Medienspiegel 15. Januar 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Gemeinderatsantwort auf Postulat Tabea Rai/Eva Gammenthaler (AL)/Katharina Altas (SP)/Zora Schneider (PdA)/Mohamed Abdirahim (JUSO)/Simone Machado (GaP): Die Stadt Bern wird „Sicherer Hafen“ (PDF, 94.2 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antwort-am-15-januar-2024/postulat-rai.pdf/download


Der Bund schliesst Ende Februar drei temporäre Asylunterkünfte, darunter auch die Unterkünfte auf den Waffenplätzen in Thun.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/hoher-besuch-in-kehrsatz-neugierige-kamen-kaum-auf-ihre-kosten?id=12520913
-> https://www.derbund.ch/waffenplatz-thun-asylzentrum-in-panzerhalle-geht-ende-februar-zu-456703804290
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/bund-schliesst-ende-februar-drei-temporare-asylunterkunfte-66687114


+++ZÜRICH
Keine Stipendien-Wartefrist für vorläufig Aufgenommene
Vorläufig aufgenommene Personen sollen künftig bei der Vergabe von Stipendien gleich behandelt werden wie anerkannte Flüchtlinge, die eine Berufsausbildung oder ein Studium in Angriff nehmen. Das hat das Zürcher Kantonsparlament entschieden. Dies soll die Integration fördern.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/keine-stipendien-wartefrist-fuer-vorlaeufig-aufgenommene?id=12520790
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/bund-schliesst-temporaere-asylunterkunft-in-duebendorf?id=12520904
-> https://www.tagesanzeiger.ch/stipendium-in-zuerich-vorlaeufig-aufgenommene-bekommen-leichter-zugang-973643899046


Bund schliesst temporäre Asylunterkunft in Dübendorf
Das Staatssekretariat für Migration schliesst Ende Februar drei temporäre Asylunterkünfte, unter ihnen diejenige auf dem Waffenplatz in Dübendorf. Zum Entscheid gelangte der Bund nach der Analyse der Asylzahlen. Die Armee übernimmt die Räumlichkeiten nun wieder für ihre eigenen Zwecke.  (ab 04:51)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/bund-schliesst-temporaere-asylunterkunft-in-duebendorf?id=12520904
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/kanton-zuerich/bund-schliesst-die-asylunterkunft-am-flughafen-duebendorf-155969855?autoplay=true&mainAssetId=Asset:149560326


+++SCHWEIZ
Temporäre Asylunterkünfte: oft unangemessene und schwierige Lebensbedingungen
Die Bedenken der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) bezüglich der Situation in den temporären Bundesasylzentren werden durch Berichte der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) bestätigt. Für die SFH ist wichtig, dass die Grundrechte von Asylsuchenden auch in Notsituationen respektiert werden.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/temporaere-asylunterkuenfte-oft-unangemessene-und-schwierige-lebensbedingungen


+++GASSE
Drogen-Konsumraum in Chur wird teuerer als geplant.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/stadtpolizei-warnt-vor-betreten-des-eises-auf-drei-weieren?id=12520718
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-graubuenden/konsumraum-wird-deutlich-teurer-als-gedacht?id=12520889



suedostschweiz.ch 15.01.2024

Massiv teurer als angenommen: Kokainkonsum treibt Kosten für Churer Konsumraum in die Höhe

Der neue Konsumraum in Chur soll noch in diesem Jahr seine Tore öffnen. Der Raum wird die Stadtkasse aber viel stärker belasten als angenommen. Dennoch hält der Stadtrat an seinem Plan fest.

Patrick Kuoni

An der Sägenstrasse 75 in Chur sollen während drei Jahren in einem Pilotversuch ein begleiteter Konsumraum sowie eine Kontakt- und Anlaufstelle für Suchtkranke betrieben werden. Das gab die Stadt Chur im Oktober bekannt.

Nun sind auch die Kosten für den Betrieb des Konsumraums bekannt. Diese fallen gemäss Botschaft des Stadtrats an den Gemeinderat deutlich höher aus als ursprünglich angenommen. Im Juni 2022 bewilligte der Gemeinderat für den dreijährigen Pilotbetrieb einen Rahmenkredit von knapp 1,1 Millionen Franken. In der Februarsitzung wird die Churer Exekutive dem Parlament allerdings neu einen Kredit von rund 3,9 Millionen Franken vorlegen – wobei noch eine teilweise Kostenübernahme des Kantons angestrebt wird. Sollte der Versuchsbetrieb ausserdem erfolgreich verlaufen, soll – geht es nach der Stadt Chur – im dritten Betriebsjahr der Konsumraum in die Hände des Kantons übergehen.

