Medienspiegel 23. März 2024

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+++++AARGAU
Zelgliquartier: Anwohner besichtigen die neue Unterkunft für minderjährige Asylsuchende in Aarau
Die Anwohner im Zelgli in Aarau waren sehr kritisch und hatten viele Befürchtungen, als sie erfahren haben, dass bald 55 jugendliche Asylsuchende ins ehem. Tageszentrum der Psychiatrischen Dienste Aargau einziehen werden. Heute konnten sie die neue Unterkunft besichtigen. Wir haben vorbeigeschaut und nachgefragt, was die Anwohner jetzt denken.
https://www.telem1.ch/aktuell/zelgliquartier-anwohner-besichtigen-die-neue-unterkunft-fuer-minderjaehrige-asylsuchende-in-aarau-156631376


+++ZÜRICH
limmattalerzeitung.ch 23.03.2024

Asylpfarrer Arnold Steiner: «Wir kommen nicht drumherum, mit den Eingewanderten eine neue Schweiz zu bilden»

Arnold Steiner arbeitet seit gut zweieinhalb Jahren als Seelsorger im Bundesasylzentrum in Zürich Altstetten. Im Gespräch erzählt er von seinen Erfahrungen mit traumatisierten Asylsuchenden.

Sven Hoti

Das Bundesasylzentrum Zürich in Altstetten bietet Platz für 360 Asylsuchende. Sie bleiben dort, während ihr Asylantrag bearbeitet wird, jedoch höchstens 140 Tage. Die meisten verlassen das Zentrum nach wenigen Tagen wieder. Manche dieser Menschen haben einen steinigen Weg vom Heimatland in die Schweiz hinter sich, der von schlimmen Erfahrungen geprägt war. Arnold Steiner ist für die Menschen während ihres Aufenthalts der «Pater», der immer ein offenes Ohr für ihre Anliegen hat.

Steiner arbeitet seit rund zweieinhalb Jahren als Seelsorger im Asylzentrum in Altstetten. Dort ist der 60-Jährige Teil eines vierköpfigen Seelsorge-Teams. Es besteht aus zwei Muslimen, einem Katholiken und ihm als Vertreter der reformierten Kirche. Steiner betont jedoch: Alle vier seien für alle Religionen da und offen.

«Fremde aufzunehmen, ist ein Grundgebot des Evangeliums», betont Steiner, als wir uns im halb öffentlichen Aufenthaltsraum des Asylzentrums treffen. Es ist kurz vor 15 Uhr, der Raum ist noch leer. Ab 15 Uhr haben die Asylsuchenden die Gelegenheit, sich zu verpflegen und sich die Zeit zu vertreiben.

Sie sind Pfarrer in der reformierten Kirche, ein bekennender Christ also. Im Bundesasylzentrum jedoch sind die meisten Asylsuchenden Muslime. Wie kann das funktionieren?

Arnold Steiner: Wenn einer dasitzt und sagt, er habe niemanden auf der Welt ausser Gott, dann weiss ich nicht, ob es ein Muslim, ein Christ oder ein Hindu ist. Diese Ebene ist für alle gleich. Wir haben ja in vielem eine ähnliche religiöse Sprache. Wenn ich beispielsweise sage, ich bete, dann versteht das ein Muslim. Hinzu kommt, dass es bei den Menschen aus muslimischen Ländern auch solche gibt, die eine schlechte Erfahrung mit dem Islam gemacht haben. Es kommen nicht nur gläubige Muslime.

Haben Sie bisher auch schon Ablehnung erfahren?

Sehr selten. Es gibt einen grossen Respekt auch mir gegenüber von verschiedenen Religionsangehörigen.

Wie gelangen die Menschen zu Ihnen?

Wichtig ist, dass das medizinische Fachpersonal, das mit den Leuten im Gespräch ist, merkt, ob jemand weitergehenden Gesprächsbedarf hat. Es überweist uns manchmal Leute. Zudem werden wir von Personen weiterempfohlen, die regelmässig bei uns sind. Generell ist es aber aufsuchende Arbeit. Ich gehe aktiv auf die Leute zu. Das bedeutet, dass ich im Innenhof präsent bin und mit den Leuten spreche. Zudem gehe ich jeden Tag im Raum der Stille beten. Ich habe das Gefühl, das gibt mir das Gespür zu erkennen, wo Bedarf für ein Gespräch besteht.

Wie lange dauern die Gespräche in der Regel?

Ich rechne meistens mit einer Stunde pro Gespräch. Einzelne Personen begleite ich länger, teilweise über mehrere Wochen. So habe ich sicher acht Gespräche pro Tag, davon zwei bis drei längere.

Wer sind die Leute, die Sie aufsuchen?

Es hat sehr viele jüngere Männer. Es gibt aber auch Frauen und Familien.

Welche Schicksale treffen Sie bei Ihrer Arbeit an?

Häufig sind es Gewalterfahrungen, welche die Asylsuchenden in ihrem Heimatland und auf der Flucht gemacht haben und die sie überfordern.

Wie genau helfen Sie den Leuten?

Ich bin zwar weder Trauma- noch Psychotherapeut. Aber ich kann zuhören. Ich kann einen Raum geben, in dem jemand in einem vertraulichen Rahmen seine Geschichte in Worte fassen kann. Das hilft den Menschen. Sie haben auf der Flucht und hier im Asylzentrum ein grosses Misstrauen gegenüber anderen Leuten. Man weiss nie, wem man was erzählen kann. Ein solches seelsorgerisches Gesprächsfenster bietet eine Hilfe.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Mann erzählte mir, wie schwierig es momentan mit seiner Frau sei. Als Paar mit einem Kind ist eine Flucht und der Aufenthalt im Asylzentrum ein Wahnsinnsstress. Die meisten Schweizer würden das nicht aushalten. Ihm hat es geholfen, darüber zu sprechen, wie er sich fühlt, und nicht immer so tun zu müssen, als hätte er alles im Griff.

Wie schaffen Sie Vertrauen zu den Menschen?

Durch Freundlichkeit und Interesse an den Menschen. Und dann hilft schon meine Funktion als Pfarrer. Für viele hier bin ich der «Peder», was auf Türkisch Pater bedeutet.

Wie erleben Sie die steigenden Asylzahlen?

Aktuell läuft der Betrieb gut geordnet. Zu Beginn des Ukraine-Kriegs war das Bundesasylzentrum massiv überbelegt, was dazu führte, dass der Stress wuchs und die Handlungsspielräume für Problemlösungen schrumpften.

Welche Bedeutung hat die Seelsorge in den Asylzentren?

Ich erkläre es anhand eines Beispiels: Auf den Asylantrag eines Paars mit Kind wurde nicht eingetreten. Nach furchtbaren Fluchterfahrungen muss es also zurück nach Kroatien. Die Frau unternahm einen ernsthaften Selbstmordversuch. Ich war der Erste, der sie in der Psychiatrie besuchte und ihr menschlich begegnete. Nicht nur sie, sondern auch ihre Familie war dankbar dafür.

Das muss Sie stolz gemacht haben.

Ich bin ein Anwalt der Hoffnung. Ich glaube, dass es immer Hoffnung gibt – und ich frage die Leute auch immer, was ihre Hoffnung ist. Denn ohne Hoffnung bricht man in einer solchen Situation zusammen.

Das klingt sehr optimistisch.

Die Menschen, die hier leben, haben alles verloren: ihre Heimat, häufig ihre Gesundheit, ihre körperliche Integrität. Aber in ihrem Innersten gibt es einen Kern, der nicht kaputtgemacht werden kann. Für das einzustehen, scheint mir wertvoll. Wenn man nur ausgeliefert ist, keine Hoffnung mehr hat, ständig Albträume hat, dann macht das jeden kaputt. Als gläubiger Mensch stehe ich hin und zeige den Menschen auf, dass es Hoffnung gibt. Wir als Seelsorger sind dafür da, die unlösbaren Probleme auszuhalten.

