antira-Wochenschau: Statuen weg, Seenotrettungsschiffe blockiert, #BlackLivesMatter

BIld: Gestürzte Kolumbus-Statue in St. Paul Minnesota

Rückblick auf eine Woche voller Rassismus: Bundesverkehrsministerium blockiert Seenotrettungsschiffe durch Gesetzesänderung | Neonazis sprengen die Wohnung einer Aktivistin | Über 50 Menschen ertrinken vor Tunesien | 311 negative Asylentscheide und157 Nichteintretensentscheide in nur einem Monat | Kriegsgeschäfteinitiative und Konzernverantwortungsinitiative kommen im Herbst zur Abstimmung | Anhaltende rassistische Polizeigewalt – in den USA und überall | Drei weisse Menschen sprechen für Schwarze Menschen: SRF-Arena | Robert Dubler | Defund Police – Die Polizei wegsparen | Statuen von Rassist*innen entfernen | Petition um Ausschaffung von Arezu Eljasi zu stoppen | Mehr Critical Whiteness Gruppen | Anhaltende antirassistische Proteste in den USA | Riesige, kraftvolle Proteste gegen Rassismus auch in der Schweiz | Geflüchtete klagen in Tunis gegen willkürliche Inhaftierung

Die antira-Wochenschau gibt es auch als Podcast.

Bundesverkehrsministerium blockiert Seenotrettungsschiffe durch Gesetzesänderung
Aus dem Ministerium von Andres Scheuer kommt die Gesetzesänderung: Rettungsschiffe, die nicht für „Sport- und Erholungszwecke“ eingesetzt werden, benötigen Sicherheitszeugnisse. Sie müssen damit hinsichtlich Bauweise, Ausrüstung und Besatzung der Schiffe Sicherheitsanforderungen wie Berufsschiffe erfüllen, denen sie nicht ohne Weiteres nachkommen können. Grund für die Änderung scheint der klare politische Wille zur Blockierung privater Seenotrettung zu sein. Im vergangenen Jahr versuchte das Verkehrsministerium schon einmal, die Mare Liberum, die Menschenrechtsmonitoring in der Ägais betreibt, am Auslaufen zu hindern. Weil das Boot nicht für „Sport- und Freizeitzwecke“ eingesetzt werde, brauche es ein Schiffssicherheitszeugnis, hiess es schon damals. Sicherheitszeignisse waren für Schiffe zu beruflichen Zwecken erforderlich, nicht aber für Boote zu »Sport- und Freizeitzwecken«. Die Mare Liberum gewann den Rechtsstreit . Das Gericht befand, die Überwachung von Menschenrechten fiele durchaus unter den „Sport- und Freizeitzweck“. Nun heisst es in der neuen Verordnung ausdrücklich, dass Yachten oder Kleinfahrzeuge, die „im Bereich des Umweltschutzes, der Seenotrettung, inklusive Beobachtungsmissionen, oder anderer humanitärer Zwecke“ eingesetzt sind, auch ein Schiffsicherheitszeugnis vorweisen müssen. Ausgenommen sind neu nur noch Schiffe, die „Sport- und Erholungszwecken“ dienen. Alle deutschen Seenotrettungsorganisationen halten die neue Verordnung für eine Massnahme zur Verhinderung ihrer Arbeit. Die Vereine Mare Liberum, Mission Lifeline und Resqship, die auf dem Mittelmeer Seenotrettungs- und Monitoringarbeit machen, wurden von der zuständigen Berufsgenossenschaft im März über die rechtlichen Änderungen aus dem Verkehrsministerium informiert, die den Einsatz ihrer Boote blockiert und sie praktisch stilllegt. Im Schreiben wurden sie auch gleich über die drohenden Bussgelder von bis zu 100.000 € bei Nichteinhaltung informiert. Während es bisher zu keinem einzigen Unfall auf einem Rettungsschiff kam, der die höheren Sicherheitsanforderungen rechtfertigen könnte und 2020 nach offiziellen Zahlen täglich zwei Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken sind, ändert Deutschland Gesetze unter dem scheinheiligen Vorwand, sich um die Sicherheit der Crew zu sorgen. Wie zynisch ist es, Menschen lieber ohne Hilfe auf dem Mittelmeer sich selbst zu überlassen und  mit Sicherheitsbedenken an Bord eines Rettungsschiffes zu argumentieren.
Ähnliche Gesetzesänderungen gab es bereits in den Niederlanden (damals betroffen der Verein Sea Watch) und in Italien, wo die Aita Mari und die Alan Kurdi aktuell wegen angeblicher Sicherheitsmängel den Hafen nicht verlassen dürfen. Die europäischen Staaten wahren heute nicht einmal mehr den Schein, für Menschenrechte einzustehen. Der Schritt von unterlassener Hilfeleistung hin zu aktiver staatlicher Verhinderung der Seenotrettung durch die deutsche Bundesregierung ist getan.
https://www.freitag.de/autoren/wulf99/angriff-auf-die-seenotrettung
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137691.seenotrettung-bundesregierung-blockiert-seenotretter.html
https://www.resqship.org/schiffssicherheitsverordnung
https://ffm-online.org/bundesverkehrsministerium-verhindert-seenotrettung/
https://verfassungsblog.de/hypocritical-and-illegitimate/

Neonazis sprengen die Wohnung einer Aktivistin
Rechtsextreme haben im niedersächsischen Einbeck einen Sprengstoffanschlag auf die Wohnung einer linken Aktivistin verübt. Die Aktivistin ist schon vor mehreren Monaten von Neonazis bedroht worden, wie auch mindestens zehn andere Aktivist*innen der Kleinstadt, welche die Beratungsstelle für Rechtsextremismus in jüngster Zeit aufgesucht haben. Die Einbecker Neonaziszene ist seit langem bekannt und Aktivist*innen haben wiederholt vor der eskalierenden Gewalt gewarnt. Wie das Offene Antifaschistische Treffen Einbeck erklärt, nahmen jedoch weder die Stadt, die Polizei, die Stadtverwaltung noch die Bürger*innen jene Mahnungen ernst und stellten rechtsextreme Gewalt lediglich als das Resultat eines Aufschaukelns von rechts und links dar. An der Wohnung verrichteten die Neonazis einen erheblichen Sachschaden. Bei dem Anschlag verletzte sich einer der Täter und blutete an der Hand, was die Polizei ein paar Stunden später zu ihm führte.
https://taz.de/Rechter-Terror-in-Niedersachsen/!5692270/
Diese Woche wurden ausserdem zwei Recherchen zu Nazinetzwerken veröffentlicht. Eine zur Prepperszene in Sachsen-Anhalt: https://lsa-rechtsaussen.net/sieg-heil-herr-hauptmann-rechte-prepper-in-der-bundeswehr/ und eine zur rechtsradikalen »Russische imperiale Bewegung«, die deutsche Neonazis trainiert: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137629.russische-imperiale-bewegung-nationalistische-internationale.html