Gerauchtes Kokain als grosser Kostentreiber beim Konsumraum

Für die enorme Kostensteigerung gibt es einen gewichtigen Hauptgrund: der überhandnehmende Konsum von Freebase – also Kokain, welches mit Ammoniak aufgekocht und dann geraucht wird. Wie beim Crack tritt der Rausch schneller ein und entfaltet eine viel stärkere Wirkung als beim geschnupften Kokain. Während Heroin beim Konsum übertriebenes Wohlgefühl auslöst und die Konsumenten regelrecht betäubt, hat Kokain als Stimulans die gegenteilige Wirkung: Es regt an, macht wach, vertreibt Hunger, Durst und Müdigkeit. «Die Leute werden hyperaktiv, rennen rum, fühlen sich unbesiegbar», erklärte Andreas Tobler, Chef Ermittlungsdienste der Kantonspolizei Graubünden gegenüber dieser Redaktion.  Mit Folgen, die der Stadtrat in seiner Botschaft ausführt: «Die Konzepte und Mittel müssen an die neuen Gegebenheiten angepasst werden. Insbesondere sind gleichbleibende Öffnungszeiten über die Pilotdauer, höhere Personalkosten aufgrund der Anforderungen der Betreiberin an qualifiziertes Fachpersonal sowie eine Aufstockung des Personaletats nötig.» Alleine die Kosten für den Pilotbetrieb des Konsumraums werden sich deshalb auf gut 2,7 Millionen Franken belaufen. Dazu kommen Kosten für die Sicherheit in der Nachbarschaft von über 600’000 Franken und Investitionskosten für den Konsumraum von rund 500’000 Franken.

Stadtrat sieht eine «Situation auf einem inakzeptablen Niveau»

Auch wenn die Kosten nun deutlich höher sind als angenommen, hält der Stadtrat in seiner Botschaft fest, dass er den Aufwand als vertretbar erachte. Dies, «weil die Realisierung einer solchen Einrichtung der erfolgversprechendste Weg für eine Verbesserung der Situation für die Bevölkerung und für die suchtmittelerkrankten Menschen ist». Denn: «Seit Sommer 2022 sind die Herausforderungen im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene im Stadtgarten und auf dem gesamten Stadtgebiet noch einmal erheblich gestiegen», so der Stadtrat. Die deutlich verstärkten repressiven Massnahmen würden zwar eine dämpfende Wirkung zeigen. «Die Situation bleibt jedoch sowohl für die Bevölkerung als auch die suchterkrankten Menschen nach Ansicht des Stadtrats auf einem inakzeptablen Niveau.»

Tatsächlich hat sich die Situation auf verschiedenen Ebenen verschlechtert. So erreichte die Anzahl der Personen, die sich im Stadtgarten aufhalten und der Drogenszene zugeordnet werden, im Sommer 2023 einen neuen Höchststand (siehe Grafik).
-> https://www.suedostschweiz.ch/sites/default/files/woodwing/2024-01/Kranke_und_Wohnsituation_Drogenszene_Chur_ONL.png
-> https://www.suedostschweiz.ch/sites/default/files/woodwing/2024-01/Kranke_und_Wohnsituation_Drogenszene_Chur_ONL.png


Deutlich mehr Meldungen aus der Churer Bevölkerung an die Stadtpolizei

Gleichzeitig hatten die Stadtpolizei Chur sowie die Kantonspolizei Graubünden im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr deutlich mehr zu tun – die Beschaffungskriminalität stieg an. «Die Einsätze der Stadtpolizei aufgrund von Meldungen aus der Bevölkerung nahmen massiv zu. Die Zahlen waren trotz sehr hohem Repressionsdruck bedeutend höher als im Sommer 2022», schreibt der Stadtrat in seiner Botschaft. Zwar sei  es in den letzten Wochen des vergangenen Jahres zu einem Rückgang gekommen. «Dies ist aber vermutlich vor allem auf die Tatsache zurückzuführen, dass einige suchterkrankte Menschen, die besonders viele Probleme verursachen, temporär in den Strafvollzug eingewiesen worden sind.»
-> https://www.suedostschweiz.ch/sites/default/files/woodwing/2024-01/Einsa%CC%88tze_Drogenszene_Chur_ONL.png

Als «besonders alarmierend» wird zudem der Umstand bezeichnet, «dass im Kern der Szene eine sehr schnelle und deutliche Verelendung der suchtmittelerkrankten Personen feststellbar ist». Der gesundheitliche Zustand der Betroffenen und ihre Lebenssituation verschlechtern sich in hohem Tempo und würden von der aufsuchenden Sozialarbeit «Streetwork» als prekär bezeichnet. Das zeige sich auch an der gestiegenen Zahl der Personen ohne geregelte Wohnsituation.

Rund 30 Personen auch nachts in der Stadt anzutreffen

Diese Verelendung führt zu zahlreichen Folgeproblemen. So werden Spritzen im öffentlichen Raum gefunden, öffentliche WC-Anlagen verschmutzt und verwüstet und der Stadtgarten als Schlafplatz oder für die Verrichtung der Notdurft benutzt. Betroffene betteln auf den Strassen um Geld oder stehlen Wertsachen aus Autos, Wohnungen oder Geschäften. Ausserdem werden gemäss Botschaft obdachlose Menschen nachts vor Hauseingängen oder in Tiefgaragen angetroffen. «Eine gezielte Erhebung der Stadtpolizei zum Wintereinbruch 2023 zeigte, dass rund 30 Personen aus der Drogenszene in der Stadt Chur nachts im Stadtgarten, in öffentlichen Toiletten oder auf Privatgrund wie in Tiefgaragen aufzufinden sind.»

