Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++BERN
Bern als «sicheren Hafen»
Heute Abend debattiert der Stadtrat über ein Postulat, welches fordert, dass die Stadt Bern zu einem sicheren Hafen wird. Die Idee geht zurück auf die zivilgesellschaftliche Bewegung Seebrücke, die 2018 in Deutschland gegründet wurde und seit einigen Jahren auch in der Schweiz aktiv ist.
Die Alternative Linke Bern versteht sich als parlamentarischer Arm von solchen Bewegungen. Ihr Stadtrat David Böhner erklärt, dass der Stadt zwar in vielen Fällen die Hände gebunden seien – Migration und Asyl sind auf nationaler Ebene geregelt. «Doch die Stadt Bern könnte beispielsweise im Schweizerischen Städteverband aktiv werden und gegenüber dem Bund einfordern, dass die Stadt direkt Geflüchtete aufnehmen kann», betont er.
https://rabe.ch/2023/03/02/bern-als-sicheren-hafen/
TRAKTANDEN STADTRATSSITZUNG 02.03.2023:
Postulat Fraktion SP/JUSO (Katharina Altas, SP) – übernommen durch Nora Krummen (SP): Direktaufnahme von Geflüchteten aus Seenotrettungen
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=9b393be5872349cda8055191075d4e8e
Postulat Tabea Rai (AL), Eva Gammenthaler (AL), Katharina Altas (SP), Zora Schneider (PdA), Mohamed Abdirahim (Juso), Simone Machado (Gap): Die Stadt Bern wird «Sicherer Hafen»
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=fbc7e0f4a10c44f084f1b0abf29f1c43
Motion Zora Schneider (PdA) – übernommen durch Matteo Micieli (PdA): Sinnvolle und menschliche Zahnmedizin für Flüchtlinge mit Nothilfe
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=c66ea233404c4117a9d3df6cf7478539
Motion Zora Schneider (PdA) – übernommen durch Simone Machado (GaP): Gleichbehandlung aller Menschen. Sozialhilfe statt Nothilfe für Geflüchtete!
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=e73310db550d441da94104498db93a8c
Motion Fraktion AL/PdA (Matteo Micieli, PdA /Tabea Rai, AL): Schaffen wir das? Wir brauchen eine Kommission für Migration und Flucht!
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=832c39b456f14231900723bdf93260d9
–
Kann auch im Kanton Bern ein Fall Windisch eintreten?
49 Mieterinnen und Mieter verlieren ihre Wohnung, damit in Windisch ein neues Asylzentrum entstehen kann. Kann im Kanton Bern Ähnliches passieren? Nicht unmittelbar, sagt Gundekar Giebel, Mediensprecher der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion. Aber: Grenzenlos seien die Möglichkeiten nicht.
https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/kann-auch-im-kanton-bern-ein-fall-windisch-eintreten-150332379
—
bernerzeitung.ch 02.03.2023
Wohlens Gemeindepräsident entsetzt: Rotes Kreuz bereichert sich an Asylwohnungen
Das Schweizerische Rote Kreuz vermietet Wohnungen mit massiven Aufschlägen an Asylsuchende. Nun will der Kanton maximale Margen vorgeben.
Christoph Hämmann
Für solche Wohnungen ist wohl die Bezeichnung «funktional» erfunden worden: Alt, schmucklos, getäferte Decken und Wände, Spannteppiche; alles da, was es braucht. Besucherinnen und Besucher ziehen bei Judi Ali und seiner Familie die Schuhe vor der Wohnung aus, da werden keine Ausnahmen gemacht.
Der 29-Jährige teilt sich die einfache 2,5-Zimmer-Wohnung mit seiner Frau, der gemeinsamen 3,5-jährigen Tochter und seinem Bruder. Sie wohnen im zweiten Stock des Abwartshauses neben der Primarschule Wohlen, in dem auch die Basisstufe untergebracht ist. Als Judi Ali und sein Bruder eine Festanstellung gefunden hatten und nicht mehr zum Bezug von Asylsozialhilfe berechtigt waren, traf sie der Schock: 1964 Franken für die kleine Wohnung? «Das hätten wir unmöglich bezahlen können», sagt Judi Ali.
Nachdem er sich in seiner Verzweiflung an seinen Nachbarn, den Schulhausabwart, gewandt hatte und dieser auf der Gemeindeverwaltung nachfragte, reagierte dort auch Gemeindepräsident Bänz Müller (SP) schockiert. Schliesslich vermietete die Gemeinde die Wohnung für 807 Franken an das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) des Kantons Bern. Konnte es wirklich sein, dass das SRK sie mit einem Aufpreis von 143 Prozent untervermietete?
Zweite Wohnung mit hohem Aufpreis untervermietet
Müllers Verdacht stimmte. Mehr noch: Auch bei einer weiteren Wohnung, die von der Gemeinde Wohlen günstig an das SRK vermietet wurde, schlug dieses bei der Untervermietung eine Marge von 41 Prozent drauf. Damit zog das SRK laut den Berechnungen von Gemeindepräsident Müller in den 29 Monaten, in denen das SRK Wohlens Vertragspartner war, aus der Untervermietung der beiden Wohnungen einen Gewinn von gut 45’000 Franken.
Abgesehen von der Empörung darüber, dass sich das SRK mit zwei Wohnungen seiner Gemeinde bereicherte, stellt Müller die Frage, wer mit diesem Vorgehen tatsächlich geschädigt werde – und beantwortet sie gleich selber: «Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.» Er sei «entsetzt», schrieb Müller dem SRK und fragte, wann dieses die 45’000 zu viel eingezogenen Franken an den Kanton zurückzahlen werde.
In seiner Antwort argumentiert das SRK, dass es bei der Miete und Untervermietung von Wohnungen für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene als «Liegenschaftsverwaltung und Immobilienbewirtschafter» handle. «Dabei haben die meisten Vermieter Verständnis, dass wir die Miete nicht einfach 1:1 an die Klientel weitergeben» – schliesslich trage das SRK unter anderem die Kosten für Vermittlung, Übergabe, Abnahme oder allfällige Räumung von Wohnungen sowie einen Leerstand von 5 Prozent, damit man bei Bedarf rasch über Ersatzwohnungen verfüge.
Es gehe deshalb nicht darum, so das SRK in seiner Antwort an die Gemeinde Wohlen, «Gewinn zu erzielen, sondern dass unsere Kosten gedeckt sind und das Risiko tragbar ist». Gemeindepräsident Müller dagegen kann über die meisten Argumente des SRK «nur den Kopf schütteln», wie er im Gespräch erklärt: «Wenn es um die Bildung von ‹Rückstellungen› ginge, müsste dies wenn schon über die Asylsozialhilfe finanziert werden, nicht über die Miete.»
Abgeschlossene Lehre, feste Stelle, B-Ausweis
Judi Alis Geschichte taugt als Lehrbeispiel für erfolgreiche Integration. Als staatenloser Kurde in Syrien aufgewachsen, floh er 2012 als 18-Jähriger aus dem Land, in dem Machthaber Bashar al-Assad im Jahr davor einen Bürgerkrieg losgetreten hatte, in dessen Folge er regelmässig kurdische Städte bombardieren liess. Zu Beginn des Kriegs hatte das Assad-Regime Kurdinnen und Kurden mit Pässen ausgestattet, um sie fürs Militär aufbieten zu können – was eine grosse Flüchtlingsbewegung zur Folge hatte. Nach drei Jahren in der Türkei, wo er zwar arbeiten konnte, nicht aber Kurdisch sprechen oder sich als Kurde ausgeben durfte, flüchtete Ali Ende 2015 mit dem Boot nach Griechenland und auf dem Landweg weiter in die Schweiz.
Zusammen mit seinem Bruder kam Ali in Basel an und lebte erst drei Monate im Asylzentrum Interlaken, danach 16 Monate in der Notunterkunft in Rubigen. Im Rahmen eines privaten Integrationsprogramms konnten die beiden Brüder danach in einer Wohngemeinschaft in Wohlen einziehen, wo sie sich zwei Jahre lang ein Zimmer teilten. Nach ihrer Flucht in die Schweiz lebte auch Alis Frau ein halbes Jahr lang in der Wohlener WG, ehe die Heilsarmee – damals noch für die Asylbetreuung in Wohlen zuständig und Vertragspartnerin der Gemeinde – den dreien die Wohnung neben dem Schulhaus zuwies.
2019 begann Ali, der inzwischen Deutsch auf Niveau B1 beherrschte, in der Technischen Fachschule Felsenau in der Stadt Bern eine Schnupperlehre. Im gleichen Jahr konnte er dort die reguläre Lehre als Metallbauer antreten, nach deren Abschluss er temporär arbeitete. Seit Sommer 2022 hat er eine feste Stelle als Werkstattmitarbeiter bei der Müller Kamine AG in Ittigen, aktuell bildet er sich in einem Schweisserkurs weiter. Nach dem Ausweis F für vorläufig Aufgenommene, den er nach zwei Jahren in der Schweiz erhielt, verfügt er inzwischen über einen B-Ausweis für anerkannte Flüchtlinge.
Wären Ali und seine Familie nicht so gut integriert, dass sie bei Problemen zu den Nachbarn gehen: Der Fall wäre vielleicht gar nie aufgeflogen. Dennoch mag Ali das SRK nicht zu stark kritisieren: «Das SRK hat uns in vielen Bereichen geholfen. Dafür sind wir in erster Linie dankbar.»
Rotes Kreuz überprüft Wohnungsportfolio
Bei Gemeindepräsident Müller hingegen hallen Frust und Enttäuschung nach – auch wenn er die beiden Mietverträge mit dem SRK per Ende November 2022 aufgelöst hat, gleich nach Bekanntwerden der Fälle. Die kantonale Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) von Regierungsrat Pierre Alain Schnegg solle wissen, dass mit Asylwohnungen Geld verdient wird, findet Müller.
Allerdings weiss die GSI bereits Bescheid, wie aus deren Antworten auf die Fragen dieser Zeitung hervorgeht: «Diese Praxis ist uns bekannt, jedoch nicht die Höhe des Aufschlags im Einzelfall.» Wie das SRK hält die GSI fest, dass das Ziel «explizit nicht» sei, «Gewinn zu erwirtschaften, sondern kostendeckend zu arbeiten». Da bei Wohnungen für Menschen in der Asyl- oder der Sozialhilfe örtlich definierte Mietzinslimiten gälten, könne nicht bei allen Objekten ein Aufschlag erhoben werden.
