Medienspiegel 10. März 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++GRIECHENLAND
Griechenland: »Schon heute findet eine Inhaftierung statt«
Die Juristin Anne Pertsch betreut Geflüchtete in Griechenland und kritisiert das neue europäische Asylsystem. Das setze die Schutzsuchenden fest und lasse oft kein faires Asylverfahren zu.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180600.asylpolitik-griechenland-schon-heute-findet-eine-inhaftierung-statt.html


+++GASSE
Bern / Zeugenaufruf: Mann mit schweren Verletzungen ins Spital gebracht
Am Samstagnachmittag ist ein Mann auf dem Vorplatz der Reithalle in Bern mit schweren Verletzungen aufgefunden und ins Spital gebracht worden. Gemäss Aussagen könnte es vorgängig zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen sein. Die Kantonspolizei Bern hat Ermittlungen aufgenommen und sucht zur Klärung der Umstände Zeugen.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=a7e7eb6c-9df7-4dce-89cc-bb23d472a99e
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/in-spital-gebracht-schwer-verletzter-mann-auf-vorplatz-von-berner-reithalle-gefunden-id19518637.html
-> https://www.20min.ch/story/bern-schwer-verletzter-mann-vor-reitschule-gefunden-103060649
-> https://www.derbund.ch/reithalle-schwerverletzter-auf-vorplatz-gefunden-558237418591
-> https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/schwerverletzter-mann-auf-vorplatz-der-berner-reithalle-aufgefunden-156500548



solothurnerzeitung.ch 10.03.2024

In einem Monat öffnet die Oltner Notschlafstelle – noch fehlen freiwillige Helferinnen und Helfer

Am 15. April öffnet die Notschlafstelle Olten erstmals ihre Türen. Für einen reibungslosen Ablauf ist der Verein Schlafguet auf 15 bis 20 Helferinnen und Helfer angewiesen. Sie sollen den Mitarbeitenden unter die Arme greifen.

Dominik Bloch

Nach mehreren Jahren Vorarbeit ist es so weit: Ab dem 15. April können die Obdachlosen aus der Region Olten in der Notschlafstelle an der Oltner Bleichmattstrasse 21 übernachten. Für den Betrieb ist der Verein Schlafguet noch auf der Suche nach helfenden Händen. Dies erklärte Tobias Probst, Co-Präsident des Vereins Schlafguet, an der Informationsveranstaltung für freiwillige Helfende am Samstag im christkatholischen Kirchengemeindesaal in Olten.

Ab Mitte April wird die Notschlafstelle durch ein Viererteam und eine Leitperson geführt. Sie alle verfügen über eine Ausbildung im Bereich der sozialen Arbeit. Im täglichen Betrieb wird die Fachperson durch eine freiwillige, nicht entlöhnte Person ergänzt. «Beide Personen arbeiten im Team zusammen, jedoch haben die Mitarbeitenden die Verantwortung für Entscheidungen mit Folgen zu tragen», so Co-Präsident Timo Probst.

Ein Bett und eine einfache Mahlzeit steht bereit

Offen ist die Notschlafstelle jeweils zwischen 19 Uhr abends und 8 Uhr am nächsten Morgen. Die Obdachlosen dürfen zwischen 19 und 22 Uhr eintreffen und für fünf Franken in der Notschlafstelle übernachten. Dabei muss der Verein Schlafguet aus rechtlichen Gründen Minderjährige oder auch Personen mit einem negativen Asylentscheid ablehnen.

Nach der Begrüssung gebe es für die Bedürftigen eine einfache Verpflegung wie eine Suppe oder einen Kaffee. «Dabei gilt es, den Personen zuzuhören, auf die Lebenswelt einzugehen und bei Anliegen auch in der Nacht zu helfen», erläutert Probst. Zudem biete man den Obdachlosen die Möglichkeit an, ihre Kleider zu waschen, und stelle ihnen Hygieneartikel zur Verfügung.