Stadtrat warnt vor Folgen einer Ablehnung

Der Churer Stadtrat bilanziert deshalb in seiner Botschaft: «Mit dem neuen Angebot wird eine lang ersehnte und deutliche Verbesserung der Situation für die suchtmittelabhängigen Menschen, aber auch die Stadtbevölkerung erreicht.» Der neue Standort sei gut erreichbar. «Der öffentliche Raum und mit ihm die Bevölkerung werden insgesamt weniger belastet sein. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Betäubungsmittelkonsum und Kleinhandel im öffentlichen Raum während der Öffnungszeiten.»

Sollte der Konsumraum nicht kommen, so rechnet der Stadtrat sich kaum Chancen aus, die Situation zu verbessern. «Es bliebe der Stadt aufgrund ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten und Kompetenzen nicht viel mehr übrig, als wie heute mit sehr hoher Repression die suchterkrankten Menschen einem sehr hohen Kontrolldruck auszusetzen. Sie könnten allenfalls von verschiedenen Orten weggeschickt, aber zu keinem geeigneten und fachlich begleiteten Ort hingeschickt werden. Auf diesem Weg besteht kaum Aussicht darauf, der offenen Drogenszene wirksam den Nährboden zu entziehen», schreibt die Exekutive. Das letzte Wort wird in dieser Frage das Churer Stimmvolk haben, die den Kredit genehmigen muss. Die genaueren Pläne und Erklärungen zu den Kosten erläutern der Stadtrat und Fachpersonen am Mittwoch an einer Medienorientierung.
(https://www.suedostschweiz.ch/graubuenden/pilotprojekt-geht-ins-geld-massiv-teurer-als-angenommen-kokainkonsum-treibt-kosten-fuer-churer-konsumraum-in-die-hoehe)



suedostschweiz.ch 15.01.2024

Churer Konsumraum: Nichts tun ist keine Option

Patrick Kuoni, Kommentar

Im Februar befasst sich der Churer Gemeinderat und später auch noch das Stimmvolk mit den Kosten für einen dreijährigen Versuchsbetrieb eines Konsumraumes. Diese werden gemäss neusten Angaben des Stadtrates gegen vier Millionen Franken betragen. Also fast vier Mal so viel wie ursprünglich geplant. Hauptsächlich darum, weil sich die Konsumart der Suchterkrankten geändert hat.

Vier Millionen Franken ist für eine Stadt, die in den nächsten Jahren, was die Finanzen betrifft, die Handbremse anziehen will, viel Geld. Und doch würde die Stadt hier am falschen Ort sparen. Der Status quo kann keine Lösung sein und könnte die Stadt schon in naher Zukunft teuer zu stehen kommen. Im letzten Sommer zog der Stadtpark so viele Suchtkranke wie noch nie an. Dazu nehmen die Beschaffungskriminalität und die Verwahrlosung der Betroffenen besorgniserregend zu. Die Folge: Das Sicherheitsgefühl der Einheimischen und Gäste leidet, Geschäftsinhaberinnen und Restaurantbesitzer ärgern sich über die zunehmenden Einbrüche und das Ohnmachtsgefühl nimmt zu. Und nicht zuletzt haben die Suchterkrankten aktuell kaum eine Chance, aus dem Teufelskreis von Konsum, Beschaffungskriminalität und Aufenthalten in Gefängnissen oder psychiatrischen Einrichtungen auszubrechen.

Mittels eines Konsumraumes sollen die Suchterkrankten in einem kontrollierteren Rahmen konsumieren können, zusätzlich erhalten sie Ansprechpersonen und können so eher dem Teufelskreis entfliehen. Ausserdem soll so die Bevölkerung weniger von den Folgeerscheinungen der Sucht mitkriegen (etwa gebrauchte Spritzen auf Toiletten, Urinieren auf öffentlichem Grund und die angesprochene Beschaffungskriminalität). So, stark verkürzt, der Plan. Ein Plan, den nun die Stadt Chur ausführt, in dem aber eigentlich der Kanton den Lead – auch finanziell – übernehmen müsste. Schlicht, weil es gesetzlicher Auftrag des Kantons ist.
(https://www.suedostschweiz.ch/graubuenden/churer-konsumraum-nichts-tun-ist-keine-option)


+++WEF
Selenski und Li Qiang in Bern: Polizisten auf dem Bundehaus – tibetische Mini-Demo verhindert
Vor dem Besuch des ukrainischen Präsidenten ist der Bundesplatz in Bern abgesperrt. Auch in Kehrsatz herrscht Ausnahmezustand wegen der Ankunft des chinesischen Ministerpräsidenten.
https://www.derbund.ch/selenski-in-bern-polizei-sichert-bundesplatz-und-bundeshaus-658314581019
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/hoher-besuch-in-bern-fordert-polizei?id=12520730
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/217068/
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/li-qiang-und-selenski-zu-gast-selenski-gelandet-das-bundeshaus-ist-abgeriegelt
-> https://www.blick.ch/politik/wolodomir-selenski-und-li-qiang-besuchen-die-schweiz-bern-im-ausnahmezustand-id19330674.html
-> https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/besondere-sicherheitsmassnahmen-fuer-hohen-staatsbesuch-in-bern?urn=urn:srf:video:cfb02fbd-5e6b-4704-a8ff-daded4ebc851
-> https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/besondere-sicherheitsmassnahmen-fuer-hohen-staatsbesuch-in-bern?urn=urn:srf:video:cfb02fbd-5e6b-4704-a8ff-daded4ebc851


