Medienspiegel 11. Januar 2024

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++GASSE
Kein Kälteplan für Obdachlose in Freiburg
Die Stadt Freiburg wird ihren Kälteplan in den nächsten Tagen nicht aktivieren, im Gegensatz zu Genf und Lausanne, die dies am Montag getan haben.
https://frapp.ch/de/articles/stories/kein-kalteplan-fur-obdachlose-in-freiburg


Kanton Luzern plant partielles Bettelverbot
Der Kanton Luzern passt sein Bettelverbot an. Neu will er nur noch ein partielles Bettelverbot, heisst es in einer Mitteilung. Denn das heutige Gesetz ist nicht mehr zulässig.
https://www.neo1.ch/artikel/kanton-luzern-plant-partielles-bettelverbot


Unter der Brücke brodelt es
Die Situation auf der Schützenmatte hat sich im letzten Jahr drastisch verschlechtert. Was sind die Gründe dafür und wie könnten Lösungen aussehen? Eine Spurensuche.
https://journal-b.ch/artikel/unter-der-bruecke-brodelt-es/


Obdachlos in der Kälte – Tagesschau
Eine Kältewelle hat die Schweiz erfasst. Für Personen, die draussen schlafen, ist das gefährlich. Mit nächtlichen Patrouillen und Notunterkünften wollen Schweizer Städte ihre Obdachlosen vor der Kälte schützen.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/obdachlos-in-der-kaelte?urn=urn:srf:video:fc925ac8-7451-4a27-b8e5-719fd3d5448f


Massnahmen gegen Kältewelle: Lausanne holt seine Obdachlosen von der Strasse
Um etwa 270 Personen – darunter Familien mit Kleinkindern – vor Minustemperaturen, Schnee und eisigen Winden zu schützen, aktiviert die Stadt ihren Notplan.
https://www.derbund.ch/wetter-kaelte-lausanne-holt-obdachlose-von-der-strasse-979561848631


++DEMO/AKTION/REPRESSION
Sendung vom 11. Januar 2024
Im heutigen Info berichten wir über die Effy29 Prozesse. Nach dem erneuten Freispruch sei langsam an der Zeit, Gras über die Geschehnisse wachsen zu lassen, meint unser Inforedakteur Noah Pilloud in seinem Kommentar. Danach lernen wir Emma Nzioka kennen, die dieses Jahr die künstlerische Leitung des Norient Festivals übernimmt. Am Ende der Sendung berichten wir über ein Geheimtreffen von hochrangige AfD-Politiker mit Neonazis und finanzstarken Unternehmern, das Ende November stattfand.
https://rabe.ch/2024/01/11/sendung-vom-11-januar-2024/



Basler Zeitung 11.01.2024

Unbewilligte Aktion am Bahnhof SBB: Palästina-Sympathisanten nehmen Schalterhalle in Beschlag

Am Mittwoch stellte sich eine Gruppe Demonstranten in den Pendlerstrom, um auf das Leid in Gaza aufmerksam zu machen. So mancher Passant fragte sich: Wo ist die Polizei?

Simon Bordier

Drei Tage vor der geplanten Grosskundgebung von Palästina-Sympathisanten ist es in Basel zu einer unbewilligten Protestaktion gekommen: Am Mittwochabend versammelten sich rund ein Dutzend Personen im Bahnhof Basel SBB, um das Leid im Gazastreifen zu beklagen.

Ein Augenzeuge schreibt in einer Mail an diese Redaktion: «Ich bin für eine sofortige bedingungslose Waffenruhe in Gaza. Doch finde ich es nicht in Ordnung, wenn der öffentliche Raum mehr und mehr von irgendwelchen Israel-Feinden in Beschlag genommen wird.»

Kleider am Boden

Auf dem Boden der Schalterhalle wurden rot verschmierte Kleidungsstücke ausgelegt, die wohl den Blutzoll der palästinensischen Bevölkerung versinnbildlichen sollten.

Weiter wurden Fotos von kriegsversehrten Personen gezeigt. Als ein BaZ-Reporter gegen 19 Uhr vor Ort war, hing ein Plakat unter der Anzeigetafel, das auf die bewilligte Grosskundgebung am Samstag aufmerksam machte. Eine gute Stunde später waren Plakat und Demonstranten weg. (Mehr zur geplanten Grossdemo in Basel erfahren Sie in diesem Artikel.)

Ein Mann, der gegen 18 Uhr mit dem Zug in Basel ankam, sagt, eine Fahne der Terrororganisation Hamas – weisser Schriftzug vor grünem Hintergrund – entdeckt zu haben. Er sei auf die Demonstrierenden zugegangen, wie er im Gespräch mit dieser Redaktion erzählt: «Was machst du für einen Unsinn», habe er zu einem Beteiligten gesagt.

Man könne mit einer Palästina-Flagge demonstrieren, doch nicht mit einer Hamas-Fahne, findet er. Kurz nach seiner Intervention sei das Symbol der Terrororganisation denn auch verschwunden.

Der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, beschreibt die Situation als gut organisiert. Auch ihm gegenüber, der aufgrund seiner Kippa als Jude erkennbar war, seien die Protestierenden nicht aggressiv aufgetreten. Die Auseinandersetzung mit ihnen sei mitunter hitzig, alles in allem aber friedlich gewesen. «Keiner wollte mir Gewalt antun.»

Ihn mache es auch traurig, wenn er die Bilder von leidenden und toten Kindern in Gaza sehe, so der Basler. «Die Hamas ist nicht mit den Palästinensern gleichzusetzen.»

Die Protestaktion könne er aufgrund der antisemitischen Hamas-Symbolik und der fehlenden Bewilligung aber keinesfalls gutheissen.

Anruf bei der Polizei

Er habe die Kantonspolizei kurz nach 18 Uhr über die Demo telefonisch in Kenntnis gesetzt, berichtet der Mann. Auf seine Frage hin, ob die Aktion bewilligt sei, habe ihm die Polizei geantwortet, dies gehe ihn nichts an.