Am Morgen stellen die Mitarbeitenden den Obdachlosen ein einfaches Frühstück bereit, ehe sie die Notschlafstelle mit ihren Habseligkeiten verlassen müssen. Das Erdgeschoss an der Bleichmattstrasse 21 bietet insgesamt in zwei Räumen mit je vier Betten Platz für acht Personen. Im Haus gilt ein striktes Drogen-, Alkohol- und Gewaltverbot.

Bis zu 20 Personen halten das Projekt am Leben

«Das Projekt steht und fällt mit Menschen, die sich dazu bereit erklären, sich freiwillig zu engagieren», betont Probst. Dabei orientiert sich der Verein an den Richtlinien von Benevol, der Dachorganisation der regionalen Fachstellen für freiwilliges Engagement in der Deutschschweiz. Diese bezeichnet wöchentlich sechs Stunden soziales Engagement als freiwillige Arbeit. Gemessen an der langen Einsatzzeit zwischen 19 und 8 Uhr entspricht dies einem bis zwei Einsätzen im Monat.

Damit ist die Oltner Notschlafstelle auf die Unterstützung von 15 bis 20 volljährigen Personen angewiesen. Die Helferinnen und Helfer will der Verein Schlafguet auch in herausfordernden Situationen unterstützen. «Wir bieten ihnen regelmässige Debriefings und Schulungen in Themenbereichen wie Konflikt- und Bedrohungsmanagement an», erklärt Probst.

Crowdfunding sichert Finanzierung fürs erste Jahr

Ergänzt wird das Angebot, das für zwei Jahre provisorisch bewilligt ist, im ersten Obergeschoss durch eine Notpension mit Platz für weitere acht Personen. Im Unterschied zur Notschlafstelle ist hier mit einer Kostengutsprache des zuständigen Sozialdienstes eine Übernachtung für mehrere Wochen möglich. Für Personen aus der Sozialregion Olten gibt es zudem im zweiten Obergeschoss eine Sozial-WG mit drei möblierten Zimmern.

Finanziell gesichert ist der Betrieb grösstenteils durch Spenden. In diesem Bereich läuft aktuell ein Crowdfunding, wo bereits über 10’000 Franken gespendet wurden. «Mit dem Erreichen des Spendenziels von 15’000 Franken ist die Finanzierung der Notschlafstelle für das erste Jahr gesichert», betont Probst.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/olten/unterhaenger-infoveranstaltung-vom-verein-schlafguet-sucht-jetzt-freiwillige-die-ueber-nacht-bleiben-ld.2591397)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Muslimische und jüdische Menschen stehen gegen Gewalt und Hass ein
Nach dem Attentat vom vergangenen Wochenende haben in Zürich Hunderte Muslime und Juden gemeinsam für Respekt und Solidarität demonstriert.
https://www.nau.ch/news/schweiz/muslimische-und-judische-menschen-stehen-gegen-gewalt-und-hass-ein-66724085
-> https://www.watson.ch/schweiz/zuerich/255462541-muslimische-und-juedische-menschen-stehen-gegen-gewalt-und-hass-ein
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/schweigeminute-fuer-gewaltopfer-kundgebung-in-zuerich-setzt-zeichen-gegen-gewalt-und-hass
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/muslime-und-juedinnen-setzen-in-zuerich-zeichen-gegen-hass-156500631?autoplay=true&mainAssetId=Asset%3A156501209
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/nach-messerattacke-auf-orthodoxen-juden-hunderte-stehen-in-zuerich-gegen-hass-und-gewalt-ein-id19518731.html
-> https://www.kath.ch/newsd/nach-antisemitischer-attacke-menschenkette-fuer-mehr-menschlichkeit/
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/kundgebung-gegen-hass-und-gewalt-auf-dem-lindenhof-in-zuerich?id=12553010
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/ein-zeichen-fuer-fuer-menschlichkeit-und-gegen-antisemitismus?partId=12552965
-> https://www.tagesanzeiger.ch/kundgebung-zuerich-juden-und-muslime-bilden-gemeinsam-menschenkette-502615897691
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/kundgebung-von-muslimen-und-juden-in-zuerich-156502675
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/lindenhof-zuerich-kundgebung-gegen-hass-und-gewalt?urn=urn:srf:video:d7c64f7d-6dbb-4da1-970f-5342d1b3ea5d
-> https://www.20min.ch/story/nach-messerattacke-juedin-umarmt-muslimin-denn-wir-lassen-uns-nicht-spalten-103060697
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/zuerich-muslimische-und-juedische-menschen-stehen-gegen-gewalt-und-hass-ein-ld.2591435