Darauf verweist auch das SRK. Man bewerte das ganze Portfolio und nicht einzelne Wohnungen, schrieb es der Gemeinde Wohlen: «Es ist zum Teil eine Quersubventionierung, da wir auf vielen Wohnungen eine zu tiefe Marge haben, damit wir kostendeckend sind.» Zur Marge von 143 Prozent bei der 2,5-Zimmer-Wohnung fand das SRK, dass diese «relativ hoch» scheine – und dies, obwohl man die zulässige Limite nicht voll ausgenützt habe.
Kritischer bewertet die GSI den Aufpreis und hält fest, dass dieser «im vorliegenden Fall sicher zu hoch» sei. Das SRK habe deshalb sein «Gesamtportfolio nochmals überprüft», und auch das GSI will handeln: «Wir sehen vor, eine Vorgabe zur maximalen Höhe der Aufschläge zu machen.»
Durchschnittlicher Aufschlag beträgt 25 Prozent
In der Region Bern-Mittelland umfasst das Portfolio des SRK 160 Wohnungen. Die durchschnittliche Marge, mit der es diese laut übereinstimmender Auskunft von SRK und GSI weitervermietet, ist bemerkenswert: 25 Prozent. Ein derart massiver Aufschlag, ohne dass ein Gewinn resultiert? Richtig, schreibt das SRK: «Im Jahr 2021 erzielte das SRK Kanton Bern in diesem Bereich einen kleinen Gewinn, und das Jahr 2022 wird voraussichtlich mit einem Verlust abschliessen.»
Den Vorwurf, Steuerzahlerinnen und -zahler über Gebühr zu belasten, weist das SRK deshalb als «unsachlich» zurück. Damit lässt Wohlens Gemeindepräsident Müller die Sache aber nicht auf sich beruhen. In der Frühlingssession des Grossen Rats, die am kommenden Montag beginnt, reicht er eine Interpellation ein, mit der er vom Kanton detaillierte Antworten verlangt.
Derweil bezahlt Judi Ali seine Miete nun praktisch zu den alten Konditionen direkt an die Gemeinde Wohlen. Sein Traum sei es, für immer in der Schweiz zu bleiben, sagt Ali, und dass seine Frau eine Ausbildung machen könne und danach eine Stelle finde.
(https://www.bernerzeitung.ch/rotes-kreuz-bereichert-sich-an-asylwohnungen-299509826008)
+++AARGAU
Fall Windisch: Gemeinderat zieht Lehren aus den turbulenten Tagen
Die geplante Flüchtlingsunterkunft in Windisch sorgte in den letzten Tagen schweizweit für Schlagzeilen. Inzwischen hat sich der Kanton entschuldigt und sucht zusammen mit der Gemeinde und der Liegenschaftsbesitzerin nach Lösungen. Die Gemeindepräsidentin Heidi Ammon zieht Bilanz.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/fall-windisch-gemeinderat-zieht-lehren-aus-den-turbulenten-tagen?id=12345070
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/umstrittene-asylunterkunft-windisch-infoanlass-und-kundgebung?id=12344908
-> https://www.tagesanzeiger.ch/warum-windisch-so-viel-empoerung-verursachte-708837743732
-> https://twitter.com/marko_kovic/status/1631277272400289792
-> https://www.blick.ch/politik/nach-fall-windisch-muessen-aargauer-mieter-jetzt-das-asyl-notrecht-fuerchten-id18362769.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/windisch-ag-mieter-durfen-nach-rauswurf-etwas-langer-bleiben-66434913
-> https://www.blick.ch/news/kaum-hoffnung-auf-loesung-viele-traenen-beim-mieter-treffen-in-windisch-ag-id18361730.html
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/gnadenfrist-fuer-mieter-in-windisch-150352439
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/wasser-auf-die-muehle-der-svp-150352443
-> https://www.telem1.ch/aktuell/gutes-gespraech-so-erlebten-die-betroffenen-mieter-den-info-anlass-in-windisch-150352131
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/wasser-auf-die-muehle-der-svp-150352443
-> https://www.telem1.ch/aktuell/gutes-gespraech-so-erlebten-die-betroffenen-mieter-den-info-anlass-in-windisch-150352131
-> https://www.20min.ch/story/besorgte-mieter-ein-reuiger-kanton-und-keine-offizielle-loesung-das-ist-bisher-bekannt-372376250651
7000 freie Flüchtlings-Plätze – wieso müssen Mieter aus Wohnungen?
In Windisch AG müssen 49 Mietparteien einer Asylunterkunft weichen. Es gibt Kritik, denn: In der Schweiz gibt es noch über 7000 freie Flüchtlings-Plätze.
https://www.nau.ch/news/schweiz/7000-freie-fluchtlings-platze-wieso-mussen-mieter-aus-wohnungen-66435538
+++LUZERN
SVP-Kantonsrätin reicht Motion ein – Fall Windisch: Nun wird die Luzerner Politik aktiv
In Windisch (Aargau) wurden mehrere Wohnhäuser zu Asylunterkünften umgenutzt. Das sorgte für heftige Kritik. Nun wird auch die Politik in Luzern aktiv.
https://www.zentralplus.ch/politik/fall-windisch-nun-wird-die-luzerner-politik-aktiv-2524887/
+++OSTSCHWEIZ
tagblatt.ch 02.03.2023
Müssen auch in der Ostschweiz Mieter wegen Asylsuchenden ausziehen? Das sagen die Kantone
In den vergangenen Tagen gab es Berichte, wonach Mieterinnen und Mieter ihre Wohnung zugunsten von Flüchtenden räumen mussten. In St. Gallen, Thurgau und den beiden Appenzell sind solche Szenarien derzeit nicht denkbar.
Rossella Blattmann und Renato Schatz
Die Aufregung rund um die Aargauer Gemeinde Windisch war Anfang Woche gross: Eine private Immobilienfirma soll sozial eher benachteiligten Mieterinnen und Mietern gekündigt haben, damit der Kanton in den Wohnungen Asylsuchende unterbringen kann. Inzwischen wurde bekannt, dass die Bewohner ohnehin hätten ausziehen müssen. Weil zudem in der Zürcher Gemeinde Seegräben einem langjährigen Mieter gekündigt wurde, um Flüchtende beherbergen zu können, entstand in den vergangenen Tagen eine grosse Diskussion um die Unterkünfte von Asylsuchenden.
Wie sieht es in der Ostschweiz aus? Gab es derartige Wohnungskündigungen auch im Kanton St. Gallen, in Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden oder im Thurgau?
«Es herrscht kein Notstand»
«Nein», schreibt das zuständige Sozialamt des Kantons Thurgau. «Im Moment finden die Gemeinden noch genügend geeignete Wohnungen auf dem freien Immobilienmarkt.» Noch. Einfach ist die Situation folglich nicht. Die Lage sei tatsächlich «angespannt», schreibt der Kanton denn auch. Doch es herrsche kein Notstand.
Auch Appenzell Ausserrhoden betont, dass «kein Notstand betreffend Unterbringung» vorliege. Der Kanton schliesst sogar aus, in Zukunft Kündigungen auszusprechen, um Wohnraum für Flüchtende zu schaffen. Die Planung erfolge «auf der Basis von verfügbarem Wohnraum».
«Es herrscht kein Notstand», heisst es ebenfalls aus Appenzell Innerrhoden. Gleichwohl räumt das Sozialamt ein: «Die hohe Zahl an Geflüchteten fordert alle involvierten Stellen im Kanton stark.» Aktuell könnten aber «sämtliche Herausforderungen gut gemeistert» werden.
Massnahme beeinträchtigt Zusammenleben
In St. Gallen läuft es anders, zumindest organisatorisch. Der Kanton hat Teile des Asylwesens quasi ausgelagert, an den Trägerverein Integrationsprojekte St. Gallen (Tisg). Geschäftsführerin Claudia Nef sagt auf Anfrage, dem Tisg seien «keine Gemeinden bekannt, die zur Unterbringung von Geflüchteten den Mietenden die Wohnung gekündigt haben».
Sie macht gleich auch klar, was sie von derlei Manövern hält: «Solche Massnahmen wären nicht förderlich.» Dies begründet sie mit dem «Zusammenleben von Geflüchteten und länger ansässigen Einwohnerinnen und Einwohnern» in den Gemeinden.
Nef bezeichnet die Situation – wie andere Kantone – als «angespannt». «Die Gemeinden sind stark gefordert mit der Unterbringung, aber auch mit der Betreuung und Integration der Schutzsuchenden.» Containerdörfer oder Zeltstädte, wie mancherorts umgesetzt, erachte man dennoch nicht als geeignete Antwort auf die derzeitigen Herausforderungen.
St. Galler SVP greift das Thema auf
Das Thema bewegt nicht nur in den Kaffeepausen und Kommentarspalten, sondern auch in der Politik. Anfang Woche reichten die beiden St. Gallen SVP-Kantonsräte Bruno Dudli und Sascha Schmid eine Einfache Anfrage ein. Der Titel: «Wohnungskündigungen zugunsten von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen: Wie ist die Situation im Kanton St. Gallen?»
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/asylwesen-in-windisch-wurden-wohnungen-gekuendigt-um-asylsuchende-unterzubringen-ist-das-auch-in-der-ostschweiz-denkbar-ld.2422595)
+++URI
luzernerzeitung.ch 02.03.2023
Zwischen Angst und Zuversicht: Anwohner stehen geplanter Asylunterkunft mit gemischten Gefühlen gegenüber
An einer Informationsveranstaltung wurde die Anwohnerschaft über Details der geplanten Asylunterkunft im «Vögeliwohl» informiert. Dabei gab vor allem das vom SRK vorgestellte Betreuungskonzept Anlass zu Fragen aus dem Publikum.
Carmen Epp
Die Meldung schlug in Flüelen und darüber hinaus hohe Wellen: An der Dorfstrasse 17, im ehemaligen «Guesthouse Vögeliwohl», soll Platz für bis zu 16 unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) im Alter von 15 bis 18 Jahren geschaffen werden.