Vier SBB-Bahnpolizisten, die den Protest am Rand verfolgten, hätten ihm auch nicht weiterhelfen können. «Ich halte sehr viel von der Kantonspolizei, aber bei dieser unbewilligten Demo hat sie versagt», findet der Basler.

Privatareal der SBB

Polizeisprecher Stefan Schmitt schreibt: «Die Kantonspolizei Basel-Stadt hatte Kenntnis von der unbewilligten Kundgebung und beobachtete das Geschehen.» Man gebe «wie gewohnt» aus polizeitaktischen Überlegungen keine weiteren Auskünfte etwa zur Anzahl der eingesetzten Mitarbeitenden. Weitere Fragen seien an die SBB zu richten, da es sich um deren Privatareal handle.

Die Bundesbahnen wurden schon Mittwochabend mit Fragen konfrontiert: «Seit wann dürfen Antisemiten und Israel-Hasser sich im Bahnhof ausbreiten?», schrieb der Basler SVP-Grossrat Joël Thüring auf der Plattform X.
-> https://twitter.com/JoelThuering/status/1745141360179445915

Eine Bahnsprecherin schreibt auf Anfrage: Die SBB seien für das reibungslose Funktionieren des Bahnhofs verantwortlich, und die Nutzung des Bahnhofareals sei grundsätzlich bewilligungspflichtig. «Die Aktion in der Schalterhalle war nicht bewilligt.»

Man prüfe nun «mögliche Massnahmen». Worin diese genau bestehen, sagen die SBB nicht.
(https://www.bazonline.ch/unbewilligte-aktion-am-bahnhof-sbb-palaestina-sympathisanten-nehmen-schalterhalle-in-beschlag-802887435536)


+++PSYCHIATRIE
Psychiatriezentrum Münsingen: «Streitereien, schwache Führung und fehlende Kontrolle»
SRF ist dank dem Öffentlichkeitsprinzip an zwei Berichte über das Psychiatriezentrum Münsingen PZM gekommen. Diese zeigen offenbar «Missstände, die bislang nicht bekannt waren». Zeitweise, so kam jetzt aus, hätten derart desolate Zustände geherrscht, dass Patient:innen gefährdet wurden.
https://www.bern-ost.ch/Psychiatriezentrum-Muensingen-Patientensicherheit-war-in-Gefahr-681360
-> https://www.neo1.ch/artikel/die-missstaende-im-pz-muensingen-waren-groesser-als-angenommen


+++WEF
Kanton Bern: Wachen wegen mehreren Einsätzen geschlossen
Am kommenden Montag bleibt der Grossteil der Wachen der Kantonspolizei Bern geschlossen. Grund dafür sind der Besuch des Ministerpräsidenten der Volksrepublik China sowie der Einsatz am diesjährigen World Economic Forum (WEF). Die Kantonspolizei Bern wird mit einem sichtbaren Dispositiv im Einsatz stehen.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=ae7cce62-973c-4d4b-83a8-f0fed24db802
-> https://www.derbund.ch/news-ticker-bern-region-kanton-polizei-verkehr-politik-kultur-257-290281918894


+++BIG BROTHER
Transformation des Nachrichtendienstes des Bundes: Ernennung der neuen Direktionsmitglieder
Im Rahmen der Transformation, die er nach seiner Ankunft an der Spitze des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) im April 2022 eingeleitet hat, hat Christian Dussey die Mitglieder der neuen Direktion ernannt. Sie werden ihr Amt offiziell am 1. März 2024 antreten.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-99664.html


+++POLICE BE
Biel/Zeugenaufruf: Mutmasslicher Ladendieb auf Flucht bei Sturz verletzt und angehalten
Mitte Dezember 2023 hat sich in Biel ein Ladendiebstahl ereignet. Der mutmassliche Täter flüchtete in ein Treppenhaus. Im Zuge der Flucht kam es zu einer Auseinandersetzung. Der mutmassliche Ladendieb verletzte sich und konnte angehalten werden. Die Kantonspolizei Bern sucht Zeugen.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=9f7de798-6973-4d83-a555-6398dcba8aec


+++POLIZEI BS
Demonstrationsstatistik 2023: Weniger Demos in Basel, die Polizei ist dennoch gefordert
Die Kantonspolizei verzeichnete im vergangenen Jahr einen Rückgang der Anzahl Manifestationen. Auf ihren Einsatz hatte das aber kaum Einfluss, da die Themen konfliktbeladen sind.
https://www.bazonline.ch/demonstrations-statistik-2023-weniger-demos-in-basel-polizei-ist-dennoch-gefordert-123393042532
-> https://www.polizei.bs.ch/nm/2024-statistik-der-demonstrationen-im-jahr-2023-jsd.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/mehr-baeume-fuer-basel-behoerden-wollen-strassen-neu-gestalten?id=12518969 (ab 03:23)
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/kantonspolizei-basel-stadt-demostatistik-2023-weniger-unbewilligte-demonstrationen-als-im-vorjahr-ld.2564433
-> https://telebasel.ch/sendungen/punkt6/213864
-> https://primenews.ch/articles/2024/01/demo-verbot-polizeieinsatz-kostete-435000-franken
-> https://primenews.ch/news/2024/01/242-demos-und-co-so-oft-gingen-basler-2023-auf-die-strasse
-> https://www.baseljetzt.ch/anzahl-fast-halbiert-weniger-unbewilligte-demos-als-noch-im-vorjahr/171813


