Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
+++BERN
Lyss: Zwei Verletzte nach Auseinandersetzung
Am Dienstagmittag ist es im Bundesasylzentrum in Lyss zu einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen gekommen. Dabei wurden zwei Jugendliche leicht verletzt. Sie wurden ins Spital gebracht. Weitere Ermittlungen zu den Ereignissen wurden aufgenommen.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=83ad316d-9f4f-462f-8efe-22a484e76bd8
-> https://www.baerntoday.ch/bern/kanton-bern/zwei-verletzte-nach-streit-in-bundesasylzentrum-in-lyss-150332031
-> https://ajour.ch/de/story/nach-auseinandersetzung-mit-gef%C3%A4hrlichem-gegenstand-zwei-verletzte-im-bundesasylzentrum-lyss/58682
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/gefaehrlicher-gegenstand-zwei-verletzte-nach-auseinandersetzung-in-asylzentrum-id18359704.html
+++AARGAU
Geschäft mit alten Immobilien: Was läuft in Windisch hinter den Kulissen?
Mieterinnen und Mieter müssen sich nach einer neuen Bleibe umsehen, weil ihre Wohnungen zur Asylunterkunft umfunktioniert werden. Spielt der Kanton einem Immobilienentwickler in die Karten?
https://www.blick.ch/wirtschaft/geschaeft-mit-alten-immobilien-was-laeuft-in-windisch-hinter-den-kulissen-id18358128.html
Asylunterkunft im Aargau: Im Fall Windisch tönt jetzt alles anders
Auch ohne Flüchtlinge hätten die 49 Mieter und Mieterinnen in Windisch die Kündigung erhalten, sagt der Hauseigentümer. Warum? Und warum sagte die Gemeindepräsidentin bis jetzt etwas anderes?
https://www.tagesanzeiger.ch/im-fall-windisch-toent-jetzt-alles-anders-398915415389
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/solothurner-schulsystem-soll-angepasst-werden?id=12343861
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/mietern-fuer-asylheim-gekuendigt-windisch-worum-es-beim-streit-um-die-asylunterkunft-geht
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/mietern-fuer-asylheim-gekuendigt-windisch-worum-es-beim-streit-um-die-asylunterkunft-geht?wt_mc_o=srf.push.webpush.browser.article
-> https://www.watson.ch/schweiz/aargau/187471537-geplante-asylunterkunft-in-windisch-ag-eigentuemer-plant-neubau
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/kanton-aargau-raumt-fehler-bei-asylunterkunft-in-windisch-ein-66435153
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/vorwurfe-in-windisch-kanton-wusste-seit-monaten-von-mieter-rauswurf-66434623
-> https://www.blick.ch/politik/mietern-wurde-in-windisch-wegen-asylunterkunft-gekuendigt-kanton-aargau-raeumt-fehler-ein-id18361095.html
-> https://www.blick.ch/community/geschlossene-kommentarspalten-warum-du-bei-windisch-nicht-mitkommentieren-darfst-id18359996.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/umfahrung-klus-darf-nicht-gebaut-werden?id=12344812 (ab 05:09)
-> https://www.ag.ch/de/aktuell/medien/medienmitteilungen?mm=kanton-sucht-zusammen-mit-gemeinde-windisch-und-liegenschaftseigentuemerin-loesung-fuer-mieterinnen-und-mieter-bd9e6d54-dbc0-4760-9415-ceaa37ed2049_de
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/jean-pierre-gallati-nimmt-stellung-zur-asylunterkunft-in-windisch?urn=urn:srf:video:cd2499d9-2dd5-472f-b176-e291a172b3cc
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/nach-eklat-in-windisch-gemeindeverband-kritisiert-asyl-strategie-des-bundes
-> https://www.watson.ch/schweiz/migration/686960574-wie-die-svp-das-narrativ-des-asyl-chaos-aufrechterhaelt
-> https://www.telem1.ch/aktuell/grosse-solidaritaet-in-windisch-wird-gegen-die-asyl-kuendigungen-demonstriert-150337501
