antira-Wochenschau: Migrationsgipfel, Schliessung Südroute, Prekarisierung Rettungsschiffe, Riots

antira-Wochenschau 6.7. 2018

Was ist neu?
Die Beschlüsse des EU-Migrationsgipfels von letzter Woche sind eher vage. Dennoch können viele der rechtsgerichteten Regierungen Erfolge für sich beanspruchen. Das sind die Hauptbeschlüsse:

-Geschlossene Lager in Europa: Dort sollen flüchtende Menschen registriert und so lange festgehalten werden, bis über sie entschieden wird. Diese Lager sollen von den europäischen Ländern freiwillig errichtet werden und die Menschen zwischen ihnen verteilt werden. Italien erhält zudem die Zusicherung, dass die auf See Abgefangenen nicht mehr automatisch in seine Häfen gebracht werden.

-Sammel- oder Ausschiffungslager in Nordafrika: Die Herrschenden diskutieren schon lange darüber, dass Flüchtende bereits vor dem Mittelmeer registriert und betreffend Asyl geprüft werden sollen. Der Gipfel beschlossen nun den Versuch, «Ausschiffungslager» in Afrika einzurichten. Personen, die im Mittelmeer aufgegriffen werden sollen dahin zurückgebracht werden. Zahlreiche Minister*innen der Afrikanischen Union lehnen dies ab. Bei dieser Absage mögen Sympathien mit Landsleuten mitspielen, wirtschaftspolitische und finanzielle Überlegungen spielen aber sicher auch eine Rolle – wenn die EU genügend Geld in die Hände nimmt, wird aber mit grosser Wahrscheinlichkeit das finanzielle Argument überwiegen. Generell wünscht sich die EU weitere Abkommen nach dem Vorbild des Deals mit der Türkei. Zukünftig soll im EU-Budget immer genügend Geld für solche Abkommen vorhanden sein.

-Mehr Geld für Libyen: Italien bekommt vom EU-Treuhandfond für Afrika 46 Millionen Euro um in Libyen eine ‘Seeleitstelle’ zu errichten, damit Italien ab 2020 nicht mehr für Rettungen in internationalen Gewässern verantwortlich ist. Vordergründig handelt es sich dabei um eine Massnahme, um Menschen in Seenot zu helfen – allerdings wäre dies durch die hochauflösenden Satelliten und das leistungsfähige Überwachungsnetzwerk EUROSUR (auf welches private Rettungs-NGO keinen Zugriff haben) nicht nötig. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Aufstockung der libyschen Polizei.

-Generell soll Frontex mehr Geld erhalten: Juncker schlägt vor, den Handlungsspielraum und das Mandat der Grenzschutzagentur zu erweitern: Sie soll künftig in den EU-Mitgliedstaaten sowie auch in Drittländern tätig sein, falls letztere dem Einsatz zustimmen

Deutschland und Österreich weiter auf Abschottungskurs:

SPD und Union verschärfen erneut die deutsche Asylpolitik. An der Deutsch-Österreichischen Grenze sollen Flüchtende innerhalb von 48 Stunden in einem Schnellverfahren abgeschoben werden können. Die Verfahren sollen in Räumlichkeiten der Bundespolizei in Grenznähe stattfinden, so dass die Migrant*innen rechtlich noch nicht nach Deutschland eingereist sind. Dieser Entscheid folgt auf ein Treffen zwischen dem deutschen Innenminister Horst Seehofer und dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, bei dem die Schliessung der Südroute für Migrant*innen als Ziel formuliert wurde.

 

Was ist aufgefallen?

Am Dienstagabend hat die französische Polizei in Nantes den 22-Jährigen Bubakar niedergeschossen. Die Reaktionen auf die Tötung waren deutlich. Die Wut auf die rassistische Polizeigewalt entlud sich massenhaft und es kam zu heftigen und andauernden Riots.

 

Was ist für den Widerstand wichtig? Was wollen wir im Auge behalten?

Im Kanton Bern stärkt ein neues Polizeigesetz die Repressionsfreiheit der Polizei. Allgemein  trifft dies Menschen, die von Rassismus betroffen sind, besonders stark. Spezifisch richtet sich das neue Gesetz gegen fahrende Minderheiten. Für antira.org ist das Gesetz somit allgemein rassistisch und spezifisch antiziganistisch. Linke Parteien und Organisationen haben gegen das Gesetz ein Referendum lanciert. Damit dieses zustande kommt, braucht es dringend Hilfe: „30 Unterschriften für die Freiheit!” Dies schreibt das Referendumskomitee in einem Aufruf. Sie suchen hundert Personen, die bereit sind, in den nächsten Tage je 30 Unterschriften zu sammeln

  • https://polizeigesetz-nein.be/

 

Wo sehen wir Handlungsspielräume für Widerstand?

Während Menschen im Mittelmeer ertrinken, sabotieren die Behörden die Seenotrettung. So haben die Behörden von Malta diese Woche entschieden dem Druck aus Italien nachzugeben. Mittlerweile stecken auf Malta zwei Seenotrettungsschiffe – Lifeline und Seawatch 3 – sowie das zivile Aufklärungsflugzeug Moonbird fest. Die maltesischen Behörden untersagen den Schiffen das Auslaufen und verhindern weitere Flüge in das Suchgebiet vor der libyschen Küste.

Abbildung: Anzahl der 2018 im Mittelmeer ertrunkenen Migrant*innen (natürlich sollte es in der Grafik Migrant*innen heissen!)

Gegen die Sabotage der Seenotrettung könnten Aktionen gegen die Botschaft von Malta in Genf organisiert werden. Zudem wird am Samstag, 7. Juli in mehreren deutschen Städten demonstriert. Die “Aktion Seebrücke” fordert ein Ende der Abschottungspolitik von Europa, die Entkriminalisierung der Seenotrettung und die Schaffung sicherer Häfen. Das Ziel der “Aktion Seebrücke” ist es, ein Netzwerk aus europäischen Städten zu gründen, welche sich mit Geflüchteten solidarisieren und sichere Häfen zur Verfügung stellen. Bisher steht die Aktion mit Berlin, Barcelona und Neapel in Kontakt.

 

Was steht an?

In der kommenden Woche soll in Innsbruck ein Treffen der drei Innenminister aus Deutschland, Österreich und Italien stattfinden, um die Schliessung der Mittelmeer-Route für Flüchtende zu planen.

“Nieder die Zäune, hoch die Fäuste!” So heisst es im Aufruf zur Demo am Samstag, 14. Juli 2018 in Zürich. Die Demo gegen die europäische Migrationspolitik startet um 14 Uhr auf dem Limmatplatz

  • https://barrikade.info/Demo-gegen-die-europaische-Migrationspolitik-1254.

 

Wo gabs Widerstand?

In Zürich und Bern haben hunderte Personen gegen den Besuch des iranischen Präsidenten in der Schweiz protestiert. Der Bundesrat hat den Leader eines Regimes empfangen, das die Bevölkerung foltert, ermordet und unterdrückt. Proteste werden im Iran im Keim erstickt, Frauen sexistischer Gewalt ausgesetzt. Ausserdem stützt Iran das Assad-Regime in Syrien und spielt auch in anderen regionalen Konflikten aktiv mit.

In Luzern demonstrierten über 700 Menschen unter dem Motto “Ich bin auch ein Mensch” gegen die rassistische Migrationspolitik in der Schweiz und den anderen europäischen Staaten. Sie forderten sichere Fluchtrouten und das Bleiberecht für alle Geflüchteten.

  • https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/demonstration-in-luzern-prangert-zentralschweizer-asylpolitik-an-ld.1034902