Über 50 Menschen ertrinken vor Tunesien

Vor Tunesien ist ein Boot mit mutmasslich 53 Personen gekentert. Ein Fischer*innenboot stiess auf das Schiffswrack. Die lebensgefährlichen Überfahrten haben im Vergleich zum Vorjahr um 150% zugenommen. Denn welche Möglichkeiten haben Menschen auf der Flucht, ausser zu versuchen, Europa über das Mittelmeer zu erreichen? Über 50 Prozent der Geflüchteten in Tunesien verloren in der Covid-19-Krise ihren Job. Aussicht auf eine Regularisierung haben sie in dem Land, das kein Asylgesetz hat, sowieso nicht. Offiziell gibt es noch Resettlement-Programme, in denen sich Staaten bereit erklären, direkt Menschen aus Tunesien aufzunehmen. Grosszügige Zahlen werden hier jährlich versprochen. Verlassen haben das Land auf diesem Weg im Jahr 2018 elf Personen, bis September 2019 fünf.
Es bleibt der Weg über das Meer. Meist in überfüllten, nicht seetauglichen Booten. Gleichzeitig gibt es derzeit kaum Seenotrettungsstrukturen. Die offizielle Mittelmeermission Irini soll aus Gebieten abgezogen werden, wenn es dort verstärkt zu Rettungseinsätzen kommt. Die EU hat die Seenotrettung komplett eingestellt und kriminalisiert private Seenotrettung. Die zivilen Seenotrettungsschiffe Aita Mari und Alan Kurdi liegen in Italien an der Kette. Schiffe von Resqship und Mission Lifeline werden von einer Gesetzesänderung im Flaggenstaat Deutschland blockiert. Nach Wochen ohne ein einziges ziviles Rettungsschiff auf dem zentralen Mittelmeer konnten zuletzt die Mare Ionio, die Astral und die Sea Watch 3 wieder auslaufen. So sind Menschen, die übers Mittelmeer fliehen, meist allein ihrem Schicksal überlassen. Seit Beginn des Jahres sind im zentralen Mittelmeer bereits hunderte Menschen auf hoher See gestorben. Jeder einzelne Todesfall ist ein Resultat der brutalen und mörderischen europäischen Abschottungsstrategie.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135606.fluechtlinge-und-corona-das-corona-logbuch-tote-bei-bootsunglueck-vor-tunesischer-kueste-bundesregierung-blockiert-seenotretter.html
https://www.theguardian.com/world/2020/jun/11/at-least-35-people-dead-as-migrant-boat-sinks-off-tunisia
http://reporting.unhcr.org/tunisia
https://reliefweb.int/report/tunisia/unhcr-tunisia-operational-update-31-october-2019
https://www.evangelisch.de/inhalte/171178/10-06-2020/un-organisation-verlangt-staatliche-seenotrettung-im-mittelmeer?fbclid=IwAR1zKchZTHpsl3Y1Pxg-p_Sm18MRS9PPqsnkc3BYTRmsioS3dkLKg4gcg74


Was geht ab beim Staat?

311 negative Asylentscheide und157 Nichteintretensentscheide in nur einem Monat
Negative Asylentscheide geschehen hinter verschlossenen Türen. Sie sind kaum sichtbar, aber sie sind Ausdruck eines Systems voller Gewalt und haben immense Auswirkungen für betroffene Personen. Darum ist es wichtig, sich diese Zahlen und Entscheide immer wieder zu vergegenwärtigen. Ein negativer Asylentscheid soll nicht einfach eine Zahl in einer Statistik bleiben. Er soll als das dargestellt werden, was er ist – nämlich ein gewaltvoller Entscheid, einem Menschen ein Leben in der Schweiz zu verbieten, einen Menschen zu einem «illegalen Menschen» zu erklären, einen Menschen unter Umständen in die völlige Perspektivlosigkeit zu drängen.
Im Mai 2020 wurden in der Schweiz 311 negative Asylentscheide und157 Nichteintretensentscheide gefällt. Den schweizer Migrationsbehörden ist offensichtlich egal, dass viele dieser Menschen aus Staaten fliehen, in denen mörderische Konflikte toben undTötungen, Folter, Entführungen, sexualisierte Gewalt und massenhafte Vertreibungen an der Tagesordnung liegen. Besonders mörderische Konflikte wüten im Moment in der Demokratischen Republik Kongo, in Kamerun, Nigeria, Somalia, Sudan, Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik, Äthiopien, Burkina Faso, Mosambik, dem Tschad und vielen weiteren Orten. Menschen, die aus diesen Staaten fliehen, erhalten in der Schweiz nicht per se ein Bleiberecht. Asyl erhielt im Monat Mai dieses Jahres im Durchschnitt nur jede 7. Person aus den genannten Staaten. Die anderen erhalten eine negative Antwort, weil die SEM-Mitarbeiter*innen ihnen nicht glauben oder ihre Fluchtgründe nicht anerkennen. Vermutlich aus Angst vor einer Abschiebung oder um dem zermürbenden Leben im Abschiebecamp zu entgehen, tauchten im Mai insgesamt 178 Menschen unter und sind nun gezwungen, ein Leben in der Illegalität zu führen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79404.html

