Vorträge für Leute aus dem NSU-Umfeld: bis heute Professor an der Bundespolizeiakademie! (Obwohl ihm der Lehrauftrag entzogen wurde, allerdings erst auf Druck von der Landesregierung).

Hier dürfte wohl wieder einmal ein deutlicher Beweis für die Gesinnung der Polizei vorliegen. Bleibt nur noch abzuwarten, wann der nächste Artikel über rassistische Polizeigewalt in der antira-Wochenschau erscheint – wahrscheinlich warten wir nicht allzu lange.

https://taz.de/Tod-im-Polizeigewahrsam/!5684340/
https://taz.de/Tod-im-Polizeigewahrsam/!5933222/
https://taz.de/Rechter-Shitstorm-nach-Kritik-an-Polizei/!5933403/
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173436.rassismus-bahar-aslan-bestraft-fuer-polizeikritik.html 
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-05/bahar-aslan-polizei-dozentin-rassismus-tweet
https://www.kkpks.ch/de/meldungen/sechs-schusswaffeneinsaetze-im-jahr-2022-%E2%80%93-erneuter-rueckgang-bei-einsaetzen-mit-elektroimpulspistolen-291
https://www.watson.ch/schweiz/polizeirapport/793675889-mann-nach-sachbeschaedigungen-auf-schiff-in-rorschach-mit-taser-gestoppt
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173443.grundrechte-report-psychische-und-soziale-krisen-besser-ohne-polizei.html
https://polizeischuesse.cilip.de/?p=1&tags=psych#chronik

Was tut Frontex?

Frontex erweitert eigene Aufgaben in der Organisation von Abschiebungen

In einem Pilotprojekt hat Frontex in den Jahren 2022 und 2023 drei Flüge organisiert, bei denen insgesamt 143 Personen nach Albanien, Nigeria und Bangladesch abgeschoben wurden. Nun will die Agentur in diesem Jahr für vier weitere Abschiebungen die Initiative, Zielplanung und Terminierung übernehmen – Aufgaben, die bisher bei den nationalen Behörden lagen.

Bild: Ausschnitt aus der Präsentation des Direktors des Europäischen Rückführungszentrums auf dem informellen Treffen des Strategischen Ausschusses für Einwanderungs-, Grenz- und Asylfragen (SCIFA), im April 2023.

Die Pläne von Frontex, eine wichtigere Rolle bei Abschiebungen zu übernehmen, wurden bei einer informellen Sitzung des strategischen Ausschusses für Einwanderungs-, Grenz- und Asylfragen des EU-Rates vorgestellt. Zu den neuen Aufgaben gehören unter anderem die Initiative, Ziel und Datum, das Chartern des Flugzeugs, die Kommunikation mit dem Zielland und dem EU-Land, sowie die Bereitstellung von Einsatzleitung und medizinischem Personal.

Die wichtigste Neuerung wird durch den Abschnitt über die Rolle der Mitgliedstaaten in der Präsentation hervorgehoben: “Kein organisierender Mitgliedstaat”. Bisher hat Frontex eher als Vermittler denn als Organisator von Abschiebeflügen fungiert. Für die Gewaltanwendung bei den Abschiebungen sollen die Mitgliedstaaten verantwortlich bleiben. Unklar ist, wie genau das zukünftig organisiert werden soll. Auch will sich Frontex um die Bereitstellung von Menschenrechtsbeobachter*innen an Bord kümmern. Wie gern Frontex bei den Verletzung von Menschenrechten wegschaut, wissen wir leider. Zudem zeigt ein Bericht von Statewatch vom November 2021, dass Frontex damals zwar eine Rekordzahl von Abschiebungen koordiniert hatte, die Zahl der Flüge mit einer Menschenrechtsbeobachter*in an Bord jedoch um 7 % zurückgegangen war. Es ist kritisch zu beobachten, wie Befugnisse der gewalttätigen und Intransparenten Agentur weiter zunehmen.

https://www.statewatch.org/news/2023/may/frontex-takes-the-lead-on-deportations/
https://www.statewatch.org/media/3898/eu-frontex-scifa-presentation-returns-frontex-ro-20-4-23.pdf
 

Was nun?

Referendum gegen die Asylverfahren an der EU-Aussengrenze?

