Medienspiegel 14. Juni 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++MITTELMEER
Zwölf Migranten nach Bootsunglück vor Libyens Küste vermisst
Aktivisten erheben schwere Vorwürfe: „Die sogenannte libysche Küstenwache war nicht anwesend, obwohl sie die Küste – bezahlt von der EU – patrouillieren“
https://www.derstandard.at/story/2000118063093/12-menschen-vermisstbootsunglueck-vor-libyens-kueste?ref=rss


+++EUROPA
Laut Frontex wieder mehr Menschen auf Migrationsrouten nach Europa
Vor allem der Weg über das östliche Mittelmeer wird wieder zur Hauptroute
https://www.derstandard.at/story/2000118057453/laut-frontex-wieder-mehr-menschen-auf-migrationsrouten-nach-eoropa
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-06/frontex-fluechtlinge-eu-coronavirus-illegale-einreisen-europa-migration
-> https://www.tagesschau.de/ausland/frontex-grenzuebertritte-103.html


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
BE:
Aktion in der Stadt Bern: Postenlauf statt Frauenstreik
Weil ein Streik heuer wegen Corona nicht möglich ist, macht die Frauenstreik-Gruppe Bern mit einem Postenlauf auf ihre Anliegen aufmerksam.
https://www.bernerzeitung.ch/postenlauf-statt-frauenstreik-860263434305


In Biel vereinen sich «Black Lives Matter» und Frauenstreik
Für den Sonntagnachmittag ist eine Demonstration unter dem Motto «Black Lives Matter» in Biel geplant. Gleichzeitig wird auch der Jahrestag des nationalen Frauenstreiks begangen.
https://www.derbund.ch/bern-erwartet-kundgebung-gegen-rassismus-und-polizeigewalt-919577077653
-> https://www.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2020-06-14
-> https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/ein-jahr-danach-der-frauenstreik-ist-erneut-entfacht


Ein Jahr nach dem Frauenstreik: Wo bleibt die Gleichstellung?
Am Frauenstreik 2019 haben rund 500›000 Personen für die Gleichstellung von Männern und Frauen demonstriert. Genau ein Jahr nach dem grossen Streik finden schweizweit erneut verschiedene Aktionen zum Thema statt, auch in der Hauptstadt. Denn die Gleichstellung ist nach wie vor noch nicht erreicht, das hat sich auch in der Coronakrise gezeigt.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/ein-jahr-nach-dem-frauenstreik-wo-bleibt-die-gleichstellung-138168484


 BS:
Polizei in Basel entfernt Transparent von Streikenden
Der grösste Frauenstreik seit 1991 jährt sich am Sonntag. In Form von verschiedenen Aktionen erheben Streikende ihre Stimme.
https://www.20min.ch/story/so-kaempfen-frauen-heute-fuer-ihre-anliegen-506515653403
-> https://telebasel.ch/2020/06/14/blockade-auf-mittlerer-bruecke-aufgeloest
-> https://twitter.com/search?q=bajour&src=typed_query&f=live
-> https://telebasel.ch/2020/06/14/zahlreiche-frauenstreik-aktionen-in-schweizer-staedten
-> http://www.onlinereports.ch/News.117+M592ec980e47.0.html
-> https://primenews.ch/articles/2020/06/unbewilligte-demo-polizei-kontrolliert-300-personen
-> https://www.watson.ch/schweiz/frauenstreik/927575982-frauenstreik-frauen-blockieren-langstrasse
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/polizeieinsatz-mit-geschuetz-der-basler-frauenstreik-2020-geht-unschoen-zu-ende-138168953
-> https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/unbewilligte-demonstration-basler-frauenstreik-endet-in-personenkontrolle
-> https://www.bazonline.ch/wenn-wir-streiken-steht-die-welt-still-253266809576


LU:
Nach einem Jahr – Es ist wieder Frauenstreik – aber nur im Kleinen
Wegen der Corona-Krise ging in Luzern nur eine kleinere Gruppe auf die Strasse, um für Gleichstellung zu demonstrieren.
https://www.srf.ch/news/regional/zentralschweiz/nach-einem-jahr-es-ist-wieder-frauenstreik-aber-nur-im-kleinen
-> https://www.tele1.ch/sendungen/1/Nachrichten#544771_2
-> https://www.zentralplus.ch/was-vom-aufschrei-uebrig-bleibt-1812467/


Unterschiedliche Zahlen nach Anti-Rassismus-Protesten – Black Lives Matter: «Wir machen unsere Schätzungen unabhängig von der Polizei»
Die Proteste am Samstag gehörten zu den grössten der jüngeren Zeit in Luzern. Die Polizei zählte rund 1200 Teilnehmer. Laut den Organisatoren sollen es aber bloss 700 gewesen sein. Die Veranstalter können die ungewöhnliche Tiefstapelei nur teilweise erklären.
https://www.zentralplus.ch/black-lives-matter-wir-machen-unsere-schaetzungen-unabhaengig-von-der-polizei-1817625/


SG:
Together we fight, united we stand!
Der gewaltsame Tod von George Floyd bewegt auch viele in St.Gallen. Über 1100 Menschen kamen an die erste «Black Lives Matter»-Demo am Samstag in der Innenstadt. Gleichzeitig fand der Jubiläumssternmarsch anlässlich des letztjährigen Frauenstreiks statt, wo weitere 300 Aktivistinnen ein Zeichen gegen Gewalt, Sexismus und Diskriminierung setzten.
https://www.saiten.ch/together-we-fight-united-we-stand/


SH:
Das Band des Kampfes gegen die Ungerechtigkeit wird immer länger
Am Sonntag gingen in der Schweiz erneut Frauen für die Gleichstellung auf die Strasse, und verschafften sich auch in Schaffhausen Gehör.
https://www.shn.ch/region/kanton/2020-06-14/das-band-des-kampfes-gegen-die-ungerechtigkeit-wird-immer-laenger