Communiqué zur revolutionären 8. März Demonstration in Zürich
Heute am 9. März 2024 trafen wir uns im Herzen des Kapitals: In Zürich am Paradplatz haben sich über 3000 Frauen, Lesben, inter, non-binäre, trans, agender und genderqueere Menschen für den feministischen Kampftag die Strasse genommen! Selbstbestimmt sind wir im Kreis 1 Zürichs gestartet, um gemeinsam gegen Krieg, Kapital und Patriarchat ein Zeichen zu setzen.
https://barrikade.info/article/6349


+++RECHTSPOPULISMUS
Nils Fiechter ist neuer Präsident der Jungen SVP
Der Berner Grossrat Nils Fiechter ist am Samstag an der Delegiertenversammlung in Thun BE zum neuen Präsidenten der Jungen SVP gewählt worden, wie die Junge SVP mitteilte. Fiechter tritt die Nachfolge des Baslers David Trachsel an.
https://www.watson.ch/schweiz/svp/407607253-nils-fiechter-ist-neuer-praesident-der-jungen-svp
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/niels-fichter-ist-neuer-prasident-der-jungen-svp-66723949
-> https://www.blick.ch/politik/nils-fiechter-neuer-jsvp-praesident-jetzt-provoziert-er-in-der-ganzen-schweiz-id19518802.html


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Singh: «Mein Focus lag bisher auf internationaler Politik»
Pascal Singh ist Mitglied des Vereins Aufrecht Thurgau. Der 50-Jährige kandidiert für den Regierungsrat, weil er findet, es sei an der Zeit aktiv etwas zu bewirken. Mit der Thurgauer Politik ist er wenig vertraut. Als Unternehmer und früherer Unternehmer in einer internationalen Firma habe ihn bisher die internationale Politik mehr interessiert als die Thurgauer Politik. Exekutiven haben für ihn zu viel Macht. Daran würde er als Mitglied einer Exekutivbehörde etwas ändern wollen – zum Beispiel steht für ihn zur Diskussion auch bei den Regierungsratslöhnen zu sparen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/singh-mein-focus-lag-bisher-auf-internationaler-politik?partId=12552938


++++HISTORY
Aufarbeitung Zwangsmassnahmen – «Das Gefühl, ganz alleine zu sein, habe ich nie wegbekommen»
Der Basler Charles Martin wurde als Kind Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. Nun arbeitet Basel-Stadt dieses dunkle Kapitel auf. Das ist eine Vorgabe des Bundes, der sich 2013 offiziell bei Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen entschuldigte.
https://www.srf.ch/news/schweiz/aufarbeitung-zwangsmassnahmen-das-gefuehl-ganz-alleine-zu-sein-habe-ich-nie-wegbekommen


Maria Montessori im Film und im Buch – Tagesschau
Begnadete Pädagogin oder Rassistin – wer war Maria Montessori? Ein Kinofilm und ein Sachbuch verhandeln diese Frage neu.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/maria-montessori-im-film-und-im-buch?urn=urn:srf:video:26bd805f-44bc-47ac-9c2c-3aaff66a03b0


+++BIG BROTHER¨
derbund.ch 10.03.2024

Hunderte Kameras: Polizei baut Nummernschild-Überwachung in der Schweiz deutlich aus

Mit Fahndungskameras wollen die Behörden gestohlene Autos und Fahrer ohne Führerschein aufspüren. Zu diesem Zweck werden auf manchen Strecken sämtliche Kennzeichen erfasst. Sicherheitspolitiker loben die Möglichkeiten – Kritiker warnen.