+++RECHTSPOPULISMUS
«Habe nötiges ‹Gspüri› für normale Leute» : Nils Fiechter bringt sich als neuer Parteipräsident der Jungen SVP in Stellung
Nils Fiechter, Strategiechef der Jungen SVP Schweiz, schielt nach dem Rücktritt von David Trachsel auf das Parteipräsidium. Der Provokateur will aufmüpfig bleiben – und Berufspolitikern an den Kragen.
https://www.blick.ch/politik/habe-noetiges-gspueri-fuer-normale-leute-nils-fiechter-bringt-sich-als-neuer-parteipraesident-der-jungen-svp-in-stellung-id19318275.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/svp/553321384-nils-fiechter-verurteilter-jung-svpler-will-praesidentpraesident-werden


«Diffamierendes» Kreuzworträtsel – SVP reicht Anzeige ein und will Kunst-Gelder kürzen
Die Unterwalliser SVP will nach einem in der Zeitung «Le Nouvelliste» veröffentlichten Kreuzworträtsel, in dem die Partei unter anderem als rassistisch definiert wurde, Klage einreichen. Dies kündigte sie am Donnerstag im Lokalradio Rhône FM an.
https://www.watson.ch/schweiz/svp/587374369-svp-reicht-anzeige-ein-wegen-diffamierendem-kreuzwortraetsel
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/svp-reicht-anzeige-gegen-diffamierendes-kreuzwortratsel-ein-66685017


SVP St. Gallen: Bevölkerung soll über Asylheime abstimmen
Die SVP setzt sich dafür ein, dass die Flüchtlingsaufnahme künftig zum Bürgerentscheid wird. Die SP sieht Aufnahmen per Abstimmung als «nicht durchsetzbar».
https://www.nau.ch/politik/regional/svp-st-gallen-bevolkerung-soll-uber-asylheime-abstimmen-66684786


+++RECHTSEXTREMISMUS
Rechtsextremes Geheimtreffen sorgt für Diskussionen – Echo der Zeit
In Deutschland ist ein Geheimtreffen von Rechtsextremen, potenten Wirtschaftsleuten und ranghohen Mitgliedern der AfD aufgeflogen. Sie alle haben Pläne geschmiedet, um Millionen von Menschen aus Deutschland zu vertreiben. Die Aufregung ist gross.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/rechtsextremes-geheimtreffen-sorgt-fuer-diskussionen?partId=12519497
-> https://www.deutschlandfunk.de/geheimtreffen-von-afd-politikern-und-rechtsextremisten-zur-vertreibung-von-menschen-mit-migrationshi-100.html
-> https://www.deutschlandfunkkultur.de/aufwachen-jetzt-wie-sich-buergerliche-mit-faschisten-verbuenden-dlf-kultur-45f10571-100.html
-> https://taz.de/Enthuellungen-ueber-AfD-Geheimtreffen/!5984997/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179103.correctiv-masterplan-rassisten-planen-massenvertreibung.html
-> https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/rechtsextremes-geheimtreffen-mit-afd-sendung-vom-11-01-2024-100.html
-> https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/afd-und-neonazis-besprechen-vertreibungsplan?urn=urn:srf:video:4cdc57cd-10cc-4d96-b394-f3fd67bfd551
-> https://www.srf.ch/news/international/rechtsextreme-in-deutschland-geheimtreffen-mit-afd-koepfen-schlaegt-wellen


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
tagesanzeiger.ch 11.01.2024

Massnahmengegner in Winterthur: Reichsbürger wollte in städtischem Alterszentrum auftreten

Ein Verschwörungstheoretiker wollte im Alterszentrum Neumarkt einen Vortrag halten. Die Stadt hat die Vermietung storniert, nachdem diese Zeitung sie damit konfrontiert hat.

Jonas Keller

Für die meisten Schweizer ist die Pandemie vorbei. Doch für einige bestimmt sie weiter das Denken und Handeln. So auch bei den beiden Personen, welche am 27. Januar im Mehrzweckraum des städtischen Alterszentrums Neumarkt hätten auftreten wollen.

Bei der ersten Person handelt es sich um den pensionierten Bündner Juristen Heinz Raschein. Er ist in der Szene der Massnahmengegner gut bekannt. Während der Pandemie kursierte ein von ihm verfasstes «Sach- und Rechtsattest», das angeblich von der Maskenpflicht befreien sollte. Der «Blick» nannte ihn damals den «Anwalt der Corona-Skeptiker».

Esoterisch und staatsablehnend

Der zweite Redner nennt sich «Don Icon». Seinen amtlichen Namen hat er abgelegt – dieser markiere ihn nämlich als Eigentum des Staates, wie er auf verschiedenen Onlinekanälen ausführt. Der Bundesstaat sei in Wahrheit keine legitime Regierung, sondern eine Firma, die die Menschen versklave und die zur Rechenschaft gezogen werden müsse. In diesem Sinne ist auch der Titel seines Vortrags zu verstehen: «Braucht es ein Volkstribunal?» – also ein Gericht des Volkes über die Volksvertreter.

Icon steht damit der Bewegung der Reichsbürger und Selbstverwalter nahe, die vor allem in Deutschland aktiv ist. Ihr zentraler Glaube ist, dass der Staat eine Firma sei, von der man sich lossagen solle. Teile dieser – sehr losen – Bewegung sind demokratiefeindlich und gewaltbereit. Schlagzeilen machte vor einem Jahr ein von der deutschen Polizei aufgedeckter geplanter Umsturzversuch.

Bei Icon bestehen keine Hinweise auf Gewaltbereitschaft. Vielmehr scheint er in der Selbstverwalter-Bewegung zur esoterischen Strömung zu gehören. So schreibt er von sich als «kristallenem Spiegel», von «Quantenspiritualität» und «Aurachirurgie», in der er ausgebildet sei.

Seinen Verein «Activist» hat er eigenen Angaben zufolge schon 1994 gegründet. 2016 war er in ein Gerichtsverfahren verwickelt, bei dem er seine «Person» löschen lassen wollte, um sich vom Staat loszusagen.

