Medienspiegel 20. März 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BASELLAND
«Damit sich das Gute vervielfacht»
Cihan Dilber arbeitete in der Türkei sieben Jahre als Staatsanwalt, seine Frau war Richterin. 2016, bei dem sogenannten Putschversuch, wurden auch sie zusammen mit knapp 3000 türkischen Juristinnen und Juristen entlassen und ohne Beweise und rechtmässige Verfahren für mehrere Monate inhaftiert. Sie flüchteten schliesslich mit ihrem kleinen Sohn in die Schweiz und leben seit vier Jahren im Kanton Baselland. Cihan Dilber arbeitet im Bildungsteam der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) mit.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/damit-sich-das-gute-vervielfacht


++++SCHWEIZ
Jahreskonferenz der Eidgenössischen Migrationskommission EKM: «Bewegte Kindheiten – Gefährdung und Ermächtigung von Kindern und Jugendlichen in der Migrationsgesellschaft Schweiz»
Manche der migrantischen Kinder und Jugendlichen sind in der Schweiz in besonderem Masse von Ausgrenzung und Benachteiligung betroffen, durch das Gesetz, durch die behördliche Praxis und durch die Institutionen – so etwa Kinder in Aufnahme- und Nothilfezentren, geflüchtete Jugendliche ohne Begleitung oder Kinder ohne Papiere und Aufenthaltsrechte. Was sind die asyl- und ausländerrechtlichen sowie die kinderrechtlichen Rahmenbedingungen dieser Situation? Wie stellt sich die Lage aus sozialpädagogischer und ethischer Perspektive dar? Und wie kann der Schutz dieser Kinder und Jugendlichen verbessert werden? Diese Fragen werden von Expertinnen und Experten sowie Politikerinnen und Politikern an der EKM Jahreskonferenz am 26. März im Casino in Bern diskutiert.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-100468.html


Arbeitende Ukrainer sollen bleiben dürfen
Die Forderung nach schnelleren Aufenthaltsbewilligungen für Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schutzstatus S gewinnt an Unterstützung, da sie die Integration in den Arbeitsmarkt fördern könnte, was laut Mitte-Nationalrat Reto Nause erhebliche Kosteneinsparungen ermöglichen würde.
https://www.anzeigerbern.ch/politik/566-arbeitende-ukrainer-sollen-bleiben-duerfen


Bundesrat Beat Jans besucht das Bundesasylzentrum Boudry
Bundesrat Beat Jans hat am 20. März 2024 das Bundesasylzentrum (BAZ) in Boudry besucht. Im Rahmen dieses Besuchs tauschte sich der Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) mit Vertreterinnen und Vertretern des Kantons Neuenburg, der Gemeinde Boudry und Organisationen der Zivilgesellschaften aus, um sich ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Im Fokus der Gespräche standen die aktuelle Lage in Bezug auf die Sozial- und Sicherheitsmassnahmen, die der Kanton im Zusammenhang mit dem BAZ Boudry seit 2023 eingeführt hat, sowie die nationalen Massnahmen im Asylwesen, die auch in Boudry zur Anwendung kommen sollen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-100477.html
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/asylzentrum-boudry-24-stunden-verfahren-soll-eingefuehrt-werden?partId=12559658
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/justizminister-beat-jans-zu-besuch-in-boudry?urn=urn:srf:video:3f2e1a91-1c16-432e-b304-f122c164ecec
-> https://www.blick.ch/politik/nach-unmut-in-der-bevoelkerung-24-stunden-verfahren-sollen-auch-in-boudry-ne-eingefuehrt-werden-id19555988.html


Unterwegs mit Beat Jans – Bundesrat Jans zur Asyldebatte: «Ich brauche Lösungen»
Asylchaos oder herzloser Umgang – das Asyldossier ist heftig umstritten. Beat Jans verspricht, die Probleme anzupacken.
https://www.srf.ch/news/schweiz/unterwegs-mit-beat-jans-bundesrat-jans-zur-asyldebatte-ich-brauche-loesungen
-> Rundschau: https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/jans-will-anpacken-unterwegs-mit-dem-neuen-sp-bundesrat?urn=urn:srf:video:2d3da284-22b6-4423-aa98-1a4421e718e1


Anwohner gehen gegen Bundesasylzentrum in Boudry NE auf die Barrikaden: «Sie werden anfangen, Selbstjustiz zu üben»
Diebstähle, Einbrüche, Belästigungen in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Anwohner des grössten Bundesasylzentrums der Schweiz haben genug. Blick war vor Ort.
https://www.blick.ch/politik/anwohner-gehen-gegen-bundesasylzentrum-in-boudry-ne-auf-die-barrikaden-sie-werden-anfangen-selbstjustiz-zu-ueben-id19555350.html



luzernerzeitung.ch 20.03.2024

Kriminelle im Asylzentrum: Bundesrat Jans besucht krisengeschütteltes Boudry – und sagt, was er von Fussfesseln für renitente Asylbewerber hält

Landesweit nehmen Delikte durch maghrebinische Asylsuchende zu. Besonders gross ist der Unmut in Boudry, wo das grösste Asylzentrum steht. Bundesrat Beat Jans verspricht Abhilfe.

Julian Spörri, Boudry

Für neue Asylminister wird sie zum Ritual: Die Reise zum Bundesasylzentrum Boudry NE. Das schweizweit grösste solche Zentrum mit Verfahrensfunktion sieht sich mit einem «Tsunami» der Kriminalität konfrontiert, wie es der Neuenburger Sicherheitsdirektor Alain Ribaux (FDP) einmal ausdrückte. Nachdem letzten April Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider im 6000-Seelendorf die Wogen zu glätten versuchte, tat es ihr am Mittwoch ihr Nachfolger Beat Jans nach nur 80 Tagen im Amt gleich.

Der Besuch kam sowohl aus nationaler wie regionaler Sicht zu einem brisanten Zeitpunkt. Landesweit berichten Polizeikorps von einer Zunahme von Diebstählen und Einbrüchen durch junge Männer aus den Maghrebstaaten. Auch bei den renitenten Asylbewerbern in Boudry handelt es sich laut Polizeiangaben mehrheitlich um dieses Täterprofil.

Obwohl nur ein kleiner Teil der Asylsuchenden aus Tunesien, Algerien und Marokko straffällig ist, droht die Akzeptanz des Asylsystems in der Bevölkerung zu erodieren. «Wir stehen kurz vor dem Kipppunkt», warnte Karin Kayser-Frutschi, Co-Präsidentin der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren vor einer Woche im Tagesanzeiger.

Hoffnung auf beschleunigtes Verfahren

Bereits gekippt ist die Stimmung in der Neuenburger Kantonsregierung: Sie vollzog Ende Februar eine Kehrtwende, indem sie das Asylzentrum in Boudry offen in Frage stellte. In einem Brief an den Bundesrat erwog sie, den bis 2033 gültigen Vertrag nicht zu verlängern oder zu kündigen, falls sich die Verhältnisse nicht besserten.

Bundesrat Beat Jans anerkannte vor den Medien, dass die Situation für die Bevölkerung herausfordernd sei. Gerade die Vorfälle von Cortaillod NE und Yverdon VD hätten ihn «geschockt». Sowohl beim Amokalarm an einer Schule wie auch bei der Geiselnahme handelte es sich um Personen, die ein Asylgesuch in Boudry eingereicht hatten. «Die Bevölkerung hat das Recht, in Sicherheit zu leben», stellte der Justizminister klar.

Neue Massnahmen konnte der SP-Bundesrat keine präsentieren. Er verwies auf die bereits ergriffenen, die ihre Wirkung zeigten: Die Patrouillen eines Sicherheitsdienstes rund um das Asylzentrum sowie jene im ÖV, die der Bund zu 90 Prozent finanziert. Viel erhofft sich Jans zudem vom «24-Stunden-Verfahren»: Es soll bis Ende April 2024 schweizweit eingeführt werden und gilt für Asylsuchende aus Länder mit einer Asylgewährungsquote von weniger als 1 Prozent. Dazu zählen Algerien, Tunesien und Marokko.