Die EU plant eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Eigentlich könnte das ein hoffnungsvoller Prozess sein mit dem Ziel weniger Gewalt und Sterben an den Grenzen Europas. Aber die EU schlägt eine andere Richtung ein. Die deutsche Bundesregierung hat am 28. April 2023 im Bundestag auf den Vorschlag für «verpflichtende Grenzverfahren» positiv reagiert und Unterstützung signalisiert. Was bedeutet diese Entwicklung für einen antirassistischen Widerstand in Europa und noch konkreter der Schweiz?

Bild: Das Camp Moria auf Lesbos ist ein Laboratorium für das entrechtende “Gemeinsamen Europäischen Asylsystems” (GEAS).

Verpflichtende Grenzverfahren bedeuten konkret, dass obligatorische Schnellverfahren an den Aussengrenzen der EU eingeführt werden sollen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe spricht von einem vorgeschalteten Screening an der EU-Aussengrenze. Dabei wird geprüft, welche Geflüchteten für ein reguläres Asylverfahren überhaupt noch in Frage kommen. Ausschlusskriterien sind z.B. eine tiefe Anerkennungsquote der EU für das Herkunftsland oder der Fluchtweg. Wenn dieser durch ein Land führt, das nach Ermessen der EU als «sicher» eingestuft wird, dann gilt das Asylgesuch als unzulässig. Der Vorschlag der EU-Kommission zum geplanten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) würde die EU-Hotspots per Recht legitimieren. Moria zum Beispiel, das Lager, das 2021 niedergebrannt war und die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zwei Tage danach vor dem EU-Parlament säuselte: «No more Morias». Moria war und ist einer diese Orte für die sogenannt verpflichtenden Grenzverfahren. Oder die so genannten Transitzonen an der ungarischen Grenze. 2015 hat Ungarn diese nicht nur für Flughäfen angelegt, sondern neu definiert als Formen umzäunter, abgeschlossener Lager für geflüchtete Menschen an den Landesgrenzen. Beide Formen bedeuten laut ProAsyl eine faktische Inhaftierung von Menschen und eine massive Einschränkung wenn nicht faktische Abschaffung des Zugangs zu regulären Asylverfahren.

Widerstand kommt von über 50 Organisationen. So fordert ein Appell «keine verpflichtenden Grenzverfahren an den EU-Aussengrenzen», «keine Absenkung der Anforderungen an ‘sichere Drittstaaten’» und «keine Weiterführung des gescheiterten Dublin-Systems». Ein Anfang. GEAS wirft aber auch Fragen auf für die Formen des Widerstands in den einzelnen europäischen Ländern. Wenn geflüchtete Menschen an den europäischen Aussengrenzen entrechtet und inhaftiert werden, ist Widerstand in einzelnen Ländern auch auf diese Entwicklung hin zu organisieren. Was könnte das bedeuten? Eine Vernetzung vor Ort für die Informationen was in den Hotspots und Transitzonen geschieht, wenn Zugang überhaupt erkämpft werden kann, eine Organisation von Widerstand, der fokussiert auf die politischen Entscheidträger*innen und deren Handeln ausserhalb der national organisierten Staaten, eine Mobilisierung auf europaweiter Ebene?

In der Schweiz schauen Parlamentarier*innen und Zuständige Minister*innen interessiert auf die GEAS-Entwicklungen. Von ihrer Seite ist kaum Widerstand gegen die Entrechtung zu erwarten, sie reiben sich wohl eher leise die Hände. Wenn über GESA gesprochen wird, sitzt die offizielle Schweiz als assoziiertes Schengen/Dublin-Mitglied mit beratender Stimme mit am Verhandlungstisch. Und ahnlich wie beim Frontex-Budgetbust müsste die Schweiz einen neuen Vertrag unterschreiben gegen den ein Referendum ergriffen werden könnte. Wäre eine Kampagne wie im Zuge des Referendums gegen Frontex eventuell eine Möglichkeit? Schweizweit, vernetzt aussereuropäisch und europäisch, fokussiert auf die Aussengrenzen aber widerständig vor Ort, wo die Mächtigen sich die Hände reiben?

https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/standpunkt/asylverfahren-an-der-eu-aussengrenze
https://www.rosalux.de/news/id/50439
https://www.proasyl.de/news/30-jahre-asylkompromiss-ein-grundrecht-wird-ausgehoehlt/
https://www.seebruecke.org/aktuelles/kampagnen/stoppt-die-asylverfahren-an-den-eu-aussengrenzen

Wo gabs Widerstand?

