Medienspiegel 12. Januar 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++GENF
Neue Notunterkunft für Asylsuchende im Kanton Genf
In Thonex im Kanton Genf wird in unterirdischen Zivilschutzräumen ab nächster Woche eine Notunterkunft für Asylsuchende eingerichtet. Das Zentrum wird vom Staatssekretariat für Migration (SEM) verwaltet. Es hat eine Kapazität von bis zu 100 Personen.
https://www.watson.ch/schweiz/romandie/112096960-neue-notunterkunft-fuer-asylsuchende-im-kanton-genf


+++DEUTSCHLAND
In der Türkei verfolgt, von Deutschland abgelehnt: Kurd*innen brauchen Schutz!
Stigmatisiert, kriminalisiert, inhaftiert – Kurd*innen aus der Türkei suchen Schutz in Deutschland: meist vergebens. Denn das Bundesamt geht leider noch immer davon aus, dass die Türkei ein Rechtsstaat ist. Die dramatische Menschenrechtslage wird schöngeredet. Diese deutsche Asylverweigerungspraxis muss dringend geändert werden.
https://www.proasyl.de/news/in-der-tuerkei-verfolgt-von-deutschland-abgelehnt-kurdinnen-brauchen-schutz/


+++FREIRÄUME
Neujahreserklärung 2024 der Häuservernetzung Winterthur
Die Häuservernetzung Winterthur ist ein Netzwerk von Bewohner:innen besetzter und selbstverwalteter Häuser, antikapitalistischen Gruppen und Einzelpersonen. Gemeinsam kämpfen wir gegen die kapitalistische Stadtaufwertung und für den Erhalt von günstigem Wohnraum. Wir bewohnen und unterhalten die selbstverwalteten Häuser seit vielen Jahren (das älteste seit 1997, das jüngste seit 2011) mit eigener Arbeit und auf eigene Kosten. Es sind unsere Zuhause und vielfältiger Wohn- und Kulturraum für viele.
https://wohnraumverteidigen.noblogs.org/post/2024/01/07/neujahreserklaerung-2024-der-haeuservernetzung-winterthur/


Neustadtgasse 20 + 22: wehren wir uns gegen das Bauvorhaben!
Am 9. Januar sollte der grosse Efeustrauch zwischen den Häusern Neustadtgasse 20 und 22 und der besetzten General-Guisan-Strasse 31 in der Winterthurer Altstadt entfernt werden. Die wahrscheinlich Jahrzehnte alten Glyzinien an der südlichen Fassade der Neustadtgasse 20 wurden am Vortag bereits vollständig abgeschnitten.
https://wohnraumverteidigen.noblogs.org/post/2024/01/09/neustadtgasse-20-22-wehren-wir-uns-gegen-das-bauvorhaben/


+++GASSE
Aarau: Die Sicherheits-Situation am Bahnhof Aarau sei «angespannt», aber man habe sie im Griff. Das schreibt der Stadtrat von Aarau in einer Antwort auf einen Vorstoss im Einwohnerrat. Allein die Stadtpolizei sei 3000 Stunden pro Jahr präsent im Bahnhof. Dazu gäbe es noch andere Sicherheitskräfte. (ab 04:21)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/aargau-genug-grundwasser-auch-fuer-einen-heissen-sommer?id=12519623


«Dreckige Szene»: Crack-Süchtige decken sich in Italiens Wäldern ein
In Lugano entwickelt sich eine offene Drogenszene – auch wegen billigem Kokain und Heroin aus Italien. Jonas* kennt sich in der Szene aus: Der junge Mann war jahrelang abhängig von Kokain und zog im Sommer von Zürich nach Lugano für einen Neuanfang. Doch der Plan ging nicht auf: «Es ist eine dreckige Szene hier, schlimmer als in Zürich.» Der Stoff kommt aus den italienischen Drogenwäldern nahe der Schweizer Grenze. Dort wird im großen Stil mit Drogen gehandelt. 20 Minuten «Reporter!n» war vor Ort und hat eine Spezialeinheit des italienischen Militärs bei einem Einsatz begleitet.
https://www.20min.ch/video/drogenszene-lugano-carabinieri-jagen-dealer-im-wald-ihre-kunden-sind-schweizer-103018773


Luzern muss Bettelverbot aufheben
Im Kanton Luzern gilt ein allgemeines Bettelverbot. Dieses muss nun aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte angepasst werden.
https://www.20min.ch/story/luzern-kanton-luzern-muss-das-bettelverbot-aufheben-103018453