Mario Stäuble

Die Kameras sind unauffällig. Sie hängen an Querstreben über Strassen oder sind an Kandelabern am Rand der Fahrbahn festgeschraubt. Meistens blitzen sie nicht, sondern filmen nur. Und zwar so, dass die Nummernschilder aller durchfahrenden Fahrzeuge erfasst werden. Und in manchen Fällen auch mehrere Monate gespeichert. Der Fachbegriff dafür lautet: automatisierte Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV).

Wie viele solche AFV-Kameras es im Land gibt, weiss niemand genau. Alleine das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit betreibt laut einer Sprecherin «etwas mehr als 400 Stück» in der Nähe der Schweizer Grenze. Auch die Kantone AG, BE, NE, OW, SZ und TI planen AFV-Systeme oder haben sie bereits in Betrieb genommen, wie der Verein Polizeitechnik und -informatik Schweiz auf Anfrage mitteilt.

Im Kanton Bern laufen bereits 24 stationäre und 7 in Polizeiautos installierte Kameras, in Obwalden 3. Manche Kantone wie das Tessin wollen die Zahl mit Verweis auf die Polizeitaktik nicht nennen. Manche Kantone haben ältere AFV-Kameras abgeschaltet und passen zuerst ihre Gesetze an, bevor sie neue Systeme kaufen.

Insgesamt dürften heute im ganzen Land rund 450 solche Kamera-Anlagen in Betrieb sein. Mit anderen Worten: Wer in der Schweiz mit dem Auto oder einem anderen Fahrzeug grossräumig unterwegs ist, wird früher oder später automatisch gefilmt.

150 Treffer pro Monat

Recherchen zeigen, dass es zwei Trends gibt: Die Polizeien bauen die AFV-Systeme aus – und diese wachsen mehr und mehr zusammen. Gleichzeitig flammt in einzelnen Kantonen immer wieder Kritik aus der Politik auf, meist von Links-Grün. Dann wird die Anwendung lokal eingeschränkt. Aber das System als Ganzes wird über die Zeit immer ausgefeilter.

Was mit dem gefilmten Material passiert, kommt auf den Kanton an. Standard ist, die erfassten Nummernschilder mit Fahndungsdatenbanken abzugleichen – zum Beispiel, um gestohlene oder verschwundene Autos zu entdecken. Auch die europäische Schengen-Fahndungsdatenbank ist inzwischen teilweise angeschlossen. Bern gilt als Pionierkanton; man verzeichne über alle Kategorien rund 150 Treffer pro Monat, schreibt eine Sprecherin der Kantonspolizei.

Einige Kantone – erneut ist Bern ein Beispiel – nutzen die Bilder, um Personen zu erwischen, denen man den Führerausweis entzogen oder verweigert hat. Man habe so durchaus schon Leute ausfindig machen können, bestätigt die Sprecherin.

Besonders heikel ist die Speicherung der gefilmten Daten. Auch hier ist Bern Vorreiter: Bald darf die Polizei das Material während 60 Tagen aufbewahren; die Vernehmlassung der Änderung des Polizeigesetzes läuft bis am 27. März. Mit der Suche nach einem Nummernschild über diesen Zeitraum hinweg lässt sich ein Bewegungsprofil eines Fahrzeugs erstellen. Hier gelten Einschränkungen: Die Berner Polizei zum Beispiel darf nur bei schweren Straftaten auf die Daten zugreifen, also nicht bei Bagatellen.

Direkt auf die Handys der Polizisten

Treibende Kraft hinter der Modernisierung und der Verzahnung der Systeme ist der Verein Polizeitechnik und -informatik Schweiz (PTI), der im Auftrag der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten handelt. Seit 2019 läuft bei PTI ein mehrjähriges Millionenprojekt für ein «Upgrade» des AFV-Systems; die Software dafür programmiert laut Ausschreibung ein Luzerner Unternehmen für 6,7 Millionen Franken. Der Bund betreibt die zentrale IT-Plattform.