+++UR
Frauen fordern in Uri lautstark Gleichstellung
Seit dem grossen Frauenstreik hat sich kaum etwas verbessert. Deshalb haben Urner Frauen ihren Forderungen Nachdruck verliehen.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/uri/frauen-fordern-in-uri-lautstark-gleichstellung-ld.1228995


ZH:
Frauen machen lautstark auf sich aufmerksam – Polizei räumt Langstrasse
Zum 1-Jahr-Jubiläum des Frauenstreiks fanden in der ganzen Schweiz bunte und laute Aktionen statt. In Zürich versammelten sich mehr als 1’000 Aktivistinnen zu einer unbewilligten Kundgebung an der Langstrasse. Die Polizei tolerierte dies zuerst, räumte die Langstrasse dann aber.
https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/frauen-machen-lautstark-auf-sich-aufmerksam-polizei-raeumt-langstrasse-00136180/
-> https://tsri.ch/zh/frauenstreik-2020-fraulenzen-und-queerstellen/
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/historischer-frauenstreik-jaehrt-sich-zum-ersten-mal-138168039
-> https://www.20min.ch/story/hunderte-frauen-ziehen-durch-die-zuercher-langstrasse-729047648439
-> https://www.nzz.ch/zuerich/black-lives-matter-tausende-in-zuerich-und-bern-auf-der-strasse-ld.1561130


Wegen Rückzug an BLM-Demo: VP Zürich wirft Stadtpolizei Flucht vor – Behörde wehrt sich
Auf Videos ist zu sehen, wie ein Polizeiauto vor BLM-Demonstranten in Zürich wegfährt. Die SVP Zürich wirft den Beamten nun vor, geflüchtet zu sein. Die Stadtpolizei weist den Vorwurf von sich.
https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/wegen-rueckzug-an-blm-demo-svp-zuerich-wirft-stadtpolizei-flucht-vor-behoerde-wehrt-sich-id15937244.html


Über 10’000 gingen für «Black Lives Matter»-Demo in Zürich auf die Strasse
Die Demonstration gegen Rassismus und Diskriminierung verlief friedlich und wurde von der Stadtpolizei toleriert. Jedoch sorgten Linksautonome am Rande der Veranstaltung für Probleme.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/ueber-10000-gingen-fuer-black-lives-matter-demo-in-zuerich-auf-die-strasse-138167784


Communiqué der Linken PoC zur Black Lives Matter-Demo in Zürich
Am Samstag, 13. Juni 2020, haben sich mehr als 15’000 Menschen die Strasse genommen, um für #BlackLivesMatter zu demonstrieren. Die Demonstration wurde von Schwarzen Menschen organisiert.
https://barrikade.info/article/3600


CH:
Ein Jahr nach dem Streik: Frauen protestieren in der ganzen Schweiz
Ein Jahr nach dem historischen Frauenstreik gingen in zahlreichen Schweizer Städten erneut viele Frauen auf die Strasse und demonstrierten für mehr Gleichstellung.
https://www.tagesanzeiger.ch/frauen-protestieren-in-der-ganzen-schweiz-540855442149
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-14-06-2020-hauptausgabe?id=a126589f-37c3-4473-9bea-8afd0b2aafc9
-> https://www.nzz.ch/zuerich/black-lives-matter-tausende-in-zuerich-und-bern-auf-der-strasse-ld.1561130
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/landesweiter-frauenstreiktag-frauen-demonstrieren-im-ganzen-land
-> https://www.watson.ch/schweiz/frauenstreik/927575982-frauenstreik-frauen-blockieren-langstrasse
-> https://www.rts.ch/info/suisse/11398939-un-an-apres-la-greve-nationale-les-femmes-manifestent-a-nouveau-en-suisse.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/frauenstreik-ohne-demo-aber-dafur-mit-larm-65723759
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/frauenstreik-tamara-funiciello-streikt-auch-am-sonntag-65722330
-> https://www.blick.ch/news/frauenstreik-zahlreiche-frauenstreik-aktionen-in-schweizer-staedten-id15937069.html
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/jetzt-erst-recht-so-demonstrieren-frauen-ein-jahr-nach-dem-grossen-streik-138166644
-> https://www.luzernerzeitung.ch/newsticker/schweiz/zahlreiche-frauenstreik-aktionen-in-schweizer-stadten-ld.1228932
-> https://www.blick.ch/news/frauenstreik-zahlreiche-frauenstreik-aktionen-in-schweizer-staedten-id15937069.html


Demonstrationen trotz Verbot – Organisatoren müssen keine Konsequenzen fürchten
Zehntausende haben am Samstag trotz Verbot gegen Rassismus demonstriert. Dies wird ohne strafrechtliche Folgen bleiben.
https://www.srf.ch/news/schweiz/demonstrationen-trotz-verbot-organisatoren-muessen-keine-konsequenzen-fuerchten


Wegen Anti-Rassismus-Demos: «Die Corona-Fälle werden ganz sicher zunehmen»
Am Samstag sind alleine in Zürich mehr als 10’000 Menschen für die «Black Lives Matter»-Bewegung auf die Strasse gegangen. Auch wenn die Mehrheit Schutzmasken trug: Ein Immunologe rechnet damit, dass die Grossdemonstrationen die Coronavirus-Fallzahlen in die Höhe treiben wird.
https://www.toponline.ch/news/coronavirus/detail/news/wegen-anti-rassismus-demos-die-corona-faelle-werden-ganz-sicher-zunehmen-00136169/
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/-mega-demo-trotz-corona-massnahmen-138168466
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/polizei-erntet-fuer-passives-verhalten-bei-demos-erneut-kritik-138168065
-> https://www.nzz.ch/zuerich/black-lives-matter-tausende-in-zuerich-und-bern-auf-der-strasse-ld.1561130


+++REPRESSION DE
»Seebrücke« unter Beobachtung: »Das geht einfach nicht in deren Köpfe rein«
Wer Kritik übt, muss »linksextrem« sein: Hamburger Verfassungsschutz versucht, »Seebrücke«-Bewegung zu diskreditieren. Ein Gespräch mit Christoph Kleine
https://www.jungewelt.de/artikel/380187.seebr%C3%BCcke-unter-beobachtung-das-geht-einfach-nicht-in-deren-k%C3%B6pfe-rein.html