Die Pandemie scheint seine Haltung dann noch bestärkt zu haben. In der «Erklärung des Rechtsbankrotts» auf seiner Website, mit der er den Schweizer Staat für aufgelöst erklären will, geht es auf jeden Fall einzig um Corona: Das Virus sei nur erfunden, die Impfung eine heimliche Genmanipulation. Die Beteiligten müssten deshalb nun wegen Hochverrats und Genozids belangt werden.

Weiter fordert er auf der Website seines Vereins dazu auf, alle Gemeindepräsidenten und Gemeindeschreiber der Schweiz wegen Sklaverei bei der Polizei anzuzeigen.

Vatikan, Freimaurer und Juden

Daneben tauchen auch die üblichen Verdächtigen zahlloser Verschwörungstheorien auf: Der Vatikan sei «Spielmacher» einer jahrtausendealten «satanistischen Agenda», die Freimaurer seine Handlanger.

Und auch Juden spielen in seiner Verschwörungserzählung über «Satanisten und Globalisten» eine Rolle: «Die Zionisten» würden «Körper, Geister und Seelen finanziell abschöpfen», heisst es in einem der ersten Beiträge in seinem Telegram-Chat. Ein vor wenigen Tagen von ihm dort publiziertes einstündiges Video stellt Juden zudem als Pädophile dar, die Ungläubige versklaven wollen.

Icon reagierte nicht auf eine Anfrage um Stellungnahme zu seinen Aussagen.

Von Privatperson gebucht

Wie kam es nun dazu, dass Icon ausgerechnet in einem städtischen Alterszentrum auftreten sollte?

Bei der Stadt zeigt man sich überrascht, als diese Zeitung auf den Kontext der Veranstaltung hinweist. Die Reservation sei durch eine «kulturell tätige Privatperson» erfolgt, heisst es beim Bereich Alter und Pflege. «Es gab keinerlei Anhaltspunkte, dass es sich um eine solche Veranstaltung handeln könnte. Wir wussten einzig, dass es um einen Vortrag für rund 40 Personen geht.»

Der Mehrzweckraum werde regelmässig extern genutzt, die Anlässe dort hätten keine direkte Verbindung zum Alterszentrum. Grundsätzlich würden die Räumlichkeiten aber nicht für politische Veranstaltungen vermietet. Die Reservation sei deshalb nun durch das Alterszentrum Neumarkt storniert worden.

Ob die Veranstalter einen Ersatzort suchen, ist nicht bekannt. Einen Tag vorher will Icon bereits im Raum Luzern auftreten.
(https://www.tagesanzeiger.ch/massnahmengegner-in-winterthur-reichsbuerger-wollte-in-staedtischem-alterszentrum-auftreten-713340243811)
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/guenstige-wohnungen-fuer-millionaere?id=12517868 (ab 03:56)


+++HISTORY
Hindu-Priester in der Schweiz – Spagat zwischen Integration und Tradition | Reporter | SRF
Als 14-Jähriger flüchtete Sasikumar vom Krieg in Sri Lanka alleine in die Schweiz. Als Seelsorger, Mediator und Hindu-Priester schlägt er Brücken zwischen den Kulturen und kümmert sich um die Sorgen und Nöte der tamilischen Diaspora.
https://www.youtube.com/watch?v=_WKjpXtk8KM


Späte Entschuldigung für Bührle-Zwangsarbeiterin
Weil sich die Eltern scheiden liessen, wird Irma Frei als Kind in Heimen zwangsplatziert. Mit 17 Jahren kommt sie in ein Bührle-Heim, wo sie für den erfolgreichen Industriellen Zwangsarbeit leisten muss. Drei Jahre lang muss sie für 5 Franken im Monat schuften, bis sie endlich volljährig ist. Kurz vor Weihnachten hat sich der Enkel von Emil Bührle persönlich bei Irma Frei für das Verhalten seines Grossvaters entschuldigt. Was diese späte Entschuldigung bei der 82-Jährigen auslöst und wie sie ihre Jugend als Zwangsarbeiterin für eine der reichsten Familien der Schweiz erlebt hat, schildert die Zürcherin live im «TalkTäglich».
https://www.telezueri.ch/talktaeglich/spaete-entschuldigung-fuer-buehrle-zwangsarbeiterin-155470725



bernerzeitung.ch 11.01.2024

Streit über Berner Geschichte: Gehört die Burgergemeinde abgeschafft?

Die Fusion von Stadt und Burgergemeinde wäre ein Abschluss der bürgerlichen Revolution, sagt Stadtrat Halua Pinto de Magalhães. Ratskollegin Corina Liebi wirft ihm vor, Geschichte zu instrumentalisieren.

Bernhard Ott

Der Berner Gemeinderat muss eine Strategie zur Vereinigung von Stadt und Burgergemeinde entwickeln. Damit hat ihn der Stadtrat an seiner letzten Sitzung 2023 beauftragt. Auch sollen Reparationen im Sinne einer Anerkennung des «Beitrags der Bernischen Elite in der europäischen Expansion» geprüft werden. Der Vorstoss von SP-Parlamentarier Halua Pinto de Magalhães hat symbolischen Charakter, weil er eine Revision der Kantonsverfassung und des Gemeindegesetzes benötigen würde.

Corina Liebi (GLP) hat im Stadtrat gegen die «hanebüchene» historische Argumentation Stellung genommen. Sie tat dies primär als Historikerin und hat persönlich nichts mit der Berner Burgergemeinde zu tun. Diese Redaktion nahm den Wortwechsel zum Anlass, die beiden zu einem Streitgespräch einzuladen.

Herr Pinto, Sie fordern, dass die Stadt Bern eine Fusion von Stadt und Burgergemeinde und die Bezahlung von Reparationen prüft. Warum?