Klimastreik kritisiert WEF und fordert grundlegenden Systemwandel
Die Organisation Klimastreik erhebt scharfe Kritik am WEF. Ein grundlegender Systemwandel sei erforderlich.
https://www.nau.ch/news/europa/klimastreik-kritisiert-wef-und-fordert-grundlegenden-systemwandel-66686962


+++BRIAN
Tiktok-Streit eskaliert – Brian droht mit Messer: Jetzt hat Brian Keller den ersten Polizeieinsatz ausgelöst
Kaum aus der Haft entlassen, hat Brian Keller (28) am Sonntagabend für den ersten Polizei-Einsatz gesorgt. Er tauchte vor der Wohnung des Tiktokers Skorp808 auf und wurde laut. Brian soll ihn nicht nur beschimpft, sondern ihm auch mit einem Messer gedroht haben.
https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/tiktok-streit-eskaliert-droht-mit-messer-jetzt-hat-brian-keller-den-ersten-polizeieinsatz-ausgeloest-id19334316.html
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/ex-haeftling-brian-faellt-mit-drohungen-im-netz-auf?urn=urn:srf:video:1014ae61-879b-4833-a314-5fa0ed24bb4f
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/brian-keller-28-sorgt-fuer-einen-polizeieinsatz-in-der-stadt-zuerich-155971625sr
-> https://www.20min.ch/story/zuerich-brian-stoesst-drohungen-aus-dann-kommt-die-polizei-103021181?version=1705349740456&utm_source=twitter&utm_medium=social
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/zwei-monate-auf-freiem-fuss-brian-keller-bedroht-influencer-mit-dem-tod
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/527231528-brian-keller-bedroht-influencer-und-spricht-von-promotion


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
solothurnerzeitung.ch 15.01.2024

Marokkaner blitzt ab und soll ausgeschafft werden – oder darf, wer im Flugzeug schreit und renitent ist, in der Schweiz bleiben?

Ein Marokkaner, der sich seit zehn Jahren illegal in der Schweiz aufhält und mehrfach straffällig wurde, soll trotz gesundheitlicher Probleme in Ausschaffungshaft bleiben. Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn hat die Beschwerde gegen die Weiterführung der Haft abgewiesen.

Daniela Deck

Der Marokkaner, der im Herbst 2013 in die Schweiz gekommen ist, hat alles getan, um sich unbeliebt zu machen, nachdem sein Asylgesuch Anfang 2014 abgelehnt worden war: Er war in Schlägereien verwickelt bis hin zum Versuch der schweren Körperverletzung, er beging Diebstähle. Mehrfach sass er im Gefängnis.

Im Dezember verweigerte der Mann sogar eine Operation, auf die er zuvor bestanden hatte. Sein Ziel: In der Schweiz bleiben, koste es, was es wolle. Dementsprechend äusserte er sich dem behandelnden Arzt gegenüber, wie sich im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21. Dezember letzten Jahres nachlesen lässt.

Mehrere Anläufe zur Ausschaffung gescheitert

Der erste Versuch der Ausschaffung, die Anfang Januar 2014 stattfinden sollte, scheiterte. Der Mann war untergetaucht, eine Strategie, die er seither mehrfach anwandte, um sich behördlichen Massnahmen zu entziehen. Mit der Ausschaffung beauftragt ist das Migrationsamt des Kantons Solothurn.

Während der Pandemie war eine Ausschaffung nicht möglich. Ein Versuch Mitte August letzten Jahres kam nicht zustande, weil der Mann «den Flug verweigerte».

Einen Monat später musste gemäss Urteilsbegründung ein weiterer Versuch abgebrochen werden, diesmal im Flugzeug: «Auch am 19. September 2023 verweigerte der Beschwerdeführer die polizeilich begleitete Ausreise, indem er im Flugzeug zu schreien begann und die anderen Fluggäste provozierte, weshalb die Rückführung abgebrochen werden musste.»

Beschwerdeführer fordert Haftentlassung wegen Gesundheit

Aktuell sitzt der Mann in Ausschaffungshaft, die zuvor vom 14. August bis zum 17. November angeordnet worden war. Gegen die Verfügung zur Verlängerung der Ausschaffungshaft vom 13. November erhob er Beschwerde, weshalb sich das Verwaltungsgericht mit ihm befassen musste. Ein neuer Anlauf zur Ausschaffung ist für Ende Januar geplant.