Woher holen Sie die Kraft, um mit diesen Schicksalen umzugehen?

Aus dem Gebet und dem direkten Kontakt mit den Menschen. Und mit viel reden.

Können Sie nach Feierabend abschalten?

Nach der Arbeit bete ich jeweils das Vaterunser. Aber die Geschichten gehen mir natürlich nach.

Wie haben Ihre Erfahrungen mit Asylsuchenden Ihre Sicht auf das hiesige Asylsystem beeinflusst?

Ich habe grossen Respekt vor der Schweiz, die versucht, mit diesem Problem umzugehen. Ich sage immer, die Schweizer sind gut im Organisieren. Aber wenn es darum geht, Menschen auf emotionaler Ebene aufzunehmen, sind sie eher zurückhaltend. Ich habe auch riesigen Respekt vor den Menschen, die es hierhin geschafft haben. Das sind zum grossen Teil Helden. Gleichzeitig ist die ganze Migration eine Herausforderung, die nicht einfach zu bewältigen ist – und immer grösser wird.

Muss man die Einwanderung eingrenzen?

Ich bin der Meinung, dass man die, die kommen, auch versuchen sollte zu integrieren.

Ein eingebürgerter, 15-jähriger Tunesier hat in Zürich auf einen Juden eingestochen und ihn lebensgefährlich verletzt. Die Rechte sieht dies als Beispiel schlechter Integration. Was sagen Sie dazu?

Das Aufnehmen von Fremden führt zu einer Transformation unserer Gesellschaft. Es wird nicht möglich sein, alle aufzunehmen und sie zu solchen Schweizern zu machen, wie wir sie vor 50 Jahren gekannt haben. Die Herausforderung wird sein, sie aufzunehmen und mit ihnen eine neue Schweiz zu bilden. Da muss man sich überlegen: Welche Werte sollen für alle gelten, und wo können wir uns auch verändern?

Man muss sich also gegenseitig entgegenkommen.

Genau, bei der Essenskultur etwa haben wir uns bereits verändert. Beispielsweise essen wir heute asiatisch. Wir haben eine amerikanisierte Alltagskultur. Wir sind ständig in einer Transformation. Das kann zu einem Gefühl der Entfremdung führen. Wir kommen nicht drumherum, mit den Eingewanderten eine neue Schweiz zu bilden.

Was entgegnen Sie jenen, die Angst vor einer drohenden Überfremdung haben?

Diejenigen, die kommen, kommen nicht, um die Schweiz zu erobern oder sie zu einem muslimischen Staat zu machen. Das sind ein paar wenige Radikalisierte. Die meisten kommen, weil sie sehen, dass hier Menschenrechte respektiert werden, dass Kinder eine gute Schulbildung erhalten und Frauen nicht unterdrückt werden. Der Wohlstand ist nicht der Hauptgrund.



Zur Person

Arnold Steiner wollte schon als Kind Pfarrer werden. Nach seiner Matura in Winterthur studierte er Theologie in Zürich. Von 1991 bis 1992 war er für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) tätig; ein Jahr in den von Israel besetzten Gebieten in Palästina und ein Jahr in Burundi sowie Ruanda. Danach stieg er ins Pfarramt ein und arbeitete im Elsass und in Winterthur. Heute ist der 60-Jährige Teilzeit als Pfarrer in Wildberg im Bezirk Pfäffikon sowie im 40-Prozent-Pensum als Seelsorger im Bundesasylzentrum Altstetten angestellt. (sho)
(https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/interview-asylpfarrer-arnold-steiner-wir-kommen-nicht-drumherum-mit-den-eingewanderten-eine-neue-schweiz-zu-bilden-ld.2590059)


+++MITTELMEER
Mehr als 600 Neuankömmlinge auf Lampedusa – Kind vermisst
Insgesamt 13 Boote sollen innerhalb kürzester Zeit auf der Mittelmeerinsel angekommen sein. Ein Boot erleidet dabei Schiffbruch – mit Folgen.
https://www.nau.ch/news/europa/mehr-als-600-neuankommlinge-auf-lampedusa-kind-vermisst-66732436


+++SENEGAL
Migration nach Europa – «Menschen aus Afrika werden immer irgendwie nach Europa gelangen»
Eine Stadt im Norden Senegals gilt als Tor nach Europa, von dem aus jedes Jahr Boote mit Tausenden Migranten ablegen. Die Reise über das Meer ist lebensgefährlich. Doch vielen scheint die Realität vor Ort aussichtslos.
https://www.srf.ch/news/international/migration-nach-europa-menschen-aus-afrika-werden-immer-irgendwie-nach-europa-gelangen


+++FREIRÄUME
60’000 Franken fehlen: Brasserie Lorraine droht Aus
Der Ort, der kulturelle Aneignung zum schweizweiten Thema machte, steckt in Geldnot. Bis jetzt konnte die Brasserie Lorraine in Bern 42’929 Franken auftreiben.
https://www.nau.ch/news/schweiz/60000-franken-fehlen-brasserie-lorraine-droht-aus-66731036


Aus ehemaliger Gassenküche soll Kulturtreffpunkt werden
Am Lindenberg 21, gleich neben dem Hirscheneck, soll ein sozialer Kulturtreffpunkt entstehen. Die Dachgenossenschaft, zu der das Restaurant Hirscheneck gehört, hat das Haus erworben und wird die leeren Räume der ehemaligen Gassenküche neu nutzen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/aus-ehemaliger-gassenkueche-soll-kulturtreffpunkt-werden?id=12560942


+++GASSE
Bread and Roses oder das Anrecht auf Sicherheit
Öffentliche Sicherheit – Die Sozialanthropologin Serena Dankwa hielt im Rahmen der Museumsnacht im Politforum eine Rede zum Thema «Wie sicher ist der öffentliche Raum?». Darin bringt sie die Lebensperspektiven von Geflüchteten mit Sicherheitspolitik in Verbindung. Wir publizieren die Rede von Serena Dankwa in ungekürzter Form.
https://journal-b.ch/artikel/bread-and-roses-oder-das-anrecht-auf-sicherheit/



åluzernerzeitung.ch 14.03.2024

Ein «Tuusigernötli» für den Ausgang: Junge Zugerinnen und Zuger kommen offenbar leicht an teure und harte Drogen

Der Kokainkonsum unter Jugendlichen im Kanton Zug steigt, zudem werden die Konsumentinnen und Konsumenten immer jünger. Leisten können sie sich die Droge unter anderem mit dem Geld ihrer Eltern.

Kristina Gysi

Vor rund einer Woche berichtete unsere Zeitung über einen ehemaligen Zuger Barbetreiber, der den Verkauf und Konsum von Drogen in seinem Lokal toleriert haben soll. Er bestritt diese Anschuldigungen.

Das Thema Drogenkonsum im Zuger Nachtleben beschäftigt aber weiterhin. Verschiedene Lokale nehmen Stellung dazu. Eine sich wiederholende Beobachtung ist besonders bedenklich.

Gemäss Philipp Waldis, Inhaber der Stadtzuger Lounge & Gallery, wird im Nachtclub kein offener Drogenkonsum toleriert. Es gelte die Null-Toleranz, der Verkauf von Drogen würde durch sensibilisierte Mitarbeitende sofort unterbunden.

Schwieriger gestalte sich hingegen die Kontrolle auf der Toilette. Dort gelte es zwischen der Privatsphäre und dem Schaden der Gäste abzuwägen. «Uns ist bewusst, dass auch wir nicht gänzlich von der Konsumation hinter verschlossenen Türen verschont bleiben», so Waldis.

Immer jüngere Konsumenten

Auch Stefanie Schmid und René Hürlimann, Inhaber und Geschäftsführende der Zuger Chicago Bar, äussern sich öffentlich. «Es wäre naiv zu denken, dass bei uns nicht konsumiert wird», heisst es. Das erkenne man an verschiedenen Funden wie Säckchen mit Pulvern und weissen Rückständen auf Toilettendeckeln. Wobei es sich bei den Substanzen genau handle, könne man sich jeweils zwar denken, genau wissen täte man das aber nicht.