+++POLIZEI CH
Nach Tod von George Floyd: BLICK zu Besuch an der Polizeischule in Hitzkirch LU: So läuft eine Verhaftung in der Schweiz
BLICK ist zu Besuch an der interkantonalen Polizeischule in Hitzkirch LU. Ausbildner Thomas Meister erklärt, wie eine Verhaftung abläuft und was man gegen rassistische Polizisten unternimmt.
https://www.blick.ch/news/schweiz/nach-tod-von-george-floyd-blick-zu-besuch-an-der-polizeischule-in-hitzkirch-lu-so-laeuft-eine-verhaftung-in-der-schweiz-id15936809.html



Sonntagszeitung 14.06.2020

Berufsstand unter Generalverdacht: Wie Rassismusvorwürfe die Polizeiarbeit behindern

Bei Verhaftungen von Dunkelhäutigen müssen Beamte in Schweizer Städten immer damit rechnen, wegen Diskriminierung angeprangert zu werden. Dies hat gravierende Folgen.

Rico Bandle

Ein brutales Video aus dem Zürcher Hauptbahnhof machte Anfang Woche in den sozialen Medien die Runde. Darauf waren mehrere Sicherheitsleute mit gelber Weste zu sehen, die sich an einem dunkelhäutigen Mann zu schaffen machten. Einer hielt den Schwarzen im Würgegriff, ein anderer drückte ihn auf den Boden. Man hörte Passanten rufen, man solle ihn loslassen, von «Rassismus» war die Rede, von Polizeigewalt.

Auf sozialen Medien wurde sofort der Bezug zu George Floyd hergestellt, jenem Afroamerikaner, der durch einen weissen Polizisten auf verbrecherische Weise zu Tode gewürgt worden war. Das Video kam genau zur rechten Zeit, um zu zeigen: Auch hierzulande sind dunkelhäutige Menschen brutaler Polizeigewalt ausgesetzt. Black lives matter – in Switzerland.

Die Kantonspolizei Zürich erläuterte später die Hintergründe des Vorfalls. Beim Festgenommenen handelte es sich um einen 14-jährigen Jugendlichen aus der Elfenbeinküste. Dieser hatte am Sonntagmorgen im Hauptbahnhof einen 18-jährigen Mann spitalreif geprügelt. Bei der Verhaftung durch Securitrans-Leute wehrte sich der Schläger heftig und biss einer Sicherheitsperson in den Oberarm. Auf dem Polizeiposten biss er erneut zu, diesmal so stark, dass der betroffene Beamte die offene Wunde im Krankenhaus behandeln musste.

Jede Handlung von Polizisten wird gefilmt und ins Internet gestellt

Der Fall ist gar nicht so untypisch. Polizisten erzählen, dass bei Festnahmen und Kontrollen die Betroffenen sich oft wehren, zu schreien beginnen oder sich auf den Boden legen, sodass der Eindruck von Polizeigewalt entsteht. Das Umfeld solidarisiere sich in der Regel sofort mit dem vermeintlichen Opfer und filme die Szene mit dem Handy. «Etwas in dieser Art geschieht bei fast jeder zweiten Verhaftung», sagt Andreas Widmer, langjähriger Stadtpolizist in Zürich und Autor des Buches «Scheissbullen», über den verbreiteten Hass gegen die Polizei.

An manchen Demonstrationen würden Polizisten bewusst provoziert, um eine medienwirksame Reaktion hervorzurufen. Diese wird gefilmt und ins Internet gestellt. Was der Handlung des Polizisten vorausging, wird natürlich weggeschnitten. Johanna Bundi Ryser, Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizei-Beamter: «Unsere Leute werden angespuckt und beschimpft, das sieht man auf diesen Videos aber nie. Es wird eine völlig verzerrte Situation wiedergegeben.»

Schwarze werden mehr kontrolliert

Dass bei der Polizei manchmal Fehler passieren, auch bei der Behandlung von Dunkelhäutigen, stellt niemand in Abrede – die Fälle werden in der Presse jeweils ausführlich geschildert. Auch nicht, dass es in den Korps vereinzelt Beamte mit zweifelhafter Gesinnung gibt. Gegen die oft geäusserte Unterstellung allerdings, Rassismus sei weit verbreitet, wehrt sich die Polizei vehement.

Die Zahlen geben ihr recht. Im letzten Jahr führte die Stadtpolizei Zürich 23’000 Personenkontrollen durch, dabei gab es nur drei Beschwerden wegen rassistischer Benachteiligung. Ein neuer NGO-Bericht zuhanden der UNO verzeichnet für 2014 schweizweit 23 Fälle von unangebrachten Kontrollen aufgrund der Hautfarbe, im Fachjargon «racial profiling» genannt. Auch das tönt nicht nach viel. Klar, die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen – die eine Seite spricht von einer hohen Dunkelziffer, die andere von vielen unbegründeten Beanstandungen – von einem generellen Rassismusproblem kann aber kaum die Rede sein.

Dass sich dunkelhäutige Menschen manchmal schikaniert fühlen, ist dennoch nachvollziehbar. Selbst die Polizei gibt zu, dass Schwarze unter Umständen häufiger kontrolliert werden als andere Leute. Daniel Blumer, Kommandant der Zürcher Stadtpolizei, erklärt: «Der Kokainhandel im Langstrassenquartier zum Beispiel ist vorwiegend in der Hand von Afrikanern. Also ist es wahrscheinlich, dass Dunkelhäutige, die sich wiederholt dort aufhalten, auch eher kontrolliert werden.» Das sei für die Betroffenen unangenehm, habe aber nichts mit Rassismus zu tun.

Wenn nach einem dunkelhäutigen Täter gefahndet werde, liege es in der Natur der Sache, dass man auch Unschuldige kontrollieren müsse. «Dasselbe gilt aber auch für Rothaarige, wenn nach einer entsprechenden Person gesucht wird», so Blumer.