Nachdem Gesundheits- und Sozialdirektor Christian Arnold die Hintergründe der geplanten Unterkunft erklärt hatte, äusserte der Flüeler Gemeindepräsident Andreas Feubli öffentlich Bedenken und Kritik an der Kommunikation vonseiten des Kantons und des SRK.
Asylwesen stellt Uri vor Herausforderungen
Der Ansturm an der Informationsveranstaltung für die Anwohnerschaft vom Mittwoch, 1. März, blieb jedoch aus. Am Eingang mussten die Teilnehmenden zwar eine Einladung vorweisen – um sicherzustellen, dass sie im Falle eines Ansturms von Nichtanwohnenden auch wirklich Platz haben, wie Christian Arnold erklärte. Nötig war das jedoch nicht: Am Ende fanden sich von den 50 eingeladenen Nachbarn des «Vögeliwohl» lediglich deren 14 im Saal des ehemaligen Hotels Sternen ein.
Christian Arnold richtete zuerst Worte der Entschuldigung an die Versammlung – für die kurzfristige Einladung und Kommunikation, die in diesem Fall «definitiv nicht optimal» gelaufen sei. Und gelobte, dies in Zukunft besser zu machen. Die momentane Lage im Flüchtlingswesen stelle Uri vor grosse Herausforderungen. Arnold verdeutlichte dies anhand aktueller Zahlen: «Während uns in normalen Jahren vom Bund 30 bis 40 Asylsuchende zugeteilt wurden, waren es im vergangenen Jahr fast 400.»
Erste Asylsuchende Mitte März erwartet
Glücklicherweise habe Uri in den letzten Monaten verschiedene grössere Unterkünfte für Geflüchtete aus der Ukraine finden können. Für die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden sei man mit den zehn Plätzen, die in Altdorf zur Verfügung stehen, jedoch bereits am Anschlag. Mit dem «Vögeliwohl» könne man die notwendige Kapazitätserweiterung vornehmen, um die vom Bund zugeteilten UMA angemessen betreuen zu können.
Mit welcher Klientel man in Flüelen rechnet und wie der Betrieb in der betreuten Wohngruppe aussehen soll, darüber berichtete Kurt Strehler, Fachbereichsleiter des Asyl- und Flüchtlingsdienstes Uri des Schweizerischen Roten Kreuzes, der im Auftrag des Kantons für die Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden zuständig ist.
Auch er räumte einen Fehler in der Kommunikation ein. So habe die Einladung des SRK an die Anwohnerschaft fälschlicherweise den Eindruck erweckt, dass bereits am 1. März – also zum Zeitpunkt der Informationsveranstaltung – Asylsuchende im «Vögeliwohl» einziehen würden. Dem sei nicht so. «Zuerst müssen wir die Unterkunft einrichten und vorbereiten», sagte Strehler. Die ersten UMA würden wohl ab Mitte März einziehen. Wie viele es sein werden, sei schwer abzuschätzen. «Wir kriegen jeweils am Vorabend per Mail die Informationen für den nächsten Tag», führte Strehler aus. Er gehe aber nicht davon aus, dass man die 16 Plätze im «Vögeliwohl» jemals füllen werde.
Begleitung in selbstständiges Leben
Im Moment handle es sich bei den meisten unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden um Afghanen. «Unserer Erfahrung nach sind das jeweils sehr wissbegierige, lernwillige, disziplinierte und höchst anständige junge Männer, die es verdienen, unterstützt zu werden», sagte Strehler. «Manchmal würde ich mir wünschen, unsere Jugendlichen wären auch so anständig wie sie.»
Die UMA im «Vögeliwohl» und in Altdorf werden von zwei zu 100 Prozent angestellten Personen betreut, die an der Informationsveranstaltung ebenfalls vorgestellt wurden. Sie unterstützen die Bewohner in administrativen und gesundheitlichen Angelegenheiten, beim selbstständigen Führen des gemeinsamen Haushalts und in der sprachlichen, beruflichen und sozialen Integration. So würden die Jugendlichen schnellstmöglich Deutsch lernen und mittels integrativem Brückenangebots auf eine Berufslehre vorbereitet. «Das Ziel ist es, sie in ein selbstständiges Leben zu begleiten», erklärte Strehler. Das sei dem SRK in der Vergangenheit gelungen. So schliesse etwa ein Afghane, der 2019 als 17-Jähriger nach Altdorf kam, Ende dieses Jahres seine Ausbildung als Haustechnikpraktiker ab.
Betreuungskonzept sorgt für Bedenken
Betreut werden die UMA in Flüelen und Altdorf an sechs Tagen pro Woche jeweils von 7 bis 21 Uhr. Ausserhalb der betreuten Zeiten übernimmt Strehler einen Pikettdienst mittels Handynummer. Er versprach: «Wenn Probleme auftauchen, sei es bei den UMA oder in der Nachbarschaft, bin ich in 10 Minuten vor Ort.»
Die Erfahrung habe gezeigt, dass sein Handy jeweils zu Beginn einer neuen Unterkunft ab und zu klingle. Die Situation beruhige sich aber jeweils schnell. «Sonst würde ich das nicht freiwillig auf mich nehmen, auch nachts zur Verfügung zu stehen.»
Sowohl die Herkunft der Jugendlichen als auch das Betreuungskonzept führte im Anschluss zu einigen Fragen aus der Versammlung. Sie mache sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Enkelin, die auf dem Weg zur Schule zweimal am «Vögeliwohl» vorbeilaufen müsse, sagte etwa eine Anwohnerin – und fragte Arnold: «Oder würden Sie Ihre Kinder bedenkenlos dort vorbeischicken?» Der entgegnete, er habe zwar Verständnis für die Bedenken, hätte aber persönlich keine Angst um seine Kinder. Arnold begründete: «Zum einen handelt es sich um anständige Jugendliche, zum anderen haben wir die Erfahrung in Altdorf, wo es nie zu Problemen kam.»
Auch Strehler zeigte Verständnis. «Wir kennen die Befürchtungen und sind froh, dass sie geäussert werden, statt dass man die Faust im Sack macht.» In den 35 Jahren, während derer er im Asylwesen tätig ist, sei es nie vorgekommen, dass Kinder oder Frauen in Uri von Asylsuchenden belästigt wurden. Bei der Eröffnung der Unterkunft bei der Stiftung Papilio hätten Eltern ähnliche Ängste um die Kinder in der Kita gehabt – ebenfalls unbegründet.
Eine durchgehende Betreuung der Wohngruppe, die eine andere Anwohnerin forderte, sei nicht nötig, so Strehler weiter. «Es handelt sich nicht um Kleinkinder, sondern um Jugendliche, die bereits einige Lebenserfahrung mitbringen. Die können gut von 21 bis 7 Uhr alleine sein.»
Sollte es wider Erwarten zu Problemen kommen, könne man das gemeinsam besprechen und nach Lösungen suchen, so Strehler. Und Arnold ergänzte, dass man sich überlege, neben dem 24-Stunden-Pikett auch eine Begleitgruppe zu installieren, in der auch Anwohnende Einsitz nehmen könnten, um den Puls frühzeitig zu spüren.
«Schlechter als damals kann es fast nicht werden»
Auf die Frage, wie man ausgerechnet auf das «Vögeliwohl» gekommen sei, erklärte Strehler, das SRK sei vom Eigentümer des Gebäudes kontaktiert worden. Bei einer Besichtigung hätte sich dann gezeigt, dass sich die Unterkunft für die Unterbringung von UMA eigne. Der Hauseigentümer habe zu dem Zeitpunkt den Mietern zweier Zimmer des Guesthouse und der 3,5-Zimmer-Wohnung im Parterre bereits gekündigt. Strehler betonte: «Die Kündigungen erfolgten also nicht etwa durch das SRK, wie fälschlicherweise verbreitet wurde. Das wäre überhaupt nicht in unserem Sinn und würde auch dem Image von Asylsuchenden nur schaden.»
Die Vergangenheit des «Vögeliwohl» kam an der Veranstaltung trotzdem mehrfach zur Sprache. So rief Strehler als Reaktion auf die Sicherheitsbedenken der Anwohner in Erinnerung, dass es sich bei den Bed-and-Breakfast-Gästen um Wildfremde handelte, von denen man nicht wusste, woher sie kamen. «Aus diesem Gesichtspunkt wird die Sicherheit bei uns sicher zunehmen.» Ein direkter Anwohner des damaligen Guesthouse pflichtete Strehler bei. Die Gäste des «Vögeliwohl» hätten sich oft sehr laut und alles andere als gut verhalten: «Schlechter als damals kanns fast nicht werden.»
Er habe sich im Vorfeld mit dem SRK in Verbindung gesetzt, weil er verhindern wollte, dass die Asylsuchenden über ein Fenster auf sein Flachdach gelangen. «Mein Anliegen wurde ernst genommen und das Problem mit einem Moskitonetz kreativ gelöst», schilderte der Mann. Auch den Durchgang hinter dem Haus, der oft von Bed-and-Breakfast-Gästen missbraucht worden war, werde nun vom SRK sinnvoll gestaltet. «Das Beispiel zeigt, dass es wichtig ist, Probleme anzusprechen», ergänzte Strehler. «Es gibt für jedes Problem eine Lösung.»
Der SRK-Vertreter schlug vor, den Betrieb einfach mal zu starten, und wenn Befürchtungen eintreten, zusammenzusitzen. Hier pflichtete ihm eine andere Anwohnerin bei. Sie habe am Anfang zwar schon schlucken müssen, als sie von der geplante Unterkunft erfuhr. «Inzwischen bin ich zuversichtlich. Ich finde, die Jugendlichen haben eine Chance verdient.» Versöhnlich zeigte sich am Ende der Veranstaltung auch Gemeindepräsident Andreas Feubli. Er bedankte sich bei Arnold und Strehler für die Information und wolle nun «schauen, wie es kommt».