Halua Pinto de Magalhães: Mein Vorstoss soll Ansporn sein, über die Berner Burgergemeinde nachzudenken. Sie ist aus der äusserst gewalttätigen alten Stadtrepublik Bern hervorgegangen. Wenn man verstehen will, warum heute die Welt so ungleich ist, muss man diese historischen Zusammenhänge benennen. Die Burgergemeinde entscheidet exklusiv über ein Vermögen von über einer Milliarde Franken, obwohl sie Teil der verfassungsrechtlichen Ordnung ist. In meinem Demokratieverständnis ist das fragwürdig. Die Fusion wäre eine konsequente Weiterentwicklung der Idee des Bundesstaates. Es wäre die Vollendung der liberalen Revolutionen des 19. Jahrhunderts.

Corina Liebi: Ich bestreite eine historische Verantwortung von Burgergemeinde und Stadt Bern für das Ancien Régime nicht. Aber der fahrlässige Umgang mit historischen Fakten im Vorstoss und in der Stadtratsdebatte gefällt mir nicht.

Die Burgergemeinde ist verpflichtet, die Erträge aus ihrem Vermögen für das Wohl der Allgemeinheit einzusetzen. Ist das keine ausreichende Legitimation?

Pinto: Es ist schön, dass es diese Wohltätigkeit gibt. Aber unsere Gesellschaft braucht Solidarität. Sie muss kollektiv Verantwortung für Ungleichheit übernehmen und gemeinsam entscheiden, wie man sich gegenseitig hilft. Die Burgergemeinde entscheidet allein, was das Wohl der Allgemeinheit ist.

Liebi: Das tut sie genau gleich wie jede andere NGO auch. Nur ist die Burgergemeinde demokratisch organisiert, auch wenn vielleicht nicht alle Zugang zu ihr haben.

Pinto: Die Berner Burgergemeinde besitzt Ländereien im ganzen Kanton und ein Weingut am Bielersee. Warum ist dem so?

Liebi: Woher hat die Stadt ihr Weingut am Bielersee? Auch Stadt und Kanton haben Ländereien der alten Stadtrepublik übernommen. Wenn man noch weiter zurückgehen möchte, waren viele dieser Güter kirchliche Güter. Man kann ewig in der Geschichte zurückgehen, um Forderungen in der Gegenwart zu legitimieren. Die Frage ist: Was bringt das? Was wäre der Nutzen einer Abschaffung der Burgergemeinde?

Im Vorstoss wird auch die Forderung nach Reparationen erhoben. Worum geht es konkret?

Pinto: Ein erster Schritt in Sachen Reparationen wäre es, wenn die Berner Burgergemeinde anerkennt, dass sie sich auch nach der Gründung des Bundesstaates 1848 aktiv gegen die neue Ordnung gewehrt hat. Der Burgernutzen in Form von Brennholz und einem Anteil am Gewinn des burgerlichen Gutes wurde erst 1888 abgeschafft. Heutzutage dominiert die Burgergemeinde zum Glück nicht mehr. Aber der Habitus der geschlossenen Gesellschaft wird etwa in den Zünften nach wie vor zelebriert. Man wächst hinein und lernt, dass die Zunft ein besonderer Ort ist. Das kann man privat leben, aber sicher nicht in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft.

Liebi: Warum sprechen Sie eigentlich von Reparationen? Ich verstehe unter Reparationen zwischenstaatliche Vereinbarungen über Entschädigungen nach Kriegen. Was ist überhaupt ihre Forderung?

Pinto: Sie argumentieren komplett ausserhalb des aktuellen Diskurses, wie er etwa im 2018 verfassten Bericht von Felwine Sarr zuhanden des französischen Staatspräsidenten über die Restitution afrikanischer Kulturgüter zum Ausdruck kommt. Ihr verengtes Begriffsverständnis ist schon fast naiv.

Liebi: Nochmals: Was verstehen Sie unter Reparationen?

Pinto: Mir geht es um eine gesellschaftspolitische Wiedergutmachung durch Anerkennung historischer Fakten. Ich möchte das aktuelle Selbstverständnis der Schweiz hinterfragen.

Frau Liebi wirft Ihnen eine unwissenschaftliche Herangehensweise vor. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Pinto: Das nehme ich in Kauf. Ich bin Politiker, nicht Historiker. Wegen der grossen zeitlichen und räumlichen Verflechtungen ist der etwas leichtfertige Umgang mit historischen Zusammenhängen gerechtfertigt, wenn man verstehen will, warum es heute Racial Profiling oder ein europäisches Grenzregime gibt.

Liebi: Sie vertreten postkoloniale Theorien. Das ist ihr gutes Recht. Aber als Historikerin habe ich die Aufgabe, gegen die Instrumentalisierung von Geschichte einzustehen. Historische Fakten müssen immer in der Zeit beleuchtet werden, in der sie entstanden sind.

Ist Geschichte ein Selbstbedienungsladen, um aktuelle politische Ziele zu begründen?

Pinto: Nein. Ich versuche zu verstehen, wie Kategorien wie «Geschlecht» und «Rasse» entstanden sind. Das sind ja nicht wirklich biologische Kategorien. Die Naturphilosophie der Aufklärung war nur scheinbar wissenschaftlich. De facto war es ein Denksystem, das es ermöglichte, die Menschheit in verschiedene Kategorien einzuteilen. Warum sind diese Kategorien bis heute derart wirkmächtig? Warum unterscheiden viele Leute auch heute noch nach Herkunft?

Liebi: Saubere historische Arbeit würde darin bestehen, für die eigene These Argumente pro und kontra zu finden und daraus begründete Schlüsse zu ziehen. Das passiert mir bei Ihrer Argumentation zu wenig. Zudem ist mir nicht klar, warum die Anerkennung einer historischen Verantwortung für das Ancien Régime zur Abschaffung der Burgergemeinde führen soll. Stützen Sie sich bloss auf die postkoloniale Theorie?