Auch im Chicago gelte Null-Toleranz, das Personal sei darauf geschult. «Was aber hinter geschlossenen Kabinentüren passiert, können wir nicht lenken.» Schon länger gebe es die Regel, dass Männer, die zu zweit auf eine Kabine gehen, rausgeschmissen würden und für den Rest des Abends Hausverbot erhielten. Bei den Frauen gelte das nicht; bei ihnen sei es etabliert, gemeinsam die Toilette aufzusuchen.

Eine Beobachtung der Barbetreibenden betrifft die Konsumentwicklung illegaler Drogen in den vergangenen Jahren: Dass immer jüngere Menschen immer härtere Drogen konsumieren würden. Kokain etwa.

Pulver und Pillen

Mit dieser Beobachtung sind sie nicht allein. Eine weitere Person, nennen wir sie X, reagiert auf unsere Anfrage und ist bereit, ihre Erfahrung bezüglich des Zuger Nachtlebens zu teilen. Sie geht dabei mehr ins Detail als ihre Kollegen. Zum Schutz wird sie anonymisiert.

X zeichnet ein Bild der lokalen Drogenszene, das besorgniserregend ist. Nicht, weil es überraschend wäre, dass auch in Zug harter Stoff konsumiert wird, sondern weil es sehr, sehr junge Menschen sind, die es tun. Sie spricht von 15-Jährigen, die koksen. Es würde X nicht verwundern, wenn sie noch jünger sind.

Laufend erhält sie Informationen über das Zuger, Zürcher und Luzerner Nachtleben. X befindet sich in regem Austausch mit den Menschen, die sich darin bewegen, mit jenen, die nah dran sind. Dazu gehört auch das Sicherheitspersonal. Die oftmals kräftigen Männer vor und in den Lokalen sind es, die am Ende der Nacht durch die Toiletten streifen, Pulver und Pillen finden. In Zug sei das keine Seltenheit.

Alkohol gerät zunehmend in Verruf

Auch mit jungen Bartendern tauscht sich X aus. Mit Menschen anfangs 20, die wissen, wie sich das Ausgehverhalten ihrer Altersgenossen und das von Jüngeren verändert hat. Alkohol gerate in dieser Generation zunehmend in Verruf. Der Kater lasse sich nicht vereinbaren mit dem gesunden Lifestyle und den Fitnesszielen. Also suche man nach Substanzen, die zwar für die Nacht betäuben, jedoch physisch weniger grosse Auswirkungen auf den nächsten Tag hätten als beispielsweise Alkohol.

Gemäss den Informationen des Sicherheitspersonals ist Kokain teuer, hier in Zug noch teurer als etwa in Zürich. Für die jungen Zugerinnen und Zuger sei das kein Problem. «Die bekommen teilweise ein ‹Tuusigernötli› von den Eltern für den Ausgang oder deren Kreditkarte ohne Limite.» X habe das schon selber miterlebt. Somit scheint der Aufwand für junge Leute, in Zug an Stoff zu kommen, niederschwellig.

Auch gebe es Sicherheitsleute, die X berichten, dass es in Zug Bars gebe, die bezüglich Drogenkonsums beide Augen zudrücken. Der Kokainkonsum rege zum Trinken an, was sich am Ende positiv auf das Geschäft auswirke. Das sei schockierend, so X: «Man sieht ja, wenn in den Bars, auf Deutsch gesagt, Bubi-Faces hocken. Für mich ist das kein Dorn im Auge, sondern in der Seele.»

Keine Probleme, an Substanzen zu gelangen

Der Eindruck, dass junge Menschen in Zug einfach an harte Drogen kommen, wird von behördlicher Seite bestätigt. So schreibt die Gesundheitsdirektion des Kantons Zug: «Die Hürde wird als sehr niederschwellig wahrgenommen. Die Jugendlichen berichten, dass sie keine Probleme haben, an Substanzen zu gelangen.» Dies etwa per Post, durch Boten oder durch Freunde, die sie ihnen besorgen. Cannabis und Kokain seien überall leicht erhältlich, auch ohne digitale Medien.

Jedoch spielen auch diese eine Rolle bei der Drogenbeschaffung. So sei in Beratungen auch schon erzählt worden, dass Jugendliche über Snapchat und Instagram zu illegalen Substanzen kamen.

Gemäss der Gesundheitsdirektion gehören zu den am häufigsten konsumierten Drogen im Alter zwischen 16 und 20 Jahren Alkohol, Nikotin und Cannabis. «Zudem wird vermehrt Kokain konsumiert», heisst es auch hier. Hinzu kämen weitere Substanzen wie MDMA (Ecstasy), Benzodiazepine (Psychopharmaka), Codein, Psychedelika, GHB (auch liquid Ecstasy genannt) und Amphetamine. Weniger konsumiert würden Opiate und Methamphetamine.

Allgemein sei der Drogenkonsum diverser geworden. Es gebe mehr Substanzen auf dem Markt und es würden vermehrt verschiedene davon konsumiert. «Jugendliche, die Interesse am Konsum haben, finden alles, was sie suchen und probieren auch vieles aus.»

Nationale Studie schafft Überblick

Zuger Zahlen zum Konsum illegaler Drogen durch 16- bis 20-Jährige seien nicht verfügbar. Die Gesundheitsdirektion verweist hierfür auf eine Studie, genannt HBSC (Health Behaviour in School-aged Children Study). Darin werden schweizweit Jugendliche zu ihrem Substanzkonsum befragt. Die Studie ist online einsehbar und gibt einen Überblick zur aktuellen Situation, lässt sich jedoch nicht auf den Kanton Zug herunterbrechen.

Zu den Gründen für den steigenden Kokainkonsum bei Jugendlichen macht die Zuger Gesundheitsdirektion keine konkreten Angaben. Dies, weil der Kanton keine Daten dazu erhebe und es sich nicht um ein Breitenphänomen handle. X erwähnte diesbezüglich den sich wandelnden bevorzugten Lebensstil von Jugendlichen. Weitere mögliche Gründe sind Leistungsdruck, Gruppenzwang oder reine Neugierde. Und gestillt werden kann diese offenbar in einigen Zuger Bars.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/konsum-ein-tuusigernoetli-fuer-den-ausgang-junge-zugerinnen-und-zuger-kommen-offenbar-leicht-an-teure-und-harte-drogen-ld.2593313)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Tausende fahren für die Critical Mass durch Zürich
Am Freitagabend nahmen mehrere Tausend Velofahrerinnen und Velofahrer an einer bewilligten Demonstration teil. Sie setzten sich dafür ein, dass die Stadt, die Protestfahrt Critical Mass – ohne fixer Route – bewilligt stattfinden lässt.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/tausende-fahren-fuer-die-critical-mass-durch-zuerich?id=12560960
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/velodemonstranten-fordern-critical-mass-ohne-einschraenkungen-156631412


Occupation du hameau agricole de Pontareuse à Boudry (NE)
Depuis ce samedi 23 mars, le collectif des Hirondelles occupe des terres agricoles et des bâtiments au lieu-dit de Pontareuse, à Boudry, à l’abandon depuis 2017.
 https://renverse.co/infos-locales/article/occupation-du-hameau-agricole-de-pontareuse-a-boudry-ne-4421


+++SPORT
luzernerzeitung.ch 23.03.2024

«So mehr Einzeltäter zu erwischen, ist eine Utopie»: Oberste Polizeibeamtin spricht im Kampf gegen Chaoten Klartext

Mit dem «Luzerner Weg» will die neue Justiz- und Sicherheitsdirektorin Ylfete Fanaj Gewalt bei Fussballspielen verhindern. Teil davon: Die Polizei soll mehr Einzeltäter fassen. Ob dies gelingt, wird sogar an höchster Polizeistelle bezweifelt.