Zunahme im öffentlichen Raum: Drogenszene in Solothurn wird zum Fall für die Politik
Immer mehr Menschen konsumieren in Solothurn im öffentlichen Raum Drogen. Nun wurden gleich zwei Interpellationen eingereicht, die dabei helfen sollen, das Problem insbesondere am Bahnhof Solothurn zu lösen.
https://www.32today.ch/mittelland/drogenszene-in-solothurn-wird-zum-fall-fuer-die-politik-155948982


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Tausende in Basel erwartet: An der Palästina-Demo sollen Familien zuvorderst gehen
Die Organisatoren und die Basler Polizei rechnen mit einem friedlichen Verlauf. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Demonstration am Samstag.
https://www.bazonline.ch/tausende-in-basel-erwartet-an-der-palaestina-demo-sollen-familien-zuvorderst-laufen-320126903967
-> https://bajour.ch/a/clr9grtip7430252sgwcfey1orz/wer-frieden-will-muss-auch-die-hamas-kritisieren
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/demonstration-nationale-pro-palaestina-kundgebung-in-basel-forderungen-sorgen-fuer-kritik-ld.2565111



Basler Zeitung 12.01.2024

Landesweiter Aufruf: Aufregung um Grossdemo für Palästina in Basel

Ein neuer Dachverband ruft für kommenden Samstag zu einem Protest für Palästina in Basel auf. Die radikalen Forderungen irritieren selbst Aktivistinnen und Aktivisten.

Nina Fargahi

Die Basler Kantonspolizei steht mit einem Grossaufgebot parat. Am Samstag gehen Aktivistinnen und Aktivisten in Basel auf die Strasse. Ein neuer «Dachverband Schweiz-Palästina» ruft zu einer nationalen Demonstration am Samstag in Basel auf. Rund 80 Verbände und Interessensgruppen unterstützen den Aufruf. In den sozialen Medien werden Fahrpläne herumgereicht, um Demonstrierende mit Shuttlebussen aus dem Tessin, der Westschweiz und aus Bern nach Basel zu bringen. (Alle News zum Krieg in Gaza im Ticker)

Wer hinter dem neuen Dachverband steht, ist unklar. Nach eigenen Angaben hat sich die Gruppe letzten November formiert. Mit dabei sind Kollektive, Vereine und verschiedene Organisationen aus der Schweiz, die sich für die palästinensische Sache engagieren, wie zum Beispiel die Schweizerische Friedensbewegung (SFB), «Bern for Palestine», das «Collectif Urgence Palestine» aus Neuenburg und die Bewegung SolidaritéS aus Genf. Auch die BDS-Bewegung – BDS steht für Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen Israel – gehört dazu. (Lesen Sie das Interview mit Ahmad Mansour: «Gewinnt die Hamas, hat das verheerende Folgen für Europa, selbst für die Schweiz»)

Der Dachverband setzt sich für einen sofortigen Waffenstillstand und die Einhaltung des Völkerrechts im Gazakrieg ein. Der Zusammenschluss scheint informell zu sein und befindet sich offenbar noch im Aufbau. Ein Sekretariat gibt es noch nicht.

Forderung ruft Kritik hervor

Jedenfalls kommt es jetzt im Vorfeld der Kundgebung zu Diskussionen. Das hat mit den Forderungen der Palästina-Demonstration zu tun:

– sofortiger Stopp jeglicher Investitionen in Unternehmen, die in die israelische Siedlungs- und Sicherheitspolitik involviert sind,

– Reaktivierung des UNO-Ausschusses gegen Apartheid

– gleiche Rechte für alle Menschen im historischen Palästina

– Engagement der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat für militärische und wirtschaftliche Sanktionen gegenüber dem Staat Israel

– Freilassung aller palästinensischen Gefangenen

Vor allem die letzte Forderung sorgt für Kritik. «Das stimmt für uns nicht», sagt Ron Ganzfried, Vorstandsmitglied der Gesellschaft Schweiz-Palästina und israelisch-schweizerischer Doppelbürger. «Wir fordern die Freilassung der Zivilpersonen auf beiden Seiten.» Deshalb gehört die Gesellschaft Schweiz-Palästina nicht zu den Organisatoren der kommenden Demonstration, auch wenn die Mitglieder aus Solidarität an der Kundgebung teilnehmen werden, so Ganzfried.

Auch der frühere Nationalrat Geri Müller, Präsident der Gesellschaft Schweiz-Palästina, wird an der Demonstration teilnehmen, wenn er sich bis dann von der Grippe erholt hat. Das klang vor ein paar Tagen noch anders.