Kriegsgeschäfteinitiative und Konzernverantwortungsinitiative kommen im Herbst zur Abstimmung
Nach dem Nationalrat lehnte auch der Ständerat die Kriegsgeschäfte-Initiative ohne Gegenvorschlag ab und „verpasst damit die Chance, aus dem Geschäft mit Krieg und Tod auszusteigen“, wie es in der Mitteilung der Initiant*innen heisst. Die Initiative fordert, dass Nationalbank, Stiftungen und Einrichtungen der staatlichen und beruflichen Vorsorge keine Unternehmen mehr finanzieren dürfen, die mehr als fünf Prozent ihres Umsatzes mit der Herstellung von Kriegsmaterial erwirtschaften. Eine Forderung, die den wirtschaftlichen Interessen der offiziellen Schweiz klar entgegen steht. So heisst es dann auch in der Ablehnung des Ständerats: Das Finanzierungsverbot sei kaum umsetzbar, der Begriff Kriegsmaterialproduzent ohnehin unklar und die Limite von fünf Prozent willkürlich. Die Initiative würde die staatliche Vorsorge, den Schweizer Industriestandort und den Finanzplatz schwächen; die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank würde Schaden nehmen. Die Schweiz als einer der weltweit wichtigsten Finanzplätze könnte dabei durchaus einen  Einfluss auf die Finanzlage der Rüstungsindustrie haben. Über 70 Millionen Menschen sind heute auf der Flucht – viele von ihnen flüchten vor aktuellen Kriegen oder infolge vergangener Konflikte. Wenngleich Kriege und bewaffnete Konflikte vielfältige Ursachen haben, hängen Ausmass und Intensität der entstehenden Gewalt massgeblich von den vorhandenen Kriegsmaterialien wie Waffen und Munition ab, die den Kriegsparteien zur Verfügung stehen. Die Kriegsgeschäfteinitiative kommt nun zur Volksabstimmung.
So auch die Konzernverantwortungsinitiative: Konzerne mit Sitz in der Schweiz sollen bei ihren Geschäften sicherstellen, dass sie die Menschenrechte respektieren und Umweltstandards einhalten. Und bei Verstössen haften. Ein Angriff auf den Kapitalismus. Der Gegenvorschlag verlangt so auch lediglich eine Berichterstattung der Konzerne. Es sind teure Gegenkampagnen zu erwarten. Und aus Sicht der Gegner*innen nötig: aktuell würden 78% der Stimmberechtigten die Initiative annehmen.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/bundesversammlung-lehnt-waffenfinanzierungs-verbot-ab-65720863
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/parlament-will-gegenvorschlag-zu-konzernverantwortungsinitiative-65720839


Was ist aufgefallen?

Anhaltende rassistische Polizeigewalt – in den USA und überall

Es werden momentan zwei weitere Polizeimorde in den USA untersucht. In Atlanta, Georgia, wurde letzte Woche der Schwarze Rayshard Brooks von dem weissen Polizeibeamten Garrett Rolfe erschossen. Brooks hatte auf einem Parkplatz vor einem Restaurant der Fast Food-Kette Wendy’s in seinem Auto geschlafen. Vierzig Minuten bevor die tödlichen Schüsse fallen, klopft der weisse Polizeibeamte Devin Brosnan an Brooks Autofenster. Es folgen eine lange Diskussion und ein Promille-Test. Die Beamten wollen Brooks festnehmen. Brooks wehrt sich. Er reisst einen Taser der Beamten an sich und rennt weg. Sofort eröffnet Rolfe das Feuer und gibt drei Schüsse ab. Brooks erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen. Wie könnte Rolfe den Mord rechtfertigen? Etwa damit, dass Brooks betrunken war und sich gegen seine Verhaftung wehrte? L. Chris Stewart, ein Anwalt der Familie Brooks, drückt es folgendermassen aus: “You can’t have it both ways in law enforcement: You can’t say a Taser is a nonlethal weapon … but when an African American grabs it and runs with it, now it’s some kind of deadly, lethal weapon that calls for you to unload on somebody.” (dt. „Bei der Strafverfolgung kann man nicht beides haben: Man kann nicht sagen, dass ein Taser eine nicht-tödliche Waffe ist … aber wenn eine schwarze Person ihn sich schnappt und mit ihm wegrennt, dann ist der Taser plötzlich eine Art tödliche Waffe, die einen dazu zwingt, auf jemanden zu schiessen.“) Rolfe wurde mittlerweile gefeuert.
Der zweite Fall ereignete sich im März dieses Jahres, als der Schwarze Manuel Ellis in Tacoma, Washington, während seiner Verhaftung getötet wurde. Die Todesursache lautet Atemstillstand nach physischer Gewalteinwirkung. Der Fall weist Parallelen zum Totschlag an George Floyd auf, denn auch Ellis hatte vor seinem Tod mehrmals vergeblich gesagt: „Ich kann nicht atmen, Sir.“ Die Ermittlungen diesbezüglich wurden nun vom Gouverneur wieder aufgenommen. Die vier Polizeibeamten, die an seiner Verhaftung beteiligt waren, sind vorläufig suspendiert.
Auch im deutschsprachigen Raum kommt es weiterhin zu rassistischer Polizeigewalt. Einige Beispiele: In Zürich im Hauptbahnhof wurde letzte Woche ein vierzehnjähriger Schwarzer Junge von mehreren weissen Sicherheitsbeamten zu Boden gedrückt. Einer der Beamten hält den Jugendlichen im Würgegriff. Ein Video aus Hamburg aus dem Jahr 2019 zeigt, wie drei weisse Polizeibeamte minutenlang auf einem Schwarzen Mann knien. Er ruft mehrere Male: „Ihr werdet mich umbringen!“ Und selbst während der Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt in Berlin und Hamburg wurden knapp hundert Schwarze Menschen willkürlich und brutal festgenommen. Vier weisse Polizeibeamte knieten minutenlang auf einem 19-Jährigen. Zwei junge Schwarze Frauen wurden aufgrund ihrer Plakate festgenommen, während ihre daneben stehende weisse Freundin ignoriert wurde. Ein Schwarzer Mann wurde von weissen Polizeibeamt*innen gegen eine Bushaltestelle geschleudert und ihm daraufhin stundenlang medizinische Versorgung verweigert. Eine Schwarze Augenzeugin von der Demo in Berlin lässt vermelden, dass mit weissen Menschen weniger hart umgegangen wurde, Schwarze Menschen jedoch sofort verhaftet wurden. Der weisse Polizeipräsident wies allerdings jede Kritik zurück und die Polizeigewerkschaften und der weisse CDU-Abgeordnete Thomas Strobl liessen verlauten: „Strukturellen Rassismus gibt es bei unserer Polizei nicht.“ Und diese Aussage wird getroffen, während das Rechercheprojekt „Death in Custody“ 159 Todesfälle von Schwarzen Menschen und Menschen of Color in Gewahrsamssituationen in Deutschland seit 1990 verzeichnet. Diese Ignoranz ist erschreckend. Viele der oben erwähnten Gewalttaten wurden von der Polizei damit gerechtfertigt, dass Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen geleistet oder eine Amtshandlung behindert worden sei. Aber die Frage lautet doch: Warum solltest du bei deiner eigenen Verhaftung kooperieren? Es ist verstörend, dass die Gewaltverteilung so aufgebaut ist, dass eine zivile Person gegen eine Verhaftung nicht vorgehen kann. Wenn du nichts tust, wirst du einfach festgenommen und wenn dich wehrst, wird nur noch härter gegen dich vorgegangen. Ein Gedankenexperiment: Wenn mehrere Personen ohne Uniform auf dir knien und dich zu Boden drücken würden, wäre es selbstverständlich, dich zu wehren. Sobald die Staatsmacht dir das Knie in den Nacken setzt, dir die Luft abschnürt, dir den Arm verrenkt, dich bewegungsunfähig macht, dich in Gewahrsam nimmt, also dich deiner Freiheit beraubt, gilt es als gerechtfertigt? Und sobald du Widerstand gegen diese Gewaltanwendung leistest, bist du auf einmal der Störenfried? Im Umgang mit rassistischer Polizeigewalt muss es auch darum gehen, den gesamten Polizeiapparat zu hinterfragen.
https://apnews.com/e5741e6b7d1a3c9be991201d21b90e13?utm_source=Twitter&utm_campaign=SocialFlow&utm_medium=AP
https://www.20min.ch/story/festnahme-von-dunkelhaeutigem-14-im-hb-geht-viral-755773473086
https://www.kapo.zh.ch/internet/sicherheitsdirektion/kapo/de/aktuell/medienmitteilungen/2020_06/2006071h.html
https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Du-wirst-mich-umbringen-Rassismus-Vorwurf-gegen-Polizei,rassismus184.html
https://www.jungewelt.de/artikel/380127.repression-in-berlin-rassismus-hautnah.html
https://www.tagesschau.de/ausland/usa-polizeigewalt-105.html
https://www.spiegel.de/politik/ausland/usa-nach-dem-fall-george-floyd-tod-eines-schwarzen-in-tacoma-wird-neu-untersucht-a-93ec7624-d174-431f-874f-d3ec9fb1a003
https://www.derstandard.at/story/2000118011597/weiterer-todesfall-in-us-polizeigewahrsam-untersucht
https://www.srf.ch/news/international/in-polizeigewahrsam-gestorben-staat-washington-untersucht-tod-eines-afroamerikaners-neu