Pinto: Nein, es geht auch um die historische Ungerechtigkeit, die zur Anhäufung des burgerlichen Vermögens geführt hat. Mit dem Ausscheidungsvertrag von 1852 wurde das Vermögen zwischen Stadt und Burgergemeinde zugunsten Letzterer vorgenommen. Das steht aber im Widerspruch zum Gleichheitsprinzip der Bundesverfassung von 1848.

Inwiefern?

Pinto: Die Existenz der Burgergemeinde ist das Resultat einer Auseinandersetzung zwischen dem alten Regime und den neuen liberalen Kräften. Um Eskalationen zu verhindern, wollte man die alte Herrschaft in die neue einbinden. Ich kann das nachvollziehen. Aber ich kann nicht verstehen, warum das heute noch erhaltenswert sein soll.

Liebi: Der Burgergemeinde vorzuwerfen, ihre Existenz sei nicht rechtsstaatlich und gegen die Verfassung, ist unlauter. Die Aufteilung der Vermögen im Ausscheidungsvertrag von 1852 ist das Resultat von Verhandlungen zwischen Einwohner- und Burgergemeinde. Das Volk hat 1993 eine Verfassungsrevision, welche die Abschaffung der Burgergemeinden beinhaltete, abgelehnt. Die Burgergemeinde ist demokratisch und rechtsstaatlich so lange legitimiert, wie es ihr gelingt, der Mehrheit der Stimmberechtigten ihren Nutzen aufzuzeigen. Bisher ist ihr das offenbar gelungen, sonst wäre sie längst abgeschafft.

Pinto: Ich habe nie gesagt, die Existenz der Burgergemeinde sei nicht rechtsstaatlich legitimiert. Ich frage bloss, wer die Vertreter waren, die den Ausscheidungsvertrag bestimmt hatten? Es gab eine burgerliche Mehrheit, die das entschieden hat.

Liebi: Ich könnte auch die heutigen Entscheide der Stadt infrage stellen, weil mir als Grünliberale die politischen Mehrheitsverhältnisse nicht passen. Aber die Anerkennung von Mehrheitsentscheiden gehört zur Demokratie. Da kann ich nicht in zwanzig Jahren kommen und sagen: «Die Leute hatten damals eine falsche Meinung. Daher ist dieser Entscheid nicht mehr richtig.» Es geht doch um historische Fakten.

Pinto: Die Demokratie hat sich weiterentwickelt. Die Frauen waren bis 1971 vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen. Heute ist ein Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung aufgrund eines anderen Passes vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen. Da kann man sich in zwanzig Jahren doch fragen, ob wir heute eine Demokratie haben oder nicht?

Dann wird in zwanzig Jahren die Forderung nach Reparationen für die ausländische Wohnbevölkerung erhoben, die heute kein Stimm- und Wahlrecht hat?

Pinto: Das ist durchaus denkbar.

Liebi: Aber warum braucht es dafür eine historische Argumentation? Man kann in fünfzig Jahren auch einfach feststellen, dass man diese Frage neu regeln muss. Man kann die Vergangenheit nicht für aktuelle politische Entscheide instrumentalisieren.

Pinto: Das ist keine Instrumentalisierung. Je nachdem, wo auf der Welt man geboren ist, hat man unterschiedliche Startbedingungen. Einverstanden?

Liebi: Einverstanden.

Pinto: Hat das historische Gründe?

Liebi: Es ist natürlich durch historische Begebenheiten bedingt. Aber darum muss es heute doch unser Ziel sein, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit Unterstützung zu leisten. Das legitimiert doch nicht die willkürliche Abschaffung von Institutionen wie der Berner Burgergemeinde.

Pinto: Doch, das tut es. Die Entstehung der Banken in der Schweiz hat viel mit der Entwicklung des Kapitalismus zu tun. Die Geschichte des Kapitalismus ist eng mit der Geschichte der europäischen Elite verknüpft, zu der ich die Berner Burgergemeinde zähle. Die aristokratischen Herrschaftssysteme im Europa der frühen Neuzeit prägen unsere Wahrnehmung der Welt bis heute.
(https://www.bernerzeitung.ch/bern-gehoert-die-burgergemeinde-abgeschafft-373744856090)



nzz.ch 11.01.2024

Sie hatten ein Herz für Notleidende und wurden zu Kindervermittlern – die zweifelhafte Rolle von Terre des hommes im Geschäft mit Adoptionen

Hunderte von Menschen leiden darunter, dass sie als Kinder adoptiert wurden. Dass es so weit kommen musste, liegt auch an Edmond Kaiser. Das zeigen neue Forschungen.

Erich Aschwanden

«So adoptiert man ein Vietnamkind», titelte die «Schweizer Illustrierte» im April 1973. «Bei uns ging es 16 Monate, bis das Kind da war», erklärte der Vater der dreijährigen Patrizia im Artikel. Ein Brief an Terre des hommes, eine Befragung am Zentralsitz des Kinderhilfswerks sowie die Einreichung diverser Dokumente genügten, und Familie Renggli kam zu ihrem Wunschkind. Fünf Monate nach der ersten Kontaktaufnahme kam die Einwilligung der Erziehungsdirektion Basel-Landschaft. Den Rest erledigte in Saigon ein Advokat von Terre des hommes für 600 Franken.

Dass Rengglis und Hunderte weitere Familien am Anfang ohne grosse Probleme ein Kind adoptieren konnten, war in vielen Fällen vor allem einem Mann zu verdanken: Edmond Kaiser. Der Gründer von Terre des hommes (TDH) beeinflusste mit seinen Hilfsaktionen und seinem Lobbying die Haltung der Schweiz zu diesem Thema massiv. Das von ihm 1960 gegründete Kinderhilfswerk diente dabei als Werkzeug. Dies zeigen Forschungen, die sich mit dem Leid auseinandersetzen, das solche Adoptionen ausgelöst haben.