Ron Ganzfried sagt: «Die Empörung der Menschen ist gross, dass Bundesrat Cassis drei Nichtregierungsorganisationen in Palästina die Finanzierung entzogen hat und dass die offizielle Schweiz nicht stärker auf die Einhaltung der Genfer Kriegskonvention pocht.»

Die vom neuen Dachverband formulierte Forderung sorgt auch bei den Schweizer Jungsozialisten (Juso) für Irritation. Präsident Nicola Siegrist sagt: «Sie lässt die Interpretation zu, dass auch verhaftete Hamas-Kämpfer freigelassen werden sollen; ich kann daher nicht hinter dieser Forderung stehen.»

Die Juso Schweiz ruft entsprechend nicht zur Teilnahme an der Palästina-Demonstration auf, sondern möchte sich gemäss Siegrist auf eine Kundgebung am Sonntag in Davos vor dem Weltwirtschaftsforum (WEF) fokussieren. «Dort wird die Forderung nach einem gerechten Frieden ebenfalls ein Thema sein.» Er betont, dass die Juso für einen sofortigen Waffenstillstand und die Durchsetzung der Menschenrechte im Gazastreifen und im Westjordanland einstehen.

Dachverband rechnet mit Tausenden Teilnehmenden

Seyhan Karakuyu vom neuen Dachverband Schweiz-Palästina entgegnet: «Wir stehen hinter unseren Forderungen, sie verweisen auf die ungleiche Anwendung der Gesetze auf Palästinenserinnen und Palästinenser.» Sie ist Mitglied der Basler Sektion der Partei der Arbeit (PdA) und rechnet mit mehreren Tausend Teilnehmenden am Samstag in Basel.

Dass eine Kundgebung mit radikalen Forderungen bewilligt wird, gehört zur verfassungsrechtlichen Versammlungsfreiheit, sagt Adrian Plachesi von der Kantonspolizei Basel-Stadt. «Wenn die Kriterien für eine Bewilligung erfüllt sind und nicht zu Gewalt oder Sachbeschädigung aufgerufen wird, machen wir keine Inhaltskontrolle.»

Anders war es am 13. Oktober: Damals sollten zwei Kundgebungen stattfinden in Basel, eine Pro-Israel und eine Pro-Palästina. Beide waren ursprünglich bewilligt. Jedoch kam die Kantonspolizei Basel-Stadt nach einem Aufruf der Hamas zu einem internationalen Tag der Mobilisierung in einer neuen Lagebeurteilung zum Schluss, dass die Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu gross sei. Deswegen wurden beiden Demonstrationen die Bewilligung wieder entzogen.

Adrian Plachesi sagt, es brauche sehr viel, bis man einer Demonstration eine bereits erteilte Bewilligung wieder entziehe. «Das kommt äusserst selten vor. Am 13. Oktober, eine Woche nach dem Angriff der Hamas, war die internationale Sicherheitslage und -situation sehr aussergewöhnlich.»
(https://www.bazonline.ch/palaestina-demo-basel-wirbel-um-schweizer-protest-fuer-gaza-352546383720)
-> https://www.20min.ch/story/basel-forderungen-an-nationaler-palaestina-demo-zu-radikal-fuer-juso-103019203


+++SPORT
Stadt Luzern: Doppelbelastung für Polizei: FCL-Hochrisikospiel und Eishockey-Cupfinal am selben Tag
Auf die Luzerner Polizei kommt am 4. Februar viel Arbeit zu. In der Stadt Luzern findet einerseits das FCL-Heimspiel gegen den FC St. Gallen statt; anderseits der Eishockey-Cupfinal.
https://www.zentralplus.ch/sport/fc-luzern/fcl-hochrisikospiel-und-eishockey-cupfinal-am-selben-tag-2611349/


+++JUSTIZ
Handlungsbedarf bei den unterschiedlichen Zugängen zum Recht
Der Rechtswissenschaftler Dario Haux und der Soziologe Georg Fischer zeigen in einem neuen Beitrag den vielschichtigen Handlungsbedarf beim Zugang zum Recht auf. Sie betonen hierbei, dass es nicht nur den einen Zugang zum Recht gibt. Die verschiedenen Herausforderungen beim Zugang zu den drei Gewalten (Gerichte, Verwaltung und Legislative) sowie zur Rechtswissenschaft deuten vielmehr auf diverse Zugänge zum Recht hin.
https://www.humanrights.ch/de/news/handlungsbedarf-unterschiedlichen-zugaengen-recht