SRF-Arena: Drei weisse Menschen sprechen für Schwarze Menschen
Wie verbreitet ist Rassismus in der Schweiz, und was dagegen tun? Mit diesen Fragen startete am Freitag die SRF-«Arena». Was folgte war absurd. In der SRF-Arena mit dem Titel „Jetzt reden wir Schwarzen“ liessen sich nämlich drei weisse und eine Schwarze Person darüber aus, ob es so etwas wie Rassismus in der Schweiz überhaupt gibt. In der ersten Reihe: Eine weisse SVP-Politikerin, eine weisse SP-Politikerin, ein weisser US-Repubikaner und ein Schwarzer Comedian. Man hätte tatsächlich über strukturelle Komponenten des Rassismus in diesem Land sprechen können, darüber, wie und warum in der Schule so gut wie nichts über die Kolonialgeschichte der Schweiz gelehrt wird, darüber, wieso weisse Menschen sich oft angegriffen fühlen, wenn sie auf das Problem aufmerksam gemacht werden. BIPoC-Menschen (Black, Indigenous and People of Color) aus verschiedenen Disziplinen hätten diskutieren können, aus der Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und der Zivilgesellschaft. Stattdessen wurde darüber gesprochen, ob es strukturellen Rassismus in der Schweiz überhaupt gibt, weil die geladenen weissen Gäste schlicht zu ignorant sind, dies einzusehen. Anstatt also darüber zu sprechen, wie mit Racial Profiling umgegangen werden muss, musste zuerst klargestellt werden, dass es dieses Problem überhaupt gibt, obwohl auch das eine unbestrittene Tatsache ist, wie Fakten belegen und wie auch die Polizei andernorts eingesteht. Dann fielen Aussagen wie, dass die Verwendung von rassistischen Wörtern Ausdruck von Zugehörigkeit Schwarzer Menschen in der Schweiz sei und im Anschluss sprachen sie tatsächlich über Drogendealer. Damit wurde einmal mehr ein rassistischer Stereotyp reproduziert, in einer Sendung, in der es eigentlich um Rassismus gehen sollte. Schliesslich meinte der weisse US-Republikaner noch, er habe in der Schweiz nie Rassismus erlebt. Überraschung. Für weisse Menschen ist es auch eher schwierig, Rassismus zu erleben. Er richtet sich gegen alle nicht-weissen Menschen und ist ein historisch gewachsenes strukturelles Gesellschaftssystem. Wenn eine weisse Person aufrgund ihrer Hautfarbe beleidigt wird, ist das nicht Rassismus, sondern eine persönliche Beleidigung, hinter der kein mächtiges System steht. Rassismus ist nicht einfach die Meinung einer einzelnen Person ist, sondern hat Struktur und Geschichte.

Bild: Eins von hunderten Beispielen für strukturellen Rassismus in der Schweiz: Weisse Menschen diskutieren über Rassismus, während die zwei BiPoC im Hintergrund sitzen.

Wenn Menschen zu einer Sendung eingeladen werden, die offensichtlich keine Ahnung vom Thema haben und grösstenteils nicht direkt davon betroffen sind, ist es wenig erstaunlich, dass sich die ganze Sendung um subjektive, anekdotische Meinungen weisser Menschen zu Rassismus dreht, statt dass über ein fundamentales, strukturelles Gesellschaftsproblem gesprochen wird, das Rassismus heisst. So haben es die geladenen Gäste geschafft, 55 Minuten lang nicht über strukturellen und institutionalisierten Rassismus zu sprechen. Das einzige was die Sendung geschafft hat, ist einem vor Augen zu führen, wie gross der Rassismus in der Schweiz wirklich ist.
https://srf.ch/play/tv/redirect/detail/da61da48-58e7-4bb7-8cd6-488f3074ef95