Christian Glaus

Dialog mit den Fans und mehr Härte gegenüber Gewalttätern. Das sieht der «Luzerner Weg» vor, den die neue Justiz- und Sicherheitsdirektorin Ylfete Fanaj (SP) Ende Februar vorstellte.

Kurz darauf musste die Regierungsrätin bereits einen ersten Rückschlag hinnehmen: Mit der Vereinigung USL hat eine grosse Fangruppierung den runden Tisch bereits wieder verlassen. Sie begründete dies damit, dass sich die Regierung nicht vom umstrittenen Kaskadenmodell distanziere, welches einen Strafenkatalog für Fangewalt enthält. Damit protestiert die USL gegen «Kollektivstrafen». Auch der FC Luzern stellt sich gegen das Kaskadenmodell.

Doch auch der zweite Teil des «Luzerner Wegs» wird infrage gestellt. Fanaj fordert von der Luzerner Polizei explizit «mehr Verhaftungen», wenn es zu Ausschreitungen kommt. Wie schwierig es ist, Chaoten aus der Masse zu ziehen und zu bestrafen, schilderte unsere Zeitung bereits vor einem Jahr ausführlich. Damals musste Polizeisprecher Christian Bertschi eingestehen: «Vielfach bleibt die Fangewalt tatsächlich ohne Konsequenzen.»

Mehr Personal, härtere Strafen, bessere Überwachung

Was ist von der Ankündigung der Luzerner Justizdirektorin zu halten, die von der Polizei «mehr Verhaftungen» fordert? «Das ist nicht so einfach, wie man sich das vorstellt», sagt Johanna Bundi Ryser, Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter, auf Anfrage der «Luzerner Zeitung». Sie wird noch deutlicher: «Es ist eine Utopie, unter den aktuellen Umständen mehr Einzeltäter zu erwischen. Die eigene Sicherheit der Polizistinnen und Polizisten spielt ebenfalls eine zentrale Rolle.» Bundi Ryser nennt drei Punkte, die erfüllt sein müssen:

1. «Es müssen genügend personelle Mittel zur Verfügung stehen. Einige Kantone, darunter Luzern, haben es über Jahre versäumt, ihre Korps dem Bedarf entsprechend aufzustocken.»
2. «Die Strafe muss wehtun. Bei Gewalttätern reicht eine bedingte Geldstrafe nicht. Die Chaoten sollten in Schnellverfahren abgeurteilt werden – das macht Eindruck.»
3. «Auch wenn man Chaoten erwischt, muss man ihnen eine Straftat nachweisen können. Das ist schwierig, weil sie sich vermummt in der Masse verstecken. Um die Videoüberwachung kommt man kaum herum.»

Heisst: Die Behörden müssen laut Bundi Ryser sämtliche Mittel ausschöpfen, wenn sie erfolgreich gegen in Gruppen auftretende Chaoten vorgehen wollen. «Die Polizei hat nicht resigniert», stellt sie klar.

Die oberste Polizeibeamtin ist also skeptisch, wenn es um das Ziel von «mehr Verhaftungen» geht. Deshalb die Frage an die Luzerner Polizei und das Justiz- und Sicherheitsdepartement: Was konkret unternehmen sie, um Fanajs Ziel zu erreichen? Ihr Departement erteilt keine weiteren Auskünfte.

Polizei: Mehr Verhaftungen dank Spezialkräften

Wortkarg fällt die Antwort von Polizeisprecher Bertschi aus: «Wie üblich äussern wir uns in der Öffentlichkeit nicht zu einsatztaktischen Fragen», schreibt er. Bertschi wiederholt, was Fanaj an der Medienkonferenz Ende Februar gesagt hatte: Innerhalb des Ordnungsdienstes gibt es ein neues Detachement mit dem Namen «Ordnungsdienst-Spezialkräfte». «Mit diesem sollen mehr Festnahmen erreicht werden.» Mehr ist nicht zu erfahren, auch nicht zur Grösse des Detachements.

Es ist anzunehmen, dass diese Spezialkräfte sich bei Ausschreitungen zu den Chaoten vorwagen sollen, um diese festzunehmen. Solche Aktionen hat die Polizei bisher vermieden, damit es nicht zu einer Gewalteskalation in bewohntem Gebiet kommt.

Ob die Polizei bei Videoaufnahmen aufrüstet, um Straftaten in einem allfälligen Verfahren beweisen zu können, ist unklar. Auch dazu äussert sie sich nur vage. Klar ist, dass sie weiter auf mobile Videoteams setzt. Auf der Marschroute vom Bahnhof zum Stadion fixe Kameras zu installieren, sei dagegen nicht geplant. Die Polizei begründet dies mit Datenschutzvorgaben und der Streckenlänge von rund zwei Kilometern.



«Problem nicht auf die Polizei abschieben»

Die Präsidentin des Polizeibeamtenverbands ist enttäuscht, dass die Fussballclubs und die Liga das Kaskadenmodell in letzter Minute fallen gelassen haben. An der Erarbeitung des Modells waren sie zwar beteiligt, verweigerten am Ende aber die Unterschrift und die finale Mitarbeit, weil sie sich gegen «Kollektivstrafen» wehrten. Johanna Bundi Ryser sagt: «Man kann das Problem nicht einfach auf die Polizei abschieben. Alle Parteien – auch die Clubs –
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/kanton-luzern/fangewalt-mehr-einzeltaeter-zu-erwischen-ist-eine-utopie-oberste-polizeibeamtin-spricht-im-kampf-gegen-chaoten-klartext-ld.2597642)


+++POLICE BE
Öffentlichkeitsfahndung in Bern: Darum setzt die Polizei auf den Internetpranger
Die Kantonspolizei Bern veröffentlicht bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr Täterfotos. Erlaubt ist diese Fahndungsmethode nur bei gravierenden Delikten.
https://www.derbund.ch/kantonspolizei-bern-warum-der-internetpranger-effektiv-ist-898279988308


+++RECHTSPOPULISMUS
Martin Sellner: Hätte SVPler seinen Auftritt verhindern können?
Alt SVP-Nationalrat Luzi Stamm hat 2006 einen Vorstoss eingereicht, der für Redner wie Rechtsextremist Martin Sellner eine Bewilligungspflicht verlangte.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/martin-sellner-hatte-svpler-seinen-auftritt-verhindern-konnen-66731378


+++RECHTSEXTREMISMUS
aargauerzeitung.ch 23.03.2024

Nähe oder Distanz? Die Junge SVP Aargau steht beim Umgang mit Rechtsextremen vor einer Grundsatzfrage

Die Junge SVP Aargau schweigt weiter zur Solidaritätsbekundung mit dem Rechtsextremen Martin Sellner. Doch hinter den Kulissen brodelt es, wie Recherchen zeigen.

David Walgis und Fabian Hägler

War es ein Moment purer Gedankenlosigkeit? Oder eine gezielte Provokation? Diese Fragen stellen sich auch rund eine Woche nachdem die Junge SVP Aargau auf X ihre Solidarität mit Martin Seller ausgedrückt hat. Der österreichische Rechtsextreme sollte am vergangenen Samstagabend bei einem Anlass der rechtsextremen Gruppierung Junge Tat in Tegerfelden einen Vortrag halten. Doch die Kantonspolizei Aargau löste die Veranstaltung auf und sprach gegen Sellner eine Wegweisung vom Kantonsgebiet aus.

Die Junge SVP Aargau will sich weiterhin nicht zu ihrem Post äussern. Dasselbe gilt für SVP-Aargau-Präsident Andreas Glarner: «Ich werde dazu nichts sagen, es war weder unser Anlass noch unser Redner», teilt er mit. Doch die AZ weiss: Die Aktion kam bei der Mutterpartei nicht gut an. Glarner soll die Führung der Jungen SVP zur Aussprache gebeten haben, und mehrere prominente SVP-Mitglieder sagen, der Post schade der Partei. Sie bezeichnen die Solidarisierung mit Rechtsextremen als ungeschickt oder gar dumm – mit Namen äussern will sich aber niemand.