Adoption als «Willkommen auf Lebenszeit»

Unbestritten ist, dass der 1914 in Paris geborene ehemalige Résistance-Kämpfer ein riesiges Herz für die Notleidenden hatte. Zweifelhaft waren hingegen die Methoden des Aktivisten, der seit 1947 in der Schweiz wohnte. Kaiser trat wiederholt in den Hungerstreik, um Regierungen unter Druck zu setzen. Polemik war ihm keineswegs fremd. So rief er 1986 zur Ermordung des südafrikanischen Präsidenten Pieter Willem Botha auf, um dem rassistischen Apartheidregime ein Ende zu bereiten.

Bereits in seiner ersten Mission zu der Rettung von Kindern im algerischen Unabhängigkeitskrieg (1954–1962) sah Kaiser in Adoptionen den Königsweg. Um Kinder in die Schweiz zu bringen, nahm Terre des hommes gegen den Widerstand des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) direkte Verhandlungen mit der französischen Armee auf. Kaiser organisierte zwischen 1961 und 1963 mehrmals die Reise von Kindergruppen in die Schweiz. Insgesamt nahm die Schweiz 574 Kinder aus Algerien auf.

Ursprünglich sollten diese Kinder nur vorübergehend in der Schweiz untergebracht werden. Doch viele Gastfamilien adoptierten schliesslich die Kinder. «Diese Adoptionen nannte Edmond Kaiser ‹Willkommen auf Lebenszeit›», schreibt Fábio Macedo. Der Historiker hat die Tätigkeiten des Hilfswerks von 1960 bis 1969 untersucht. Diese rhetorische Verbiegung habe es TDH ermöglicht, sein Programm in Einklang mit dem vermeintlich humanitären Charakter der Intervention zu gestalten und «somit die Aufmerksamkeit von ihrem nicht ganz legalen Aspekt abzulenken».

Verschiedene Faktoren sorgten dafür, dass sich das Programm rasch durchsetzte. Zu Beginn der 1960er Jahre waren Adoptionen in der Schweiz rechtlich schlecht geregelt. Sie basierten auf dem Zivilgesetzbuch von 1907, als Adoptionen aus dem Ausland noch kein Thema waren. Die TDH-Anwälte argumentierten häufig erfolgreich mit der Annahme, dass eine Adoption «gerecht» und «nicht schädlich» für ein ausländisches Kind sei, das vorher während Monaten oder gar Jahren in der Schweiz aufgenommen gewesen sei.

Dazu kam eine ständig wachsende Nachfrage. Die Zahl der zur Adoption freigegebenen Kinder war in der Schweiz bereits 1963 geringer als die Zahl der interessierten Familien. «Kaiser schien auch ein Gespür für die Argumente kinderbedürftiger Paare zu haben, ebenso wie für deren finanzielle Unterstützung für die von TDH unterstützte Sache», stellt Macedo fest.

Edmond Kaiser wurde rasch bekannt und wusste beim Thema Adoption von Kriegskindern weite Teile der Öffentlichkeit hinter sich. Andere humanitäre Organisationen und die Bundesbehörden störten sich am offensiven Vorgehen von TDH. Sie legten den Finger darauf, dass das humanitäre Engagement des Kinderhilfswerks eine düstere Kehrseite habe. So schildert Macedo den Fall eines Kindes, das im Alter von einem Jahr aus Algerien adoptiert wurde. Seine Mutter erkundigte sich bei den Behörden immer wieder nach ihrem Kind, das im Kanton Waadt neue Eltern gefunden hatte. Bemühungen, das Kind zurückzuführen, scheiterten während langer Zeit.

Dieser und ähnlich gelagerte Fälle führten zu einem Machtkampf zwischen dem TDH-Gründer und dem Bundesrat. Während des Vietnamkriegs kam es zum Eklat. 1965 erfuhr Kaiser, dass amerikanische Hilfsorganisationen rund 25 000 obdachlose Kinder retten wollten, indem sie für sie Adoptiveltern im Westen suchten. Daraufhin entwickelte er einen eigenen Aktionsplan, gemäss dem Kinder aus Spitälern und Waisenhäusern zur Intensivpflege oder Adoption nach Europa geschickt werden sollten.

Weil das Eidgenössische Politische Departement (heute Aussendepartement) und die Eidgenössische Fremdenpolizei die Zustimmung verweigerten, musste Terre des hommes das Adoptionsprogramm auf Eis legen. Dennoch wollte das Hilfswerk einige Kinder immerhin zur medizinischen Betreuung in die Schweiz holen. Als am 20. Mai 1966 eine erste Gruppe von 34 Kindern aus Vietnam am Genfer Flughafen eintraf, verweigerte die Fremdenpolizei 13 von ihnen die Einreise. Begründet wurde die konsequente Haltung damit, dass es sich nicht um im Krieg verletzte, sondern um kranke Kinder handle.

Was ursprünglich eine Demonstration der Standhaftigkeit Berns sein sollte, entwickelte sich zum Fiasko: Medien aus aller Welt berichteten über die «herzlosen Schweizer Behörden». Es hagelte Kritik aus dem Aus- und dem Inland, Kaiser freundlich gesinnte Parlamentarier schalteten sich ein. Vier Tage später krebsten die Behörden an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit TDH zurück und erlaubten allen vietnamesischen Kindern die Einreise. Gemäss Macedo verdächtigten die Behördenvertreter das Kinderhilfswerk, den Vorfall inszeniert zu haben, um sich als Opfer ausgeben zu können. Diese Vermutung konnte nie bewiesen werden.

Terre des hommes sei gestärkt aus dieser Affäre hervorgegangen und habe in der Folge einen direkten Draht zum Aussendepartement gehabt, stellt Macedo in seiner Analyse fest. Wie nahe Edmond Kaiser den Bundesbehörden stand, zeigte sich 1973. Damals lud Kaiser Bundesrat Pierre Graber, den Vorsteher des Politischen Departements, ein, persönlich bei der Ankunft von Adoptivkindern aus Bangladesh am Flughafen in Genf anwesend zu sein.