Kopf der Woche Robert Dubler

Der weisse Mann lässt Schokoküsse mit rassistischer Aufschrift herstellen und ist stolz darauf: «Solange ich lebe, bleibt der Name», so trompetete Dubler als er diese Woche zum x-ten mal für die M-Wort-Aufschrift Kritik erntete. Dies sei Tradition und nicht rassistisch, erklärte er in einem Interview, nachdem die Migros im Zuge der Black Lives Matter- Bewegung endlich entschieden hatte, die Süssigkeit zumindest in zwei Zürcher Filialen aus dem Sortiment zu nehmen. Es ist rassistisch, das M-Wort, das die Süssigkeit betitelt, von dem nun überall die Rede ist. Bernhard Schär erklärt, woher es kommt: Schaue man in das Lexikon der Mundartforschung, dann sei «M***» ein Synonym für das N-Wort. Es wurde und wird verwendet für Menschen aus „Afrika“ und mit Rückständigkeit und Schmutz in Zusammenhang gebracht. Die Figur des Kopfes sei im Spätmittelalter entstanden, als Christ*innen die spanische Halbinsel von nordafrikanischen Mauren zurückerobert haben. Als Siegeszeichen erfanden die christlichen Adligen ein neues Wappen: den abgeschlagenen Kopf ihrer Feinde! Eine kriegerische Siegestrophäe, ein Wappenzeichen, das übrigens bis heute verwendet wird, z.B. bei einer Berner Zunft, die sich tatsächlich auch so nennt. Dann folgte die Kolonialzeit mit dem Sklav*innenhandel und das Symbol wurde weiterhin verwendet, um die Vorstellung zu transportieren, dass Menschen vom afrikanischen Kontinent nicht auf derselben Stufe stehen würden, wie Menschen aus Europa und deshalb ausbeutbar seien. Mit dem Aufkommen der Konsumgesellschaft wurde das gewaltvolle Symbol dann gar als Süssigkeit verarbeitet, um für ‚exotische‘ Produkte zu werben. Es war, so Schär, Teil einer kolonialen Kultur und brachte zum Ausdruck, dass Afrika ein Kontinent sei, der ausbeutbar und beherrschbar sei und «symbolisch verspeist» werden könne. Dubler, du Rassist, beweg dich!
https://www.srf.ch/news/schweiz/kontroverse-um-schokokuesse-mit-dem-mohrenkopf-verspeist-man-afrika-symbolisch

https://www.watson.ch/schweiz/wirtschaft/445261346-mohrenkopf-produzent-dubler-ueber-den-migros-bann

https://www.telebaern.tv/talktaeglich/mohrenkopf-affaere-138061741

https://www.tagblatt.ch/schweiz/nach-anti-rassismus-protesten-migros-nimmt-dubler-mohrenkoepfe-aus-dem-regal-ld.1227847


Was nun?

Defund Police – Die Polizei wegsparen
Die Polizei ist nicht dazu da, Rassismus ab- oder eine solidarische herrschaftsarme Welt aufzubauen. Im Gegenteil: Zu viele BIPoC und zu viele, die Widerstand leisten, mussten konkret erfahren, dass Polizist*innen da sind, um die «Ruhe und Ordnung» innerhalb der Herrschaftsstrukturen und -verhältnisse zu wahren. Hierfür soll die Polizei Autorität ausstrahlen und Gewalt ausüben. Rassistische Handlungen wie Abschiebungen, Racial Profiling, Verhaften und Einknasten von rassismus-klassismus-diskriminierten Menschen und rassistische Doppelbestrafungen gehören deshalb für Polizist*innen zum täglichen Brot. Und wenn es bei einigen nicht ganz klappt mit der „professionellen“ Ausübung von Gewalt, wenn sich z.B. privater und beruflicher Rassismus vermengen und Polizist*innen schwere Verbrechen oder Morde begehen, dann decken sich Polizist*innen gegenseitig – inkl. Vorgesetzte – und haben wegen ihres ausgeprägten soldatischen Zwangs zum Korpsgeist und einem polizeifreundlichen Justizsystem selten etwas zu befürchten.
Was tun gegen ein solch geöltes strukturelles Übel? Die Allianz gegen Racial Profiling und mitunterzeichnende Organisationen in der Schweiz haben diese Woche einen Aufruf veröffentlicht. Sie schlagen vor, «proaktiv gegen rassistische Polizeigewalt» vorzugehen. Dies setze die Schaffung eines Problembewusstseins voraus bzw. «dass politische Entscheidungsträger*innen und die operative Polizeileitung das Problem der rassistischen Polizeigewalt, des Racial Profilings und der tödlichen Ausschaffungspolitik als grundlegendes, strukturelles und institutionelles Problem jenseits von Einzelfällen anerkennen» und Verantwortung übernehmen, die eigene Praxis auf Rassismus hin zu untersuchen. Zweitens brauche es mehr Kotrollen der staatlichen Repression. Diese solle «von unabhängigen Untersuchungskommissionen geprüft werden». Schliesslich fordert die Allianz auch, dass der Polizei die Gelder gekürzt werden, um sie «zugunsten von Organisationen und Projekten, die sich aktiv gegen rassistische Diskriminierung einsetzen» umzuverteilen. Dieser Punkt entspricht einer wichtigen Forderung der Black Lives Matter Bewegung: „Defund the Police“ oder auf Deutsch „Entzieht der Polizei die Finanzierung“ und bietet eine gute Alternative zur klassischen Forderung nach mehr Mittel für die Polizei, damit sich diese bessere rassismuskritische Sensibilisierungsworkshops leisten könne. Doch was nützen in letzter Instanz sensibilisierte Polizist*innen, wenn ihr Job weiterhin darin bestehen soll, institutionelle Rassismen mit Gewalt durchzuboxen? Die „Defund the Police“-Forderung gibt es schon länger. Im Zuge der Proteste hat nun das Human Rights Department in Minneapolis beschlossen, prüfen zu lassen, ob die Polizei im Sinne der Defund-Forderung umstrukturiert oder gar abgeschafft werden soll, weil sie die Sicherheit der Bevölkerung nicht schütze, sondern bedrohe. Eine Kursänderung, denn noch vor einem Jahr hatte es das dortige Parlament abgelehnt, das Polizeibudget um 45 Millionen Dollar zu kürzen. Verschieben wir es also nicht unnötigerweise auf morgen, uns am Aufbau von Strukturen von kollektiver Sorge, Selbstbestimmung und Transformative Justice zu beteiligen, denn sonst nehmen die fragenden Skeptischen und ihre Annahme „ohne Polizei kein Schutz, dafür Chaos“, die Überhand.
http://www.stop-racial-profiling.ch/de/2020/06/11/blm/https://wirkommen.akweb.de/bewegung/wir-koennen-fuer-uns-selbst-sorgen/
https://www.mpd150.com/about/
https://www.reclaimtheblock.org
https://www.spiegel.de/politik/ausland/minneapolis-defund-the-police-warum-eine-stadt-die-polizei-abschaffen-will-a-57d8d048-d686-439d-a3ee-90e85de77f97