-> https://www.telem1.ch/aktuell/schweigen-gebrochen-jean-pierre-gallati-nimmt-stellung-zum-asyldebakel-in-windisch-150337540
-> Talk Täglich: https://tv.telezueri.ch/talktaeglich/mieter-raus-fluechtlinge-rein-149791503
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/asylunterkunft-windisch-kanton-aargau-entschuldigt-sich-haelt-aber-am-vorgehen-fest
-> https://www.20min.ch/story/mieter-muessen-zuhause-fuer-asylunterkunft-raeumen-kanton-raeumt-fehler-ein-195295818169
-> https://www.woz.ch/zoo/2023/03/01/inkompetenz-und-bosheit-ein-toxisches-gebraeu
-> https://www.watson.ch/schweiz/migration/317382135-kanton-aargau-raeumt-fehler-bei-asylunterkunft-in-windisch-ein
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/aufruf-asylstreit-in-windisch-solidaritaets-kundgebung-fuer-betroffene-mieterinnen-und-mieter-heute-abend-ld.2422905
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aargauerzeitung.ch 01.03.2023
AZ-Recherchen zeigen: Der Kanton Aargau hat im Fall Windisch nur die halbe Wahrheit gesagt
«Es geht um eine reguläre Anmietung zweier Altliegenschaften, deren Sanierung in nächster Zeit bevorsteht.» So äusserte sich der Kanton zum Rauswurf von 49 Mieterinnen und Mietern in Windisch, um Platz für Asylsuchende zu schaffen. Nun zeigen Recherchen der AZ: Das stimmt so nicht.
Fabian Hägler
In der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 mietete der Kanton Liegenschaften als Asylunterkünfte, ohne die Gemeinden vorab zu informieren. Dies führte zu viel Unmut und löste auch politische Vorstösse aus. Gegen den Willen der Regierung wurde ein Postulat von SVP-Grossrat Christoph Riner dazu überwiesen. Riner forderte eine frühzeitige Information und Involvierung der Gemeindebehörden, wenn der Kanton die Anmietung von Liegenschaften zur Unterbringung von Flüchtlingen plant.
Eine Information erst nach Vertragsunterzeichnung könne als Misstrauensvotum gegenüber den Gemeindebehörden interpretiert werden, hiess es in der Diskussion. Am 7. Mai 2018 einigte sich die Paritätische Kommission Asyl- und Flüchtlingswesen, in der Kanton und Gemeinden vertreten sind, schliesslich auf ein Ablaufschema für die Planung und Eröffnung von kantonalen Asylunterkünften.
Vor fünf Jahren waren die Forderungen relativ einfach umzusetzen, denn die Flüchtlingszahlen waren tief, der Kanton musste kaum neue Asylunterkünfte eröffnen. Heute ist dies anders, wegen des Ukraine-Kriegs und des verstärkten Zustroms von Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei sind die Zentren des Kantons voll. Deshalb müssen neue Unterkünfte rasch eröffnet werden – und die Vorgaben des Schemas werden nicht immer eingehalten.
Eigentümer will Häuser abreissen und einen Neubau erstellen
Dies ist im Fall Windisch so, wo 49 Mieterinnen und Mieter die Kündigung erhielten, um Platz für Asylsuchende zu schaffen. Der Gemeinderat schrieb am Montag, er sei an einer Sitzung am 17. Februar über die Pläne des Kantons informiert worden, die Gebäude künftig für Flüchtlinge zu nutzen. Obwohl die Gemeinde dem Kantonalen Sozialdienst mitteilte, dass die Liegenschaften vermietet sind, erhielten Bewohnerinnen und Bewohner eine Woche später bereits die Kündigung.
Der Kantonale Sozialdienst teilte am Montag auf Nachfrage der AZ nur mit, es gehe um eine reguläre Anmietung zweier Altliegenschaften, deren Sanierung in nächster Zeit bevorstehe. Recherchen zeigen nun, dass der Kanton im Fall Windisch nur die halbe Wahrheit sagt: Der Eigentümer will die Gebäude abreissen, die Asylunterkunft ist schon seit Monaten geplant, doch der Kanton hatte die Gemeinde nicht informiert.