Polizistinnen und Polizisten aus den involvierten Korps haben gemäss Projektbeschrieb via Laptop im Polizeiauto Zugriff auf die Daten, und – im reduzierten Umfang – auch auf ihren Handys. Das Projekt, das die Polizeikommandanten nüchtern als «AFV-Redesign» bezeichnen, wirft eine Reihe heikler Fragen auf: Wer soll auf diese Kameras Zugriff haben? Wie lange soll man die Daten speichern dürfen? Und ganz grundsätzlich: Wie weit will man mit der automatischen Überwachung gehen?

«Einige Kameras am Baregg-Tunnel»

Daniel Hänni befasst sich seit Jahrzehnten mit AFV-Systemen. Der IT-Spezialist arbeitet bei PTI. «Angefangen hat alles vor 25 Jahren mit einer Kamera beim Baregg-Tunnel», erzählt er am Telefon. Damals war die Technik noch nicht so weit, um die Schilder zuverlässig zu erkennen und mit einer Fahndungsdatenbank abzugleichen. Mit dem Fortschritt der IT prüften immer mehr Kantone immer präzisere Systeme.

Das «AFV-Redesign» finanzieren nun 21 Kantone sowie das Bundesamt für Zoll und Grenzwesen. PTI bietet laut Hänni an, dass alle Kantone das System nutzen können. Es ist damit zu rechnen, dass mehr und mehr Kantone einsteigen werden – wobei jeder Kanton selbst entscheiden kann, wie weit er gehen will: Führerausweis-Abgleich ja oder nein? Datenspeicherung ja oder nein? Und für wie lange?

Wie heikel das Thema ist, zeigt sich auch daran, dass verschiedene Kantone von den Gerichten zurückgepfiffen worden sind und ihre AFV-Anlagen wieder abstellen mussten. 2019 stoppte das Bundesgericht eine Initiative des Kantons Thurgau: Ein Mann hatte eine Strafe kassiert, nachdem ihn automatische Kameras trotz Entzug des Führerausweises mehrmals beim Fahren erwischt hatten. Das Thurgauer Polizeigesetz sei zu unpräzise, kritisierte das Bundesgericht.

Im Oktober 2020 – nach dem Thurgauer Flop und kurz nach Start von «AFV Redesign» – verschickte die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren einen Gesetzes-Mustertext zu AFV-Systemen an die Kantone. Nach dem Motto: Schreibt das in euer Polizeigesetz, dann könnt ihr AFV-Kameras im Kanton ganz sauber betreiben. Verschiedene Kantone taten das auch.

Aber dann intervenierte das Bundesgericht erneut. Diesmal erwischte es den Kanton Solothurn. Das Gesetz (und damit auch der Mustertext) sei zu unpräzise, kritisierte das Bundesgericht. Zumal die Aufzeichnung dieser Daten einen «schweren Eingriff» in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstelle. Inzwischen haben links-grüne Politikerinnen und Politiker auch in Luzern gegen den «Kamera-Artikel» des dortigen Polizeigesetzes das Bundesgericht angerufen.

«Anhäufen von Daten Unbescholtener»

Datenschützerinnen und Privatsphäre-Aktivisten haben ganz grundsätzliche Einwände gegen AFV-Systeme. Sie sehen darin eine «Massenüberwachung der Bevölkerung», wie Erik Schönenberger sagt. Der Geschäftsführer der Digitalen Gesellschaft stört sich insbesondere am «Anhäufen von Daten unbescholtener Bürgerinnen und Bürger». «Damit lässt sich detailliert nachverfolgen, wie sich Menschen bewegen. Besonders gefährlich ist, dass sich diese Daten mit anderen Datenbanken verknüpfen lassen.»

Die St. Galler Strafrechtsprofessorin und SP-Politikerin Monika Simmler kritisiert die Intransparenz des ganzen Systems und die immer noch zu vagen Gesetze: «Wir reden hier von massiven Eingriffen in die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger. Diese Eingriffe müssen in jedem Gesetz detailliert umschrieben sein.»