Statuen von Rassist*innen entfernen

BIld: Gestürzte Kolumbus-Statue in St. Paul Minnesota

Seit längerem gibt es sie und nun intensivieren sich die direkten Aktionen gegen die Verehrung der Protagonist*innen des Kolonialismus. Konkret richten sich die Aktionen gegen Statuen, Denkmäler oder Orte zu Ehren der Profitierenden oder Drahtziehenden des Kolonialismus. Nicht nur in den USA – wie auf dem Bild – wurden die Tage Statuen von Rassist*innen niedergerissen oder mit Farbe angegriffen. Im englischen Bristol landete die Statue von Colston, der sein Geld mit Sklav*innenhandel machte, spektakulär im Hafenbecken. In Belgien richtete sich der Zorn gegen die zahlreichen Statuen von Leopold II, der die Schreckensherrschaft im Kongo zu verantworten hat, während der Kongo systematisch ausgeplündert und Millionen Menschen ums Leben kamen. In den Niederlanden stehen Piet Hein, Witte de With und Jan Pieterszoon Coen, Vertreter der kolonialen Handels- und Seemacht Niederland, im Fokus von Farbangriffen. In Frankreich kritisieren Antirassist*innen die Ehrung des Kolonialgenerals Joseph Gallieni oder von Jean-Baptiste Colberts. Letzterer schrieb unter Sonnenkönig Louis XIV den „Code Noir“, der die Entmenschlichung und die Unterdrückung von Sklav*innen in den Kolonien regelte. Nach Aufrufen, die Statue zu zerstören, wird sie Berichten zufolge nun von der Polizei besonders bewacht. In der Schweiz wurde die Statue von Alfred Escher während der Black Lives Matter-Demo am vergangen Samstag mit Farbe „verziert“. Eschers Vermögen beruht auf unbezahlter, gewaltsam eingeforderter Arbeit Schwarzer Menschen. Die versklavten Menschen beuteten die Eschers auf einer Kaffeeplantage auf Kuba aus. In Neuenburg verlangt derzeit eine Petition die Entfernung einer Statue zu Ehren des rassistischen David de Pury (https://www.change.org/p/etat-de-neuch%C3%A2tel-on-ne-veut-plus-de-statue-d-esclavagiste-pour-que-la-statue-de-david-de-pury-soit-retir%C3%A9e). Auch Pury machte Geld, indem er Schwarze Menschen besass und mit ihnen handelte. In Bern weigert sich die M-Wort-Zunft, ihren Name und ihr Wappen zu ändern und ihre Statue zu entfernen. Dabei weisen Schwarze Menschen seit Jahren nachvollziehbar auf deren rassistische Wirkung hin. Auch die Ehrung des weissen Rassisten Louis Agassiz, dem in Lausanne die Avenue Agassiz und im Wallis das Agassizhorn gewidmet sind, will nicht enden. Im Schweizer Alpenclub SAC bleibt er – trotz Kritik – bis heute sogar Ehrenmitglied. In Lausanne wird Mussolini bis heute mit einem Ehrendoktortitel der Universität geehrt. In Graubünden wird im Nationalpark Paul Sarasin mit einer Gedenktafel geehrt. Der Gründer des Parks profitierte zusammen mit seinem Vetter Fritz Sarasin vom Kolonialismus. In Südostasien raubten sie Kunst, Schädel oder Gegenstände „im Namen der Wissenschaft“. Weitere Orte, Statuen und Ehrungen von Rassist*innen der Kolonialzeit finden sich beispielsweise im Buch von Hans Fässler «Reise in Schwarz Weiss». Ein gutes Buch als Ausgangslage für direkte Aktionen. Für Zürich bietet auch die Gruppe Vo DA viel Wissen.
https://mirsindvoda.ch
https://www.srf.ch/news/schweiz/rassismus-debatte-um-denkmaeler-diese-schweizer-statuen-ruecken-in-den-fokus
https://www.srf.ch/news/panorama/proteste-in-den-usa-demonstranten-zerstoeren-statuen-von-kolumbus

https://twitter.com/LinkePoC/status/1271906625532690432

https://twitter.com/knallfrog/status/1271796839910649856
https://www.change.org/p/etat-de-neuch%C3%A2tel-on-ne-veut-plus-de-statue-d-esclavagiste-pour-que-la-statue-de-david-de-pury-soit-retir%C3%A9e
https://twitter.com/analysekritik/status/1272139324235055109/photo/1


Petition, um Ausschaffung von Arezu Eljasi zu stoppen
In der Petition heisst es: „Wir fordern dass die Ausschaffung von Arezu Eljasi gestoppt wird. Gemäss des Entscheids vom SEM wird Arezu Eljasi im Juli in den Iran ausgeschafft. Wir bitten euch dringend die Petition zu unterschreiben, damit der Vollzug gestoppt wird.“
https://act.campax.org/petitions/aus-schaffung-von-arezu-eljasi

Mehr Critical Whiteness Gruppen
Rassismus ist Schrott, gehört auf den Altmüllhaufen der Geschichte. In diesem Punkt sind sich Antirassist*innen einig. Doch welche Rolle spielen weisse Menschen in diesem Kampf? Bis heute profitieren sie – ob sie ihre Privilegien persönlich nutzen oder nicht – auf globaler, staatlicher, betrieblicher, lokaler sowie auf zwischenmenschlicher Ebene von der Macht, die sie aufgrund von rassistischer Gewalt, Ausbeutung, Diskrimierung und Verdrängung besitzen. Wie ist mit diesem Machtbesitz bzw. diesem Privileg umzugehen? Diese Fragen stellen sich viele. Auch sogenannte Critical Whiteness-Gruppen, die derzeit in verschiedenen Städten neu entstehen oder Zulauf erhalten.
Wer sich kritisch mit Weisssein auseinandersetzt, will Rassismus bekämpfen, indem versucht wird zu verhindern, dass durch eigenes Zutun Rassismus erneut reproduziert oder gar verstärkt wird. Hierfür gilt es, sich für rassismusdiskriminierte Personen und Gruppen zunächst einmal zu interessieren, ihre Erfahrungen, ihre Stimmen, ihr Wissen nicht unsichtbar zu machen. Es geht darum, weiss-dominierte Räume abzuschaffen, als weisse Menschen Platz zu machen, damit zu beginnen, mal wirklich und nicht nur paternalistisch von oben herab oder aus der Ferne zuzuhören. Andererseits arbeitet Critical Whiteness auch damit, dass der Analyse-Spiess umgedreht wird: weg von den rassismus-diskriminerten hin zu den rassismus-privilegierten Menschen. Um die weisse Norm und Machtposition in den Fokus zu rücken, wird in diesen Gruppen auch viel über (eigene) weisse Privilegien gesprochen und darüber reflektiert, welche toxischen Wirkungen vom Weisssein in einer rassistischen Gesellschaft ausgehen. Während Critical Whiteness in der Schweiz bis vor kurzem über die Critical Whiteness-Gruppen hinaus wenig Wirkung entfaltete, prägt der Ansatz die Bewegungen in den USA und in Deutschland stärker mit.  Weiterführende Infos zu Erfahrungen gibt es z.B. hier: https://www.akweb.de/themen/sonderbeilage_cw.htm. Wer sich mit der Kritik am Ansatz auseinandersetzen will, ist hier sicher gut bedient: https://phase-zwei.org/hefte/?heft=51&rubrik=&autorin


Wo gabs Widerstand?