«Das 24-Stunden-Verfahren wird helfen, Plätze in den Bundesasylzentren freizumachen, auch in Boudry», sagte Jans. Versprechen, dass jenes in Boudry kleiner werde, könne er jedoch nicht. Denn es handelt sich um das einzige mit Verfahrensfunktion in der Romandie – und die Asylzahlen bleiben hoch. Der Bund rechnet dieses Jahr wiederum mit 30’000 neuen Gesuchen.

Beat Jans kam somit einem der beiden Kernanliegen der Neuenburger Regierung nicht nach – der Verkleinerung des Asylzentrums. Die andere dreht sich ums Geld: Die Kantonsregierung fordert, dass sich der Bund stärker an den Sicherheitsausgaben beteiligt. Laut Schätzungen des Kantons betragen die polizeilichen Kosten wegen Boudry jährlich 3 Millionen Franken. Vom Bund erhielt der Kanton Neuenburg vergangenes Jahr 875’000 Franken überwiesen. Diese Sicherheitspauschale wird auf der Basis der zur Verfügung gestellten Betten berechnet. Kantone mit Bundesasylzentren erhalten zudem weniger Gesuchsteller zugeteilt.

Aargauer FDP-Politiker fordert Fussfesseln

Müsste der Bund bei der Sicherheitspauschale nachbessern? In manchen Kantonen seien die Kosten mit dem aktuellen Schlüssel gedeckt, in anderen nicht, antwortete Jans. Wenn die Kantone geeint mit einem guten Vorschlag kämen, sei er diskussionsbereit.

Gerade diese Gesprächsbereitschaft und den «konstruktiven Dialog» lobte die Neuenburger Sozialdirektorin Florence Nater (SP). Sie hielt sich trotz magerer Ausbeute mit Kritik zurück. Ihr sei klar, dass Lösungen nicht sofort verfügbar seien.

Ein neuer, umstrittener Lösungsansatz taucht derweil im Aargau auf: elektronische Fussfesseln für renitente Asylsuchende. Unruhestifter sollen sich nur noch in einem bestimmten Radius um ein Asylzentrum bewegen können, andernfalls schlägt ein Peilsender Alarm. «Wir wollen diese Personen wegnehmen von den Quartieren, wegnehmen von den Strassen und einschränken in der Bewegungsfreiheit», sagte FDP-Grossrat Adrian Schoop im «Talk Täglich». Er hat im Aargauer Kantonsparlament ein Postulat eingereicht.

Jans äussert sich auf entsprechende Frage von CH Media zurückhaltend zu dieser Idee. Eine solche Massnahme würde wahrscheinlich Gesetzesänderungen im Strafrecht nach sich ziehen, sagte der 59-Jährige. «Das muss ich genau prüfen.» Aus seiner Sicht stehe aktuell im Vordergrund, die jetzt schon bestehenden strafrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.
(https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/migration-kriminelle-im-asylzentrum-bundesrat-beat-jans-will-in-boudry-die-wogen-glaetten-ld.2596621)



nzz.ch 20.03.2024

Rückstand bei der Digitalisierung im Asylwesen: Am Vortag kommt eine Excel-Tabelle mit Namen der Asylsuchenden

Die stockende Digitalisierung kostet die Kantone Geld, Zeit und Nerven.

Irène Troxler

«Ein voll integriertes System mit grossen Datenmengen und Schnittstellen, namentlich zu den Kantonen»: So beschrieb die NZZ im Februar 2019 das Projekt E-Asyl des Bundes. Im gleichen Jahr trat die von Bundesrätin Simonetta Sommaruga aufgegleiste Beschleunigung der Asylverfahren in Kraft. Seither wird ein Grossteil der Gesuche innerhalb von 140 Tagen erledigt. Der Schwung war gross im Jahr 2019: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) gab Gas und investierte in die Digitalisierung, um bei den Asylverfahren effizienter zu werden.

Und heute? Zwar erfolgen die Zuweisungen von Personen aus dem Asylbereich nicht mehr per Fax. Doch von einem voll integrierten System kann keine Rede sein. «Wir erhalten jeweils eine Excel-Tabelle am Vortag», sagt Martial Schweizer, der Leiter des Fachbereichs Dienstleistungen Asyl des Kantons Aargau.

In dieser Tabelle steht, welche Personen am Folgetag im Aargau eintreffen und dort untergebracht werden müssen. Das heisst, das Migrationsamt des Kantons muss jeweils kurzfristig dafür sorgen, dass unbegleitete Minderjährige in eine andere Unterkunft kommen als junge Männer. Familien müssen die bestmögliche Unterbringung erhalten. Von Vorteil sei, dass der kantonale Sozialdienst das Excel-File des Bundes weiterbearbeiten könne, sagt Schweizer. Er trage dort die zugeteilte Unterkunft ein und leite das Formular dann an den eigenen Verteiler weiter.

Abrufen und neu erfassen

Auf einem anderen Weg erhält der Aargau die Gesundheitsdaten der Personen, die vom SEM zugeteilt werden. Informationen über Medikamente und über die benötigte ärztliche Versorgung sind ebenfalls relevant für die Unterbringung. Ist jemand im Rollstuhl oder muss er regelmässig zur Dialyse, kommen nur bestimmte Unterkünfte infrage. Da diese Informationen heikel sind und der Datenschutz gewahrt werden muss, gibt es für den Versand der Gesundheitsdaten einen gesicherten elektronischen Kanal. Auch diese Informationen müssen bei der kurzfristig anberaumten Übernahme der Asylsuchenden berücksichtigt und in der kantonseigenen Datenbank erfasst werden.

An das Projekt E-Asyl kann Martial Schweizer sich noch erinnern. «Das war vor Jahren ein Thema», sagt er. «Aber nun habe ich lange nichts mehr davon gehört.» Beim SEM klingt es anders. Das System E-Asyl diene in erster Linie den Mitarbeitenden des SEM im Asylbereich, schreibt der Mediensprecher Samuel Wyss. Es sei nicht vorgesehen, dass die Kantone das System für ihre kantonalen Asylgeschäfte nutzten. 2019 hatte es noch anders geklungen.

Um das Beschwerdeverfahren effizienter zu gestalten, seien aber den Kanzleien des Bundesverwaltungsgerichts eingeschränkte Benutzerrechte für den Datenaustausch eingeräumt worden. Doch Wyss ergänzt: In Zukunft solle der elektronische Dokumentenaustausch zwischen den Kantonen und dem Asylbereich des SEM über E-Asyl abgewickelt werden. Offensichtlich steht man bei der Einbindung der Kantone noch ganz am Anfang, obwohl dieses Vorhaben schon 2019 angekündigt worden war. Immerhin gibt es laut Wyss ein System E-Retour, das die Prozesse bei der Rückkehr von abgewiesenen Asylsuchenden abdeckt. Damit habe man den Datenaustausch zwischen dem SEM und Kantonen in dieser Phase vereinfachen können.

Auch Marc Fahrni, der stellvertretende Leiter des Migrationsamts des Kantons St. Gallen, erinnert sich an E-Asyl. «Aus Sicht der Kantone hat der Berg eine Maus geboren», sagt er dazu. Er glaubt, dass ein integriertes digitales System die heute sehr kurzfristige Zuteilung der Asylsuchenden erleichtern würde. Wenn Bund und Kantone eine gemeinsame Plattform hätten, könnte der Kanton dort hineinschreiben, in welche Unterkunft eine Person reisen müsse, schlägt er vor. So aber müssten alle Asylsuchenden zuerst vom Migrationsamt in St. Gallen in Empfang genommen werden und dann beispielsweise nach Amden oder in den Kanton Appenzell weitergeschickt werden.

Fehleranfällige Fleissarbeit

Den Aufwand, den die fehlende digitale Schnittstelle bei den Kantonen produziert, verdeutlicht Martial Schweizer so: Dem Kanton Aargau seien nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs pro Tag teilweise über hundert Personen zugewiesen worden. Die Sachbearbeitung sei damals rund zwei Tage damit beschäftigt gewesen, die Informationen zu diesen Personen in die kantonale Datenbank einzutragen – viel fehleranfällige Fleissarbeit am Computer. Am nächsten Tag seien aber schon die nächsten hundert Ukrainerinnen und Ukrainer gekommen. Es habe vor etwa zehn Jahren einen Versuch gegeben, eine Schnittstelle für diese Daten zu bauen. Das Resultat sei damals aber fehlerhaft und die Handhabung kompliziert gewesen. Deshalb sei das Projekt nicht mehr weiterverfolgt worden.