Die Argumentation des Beschwerdeführers befasst sich mit seiner Gesundheit. Der Mann leidet unter einer Analfistel, die letztes Jahr im Frühling zweimal operiert worden war. Gemäss ärztlicher Einschätzung sind zwei weitere Operationen im Abstand von zwei bis drei Monaten nötig. Die erste dieser Operationen, ein ambulanter Eingriff am 1. Dezember, verweigerte der Beschwerdeführer.

In seiner Stellungnahme erklärte er die Verweigerung mit mangelnder Wundversorgung im Gefängnis: «Die Abheilung seiner Wunde von zwei bereits vergangenen Operationen sei nicht fortgeschritten, eitere und zeige keine Besserung. Er benötige bis zu fünf Duschen am Tag und mehrfachen Wechsel der Bandage, um die Wunde zu versorgen. Die regelmässige zwingende ambulante Kontrolle könne unter den gegebenen Haftbedingungen nicht gewährleistet werden.»

Verwaltungsgericht geht von baldiger Ausschaffung aus

Die Beschwerde forderte die sofortige Entlassung aus der Ausschaffungshaft. Diese sei durch Massnahmen wie zum Beispiel eine Meldepflicht zu ersetzen.

Das Verwaltungsgericht hielt diese Argumentation nicht für stichhaltig und wies die Beschwerde gegen die Ausschaffungshaft ab: «Nach dieser Verweigerung der medizinischen Behandlung kann der Beschwerdeführer (…) nicht ernsthaft behaupten, dass er sich aufgrund der nötigen Behandlung den Behörden zur Verfügung halten würde. Es besteht beim Beschwerdeführer fraglos der Haftgrund der Untertauchensgefahr.»

Das Gericht geht davon aus, dass die Ausschaffung zustande kommt, denn: «Die Rückführung in sein Heimatland Marokko ist rechtlich und tatsächlich möglich und gemäss Ausführungen der Vorinstanzen auch absehbar.»

Der Beschwerdeführer erhält unentgeltliche Rechtspflege. Die Anwaltshonorare in der Höhe von 978.50 Franken gehen zulasten des Kantons. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann ans Bundesgericht weitergezogen werden.

Das sagt das Migrationsamt zum Thema Ausschaffung

Auf Anfrage äussert sich das Migrationsamt nicht zum vorliegenden Fall, gibt aber allgemeine Informationen zu Ausschaffungen. Unkooperatives Verhalten von auszuschaffenden Personen und Gesundheitsfragen seien nicht die einzigen Probleme.

Hinzu kommen Fristen, die im Verfahren beachtet werden müssen, die Organisation von Flügen, wobei Sonderflüge möglich sind und die Beschaffung der Reisedokumente durch das SEM (Staatssekretariat für Migration). In diesem letzten Punkt hat sich die Zusammenarbeit gemäss Johanna Schwegler, Chefin des Solothurner Migrationsamts, in den letzten Jahren verbessert.

Aktuell befinden sich nach ihrer Aussage fünf Personen in Ausschaffungshaft. 2022 sind gemäss Geschäftsbericht «98 Prozent der vollzugsrelevanten Fälle ausgeschafft» worden, was 154 Personen entspricht.

Kopfzerbrechen bereiten dem Migrationsamt insbesondere Staaten, die ihre Bürger entweder nicht zurücknehmen oder eine zwangsweise Rückschaffung nicht erlauben. Hier nennt Schwegler Afghanistan und Eritrea.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/urteil-in-solothurn-marokkaner-blitzt-ab-und-soll-ausgeschafft-werden-oder-darf-wer-im-flugzeug-schreit-und-renitent-ist-in-der-schweiz-bleiben-ld.2565621)


+++POLICE BE
Regierungsratsantwort auf Motion M 102-2023 Fuchs (Bern, SVP) Dienstwaffen von ehemaligen Angehörigen der Berner Kantonspolizei weiterhin zulassen.
https://www.rr.be.ch/de/start/beschluesse/suche/geschaeftsdetail.html?guid=0df703e3299942ac86d8802d0a831b15


+++RECHTSEXTREMISMUS
Sprache: „Remigration“ ist das Unwort des Jahres 2023
Die sprachkritische Aktion hat das Wort „Remigration“ zum Unwort gewählt. Den Begriff nutzen Rechtsextreme für die Forderung nach Zwangsausweisung und Deportation.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2024-01/remigration-ist-das-unwort-des-jahres


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Gesellschaft Schweiz-Russland»: Ein illustrer Verein fordert Ende der Russland-Sanktionen
Die Gesellschaft Schweiz-Russland bewegte einst den Bundesrat zu einer neuen Haltung in der Sowjet-Frage. Nach Jahren der Stille hebt ihn ein Liberaler aus der Versenkung und will einen Studentenaustausch mit der Uni von Putins Tochter organisieren.
https://www.watson.ch/schweiz/russland/943308283-gesellschaft-schweiz-russland-verein-fordert-ende-der-sanktionen


+++HISTORY
spiegel.de 15.01.2024

Mutter der Esoterik: Wie Helena Blavatsky Spirituelles mit Rassentheorien verschmolz

Geister, Spuk und Gläserrücken – Helena Blavatsky wurde zum Star der aufblühenden spiritistischen Szene im 19. Jahrhundert. Sie teilte die Menschheit in »Wurzelrassen« ein und unterlegte Esoterik mit völkischem Extremismus.