Einer der Köpfe der Jungen Tat war Mitglied der Jungen SVP Aargau

Die Diskussion um den Post zeugt von einem tiefer liegenden Problem: Wie soll die Junge SVP mit der Jungen Tat umgehen? Die rechtsextreme Gruppierung spricht mit ihrem Auftritt auf Social Media ein junges Publikum an. Gleichzeitig suchen Exponenten der Jungen Tat gezielt die Nähe zur SVP: So übernahm etwa der Aargauer Tobias Lingg, einer der Köpfe der Jungen Tat, im letzten Jahr den Social-Media-Wahlkampf der Winterthurer SVP-Nationalratskandidatin Maria Wegelin.

Und: Lingg war einst selber Mitglied der Jungen SVP Aargau, wie die AZ aus sicherer Quelle weiss. Die Partei hat ihn später ausgeschlossen. Tobias Lingg will sich nicht zu einer Mitgliedschaft oder einem möglichen Ausschluss äussern. Doch er sagt Folgendes: «Inhaltlich gibt es Schnittmengen mit der Jungen SVP. Wir sind junge Patrioten, die sich für ihr Land einsetzen.» Lingg begrüsst den X-Post der Jungen SVP Aargau. Schliesslich sei der Abbruch des Anlasses ein Angriff auf die Meinungsfreiheit gewesen.

Wie soll die Junge SVP mit der Jungen Tat umgehen?

Offiziell zum Umgang mit der rechtsextremen Gruppierung will sich niemand von der Jungen SVP äussern: Weder der Aargauer Kantonalpräsident Ramon Hug noch der neue nationale Präsident Nils Fiechter. Klar ist aber: Für die Jungpartei stellen sich heikle Fragen. Sind die Ziele der Jungen SVP und der Jungen Tat deckungsgleich? Soll man sich abgrenzen oder nicht?

Über diese Fragen diskutierten letzten Herbst verschiedene Vertreter aus den kantonalen Sektionen der Jungpartei, wie die AZ weiss. Anlass für den parteiinternen Streit war eine Recherche des «Blicks». Die Zeitung enthüllte im Oktober eine weitere Verbindung zwischen der Jungen Tat und der SVP: Manuel Corchia, neben Lingg der zweite Kopf der Gruppierung, gestaltete für die Junge SVP Thurgau Wahlplakate und war Parteimitglied. Die Thurgauer Kantonalsektion reagierte auf den Artikel mit dem Parteiausschluss von Corchia.

Dieser Entscheid stiess intern bei einigen Vertretern der Jungen SVP auf Kritik. Öffentlich äusserte sich aber nur Mattia Mettler, heutiger Vizepräsident der Jungpartei, auf X: «Sich von einem linken «Blick»-Journi verunsichern zu lassen, ist wirklich selten ungeschickt.»

Von der parteiinternen Diskussion zeugt auch die aktuelle Reaktion des Stadtzürcher Jung-SVPlers Illya Kern auf den X-Beitrag seiner Aargauer Kollegen: «Wisst ihr eigentlich, wie viele Probleme ihr der Partei bereitet?», fragt er rhetorisch. Bei dem Vortrag eines Islamisten wäre die JSVP Aargau kaum so tolerant, schreibt er weiter.

Wo steht der Aargauer JSVP-Präsident Ramon Hug in dieser Debatte? Wie die AZ weiss, sieht er die Ziele seiner Partei und jene der Jungen Tat als ziemlich deckungsgleich an. Dass er ähnlich denkt, zeigt sich in einem Fragebogen, den Hug im vergangenen Herbst als Nationalratskandidat ausgefüllt hat. Hug schreibt darin von «Masseneinwanderung» und linken Politikern, welche die Schweiz zerstören würden. So weit, so üblicher SVP-Jargon.

Doch dann folgt ein Begriff, den auch Martin Sellner, die Junge Tat und die AfD in Deutschland gern verwenden: «der Bevölkerungsaustausch». Dahinter verbirgt sich ein in rechtspopulistischen Kreisen populärer Verschwörungsmythos: Eliten würden im Zuge eines Geheimplans die weisse Bevölkerung Europas durch nicht weisse Migranten ersetzen. In diesem behaupteten «Bevölkerungsaustausch» sieht Hug die grösste Gefahr für die Schweiz.

Kooperative Linksextreme, widerspenstige Rechtsextreme

Sellner und die Junge Tat inszenieren sich in ihren Telegram-Kanälen als Opfer eines repressiven Polizeistaates. Sie filmen den Anlass in Tegerfelden – im Wissen, dass die Polizei auftauchen wird. Die Kantonspolizei Aargau habe das Gespräch mit den Veranstaltern gesucht, sagt Mediensprecherin Corina Winkler. Diese hätten zuerst kooperiert, den Anlass danach aber weitergeführt, obwohl die Polizei sie zum Abbruch aufforderte. Deswegen hätten die Einsatzkräfte die Wegweisung des Redners fürs Kantonsgebiet ausgesprochen, so Winkler.

Das gleiche Vorgehen wählte die Polizei bei zwei Gruppen mutmasslicher Linksextremer, die in Koblenz und Ennetbaden angehalten wurden. Auch hier habe man in erster Linie das Gespräch gesucht. Anders als die Junge Tat hätten sie sich aber kooperativ gezeigt und von ihrem mutmasslichen Vorhaben abgesehen, den Anlass in Tegerfelden zu stören. So sprach die Polizei denn auch keine Wegweisung aus.

Für Tobias Lingg von der Jungen Tat war die Auflösung der Veranstaltung und die Wegweisung Sellners reine Schikane. «Das Argument der öffentlichen Sicherheit ist an den Haaren herbeigezogen», sagt er. Wenn Linksextreme ihren Anlass stören wollten, so sei dies nicht das Problem der Jungen Tat, sondern jenes der Kantonspolizei. «Die Polizei hat sich zum Werkzeug der Linken gemacht.» Martin Sellner werde die Wegweisung anfechten, sagt Lingg.

Mehr Follower seit Tegerfelden

Klar ist: Für Martin Sellner und die Junge Tat zahlt sich der Abbruch des Vortrags aus. Die beiden Telegram-Kanäle, welche die Rechtsextremen regelmässig mit Videos und Beiträgen füttern, haben seit dem Wochenende an Reichweite gewonnen. Folgten der Jungen Tat in den letzten Monaten stets rund 6900 Abonnentinnen und Abonnenten, so stieg diese Zahl in den letzten Tagen auf über 7200 an.

Auch Sellner gewann seit dem Vorfall rund 700 neue Follower hinzu. Seine Reichweite explodierte aber im Januar. Nachdem das Investigativ-Portal Correctiv ein Geheimtreffen der AfD und der neuen Rechten im deutschen Potsdam veröffentlicht hatte, bei dem Sellner seine Remigration propagierte, verzeichnete sein Telegram-Kanal innert kurzer Zeit 10’000 neue Abonnentinnen und Abonnenten.



Aktion der Jungen Tat vor dem Aargauer Regierungsgebäude hat keine Konsequenzen

Der Vorfall vom Wochenende ist nicht die erste auffällige Aktion der Jungen Tat im Aargau. Vor etwas mehr als einem Jahr zündeten rund zwanzig Vermummte auf der Treppe des Regierungsgebäudes Rauchpetarden und hissten eine Fahne mit der Aufschrift: «Kündigung an die Regierung». Auf einer Tafel stand, das Regierungsgebäude werde zum Remigrationszentrum umfunktioniert. Die Junge Tat begründete die Kundgebung mit dem Fall Windisch.