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/uri/flueelen-zwischen-befuerchtungen-und-zuversicht-anwohner-stehen-geplanter-asylunterkunft-mit-gemischten-gefuehlen-gegenueber-ld.2423386)
+++WAADT
Nach Ekel-Alarm in Vallorbe VD: Mehlwürmer im Essen von Asylbewerber waren bloss Basmatireis
In einem Asylzentrum im Kanton Waadt wurden unhygienische Zustände beanstandet. Zum Beweis machte ein Asylbewerber ein Foto von Mehlwürmern, die er im Essen fand. Das SEM schaltete sich ein und fand etwas anders.
https://www.blick.ch/schweiz/nach-ekel-alarm-in-vallorbe-vd-mehlwuermer-im-essen-von-asylbewerber-waren-bloss-basmatireis-id18364174.html
++++ZÜRICH
tagesanzeiger.ch 02.03.2023
Wohnungsnot in ZürichStudenten müssen ausziehen, weil die Stadt Wohnungen für Flüchtlinge braucht
Nach den Kündigungen in Seegräben und Windisch sorgt nun ein ähnlicher Fall in Zürich für Schlagzeilen. Die Flüchtlingshilfe warnt davor, verschiedene Personengruppen gegeneinander auszuspielen.
Martin Huber
Die Gattikerstrasse liegt in einer eher ruhigen Wohngegend in der Nähe des Hegibachplatzes. Im angejahrten Mehrfamilienhaus mit der Nummer 5 wohnen derzeit zwölf Studierende. Doch nun haben sie die Kündigung erhalten. Die Stadt als Eigentümerin des Wohnblocks will dort ab April Flüchtlinge unterbringen.
Catharina Fingerhuth, Sprecherin des Finanzdepartements von Daniel Leupi (Grüne), bestätigt einen Bericht des «Blicks», der sich auf das Tessiner Nachrichtenportal Tio.ch stützt. Laut Fingerhuth hat die Stadt die sanierungsbedürftige Liegenschaft vor rund zwei Jahren übernommen, als diese bereits an eine private Organisation vermietet war, welche die Wohnungen im Rahmen einer Zwischennutzung an Studierende weitervermietet hatte.
Diese Untermietverhältnisse hätten nicht den städtischen Mietzinsvorgaben entsprochen, so seien insbesondere zu hohe Mietzinse verlangt worden. Deshalb wurde dem Mieter im vergangenen Herbst gekündigt, womit auch die Untermietverträge ausliefen, wie Fingerhuth sagt. Mit Blick auf die sich verschärfende Flüchtlingssituation habe die Abteilung Liegenschaften der Stadt Zürich im Herbst entschieden, das Haus ab April der Asylorganisation Zürich zur Verfügung zu stellen, wiederum für eine Zwischennutzung bis zur Sanierung. Wann diese erfolgen wird, ist derzeit offen.
Drohende Engpässe bei Unterkünften
Die Stadt hatte in der Vergangenheit schon mehrmals darauf hingewiesen, dass sie wegen der steigenden Zahl von Flüchtlingen bei der Suche nach Unterkünften an Grenzen stosse. Deshalb will sie etwa im ehemaligen Personalhaus Triemli weitere 200 Plätze für Flüchtlinge bereitstellen, befristet bis Ende 2023. Zudem hat sie ein Baugesuch für eine Containersiedlung mit 320 Plätzen auf dem Hardturmareal eingereicht. Die Stadt sei laufend daran, neuen Wohnraum zu akquirieren, damit sie die Unterbringung auch mittel- und langfristig sichern könne, hiess es am Donnerstag beim Sozialdepartement.
Frustrierte Bewohner
Ein Bewohner der Gattikerstrasse 5 zeigt sich gegenüber Tio.ch frustriert über den Rauswurf. Er sei zwar dafür, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, sagt der 20-jährige Archäologiestudent aus Lugano. Aber man könne Studenten, die bereits Schwierigkeiten hätten, eine Unterkunft zu finden, nicht einfach rausschmeissen. Der Student kritisiert zudem die Art und Weise, wie mit den Bewohnenden kommuniziert worden sei.
Der Fall Gattikerstrasse kommt zu einem delikaten Zeitpunkt. Erst vergangene Woche war bekannt geworden, dass in Seegräben einem Mieter die Wohnung gekündigt wurde, um dort Flüchtlinge einzuquartieren. Allerdings stellte sich heraus, dass dies gar nicht nötig gewesen wäre, die Gemeinde hatte die Aufnahmequote bereits erfüllt. Am Montag löste ein weiterer Fall einer Kündigung in Windisch AG heftige Reaktionen aus.
Flüchtlingshilfe: «Nicht zielführend»
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bedauert die Kündigung in Zürich. «Wir hatten uns erhofft, dass solche Fälle sich nicht häufen, jetzt sieht man, dass es tatsächlich kein Einzelfall war», sagt Sprecher Lionel Walter. Grundsätzlich sei es «nicht zielführend», einer Person zu kündigen, um für eine andere Person Wohnraum zu schaffen. Das Wohnproblem werde dadurch nur verschoben, verschiedene Personengruppen würden gegeneinander ausgespielt, das schaffe Spannungen und Unruhe.
Die Flüchtlingshilfe erwarte von den Behörden, dass andere Möglichkeiten zur Unterbringung der Geflüchteten ausprobiert würden. Dazu gehörten beispielsweise Gastfamilien. Falls eine Gemeinde alle Optionen ausgeschöpft hat, wäre eine flexible Handhabung des Verteilschlüssels wünschenswert. Die Gemeinden könnten sich gegenseitig helfen und einspringen.
Walter Angst (AL), Sprecher des Mieterinnen- und Mieterverbandes Zürich, hält es zwar für begrüssenswert, dass die Stadt versucht, Geflüchtete in Wohnungen unterzubringen. Man hätte aber den Studierenden, die weiterhin auf eine günstige Wohnung angewiesen sind, schon früh adäquate Ersatzlösungen anbieten sollen.
SVP bringt Halle 9 ins Spiel
Dass bestehende Mietverhältnisse für Flüchtlinge aufgelöst werden, «geht gar nicht», sagt SVP-Gemeinderat Stephan Iten. Mit den Studenten treffe es wiederum Leute mit wenig Geld, die auf günstigen Wohnraum angewiesen seien. Die Stadt sollte vielmehr andere Unterkünfte nutzen, die derzeit leer stehen, sagt Iten. Er erinnert an die Halle 9 bei der Messe in Oerlikon, wo schon früher Flüchtlinge untergebracht waren. Zudem wundert er sich, dass Studenten auf die Strasse gestellt werden, während die Stadt auf der Hardturmbrache, wo ein Flüchtlingsdorf geplant ist, Hausbesetzer duldet.
(https://www.tagesanzeiger.ch/studenten-muessen-ausziehen-weil-die-stadt-wohnungen-fuer-fluechtlinge-braucht-652153824620)
—
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-studierende-muessen-wohnungen-verlassen-00206873/
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/um-platz-fuer-ukraine-fluechtlinge-zu-schaffen-studenten-aus-zuercher-wohnungen-geworfen-id18361317.html
-> https://www.tio.ch/ticino/attualita/1647935/la-frustrazione-di-un-ticinese-sfrattati-da-12-appartamenti-per-lasciare-spazio-agli-ucraini
+++SCHWEIZ
Umstrittene Polizei-Aktion – Protokoll einer Familien-Zwangsausschaffung
Videos zeigen die Zwangsausschaffung einer kurdischen Familie mit drei kleinen Kindern. Das Vorgehen sorgt für Kritik.
https://www.srf.ch/news/schweiz/umstrittene-polizei-aktion-protokoll-einer-familien-zwangsausschaffung
-> Rundschau-Beitrag: https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/schonungslose-polizei-aktion-protokoll-einer-familien-ausschaffung?urn=urn:srf:video:583f44c8-07a8-499d-881e-ce8deda84bdf
Notorische Probleme mit der Unterbringung: Die Schweiz will wieder nach Italien abschieben – trotz Kritik
Schon lange stehen Rückführungen von Asylsuchenden nach Italien in der Kritik. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe warnt vor prekären Zuständen und neuen Verschärfungen.
https://www.beobachter.ch/migration/unterbringung-von-asylsuchenden-die-schweiz-soll-nicht-mehr-nach-italien-abschieben-578562
—
nzz.ch 02.03.2023
Italien nimmt kaum noch Flüchtlinge zurück – jetzt wächst der Druck auf den Bundesrat
Parlamentarier fordern von der Regierung eine Intervention in Brüssel und Unterstützung für das Tessin.
Irène Troxler
Die Schweizer Grenzbeamten patrouillieren zurzeit fleissig in den Zügen zwischen der italienischen Grenzstadt Como und dem Schweizer Bahnhof in Chiasso. Im Januar haben sie an der Tessiner Grenze 2776 illegale Migrantinnen und Migranten aufgegriffen. Im Dezember 2022 waren es noch etwas mehr. Bis vor kurzem hätte die Grenzpolizei diese Menschen umgehend nach Italien zurückgeschickt, denn die Schweiz hat mit dem südlichen Nachbarn ein Abkommen. Doch die Regierung Meloni hat die erleichterte Rückübernahme Anfang Dezember gestoppt. Ihre Begründung: fehlende Kapazitäten. Täglich werden nur noch 20 bis 30 Personen zurückgenommen. Auch Rückübernahmen nach dem Dublin-Abkommen hat Italien sistiert. Dieses internationale Abkommen besagt, dass jeweils der Einreisestaat für einen Flüchtling verantwortlich ist.
Italien bleibt vage
Die Schweiz scheint machtlos zu sein gegen die Blockade der Italiener, und der Bundesrat verhält sich abwartend. Man sei in Kontakt mit Italien, sagte die Staatssekretärin für Migration, Christine Schraner Burgener, in der «Samstagsrundschau» von Radio SRF. Sie habe Mitte Februar einen Brief nach Rom geschickt mit der Aufforderung, das Dublin-System wieder anzuwenden. Die Italiener hätten geantwortet, man wolle dies nun «möglichst rasch» tun. Einen konkreten Zeitpunkt konnte Schraner Burgener allerdings nicht nennen. Sie versprach am Radio, die Schweiz wolle nun gemeinsam mit anderen Ländern Druck auf die EU-Kommission machen.
Nun gerät auch der Bundesrat in die Kritik. Mehrere Parlamentarier sind aktiv geworden. Der freisinnige Luzerner Ständerat Damian Müller hat eine Motion eingereicht: Der Bundesrat müsse endlich in Brüssel intervenieren, damit sich Italien wieder an das Dublin-Abkommen halte, fordert er. Mitunterzeichnet haben den Vorstoss diverse FDP- und SVP-Ständeräte. Die Ungeduld der Politiker hat auch mit den höheren Zahlen zu tun und mit neuen Migrationsrouten. In den letzten Monaten hat sich die sogenannte Balkanroute nach Süden verschoben. Sie verläuft nun über Kroatien, Slowenien und Italien. Die Flüchtlinge reisen also mehrheitlich ausgerechnet über jenes Nachbarland ein, das die vereinbarten Rücknahmen verweigert. Allerdings sehen viele Migranten die Schweiz nur als Transitland.