+++WEF
Herausfordernde Tage für Polizei und Armee am WEF
Wegen der Ukraine-Konferenz in Davos vom kommenden Sonntag startet der Einsatz für die Sicherheitskräfte bereits einen Tag vor der WEF-Eröffnung. Zur Konferenz sind 500 Teilnehmende aus 90 Nationen geladen. Unter anderem wird der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski erwartet.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/herausfordernde-tage-fuer-polizei-und-armee-am-wef?id=12519824
-> https://www.blick.ch/schweiz/graubuenden/so-werden-die-maechtigen-in-davos-geschuetzt-kantonspolizei-graubuenden-und-armee-stellen-wef-sicherheitskonzept-vor-id19323161.html
-> https://www.handelszeitung.ch/newsticker/polizei-und-armee-rusten-sich-fur-herausforderndes-wef-2024-673200-0
-> https://www.watson.ch/schweiz/graub%c3%bcnden/209666610-jetzt-live-polizei-informiert-zu-sicherheitsmassnahmen-am-wef-in-davos
-> https://www.derbund.ch/wef-in-davos-250-kilometer-schutzzaun-und-gesperrter-luftraum-so-ruesten-sich-polizei-und-armee-295630444527
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-graubuenden/mehraufwand-bei-der-wef-sicherheit?id=12519992
-> https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-news/polizei-und-armeeeinsaetze-am-wef-12-01-24
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/ostschweizer-polizei-im-wef-einsatz-zusaetzliche-belastung-fuer-die-corps-155952324
-> https://www.srf.ch/play/tv/-/video/-?urn=urn:srf:video:273bd8c8-cbcf-448e-892c-05d9f535b10b


+++KNAST
«Apropos» – der tägliche PodcastIm Gefängnis Pöschwies wollen alle Insassen Bibliothekare sein
Kein Gefangener ist so frei wie jene, die sich um die eigene Bibliothek kümmern. Warum das so ist – und was Straftäter lesen.
https://www.tagesanzeiger.ch/apropos-der-taegliche-podcast-gefaengnis-poeschwies-hier-wollen-alle-insassen-bibliothekaren-sein-650979681099
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/ueberraschende-hitliste-das-lesen-knackis-im-zuercher-gefaengnis-am-liebsten-id19324043.html


+++BIG BROTHER
KI-Verordnung: Biometrische Massenüberwachung ohne Wenn und Aber?
Nachträgliche Änderungen bei der biometrischen Überwachung sorgen aktuell für Ärger bei EU-Abgeordneten, die bis zuletzt für eine Einschränkung gekämpft hatten. Wird das Gesetz in der nun vorliegenden Form verabschiedet, hätte dies dramatische Folgen.
https://netzpolitik.org/2024/ki-verordnung-biometrische-massenueberwachung-ohne-wenn-und-aber/


Recherche der «Republik» – Gibt es in der Schweiz eine Massenüberwachung? NDB widerspricht
Trotz Versprechen der Politik werde die Bevölkerung massenhaft überwacht, so eine Recherche der «Republik».
https://www.srf.ch/news/schweiz/recherche-der-republik-gibt-es-in-der-schweiz-eine-massenueberwachung-ndb-widerspricht


+++POLIZEI ZG
luzernerzeitung.ch 12.01.2024

Polizei wirft eine Blendgranate in die Wohnung eines «Reichsbürgers» – und trifft auch seine Töchter

Ein Einsatz der Zentralschweizer Spezialeinheit Luchs endet tragisch. Bei solchen Aktionen gehen die Kinder von Verdächtigten generell oft vergessen.

Andreas Maurer

Um sechs Uhr morgens brechen maskierte Polizisten der Spezialeinheit Luchs die Türe einer kleinen Wohnung im Kanton Zug auf und werfen eine Blendgranate hinein. Sie knallt und blitzt. Wer davon überrascht wird, verliert für einen Moment die Orientierung. Die Interventionseinheit will sich damit einen Zeitvorsprung verschaffen, um den Mann in der Wohnung in Handschellen zu legen, bevor er sich wehren kann.

Denn die Elitepolizisten rechnen mit dem Schlimmsten. Sie stürmen die Wohnung im Auftrag der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Deutsche Ermittler haben den Hinweis erhalten, dass der deutsche Staatsbürger in Zug zum Reichsbürgermilieu gehöre und eine verbotene Schusswaffe besitze.

Zudem verdächtigen sie ihn des «Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall». Dabei könnte es sich zum Beispiel um eine Beteiligung am versuchten Sturm auf den Reichstag in Berlin durch Reichsbürger und Coronamassnahmengegner im Jahr 2020 handeln.