Die Aktion hatte keine strafrechtlichen Konsequenzen, wie die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau auf Anfrage mitteilt. Zwar gingen gegen vier namentlich bekannte und zehn weitere unbekannte Personen Anzeigen wegen Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung, Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände und Verstössen gegen das Vermummungsverbot ein. Doch eine Untersuchung wurde nicht eröffnet. Die Staatsanwaltschaft konnte keiner der vier namentlich bekannten Personen die angezeigten Straftaten nachweisen. (daw)
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/fall-tegerfelden-naehe-oder-distanz-die-junge-svp-aargau-steht-beim-umgang-mit-rechtsextremen-vor-einer-grundsatzfrage-ld.2597247)


+++HISTORY
Berner Anwalt Georges Brunschvig: Er zerrte 1933 die Nazis vor das Berner Amtsgericht
Ein spektakulärer Prozess entlarvte die Hetzschrift «Die Protokolle der Weisen von Zion» als Schund. Das Berner Effingertheater widmet dem Ereignis nun einen Abend.
https://www.derbund.ch/effingertheater-bern-wenn-nazis-vor-gericht-stehen-347079253599



hauptstadt.be 23.03.2024

«Wie wichtig es ist, sich zu erinnern»

Genau jetzt, da Antisemitismus das grosse Thema ist, bringt Christiane Wagner, Leiterin des Theaters an der Effingerstrasse, das Stück «Der vergessene Prozess» auf die Bühne. Dass sie das will, weiss sie seit über zehn Jahren.

Von Jürg Steiner (Text), Manuel Lopez (Bilder)

Am Anfang war die Tür des Appartments 007 in einer Berner Senior*innenresidenz, die «energisch geöffnet wurde», wie sich Christiane Wagner (53) erinnert.

Die Geschäftsleiterin, künstlerische Leiterin und Dramaturgin sitzt in der Bar des Theaters an der Effingerstrasse am langen Tisch. Stapel von Leporellos reihen sich aneinander, sie kündigen «Der vergessene Prozess» und weitere Stücke auf der Theateragenda an. Sie warten darauf, verpackt und verschickt zu werden.

Hier erzählt Christiane Wagner von einer Begegnung, die ungefähr 14 Jahre zurückliegt.

Wagner war damals freischaffende Schauspielerin und Autorin, sie lebte und arbeitete in Berlin und Bern. Mit dem Fotografen Michael Meier gab sie das Buch «Gesichter einer Stadt» heraus. Darin porträtierte sie 75 Menschen aus Bern, unter ihnen auch Vertreter*innen aller religiösen Gemeinschaften. Peter Abelin, einst Journalist bei der «Berner Zeitung» und aktiv in der jüdischen Gemeinde Bern, war es, der Christiane Wagner zur Tür von Appartement 007 schickte.

Die Vehemenz an dieser Tür überraschte Wagner: Weil sie von einer zierlichen, über 90-jährigen Frau ausgeübt wurde. Odette Brunschvig, Witwe des Berner Anwalts und Menschenrechtlers Georges Brunschvig. «Sie war eloquent, informiert, differenziert und kritisch», sagt Christiane Wagner, «diese Begegnung mit ihr hat mich geprägt.» Dass Odette Brunschvig fast nichts mehr sah, habe man kaum bemerkt.

Brunschvigs grosser Auftritt

Was Christiane Wagner beeindruckte: Wie schnell Odette auf ihren Mann Georges zu reden kam, obschon er schon seit 1973 tot war. «Er war ihre grosse Liebe, sie sagte, dass ihre Ehe im Himmel geschlossen wurde», erzählt Christiane Wagner. Aber es ging nicht nur darum: Sie habe bis zu ihrem Tod 2017 noch viele Gespräche mit Odette Brunschvig geführt, «aber letztlich habe ich bei dieser ersten Begegnung verstanden, wie wichtig es ist, sich zu erinnern».

Christiane Wagner war damals Georges Brunschvigs Rolle in einem Jahrhundertereignis der jüdischen Geschichte nicht bekannt. Zwischen 1933 und 1935 fand vor dem Berner Regionalgericht ein spektakulärer Prozess statt. Juden hatten gegen rechtsnationale Kreise Klage eingereicht wegen der Verbreitung der «Protokolle der Weisen von Zion». Diese «Protokolle» unterstellen den Juden, sie strebten nach Weltherrschaft. Handelt es sich um ein antisemitisches Pamphlet oder sind es Papiere, die Geheimpläne dokumentieren? Das Berner Gericht kam zu einem klaren Schluss: Die «Protokolle der Weisen von Zion» sind antisemitische Schundliteratur.

Odette Wyler hatte, schwer verliebt, den Prozess aufmerksam verfolgt. Es war ein grosser Sieg des brillant argumentierenden Klägeranwalts Georges Brunschvig, der sich später auch als Menschenrechtler und Wegbereiter der schweizerischen Antirassismus-Strafnorm einen Namen machte.

Trotzdem ging der «Berner Prozess» rasch vergessen. Obschon Berner Historiker*innen das Ereignis aufarbeiteten: Urs Lüthi, einst Journalist bei der «Berner Zeitung», schrieb 1992 ein Buch über den Prozess, Hannah Einhaus, auch sie ehemalige BZ-Journalistin, veröffentlichte 2017 eine Biografie über Georges Brunschvig, die nun in einer Neuauflage erschienen ist.

Besuch aus Hollywood

Schauspielerin und Autorin Wagner sah schon bei ihren Besuchen in Appartement 007 den Stoff für ein Theaterstück. Sie wusste von Odette Brunschvig, dass Hollywood-Produzenten bei ihr vorgesprochen hatten, doch nie etwas daraus entstanden war. Christiane Wagner zog fix nach Bern, wurde zuerst Dramaturgin und danach künstlerische Leiterin am Theater an der Effingerstrasse. Endlich konnte sie entscheiden, dass der «Berner Prozess» auf die Bühne gebracht wird.

Sie suchte eine Autorin, die aus dem Material ein Theaterstück schreibt. Die Berner Historikerin und Dramatikerin Gabriela Leuenberger, die als Künstlerin Gornaya heisst, «kam mir sofort in den Sinn, und meine Erfahrung zeigt, dass ich dieser Intuition vertrauen kann», sagt Christiane Wagner. Gornaya habe sich extrem in die Arbeit gekniet, in die grossen Themen, die das Stück berührt: Antisemitismus, Neutralität der Schweiz, Liebe. Ebenso nach dem Prinzip Intuition ging Wagner beim Münchner  Regisseur Jochen Strodthoff vor.

«Ich bin echt jemand, die vertraut. Vertrauen ist immer gut. Es ist der Nährboden fürs Leben und für die Entwicklung von Künstlerinnen und Künstlern», sagt Christiane Wagner. Natürlich habe es Stürme gegeben bei der Produktion des Stücks, aber das Team habe alles überstanden: «Es ist alles gut und richtig, wie es herausgekommen ist. Ich bin dankbar dafür.»

Was bedeutet es, dass die Attacke der Hamas auf Israel und der Krieg in Gaza das Theaterstück über einen Prozess aus den 1930er-Jahren so heftig in die Aktualität katapultiert? «Wir sind bei der Arbeit konzentriert am historischen Stoff geblieben», sagt Christiane Wagner. Aber natürlich könne man sich nicht davor verschliessen, was in der Welt passiere. Das Team, das am Stück arbeite, sei divers, eine wichtige Mitarbeiterin zum Beispiel habe Familienangehörige in Libanon, die vom Krieg unmittelbar betroffen seien. Es sei wichtig, unterschiedliche Blickwinkel zu haben.

«Odette hätte Freude»

Sie selber nehme Georges Brunschvig sehr als Menschenfreund und Menschenrechtler wahr, als geradezu unheimlich modern und differenziert, sagt Christiane Wagner. «Es muss einmal Allgemeingut werden, dass der Antisemitismus keine jüdische, sondern eine Menschheitsfrage ist und nicht nur Juden, sondern unsere Kultur gefährdet»: Das sind Brunschvigs Worte, die Christiane Wagner besonders wichtig sind. Und ja, Brunschvig habe immer an eine friedliche Lösung im Nahen Osten geglaubt.

Am Schluss des Theaterstücks holt Georges Brunschvig zu einer grossen, engagierten Rede aus, die er einst wirklich hielt und mit dem hebräischen Wort Shalom beendete. Das Theaterteam erwägt nun, ob man ihn auch noch das arabische Pendant Salaam sagen lassen könne. Als hoffnungsvolle Öffnung zum Frieden.