«Scheissbullen»-Autor Andreas Widmer erzählt, dass es abends mit Jugendlichen regelmässig zu unangenehmen Situationen komme. «Wenn die Polizei eine Gruppe junger Migranten in der Nacht wegen Lärm wegschicken muss, so glauben diese oft, sie würden ungerecht behandelt, weil sie Ausländer seien.» Manchmal eskaliere dann die Situation, vor allem, wenn Alkohol im Spiel sei. «Dabei sind die Polizisten bloss ausgerückt, weil es eine Lärmklage gab.»

«Verhaftungen von Schwarzen werden zum Spiessrutenlauf»

In den USA dauert die Polizeiausbildung im Durchschnitt 19 Wochen, in der Schweiz zwei Jahre. Zudem unterscheidet sich die US-Gesellschaft fundamental von der hiesigen, sowohl strukturell als auch historisch – und trotzdem werden immer wieder Parallelen gezogen, insbesondere nach dem Fall George Floyd.

Dies habe grossen Einfluss auf die Polizeiarbeit, sagt Wolfgang Moos, Polizeioffizier in Zug und früherer Ausbildungschef der Zürcher Stadtpolizei. Der Umgang mit Minderheiten gehört seit vielen Jahren zu seinen Kerngebieten. «Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder mit diesem Thema beschäftigen, sowohl in der Ausbildung als auch im polizeilichen Alltag», sagt der gelernte Psychologe.

Dass die uniformierten Beamten generell verdächtigt würden, Menschen nach Herkunft unterschiedlich zu behandeln, hält er für fatal. «Jede Verhaftung eines Schwarzen ist für unsere Leute mittlerweile zu einem Spiessrutenlauf geworden», sagt Moos. «Einige Polizisten überlegen sich zweimal, ob sie eine Kontrolle durchführen sollen, wenn ständig das Risiko besteht, danach in einem Internetvideo als Rassist dargestellt zu werden.»

In vielen Situationen könne die Polizei nur verlieren. Exemplarisch nennt Moos die Black-Lives-Matter-Demonstrationen. Dieses und letztes Wochenende waren mehreren Schweizer Städten bis zu 10’000 Menschen auf der Strasse, obschon noch immer ein Versammlungsverbot für Gruppen über 300 Leuten besteht. Wenige Tage zuvor hatte man andere Kundgebungen noch verhindert. «Aber eine Demonstration gegen Rassismus mit vielen Dunkelhäutigen polizeilich aufzulösen, ist undenkbar. Wir stünden sofort als Rassisten am Pranger.»

Moos stellt jedoch nicht in Abrede, dass noch Verbesserungspotenzial besteht. «Bei der Polizei ist die Zusammensetzung ähnlich wie in den meisten Berufen: Die grosse Mehrheit leistet hervorragende Arbeit. Ein paar wenige allerdings sind der Aufgabe nicht immer gewachsen.» Diese müsste man eigentlich schon in der Selektion und Ausbildung erkennen. Das gelinge zu einem grossen Teil, aber eben nicht immer.

Anti-Rassismus-Aktivist geht auf schwarzen Polizisten los

Moos befürchtet, dass nun auch in der Schweiz die Forderung nach einem Anti-Diskriminierungs-Gesetz laut werden könnte, wie es die Stadt Berlin kürzlich eingeführt hat. Dort muss neuerdings die Polizei bei Beschwerden den Beweis erbringen, dass eine Kontrolle nicht diskriminierend war, etwa von Drogendealern. Ansonsten drohen Strafen. «Die Polizei wird dadurch handlungsunfähig, ja demontiert», sagt Moos. «Das ist eine beängstigende Entwicklung.»

Der Hass gewisser Kreise auf die Polizei führt zuweilen auch zu skurrilen Szenen. Bei der Anti-Rassismus-Demonstration vom 6. März in Zürich ging ein Aktivist auf die Sicherheitsleute los. In seinem Furor schlug er auf einen Uniformierten ein – es war ausgerechnet ein dunkelhäutiger Polizist.
(https://www.derbund.ch/wie-rassismusvorwuerfe-die-polizeiarbeit-behindern-388586327317)


+++POLICE FR
Rassismusdebatte:  Warum Frankreichs Polizisten ihre Handschellen wegwerfen
Frankreichs Polizisten wenden sich gegen ihren Chef. Nachdem der Innenminister Rassismus in der Polizei verurteilt hat, fühlen sich die Beamten unter Generalverdacht gestellt – vor allem wegen zwei Worten.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/frankreich-warum-polizisten-ihre-handschellen-wegwerfen-a-dea85009-63f7-4b85-b631-f89eea1222f5


+++RASSISMUS
derbund.ch 14.06.2020

Rassismus, hausgemacht in der Schweiz

Auch unser Land war beteiligt an der Konstruktion eines rassistischen Menschenbildes. Es prägt noch heute unsere Gesellschaft.

David Streit

Seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA gehen weltweit Menschen auf die Strasse, um gegen strukturellen Rassismus zu protestieren. Ein Blick in die Kommentarspalten zeigt aber auch: Noch immer wird Rassismus von vielen Schweizerinnen und Schweizer negiert, bagatellisiert oder als individuelles Problem angesehen. Getreu dem Motto: Rassistisch – das sind die anderen.

Dabei ist ein Blick in die Vergangenheit hilfreich, um die Parallelen zu verstehen zwischen dem Tod eines Afroamerikaners in Minneapolis und dem Namen eines Lokals in Bern als «Colonial Bar» – und warum Rassismus noch immer bis in die Schweizer Gesetzgebung hineinwirkt.

Obwohl selbst nie eine Kolonialmacht, war die Schweiz ökonomisch, politisch und kulturell immer eng verflochten mit ihren kolonialistischen Nachbarstaaten und somit stark geprägt durch deren rassistische und kolonialistische Denkweise.

Mehr noch, in vielfältiger Weise waren Schweizer selbst aktiv in kolonialen Unternehmungen und in der Konstruktion und Verbreitung von rassistischem Gedankengut. In ihrem Standardwerk «Postkoloniale Schweiz» sprechen die Autorinnen von einem Schweizer «Kolonialismus ohne Kolonien».