In einer idealen Welt würden alle Dossiers im System E-Asyl verwaltet, sagt Schweizer. Die Kantone, und im Bedarfsfall auch die Gemeinden hätten einen gesicherten Zugriff auf jene Daten, die sie benötigten. Das würde den Aufwand stark reduzieren und Fehlerquellen eliminieren. Vorläufig bleibt das Zukunftsmusik. Die Asylzahlen sind seit dem Ende der Pandemie rekordhoch und dürften es bleiben. Mit vereinfachten Abläufen könnte man zumindest den administrativen Aufwand im Rahmen halten.
(https://www.nzz.ch/schweiz/am-vortag-kommt-eine-excel-tabelle-mit-den-namen-der-asylsuchenden-ld.1822407)



nzz.ch 20.03.2024

 «Wir können ukrainische Frauen in den Unterkünften nicht mit unbegleiteten Minderjährigen aus Afghanistan gemeinsam betreuen»

Jürg Rötheli ist als CEO der Firma ORS seit kurzem für die Zürcher Durchgangszentren verantwortlich. Er rechnet weiterhin mit hohen Asylzahlen. Und das ist nicht die einzige Schwierigkeit.

Marius Huber, Daniel Fritzsche

Asylfragen geben derzeit nicht nur in Bundesbern viel zu reden, sondern auch an der Basis, in den Gemeinden. Jörg Kündig vom Verband der Zürcher Gemeindepräsidien hat am Montag im Kantonsrat warnend darauf hingewiesen, dass vielerorts die Grenze der Belastbarkeit überschritten sei. Zudem ist bekanntgeworden, dass mit der steigenden Zahl an Asylbewerbern die Gewalt in den Bundesasylzentren einen Höchststand erreicht hat. Gleichzeitig gibt es in Zürich Bedenken, dass der Kanton auf Kosten der Asylbewerber Geld sparen könnte, weil er den Betrieb seiner Zentren per 1. März an die private Firma ORS vergeben hat.

Mitten in diesem Sturm steht Jürg Rötheli, der CEO von ORS.

Herr Rötheli, für viele Gemeinden sind die steigenden Asylzahlen eine Belastung. Für ORS sind sie gut fürs Geschäft, richtig?

Ganz so einfach ist es nicht. Auch für uns sind die hohen Zahlen eine Herausforderung. Innert kurzer Zeit müssen wir den Betrieb massiv hochfahren. Schwierig ist es vor allem, auf die Schnelle genügend geeignetes Personal zu finden. Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs haben wir 1300 neue Leute rekrutiert.

Wie gehen Sie vor?

Unsere Betreuerinnen und Betreuer in den Zentren sind in der Regel keine Fachkräfte, sondern Quereinsteiger. Drei Viertel von ihnen haben selbst einen Migrationshintergrund – was in diesem Feld ein Vorteil ist. Wir müssen sie innerhalb weniger Wochen dazu befähigen, den Beruf gut auszuüben. Dafür haben wir ein ausgeklügeltes Schulungsprogramm. Aber es ist nicht einfach.

In Ihren Stelleninseraten wird nur wenig vorausgesetzt . . .

Uns wird oft vorgeworfen, dass wir unqualifizierte Leute einstellen. Aber entscheidend ist nicht der Schulabschluss, sondern ob jemand charakterlich den Anforderungen standhält. Darum ist das Einstellungsinterview wichtig sowie das Urteilsvermögen des Rekrutierers. Er muss überzeugt sein, dass wir den Bewerber in einer dreiwöchigen Ausbildung so weit bringen, dass er in einer Einrichtung funktioniert.

Dazu reichen drei Wochen Schnellbleiche?

Die Schnellbleiche reicht, damit jemand die Arbeit aufnehmen kann. Aber auch nachher gibt es Pflichtkurse und eine Begleitung on the job durch erfahrene Führungspersonen.

Wenn nachts in einer Asylunterkunft sieben Männer aufeinander losgehen: Wie bereiten Sie jemanden darauf vor, so etwas zu bewältigen?

Zum Beispiel, indem wir dazu raten, als Erstes ins Büro zu gehen, die Tür abzuschliessen und die Polizei zu rufen. Ja nicht meinen, man müsse dazwischengehen und den Helden spielen. Man kann ein Verbrechen oder einen Zwischenfall nie ausschliessen. Man kann nur trainieren, wie man mit so etwas umgeht. Wir haben schon die krassesten Beispiele erlebt. Wo jemand eine Waffe in die Unterkunft schmuggelte und dann plötzlich damit hantierte.

Es ist ein aufreibender Job, der auch Empathie erfordert. Trennen Sie sich von Leuten, die nicht genügen – trotz Personalnot?

Ja, von solchen Personen trennen wir uns. Die Fluktuation ist aber bei uns sicher höher als in anderen Branchen – vor allem in einer solch angespannten Lage wie zurzeit.

Sie haben sich kürzlich einen lukrativen Auftrag gesichert: den Betrieb der kantonalen Zürcher Durchgangszentren. Ihr Angebot war mehr als vierzig Prozent günstiger als jenes der Konkurrenz, namentlich der städtischen Asylorganisation Zürich (AOZ). Das hat Skepsis geweckt.

Ich finde das amüsant. Sonst wurde uns immer das Gegenteil vorgeworfen: Wir seien teurer als andere, weil wir als privates Unternehmen Gewinn machen müssten. Wir rechnen auch immer eine kleine Betriebsmarge ein. Diese müssen wir haben, da wir im Unterschied zu anderen keine staatlichen Beihilfen erhalten. Glauben Sie mir: Wir erwirtschaften nur einen kleinen Reingewinn, und das halte ich auch für richtig, denn wir führen im Auftrag des Staates Aufträge aus.

Was sagen Sie zum Vorwurf, dass Ihr Preis nur mit Abstrichen bei der Betreuung möglich ist?

Ich stelle mit aller Vehemenz in Abrede, dass wir einen Dumpingpreis offeriert haben und nun an der Qualität schrauben. Wir können das gar nicht. Wir haben Pflichtenhefte, die wir einhalten müssen und die vom Auftraggeber streng kontrolliert werden. Als privates Unternehmen, das in einem hoch politisierten Umfeld tätig ist, wäre man Aufträge schnell los, wenn man die Qualität nicht erbrächte.

Dann sind die anderen also zu teuer?

Ich habe keine Ahnung, was die kalkuliert haben. Ich bin natürlich auch erschrocken, als ich die grosse Preisdifferenz sah, und habe alles überprüfen lassen. Ich kann Ihnen versichern: Unsere Rechnung stimmt.

Zahlen Sie tiefere Löhne als die Konkurrenz?

Nein. Das wäre auch gar nicht möglich, denn wir arbeiten mit den gleichen Leuten wie die anderen Organisationen. Würden wir nicht marktübliche Löhne zahlen, wäre das Personal weg. Nein, wir sind einfach eine sehr effiziente Organisation mit viel Erfahrung.

Was ist der Einstiegslohn bei Ihnen?

4500 Franken, nachdem man bei uns die Lehre gemacht hat.

Wie kann es sein, dass Sie die Konkurrenz bei gleichen Voraussetzungen derart unterbieten und auch noch Gewinn erzielen?

Wir sparen nicht an der Front, dort geht das gar nicht, sondern im Backoffice.

Auffällig ist die hohe Kadenz kritischer Medienberichte über die Arbeit von ORS: überfordertes Personal, Gewaltausbrüche, Übergriffe. Linke Parteien und Flüchtlingsorganisationen kritisieren Sie regelmässig. Was sagen Sie dazu?

Erstens: Wir gehen jedem Hinweis nach, egal, woher er kommt. Das ist zentral. Nie selbstgefällig werden und meinen, etwas könne gar nicht sein. Abklären, Fakten klären, und wenn etwas dran ist, dazu stehen und Massnahmen ergreifen. Bei 3000 Angestellten hat man in so einem heiklen Business immer solche, die mal etwas falsch machen.

Wenn etwas passiert ist, liest man oft, ORS nehme keine Stellung zum Vorfall . . .

Ich lege meine Hand ins Feuer, dass jedem Hinweis nachgegangen wird. Denn es gibt Vorfälle – nicht nur bei uns. Aber – und das ist mein zweiter Punkt: Wir stehen besonders im Fokus, weil wir ein privates Unternehmen sind. Nach sieben Jahren als CEO habe ich mich daran gewöhnt, aber es regt mich immer noch auf.