Gemeinderat wurde nicht über Asylpläne informiert
Heidi Ammon (SVP), Gemeindepräsidentin von Windisch, sagt auf Anfrage: «Die Liegenschaft gehörte bis letzten Herbst einem Eigentümer, der mit dem Kanton bereits Vorgespräche über eine mögliche Nutzung als Asylunterkunft geführt hatte.» Über diese Pläne war der Gemeinderat Windisch laut Ammon aber nicht informiert worden.
Michel Hassler, Sprecher des Gesundheits- und Sozialdepartements von SVP-Regierungsrat Jean-Pierre Gallati, bestätigt auf Anfrage: «Der Kantonale Sozialdienst hatte mit dem ehemaligen Eigentümer Kontakt, eine Vereinbarung ist jedoch nicht zu Stande gekommen.»
Hassler sagt, weil man keine Einigung gefunden habe, sei keine Vorinformation des Gemeinderats nötig gewesen. Dies widerspricht indes den Vorgaben im Ablaufschema, dort ist schon bei der Angebotsprüfung durch den Kanton ein «vertraulicher telefonischer Erstkontakt mit der Gemeinde» vorgesehen.
Nutzung als Asylunterkunft könnte mehrere Jahre dauern
Im Herbst 2022 übernahm ein anderer Eigentümer, die 1drittel Aleph AG mit Sitz in Wollerau SZ, die Liegenschaft. Die Firma plant keine Sanierung, wie der Kantonale Sozialdienst schrieb, sondern den Abriss der bestehenden Gebäude und einen Neubau. Mit dem neuen Besitzer hat der Kanton offenbar eine Einigung über eine Nutzung der Häuser als Asylunterkunft erzielt.
Wann die Einigung zu Stande kam, ist unbekannt – klar ist: An einer Sitzung am 17. Februar wurde der Gemeinderat vom Kantonalen Sozialdienst informiert. Die Nutzung als Asylunterkunft bis zum Abriss könnte lange dauern, es liegt noch kein Projekt oder Baugesuch vor. «Ich gehe davon aus, dass das Verfahren rund zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen dürfte», sagt Heidi Ammon, die am Dienstag ein Gespräch mit den Liegenschaftsbesitzern hatte.
Um die ganze Situation zu klären, ist ein runder Tisch mit dem Eigentümer, dem Kantonalen Sozialdienst und dem Gemeinderat Windisch geplant. «Bevor diese Aussprache stattgefunden hat, möchte ich mich in den Medien nicht mehr äussern», sagt Ammon, die auf ein konstruktives Gespräch und eine gute Lösung hofft.
Kanton plant Unterkunft für 100 minderjährige Flüchtlinge
Die AZ weiss: In den Liegenschaften in Windisch ist eine Unterkunft für jugendliche Flüchtlinge geplant. Am 1. Februar lebten 219 sogenannte unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) im Aargau. Die Zahl der Asylgesuche von Minderjährigen, die ohne Eltern geflüchtet sind, steigt stark. Im November 2020 lebten 72 von ihnen im Aargau, im November 2022 waren es 157, seither sind über 60 Jugendliche angekommen.
Günter Marz, Bereichsleiter UMA beim Kantonalen Sozialdienst, stellt sich darauf ein, dass es dieses Jahr im Aargau 160 zusätzliche Plätze für minderjährige Flüchtlinge brauchen wird. Es sei eine «wahnsinnige Herausforderung», sagte er vor drei Wochen in der AZ. «Wir müssen Jugendliche aufnehmen, Mitarbeitende einarbeiten und parallel dazu neue Strukturen planen, damit wir noch mehr Jugendliche aufnehmen können.»
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/asylstreit-kanton-sagt-im-fall-windisch-nur-die-halbe-wahrheit-eigentuemer-will-gebaeude-abreissen-und-die-asylunterkunft-ist-schon-seit-monaten-geplant-ld.2422452)
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aargauerzeitung.ch 01.03.2023
Kündigungen «einzig und allein» wegen Neubauprojekt: Zum ersten Mal äussert sich der Besitzer der Liegenschaften in Windisch
Heute Abend findet in Windisch eine Infoveranstaltung für Mieterinnen und Mieter statt, denen die Wohnung gekündigt wurde. Nun nimmt der Besitzer der Liegenschaft erstmals öffentlich Stellung. Die Kündigungen seien nicht zwecks Vermietung an Flüchtlinge erfolgt, sondern weil ein Neubauprojekt geplant sei.