Wenn Philippe Müller solche Argumente hört, wird er am Telefon gleich ein wenig lauter: Der Kanton Bern brauche dieses System, um schwere Straftaten aufzuklären, sagt der Berner Sicherheitsdirektor und Regierungspräsident: «Ich mache Ihnen ein ganz konkretes Beispiel: Nach einer Bancomatensprengung ermittelt die Kantonspolizei und kommt zum Schluss, dass die mutmasslichen Täter in einem polizeilich gesuchten Fahrzeug mit einem bestimmten Nummernschild davongefahren sind. Wir können so den Weg dieses Fahrzeugs verfolgen.»

Für Regierungsrat Müller vertreten Datenschützer und Privatsphäre-Aktivisten eine überholte Sichtweise: Die Bevölkerung gebe heute freiwillig über ihre Handys, die sozialen Medien oder Autos, die alles aufzeichnen, viel mehr und heiklere Daten preis. Aber ausgerechnet in der Kriminalitätsbekämpfung, wo so viel auf dem Spiel stehe, solle man zurückhaltend sein? Müller: «Ich habe es früher auch nicht geglaubt, aber heute sage ich: Datenschutz ist Täterschutz.»

Auch die Speicherung des Materials für 60 Tage ist für den FDP-Politiker ein klarer Fall: Vielleicht werde ein Fahrzeug erst Tage nach der Tat verdächtig – so könne man dennoch auf die Daten zugreifen. Er habe persönlich kein Problem, wenn die Polizei sein Nummernschild für einige Tage erfasse – solange klar sei, dass die Ermittler dieses nur in ganz bestimmten Fällen auswerten dürften. «Das ist in meinen Augen kein schwerer Eingriff», so Müller.

Die nächsten 5000 Kameras

Während die Debatte über die rechtliche Zulässigkeit der heutigen AFV-Systeme im vollen Gang ist, baut sich im Hintergrund bereits die nächste Kontroverse auf. Denn es gibt noch jemanden, der die Schweizer Strassen mit Kameras überwacht: das Bundesamt für Strassen Astra. Man betreibe rund 5000 Kameras, schreibt ein Sprecher. Dies in erster Linie zum Erkennen von Unfällen, Pannen, Staus.

Heute bieten zwar «weniger als zehn Prozent» dieser Astra-Kameras eine Auflösung, die für das Erkennen von Nummernschildern hoch genug ist. Aber: Es wird erwartet, dass dieser Anteil steigt.

Der Astra-Sprecher ergänzt: Ja, es sei grundsätzlich möglich, dass die Kantone auf solche Kameras zugriffen und das Bildmaterial in ihre AFV-Systeme einspeisten – sofern es im betreffenden Kanton eine Rechtsgrundlage dafür gebe. So steht es auch in einer Stellungnahme des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten zu dieser Frage. Und genau in diese Richtung gehen die Überlegungen auch in der Praxis. In der Botschaft zum umstrittenen Luzerner Polizeigesetz sind die Astra-Kameras ausdrücklich als mögliche Erweiterung des Systems genannt.

Sollte diese Verknüpfung kommen, würde sich die Zahl der Kontrollpunkte im Land stark erhöhen. Aus Sicht der Ermittler gäbe es dann nicht mehr Hunderte Kameras, um Kriminelle zu erwischen – sondern Tausende. Und die Privatsphäre-Aktivisten fürchten ihrerseits den Ausbau der «Massenüberwachung».



Und der Kanton Zürich?

Der Kanton Zürich führt aktuell keine automatisierte Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung durch – weil die gesetzliche Grundlage fehlt. Das ergibt sich aus einem Regierungsratsbeschluss vom April 2023. Darin wird indes eine Revision des Polizeigesetzes vorgeschlagen, welche AFV-Systeme zulassen würde – und auch den Zugriff auf die zahlreichen Kameras des Bundesamts für Strassen ermöglicht. Die Vorlage ist laut Datenbank des Kantons aktuell in der Vernehmlassung. (red)
(https://www.derbund.ch/hunderte-kameras-polizei-baut-nummernschild-ueberwachung-in-der-schweiz-deutlich-aus-925903661971)



derbund.ch 10.03.2024

Interview mit Berner Sicherheitsdirektor: «Ich persönlich habe kein Problem, wenn die Polizei mein Nummernschild für einige Tage erfasst»

Der Kanton Bern ist Vorreiter bei der automatischen Überwachung des Verkehrs – für Philippe Müller ein klarer Fall: Das Aufklären von schweren Straftaten sei wichtiger als falsch verstandener Datenschutz.