Warum?

Weil ich weiss, dass der grösste Teil der Vorwürfe ungerechtfertigt ist. Sie sind oft ideologisch motiviert und kommen aus der gleichen Ecke. Die Kritik zielt eigentlich auf das von der Politik, beziehungsweise vom Stimmvolk definierte Asylsystem und gar nicht auf uns. Man findet das Asylsystem grundsätzlich falsch. Oder man will nicht, dass der Staat Leistungen outsourct – erst recht nicht an ein gewinnorientiertes Privatunternehmen. Wenn das alles zusammenkommt, können wir machen, was wir wollen, wir ernten Kritik.

Ihre härteste Konkurrentin in Zürich, die AOZ, ist ein staatlicher Betrieb. Wie erleben Sie diesen Wettbewerb?

Ich gebe zuerst einmal eine diplomatische Antwort: Konkurrenz ist für jedes Unternehmen wichtig, ich bin also froh darum. Speziell in unserem Umfeld ist aber, dass alle anderen Organisationen entweder NGO, halbstaatliche oder staatliche Akteure sind. Weil diese praktisch eine Staatsgarantie haben, wird der Wettbewerb verzerrt.

Brauchte es den Staat in diesem Sektor gar nicht?

Nach meinem Staatsverständnis sollte er sich nicht einmischen, wo Private eine Leistung erbringen. Für uns ist es ein Problem, wenn uns ein Non-Profit-Akteur dank einer Defizitgarantie unterbieten kann. Im Kanton Bern ist uns das passiert.

Der grösste Teil der Asylbewerber in Zürich sind zurzeit Ukrainerinnen und Ukrainer – wie hat sich Ihre Aufgabe dadurch verändert?

Wir betreuen viele junge Frauen mit kleinen Kindern. Es sind oft Leute, die höhere Standards gewohnt sind und zu unserem Kulturkreis gehören. Das hat Vor- und Nachteile. Wir müssen uns mehr überlegen. Wir können ukrainische Frauen in den Unterkünften zum Beispiel nicht mit unbegleiteten Minderjährigen aus Afghanistan gemeinsam betreuen, das würde einen Clash geben.

Die Gemeinden bekunden vermehrt Mühe, Platz für die vielen Asylbewerber zu schaffen. Welche Unterkünfte sind akzeptabel, welche nicht?

Überirdisch ist auf Dauer sicher besser als unterirdisch. Wegen der Hygiene, der Lüftung und dessentwegen, was eine fensterlose Unterkunft mit den Leuten macht. Aber wenn die Betreuung respektvoll ist, ist die Unterbringungsform eher sekundär. In einer Krise darf man keine Tabus haben. Eine nagelneue Containeranlage mit guten sanitären Anlagen oder sogar eine Zeltsiedlung können attraktiver sein als ein heruntergekommenes Hotel.

Bei wie vielen Menschen pro Quadratmeter ist ein Limit erreicht?

Wichtiger als die reine Quadratmeterzahl ist Privatsphäre, die gegeben sein muss. Dazu ein Bett für jede Person. Es ist nicht gut, wenn Leute vorübergehend auf Gängen und in Eingängen untergebracht werden müssen. Wichtig sind auch Sanitäranlagen ohne grosse Wartezeiten. Und die Verpflegung muss so organisiert sein, dass man zu normalen Zeiten essen kann. Wenn all das erfüllt ist, ist es für eine gewisse Zeit zumutbar. Aber monate- oder jahrelang geht das nicht.

Sind Unterkünfte in bewohnten Gebieten oder solche am Waldrand zu bevorzugen?

Das ist ein riesiges Dilemma. Die lokale Bevölkerung sagt oft, sie akzeptiere eine Unterkunft, wolle sie aber nicht im eigenen Garten. Aus Sicht der Bewohner hingegen wäre es besser, wenn die Unterkunft nicht weitab vom Schuss ist. Denn unsere Anlagen sind offen, man kann frei ein und aus gehen. Durch Abschottung und Ausgrenzung schafft man meist bloss neue Probleme.

Sollten die Behörden den Asylbewerbern künftig kein Bargeld mehr aushändigen, sondern ein Guthaben auf eine Bezahlkarte laden? In Deutschland wird das in gewissen Landkreisen getan.

Wir hatten diese Idee auch schon, denn für uns ist das ganze Cash-Handling ein Sicherheitsrisiko. Wir müssen Bargeld holen, auszahlen, aufbewahren und dann kontrollieren, wem man es gibt. Eine Karte würde unsere Prozesse stark vereinfachen. Ich denke, es wäre gut, wenn man die Idee prüft.

Sie sind an der Front: Herrscht in der Schweiz ein «Asylchaos», wie die SVP sagt?

Chaos ist anders. Wir haben riesige Asyl- und Flüchtlingsherausforderungen in der Schweiz – und in Europa. Aber ein Chaos erleben wir in unserem Alltag bei der Betreuung von 30 000 Asylbewerbern und Flüchtlingen nicht. Ich habe das Glück, mit anderen Ländern vergleichen zu können. ORS ist auch in Deutschland, Österreich und Italien tätig. In vielen Ländern sind die Zustände schlimmer als in der Schweiz.

Es gibt aber sicher Dinge, die andere Länder besser machen.

Das klingt jetzt fast ein bisschen chauvinistisch, aber ehrlich gesagt: Nein, ich kenne kein Land, das das Asylwesen besser im Griff hat als die Schweiz. Unsere Verfahren sind im Quervergleich unglaublich schnell. Das grösste Problem ist, dass sechzig Prozent der Leute, die bei uns in ein Verfahren kommen, keinen geschützten Fluchtgrund haben und abgewiesen werden. Wenn man aber kein Rückübernahmeabkommen mit den Herkunftsstaaten hat, bleiben sie trotzdem. Entweder tauchen sie dann unter, wandern weiter oder warten, ohne jede Perspektive.

Was ist die Lösung?

Die einzige Lösung ist Migrationsdiplomatie. Es ist ja bereits gelungen, mit gewissen Ländern Rückübernahmeabkommen auszuhandeln. Wenn weitere Staaten hinzukämen, könnten die Zahlen zurückgehen.

Unendlich viele Flüchtlinge kann die Schweiz nicht aufnehmen. Wann ist eine Grenze erreicht?

Das ist eine politische Frage, und wir sind als Unternehmen politisch neutral. Persönlich bin ich der Ansicht, dass es für einen Rechtsstaat, der sich an Vereinbarungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention hält, schwierig ist, eine numerische Grenze zu setzen. Aber klar ist, dass wir mit den Unterbringungsplätzen an Grenzen stossen, wenn sich die Zahlen weiterentwickeln wie bisher – und es gibt keinen Grund zu denken, dass sich 2024 etwas daran ändert.

Wie wird sich die Lage entwickeln?

Die Fachleute, mit denen wir reden, sehen keinerlei Anzeichen, dass die Welle abflachen würde – und zwar unabhängig vom Kriegsverlauf in der Ukraine. Das ist eine ziemlich einzigartige Situation.