Fabian Hägler
Am vergangenen Freitag meldeten sich mehrere Mieterinnen und Mieter von Wohnungen an der Zelgli- und Mülligerstrasse in Windisch auf der Gemeindeverwaltung – sie hatten die Kündigung erhalten. Am Montag schrieb der Gemeinderat in einer Mitteilung, insgesamt sei 49 Personen gekündigt worden, weil der Kanton die Liegenschaften als Asylunterkunft mieten wolle.
Der Kantonale Sozialdienst äusserte sich nur knapp dazu und schrieb, es handle sich um eine reguläre Anmietung von Liegenschaften, bei denen in nächster Zeit eine Sanierung vorgesehen sei. Recherchen der AZ ergaben jedoch, dass der Eigentümer die Häuser abreissen und einen Neubau realisieren will. Zudem zeigte sich, dass der Kantonale Sozialdienst die Liegenschaft schon länger im Auge hat, die Gemeinde aber nicht rechtzeitig informierte.
Eigentümer: Kündigungen nur für 32 Wohneinheiten ausgesprochen
Heute Abend findet in Windisch eine Infoveranstaltung für die Mieterinnen und Mieter statt, denen die Wohnung gekündigt wurde. Dort ist auch der Besitzer der Liegenschaft dabei, der sich gegenüber dem Regionaljournal von Radio SRF bereits schriftlich geäussert hat. Auf Nachfrage stellt der Geschäftsführer der 1drittel Aleph AG mit Sitz in Wollerau SZ auch der AZ seine Stellungnahme zu.
Darin hält der Eigentümer fest, er habe die Mietverträge von 32 Wohneinheiten gekündigt, «und nicht wie teilweise erwähnt 49 Wohneinheiten». Er schreibt weiter, die Kündigungen der Wohnungen seien «nicht zwecks Vermietung an Flüchtlinge erfolgt». Diese seien einzig und alleine ausgesprochen worden, weil sein Unternehmen an der Mülliger- und Zelglistrasse einen Neubau plane.
Schlechte Bausubstanz: Häuser müssen einem Neubau weichen
Die bestehende Liegenschaft habe ihren baulichen Lebenszyklus erreicht, zudem wolle er «dem gesellschaftlichen und umweltschutztechnischen Bedürfnis nach verdichtetem und modernem Bauen nachkommen», teilt der Eigentümer mit. Aufgrund der schlechten Bausubstanz sowie der erhöhten Anforderungen von Mietenden an die Wohnqualität müssten die heutigen Gebäude «in absehbarer Zeit einem Ersatzneubau weichen».
Wegen des aktuellen Wohnungsmangels und dem Bedarf an Unterkünften für Flüchtlinge «wurde die Hauseigentümerschaft seitens Kanton Aargau angefragt, die Liegenschaft für eine Zwischennutzung zur Verfügung zu stellen», heisst es in der Stellungnahme weiter. Der Besitzer würde es bedauern, «im aktuellen Wohnungsmarkt die Liegenschaft für längere Zeit ganz oder teilweise leer stehen zu lassen».
Besitzer erachtet Nutzung als Asylzentrum für alle Parteien als sinnvoll
Deshalb erachte er «eine solche Zwischennutzung für sämtliche involvierten und betroffenen Parteien als sinnvoll». Der Besitzer weist «mit Nachdruck» darauf hin, «dass der Grund der Kündigung und die beabsichtigte Zwischennutzung zwei komplett unabhängige Angelegenheiten sind». Die Kündigung der aktuellen Mietverhältnisse musste gemäss Stellungnahme unabhängig von einer allfälligen Zwischennutzung vorgenommen werden.
Weiter schreibt der Geschäftsführer der Immobilienfirma, dass die Kündigungen ausgesprochen werden mussten, bedauere die Hauseigentümerschaft sehr. Er sei sich auch bewusst, «welch tiefgreifende Folgen eine solche Kündigung für die Betroffenen nach sich zieht». Im vorliegenden Fall sei es aber so, «dass die gesellschaftspolitischen Ziele teilweise den Individualinteressen der aktuellen Mieter entgegenstehen».