Die meisten illegal eingereisten Personen wollten gar kein Asylgesuch in der Schweiz stellen, sagt Donatella Del Vecchio vom Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit. Die Schweizer Behörden registrieren sie also einfach und drücken ihnen dann eine Wegweisungsverfügung in die Hand. Darin werden sie aufgefordert, den Schengen-Raum innert einiger Tage zu verlassen. Ob sie das auch tun, weiss niemand. Vermutlich nicht, denn kaum ein Migrant, der die Schengen-Aussengrenze passiert hat, dürfte freiwillig heimkehren. Eine rechtliche Handhabe, um diese Personen festzuhalten, gibt es aber nicht.
Verärgerung im Tessin
Im Tessin staut sich nun der Ärger an. Nationalrat Marco Romano (Die Mitte) kritisiert das Staatssekretariat für Migration: Es verweise einfach darauf, dass die grosse Mehrheit in andere Länder weiterreise. Manche der rechtswidrig Eingereisten tauchten aber auch in der Schweiz ab, befürchtet er und berichtet von zunehmender Kleinkriminalität in Grenznähe. Auch für die Unterbringung würden im Kanton Tessin hohe Kosten anfallen. «Wir stehen vor einer neuen Migrationswelle und müssen das nun anders anpacken.» Der Tessiner hat in der laufenden Session mehrere Anfragen an den Bundesrat gerichtet. Unter anderem will er wissen, ob die örtliche Polizei mit Verstärkung rechnen darf.
Auch das Staatssekretariat für Migration stellt fest, dass mittlerweile mehr Migranten an der Südgrenze aufgegriffen werden als an der Ostgrenze. Die Zahlen steigen allerdings generell. Die Gründe hätten teilweise immer noch mit der Pandemie zu tun. Viele Herkunfts- und Transitländer litten wirtschaftlich unter den Folgen, was den Abwanderungsdruck erhöhe. Speziell die Türkei habe im vergangenen Jahr den Druck auf die 3,5 Millionen syrischen und afghanischen Staatsangehörigen in ihrem Land erhöht. Etliche davon hätten daraufhin den Weg nach Europa eingeschlagen. Wie sich das verheerende Erdbeben in der Türkei auf die Migrationsströme auswirken werde, sei noch nicht abschätzbar, sagt Samuel Wyss, der Sprecher des Staatssekretariats für Migration.
Wyss präzisiert, Italien habe lediglich den Vollzug der Überstellungen von Asylsuchenden gemäss Dublin-Verfahren ausgesetzt. Die Schweiz stelle deswegen weiterhin Gesuche an Italien um Rückübernahmen. Werde der Aufnahmestopp bald aufgehoben, sei dies verkraftbar, denn die betreffenden Fälle – zurzeit sind es insgesamt etwa 170 – könnten auch nachträglich noch überstellt werden. Unter den Menschen, die die Grenzwächter aus den Zügen holen, sind viele junge Männer aus Afghanistan und aus Nordafrika.
Strenger kontrolliert wird mittlerweile auch im Norden der Schweiz, hier allerdings durch die deutsche Grenzpolizei. So durchkämmen die Deutschen beispielsweise die Züge zwischen dem Basler SBB-Bahnhof und dem Badischen Bahnhof. Im Gegensatz zu den Schweizern lassen die deutschen Grenzwächter Migranten ohne gültige Papiere aber grundsätzlich nicht einreisen. Allerdings ist der Grenzverkehr im Dreiländereck so rege, dass es die meisten trotzdem früher oder später unbemerkt über die Grenze schaffen.
(https://www.nzz.ch/schweiz/italien-nimmt-kaum-fluechtlinge-zurueck-jetzt-waechst-der-druck-auf-den-bundesrat-ld.1728334?mktcid=smch&mktcval=twpost_02-03-2023)
—
tagblatt.ch 02.03.2023
Migranten an der St.Galler Ostgrenze: Bund spricht neuerdings Wegweisungen aus – SVP lobt Keller-Sutter
Im Umgang mit den Migranten an der Ostgrenze werden die St.Galler Behörden entlastet: Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit weist Personen, die kein Asylgesuch in der Schweiz stellen, neuerdings direkt weg. Die Kantonspolizei ist erleichtert.
Adrian Vögele
Seit Monaten kommen an den St.Galler Grenzbahnhöfen viele Migranten an, die keinen Pass haben, in den meisten Fällen kein Asylgesuch stellen und rasch weiterreisen. Oft sind es junge Männer aus Afghanistan, manche haben bereits in Österreich Asyl beantragt. Für die St.Galler Behörden ist der Umgang mit den Durchreisenden aufwendig und bindet viel Personal. Ostschweizer SVP-Parlamentarier forderten den Bundesrat schon im vergangenen Jahr auf, zu reagieren. Auch die St.Galler Regierung intervenierte in Bern.
Jetzt haben sich Kanton und Bund auf eine neue Praxis geeinigt. Bislang war das St.Galler Migrationsamt zuständig für Wegweisungsverfügungen gegen illegal eingereiste Personen, die in der Schweiz kein Asylgesuch stellen. Seit dem 1. März übernimmt die Grenzwache diese Aufgabe. Die Anzahl der «an der Ostgrenze festgestellten rechtswidrigen Aufenthalte» habe sich im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr verfünffacht, heisst es in einer Mitteilung des eidgenössischen Finanzdepartements. «Der Bund anerkennt die damit verbundenen Herausforderungen für die kantonalen Behörden.»
Damit man Personen, die irregulär in die Schweiz einreisen, ohne hier ein Asylgesuch stellen zu wollen, «konsequent wegweisen» könne, habe sich der Bund bereit erklärt, den Kanton St. Gallen bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Mit einer Wegweisung wird die Person aufgefordert, die Schweiz oder den Schengen-Raum innert einer bestimmten Frist zu verlassen. Die Massnahme ist vorerst auf sechs Monate befristet, bis Ende August. Dann soll analysiert werden, was die Änderung bringt.
«Direkter und ressourcenschonender»
Für die St.Galler Kantonspolizei ist das ein wichtiger Schritt, wie Mediensprecher Florian Schneider sagt. Es sei «direkter und ressourcenschonender», wenn die Bundesbeamten, die die Kontrollen in den internationalen Zügen durchführten, auch Wegweisungen verfügen könnten. Für die Polizei bleibe an der Grenze auch so noch einiges zu tun, zum Beispiel im Zusammenhang mit international ausgeschriebenen Personen.
Eine Person, die eine Wegweisung nicht befolgt und wieder aufgegriffen wird, kann bestraft werden. «Erfahrungsgemäss wird dieser Fall aber kaum eintreten», sagt Schneider – weil die Personen ohnehin weiterreisen würden.
Egger, Reimann und Zuberbühler sind erfreut
Die Ostschweizer Nationalräte Mike Egger, Lukas Reimann und David Zuberbühler zeigen sich in einer Stellungnahme erfreut über die Neuerung. Sie hatten zur Lage an der Ostgrenze ein Gespräch mit Bundesrätin Karin Keller-Sutter sowie den Verantwortlichen des Staatssekretariats für Migration und des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit geführt. «Es freut uns, dass unser Druck dazu beigetragen hat, die Wegweisungsverfügung für illegal eingereiste Personen zu erlassen.» Und: «Wir danken Frau Bundesrätin Karin Keller-Sutter für die Unterstützung bei diesem Thema.»
Keller-Sutter war in zweierlei Rollen mit der Situation an der Ostgrenze beschäftigt: Bis Ende des vergangenen Jahres als Justizministerin, seither als Finanzministerin und oberste Chefin des Zolls.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/illegale-einreisen-migranten-an-der-stgaller-ostgrenze-bund-spricht-neuerdings-wegweisungen-aus-svp-lobt-keller-sutter-ld.2423445)
—
Weniger Privilegien für die ORS
Sind Mitarbeitende der privaten Asylfirma ORS wie Beamte zu behandeln, weil sie staatliche Aufgaben wahrnehmen? Das musste das Bundesgericht entscheiden. Mit Konsequenzen für die Strafbehörden.
https://www.republik.ch/2023/03/02/journal?share=899
–
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/covid-massnahmen-anzeige-gegen-asyl-betreuer-bei-staatsanwalt?id=12341140
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/bundesgericht-anzeige-gegen-asyl-betreuer-bei-staatsanwalt-ld.2419659
-> Bundesgerichtsurteil: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://20-12-2022-1C_104-2022&lang=de&zoom=&type=show_document
+++DEUTSCHLAND
Deutlich mehr Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte
Täglich werden drei Asylsuchende Opfer von Angriffen, die meisten davon aus dem Phänomenbereich »rechts«
Im Gesamtjahr 2022 wurden bei Übergriffen gegen Geflüchtete mindestens 188 Menschen verletzt, davon 21 Kinder. Zu vielen Straftaten hat die Polizei Verdächtige ermittelt.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171396.rechte-angriffe-deutlich-mehr-anschlaege-auf-fluechtlingsunterkuenfte.html
-> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-03/fluechtlingsunterkuenfte-angriffe-fluechtlinge
-> https://www.tagesschau.de/inland/anschlaege-fluechtlingsunterkuenfte-anstieg-101.html
+++ITALIEN
Die Politik ist mit den Flüchtlingsströmen überfordert
Nach Flüchtlingstragödien herrscht in Italien stets Entsetzen – bald darauf folgt Verdrängung
https://www.derstandard.at/story/2000144071106/die-politik-ist-von-den-fluechtlingsstroemen-ueberfordert?ref=rss
Empörung nach Flüchtlingstragödie in Italien – Rendez-vous
Bei einem Bootsunglück sind am Wochenende vor der Küste Italiens über 60 Flüchtlinge ums Leben gekommen. Darunter etliche Kinder. Nun sieht sich Italiens Regierung mit Vorwürfen konfrontiert. Stecken strukturelle Probleme hinter dem jüngsten Bootsdrama?