Zur Person

hub./dfr. Jürg Rötheli ist seit 2017 CEO der ORS Group, des grössten privaten Anbieters von Asyl-Dienstleistungen der Schweiz. Davor war er in leitender Funktion beim Werbeunternehmen Clear Channel tätig und zehn Jahre lang Mitglied der Konzernleitung von Swisscom. Im Sommer gibt Rötheli die operative Führung der ORS Group ab und wird Verwaltungsratspräsident.
(https://www.nzz.ch/zuerich/chaos-ist-anders-interview-mit-dem-chef-der-asyl-betreuungsfirma-ors-ld.1822615)


+++MITTELMEER
«Die Festsetzung verstösst gegen Völkerrecht»
Innerhalb der letzten Woche hat die italienische Regierung drei zivile Seenotrettungsschiffe unter deutscher Flagge festgesetzt. Die Humanity 1, die Sea-Watch 5 und die Sea-Eye 4.
Die italienischen Behörden begründen dies mit dem unkooperativen Verhalten der Schiffe gegenüber der sogenannten libyschen Küstenwache. Laut den Seenotrettungsorganisationen handele es sich um falsche Anschuldigungen.
Unsere Kolleg*innen vom Radio Corax haben mit Giulia Messner, der Sprecherin von Sea Watch gesprochen.
https://rabe.ch/2024/03/20/die-festsetzung-verstoesst-gegen-voelkerrecht/


Mittelmeer: Ärzte ohne Grenzen kritisiert lebensgefährliche Manöver von libyscher Küstenwache
Unsere Teams sind am vergangenen Wochenende Zeuge von zwei gefährlichen Manövern der von der EU unterstützten libyschen Küstenwache geworden. Dabei wurden Gesundheit und Leben von Hunderten Schutzsuchenden vorsätzlich gefährdet.
https://www.aerzte-ohne-grenzen.at/artikel/mittelmeer-aerzte-ohne-grenzen-kritisiert-lebensgefaehrliche-manoever-von-libyscher


+++EUROPA
Fluchthelfer in Gefahr
Im Dezember haben die EU-Staaten und das Parlament den „Asyl- und Migrationspakt“ beschlossen und damit das Asylrecht in weiten Teilen eingeschränkt. Nun sollen auch Helfer*innen von Flüchtenden stärker verfolgt werden. Hierzu hat die EU-Kommission am 28. November ein Gesetzespaket zur „Bekämpfung des Menschenschmuggels“ vorgelegt.
https://www.cilip.de/2024/03/18/fluchthelfer-in-gefahr/


++++FREIRÄUME
SVP-Nationalrat versus Kulturzentrum: Dank Unruhestifter Glarner plötzlich legal
Fünf Jahre lang hat Andreas Glarner einen juristischen Kleinkrieg gegen das autonome Kulturzentrum Bremgarten geführt – und immer verloren. Trotzdem lässt das KuZeB den Politiker nicht los.
https://www.woz.ch/2412/svp-nationalrat-versus-kulturzentrum/dank-unruhestifter-glarner-ploetzlich-legal/!PEKPNRC8YTF8


+++GASSE
Provisorium auf dem Kasernenareal: Zürcher Drogenabhängige bekommen neue Anlaufstelle
Für 2,5 Millionen Franken richtet die Stadt in den Polizeigaragen auf dem Kasernenareal eine Kontakt- und Anlaufstelle ein. Frühestens 2030 soll dann der definitive Standort auf dem Areal bezogen werden.
https://www.tagesanzeiger.ch/zuercher-drogenabhaengige-bekommen-neue-anlaufstelle-auf-dem-kasernenareal-837909002604
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/zuerich-ehemalige-polizeigaragen-sollen-bald-als-provisorische-kontakt-und-anlaufstelle-fuer-drogenkonsumierende-dienen-ld.2596786
-> https://www.stadt-zuerich.ch/hbd/de/index/ueber_das_departement/medien/medienmitteilungen/2024/03/neues-provisorium-fuer-kontakt-und-anlaufstelle-ab-herbst-2025.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/zuerich/429122185-zuercher-drogenkonsumierende-bekommen-neue-anlaufstelle
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/zuercher-drogenkonsumierende-bekommen-neue-anlaufstelle-156598843


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Keine Räumlichkeiten für umstrittene Studierenden-Veranstaltung
Die Universität Basel will der studentischen Organisation „Marxist Society“ für ihre nächste Veranstaltung keinen Raum zur Verfügung stellen. Normalerweise können Studierenden-Gruppen Räumlichkeiten an der Uni buchen. Die Uni begründet dies mit der Veranstaltungseinlandung.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/keine-raeumlichkeiten-fuer-umstrittene-studierenden-veranstaltung?id=12559076


bernerzeitung.ch 20.03.2024

«Kill Erdogan»-Plakat: Obergericht hebt Freisprüche auf und verhängt Geldstrafen

Vier Demonstranten aus der linken Szene werden vom Berner Obergericht verurteilt. Die Aufforderung zur Tötung Erdogans war eindeutig.

Hans Ulrich Schaad

Die Kundgebung im März 2017 in der Berner Innenstadt verlief friedlich. Trotzdem sorgte die Demonstration gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan international für Schlagzeilen, wegen einer Botschaft auf einem Transparent: «Kill Erdogan with his own weapons!» Daneben das Konterfei von Erdogan mit einer auf ihn gerichteten Pistole.

Das Plakat führte auch zu einer diplomatischen Verstimmung zwischen Bern und Ankara. Die Türkei verlangte für die Urheber Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft eröffnete zwar ein Verfahren, lange passierte aber nicht viel.

Erst im November 2020 erliess die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland einen Strafbefehl und verurteilte mehrere Demonstranten aus der linksradikalen Szene zu Geldstrafen. Tatbestand: «öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit».

Ein viel beachteter Prozess

Weil vier der Verurteilten Einsprachen erhoben, kam es im Frühjahr 2022 vor dem Regionalgericht in Bern zum Prozess. Einem politisch aufgeladenen Prozess mit hohen Sicherheitsvorkehrungen. Die Verhandlung endete im März 2022 mit Freisprüchen auf der ganzen Linie für die Beschuldigten.

Das Gericht interpretierte den Aufruf auf dem Plakat im übertragenen Sinn. Die Botschaft müsse als «den Spiess gegen Erdogan umdrehen» verstanden werden. Die Urheber hätten zwar die Grenze der Geschmacklosigkeit erreicht. Aber provokative Slogans an politischen Kundgebungen seien häufig.

Gericht dreht Spiess um

Mit dieser Argumentation war die Staatsanwaltschaft nicht einverstanden und zog den Fall ans Berner Obergericht weiter. Dieses dreht den Spiess nun wieder um und hebt die Freisprüche auf.

Das Gericht verurteilt die vier Demonstranten zu Geldstrafen zwischen 16 und 45 Tagessätzen. Diese werden wegen einschlägiger Vorstrafen teilweise unbedingt ausgesprochen. Wegen der langen Verfahrensdauer fielen sie geringer aus.

Das Obergericht teilt die Interpretation der Vorinstanz nicht. Zwar habe das englische Wort «to kill someone» mehrere Bedeutungen, wie etwa jemanden ausser Gefecht setzen. Dabei müsse aber der Zusammenhang betrachtet werden.

Keine neutrale Sicht möglich

Das Transparent zeige den Kopf des türkischen Präsidenten und eine auf die Schläfe gerichtete Waffe. Vor diesem Gesamtbild erscheine nur schwer nachvollziehbar, wie das Verb «to kill» anders gedeutet werden könne «als die klare und unmissverständliche Aufforderung zur Tötung des türkischen Staatsoberhauptes», hält das Gericht fest.

Die Äusserung könne nicht neutral angesehen werden. Die Botschaft sei eindeutig als Tötungsaufforderung zu bezeichnen. «Für ein metaphorisches Verständnis bleibt bei einer objektiven Betrachtung schlicht kein Raum», heisst es im Urteil.

Auch die Medien, die über die Kundgebung berichteten, hätten in der Botschaft auf dem Transparent keine kritische Mehrdeutigkeit erkannt, geschweige denn eine «allegorische Bedeutung hineininterpretiert», so das Obergericht. Irrelevant sei in diesem Zusammenhang, dass die Demonstration friedlich verlaufen sei.

Fällt nicht unter Meinungsfreiheit

Das Regionalgericht hielt in seinem Entscheid fest, dass die Kundgebungen in den grundrechtlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen würden. Dem hält das Obergericht entgegen, dass eine öffentliche Aufforderung zur Tötung einer Person weder durch die Meinungs- noch die Versammlungsfreiheit geschützt sei.

Die vier Beschuldigten waren direkt daran beteiligt, den Handwagen mit dem Transparent von der Reitschule bis zum Bundesplatz und wieder zurück zu ziehen, oder befanden sich auf dem Wagen. Sie wurden anhand von Videos und Fotos identifiziert und müssen sich den «Aufruf zu einem Verbrechen» einzeln anrechnen lassen.

Das Obergericht taxiert die Tat im leichten Bereich. Obwohl gut 1000 Personen an der Kundgebung teilnahmen und die Botschaft auf dem Transparent eindringlich war, sei die konkrete Gefahr der Realisierung als nicht sehr hoch einzustufen.