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/fluechtlingsstreit-kuendigungen-einzig-und-allein-wegen-neubauprojekt-zum-ersten-mal-aeussert-sich-der-besitzer-der-liegenschaften-in-windisch-ld.2423069)
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aargauerzeitung.ch 01.03.2023
Flüchtlingsstreit in Windisch: Gallati entschuldigt sich – Kanton hält an Plänen für Asylunterkunft fest
Mieterinnen und Mieter einer Liegenschaft in Windisch erhielten die Kündigung, sie sollen Platz für Asylsuchende machen. Jetzt räumt Regierungsrat Jean-Pierre Gallati Fehler ein – doch die Unterkunft für 70 minderjährige Flüchtlinge soll in Betrieb genommen werden.
Fabian Hägler
Am vergangenen Freitag meldeten sich mehrere Mieterinnen und Mieter von Wohnungen an der Zelgli- und Mülligerstrasse in Windisch auf der Gemeindeverwaltung – sie hatten die Kündigung erhalten. Am Montag schrieb der Gemeinderat in einer Mitteilung, insgesamt sei 49 Personen gekündigt worden, weil der Kanton die Liegenschaften als Asylunterkunft mieten wolle.
Der Kantonale Sozialdienst äusserte sich nur knapp dazu und schrieb, es handle sich um eine reguläre Anmietung von Liegenschaften, bei denen in nächster Zeit eine Sanierung vorgesehen sei. Recherchen der AZ ergaben jedoch, dass der Eigentümer die Häuser abreissen und einen Neubau realisieren will. Zudem zeigte sich, dass der Kantonale Sozialdienst die Liegenschaft schon länger im Auge hat, die Gemeinde aber nicht rechtzeitig informierte.
Folgen für Mieter unterschätzt und Fehler in der Kommunikation gemacht
Nun äussert sich auch der Kanton ausführlich. Am Mittwochnachmittag verschickte das Gesundheits- und Sozialdepartements eine Mitteilung. Darin heisst es: «Landammann Jean-Pierre Gallati, Vorsteher des Departements Gesundheit und Soziales (DGS), bedauert die von der Evaluation der Asylunterkunft für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) in Windisch ausgelösten Entwicklungen.
Bei den Abklärungen habe der Kantonale Sozialdienst dem Aspekt der bestehenden Mietverhältnisse beziehungsweise den Konsequenzen für die Mieterinnen und Mieter keine Beachtung geschenkt. Weiter habe der Kanrton in der Kommunikation Fehler gemacht, heisst es in der Mitteilung. «Man ging davon aus, dass die Liegenschaften eine sehr hohe Fluktuationsrate aufweisen und daher eine gestaffelte Nutzung als UMA-Unterkunft möglich wäre».
Gallati bedauert Fehler und bittet um Entschuldigung
Landammann Jean-Pierre Gallati bedauert diese Fehler und bittet die betroffenen Mieterinnen und Mieter sowie den Gemeinderat Windisch dafür um Entschuldigung. Das Sozialdepartement werde in den nächsten Tagen mit dem Gemeinderat Windisch und der Liegenschaftseigentümerin nach Lösungen suchen, die den Interessen der betroffenen Mieterinnen und Mietern entsprechen.
Das Ziel ist gemäss Mitteilung der Verbleib der Mieterinnen und Mieter in ihren Wohnungen, bis sie eine geeignete Ersatzlösung haben. Der Kantonale Sozialdienst werde die Betroffenen bei diesem Prozess unterstützen und begleiten. Dennoch hält der Kanton an seinen Plänen fest, an der Mülliger- und Zelglistrasse in Windisch eine Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge zu eröffnen.
Kanton hält an Asylplänen fest – und wirbt um Verständnis
«Wir bitten den Gemeinderat Windisch um Verständnis, dass wir aufgrund der ausserordentlichen Lage die genannte Liegenschaft anmieten und als UMA-Unterkunft in Betrieb nehmen müssen», heisst es in einem Schreiben an die Gemeinde. Der Kantonale Sozialdienst werde alles daransetzen, in Windisch einen ruhigen und geordneten Unterkunftsbetrieb zu gewährleisten. Eine Begleitgruppe des Sozialdienstes mit Vertretungen der Gemeinde und der Regionalpolizei könne aufkommende Themen und allfällige Vorkommnisse zur Asylsituation rund um die neue Unterkunft, besprechen und bei Bedarf Lösungen einleiten.