Schweizer Beteiligung am Sklavenhandel

Schon früh etwa waren Schweizer am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt. Allein in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden auf 80 Schiffsexpeditionen rund 15’000 bis 20’000 Sklaven von Schweizer Sklavenhändlern und Financiers in die Karibik und nach Nord- und Südamerika verschifft. Auch ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung der Sklaverei am Wiener Kongress befand es der Bundesrat 1864 noch «vorteilhaft und zeitgemäss» für im Ausland lebende Schweizer, «sich Negerknaben zu kaufen und ihnen das Handwerk zu lehren», da «die gemietheten Neger» in der Regel «verdorbene Individuen» seien.

Wie der südafrikanische Historiker Patrick Harries beschreibt, waren zudem Westschweizer Missionare im mittleren 19. Jahrhundert in einem Gebiet tätig, das grösser war als das heutige Festland-Frankreich. Laut Harries hatte die Popularität der Schweizer Mission in der Heimat einen hohen Einfluss auf die Darstellung von Afrikaner*innen.

Der «dunkle» Kontinent diente dabei als Spiegel, in welchem Schweizerinnen und Schweizer den Fortschritt ihrer eigenen Gesellschaft massen. Zusätzlich exotisiert, wurden Afrikaner deshalb oft als «rätselhafte Heiden» dargestellt, die «von einem kinderhaften intellektuellen Zustand zum verantwortungsvollen Erwachsensein erzogen werden sollten».

Ebenfalls einen grossen Einfluss auf die Repräsentation von Afrikanerinnen und Afrikanern hatten Völkerschauen, welche das Bild des unzivilisierten Wilden auf Wandertourneen bis weit in die Schweizer Peripherie verbreiteten. Noch im Jahr 1960 veranstaltete der Circus Knie auf dem Zürcher Sechseläutenplatz eine afrikanische Tier- und Völkerschau.

Kolonialistische Bilder in der Schweizer Politik

Obwohl sich die Schweiz nach aussen gern als unbeteiligt darstellt: Die rassistischen Darstellungen von Afrikanerinnen und Afrikaner aus der Kolonialzeit klingen auch heute noch nach. In der jüngeren Zeit wurden sie sogar gezielt benutzt, um politische Ziele zu erreichen. So ist gerade der Aufstieg der SVP eng verknüpft mit einer Bildsprache, die mit der Angst vor dem «schwarzen Mann» arbeitet und direkt an kolonialistische Diskurse über den minderwertigen «anderen» anknüpft.

Um Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, setzte die SVP ab den 1990er-Jahren gezielt auf eine aggressive Bildsprache. In zahlreichen Abstimmungskampagnen auf der eidgenössischen und kantonalen Ebene benutzte die SVP einen Schwarz-Weiss-Gegensatz, in welcher der «böse», parasitäre Schwarze die weisse, reine Schweiz bedroht.

Nebst dem berüchtigten Schäfchenplakat zur sogenannten Ausschaffungsinitiative aus dem Jahr 2007 seien hier etwa die Kampagne der JSVP für die Asylgesetzrevision von 2013 genannt, in welcher ein kindlich-verwöhnter Schwarzer auf den Schultern einer vor Erschöpfung gebeugten blonden Helvetia reitet.

Ebenfalls von der jungen SVP stammt das Kampagnenposter von 2016 für ein Referendum gegen die Asylsozialhilfe für unbegleitete minderjährige Asylsuchende im Kanton Bern, auf welcher ein dunkelhäutiger Mann mit Cocktail und Zigarre sprichwörtlich in der sozialen Hängematte liegt. Die aggressive Rhetorik funktionierte: Alle drei Abstimmungen gingen zugunsten der SVP aus.

Auch SVP-Chefstratege Christoph Blocher selbst hat negative Stereotypen von Afrikanerinnen und Afrikanern in der Schweiz mitgeprägt – sei es durch Aussagen über eine angeblich fehlende industrielle Kultur in Afrika oder über Sendungen seines Hauskanals Teleblocher, auf welchem er Afrikaner als Drogenhändler pauschalisierte und wörtlich behauptete, «der gesamte Drogenkonsum» liege «in den Händen der Asylanten».

Blochers negatives Bild von Afrika erstaunt wenig angesichts seines eigenen Engagements auf dem Kontinent. Er präsidierte in den 1980er-Jahren mit der parlamentarischen Arbeitsgruppe südliches Afrika (ASA) eine Lobbygruppe, die das Ziel verfolgte, der «weitverbreiteten Desinformation» über den Apartheid-Staat entgegenzutreten.

Rassismus, tief verwurzelt

Diese neokolonialen Verstrickungen und die über Jahrzehnte anhaltende Wirkungsmacht kolonialer Bilder im öffentlichen Diskurs zeigen, dass Rassismus in der Schweiz nichts Fremdes, sondern ein tief in der gesellschaftlichen Struktur verwurzeltes Problem ist.

Noch heute werden koloniale Bilder und negative Stereotypen über Minderheiten in der Schweiz weiterverbreitet. Und noch immer sind BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) kaum vertreten in Politik und Medien, um daran etwas ändern zu können.

Auch wenn er geografisch weit weg scheint: Der Tod von George Floyd in den USA ist auch ein Weckruf für die Schweiz, sich als Gesellschaft gemeinsam dem Problem des strukturellen Rassismus zu stellen und wirksame Wege zu finden, ihn zu bekämpfen.



David Streit

Der Historiker David Streit studierte in Bern Anglistik und Germanistik. 2018 schloss er an der University of Birmingham in Grossbritannien den Master in Colonial and Postcolonial Studies ab. Seine Abschlussarbeit schrieb er über die Illegalisierung der Migration in der Schweiz aus einer postkolonialen Perspektive.
Der Historiker David Streit studierte in Bern Anglistik und Germanistik. 2018 schloss er an der University of Birmingham in Grossbritannien den Master in Colonial and Postcolonial Studies ab. Seine Abschlussarbeit schrieb er über die Illegalisierung der Migration in der Schweiz aus einer postkolonialen Perspektive.
Foto: zvg
(https://www.derbund.ch/rassismus-hausgemacht-in-der-schweiz-372819207440)



tagesanzeiger.ch 14.06.2020

Polizeidirektor findet illegale Demos «hocherfreulich»

Fredy Fässler freut sich trotz der Corona-Regeln über die Anti-Rassismus-Demos. Das Thema werde in der Schweiz zu wenig thematisiert und von der SVP sogar aktiv gepflegt, sagt der SP-Mann im Interview.