Anhaltende antirassistische Proteste in den USA
Innerhalb der letzten 14 Tage gab es in den USA mehr als 1’100 antirassistische Demonstrationen. Die Protestwelle wird als die grösste in der Geschichte der USA angesehen. Die Kundgebungen greifen auch auf konservative Kleinstädte über und nicht nur auf der Strasse wird protestiert: Am Mittwoch wurde in der Forschung und in den Wissenschaften gestreikt, um auf die Unterrepräsentation von BIPoC in akademischen Institutionen aufmerksam zu machen. Die Proteste hinterlassen ihre Spuren: 61 Prozent der US-Amerikaner*innen glauben mittlerweile, dass die Polizeimorde keine ‚isolierten Vorfälle’ darstellen, sondern strukturell bedingt sind. Und laut einer Umfrage der University of California in Los Angeles sank die Zahl der Weissen, die eine positive Sicht auf die Polizei haben innerhalb einer Woche um 11 Prozent. Gleichzeitig mischen sich rechtsextreme, maskulinistische Waffenfanatiker der sog. Boogaloo-Bewegung unter die Demonstrierenden. Sie möchten den Zusammensturz der Gesellschaft beschleunigen (sog. accelerationism) und einen ‚Race war’ herbeiführen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137619.black-lives-matter-wenn-auch-weisse-kleinstaedter-protestieren.html
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/boogaloo-bewegung-hass-im-hawaiihemd-kolumne-a-38f0ef56-009c-4980-bd0f-abecac73151c
https://www.jungewelt.de/artikel/379956.rechte-in-den-usa-militante-provokateure.html
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/george-floyd-protestaktion-gegen-rassismus-wissenschaftler-weltweit-legen-arbeit-nieder-a-293d260d-748d-449e-b5fe-55da240d57f5

Riesige, kraftvolle Proteste gegen Rassismus auch in der Schweiz

Am Samstag, 13. Juni 2020, haben sich schweizweit mehrere zehntausend Menschen die Strasse genommen, um für #BlackLivesMatter zu demonstrieren. Die Demonstrationen wurde von Schwarzen Menschen organisiert und fanden in Zürich, Bern, Luzern, Basel, Lausanne und St. Gallen statt. Die Proteste sind unter anderem eine Reaktion auf die Ermordung des Schwarzen George Floyd durch einen weissen Polizisten in Minneapolis. Der Mord ist kein Einzelfall, sondern reiht sich ein in ein System stetiger Unterdrückung, Abwertung und Kriminalisierung Schwarzer Menschen. Rassistische Polizeigewalt ist nicht zufällig, sondern Folge einer rassistischen Gesellschaft: rassistische Gesetze, rassistische Machtverhältnisse und das Wegschauen der Weissen bei rassistischer Gewalt bedeutet, dass rassistische Kontrollen und Gewalt für BiPoC Alltag sind. Die Proteste richten sich deshalb gegen den alltäglichen, systematischen und strukturellen Rassismus in der Schweiz.
In Zürich wurde auf dem Weg die Statue von Alfred Escher verziert: Sinnbildlich für den europäischen Kapitalismus beruhte sein Vermögen auf der unbezahlten, gewaltsam eingeforderten Arbeit Schwarzer Menschen. Die Zunft mit dem rassistischen Namen und mit einer rassistischen Statue vor dem Lokal an der Kramgasse 12 in Bern, hat ihre Figur deshalb vor dem Protest eingepackt.
Die Polizei bestätigte sich darin, Gewalt auszuüben, indem sie gegen Demonstrierende Tränengas einsetzte, Menschen verhaftete und mit einem Polizeiauto gefährlich durch die Menschenmenge gerast ist.
https://barrikade.info/article/3600
https://www.derbund.ch/tausende-in-der-schweiz-knien-nieder-fuer-george-floyd-969433539003
https://www.nau.ch/news/schweiz/black-lives-matter-proteste-gegen-rassismus-in-bern-und-zurich-65721640#&gid=1&pid=1

Geflüchtete klagen in Tunis gegen willkürliche Inhaftierung
Seit Wochen oder sogar Monaten sind dutzende Migrant*innen in Tunesien im Zentrum El Ouardia inhaftiert. Das Zentrum gilt offiziell als Unterbringungs- und Beratungszentrum. Da die Geflüchteten es nicht verlassen dürfen, funktioniert es in der Praxis wie ein Gefangenenlager. Dagegen hat nun eine Gruppe Migrant*innen mit Unterstützung mehrere nationaler und internationaler NGOs geklagt. Die Geflüchteten würden dort ohne Wahrung von Grundrechten ihrer Freiheit beraubt. Sie kennen weder Grund noch Dauer ihrer Inhaftierung, noch hätte es überhaupt ein Gerichtsverfahren oder die Möglichkeit gegeben, mit einer*m Anwält*in, Dolmetscher*in oder ihrem Konsulat zu sprechen. Eine Rechtsgrundlage für die Administrativhaft gibt es in Tunesien nicht. Ebenso wenig existiert ein Asylgesetz, sodass die aktuell 4’434 Geflüchteten in Tunesien, die von der UNHCR offiziell registriert sind, keine Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen. 
https://www.infomigrants.net/en/post/25272/tunisia-migrants-file-complaint-over-arbitrary-detention
https://www.lorientlejour.com/article/1220761/des-migrants-detenus-dans-un-centre-illegal-denoncent-des-ong.html
https://data2.unhcr.org/en/country/tun


Was steht an?