Dem Kanton Aargau seien aktuell 230 unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) zugewiesen; für 2023 würden voraussichtlich 160 bis 180 zusätzliche Plätze benötigt, heisst es in der Mitteilung weiter. Die Unterbringung, Betreuung und Beschulung dieser Minderjährigen stell besondere Anforderungen, deshalb kämen beispielsweise unterirdische Unterbringungsformen nicht in Frage.
Kantonaler Sozialdienst fragt Eigentümer der Liegenschaften an
Klar wird aus der Mitteilung auch, wie die Pläne für die Unterkunft zustande gekommen sind. Der Eigentümer der Liegenschaften wolle und müsse diese wegen des schlechten Zustands in nächster Zeit abbrechen und neu bauen, schreibt der Kanton. Die 1drittel Aleph AG sei aber erst seit einigen Monaten Eigentümer der Liegenschaft und benötige noch etwas Zeit, um das Projekt zu entwickeln.
Der Kantonale Sozialdienst ist seit einigen Monaten intensiv auf der Suche nach geeigneten oberirdischen Liegenschaften und evaluierte dabei Liegenschaften an der Zelglistrasse und an der Mülligerstrasse in Windisch. Er hat laut Mitteilung beim Eigentümer sein Interesse an einer Zwischennutzung der Abbruchliegenschaft als Asylunterkunft bekundet – dies bis zum Start des Neubauprojektes.
Mietverpflichtung am 3. Februar unterschrieben – für drei Jahre
Wegen der hohen Mieterfluktuation und der Vorbereitung des Neubaus habe der Eigentümer ebenfalls Interesse an einer Zwischennutzung gezeigt. Die Liegenschaften mit insgesamt 32 Wohneinheiten – zur Hauptsache Studios – will der Kanton als reguläre Unterkunft für 70 minderjährige Flüchtlinge nutzen.
Am 3. Februar hat sich der Kantonale Sozialdienst laut Mitteilung verpflichtet, die Liegenschaften zu mieten. Vereinbart wurde eine Quadratmetermiete für die verfügbaren Flächen. Wenn einzelne Wohnungen nicht verfügbar sind, reduziert sich die Miete. Der Vertrag geht über drei Jahre mit Option auf eine Verlängerung um sechs Monate.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/rauswurf-fluechtlingsstreit-in-windisch-gallati-entschuldigt-sich-kanton-haelt-an-plaenen-fuer-asylunterkunft-fest-ld.2423089)
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aargauerzeitung.ch 01.03.2023
Wohnungskündigungen: Nach Solidaritätsaktion mit Betroffenen werden individuelle Lösungen gesucht
Gut 20 Mieterinnen und Mieter, denen gekündigt wurde, haben sich im Gemeindehaus Windisch vom Besitzer über die Pläne mit den Liegenschaften im Gebiet Zelglistrasse/Mülligerstrasse informieren lassen. Etwa 100 Personen aus dem Dorf und der Politik unterstützten die Betroffenen moralisch.
Claudia Meier
Am Mittwochabend nach 17 Uhr versammeln sich zuerst nur Medienschaffende auf dem Platz vor dem Gemeindehaus Windisch. Wenige Minuten zuvor hat das Departement Gesundheit und Soziales von Landammann Jean-Pierre Gallati eine Medienmitteilung verschickt und Fehler eingeräumt. Dass der Kanton zusammen mit der Gemeinde Windisch und der Liegenschaftseigentümerin Lösungen für die Mieterinnen und Mieter sucht, welche eine Wohnungskündigung erhalten haben, ist den Anwesenden zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt.
Gemeinsam marschieren die Mieterinnen und Mieter, die ihre Wohnung an der Zelglistrasse oder Mülligerstrasse per Ende Juni oder September verlassen müssten, auf den Vorplatz.