Sie spreche auch heute noch ab und zu in Gedanken mit Odette Brunschvig, sagt Christiane Wagner: «Und ich glaube, Odette hätte Freude an dem, was wir jetzt machen.»

«Der vergessene Prozess», Theater an der Effingerstrasse. Uraufführung. Premiere: 23. März. Buch: Gornaya. Regie: Jochen Strodthoff. Ausstattung: Angela Loewen. Musik: Robert Aeberhard. Licht: Marek Streit. Mit Heidi Maria Glössner, Jeroen Engelsman, Wowo Habdank, Tobias Krüger, Kornelia Lüdorff. Vorstellungsplan und Reservationen.

Mutgeschichten: Stationentheater zum Prinzip Brunschvig. Bis 24. März. Nur noch einzelne Plätze verfügbar.

«Für Recht und Würde»: Neuauflage der Georges-Brunschvig-Biografie von Hannah Einhaus. Vernissage, 7. April, 19 Uhr.
(https://www.hauptstadt.be/a/christiane-wagner)



Rücktritt von Hasim Sancar: «Ich habe den Weg für andere frei gemacht»
Als einer der ersten Migranten im Berner Rathaus war Hasim Sancar oft in der Minderheit. Das hat den Politiker mit kurdischen Wurzeln nicht beeindruckt.
https://www.derbund.ch/bern-zum-ruecktritt-von-grossrat-hasim-sancar-239327490211


Zeitzeugin Irma Frei (83) über die Zwangsarbeit in der Bührle-Spinnerei
«Wir verdienen alle eine finanzielle Entschädigung!»
Irma Frei (83) wurde als Jugendliche während drei Jahren in der Spinnerei von Waffenhändler Emil Bührle zur Arbeit gezwungen. Gesamthaft erhielt sie dafür magere 50 Franken. Jetzt will sie mit den Bührle-Erben abrechnen.
https://www.workzeitung.ch/2024/03/wir-verdienen-alle-eine-finanzielle-entschaedigung/



beobachter.ch 18.03.2024

Davos und die Nazis

Der Bündner Ort war eine Nazi-Hochburg. Eine unveröffentlichte Studie zeigt blinde Flecke, bald folgt ein Dokfilm.

Yves Demuth

Nirgends in der Schweiz gab es im Verhältnis zur Bevölkerung mehr Nazis als in Davos. Das zeigen Zahlen zur Parteimitgliedschaft bei der NSDAP. Während des Zweiten Weltkriegs flatterte an NS-Feiertagen die Hakenkreuzfahne über dem Alpenkurort. Befestigt am örtlichen deutschen Gymnasium. Die Schüler waren in der Hitlerjugend, die Lehrer in der Partei organisiert.

Einige Davoser Gewerbler hockten aufs Maul, um mit den vielen Deutschen im Ort im Geschäft zu bleiben. Andere Davoser gründeten eine geheime, armeenahe «Ortswache», um der gut organisierten deutschen Kolonie im Ernstfall Paroli zu bieten. Man misstraute sich in Davos – und schwieg nach dem Krieg.

Der Widerstand traf sich im Café

Als die Historikerin May Broda 1991 für das Schweizer Fernsehen den Film «Davos – die deutsche Zitadelle» drehte, verweigerten viele Zeitzeugen das Gespräch vor der Kamera. Deutsche, die in der Partei gewesen und in Davos geblieben waren. Davoserinnen wie Rosita Schneider, die den Nazis die Stirn geboten hatten. Im Film heisst es: «Die alten Geschichten bewegen sie immer noch sehr. Aber sie möchten nicht mehr darüber sprechen.»

Rosita Schneider servierte im Café ihres Vaters, das als Treffpunkt des Widerstands gegen den nationalsozialistischen Zeitgeist galt. Das Café Schneider wurde deswegen von den Deutschen boykottiert, und sie setzten nazikritische Gewerbler auf eine schwarze Liste. «Dafür gingen viele Einheimische extra ins Café Schneider», sagte die Davoserin Hariett Hurych später.

«Wo machten sich Davoser Behörden schuldig?»

Solche Geschichten will der Davoser Landammann Philipp Wilhelm am 22. März 2024 zum Thema machen. Die Gemeinde präsentiert an einem öffentlichen Anlass eine noch unveröffentlichte Studie, die Wilhelm in Auftrag gegeben hat. Sie zeigt den Forschungsstand zur Geschichte von Davos während der Nazizeit 1933 bis 1945 und liegt dem Beobachter vor.

Der Zürcher Historiker Stefan Keller zeigt darin auf, wo die blinden Flecke liegen. So sei etwa die Frage der Verantwortung nie erforscht worden: «Wo konnten Davoser Behörden tatsächlich entscheiden, wo hätten sie ‹antinazi› sein können, wo machten sie sich schuldig?»

In Davos hätten sich engagierte Personen bereits intensiv mit der schwierigen Materie befasst, sagt Landammann Wilhelm. Das Leben von Opfern und Gegnern des Nationalsozialismus sowie das Wirken von mutigen Davoserinnen und Davosern liege aber noch weitgehend im Dunkeln. Gut erforscht ist hingegen das bekannteste Davoser Naziereignis: 1936 erschoss der Medizinstudent David Frankfurter den höchsten Schweizer NSDAP-Mann, der in Davos residierte.

Schulhaus-Hakenkreuzfahne im Unterricht verschwiegen

Den 30-jährigen Davoser Sven Paulin fasziniert diese Zeit schon lange. Der Filmemacher realisiert mit Freunden einen dreiteiligen Dokfilm darüber – mit Unterstützung der Davoser Kulturkommission. «Die Nazis in Davos, das ist eine ganz wilde Geschichte. Sie hat Symbolcharakter für den Umgang der ganzen Schweiz mit der Zeit des Nationalsozialismus», sagt Paulin. «Ich bin in Davos aufgewachsen, doch bei uns an der Schule waren die Davoser Nazis nie ein Thema. Dass an meiner Mittelschule früher die Hakenkreuzfahne hing, erfuhr ich erst nach der Matura.»

Im März 2024 beginnen die Dreharbeiten in Davos, im Herbst soll alles fertig sein. Das Team befragt Davoser Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und deren Nachkommen, filmt Archivmaterial ab und erstellt Animationen.

Gezeigt werden die Filme auf Youtube oder auf der Website des Vereins Pax Helvetica, der bereits mehrere Filme zur Schweizer Geschichte realisiert hat. «Wir sind ein Verein, der sich auf die Fahne geschrieben hat, die Geschichte der Schweiz für ein junges, modernes Publikum zu erzählen», sagt Paulin.

Dokfilm will Mysterium ausleuchten

«Wir wollen im Dokfilm die Widersprüche jener Zeit zeigen – und nicht kommentieren», sagt Paulin. «Relativiert wird nichts. Die Gemeinde unterstützt uns zwar, aber wir sind inhaltlich frei. Das liess ich mir schriftlich garantieren.» Vieles werde im Ungefähren bleiben müssen. Gezeigt werde nur, was wissenschaftlich belegt sei. «Aber das Mysterium jener Zeit, das heute viele in Davos gar nicht mehr kennen, wollen wir möglichst gut ausleuchten.»

Historiker Stefan Keller rät in seiner Studie, die Monate nach dem Kriegsende nicht zu vergessen. Der einflussreiche Davoser Hotelier Andreas Gredig machte 1946 zusammen mit 160 Gleichgesinnten Stimmung gegen das «Judenproblem» in Davos. Der Präsident des Verkehrsvereins meinte damit die vorübergehende Unterbringung von Jugendlichen, die aus Nazi-Konzentrationslagern gerettet worden waren. Die Polemik um die «Judenfrage» lief «fast so, als wäre der Nationalsozialismus noch immer die herrschende Ideologie und als störe es niemanden, was mit den Juden geschehen war», schreibt Keller.