Von Sophie Tiedemann

Berlin am 29. August 2020: Eine aufgestachelte Menge versammelt sich zum Großevent der »Querdenken«-Bewegung vor dem Bundestag. Von der Rednerbühne ruft eine Heilpraktikerin zum Durchbruch auf. »Widerstand!«, skandieren die Wutbürger. Hunderte erklimmen brüllend die Treppen und versuchen, das Reichstagsgebäude zu stürmen .

Diese Bilder wurden zum schaurigen Inbegriff einer sonderbaren neuen Gemeinschaft: Impfgegner, »Reichsbürger« und Rechtsextreme protestierten gemeinsam mit Esoterikern gegen die Maßnahmen zur Coronaeindämmung. Ein halbes Jahr später ging das Foto eines selbst ernannten »Schamanen« um die Welt, der am Sturm aufs Kapitol in Washington beteiligt war. Unterdessen versammeln sich »Reichsbürger« und »Selbstverwalter« im Fantasiestaat »Königreich Deutschland«; ihr Oberhaupt von eigenen Gnaden ist Peter Fitzek. Das »Königreich Deutschland« wirbt für Seminare, in denen die Teilnehmer angeblich lernen, Kontakt zur »Geisterwelt Gottes« herzustellen.

Die Esoterik boomt in Krisenzeiten. Einige ihrer Anhänger vermischen das Übersinnliche mit völkischem Denken – und diese Gemengelage entsteht nicht zufällig. Schon Jahrzehnte vor dem Nationalsozialismus kam es zu Überschneidungen zwischen Rassismus, Antisemitismus und Esoterik. Dabei sind längst nicht alle, die meinen, durch Räucherstäbchen und Edelsteine ihre blockierten Chakren heilen zu können, auch empfänglich für völkische Ideologie. Dennoch warnen Experten: Esoterik kann ein trojanisches Pferd sein für rechtsextreme Inhalte.

Suche nach dem »Urwissen« der Menschheit

Als »Stammesmutter« der westlichen Esoterik wird Helena Petrowna Blavatsky bezeichnet. Sie beanspruchte für sich übersinnliche Fähigkeiten und behauptete, Kontakt zu Geistern aufnehmen zu können. Als Grande Dame des modernen Geisterglaubens bereiste sie die Welt, um ein »Urwissen« der Menschheit aufzuspüren, das nach ihrer Vorstellung allen Religionen zugrunde liegt. Und sie schuf die Theorie der »Wurzelrassen«, die der »arischen« Rasse einen okkulten Anstrich verlieh.

Fahrt aufnehmen konnte der Traum einer neuen Spiritualität gerade im 19. Jahrhundert, dem »Jahrhundert der Wissenschaft«. Helena Blavatsky wurde 1831 in der heutigen Ukraine in einem Adelshaushalt geboren. Später berichtete sie, schon als Kind in der Lage gewesen zu sein, »Objekte fliegen zu lassen«. Den Religionshistoriker Helmut Zander wundert das nicht: »Der Druck, den die Naturwissenschaften auf die kulturellen Deutungssysteme ausübten, war unfassbar hoch.«

Charles Darwins Evolutionstheorie  erschütterte das Weltbild vieler zutiefst. Die ersten Eisenbahnen ermöglichten Reisen über Tausende von Kilometern, in den Städten versank die im Zuge der Industrialisierung stark wachsende Bevölkerung im Elend. Viele suchten nach einem neuen moralischen Kompass in einer Welt, die fortan von kalter Präzision und naturwissenschaftlicher Rationalität regiert werden sollte.

Trost im Übersinnlichen

Geistige Verödung, soziale Verelendung: So machten sich manche aus der bürgerlichen Elite auf die Suche nach dem Übersinnlichen. Der Münchner Religionspublizist Matthias Pöhlmann, Experte für Esoterik, erklärt: »Was die Neuzeit seit jeher begleitet, ist die Sehnsucht nach einer Wiederverzauberung der Welt. Das hat in manchen Fällen dazu geführt, dass man eine Flucht in irrationale Gegenwelten angetreten hat« – wie auch Helena Blavatsky.

1848 verheiratete Helena Blavatskys Familie die Siebzehnjährige mit dem Vizegouverneur einer russischen Provinz im heutigen Armenien. »Sie werden jemanden unglücklich machen«, hatte Helena ihren künftigen Ehemann gewarnt, »aber das werde nicht ich sein.«

Im selben Jahr, Tausende Kilometer davon entfernt im US-Staat New York, sorgte ein eigenartiges Erlebnis zweier Schwestern für die Geburtsstunde des modernen Spiritismus: Es soll zu merkwürdigen Klopflauten gekommen sein; die Mädchen ordneten sie einem Ermordeten zu, der angeblich sein Unwesen im Haus trieb. Später stellte sich heraus, dass die Schwestern mit ihren Zehen selbst die Geräusche verursacht hatten.