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/empoerung-nach-fluechtlingstragoedie-in-italien?partId=12345367
-> https://www.srf.ch/news/international/bootsunglueck-vor-kalabrien-viele-italiener-befuerchten-eine-invasion-von-fluechtlingen
+++FREIRÄUME
Das Ende eines dringend benötigten Experiments
In ihrer Fraktionserklärung zur Räumung des Koch-Areals bedauert die Gemeinderatsfraktion den Verlust eines wichtigen Kulturraums und betont die Relevanz von selbstverwalteten und unkommerziellen Freiräumen.
https://al-zh.ch/blog/2023/03/das-ende-eines-dringend-benoetigten-experiments/
Keine Räumung geplant: Besetzer-Wagenburg auf Zürcher Hardturmbrache darf bleiben
Schätzungsweise 80 Besetzer des ehemaligen Koch-Areals wohnen zurzeit auf der Hardturmbrache. Eine Räumung der Brache plant die Stadt nicht. Die Besetzerinnen dürfen vorerst bleiben, heisst es bei der Stadt auf Anfrage.
https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/besetzer-wagenburg-auf-zuercher-hardturmbrache-darf-bleiben-150349853
+++GASSE
Motion Zora Schneider (PdA) – übernommen durch Matteo Micieli (PdA): Dunkelziffer bei Obdachlosen ans Licht bringen
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=582448899add435db52d627b78d2efa6
Motion Freie Fraktion AL/GaP/PdA (Angela Falk/Tabea Rai, AL/Zora Schneider, PdA/Luzius Theiler, GaP) – übernommen durch Lea Bill (GB): Notschlafstelle für Frauen*
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=80c77dac0bf243da9ca8edd629837756
Motion Fraktion GB/JA! (Seraina Patzen, JA!/Lea Bill, GB): Housing First auch in Bern
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=7f28d5712ae14dd2965797373f03fc62
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Randale und Kinderpornos – Bezirksgericht Zürich verurteilt Mann zu 9 Monaten bedingter Haft
Ein junger Mann steht am Donnerstag vor dem Bezirksgericht Zürich. Er soll an den Ausschreitungen bei der Gegendemonstration zum «Marsch fürs Läbe» beteiligt gewesen sein. Im Rahmen der Untersuchung fanden Ermittler kinderpornografisches Material.
https://www.zueritoday.ch/videos/bezirksgericht-zuerich-verurteilt-mann-zu-9-monaten-bedingter-haft-150352660
+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Kampf um roten Pass: Im Dorf der strengen Schweizermacher – Rundschau
Beizen, Dorfvereine und einheimische Käsesorten: Über diese Themen sollten Ausländerinnen und Ausländer auch Bescheid wissen, wenn sie sich in Oberriet SG einbürgern lassen wollen.
Die Gemeinde Oberriet SG ist ein hartes Pflaster für Einbürgerungswillige. Nur knapp jedes zweite Gesuch kommt hier durch. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl gehört Oberriet SG in der Ostschweiz damit bei Einbürgerungen zu den Schlusslichtern. Die «Rundschau» ist im Dorf der strikten Schweizermacherinnen unterwegs. In Oberriet SG trifft die «Rundschau» auch Gemeindepräsident Rolf Huber zum Interview. Was hält der FDP-Politiker von der linken Volksinitiative für eine Reform des Bürgerrechts?
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/kampf-um-roten-pass-im-dorf-der-strengen-schweizermacher?urn=urn:srf:video:d43c96d1-8b9c-4cef-a3f3-764501c92771
+++JUSTIZ
aargauerzeitung.ch 02.03.2023
«Würde ich vergewaltigt, ich würde keine Anzeige erstatten»: Wie drei Fälle Schwächen im Schweizer Justizsystem zeigen
Ein neues Buch zeigt drei Fälle von sexualisierter Gewalt in Nahaufnahme, von der Tat bis zur Verhandlung vor Gericht. Eine aufrüttelnde Lektüre, die Fehler im System sichtbar macht.
Deborah Stoffel
«In der zweiten Hälfte des Prozesses (…) lag ich auf dem Boden, umklammerte ein Kuscheltier und hielt mir die Ohren zu. Ich hielt das nicht mehr aus. Es war für mich katastrophal zu hören, was Thomas’ Verteidiger über mich sagte, wie er von mir sprach.»
Das sagt Jil. Sie hatte Thomas wegen sexualisierter Gewalt angezeigt. Der Prozess, der darauf folgte, war retraumatisierend. Der Fall ist beispielhaft. Er zeigt Schwächen im Justizsystem, die dazu beitragen, dass in der Schweiz nur acht Prozent der Fälle von sexualisierter Gewalt angezeigt werden, wie eine Studie von gfs.bern 2019 festhielt.
So hatte Jil die Behörden unter anderem gebeten, ihre Adresse nicht herauszugeben. Die Opferhilfestelle sagte ihr, es sei gängig, auf den Dokumenten c/o und die Adresse der Anwältin anzugeben. Das Gericht aber verschickte alle Unterlagen mit Jils aktueller Wohnadresse.
Gegenüber der Staatsanwaltschaft hatte sie den Wunsch geäussert, dass sie Thomas nicht begegnen wolle. Trotzdem traf sie im Laufe des Verfahrens immer wieder auf ihn. Was ihr Vertrauen ins Rechtssystem dann erst recht erschütterte, war, dass ihr «Nein», das sie gegenüber Thomas mehrmals klar geäussert hatte, keine Rolle spielte. Weder im Gerichtsverfahren noch beim Strafmass.
Thomas hatte bei Jil übernachtet. Sie hatte es ihm nach einem guten gemeinsamen Abend erlaubt, aber klargemacht, dass sie keinen körperlichen Kontakt wolle. Mitten in der Nacht wachte sie auf, er hatte ihr Hose und Unterhose heruntergezogen, stimulierte sich, versuchte, in sie einzudringen.
Vom Gericht wurde er wegen Schändung und sexueller Belästigung zu rund zehn Monaten Gefängnis bedingt verurteilt, mit einer Probezeit von zwei Jahren. Er musste tausend Franken Busse und eine Genugtuung von zweitausend Franken zahlen. «Ich kenne Menschen, die für unerlaubtes Plakatieren dasselbe Strafmass erhalten haben», sagt Jil.
Vorbilder: Italien, Spanien
Nachzulesen ist ihr Fall im Buch «Hast Du Nein gesagt?» der Journalistinnen Miriam Suter und Natalia Widla, das heute im Zürcher Limmat Verlag erscheint. Jil ist eine von drei Frauen, die darin von der sexualisierten Gewalt erzählen, die ihnen widerfahren ist, und davon, wie Polizei und Gerichte mit ihnen umgegangen sind.
Das Buch macht klar: Es macht einen entscheidenden Unterschied für die Betroffenen, wer einem in den Einvernahmen gegenübersitzt, ob diese Personen im Sexualstrafrecht und im Umgang mit traumatisierten Personen geschult sind.
Aber Ressourcen fehlen in der Schweiz, gerade bei der Polizei. Gemäss SP-Nationalrätin Tamara Funiciello, die Suter und Widla für das Buch interviewt haben, verfügt nicht einmal jede Kantonalpolizei über spezialisiertes Personal. Die Kleinteiligkeit der Schweiz, der Föderalismus sind Hindernisse, die einem angemessenen Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt entgegenstehen. Es fehlt aber auch am Bewusstsein.
Die Autorinnen haben für ihr Buch mit der damaligen FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter gesprochen, mit Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt, mit der langjährigen Mitarbeiterin einer Opferberatungsstelle, mit einer ehemaligen und einer aktuellen Polizistin sowie mit einer Ausbildnerin und dem Direktor einer Polizeischule in der Schweiz. Ein Stimmenpanorama. Sie hofften, dem Thema so eher gerecht zu werden als mit einer Reportage, sagen sie.
Dennoch: Suter sieht ihr Buch nicht als umfassende Systemanalyse. Sie hätten sich auf die drei Anlaufstellen konzentriert, die in der Schweiz zuerst griffen, wenn eine von sexualisierter Gewalt betroffene Person Hilfe sucht: die Polizei, die Opferberatungsstellen und das Recht. «Bei der Polizei besteht sicher der grösste Aufholbedarf. Da müsste mehr sensibilisiert werden und das Thema mehr Gewicht erhalten.» Aber alles hänge miteinander zusammen. Allgemein werde in der Schweiz für den Schutz gegen sexualisierte Gewalt zu wenig Geld bewilligt, sagt Suter. «Gerade im Vergleich zu Spanien und Italien, wo schon länger Frauen in der Politik der Normalfall sind, sind wir in der Schweiz nirgends.»
Sexismus in der Polizeiausbildung
Am meisten schockiert an der Recherche hat Suter das Gespräch mit den zwei Polizistinnen. Sie schildern unter anderem, wie ihre männlichen Kollegen in der Ausbildung eine Liste der Kolleginnen nach Aussehen erstellt hätten. Und wie ein Ausbildner wie selbstverständlich eine Schülerin nach der anderen abgeschleppt habe. «Wir haben uns nach diesem Gespräch nur so angeschaut: Was, heute noch?», sagt Suter. Auch mit weiteren Polizistinnen hat sie für das Buch gesprochen. Alle hätten übereinstimmend gesagt: «Würde ich vergewaltigt werden, würde ich keine Anzeige machen.»
Dass dem ganzen Thema ein Männerproblem zugrunde liegt, scheint klar. «Aber wenn du das sagst, wirst du gleich als Männerhasserin bezeichnet, deshalb hält man sich damit zurück», sagt Suter. Sie habe sich überlegt, auch der Tätern im Buch ein Stimme zu geben, aber das habe nicht funktioniert. «Ich werde definitiv bald dazu etwas schreiben.»
Politisch scheint im Buch die Diskussion um die Revision des Sexualstrafrechtes auf. Die «Ja-heisst-Ja-Regel» ist Thema, unter anderem im Gespräch mit Funiciello. Am nächsten Dienstag ist die Regel im Nationalrat traktandiert. Allerdings bleibt unsicher, was sich damit im Justizprozess ändert. Eine Erwartung ist, dass der Fragenkatalog in der Einvernahme bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft angepasst wird. Dass nicht mehr gefragt wird: Haben Sie sich gewehrt? Hingegen würde im Zentrum stehen, ob die betroffene Person ihre Zustimmung gegeben hat. Es geht also um eine Befreiung vom Rechtfertigungsdruck jener, die Gewalt erlebt haben. Ob sich etwas bessert, hänge aber auch dann davon ab, wer die Einvernahme durchführe, sagt Suter.