Kanton Graubünden legt im Juni mit eigener Studie nach

Der Grosse Rat Graubündens hat vor einem Jahr ebenfalls eine «Aufarbeitung der Geschichte des Faschismus und des Nationalsozialismus im Kanton Graubünden» beschlossen. Der Kanton sichtet derzeit den Forschungsstand und will im Juni eine Studie dazu publizieren, sagt Staatsarchivar Reto Weiss. Landammann Wilhelm begründete sein Engagement für eine historische Aufarbeitung damit, dass «ein sehr grosses Bedürfnis besteht, mehr über die Geschehnisse in Davos während dieser Zeit» zu erfahren.
(https://www.beobachter.ch/magazin/gesellschaft/davos-und-die-nazis-689814)
-> https://www.srf.ch/play/tv/spuren-der-zeit/video/davos-die-deutsche-zitadelle?urn=urn:srf:video:c0cd0ae5-32a7-49f0-af17-8656568cb2da
-> https://www.gr.ch/DE/institutionen/parlament/PV/Seiten/20230215AuftragSchneider06.aspx



Davos arbeitet die Nazivergangenheit auf – Tagesschau
Über vieles wurde nach dem 2. Weltkrieg geschwiegen. Die Lücken zur Nazivergangenheit von Davos sollen jetzt wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Ein erster Bericht liegt bereits vor.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/davos-arbeitet-die-nazivergangenheit-auf?urn=urn:srf:video:b44c8b1c-1f3e-4392-83ce-3c9daa0d7cba



aargauerzeitung.ch 23.03.2024

Koloniale Spuren in Aarau: Völkerschauen, Sklaverei, Profitdenken gab es auch in der Kantonshauptstadt

«Stadtführung auf kolonialen Spuren» – wie ein Spaziergang durch Aarau das historische Bewusstsein erweitern kann.

Peter Weingartner

Kolonialismus? Geht das uns, die wir nie Kolonien besassen, etwas an? Und ob! Ein Stadtrundgang mit dem Historiker und «dekolonialen Aktivisten» Hans Fässler aus St.Gallen, 70, bestätigte oder öffnete Augen. Denn vom Kolonialismus, also auch von der Sklaverei, profitierten hiesige Industrielle und Händler. Dazu muss man selber kein Sklavenschiff gechartert haben. Und der kleine Mann ergötzte sich bis weit ins letzte Jahrhundert hinein an Völkerschauen. Und im Restaurant Kettenbrücke servierte 1904 an fünf Tagen das «Leopardenmädchen Darwina».

Gut drei Dutzend Interessierte, mehrheitlich Frauen, nahmen am Donnerstag am Mittagsspaziergang teil, organisiert von der Regionalen Integrationsfachstelle Aarau. Ein Anlass im Rahmen der Aktionswoche gegen Rassismus.

Exotik mit Erotik zu «mässigen Preisen»

Völkerschauen. Menschenzoo. «Sie dienten nicht, wie vorgegeben, anthropologischer oder ethnologischer Bildung», sagt Hans Fässler, «sondern der Unterhaltung.» Hier wir Zivilisierte, da die Wilden. Und die Exotik wird mit einem Schuss Erotik gewürzt, wie einem Inserat des «Aargauer Tagblatts» zu entnehmen ist: «35 schöne Mädchen aus Westafrika», die im Saalbau (heute KuK) auftreten. Fetischpriesterinnen, Sängerinnen, Tänzerinnen aus dem Togolande, damals deutsches «Schutzgebiet». Vier Vorstellungen täglich zu «mässigen Preisen».

Im Aargau gab es zwischen 1882 und 1964 rund 80 solcher Völkerschauen, und das nicht nur in den Städten, auch in Menziken und Reinach. Pikant ist die Karriere des Togolesen Nayo Bruce, Königssohn: War er 1898 Mitglied einer Truppe, fremdbestimmt bezüglich des Auftritts, so machte er sich später mit einer eigenen Truppe selbstständig und tourte durch Europa. Self Empowerment?

Kolonialgeschichte in Bauten sichtbar

Schrieben im 19. Jahrhundert die Unternehmer Geschichte, befasste man sich im letzten mit der Sozialgeschichte, so gehe es in diesem Jahrhundert, so Hans Fässler, darum, die Kolonialgeschichte zu erzählen. Und die liegt in Aarau in den Bauten: Haus zum Schlossgarten, Stadtmuseum, Hammer. Und am Credit-Suisse-Gebäude an der Bahnhofstrasse, wo der antike Gott des Handels (Hermes, beziehungsweise Merkur) abgebildet ist.

Womit wird gehandelt? Mit Kolonialwaren, produziert von Sklaven auf Land, das den Indigenen weggenommen wurde: Zucker, Kaffee, Tabak, Kakao, Reis, Tee, Gewürze, dazu Baumwolle, Textilfarbstoffe, Edelmetalle, später Kautschuk. Fässler zitiert Karl Marx: «Ohne Sklaverei keine Baumwolle; ohne Baumwolle keine moderne Industrie.»

Die Textilindustrie ist präsent in Aarau. Fässler nennt die Namen Meyer, Hunziker, Feer, Herosé, die Textilien hergestellt haben, vor allem «Indiennes», Stoffe mit exotischen Motiven, die im Sklavenhandel eingesetzt wurden. Auch Chocolat Frey AG, 1887 gegründet, kurz bevor in Brasilien die Sklaverei abgeschafft wurde, erwähnt Fässler in diesem kolonialen Kontext.

Opportunisten, Antirassisten und Bundesratsantworten

Und die Politik? Nach dem Ende der Sklaverei in den USA 1865 war beispielsweise dem Politiker Alfred Escher (1819 bis 1882, Kreditanstalt, Gotthardbahn) «die Abschaffung der Sklaverei kein Anliegen», so Fässler, Neutralität als Maxime, während andere Politiker wie der Aargauer Landammann Augustin Keller (1805 bis 1883) den Sieg der Nordstaaten (Gegner der Sklaverei) über die Südstaaten (für die Sklaverei) feierten.

Er habe die Sterne im eigenen Kantonswappen mit dem «siegreichen Sternenbanner» der USA verglichen. Und Heinrich Zschokke (1771 bis 1848) hat sich in seiner satirischen Erzählung «Der König von Akim» klar (1818) als Antirassist geoutet.

Schweizer Auswanderer hielten auch selber Sklaven, in Brasilien. Der Bundesrat – mit dem Aarauer Friedrich Frey-Hérosé (1801 bis 1873) – beantwortete 1864 einen Vorstoss aus dem Parlament zur Sklavenfrage, Sklaverei sei «eine Handlung, die kein Verbrechen involviert», Sklavenbesitz bei Schweizer Handwerkern «vorteilhaft und zweckmässig», in der Landwirtschaft «natürlich». Die Abschaffung «widerstreitet unseren Begriffen von Moral und Gerechtigkeit».

«Das war halt die Norm der 1860er-Jahre»

Und die Haltung des aktuellen Bundesrats zu dieser Geschichte? Hans Fässler zitiert Antworten auf parlamentarische Vorstösse: «Das war halt die Norm der 1860er-Jahre.» Was nicht stimme: Neben den USA hätten damals nur Brasilien und Kuba die Sklaverei noch gekannt. Der Bundesrat werde sich korrigieren müssen, meint Hans Fässler.

Übrigens: Im April 1803 waren Schweizer Soldaten aktiv im Einsatz gegen Aufständische in Haiti. Dies während der von Frankreich diktierten Helvetischen Republik (1798 bis 1803) in erzwungenen Diensten. Erfolglos: Die Haitianer besiegten die Kolonialmacht Frankreich; von der Helvetischen Halbbrigade (635 Offiziere und Soldaten) überlebten elf Männer das Gelbfieber und den Krieg.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/aarau/dunkles-kapitel-koloniale-spuren-in-aarau-voelkerschauen-sklaverei-profitdenken-gab-es-auch-hier-ld.2597644)