Ein deutsches Phänomen erreicht die Schweiz

«Reichsbürger» gelten als Gefahr für die Demokratie, weil sie den bestehenden Staat ablehnen und sich teilweise bewaffnen. Die Szene besteht vor allem aus älteren Männern, die oft mit Verschwörungstheorien argumentieren. Viele glauben, das historische Deutsche Reich existiere weiter und der aktuelle Staat sei eine Firma. Der deutsche Verfassungsschutz geht von über 20’000 Anhängern aus – dazu gehören ehemalige Militärs und Polizisten.

Es ist vor allem ein deutsches Phänomen. Mehrere Hundert Reichsbürger sind aber auch in der Schweiz aktiv. Viele sind Querulanten, die vor allem ein persönliches Problem mit dem Staat haben. Experten warnen allerdings davor, diese einfach als Spinner abzutun. Denn dafür sei die staatsfeindliche Szene zu gefährlich. Bei Polizeieinsätzen in Deutschland haben Reichsbürger um sich geschossen und Polizisten schwer verletzt. Einer ist gestorben.

Die Spezialeinheit Luchs klingelt deshalb nicht wie bei einer Hausdurchsuchung üblich an der Wohnungstüre, sondern verschafft sich mit Gewalt Zutritt. In der Einsatzplanung hat sie sich beim Einwohneramt erkundigt und erfahren, dass der Mann alleine in der Wohnung gemeldet ist. An der gleichen Adresse hat er auch zwei Firmen registriert. Vor dem Haus steht sein Auto auf dem Parkplatz. Die Polizisten gehen deshalb davon aus, dass er zu Hause ist – alleine.

Doch auch seine Ehefrau und seine Töchter im Alter von neun und zwölf Jahren sind da. Sie erleben den Schreck ihres Lebens, als das Einsatzkommando die Wohnung stürmt. Diese ist kleiner als angenommen. Die Blendgranate wäre wohl nicht nötig gewesen.

Die Elitepolizisten packen den Reichsbürger, legen ihm Handschellen an und ziehen ihm eine Augenbinde über. Diese gehört zu ihrem Standardvorgehen. Damit wollen sie verhindern, dass der Festgenommene gezielt auf sie losgeht. In der Wohnung steht ein Feldbett. Darauf setzen sie den Mann.

Andere Polizisten führen derweil Frau und Kinder zum wartenden Rettungsdienst, der sie betreut. Eine Patrouille fährt sie danach zum Hauptgebäude der Zuger Polizei, organisiert ihre Rückreise nach Deutschland und bringt sie mit Bahnbilletten zum Bahnhof.

Polizei beschlagnahmt verdächtige Literatur

In der Wohnung stellen die Polizisten Laptops, ein Tablet, Mobiltelefone und Datenträger sicher. Die gesuchte Schusswaffe finden sie nicht. Dafür Akten zum Kauf einer Compound-Armbrust, ein Schiessbuch und zwei Jagdmunitionshalterungen.

Zudem beschlagnahmt die Polizei typische Reichsbürger-Unterlagen: Schriftstücke über «Die Souveränität des Deutschen Reiches», zur «Handlungsempfehlung mit der Firma Polizei» oder das in der Szene beliebte Buch «Geheimsache Reichsbürger». In der Schweiz führt die Buchhändlerin Orell Füssli dieses im Sortiment.

Zeitgleich führen deutsche Beamte an diesem 9. Juni 2022 eine Hausdurchsuchung in Stuttgart durch. Bei der Aktion in der Schweiz sind zwei Kommissare des Landeskriminalamts Baden-Württemberg dabei. Sie hören auch zu, als Zuger Ermittler dem Mann Fragen stellen, die ihnen die Deutschen vorher formuliert haben. Danach kommt der Mann frei.

Die Polizei muss den Fall besser dokumentieren

Die deutschen Beamten dürfen das Einvernahmeprotokoll, die Akten und Gegenstände jedoch nicht einfach mitnehmen. Sie müssen dafür ein internationales Rechtshilfegesuch stellen. Der Reichsbürger aus Zug wehrt sich dagegen ohne Anwalt. Ihm gelingt eine Verzögerung.

Die deutschen Beamten müssen genauer beschreiben, worin sie den Verstoss gegen das Waffengesetz vermuten. Als sie die Information nachliefern – er soll eine Waffe ohne Waffenschein besitzen – bestätigt das Bundesstrafgericht die Herausgabe der Beweismittel nun allerdings.

Der Reichsbürger findet die Hausdurchsuchung unverhältnismässig. Er klagt: «Meine Töchter mussten miterleben, wie ihr Vater von maskierten Polizisten wie ein Schwerverbrecher geknebelt worden ist.» Seine Kinder seien traumatisiert und er sei arbeitslos geworden. Dabei sei er stets ein gesetzestreuer Bürger gewesen, und es lägen keine Beweise gegen ihn vor.