Alle vier Beschuldigten haben beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht, wie Dominic Nellen, einer der Verteidiger auf Anfrage sagte. Das Transparent sei nie und nimmer eine Aufforderung zu einem Verbrechen gewesen. «Es fehlt klar an Eindeutigkeit und Ernsthaftigkeit.»
(https://www.bernerzeitung.ch/kill-erdogan-plakat-berner-obergericht-hebt-freisprueche-auf-361726303418)
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/berner-obergericht-verurteilt-demonstranten-wegen-kill-erdogan-plakat-156603190


+++SPORT
Fankurven: Sololauf der Repression
Erst letzte Woche kam es zum grossen Knall: Die Fussballklubs haben den gemeinsamen Verhandlungstisch mit den kantonalen Justiz- und Polizeidirektionen verlassen. Doch nun zeigt sich: Die Basler Polizeidirektorin Stephanie Eymann will den eigenwilligen Kurs der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektor:innen (KKJPD) fortsetzen, daran liess sie im heutigen «Streitgespräch zur Fangewalt» mit Thomas Gander, Exgeschäftsführer von Fanarbeit Schweiz, in den Tamedia-Zeitungen keinen Zweifel. Sie bedaure den Entscheid der Klubs, so Eymann, sei aber froh, dass aufseiten der Behörden weiterhin Einigkeit bestehe. «Diese Allianz bröckelt nicht», fügt sie an.
https://www.woz.ch/taeglich/2024/03/20/fankurven-sololauf-der-repression


+++KNAST
Ausländische Gefangene: Unversichert hinter Gittern
Jede:r dritte in der Schweiz Inhaftierte hat keine Krankenversicherung. Das verstösst gegen internationale Menschenrechtsstandards. Doch jetzt kommt Bewegung in die Sache.
https://www.woz.ch/2412/auslaendische-gefangene/unversichert-hinter-gittern/!2KB1W9JNB0XC


+++POLICE CH
Razzien und Festnahmen: Die Polizei kämpft gegen Bandenkriminalität – Rundschau
Die Eskalationen sogenannter «Clankriminalität» in Schweden und Deutschland machten in den vergangenen Monaten immer wieder Schlagzeilen. Auch in der Schweiz warnen die Polizeibehörden vor solchen Strukturen. Die Reportage zeigt Razzien in Nagelstudios, Barbershops und Shisha-Bars. Und macht klar: Die Polizisten ärgern sich insbesondere über den Datenschutz, der den Austausch von Informationen zwischen den Kantonen erschwert.
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/razzien-und-festnahmen-die-polizei-kaempft-gegen-bandenkriminalitaet?urn=urn:srf:video:413e90fd-cba0-4f30-b81d-9491300632ab


Theke mit Adrian Lobsiger, Eidgenössischer Datenschutzbeauftragter – Rundschau
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/theke-mit-adrian-lobsiger-eidgenoessischer-datenschutzbeauftragter?urn=urn:srf:video:3d769bf3-a53e-4805-9c11-c63cd8ba99d2


+++RASSISMUS
Teuscher tritt auf Vorschlag ein: Muslime wollen im Kampf gegen Anti¬semi¬tismus an Schulen mithelfen
Muslime und Juden sollen gemeinsam mit Stadt, Schulen und Eltern Massnahmen gegen Antisemitismus ergreifen, sagt der Präsident des Muslimischen Vereins.
https://www.derbund.ch/antisemitismus-in-bern-juden-muslime-stadt-kaempfen-dagegen-834497162085


Juden und Muslime gemeinsam beim Fastenbrechen in Bern – Rendez-vous
Die Terrorattacke der Hamas und der Gazakrieg: Der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Bern streckt in dieser schwierigen Zeit den Muslimen freundschaftlich die Hand entgegen. In Bern feiern Juden und Muslime gemeinsam das «Iftar», das Fastenbrechen im Fastenmonat Ramadan.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/juden-und-muslime-gemeinsam-beim-fastenbrechen-in-bern?partId=12559445



derbund.ch 20.03.2024

Rassismus an Berner Schulen: Unwissenheit, Provokationen und Vorurteile

Wie verbreitet ist Rassismus? Zählt Antisemitismus dazu, oder ist er ein eigenes Phänomen? Was unternehmen Schulen? Ein Besuch in Bern-West.

Mirjam Comtesse

Eines wird beim Spaziergang im Westen der Stadt Bern schnell klar: Rassismus ist vielschichtig. Das gilt insbesondere hier, wo Schülerinnen und Schüler aus verschiedensten Nationen mit unterschiedlichsten kulturellen Erfahrungen zusammenkommen. Am Mittwoch haben die Schulen im Rahmen der Aktionswoche gegen Rassismus zu einem Spaziergang geladen.

Auf dem Weg sagt Denise Steinacher, Co-Schulleiterin am Standort Bethlehemacker: «Was im Nahen Osten passiert, beschäftigt viele muslimische Familien.» Vor allem jene Jugendlichen, die in einem Flüchtlingscamp geboren wurden, würden durch manche Fernsehbilder an das eigene Elend erinnert.

Ähnliches gilt für Kinder aus jüdischen Familien. Die Ereignisse vom 7. Oktober haben bei vielen Erinnerungen an den Holocaust geweckt. In dieser emotional aufgeladenen Stimmung kann jede Provokation schnell eskalieren.

Wo endet Provokation, wo beginnt Radikalisierung?

«Allerdings ist Antisemitismus bei uns kein riesiges Thema», sagt Denise Steinacher. Der Anteil jüdischer Schülerinnen und Schüler sei relativ klein. «Aber jeder Vorfall ist für die einzelnen Beteiligten natürlich sehr belastend.»

Und schon sind wir mittendrin im komplexen Thema. Wann ist ein Hakenkreuz einfach eine Provokation von Jugendlichen, die Grenzen ausloten? Wann ist es ein Anzeichen für eine Radikalisierung? Und wie unterscheidet man das eine vom anderen?

Denise Steinacher hat keine einfachen Antworten. Aber sie erzählt aus ihrer Erfahrung: Zum Beispiel war vor einigen Jahren bei einigen Schülern das Erika-Lied beliebt. Sie hatten es in Tiktok-Videos gesehen. Das Problem: Das Marschlied wurde im Zweiten Weltkrieg für die nationalsozialistische Propaganda verwendet. Das wussten die Jugendlichen aber nicht, wie sie glaubhaft versicherten.

Historisches Wissen zu Holocaust fehlt

«Oft steckt hinter solchen Vorkommnissen keine politische Botschaft, sondern historisches Unwissen», sagt die Co-Schulleiterin. Das Gleiche gelte beim Hakenkreuz. «Wir haben eine Nulltoleranz-Politik, aber oft müssen wir den Jugendlichen zuerst erklären, wieso alle Erwachsenen so geschockt reagieren.»

Wenn die Jugendlichen trotzdem weitermachten, sei das ein Warnsignal. «Dann können wir auch mal einen Schulausschluss verhängen.» Das Schwierigste sei jedoch stets, den Mittelweg zwischen Bagatellisieren und Hochschaukeln zu finden.

So oder so findet es Denise Steinacher besser, möglichst vorausschauend zu agieren. «Wir wollen nicht erst handeln, wenn etwas Schlimmes passiert ist.»

Kurse für Lehrpersonen und Schüler

Aus diesem Grund haben die Lehrpersonen an den Standorten Brünnenpark, Brünnen und Bethlehemacker diesen Monat eine Weiterbildung zu Rassismus gemacht.

Auch die Schülerinnen und Schüler werden sich in der kommenden Woche damit beschäftigen: Bei den Siebtklässlern steht das Thema Zivilcourage im Zentrum, bei den Achtklässlerinnen geht es um Hatespeech, und die Neuntklässler werden sich der Vielfalt von Identitäten widmen.

Schwierig ist für Schulen, dass der aktuelle Lehrplan das Wort Rassismus kein einziges Mal erwähnt. Auch Themen wie Migration und soziale Gerechtigkeit kommen nur am Rande vor. Lehrpersonen müssen sich also zusätzlich dafür engagieren.

In Bern-West versucht die Schulleitung, den Schülerinnen und Schülern vor allem drei Leitsätze zu vermitteln:

– Fragen sind besser als Vorurteile.
– Nur Gewaltlosigkeit kann eine Gewaltspirale unterbrechen.
– Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Er bedeutet, dass man gemeinsam die Zukunft gestalten will.