Das Kinderhilfswerk wurde in den ersten zehn Jahren seines Bestehens zum Schlüsselakteur und Taktgeber in Sachen Adoptionen. «Terre des hommes hat es geschafft, sowohl die interne Politik der Schweiz in Bezug auf die Adoption von Kindern als auch die externe Politik in Bezug auf humanitäre Hilfe zu beeinflussen», stellt Macedo fest. Deutlich zu spüren war dieser Einfluss auch bei der umfassenden Revision des Adoptionsrechts im Jahr 1972. Mit ihr wurde unter anderem die Adoption von ausländischen Kindern aus humanitären Gründen standardisiert.

Kaisers Forcierung von Auslandsadoptionen führte zu Konflikten nicht nur mit den Behörden, sondern auch innerhalb von Terre des hommes. 1972 spaltete sich deshalb die Organisation. Eine Gruppe um Kaiser rief den gleichnamigen Verein ins Leben, der 1988 in eine Stiftung umgewandelt wurde. Bis heute existieren unter dem Namen Terre des hommes die Stiftung Terre des hommes – Kinderhilfe mit Sitz in Lausanne sowie Terre des hommes Schweiz mit je einem Sitz in der Deutschschweiz und in der Westschweiz.

Kaiser machte mit seinem Zweig weiter wie bisher. Nach Vietnam geriet mit Sri Lanka ein weiteres asiatisches Land in sein Blickfeld. Bei der Vermittlung von Kindern aus dem von einem Bürgerkrieg erschütterten Land «haben der Verein und die spätere Stiftung Terre des hommes eine fragwürdige Rolle gespielt», schreiben die Autorinnen Sabine Bitter, Annika Bangerter und Nadja Ramsauer in ihrer Untersuchung zu Adoptionen aus Sri Lanka in den Jahren 1973 bis 1979.

Auch im Fall von Sri Lanka war es die Eidgenössische Fremdenpolizei, die Kaisers Plänen anfänglich kritisch gegenüberstand. «Ihre Absicht beunruhigt uns», schrieb ein Vertreter dieser Behörde, als Kaiser 1976 Adoptionen einfädeln wollte für einige der zweihundert Paare, die auf der Warteliste von Terre des hommes standen. Es dauerte schliesslich vier Jahre, bis Terre des hommes offiziell Kinder aus Sri Lanka vermitteln durfte.

Doch im Vergleich mit anderen Akteuren war TDH auf der Insel wenig erfolgreich. Terre des hommes Schweiz erklärte, dass das Hilfswerk überhaupt keine Kinder aus Sri Lanka zur Adoption in die Schweiz gebracht habe. Die Stiftung Terre des hommes in Lausanne gibt an, lediglich fünf Kinder vermittelt zu haben. Bei zwei dieser fünf Adoptionsfälle kam es zu Unregelmässigkeiten im Verfahren.

Gemäss den bisherigen Forschungsergebnissen war Kaiser bemüht, die zahlreichen Adoptionen legal abzuwickeln. So liess er 1976 das Büro des Hilfswerks in Bogotá umgehend schliessen, als die kolumbianischen Behörden der lokalen TDH-Vertreterin die Bewilligung für die Vermittlertätigkeit entzogen. Auch war TDH dafür bekannt, möglichst günstige Adoptionen zu ermöglichen. Kaiser weigerte sich, «diesen für den Heimatstaat devisenbringenden Forderungen nachzugeben und vor allem eine Kategorie von wohlhabenden Schweizern zu bevorzugen», stellte ein Vertreter der Eidgenössischen Fremdenpolizei 1978 fest. Deshalb bekomme Terre des hommes in Sri Lanka fast keine Kinder mehr zugeteilt.

Wohltäter mit zwei Gesichtern

Als Edmond Kaiser am 4. März 200o starb, würdigten ihn gleich zwei Mitglieder der Landesregierung. Bundesrat Joseph Deiss lobte die «menschliche Dimension» seines Engagements, das «Vorbild für die schweizerische humanitäre Politik» sei. Bundesrätin Ruth Dreifuss erklärte, Kaiser habe zwei seltene Eigenschaften vereint: einen «heiligen Zorn und gleichzeitig Milde und Zärtlichkeit».

Die negativen Folgen von internationalen Adoptionen waren damals kaum ein Thema und gerieten erst in den vergangenen Jahren in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit. Im vergangenen Dezember bedauerte der Bundesrat, «dass es die schweizerischen Behörden trotz gewichtiger Hinweise unterlassen hatten, angemessene Massnahmen dagegen zu ergreifen».

Was Terre des hommes zu diesem traurigen Kapitel der Schweizer Geschichte beigetragen hat, ist bis jetzt nur in Ansätzen bekannt. «Es wäre sehr interessant für die künftige Forschung zu untersuchen, welche Rolle diese und andere Vermittlungsagenturen gespielt haben», sagt Nadja Ramsauer. Die Professorin, die an der ZHAW Soziale Arbeit tätig ist, hat internationale Adoptionen aus Sri Lanka und zehn weiteren Ländern untersucht.

Dieser Artikel basiert auf folgenden Untersuchungen:

Fábio Macedo: Humanitäre Hilfe und Adoption ausländischer Kinder in der Schweiz. Der Fall Terre des hommes (1960–1969).

Sabine Bitter, Annika Bangerter, Nadja Ramsauer: Zur Praxis der privaten Vermittlungsstellen und der Behörden. Winterthur 2020.

Nadja Ramsauer, Rahel Bühler, Katja Girschik: Hinweise auf illegale Adoptionen von Kindern aus zehn Herkunftsländern in der Schweiz, 1970er bis 1990er Jahre.
(https://www.nzz.ch/schweiz/wenn-aus-gutmenschen-menschenhaendler-werden-die-zweifelhafte-rolle-von-terre-des-hommes-bei-adoptionen-ld.1769755)