Das Gericht stuft den Einsatz mit Blendgranate und Augenbinde jedoch als verhältnismässig ein und stützt die Argumentation der Zuger Polizei. Die Beamten hätten von einer potenziellen Gewaltbereitschaft ausgehen müssen.

Wenn Kinder da sind, sollte die Polizei vorsichtiger sein

Dirk Baier forscht zu Extremismus an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und hat an einer Studie über Kinder von Inhaftierten mitgearbeitet. Fazit: Bei der Polizei sei mehr Sensibilität für die Situation von Kindern zu wünschen. Bei Durchsuchungen und Verhaftungen denke die Einsatzleitung nicht immer an die Wirkung auf anwesende Kinder.

Zum Fall in Zug sagt er, die Durchsuchung sei nicht optimal gelaufen. Hätte die Polizei gewusst, dass Kinder in der Wohnung sein werden, hätte sie anders vorgehen müssen. Und dennoch macht er der Einsatzleitung keinen Vorwurf. Sie hätte zwar im Vorfeld auch Anwohner befragen oder die Wohnung observieren lassen können, doch dann wäre der Mann vielleicht gewarnt gewesen.

Hinzu kommt: «Erstens bestand aufgrund der bekannten Gewaltbereitschaft von Reichsbürgern eine gewisse Dringlichkeit. Zweitens musste die Polizei aufgrund von Erfahrungen in Deutschland mit Gegenwehr rechnen.» So sei eine unglückliche Situation entstanden.

Aus dem Fall ist gemäss Baier folgende Lektion zu lernen: «Reichsbürger und Staatsverweigerer sind nicht per se sozial isolierte Menschen. Deshalb sollte die Polizei bei Aktionen nicht nur deren mögliche Gewaltbereitschaft, sondern auch die Anwesenheit Dritter mitberücksichtigen.»
(https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/extremismus-polizei-wirft-eine-blendgranate-in-die-wohnung-eines-reichsbuergers-und-trifft-auch-seine-toechter-ld.2564847)
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/460590932-polizei-stuermt-wohnung-von-reichsbuerger-und-trifft-seine-toechter


+++POLIZEI CH
WEF und Staatsbesuch in Bern: Schweizer Polizei stösst an Grenzen – 10vor10
Nächste Woche wird eine intensive Woche für Schweizer Polizistinnen und Polizisten. Am Montag beginnt in Davos das WEF und in Bern geben sich Präsident Selenski und der chinesische Ministerpräsident Li Qiang die Klinke in die Hand. Die Reportage über Herausforderungen und Kapazitäten der Korps.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/wef-und-staatsbesuch-in-bern-schweizer-polizei-stoesst-an-grenzen?urn=urn:srf:video:99aa3924-d420-459a-b95b-6e77019fa5ed


+++FRAUEN/QUEER
Queerfeministische, kritische Bücherorte
Lesen bildet Banden! steht auf der Webseite von Buchladen Paranoi City – dem feministischen Buchladen in Zürich. In der Sendung besuchen wir drei Bücherorte, die im Kampf gegen das Patriarchat das Lesefutter liefern: Queerbooks in Bern, Paranoya City in Zürich und Lotte, die kämpferische Bibliothek in Luzern. Tolle Gespräche inklusive Büchertipps. (Hinweis: Die Sendung ist eine Wiederholung, sie wurde 2021 aufgenommen.)
https://rabe.ch/2024/01/12/queerfeministische-kritische-buecherorte/


++++RECHTSPOPULISMUS
SVP will nicht homophob und rassistisch genannt werden
Die rechtspopulistische SVP macht gerne Stimmung gegen Zugewanderte und stilisiert queere Menschen zur Gefahr für Kinder hoch. Jetzt klagt die Partei gegen einen Künstlerverband, der sie homophob und rassistisch nannte.
https://www.queer.de/detail.php?article_id=48120


Brugg: Junge SVP knöpft sich Sozialhilfebezieher vor
Die Städte Brugg und Aarau weigern sich, Informationen über die Nationalität ihrer Sozialhilfebezieher preiszugeben – darüber ist die Junge SVP verärgert.
https://www.nau.ch/politik/regional/brugg-junge-svp-will-sozialhilfebezieher-an-pranger-stellen-66685512


+++RECHTSEXTREMISMUS
Geheimtreffen: Reiner Wahn
Wie die Neue Rechte von ethnischen Säuberungen träumt: Das Konzept »Remigration« hat Vorbilder
Soll seriös klingen, hat aber mit dem Begriff aus der Sozialwissenschaft nichts zu tun: Hinter »Remigration« steckt die Fantasie ethnischer Säuberungen. Die hat schon Tradition in der extremen Rechten.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179184.correctiv-recherche-geheimtreffen-reiner-wahn.html