Christoph Lenz

Herr Fässler, Sie sind Polizeidirektor des Kantons St. Gallen und Mitglied der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Wie erleben Sie die «Black Lives Matter»-Demos, die am Wochenende erneut Tausende auf die Strassen lockten?

Ich glaube, das ist ein Aufruf, dass wir uns mit unserem Rassismus auseinandersetzen.

Von welchem Rassismus sprechen Sie?

Meist handelt es sich um unbewusste Reaktionen und Reflexe, wie ich sie auch bei mir selbst beobachte. Wir müssen uns das Unbewusste bewusst machen. Und wir müssen kritisch und offen darüber diskutieren, wie viel Rassismus in unserer Gesellschaft vorhanden ist und wie wir besser miteinander umgehen können.

Ist Rassismus ein Problem in der Schweiz?

Es wäre wohl falsch, zu behaupten, die Schweiz habe ein flächendeckendes Problem damit. Ich glaube nicht, dass wir ein Volk von Rassisten sind. Aber Rassismus gibt es situativ auch in der Schweiz. Er wird von Rechtsparteien auch aktiv gepflegt, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

Sie sprechen von der SVP?

Ja, aber auch von anderen Parteien mit offen fremdenfeindlichen Positionen. Natürlich muss man differenzieren: Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind nicht identisch, es gibt aber viel Gemeinsames. Was mir auch auffällt: Lange dachten wir, Rassismus sei bei uns in der Schweiz kein wirkliches Thema, weil wir keine aktive koloniale Vergangenheit haben und keine Sklavenhalterei. Inzwischen wissen wir, dass es auch Schweizer Unternehmen gab, die ihr Geld mit Ausbeutung und Sklaverei verdient haben.

Der Streit um Industriepionier Alfred Escher, der von Sklaverei profitiert hat, zeigt allerdings, wie delikat das Thema ist.

Ja. Ich hoffe sehr, dass es da nicht nur eine Pingpong-Debatte gibt, wo einfach gut und böse definiert werden. Das Ziel muss sein, dass wir das Unbewusste bewusst machen. Wenn es rassistische Reflexe gibt, bringt es nichts, sie einfach zu verbieten. Man muss darüber reden und sich bewusst machen, was für ein Menschenbild man hat. Das ist sehr anspruchsvoll.

Wurde der Rassismus in der Schweiz früher totgeschwiegen?

Nein. Es gab immer Diskussionen. Das Thema war auf der politischen Agenda einfach nicht sehr weit oben. Rassismus wird oft auch bagatellisiert und ins Lächerliche gezogen. Die «Mohrenkopf»-Diskussion ist ein gutes Beispiel dafür.

Inwiefern?

Ich bezweifle, dass die Migros die «Mohrenköpfe» aus dem Regal genommen hat, weil ihr bewusst wurde, dass das ein problematisches Produkt ist. Man hat wohl einfach versucht, vor dem Hintergrund der «Black Lives Matter»-Proteste einen Reputationsschaden zu verhindern. Auf der anderen Seite erzielt der Produzent der «Mohrenköpfe» offenbar mehr Umsatz, seit diese Debatte begonnen hat. Das heisst, es gibt Leute, die finden, sie lassen sich den «Mohrenkopf» nicht nehmen. Das ist doch sehr skurril!

Warum?

Man tut so, als sei es ein Kulturgut, ein Produkt zu verspeisen, das «Mohrenkopf» heisst statt Schoko-Kopf oder sonst irgendwie. Offensichtlich macht es speziell Spass, wenn man einen «Mohrenkopf» essen kann. Ich persönlich finde es völlig daneben, dass man darüber noch lange debattieren muss, ob sich das gehört oder nicht. Aber offensichtlich ist das alles viel komplizierter und komplexer. Um das aber auch noch zu sagen: Die «Mohrenkopf»-Frage ist für mich nicht die allerwichtigste. Wenn die «Mohrenköpfe» aus den Regalen verschwinden, haben wir nicht wahnsinnig viel gewonnen.

Wie erklären Sie sich die grosse Mobilisierung für die «Black Lives Matter»-Demos?

Es gibt viele Gründe, an diesen Demos teilzunehmen. Man will sich solidarisch zeigen mit den Schwarzen Menschen in den USA, mit George Floyd. Es gibt wohl auch Leute, die finden, dass die Schweizer Polizei ähnliche Probleme hat wie jene in den USA. Aber hier bin ich anderer Meinung.

Warum?

Weil wir viel investieren, um unsere Polizisten für das Thema Rassismus zu sensibilisieren. In der Polizeiausbildung sind Menschenrechte, Ethik und die Problematik von Racial Profiling wichtige Elemente. Zudem unterziehen wir Polizeiaspiranten einem Assessment. Hier versuchen wir, jene Leute herauszufiltern, die wir nicht bei uns im Dienst wollen. Wir wollen keine Rassisten, wir wollen keine Gewaltbereiten, wir wollen keine Leute, die ihre Macht missbrauchen.

Dennoch werden derzeit – teils sehr pauschale Rassismusvorwürfe an die Polizei gerichtet. Wie kommt das im Korps an?

Das ist für die Polizistinnen und Polizisten sicher ein Problem. Sie machen einen wichtigen, harten, gefährlichen und anforderungsreichen Job. Und sie reagieren sicher – und zu Recht –, wenn man ihnen unterstellt, sie seien Rassisten. Wie verbreitet solche Vorwürfe aktuell sind, kann ich allerdings nicht sagen. Unser Polizeikommandant hat mir jedenfalls noch nicht berichtet, dass es da ein Problem gibt. Wobei wir das Phänomen dieser Demos auch erst seit zehn Tagen kennen.