Mario Stäuble

Philippe Müller, der Kanton Bern ist ein Schweizer Vorreiter bei der Fahndung mit automatischen Kameras im Strassenverkehr. Weshalb nutzt die Berner Kapo dieses Mittel, das in verschiedenen Kantonen so kontrovers diskutiert wird?

Wir brauchen dieses System, um schwere Straftaten aufzuklären. Ich mache Ihnen ein ganz konkretes Beispiel: Nach einer Bancomatensprengung ermittelt die Kantonspolizei und kommt zum Schluss, dass die mutmasslichen Täter in einem polizeilich gesuchten Fahrzeug mit einem bestimmten Nummernschild davongefahren sind. Wir können so den Weg dieses Fahrzeugs nachverfolgen.

Im Strassennetz des Kantons Bern sind inzwischen 24 automatische Kamera-Anlagen aufgestellt. Kritiker sagen, hier werde ein System zur Massenüberwachung aufgebaut.

Falsch. Wir reden von einem Fahndungssystem, das in ganz klar definierten Grenzen zum Einsatz kommen darf: bei Ermittlungen nach schwereren Straftaten – und zur Erkennung von Personen, die trotz entzogenem Fahrausweis fahren.

Kritiker monieren, dadurch sei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller autofahrenden Bürgerinnen und Bürgern betroffen.

Moment – was wird konkret gespeichert? Das Nummernschild. Das ist in meinen Augen kein schwerer Eingriff. Ich persönlich habe kein Problem, wenn die Polizei mein Nummernschild für einige Tage erfasst. Solange klar ist, dass sie dieses nur in ganz bestimmten Fällen auswerten darf. Das erscheint mir verhältnismässig. Und gleich noch ein Punkt.

Bitte.

Das absurdeste Argument ist für mich, wenn eingewendet wird, man dürfe solche Datenbanken nicht anlegen, weil sie gehackt werden könnten. Wenn dieses Argument ziehen würde, könnten wir alle Behörden schliessen, die mit noch viel sensitiveren Daten arbeiten: die Kesb, die Gerichte, die Spitäler. Oder zurück zum Papierbüro. Und das will niemand.

Bern will noch einen Schritt weitergehen: Schon bald darf die Polizei die erfassten Nummernschilder auch speichern – für 60 Tage.

Genau, das wird kommen, das hat bei uns bereits das Parlament so festgelegt. Auch hier wieder das Beispiel der Bancomatensprengung: Vielleicht finden wir drei Tage nach dem Vorfall heraus, dass es noch ein zweites Fahrzeug gab, mit dem die mutmasslichen Täter geflüchtet sind. Dann wollen wir dieses ebenfalls ausfindig machen. Das wäre ohne Speicherung nicht möglich. Und gleich noch ein Beispiel: Es gab einmal einen Nordwestschweizer Mordfall, bei welchem der mutmassliche Täter die Leiche im Thunersee versenken wollte. Der Verdächtige sagte, er sei in einem ganz anderen Teil der Schweiz unterwegs gewesen. Uns half dann Kommissar Zufall: Sein Fahrzeug war auf einer Bancomatenkamera zu erkennen. Mit Verkehrskameras hätten wir grössere Chancen gehabt, den Täter auch ohne diesen Zufallstreffer zu überführen.

Und was entgegnen Sie der Befürchtung, es wachse hier langsam ein immer ausgefeilteres Überwachungssystem heran?