Fortan kam es in ganz Europa und den USA zu einer Welle spiritistischer Séancen, zu Sitzungen, in denen Menschen unter Anleitung eines »Mediums« mit der Geisterwelt zu kommunizieren suchten. Das Zeitalter der Magie war zurückgekehrt – mit Geistern, Hexen, Spuk, Kartenlegen und Gläserrücken. In zahlreichen Städten wollten Menschen Kontakt zu verstorbenen Verwandten aufnehmen. Und »Geisterfotografen« lieferten sogar Bilder dazu, indem sie tote Angehörige mit simplen Tricks auf Fotos wiederauferstehen ließen und damit Gutgläubige abzockten.

Zum Star der aufblühenden spiritistischen Szene wurde Helena Blavatsky, die sich kurz nach der Hochzeit aus dem Staub gemacht hatte. »Damit beginnen die Dinge, die für die Esoterik interessant sind«, sagt Helmut Zander. Blavatsky sei nach Asien gereist, in die USA, auch am ägyptischen Mittelmeer habe man sie in spiritistischen Kreisen treffen können.

Biografie aus Sagen und Legenden

Sie selbst behauptete später, sie habe als Zirkusreiterin in Konstantinopel gearbeitet. In Kairo sei sie schließlich die Schülerin eines »koptischen Magiers« gewesen und in Tibet in Kontakt mit »Meistern« getreten. »Tibet war damals ein praktisch geschlossenes Land, das sehr schwer zu erreichen war«, so Zander.

Blavatskys Biografie ist mit Sagen und Legenden umwoben, vieles gilt als nicht gesichert. Als ihre Schwester fragte, ob sie gewisse Orte wirklich besucht habe, erwiderte sie: »Ich bin mir meines Besuches nicht so sicher als des Sehens – natürlich sah ich sie.« Mit der Wahrheit nahm es die Weltreisende wohl nicht so genau: »Blavatsky sah sich immer wieder Betrugsvorwürfen ausgesetzt, wenn sie etwa beanspruchte, ›verschwundene‹ Tassen wiederzufinden oder Briefe von geheimnisvollen Meistern zu erhalten«, erläutert Helmut Zander.

Fest steht, dass Blavatsky sich 1875 in New York aufhielt. In ihrem Apartment versammelten sich an einem Septembertag 17 Weggefährten und beschlossen, die »Theosophische Gesellschaft« zu gründen. Der Leitspruch: »Keine Religion ist höher als die Wahrheit«. Ihr Anspruch war es laut Helmut Zander, eine Art universaler Religion zu besitzen, sie auf Augenhöhe mit den Naturwissenschaften zu betreiben und eine übersinnliche Erkenntnis zu erreichen. Die sei jedoch nur Eingeweihten zugänglich, und dazu zählte Blavatsky sich selbst.

Neues Hauptquartier in Indien

Dieses Überwissen sei bis heute Bestandteil der Esoterik, erklärt Matthias Pöhlmann: »Das führt zu einer Frontstellung gegenüber dem rationalen Diskurs und zu einem Institutionenbashing: gegen Wissenschaft, Medien, Medizin und institutionalisierte Religion.« Drastische Feindbilder vereinen heute einige Esoteriker mit Rechtsextremen. Dieser Schulterschluss funktioniert auch durch Verschwörungsmythen, die den »Mainstream-Institutionen« finstere Absichten unterstellen.

Vier Jahre nach der Gründung ihrer Gesellschaft reisten die New Yorker Theosophen in ihre neue Wahlheimat: Indien. Die uralte Weisheit sei in den asiatischen Religionen noch am besten erhalten, so ihre Vorstellung. Im Osten Indiens bezogen Blavatsky und ihre Mitstreiter ihr neues Hauptquartier am Ufer des Flusses Adyar.

Unter Anweisung ihrer geheimnisvollen Meister aus dem Jenseits, so sagte Blavatsky später, hatte sie mit dem Schreiben begonnen. 1888 erschien ihr populärstes Werk »Die Geheimlehre«, aus dem esoterische Lehren bis heute schöpfen. Darin behauptet Blavatsky, die Menschheit sei unterteilt in sieben »Wurzelrassen«. Demnach gebe es sterbende Menschenrassen und solche, denen eine blühende Zukunft bevorstehe. Die ganze Erde befinde sich in einem Entwicklungsprozess von niederen zu höheren Daseinsformen. Das »Aussterben« kolonialisierter Bevölkerungen – laut Blavatsky eine »karmische Notwendigkeit«.

Die fünfte Wurzelrasse, die vermeintlich am höchsten entwickelte, sei die der »Arier«. Als eine »Religion des Hasses und des Übelwollens gegen jedermann außer sich selbst« bezeichnete Blavatsky indes den Judaismus. Auch althergebrachte Verschwörungsmythen griff sie in ihrer Geheimlehre auf und betonte etwa, die Juden hätten Jesus Christus ermordet: ein antisemitisches Narrativ, das seit der Antike als Vorwand für die Verfolgung jüdischer Menschen dient.