Zug: Protestaktion vor Glencore-GV

Letzten Freitag fand in Zug die Generalversammlung des Rohstoffriesen Glencore statt. Rund 50 Personen demonstrierten vor dem Theater Casino, in dem sich die Aktionäre traffen. Darunter auch Vertreter*innen aus Peru des Yupka Solidarity Network. Die Yupka ist eine indigene Gemeinschaft, welche im heutigen Kolumbien und Venezuela lebt. Glencore betreibt in Kolumbien und Peru Minen, welche die Umwelt zerstören und die indigene Bevölkerung vertreiben.
Dabei schreckt Glencore auch nicht davor zurück, wie im Falle Kolumbiens ein ganzes Land zu verklagen, wenn es seine Geschäftsinteressen bedroht sieht. Der Tiefsteuer-Kanton Zug findet an den neokolonialen Praktiken von Glencore aber seit je her keinen Anstoss und hofiert den Konzern, wo es nur geht. Darum richtete sich der Protest auch gegen die geplante Umsetzung der OECD-Mindeststeuer, mit welcher das Geld wieder zu Rohstoffkonzernen wie Glencore zurückfliessen würde.

https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/baar-junge-alternative-zug-und-alternative-die-gruenen-zug-demonstrieren-fuer-klimagerechtigkeit-und-faire-konzernsteuern-ld.2464087
https://www.woz.ch/2205/glencore-vs-kolumbien/die-moderne-sage-vom-arroyo-bruno
https://twitter.com/luzian_franzini/status/1662075079495131138

Was steht an?

Lausanne: Demonstration «Justice for Mike»

03.06.23 I 15:00 I Lausanne, Pl. de la Riponne
Im Februar 2018 tötete die Lausanner Stadtpolizei Mike Ben Peter auf brutalste Weise, nachdem sie ihn durch Racial Profiling anvisiert hatten. Nun, 5 Jahre später, stehen sechs Polizisten wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Der Prozess soll vom 12. bis 14. Juni 2023 stattfinden.
Warum am 3. Juni auf die Strasse gehen? Die seltenen Verurteilungen von Polizist*innen sind Teil der Legitimierung von Polizeigewalt. Wir müssen öffentlich Druck machen, damit der Polizei politisch nicht wieder einmal Immunität gewährt wird. Wir müssen Mikes Namen rufen, damit wir lauter sind als die Lügen der mordenden Polizei! Kämpfen wir gemeinsam gegen rassistische Polizeibrutalität! Kommt mit euren Freund*innen, gehen wir gemeinsam hin!
https://barrikade.info/event/1973

Lesens-/ Hörens-/ Sehenswert

Der Raiffeisen-Gründer und die «Judenfrage»
2005 gestaltete die Künstlerin Pipilotti Rist in St. Gallen den Raiffeisenplatz. Jetzt fordert sie mit jüdischen Persönlichkeiten sowie Historikern und Politikern eine Umbenennung. Denn heute weiss man: Namensgeber Friedrich Wilhelm Raiffeisen war ein notorischer Antisemit.
https://www.republik.ch/2023/05/26/der-raiffeisen-gruender-und-die-judenfrage

Wer hat Angst vor multikulturellen Kinderbüchern?
Ein Blick in die USA zeigt, dass die Warnung vor linker Cancel Culture und Wokeism in Wirklichkeit eine massive Verbotswelle von Kinder- und Jugendbüchern vorbereitet hat, die über Rassismus und Sexismus aufklären. Philip Nel über Geschichte und Aktualität des konservativen Zensureifers.
https://geschichtedergegenwart.ch/wer-hat-angst-vor-multikulturellen-kinderbuechern/

Extrem rechts – Der Hass-Händler und der Staat
Ein Rechtsextremist, hunderte Ermittlungsverfahren, kaum Urteile. Betroffene verzweifeln. Der ARD-Podcast “Extrem rechts” fragt: Kann es sein, dass der Rechtsstaat bei Extremisten wie Sven Liebich an seine Grenzen stößt?
https://www.ardaudiothek.de/sendung/extrem-rechts-der-hass-haendler-und-der-staat/12693367/