Wegen der Corona-Pandemie sind Demos mit über 300 Teilnehmern eigentlich nicht zulässig. Wie bewerten Sie das?

Der Staat hat in den letzten Monaten die Versammlungsfreiheit, ein zentrales Grundrecht, ausser Kraft gesetzt. Das war nötig, das wurde auch akzeptiert. Aber jetzt werden die Leute sich langsam bewusst, was das für ein massiver Eingriff war. Und da sich die epidemiologische Situation entspannt, beginnen die Leute wieder, ihre Grundrechte einzufordern. Ich finde das hocherfreulich.

Als vor einigen Wochen Corona-Skeptiker auf die Strasse gingen, gab es viele kritische Stimmen. Wird da mit unterschiedlichen Ellen gemessen?

Von mir sicher nicht. Wir müssen uns schon fragen, ob es richtig ist, dass die Grundrechte weiterhin in diesem Masse eingeschränkt sind. In anderen Bereichen gab es schon deutliche Lockerungen. Insofern hoffe ich, dass auch die Grundrechte bald wieder jene Bedeutung erhalten, die ihnen entspricht.



Zur Person

Fredy Fässler (61) ist seit acht Jahren Chef des St. Galler Sicherheits- und Justizdepartementes. Zugleich gehört der SP-Politiker der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus an. Vor seiner Wahl in den Regierungsrat arbeitete Fässler als Rechtsanwalt.
(https://www.tagesanzeiger.ch/wir-wollen-keine-rassisten-135852668732)



NZZ am Sonntag 14.06.2020

Rassismus gehört in der Schweiz zum Pflegealltag

In Spitälern und Pflegeheimen erfahren ausländische Mitarbeitende regelmässig Anfeindungen von Patienten.

Laurina Waltersperger

Für Antoine* ist die Arbeit als Pflegekraft im Altersheim eine Aufgabe mit Sinnhaftigkeit. Der Westafrikaner kommt 2011 als Koch in die Schweiz. Hier lässt er sich zur Pflegekraft ausbilden und arbeitet ab 2016 in einer Einrichtung im Berner Seeland. Die Arbeit bereitet ihm Freude. Bis im Sommer 2017.

Ein Ehepaar kommt ins Heim. Die Frau leidet an Demenz, ihr Mann begleitet sie. Als Antoine ihr Zimmer betritt, sagt der Mann: «Meine Frau will nicht, dass ihr ein Neger den Blutdruck misst.»

Er habe nicht gewusst, wie ihm geschehe, erzählt Antoine. Täglich wäscht er Senioren, misst ihren Blutdruck, führt sie spazieren. Worte wie diese hat er noch nie gehört.

Die Vorfälle mit dem Paar häufen sich. Antoine versucht sie zu ignorieren. Er sagt den Eheleuten, er sei lediglich für ihre Pflege zuständig. Doch irgendwann wimmert die Frau, wenn Antoine sich ihr nähert. Ihr Mann beschimpft ihn regelmässig und beschwert sich bei der Direktion.

Antoine solle das Vorgefallene nicht so ernst nehmen, habe es von oben geheissen, sagt er. Er fühlt sich nicht gehört, es geht ihm psychisch schlecht. Er wird krankgeschrieben, erscheint nicht zu einem Termin bei der Direktion. Als er an die Arbeit zurückkehrt, erhält er im Januar die Kündigung. Seither habe er versucht, alles zu vergessen, sagt Antoine. Aber nach dem Fall Floyd in den USA wolle er nun gegen Rassismus kämpfen.

Wie Antoine betrifft Rassismus viele Berufstätige im Gesundheitswesen, in Spitälern und der Langzeitpflege. Im Gespräch berichten sie von Rassismus: Frauen und Männer mit afrikanischen Wurzeln werden von Patienten als «Neger» beschimpft, Vietnamesen als «dreckige Chinesen aus Wuhan», Muslimas mit Kopftuch als «Terroristinnen», Italiener werden wegen des Coronavirus angefeindet. Patienten wollten nicht von ihnen behandelt werden.

«Hätte ich gewusst, dass hier ein Schwarzer arbeitet, hätte ich die Klinik gemieden», wird ein Privatpatient zitiert. Oder: «Die Negerin müssen Sie mir nicht mehr vorbeischicken», so meldete sich eine Seniorin bei der Spitex.

Systematische Probleme

Alma Wiecken kennt solche Fälle. Sie ist Geschäftsführerin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Auf ihrem Schreibtisch landen regelmässig Fälle, bei denen Personen in Gesundheitsberufen Opfer von Rassismus werden. Doch sie repräsentieren nur die Spitze des Eisberges. «Viele Angestellte schlucken die rassistischen Beleidigungen von Patienten jahrelang», sagt Wiecken.

Häufig seien Menschen mit dunkler Hautfarbe Rassismus ausgesetzt. Aber auch zahlreiche Personen aus anderen Herkunftsländern wie etwa aus Osteuropa seien Anfeindungen ausgesetzt. Die meisten Betroffenen wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Sie fühlen sich ihren Vorgesetzten gegenüber oft willkürlichen Entscheidungen ausgesetzt. Das zeigen Gespräche.

«In den Spitälern fehlt es an standardisierten Prozessen bei Rassismus», sagt eine Pflegefachfrau mit afroamerikanischen Wurzeln. Sie arbeitet in einem grossen Zürcher Spital. Dort gebe es im Intranet keinen einzigen Eintrag zum Umgang mit Rassismus. «Alle sprechen immer nur von Einzelfällen, damit man nicht systematisch hinschauen muss», sagt Roland Brunner, Regionalsekretär bei der Gewerkschaft VPOD.

Dabei handle es sich um ein strukturelles Problem. «Das Machtgefälle und die Hierarchien im Gesundheitswesen zementieren die Mechanismen, die Rassismus und Diskriminierung ermöglichen.» Es fehle an einheitlichen, institutionalisierten Strukturen zum Schutz der Betroffenen. Gerade in der Hierarchie schwach gestellte Personen getrauten sich kaum, die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers einzufordern.