+++HISTORY
Nikola Doll wird Verantwortliche für den Bereich Raubkunst und Provenienzforschung
Das Bundesamt für Kultur (BAK) hat Nikola Doll zur Verantwortlichen des Bereichs Raubkunst und Provenienzforschung ernannt. Die Stelle umfasst auch das Sekretariat der unabhängigen Kommission für historisch belastetes Kulturerbe. Frau Doll tritt ihre neue Funktion am 1. April 2024 an.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-99674.html



nzz.ch 12.01.2024

Nicht die Drogen, sondern die Folgen des Drogenverbots töten, behauptet Helena Barop: Die Historikerin hat die Geschichte des «War on Drugs» neu geschrieben

Prohibition, Diskriminierung, Doppelmoral: Helena Barop erzählt in ihrem Buch «Der grosse Rausch», wie Menschen mit Drogen umgehen und verharmlost einiges.

Oliver Pfohlmann

Ende des 19. Jahrhunderts waren die berüchtigten Opiumhöhlen so etwas wie heutzutage Meth-Labore. Dies erfährt man aus Helena Barops Buch «Der grosse Rausch». Sie waren kollektive Erfahrungsräume, die die bürgerlichen Phantasien beschäftigten. Auch die von Menschen, die noch nie eine solche Örtlichkeit betreten hatten. Orte, die man mit moralischer Verwahrlosung und Ausschweifung verband. Für die Freiburger Historikerin zeigt sich in der Geschichte der Opiumhöhlen aber zugleich ein im 20. Jahrhundert oft wiederholtes fatales Muster im Umgang mit Drogen.

Denn gegen die chinesischen Einwanderer, die nach 1850 solche Etablissements in US-Grossstädten wie San Francisco eröffneten, erhob sich bald eine rassistische Kampagne, die vor allem von protestantischen Medizinern und Predigern befeuert wurde. Die Opiumhöhle galt den Weissen als Sündenpfuhl, der sittsame Jungfrauen zu Huren werden liess und braven jungen Amerikanern, wenn sie nicht aufpassten, selbst chinesische Gesichtszüge bescheren sollte.

Am Ende dieser Angstkampagne stand dann das Verbot der Droge, und zwar bemerkenswerterweise nicht nur in den USA, sondern infolge der Internationalen Opiumkonferenz von 1912 gleich global. Ob es in anderen Ländern überhaupt einen nennenswerten Opiumkonsum gegeben habe, habe bei diesem ersten weltweiten Export der amerikanischen Drogenpolitik kaum eine Rolle gespielt, betont die Autorin. So wie in allen späteren Fällen bis hin zur Genfer Drogenkonvention von 1961.

Vermeintliche Wundermittel

Helena Barops kritische Tour de Force durch mehr als hundert Jahre Drogenprohibition kommt zur rechten Zeit. Schliesslich gibt es zurzeit weltweit zahlreiche Beispiele für einen liberalen Umgang mit Rauschmitteln. Psychedelika werden von der Medizin als Heilmittel wiederentdeckt, verschiedenenorts laufen Versuche zur Legalisierung von Cannabis.

Den Weg von Rauschmitteln vom Medikament, das mit grossen Erwartungen eingesetzt wurde, bis zur Droge, die man mit Verboten auszurotten versuchte, zeigt die Autorin an verschiedenen Beispielen auf. Einzelne Drogen wurden zunächst als vermeintliche Wundermittel gehandelt, wie in den 1880er Jahren das Kokain, dessen stimulierende Wirkung unter anderem Sigmund Freud wärmstens empfahl.

Allzu oft verbarg sich hinter einer repressiven Drogenpolitik die Diskriminierung unliebsamer Bevölkerungsgruppen: ob es um Cannabis rauchende mexikanische Migranten um 1900 ging oder um Heroin fixende Afroamerikaner im New York der 1970er. «Je nach politischer Zielsetzung», so Barop, «nutzte man abwechselnd die Angst vor der Droge, um den Fremdenhass zu befeuern, und den Fremdenhass, um die Droge zu diskreditieren.»

Der Staatsfeind Nr. 1

Während bei den einen infolge der Kriminalisierung schon ein Joint reichte, damit sie für lange Zeit hinter Gittern verschwinden mussten, durften andere Drogenkonsumenten mit wohlwollender Fürsorge rechnen. Denn sie gälten nicht als Verbrecher, sondern als Kranke, so die Autorin: Wohlhabende ältere weisse Damen, die sich in den 1920ern ihren Lebensabend mit ein wenig Morphium versüsst hätten, genauso wie die zahlreichen Heroin konsumierenden Veteranen des Vietnamkrieges.