Sie ist sich sicher: Selbst wenn die Regel im Sexualstrafrecht verankert werde, blieben für Betroffene schwer ertragbare Fragen wie: «Was hast du angehabt?» Ebenso die Disbalance, wenn Alkohol im Spiel war: dass das Opfer an Glaubwürdigkeit, der Täter aber an Schuldfähigkeit verliert. Und weiterhin würden die Verteidiger generell versuchen, die Glaubwürdigkeit der Klägerinnen in Zweifel zu ziehen. So wie im Falle von Jil. Sie hatte in ihrer Jugend schon sexualisierte Gewalt erlebt, der Anwalt konstruierte daraus ein universelles Trauma – sie habe sich den Übergriff eingebildet.
Das Buch schildert alles in Nahaufnahme und macht sichtbar, der Leidensweg ist mit der Tat nicht vorbei. «Wir haben uns natürlich auch gefragt, ob wir mit unserem Buch nicht bewirken, dass weniger Anzeigen eingehen», sagt Suter. Sie ist jedoch überzeugt, dass sich nur was ändert, wenn eine Debatte stattfindet.
–
«Hast Du Nein gesagt?» Vom Umgang mit sexualisierter Gewalt, von Miriam Suter und Natalia Widla, Limmat Verlag. Buchvernissage in der Hobo Bar Aarau 18. 3. 2023 19 Uhr
(https://www.aargauerzeitung.ch/leben/sexualisierte-gewalt-polizistinnen-wuerde-ich-vergewaltigt-ich-wuerde-keine-anzeige-machen-ld.2422044)
+++KNAST
Schenkkreis-Mörder soll in Therapie: Bundesgericht kritisiert Gefängnis Thorberg zum zweiten Mal
Um begleiteten Ausgang zu erhalten, sollte einer der Schenkkreis-Mörder in Therapie. Das Gefängnis Thorberg ermöglichte dies jedoch nicht.
https://www.derbund.ch/bundesgericht-kritisiert-gefaengnis-thorberg-zum-zweiten-mal-259810259941
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://17-02-2023-6B_1408-2022&lang=de&zoom=&type=show_document
-> https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/passivitaet-der-behoerden-vereitelt-ausgang-fuer-schenkkreis-moerder-150346746
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Protest vor dem italienischen Konsulat: Afredo raus dem 41bis!
Am Dienstag waren wir in Basel vor dem italienischen Konsulat: Alfredo libero! Schluss mit dem Folterregime 41bis!
https://barrikade.info/article/5667
Neubau = Sozialabbau
Gestern 28. Februar 2023 wurde das Haus an der Oberstrasse 202 in Güllen besetzt. Dieses leerstehende Gebäude wird momentan noch von der Ellena Immobilien AG verwaltet und demnächst der Gentrifizierung in die Hände fallen. Die Praxis, alte Häuser abzureissen, um moderne und grössere Wohnkomplexe zu bauen, ist unökologisch und unsozial. Mit der Besetzung an der Oberstrasse 202 wollen wir ein Zeichen gegen Immobilienspekulation in Form von Zerstörung von bewohnbarem Wohnraum setzen, um teure Neubauten zu errichten. Diese Praxis ist unökologisch und grenzt Menschen mit geringeren Löhnen aus.
https://barrikade.info/article/5665
+++FRAUEN/QUEER
«Ist ein Lebensgefühl»: Berner will Selbsthilfegruppe für Crossdressing gründen
«Chrigu» ist 68 Jahre alt und trägt Frauenkleidung. Über 44 Jahre lang versteckte er sich aber gekonnt vor allen, bis seine Ehe daran fast in die Brüche ging. Mittlerweile hat er sich geoutet und will nun anderen helfen, indem er in Bern eine Selbsthilfegruppe gründet.
https://www.baerntoday.ch/bern/region-bern/berner-will-selbsthilfegruppe-fuer-crossdressing-gruenden-150252298
+++ANTI-WOKE-POPULISMUS
Die Panik der Rechten vor dem Woke-Kapitalismus
Sozial- und umweltbewusstes Investieren wird neuerdings als «kultureller Marxismus» verteufelt.
https://www.watson.ch/wirtschaft/international/725093384-die-panik-der-rechten-vor-dem-woke-kapitalismus
«Bin richtig geschockt» – Clique verteilt Zeedel mit N-Wort an schwarze Frau
Einer Person of Colour wurde an der Basler Fasnacht von einer Clique ein Zettel in die Hand gedrückt, auf dem das N-Wort auftaucht. Das Wort sei eindeutig rassistisch konnotiert, sagt dazu die Antirassismuskommission.
https://www.20min.ch/story/bin-richtig-geschockt-clique-verteilt-zeedel-mit-n-wort-an-schwarze-frau-209777947305
Zu rassistisch? ZDF ändert Text von Udo-Jürgens-Hit und löst Debatte aus
Giovanni Zarrella performte in seiner ZDF-Schlagershow den Hit «Aber bitte mit Sahne» von Udo Jürgens – mit einer Anpassung am Text. Dies sorgt – ein Mal mehr – für eine Debatte.
https://www.20min.ch/story/zu-rassistisch-zdf-aendert-text-von-udo-juergens-hit-und-loest-debatte-aus-654911783952
—
aargauerzeitung.ch 02.03.2023
Ein schwarzes Gesicht auf dem Fasnachtswagen? «Wir können nicht jedes einzelne Kostüm kontrollieren»
Vor der Brittnauer Fasnacht sorgte fragwürdiger Flyer für Aufregung. «Geächtete Wörter», die als rassistisch gelten, sollten zelebriert werden. Die verantwortliche Fasnachtszunft krebste zurück. Ein Kostüm sorgte am Umzug dann aber doch für Gesprächsstoff.
Für die einen ist Fasnacht die Gelegenheit des Jahres ausgelassen zu feiern. Für andere sind es dagegen Veranstaltungen, bei denen Grenzüberschreitungen salonfähig gehalten werden. Denn Indianer-Verkleidungen oder das sogenannte «Blackfacing», bei dem durch dunkle Schminke ein dunklerer Hautton imitiert wird, gelten heutzutage als rassistisch.
Vergangenen Sonntag feierten auch die Brittnauer die für viele schönste Zeit des Jahres. Angeführt wurde der Umzug von der Häfe-Zunft Brönznau, die bereits im Vorfeld mit einem fragwürdigen Aufruf für Diskussionen sorgte. Der Fasnachtsverein wollte «geächtete Wörter» wieder aufleben lassen, so etwa Schlitzauge, Indianer oder das «N-Wort», wie es in einem Flyer dazu hiess.
«Es war nicht unsere Absicht, jemanden zu diskriminieren oder anzugreifen», sagte dann Stefan Seewer, Präsident der Häfe-Zunft Brönznau. Seewer stellte ausserdem klar, dass die Ausdrücke auf dem Flyer an der Brittnauer Fasnacht nicht explizit verwendet werden sollen. «An unserer Fasnacht sind alle willkommen – egal, woher sie kommen», ergänzte René Schär, der Vizepräsident des Brittnauer Fasnachtsvereins.
Ein paar Indianer und ein schwarzes Gesicht
Und so kam es dann auch: 36 verschiedene Guggen und Wagencliquen nahmen am Umzug teil. Die Diskussionen spielten bei den Besuchern keine Rolle, Jung und Alt genossen die gute Stimmung und kiloweise Konfetti. Einzig ein paar wenige Indianerverkleidungen waren zu sehen – und ein Kostüm mit schwarzem Gesicht.
Geplant war das offenbar nicht, wie Stefan Seewer dem Zofinger Tagblatt erklärt: «Wir haben bei der Planung des Umzugs darauf geachtet, dass niemand mit schwarz angemaltem Gesicht teilnimmt.» Solche Kostüme hätten bei ihnen keinen Platz. Die Fasnacht sei allerdings eine öffentliche Veranstaltung, nicht jedes Kostüm könne kontrolliert werden.
Wie aber kam der Mann mit schwarzem Gesicht auf den Fasnachtswagen? Seewer vermutet, dass die Person während des Umzugs auf den Wagen aufgestiegen sein muss. Das sei so nicht geplant gewesen. «Das Kostüm wäre von der Häfe-Zunft in dieser Form niemals bewilligt worden», so Seewer. (phh)
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/brittnau-ein-schwarzes-gesicht-auf-dem-fasnachtswagen-wir-koennen-nicht-jedes-einzelne-kostuem-kontrollieren-ld.2423792)
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
derbund.ch 02.03.2023
Mass-voll und Trychler an Demo: Corona-Skeptiker kapern die Schweizer Friedensbewegung
Jetzt protestieren sie gegen Waffenlieferungen an die Ukraine: Die einstigen Massnahmengegner ringen um ihre gesellschaftliche Relevanz.
Jacqueline Büchi, David Sarasin
Im September 2021 war der Mann, der sich «Attila der Kluge» nennt, auf allen Kanälen. An seiner Seite liess sich Bundesrat Ueli Maurer in der Kutte der massnahmenkritischen Freiheitstrychler ablichten. Für die Corona-Skeptiker war es der perfekte PR-Coup.
Diese Zeiten sind vorbei. Um die Massnahmenkritiker ist es ruhig geworden, seit der Bundesrat die letzten Schutzmassnahmen vor einem Jahr aufgehoben hat.
Zwar sammeln die Organisationen Mass-voll und Freunde der Verfassung derzeit für ein drittes Referendum gegen das Covid-19-Gesetz. Sie stören sich daran, dass das Parlament Teile des Gesetzes bis ins Jahr 2024 verlängert hat. Ob das Referendum aber zustande kommt, ist fraglich. Mit einer Schlussoffensive versucht das Komitee derzeit, bis Ende März die nötigen 50’000 Unterschriften zu sammeln.
Allerdings hat sich der Fokus der Szene, die sich inzwischen als «Bürgerrechtsbewegung» bezeichnet, in jüngster Zeit verlagert. Weg von Corona, hin zur Krise, die aktuell die Schlagzeilen dominiert. Am 11. März veranstaltet die Gruppierung Mass-voll, die sich während der Pandemie im Kampf gegen die Corona-Massnahmen formiert hat, in Bern eine «Friedensdemo».