Wer wird für den Gymer empfohlen?

Andi Geu findet das Vorgehen der Schulen in Bern-West insgesamt gut. Er ist Co-Geschäftsleitender von NCBI (National Coalition Building Institute) Schweiz. Der Verein setzt sich nebst anderem für den Abbau von Vorurteilen, Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art ein.

Wenn Schulen das Thema Rassismus behandelten, sollten sie laut Geu unbedingt zwei Ebenen adressieren: die zwischenmenschliche und die strukturelle.

«Bei der zwischenmenschlichen Ebene geht es darum, dass die Lehrperson zum Beispiel auf dem Pausenplatz sagt: ‹So geht es nicht. Wir reden nicht so miteinander.›»

Auf der institutionellen Ebene steht die ganze Schule in der Pflicht. Es stellen sich Fragen wie: Wer bekommt welche Noten? Wer erhält die Empfehlung für den Gymer? Wie stellen wir sicher, dass auch fremdsprachige Eltern alle Informationen verstehen?

All diese Fragen müsse sich eine Schulleitung – und mit ihr die ganze Schule – stellen.

Antisemitismus als Teil des Rassismus

An den Schulen Brünnen, Brünnenpark und Bethlehemacker zählt man Antisemitismus zu Rassismus – genauso wie es auch dem Konzept der Stadt Bern entspricht. Ist das richtig?

Andi Geu bejaht. «In Fachkreisen ist man sich weitgehend einig, dass es sinnvoll ist, Antisemitismus als Teil der Rassismusproblematik zu betrachten», sagt er. «Trotz historischer Unterschiede gibt es eine vergleichbare Dynamik.»

Er hat selber jahrelang an Schulen Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden organisiert. «Die Zeit der Zeitzeugen geht zu Ende», sagt er. Nun müssten Schulen neue Formen der Wissensvermittlung entwickeln.

Ganz besonders wichtig findet er dabei, dass die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass der Holocaust nicht einfach ein singulärer Ausreisser in der Weltgeschichte war. «Sie müssen die Bezüge zu heute sehen und verstehen, welche gefährlichen Dynamiken es nach wie vor gibt.»
(https://www.derbund.ch/bern-rassismus-an-schulen-provokationen-und-vorurteile-575165411615)


+++RECHTSPOPULISMUS
solothurnerzeitung.ch 20.03.2024

«Ausmass erreicht, das nicht mehr toleriert wird»: Solothurner Kantonsrat will Zeichen gegen kriminelle Asylsuchende setzen

Die Solothurner FDP will mit strengeren Hausregeln in den Asylzentren ein Zeichen gegen kriminelle Asylsuchende setzen. Nicht alle Parteien im Parlament waren vollständig einverstanden, anerkannten aber eine gewisse Problematik und erklärten den Vorstoss für dringlich.

Raphael Karpf

Das Thema brenne überall unter den Nägeln, sagte Johanna Bartholdi (FDP, Egerkingen) im Kantonsrat. «Es braucht jetzt ein starkes Zeichen der Politik.» Ihre Partei hatte kurz vorher einen dringlichen Auftrag im Parlament eingereicht. Es brauche Sofortmassnahmen gegen kriminelle Asylsuchende auf kantonaler Ebene, nötigenfalls mit einer Verordnung.

Insbesondere im Gäu, wo sich gleich drei kantonale Durchgangszentren (Oberbuchsiten, Egerkingen und Hägendorf) befinden, habe die Zahl der Einbrüche, versuchten Einbrüche, Diebstähle und Sachbeschädigungen ein Ausmass erreicht, «das von der Bevölkerung nicht mehr toleriert und getragen wird», schreibt die FDP in ihrem Vorstoss.

In diesem relativiert die Partei das Problem aber gleich selbst: Nur ein kleiner Teil der Delikte würde effektiv von Asylsuchenden aus den Durchgangszentren verübt. Für den allergrössten Teil sind Kriminaltouristen verantwortlich. Doch trotzdem sei die Akzeptanz der Asylzentren stark gefährdet. Darum brauche es jetzt ein klares Zeichen gegenüber delinquenten Asylsuchenden und Kriminaltouristen, so der Freisinn. «Wer Delikte verübt, hat seine Schutzwürdigkeit verloren.»

Ausgangsverbot in der Nacht gefordert

Was genau für Massnahmen die Regierung ergreifen soll, lässt die FDP offen. Sie macht in ihrem Vorstoss aber einige Vorschläge: Eine strikte Hausordnung in den Durchgangszentren (mit Abwesenheitskontrollen und einem Ausgangsverbot während der Nacht), eine verstärkte Präsenz des Sicherheitsdienst in der Nacht, mehr Polizeipräsenz sowie die Einrichtung eines separaten Asylzentrums für renitente Asylsuchende in einer möglichst abgelegenen Liegenschaft (oder eine geschlossene Abteilung in einem bestehenden Zentrum). Zudem müssten Ausschaffungen von kriminellen Ausländern konsequent und schnell vollzogen werden.

Am Mittwoch ging es im Kantonsrat noch nicht um eine inhaltliche Diskussion des Vorstosses, sondern nur darum, ob der FDP-Auftrag dringlich behandelt werden soll oder nicht.

Was zu erwarten war: Die SVP unterstützt das Anliegen. Jeden Tag lese man inzwischen von kriminellen Asylsuchenden, sagte Fraktionschef Beat Künzli (Laupersdorf). «Es ist höchste Zeit zu handeln. Schade tun wir es erst, wenn es bereits brodelt.»

«Inhalt ist einigermassen wirr»

Tatsächlich unterstützte aber auch eine Mehrheit der anderen Parteien die Dringlichkeit des Anliegens. Man sei zwar nicht mit allen genannten Punkten inhaltlich einverstanden, sagte Nadine Vögeli (SP, Hägendorf). «Es ist aber wichtig, jetzt rasch aufzuzeigen, wo die Probleme wirklich liegen.»

Ähnlich tönte es bei der Mitte und den Grünliberalen. Der Inhalt sei zwar einigermassen wirr, sagte GLP-Fraktionschef Thomas Lüthi (Hägendorf), «wir wollen aber auf keinen Fall das Zeichen aussenden, dass wir die Verunsicherung in der Bevölkerung nicht ernst nehmen würden». Mit 75 zu 12 Stimmen wurde der Auftrag für dringlich erklärt. Er wird somit bereits in der nächsten Session behandelt.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/kantonsrat-ausmass-erreicht-das-nicht-mehr-toleriert-wird-solothurner-kantonsrat-will-zeichen-gegen-kriminelle-asylsuchende-setzen-ld.2596708)


+++RECHTSEXTREMISMUS
Freiburger Parlament verbietet Hakenkreuz
Der Kanton Freiburg setzt ein Zeichen gegen Nazi-Symbole. Das Kantonsparlament hat beschlossen, dass Nazi-Symbole ganz grundsätzlich sollen verboten werden.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/freiburger-parlament-verbietet-hakenkreuz?id=12559415
-> https://frapp.ch/de/articles/stories/verbot-von-nazi-symbolen-im-kanton-freiburg
-> https://www.blick.ch/politik/parlament-ueberweist-vorstoss-kanton-freiburg-soll-nazi-symbole-verbieten-id19554794.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/extremismus-kanton-freiburg-soll-nazi-symbole-verbieten


Rechtsextremismus: Ein heimisches Problem
Die Schweiz will ihre rechtsextremen Strukturen partout nicht wahrhaben.
https://www.woz.ch/2412/rechtsextremismus/ein-heimisches-problem/!AHNC8HJDWWKE


Rechtsextreme Medienguerilla: Wie Medien das Spiel von Martin Sellner mitmachen
Martin Sellner lässt sich für die Aufmerksamkeit in Deutschland und der Schweiz von der Polizei abführen. Und die Medien spielen mit. Natascha Strobl analysiert.
https://www.moment.at/story/martin-sellner-medien-versagen/



aargauerzeitung.ch 20.03.2024

Erst solidarisiert sich die Junge SVP Aargau mit dem Rechtsextremisten Martin Sellner – dann taucht sie ab

Die Kantonspolizei Aargau stoppt einen Vortrag von Martin Sellner. Umgehend solidarisiert sich die Junge SVP Aargau mit dem bekannten Rechtsextremisten. Doch auch Tage später hält sie sich bedeckt. Ganz anders SP-Grossrätin Mia Jenni.