Wir geben heute freiwillig in den sozialen Medien viel heiklere und vor allem auch viel mehr Daten preis. Handys und moderne Autos zeichnen alles auf – und alle Daten sind bei privaten Firmen. Und ausgerechnet in der Kriminalitätsbekämpfung, wo so viel auf dem Spiel steht, sollten wir besonders zurückhaltend sein? Die gesetzlichen Schranken funktionieren ja, das zeigen die Beispiele aus der Praxis. Wir müssen diese modernen Mittel nutzen, um gegen eine immer modernere Kriminalität gerüstet zu sein. Ich habe es früher auch nicht geglaubt, aber heute sage ich: Datenschutz ist Täterschutz.
(https://www.derbund.ch/interview-mit-berner-sicherheitsdirektor-ich-persoenlich-habe-kein-problem-wenn-die-polizei-mein-nummernschild-fuer-einige-tage-erfasst-805415155868)



derbund.ch 10.03.2024

Kommentar zum Scannen von Nummernschildern: Warum so heimlich?

Es gibt verständliche Gründe, Nummernschilder von Fahrzeugen zu erfassen. Aber die Grenzen eines solchen Systems müssen öffentlich und auf nationaler Ebene diskutiert werden.

Mario Stäuble

Bern macht es schon, Obwalden ebenso, das Tessin auch – und Zürich arbeitet daran: Immer mehr Kantone erfassen auf ihren Strassen automatisch die Nummernschilder aller Fahrzeuge (lesen Sie hier die ganze Recherche zum Thema). Grösster Akteur ist aktuell der Zoll, der rund 400 Kameras betreibt – total sind es heute rund 450 Kameras. In Zukunft dürften es deutlich mehr werden, insbesondere, wenn die Polizeien auch auf die Tausenden Kameras des Bundesamts für Strassen zugreifen dürfen.

In den kantonalen Parlamenten flammt die Debatte rund um diese Kameras immer wieder auf – mit unterschiedlichen Resultaten. In einigen Kantonen bremst Linksgrün, in anderen haben die Gerichte die Polizeien zurückgepfiffen. Anders Bern: Dort darf die Polizei in absehbarer Zeit die Daten von 24 Kameraanlagen für 60 Tage aufbewahren, um nach Nummernschildern zu suchen, die erst nachträglich relevant werden.

Das Problem der kantonalen Debatten: Es fehlt der Blick aufs grosse Ganze. Denn richtig effektiv werden die Kameras erst, wenn sie im ganzen Land – also in allen Kantonen – installiert sind. Erst dann lassen sich Fahrten von Verdächtigen lückenlos verfolgen. Umgekehrt wird auch dann erst erkennbar, wie weit sich dieses System bereits in Richtung Massenüberwachung bewegt hat. Und es tun sich neue Möglichkeiten auf: Soll man auch die Personen erfassen, die hinter dem Steuer eines Fahrzeugs sitzen? Oder automatisch gesichtserkennende Software laufen lassen?

Das Problem ist der Föderalismus

Anders gesagt: Eine Diskussion auf der Ebene der Kantone ist eine Diskussion über einzelne Bäume. Dabei geht vergessen, dass der Wald als Ganzes entscheidend ist.

Dass die nationale Debatte fehlt, hat mit dem Schweizer Föderalismus zu tun. Die treibenden Kräfte sind nicht der Bund, sondern die Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren und die Konferenz der Polizeikommandanten. Es sind also die Kantone, die sich hinter verschlossenen Türen auf eine gemeinsame Strategie festlegen – und im Fall der automatischen Kameras auch gemeinsam Millionen in ein Projekt stecken.

Diese Konferenzen der Kantone werden immer wichtiger. Das bedeutet, dass sie auch aktiver informieren müssen – zum Beispiel durch Pressekonferenzen. Insbesondere, wenn sie politisch brisante Initiativen vorantreiben – zum Beispiel die Verzahnung automatischer Kameras im Strassenverkehr. Erst dann kann die Bevölkerung verstehen, was sie vor sich hat. Und erst dann kann eine informierte Debatte stattfinden.
(https://www.derbund.ch/nummernschilder-scannen-warum-so-heimlich-840969888255)