20. Juni 2020 | 11.00 – 16.00 Uhr | Parkplatz beim Marzilibadeingang | Bern
11.00 bis 13.00: Dezentrale Aktionen in den verschiedenen Quartieren
14.00: Grosse gemeinsame Aktion, Besammlung wiederum beim Marzilibadeingang
Wir wollen die Stimmen von Menschen, die in Asylcamps isoliert werden, auf die Strassen tragen.
https://barrikade.info/article/3557

Picknick für alle
20.06.20 I Vögeligärtli Luzern
Das Fest anlässlich der Aktionswoche Asyl (dieses Jahr reduziert) kann am Samstag, 20. Juni stattfinden. Wir freuen uns über deine Teilnahme. Es gibt ein Buffet, Musik und Spiele. Danke wenn du etwas fürs Buffet oder zum Musizieren mitbringst 🙂
https://solinetzluzern.ch/veranstaltungen/picknick-fr-alle

Veranstaltungsreihe „Beim Namen nennen“
01.06. – 30.06.20 I Basel I Bern I Luzern I St. Gallen I Zürich
Seit 1993 sind mindestens 40.555 Menschen beim Versuch, nach Europa zu flüchten, gestorben. In verschiedenen Städten der Schweiz finden im Juni Veranstaltungen statt, um der Tragödie zu gedenken, und ein Zeichen gegen die Ungerechtigkeit zu setzen. Es wird für jede gestorbene Person ein Brief an den Bundesrat geschrieben. Die Namen der Verstorbenen werden gelesen. Zudem gibt es Filmvorführungen, Diskussionen und eine Fotoausstellung.
www.beimnamennennen.ch

Velotour d’horizon
10.07. – 02.08.2020
Die Velotour d‘Horizon 2020 thematisiert, welches Ausmass die Einschränkung im Lageralltag angenommen hat. Wir besuchen verschiedene Lager, dokumentieren die Situation und machen mit Aktionstagen auf die Missstände aufmerksam. Während drei Wochen sind wir (in der Schweiz lebende Menschen aus der ganzen Welt) selbstorganisiert mit den Velos unterwegs, stärken bestehende Initiativen und vernetzen uns untereinander.
antira.org/velotour


Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Serena Dankwa über Rassismus in der Schweiz
Kulturzeit-Gespräch mit der Sozialanthropologin Serena Dankwa über Racial Profiling und Alltags-Rassismus in der Schweiz.
https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/gespraech-mit-serena-dankwa-100.html

Der Fall Mike Ben Peter in der Schweiz
2018 starb der Nigerianer Mike Ben Peter bei einer Polizeikontrolle in Lausanne. Sechs Polizisten hatten sich während der brutalen Verhaftung auf den Mann gestürzt.
https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/der-fall-mike-ben-peter-in-der-schweiz-102.html

Warum in die Ferne schweife, das Mörderische liegt so nah. Rassistische Morde durch schweizer Behörden
https://www.facebook.com/140183842694454/photos/a.223020364410801/3244088348970639/?type=3&theater

»Wir können für uns selbst sorgen«
Ein Interview mit der Aktivistin Robin Wonsley Worlobah aus Minneapolis über den Aufstand gegen rassistische Polizeigewalt in der Stadt, Selbstorganisierung und die Mehrfachkrise in den USA sowie die Meldung, Minneapolis plane, die Polizei abzuschaffen.
https://wirkommen.akweb.de/bewegung/wir-koennen-fuer-uns-selbst-sorgen/

«Nicht schon wieder so ein Rassismus-Artikel…»
Dieser Artikel sollte eigentlich überflüssig sein. Doch der Bodensatz an «Rassismus light» ist weit verbreitet – und bedroht Schwarze Menschen in der Schweiz jeden Tag.
https://bajour.ch/a/3TumF5GPkJGWIo0V/nicht-schon-wieder-so-ein-rassismus-artikel

Tödliche Institutionen
Wenn Geflüchtete sterben, spielt struktureller Rassismus oft eine Rolle – ein Skandal bleibt aus.
https://wirkommen.akweb.de/politik/toedliche-institutionen-amad-ahmad-kleve-bamberg-arnsdorf-fulda/

«I can’t breathe»
Von der Corona-Pandemie über die alltägliche Luftverschmutzung bis hin zum rassistischen Polizeimord an George Floyd. Die Gastautorin Rosa Luna reflektiert über unsere Gegenwart, in der selbst das Atmen zum Politikum wird.
https://www.ajourmag.ch/i-cant-breathe/

I will be different every time
Dieses Buch erzählt ein Stück »Black History« in der Schweiz. Es macht Frauen mit ihren Stimmen, Biographien, Denkweisen, Perspektiven und Lebenswelten sichtbar, die in der Schweiz selten zur Kenntnis genommen werden.
http://diebrotsuppe.de/titel/i-will-be-different-every-time

Antifa heisst Archiv – Ein neuer Online-Katalog erleichtert die Recherche über Nazis
Wer zur extremen Rechten recherchieren will, hat es seit kurzem ein wenig leichter: Mehrere antifaschistische Archive bieten mittlerweile in einem Online-Katalog einen Überblick über ihre Bestände.
https://jungle.world/artikel/2020/23/antifa-heisst-archiv

Can’t relax in Libyen
Mit der Reihe Can’t relax in… befassen sich das Bellevue di Monaco und Alarmphone München mit der aktuellen Migrations- und Geflüchtetenpolitik in unterschiedlichen Ländern. In der Diskussion zu Libyen wird erörtert, wie NGOs versuchen, die Menschen vor Ort zu unterstützen. Was berichten die Aktivist*innen von Alarmphone über die Situation vor Ort, die regelmässig Hilferufe von in Seenot geratenen Geflüchteten erhalten? Welches Interesse verfolgt die EU bei der Unterstützung der sogenannten libyschen Küstenwache? Und was müsste nach der Libyen-Konferenz in Berlin von politischer Seite aus passieren, um den Bürgerkrieg und die Menschenrechtsverletzungen in den Lagern zu stoppen?
https://youtu.be/oRakADCxiOE

Western Mediterranean Regional Analysis
The period covered in this Alarm Phone Western Med Regional Analysis is, of course, an exceptional period due to the impact of Covid-19 in the transit country, Morocco. Crossing attempts came close to an halt on most Western Mediterranean routes. Only the passage to the Canary islands remained somewhat open. Apart from keeping the distress hotline running and accompanying 7 boats on their perilous journeys across the western sea routes, the Alarm Phone attempted to support its members as well as the communities of people in transit; an act of solidarity with those whose already precarious position was further undermined during these hard times of lockdown in the Kingdom of Morocco. 
https://alarmphone.org/en/2020/06/06/western-med-regional-analysis