Wie Unispitäler und grössere Pflegeinstitutionen mitteilen, gebe es Anlaufstellen in oder ausserhalb der Institutionen. Das Unispital Lausanne führt ein elektronisches Meldesystem. Die Fallzahlen seien gering. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass es systematisch zu weit mehr Vorfällen komme, heisst es auf Anfrage. Auch das Unispital Basel berichtet von Fällen, nennt jedoch keine Zahlen. Das Unispital Zürich verweist auf seine im Mai gegründete Fachstelle für Diversität. Die Alters- und Pflegeheime melden ebenfalls keine Zahlen.

Beim schweizweit grössten Heimbetreiber Tertianum gibt es eine interne Anlaufstelle. Wie Heime und Spitex-Dienste sagen, biete man den Mitarbeitenden gerade im Umgang mit Demenzkranken Kurse an. Beleidigungen spezifischer Art seien dort oft auch Teil des Krankheitsbildes.

Mehr Aufklärung nötig

Trotzdem fühlen sich Betroffene alleingelassen. «Es fehlt an Untersuchungen und der dringend benötigten Aufklärungsarbeit – wie sie beim Thema Sexismus geleistet wurde», sagt Pierre-André Wagner, Leiter des Rechtsdienstes beim Schweizer Berufsverband des Pflegefachpersonals (SBK). «Gegen sexuelle Belästigung gibt es heute einen klaren Leitfaden. Diesen brauchen wir auch im Umgang mit Rassismus.» Dafür will der SBK nun mit dem Verband der Schweizerischen Assistenz- und Oberärzte (VSAO) zusammenspannen.

Der Ärzteverband untersuchte 2020 zum ersten Mal Diskriminierungsfälle. Jeder Zweite gab an, Diskriminierung miterlebt oder selber erfahren zu haben. Während Frauen vorwiegend wegen Schwangerschaft und Elternschaft benachteiligt werden, nannten betroffene Männer am häufigsten ihren Migrationshintergrund.

«Unser Vorstand hat diese Woche beschlossen, dass wir mit weiteren Partnern mehr gegen Diskriminierung unternehmen wollen», sagt Marcel Marti, stellvertretender Geschäftsführer des VSAO. Zusammen mit dem SBK und weiteren Partnern berate man nun gemeinsame Massnahmen.

* Name von Redaktion geändert
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/rassismus-gehoert-zum-pflegealltag-ld.1561162)



Nach massiver Kritik gegen Rassismus-«Arena»: SRF-Moderator Brotz wiederholt Sendung
«Jetzt reden wir Schwarzen» – der Titel der SRF-«Arena» brachte Moderator Sandro Brotz bereits vor der Sendung viel Kritik ein. Nicht wegen des Themas, sondern aufgrund der Auswahl der Gäste. Das Problem: Drei der Hauptgäste waren weiss, mit Comedian Kiko nur einer schwarz. Nach der Ausstrahlung hagelte es Kritik an die Arena-Redaktion.
https://www.watson.ch/!670994442


+++FUNDIS
Läderach kündigt langjährigen Mitarbeitenden
Eine schrecklich fromme Familie
Sie sind bekannt für ihre «Frischschokolade» – und berüchtigt für ihre christlich-fundamentalistische Haltung: die Schoggihersteller Läderach. Jetzt stellt die Firma 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Strasse – ohne Sozialplan.
https://www.workzeitung.ch/2020/06/eine-schrecklich-fromme-familie/


Kritik an «Vom Winde verweht» – «Alle verdienen am geschönten Bild der Sklaverei mit»
Filme wie das Südstaaten-Epos zeigen problematische Bilder. Eine Medienhistorikerin sagt, wie wir damit umgehen sollten.
https://www.srf.ch/news/panorama/kritik-an-vom-winde-verweht-alle-verdienen-am-geschoenten-bild-der-sklaverei-mit


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Die Corona-Rebellion ist vorbei
Die wahnhaften Demonstrationen gegen die Pandemie-Beschränkungen sind vorbei. Ein Abgesang.
Zu Demos gegen die Corona-Maßnahmen kamen am Wochenende nur noch wenige Teilnehmer. Ehemalige Organisatoren haben sich zerstritten und sind in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Was bleibt sind ein paar Verschwörungsgläubige.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137850.coronaproteste-die-corona-rebellion-ist-vorbei.html


+++USA
«I Am Not Your Negro»
Ein Manuskript des US-Autors James Baldwin ist die Basis dieses preisgekrönten Dokumentarfilms. Mit einer Collage von Baldwins Texten, Archivfotos und Filmausschnitten ermöglicht der Film eine ganz neue Sicht auf die jüngere Geschichte der USA.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/wochenende-gesellschaft/jetzt-im-stream-i-am-not-your-negro


+++HISTORY
Schweizerisches Komitee für die Wiedergutmachung der Sklaverei
Nach meiner Teilnahme am Symposium «Western Banking, Colonialism and Reparations», welches die Reparationen-Kommission der CARICOM am 10. Oktober 2019 auf Antigua veranstaltet hat, habe ich mich entschlossen, in der Schweiz einen Appell zu lancieren, um diejenigen, welche noch immer an den Folgen der Sklaverei und der kolonialen Ausbeutung leiden, in ihrem Kampf für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu unterstützen. Die Forderung, die Schweiz auf die Liste der «Sklaverei-Nationen» zu setzen und von ihr Wiedergutmachung zu verlangen, basiert auf meiner laufend erweiterten Studie «Swiss Participation in Slavery, the Slave Trade, and Anti-Black Racism as Relevant to CARICOM Members and the Caribbean Economic Space». Dr. Klaus Stuckert, Dozent für karibische und australische Literatur und Autor von «Swiss-Caribbean Authors: A Legacy of Swiss Involvement in the Colonial System», hat von dieser Studie gesagt, sie sei «die grösste Liste zur Verstrickung der Schweiz in die karibische Plantagenwirtschaft, die es gibt.»
https://louverture.ch/scores/