David Walgis

«‹Nie wieder› ist heute», sagt Mia Jenni, «und es beginnt damit, dass wir völkischen Konzepten keinen Eingang in unsere Demokratie geben.» Völkische Konzepte? Damit nimmt die SP-Grossrätin am Dienstagmorgen im Grossen Rat in einer Fraktionserklärung der SP Bezug auf den Vorfall vom Wochenende in Tegerfelden, der medial hohe Wellen über die Landesgrenzen hinaus schlug.

Die Kantonspolizei Aargau hatte am Samstagabend den bekannten Rechtsextremisten Martin Sellner abgeführt und einen Anlass der rechtsextremen Gruppierung Junge Tat aufgelöst. Rund 100 Personen hatten sich im Weinbaumuseum der beschaulichen Landgemeinde versammelt. Die Polizei befürchtete eine gewalttätige Gegenaktion. Im nahen Koblenz stoppte sie fünf mit Pfefferspray ausgerüstete Linksextreme, die den Auftritt Sellners mutmasslich stören wollten. In seinem Vortrag wollte der Österreicher sein Buch «Remigration» vorstellen.

Womit wir wieder bei den völkischen Konzepten wären. Jenni verweist in ihrer Fraktionserklärung auf eine Idee Sellners: «Ethnopluralismus ist ein völkischer Gedanke, dass bestimmte Menschen aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds an bestimmte Orte gehören. Oder nicht hingehören. Der Rechtsextremist nennt es nun auf der Tour Remigration.» Und diese Idee sei tödlich, sagt Jenni.

Die SP-Grossrätin verweist auf die rechtsextremistischen Anschläge in El Paso und Hanau vor vier Jahren, Christchurch vor fünf Jahren. Vom Neuseeländer Attentäter, der 2019 51 Menschen tötete, erhielt Sellner einige Jahre zuvor eine Spende von 1500 Euro. Nach dem Anschlag distanzierte er sich vom Attentäter in Neuseeland. Weiter verbreitet Sellner den Verschwörungsmythos vom «grossen Austausch». Der Kampfbegriff behauptet, geheime Eliten würden europäische Völker durch nicht weisse Migranten austauschen.

Die Junge SVP Aargau reagiert nicht auf Anfragen

Die Junge SVP Aargau reagiert am Samstagabend rasch. Um 19.41 Uhr verbreitet die Junge Tat auf ihrem Telegram-Kanal den Unterbruch ihrer Veranstaltung. Um 19.43 Uhr strahlt Sellner nach der Einvernahme in Baden in die Kamera seines Smartphones, hält eine Karte des rot umrandeten Aargaus hoch und verkündet stolz: «Ich werde abgeschoben aus dem Kanton Aargau». Und um 21.16 Uhr bekundet die Junge SVP auf X, vormals Twitter, ihre Solidarität mit Martin Sellner, inklusive Grafik.
-> https://twitter.com/jsvpaargau/status/1769095446486487475

Die Jungpartei schreibt von einem schwarzen Tag für die Demokratie und Meinungsfreiheit und behauptet eine Verhaftung Sellners – richtig ist, dass der Österreicher angehalten und abgeführt wurde. Man müsse nicht alle Positionen Sellners teilen, doch als Patrioten sähen sie sich dazu verpflichtet, die Meinungsfreiheit gegen alle Ideologen zu beschützen, die unschuldige Bürger aufgrund von «Gedankenverbrechen» verhaften liessen, schreibt die Junge SVP auf X weiter.

Welche Positionen teilt sie denn mit Sellner?

Gerne hätte die AZ dies die Junge SVP selber gefragt. Gerne hätte die AZ Präsident Ramon Hug die Möglichkeit gegeben, die Solidaritätsbekundung genauer auszuführen. Doch Hug nimmt die Anrufe nicht entgegen, auf Anfragen per Mail mit Fragenkatalog reagiert er lange nicht. Am Dienstagnachmittag kommt schliesslich der knappe Satz: «Es war nicht unser Anlass, deshalb verzichten wir auf weitere Stellungnahmen.»

Die AZ hat Hug unter anderem die folgenden Fragen geschickt:

– Sie haben auf X die Solidarität mit Martin Sellner bekundet. Worin besteht diese?
– Sie schreiben, man müsse mit Sellner nicht in allen Punkten übereinstimmen. In welchen Punkten stimmen Sie ihm zu, und in welchen nicht?
– Wie haben Sie von der Auflösung der Veranstaltung erfahren?
– Martin Sellner propagiert Remigration, hat Spenden vom Attentäter von Christchurch erhalten, verbreitet Verschwörungsmythen vom grossen Austausch: Soll man sich als Jungpartei der grössten Volkspartei tatsächlich mit einer solchen Person solidarisieren?

Hugs Telefon dürfte in den vergangenen Tagen oft geklingelt haben, zahlreiche Medien dürften den Präsidenten der Jungen SVP Aargau kontaktiert haben. Öffentlich geäussert hat er sich bislang nie. In allen Medienberichten wird stets nur der X-Post zitiert. Aussitzen und Abwarten, so die Kommunikationsstrategie der Jungen SVP.

Indirekt bestätigt dies auch Andreas Glarner. Der Präsident der Aargauer SVP möchte sich weder zur Solidaritätsbekundung der Jungpartei noch zu Sellner äussern.

Die Verlierer und Gewinner der Posse

Nicht nur der Präsident der Jungen SVP Aargau findet sich plötzlich in einem Mediensturm wieder, auch das Weinbaumuseum in Tegerfelden tauchte plötzlich in zahlreichen Medienberichten auf. Die Veranstaltung sei ihnen als «Podiumsdiskussion zu Entwicklungshilfe und Migration» angekündigt worden, so der Verein hinter dem Museum.

Künftig verbessere man den Background-Check, heisst es nun auf der Museums-Website. Man wolle hetzerischen und radikalen Kreisen keine Bühne bieten. Und auch der Gemeinderat Tegerfeldens distanziert sich am Dienstagmorgen «entschieden von allen extremistischen Anlässen».

Und Martin Sellner und die Junge Tat? Sie sind die grossen Gewinner der Posse. Auf ihren Telegram-Kanälen verbreiten sie eifrig Video um Video. Sie wissen: Wenn sie die Schlagzeilen beherrschen, werden ihre Positionen bekannter.

Zurück zu Mia Jenni im Grossen Rat. Sie ergreife nicht das Wort, um darüber zu urteilen, ob das mediale Echo hätte verhindert werden können, sagt die SP-Grossrätin und richtet sich direkt an ihre Kolleginnen und Kollegen. Sie als politische Entscheidungsträger könnten darüber entscheiden, welche Narrative im Mainstream ankommen und welche nicht. «Dafür sind wir alle hier drin, jede einzelne Fraktion, verantwortlich.»
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/fall-tegerfelden-erst-solidarisiert-sich-die-junge-svp-aargau-mit-dem-rechtsextremisten-martin-sellner-dann-taucht-sie-ab-ld.2596172)



Königreich Deutschland – ein wachsendes Problem
Ein wachsendes Problem und die Notwendigkeit einer antifaschistischen Antwort
Das „Königreich Deutschland“ (KRD), eine rechtsesoterische Sekte der Reichsbürger*innen-Bewegung, expandiert seit Jahren in der Schweiz, mit dem Fokus auf die Ostschweiz. Der erwartete Besuch des selbsternannten „Königs“ Peter Fitzek stösst jedoch auf Widerstand. Wir erwarten, dass Fitzek die Ostschweiz erneut besuchen wird, und wir erwarten ihn mit Wut und Entschlossenheit. Eine kurze Beschreibung der Geschehnisse und ein Aufruf zu einer kollektiven antifaschistischen Antwort.
https://barrikade.info/article/6363


+++HISTORY
Für das «Rütli der Juden»: Ambitioniertes Vermittlungsprojekt ist einen Schritt weiter – der Verein ist nun für alle offen
Das Projekt «Doppeltür» will die besondere jüdisch-christliche Geschichte des Surbtals vermitteln. Dahinter stehen eine Stiftung und Verein. Letzterer wird nun zum Publikumsverein.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/zurzibiet/doppeltuer-verein-ist-jetzt-fuer-alle-offen-ld.2596337