Die Anthroposophie fußte auf Blavatskys Lehren

Im 19. Jahrhundert fiel Blavatsky bei Weitem nicht als einzige Schriftstellerin durch derartige Ideologien auf. Die europäischen Großmächte führten grausame Kolonialkriege, ein rassistisches Überlegenheitsgefühl machte sich breit. Auch der Antisemitismus dieses Jahrhunderts war nicht neu: Hatte man zuvor religiös argumentiert, so leitete man Judenhass jetzt aus neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ab. Blavatsky war es schließlich, die das Rassendenken und die Esoterik zusammenbrachte – mit weitreichenden Folgen.

»Die theosophische Bewegung hatte in ihrer Weltanschauung von Anfang an einen evolutionistischen Blick auf die Welt«, sagt Matthias Pöhlmann. Darin liege das Kernproblem. »Man sprach dort von einer Entwicklung der Rassen. Spätere rassistische Esoterik machte daraus eine ›Minderwertigkeit‹ und ›Höherwertigkeit‹.«

Am 8. Mai 1891 starb Blavatsky in London – auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. Ableger ihrer »Theosophischen Gesellschaft« gab es in den USA, in Indien und auch in Deutschland. Zum Generalsekretär der deutschen Sektion wurde ein philosophischer Schriftsteller namens Rudolf Steiner .

In den mystischen Ideen der Theosophie soll Steiner, der für sich hellseherische Fähigkeiten beanspruchte, seinen Lebenssinn gefunden haben. Neben Reinkarnation und Karma war Steiner aber auch vom Christentum begeistert. Waldorfschulen, Demeter-Erdbeeren und der Mondkalender nach Maria Thun: Steiner hatte auf Grundlage von Blavatskys Lehren die Anthroposophie geschaffen, die wohl einflussreichste esoterische Strömung in Deutschland. Kritiker bemängeln, bis heute seien einige Anhänger auf dem »rassistischen Auge unbelehrbar«.

Die »Wurzelrassen« und die »Arier«

Denn Steiner hatte auch Blavatskys These der »Wurzelrassen« übernommen und bediente sich nicht als Einziger an ihren Ideen. »Gerade die Elemente, die völkisches und rassistisches Gedankengut enthielten, wurden isoliert wieder aufgegriffen«, sagt Matthias Pöhlmann.

Auch Guido von List, völkischer Esoteriker aus Wien, wandte sich Blavatskys Texten zu und leitete aus ihren »Wurzelrassen« einen »arischen« Herrschaftsanspruch ab. So entstand Anfang des 20. Jahrhunderts in den deutsch-völkischen Kreisen Wiens die Ariosophie. Deren Anhänger glaubten an ein »goldenes Zeitalter«, in dem die »arische Rasse« noch von einer »weisen Priesterschaft« geführt worden sei. Die Mixtur aus Rassismus und Okkultismus mit esoterischen Elementen wie Astrologie, Kabbala oder Handlesen konnte allerdings nie Massen erreichen.

Im Nationalsozialismus wurden ariosophische Gruppen als »staatsfeindliche Sekten« eingestuft und 1937 verboten. Dennoch sollen sich einzelne NS-Größen für ariosophische Ideen begeistert haben. Einen Hang zum Okkultismus zeigten auch hochrangige Funktionäre wie Heinrich Himmler: Der SS-Chef, Hitlers mächtigster Vollstrecker, pendelte gern und hielt sich für eine Reinkarnation König Heinrichs I. Er beschäftigte auch den Schriftsteller und Ariosophen Otto Rahn: Der SS-Mann hatte zuvor in den Burgruinen der mittelalterlichen Katharer-Sekte in Südfrankreich nach dem »Heiligen Gral«, dem mystischen Kelch gesucht, der einst das Blut des gekreuzigten Jesus aufgefangen haben soll.

Viele Esoteriker glauben auch heute noch, eine »Wahrheit« zu erkennen, die nur sie sehen und die allermeisten nicht – wie einst Helena Blavatsky. Experten warnen, gerade der friedlich-freiheitliche Ruf der Esoterik berge eine Gefahr. So schreibt

die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen: »Ariosophie ist wie die heutige Esoterik ein genuines Kind der Theosophie und zeigt, dass auch scheinbar naturfromme Spiritualität das Potenzial zu problematischen Ausprägungen hat.«

Das zeigt sich etwa an der rechtsesoterischen Anastasia-Bewegung, die vom Verfassungsschutz seit Juni 2023 als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird. Anastasia-Anhänger berufen sich auf eine Romanreihe des russischen Autors Wladimir Megre, der sich beim Schreiben auch an theosophischen Ideen orientierte. Und auch Nachfolger der Theosophie führen ein unrühmliches Nachleben. »In Teilen der rechtsextremen Szene gilt die rassisch-okkulte Ariosophie bis heute als Vorbild«, erklärt Matthias Pöhlmann.
(https://www.spiegel.de/geschichte/helena-blavatsky-wie-die-mutter-der-esoterik-spirituelles-mit-rassentheorien-verschmolz-a-75f718e9-7d90-47f8-ac6d-4ed4b7a26b5c)