Mit Nixons «War on Drugs», der Cannabis und Psychedelika mit Heroin in einen Topf warf, indem er Drogen zum Staatsfeind Nr. 1 erklärte, wurde die Drogenpolitik dann endgültig instrumentalisiert. Einerseits zur Einschüchterung der Bürgerrechtsbewegung und pazifistischer Hippies, anderseits zum Stimmenfang bei der «schweigenden (weissen) Mehrheit», die selbst oft genug von Psychopharmaka abhängig war. «Ob wir wussten, dass wir über die Drogen gelogen haben?», zitiert Barop den Nixon-Berater John Ehrlichman: «Selbstverständlich.»

Barop ist überzeugt, dass diese prohibitive Politik verheerende Folgen hatte, und sie zeichnet diese eindringlich nach: von den überfüllten Gefängnissen in den USA bis zur Entstehung mächtiger Drogenkartelle in den Anbauländern. Von den Drogentoten ganz zu schweigen: Heroin etwa, betont Barop, könne bei entsprechender Qualität und Dosierung von Abhängigen jahrzehntelang ohne grössere körperliche Schäden konsumiert werden.

Doppelmoral

Die Abertausende von Herointoten der Geschichte sind für Barop weniger der Droge anzulasten, sondern eine Folge der Prohibitionspolitik mit all ihren Folgen: gestreckte Drogen aus dubiosen Schwarzmarktquellen, geteilte Spritzen und so weiter. Nachdrücklich weist die Autorin auf Beispiele eines nicht repressiven Umgangs mit Heroin hin, wie etwa die «Fixerstübli», Safe Spaces für Abhängige, wie es sie in der Schweiz seit 1986 gibt.

Barop plädiert für Aufklärung und Anleitung zum kompetenten Umgang mit Drogen statt Verfolgung und Bestrafung. Daran ist sicher vieles richtig und nachdenkenswert. Die herkömmliche Prohibitionspolitik war ein Irrweg, nicht zuletzt, weil Drogenverbote von Anfang an als Sittlichkeitsgesetze konzipiert waren: «Ihr Ziel war nicht, die Menschen vor gesundheitlichen Schäden zu schützen, sondern lasterhaftes Verhalten zu unterdrücken», schreibt Barop.

Doch so erfrischend ihr Perspektivwechsel ist, in ihrer Argumentation schiesst die Autorin übers Ziel hinaus. Dass weiche Drogen wie Cannabis und MDMA oder Psychedelika ohne Abhängigkeitspotenzial wie LSD entkriminalisiert werden sollten, versteht sich; ebenso, dass die Verbotspolitik angesichts des laxen Umgangs mit der «Volksdroge» Alkohol von erheblicher Doppelmoral zeugt.

Eine amerikanische Erfindung

Aber wie sähe ein progressiver, humaner Umgang mit ungleich gefährlicheren Drogen wie Crack oder Fentanyl aus? Barops Bemerkungen zum Suchtpotenzial von Heroin jedenfalls – das laut Barop «nur» zehn bis dreissig Prozent aller Konsumenten abhängig werden lasse – grenzen ebenso an Verharmlosung wie ihr Kapitel zur Geschichte des organisierten Verbrechens.

War und ist die amerikanische Mafia wirklich nur eine «Verschwörungstheorie» der Behörden? Waren italoamerikanische Mobster wie Lucky Luciano oder Al Capone einfach «innovationsfreudige Geschäftsleute» aus «marginalisierten Milieus»? Der Hinweis darauf, dass solche Einschätzungen recht genau den Verteidigungsstrategien von Mafia-Anwälten vor Gericht entsprechen, reicht da wohl aus.

Vor allem aber folgt aus dem Umstand, dass die USA ihre fatale Drogenpolitik ein ums andere Mal exportiert haben, noch lange nicht, dass Drogenprobleme generell «eine (amerikanische) Erfindung» waren, wie die Autorin behauptet. Das musste man selbst in der progressiven Schweiz feststellen, wo die Fixerstübli wie in Genf zurzeit von Crack-Konsumenten überschwemmt werden.

Helena Barop: Der grosse Rausch. Warum Drogen kriminalisiert werden. Eine globale Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Siedler-Verlag. 304 S., Fr. 39.90.
(https://www.nzz.ch/feuilleton/nicht-drogen-sondern-verbote-toeten-helena-barop-erzaehlt-den-war-on-drugs-neu-ld.1773322)