Als Redner sind unter anderen der SVP-Hardliner Andreas Glarner und der coronaskeptische Youtuber Daniel Stricker angekündigt. Auch Michael Bubendorf, ehemaliges Gesicht der Freunde der Verfassung, wird zu den Anwesenden sprechen. Ebenso wie der stramm rechtsgerichtete Radiojournalist Burkhard Müller-Ullrich und ein österreichischer Rapper aus der Querdenker-Szene.
Die Freiheitstrychler, so etwas wie die Maskottchen der Bewegung, werden aller Voraussicht nach den Umzug anführen.
Sympathien für Russland
Die Einladung zur Demo verbreitete auch «Attila der Kluge», der einen in der Szene viel beachteten Telegram-Kanal mit rund 7800 Abonnenten betreibt und sich selber als «Bürgerrechtler» und «Freiheitskämpfer» bezeichnet. Über den Messengerdienst verbreitete er Falschnachrichten zu Corona – nun äussert sich «Attila» regelmässig auch zum Krieg in der Ukraine. Für eine Stellungnahme zu diesem Artikel war er nicht erreichbar.
Attila vertritt die Ansicht, Schweizer Medien würden «Anti-Russland-Propaganda» betreiben und die Nato heize die «Kriegsstimmung» absichtlich an. Mit Vorliebe lässt er sich über den ukrainischen Präsidenten Selenski aus, den er als «koksenden Komiker» bezeichnet.
Mit seiner Ansicht ist er im Umfeld der ehemaligen Massnahmenkritiker nicht allein. So widmete der in der Szene einflussreiche Youtuber Daniel Stricker dem Ukraine-Krieg jüngst eine rund einstündige Sendung. Titel: «Die nächste inszenierte Krise – Kreml für Anfänger».
Die Freiheitstrychler sorgten am Rand der Münchner Sicherheitskonferenz für Schlagzeilen, als sie an einer Anti-Nato-Demonstration mit Ansteckbuttons in den Farben der russischen Flagge aufmarschierten. Auf den Buttons prangte der Schriftzug: «Ich bin nicht im Krieg mit Russland».
Diese teils radikalen Positionen kommen nicht bei allen in der Szene gut an. Dem Vernehmen nach stören sich gewisse Personen auch an der Tonalität einiger Redner.
Nicolas Rimoldi, der Chef von Mass-voll und Organisator der Kundgebung, bezeichnet die Trychler als «Teil der Bürgerrechtsfamilie», die als solche herzlich eingeladen seien. Er «erwartet» jedoch, dass an der Berner Demo keine Russland-Buttons zu sehen sein werden, und verweist auf den Veranstaltungsflyer. Darauf heisst es: «Nicht gegen die Ukraine, nicht gegen Russland, nicht rechts, nicht links».
Einen Widerspruch zwischen Motto und Rednerliste erkennt Rimoldi nicht. Er verweist auf die eigene Familiengeschichte: Der Grossvater sei 1956 vor den Russen aus Ungarn geflohen.
Sein Engagement für den Frieden erklärt Rimoldi damit, dass es Mass-voll immer um mehr als die Pandemie gegangen sei. Die Bewegung stehe für Bürgerrechte ein, «ob es um die Organspende, das Anti-Terror-Gesetz oder das Konzept der Schweizer Souveränität geht».
Der Sozialwissenschaftler Marko Ković beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit Bewegungen der Gegenöffentlichkeit. Dass einstige Corona-Skeptiker nun plötzlich Friedensdemonstrationen ausrichten, entspricht für ihn einer gewissen Logik. «Der gemeinsame Nenner ist in diesem Fall nicht inhaltlicher Natur, sondern hat vor allem mit dem Mindset der Akteure zu tun», sagt Ković.
Die Demonstrierenden verbinde die Überzeugung, dass die Mehrheitsmeinung falsch sei. «Sie glauben, dass die Medien und die Politik ihnen die Wahrheit vorenthalten.»
Wunsch nach «mehrsichtiger Betrachtungsweise»
Spricht man mit Personen aus der Szene, klingt es nicht so anders. Christoph Pfluger war ein Gründungsmitglied der Verfassungsfreunde, seine Zeitschrift «Zeitpunkt» war ein wichtiges Organ der Massnahmenkritiker in der Schweiz. An der Berner Demonstration wird auch er als Redner auftreten.
Auf Anfrage sagt Pfluger: «Es stört viele Menschen, dass sie gleich als Putin-Agenten hingestellt werden, sobald sie das uniforme Bild nicht teilen, das sämtliche Medien in der Ukraine-Frage transportieren.» Man vermisse die «mehrsichtige Betrachtungsweise» des Konflikts.
Für Marko Ković steht fest, dass auch an der Berner Demonstration – entgegen Rimoldis Beteuerungen – prorussische Botschaften transportiert werden. «Wer bei einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg sagt: ‹Ich bin weder für die einen noch für die anderen›, ist eben nicht neutral, sondern stützt den Aggressor, in dem Fall Russland.»
Es geht auch um Geld
Ković vermutet auch strategische Gründe hinter der Organisation der Demo. Der Event ermögliche es Mass-voll, im Gespräch zu bleiben. «Wer eine solch schlagkräftige Truppe aufgebaut hat, will seine Bedeutung als gesellschaftliche Kraft nicht verlieren.» Dies nur schon aus finanziellen Gründen: Mass-voll, aber auch die Freunde der Verfassung verfügten während der Corona-Krise über gut ausgestattete Kassen.
Ihr aktuelles Budget wollen beide Organisationen nicht detailliert offenlegen. Bekannt ist jedoch, dass die Verfassungsfreunde im Pandemiejahr 2021 allein von Mitgliedern, Spenderinnen und Sponsoren über 8,5 Millionen Franken einnahmen.
Ausgiebig war auch über die finanziellen Mittel von Mass-voll spekuliert worden, als im Sommer 2021 Tausende Plakatwände, Screens und Grossleinwände an Bahnhöfen im Violett der Bewegung erstrahlten. Nicolas Rimoldi versprach damals, die Buchhaltung künftig transparent zu machen.
Auf Anfrage sagt er nun, eine Jahresrechnung sei aus technischen Gründen noch nicht verfügbar. Allerdings lebe Mass-voll vor allem von Kleinspenden, wobei diese während der Pandemie deutlich umfangreicher ausgefallen seien als heute. Dazu kämen seit letztem Jahr Mitgliederbeiträge sowie Erlöse aus dem Onlineshop, wo unter anderem T-Shirts und Shoppingtaschen mit dem Logo der Bewegung angeboten werden – neu auch in Kombination mit einer Friedenstaube.
Für die «Friedensdemo» gibt Mass-voll gemäss eigenen Angaben rund 15’000 Franken aus, weitere 50’000 Franken sind für laufende politische Projekte budgetiert.
Pläne für Volksinitiative
Die politischen Ambitionen der Corona-Skeptiker sind mit dem Ende der Pandemiemassnahmen auch abseits des Ukraine-Themas nicht verschwunden. Neben dem neuen Covid-Referendum planen Mass-voll und die Freunde der Verfassung auch eine Volksinitiative zur Bewahrung der Schweizer Souveränität. Diese soll nach Angaben von Rimoldi Mitte April lanciert werden.
Das Volksbegehren verlangt, dass die Schweiz keine völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehen darf, die in die Grundrechte eingreifen – explizit genannt wird ein geplanter Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation.
Ein Teil der ehemaligen Corona-Szene versucht zudem, bei Legislativwahlen eine Rolle zu spielen. So erreichten ehemalige Massnahmengegner unter dem Label «Aufrecht» an den Zürcher Kantonsratswahlen im Februar einen Wähleranteil von über 2 Prozent. An der Wahlfeier war auch «Attila der Kluge» zugegen.
Marko Ković findet, aus einer demokratischen Sicht sei es zu begrüssen, wenn die Bewegung vermehrt den Weg der institutionellen Politik einschlage. Dies zwinge sie dazu, sich konstruktiv an der Debatte zu beteiligen. Ob die Bewegung mittelfristig Erfolg haben kann, hänge nicht zuletzt auch von der SVP ab, die sich bereits erfolgreich als Anti-Mainstream-Kraft positioniert habe.
Das Konkurrenzverhältnis beschäftigt offenbar auch SVP-Doyen Christoph Blocher. Auf seinem Haussender Teleblocher kommentierte er Mitte Februar das Abschneiden von «Aufrecht» in Zürich mit den Worten: «Die haben auf dem Land in gewissen Gebieten, wo wir stark sind, 3,5 Prozent gemacht – das ist viel!» Die SVP habe dadurch wertvolle Stimmen verloren.
Roland Bühlmann, der Co-Präsident der Freunde der Verfassung, ist überzeugt, dass die Bürgerrechtsbewegung eine politische Zukunft hat. Er sagt: «Beim zweiten Covid-Referendum haben fast 1,4 Millionen Menschen für uns gestimmt. Die müssen alle noch irgendwo sein.»
Bühlmann verweist darauf, dass die Freunde der Verfassung offiziell ähnlich viele Mitglieder haben wie die Grünen, rund 13’000. «Bei der Umweltbewegung dauerte es auch Jahrzehnte, bis sie sich in der institutionellen Politik etabliert hat.»
Allerdings haben zahlreiche Querelen und Spaltungen die selbst ernannte Bürgerrechtsbewegung geschwächt. Das zeigt sich deutlich bei den Freunden der Verfassung. Letztes Jahr rumpelte es im Verein gleich doppelt. Im Januar trat der Vorstand geschlossen zurück, von einem «Putschversuch» war die Rede. Im November dann trennte sich auch der neue Vorstand im Streit, fünf von acht Mitgliedern erklärten ihren Rücktritt.
Nach Angaben ehemaliger Mitglieder entzündeten sich die Streitigkeiten auch an der Frage, wie es gelingen kann, in Zukunft eine entscheidende politische Rolle zu spielen. «Attila» hat ebenfalls mit den Verfassungsfreunden gebrochen. Auf Telegram forderte er nach dem Eklat im November deren Auflösung und schrieb: «Dieser Verein ist für mich gestorben! Aus! Fertig! Die sollen sich zum Kuckuck scheren!»
(https://www.derbund.ch/corona-skeptiker-kapern-die-schweizer-friedensbewegung-566387498638)