Eine der Betroffenen ist Ariane. Sie nimmt mit ihrer Tochter am Informationsanlass im 8. Stock des Gemeindehauses teil. Grosse Erwartungen an die Veranstaltung habe sie nicht, sagt sie. Die Situation sei so verworren, viele Sozialhilfebezüger seien betroffen, was sich sehr destabilisierend auf das Leben auswirke.
Ariane berichtet von schlaflosen Nächten. Sie spricht von vier Familien mit Kindern, die in Windisch zur Schule gehen und jetzt ein neues Zuhause suchen müssen. Insgesamt seien zwölf Kinder betroffen. Eine Mieterstreckung würde ihr sehr helfen, sagt Ariane.
Seit 25 Jahren wohnt Kadrush Ismailaj an der Mülligerstrasse. Im Gebäudekomplex hat er bereits die dritte Wohnung bezogen und ist als Hauswart tätig. Er habe noch nichts gehört, warum er Ende September gehen müsse, sagt der Familienvater. Ohnmacht macht sich bei ihm breit.
Betroffene suchen die Öffentlichkeit nicht
«Wir sind hier, weil unsere Freunde betroffen sind», sagt Anja Rufli. Sie kritisiert insbesondere den Kanton und die Eigentümerin für die fehlende Kommunikation. In diesem Fall seien vor allem Leute betroffen, die nicht in die Öffentlichkeit treten wollten oder können. Rufli, die mit ihrer Familie vor Ort ist, betont, dass sie überhaupt nicht gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sei. Doch das Ausspielen von Menschengruppen gegeneinander findet sie unhaltbar.
Inzwischen bildet sich eine kleine Schlange vor der automatischen Türe zum Gemeindehaus. Peinlich genau wird kontrolliert, dass nur Mieterinnen und Mieter reingelassen werden. Ein Polizist beobachtet die Szene. Auf dem Platz unterhalten sich die Anwesenden angeregt.
So auch Fraktionspräsidentin Elsbeth Hofmänner und Heinz Wipfli, beide vom Vorstand der Mitte-Ortspartei. «Ein vorinformierender Telefonanruf an die Gemeinde hätte schon vieles entschärft», sagt der ehemalige Vizeammann Wipfli. Hofmänner ergänzt: «Man muss einfach besser miteinander reden. Das gilt nicht nur in einer Beziehung, sondern auch in der Politik und Gesellschaft.»
Bis 18 Uhr haben sich selbst die Betroffenen ohne Deutschkenntnisse ins Verwaltungsgebäude getraut. Ein Übersetzung wurde für den Infoanlass nicht organisiert. «Ein grosses Dankeschön für die Unterstützung», ruft ein Mieter in die zurückgebliebene Runde auf dem Vorplatz, bevor er im Hochhaus verschwindet. Gut 20 Betroffene inklusive Kinder nehmen am Anlass teil, so der Eingangskontrolleur.
Vermieterin nimmt bis Ende Woche Stellung
Eine Seniorin, die das Geschehen vom Rand aus betrachtet, sagt zur aktuellen Situation, langsam könne man niemandem mehr trauen. Sie zeigt sich überzeugt, dass es in Windisch noch mehrere leerstehende Liegenschaften gebe, die man als Asylunterkunft nutzen könnte. Dadurch müsste man keine Kündigungen aussprechen.
Nach gut zweieinhalb Stunden schreibt die Gemeinde Windisch in einer Mitteilung: «In einer offenen und lösungsorientierten Diskussion haben alle Anwesenden Möglichkeiten diskutiert, wie die aktuelle Situation gelöst werden kann.» Mit dabei war neben der Liegenschaftsbesitzerin auch der Kantonale Sozialdienst. Am Schluss haben sich alle Parteien darauf geeinigt, dass der Vermieterin bis Ende Woche Zeit gegeben wird, um zur vorgeschlagenen Lösung schriftlich Stellung zu nehmen.
Diese Lösung beinhalte, dass die Kündigungen aufgeschoben werde, damit die Beteiligten bis Ende März Zeit haben, um das weitere Vorgehen in einem Austausch auf Augenhöhe zu besprechen, schreiben Windischs Gemeindepräsidentin Heidi Ammon und Gemeindeschreiber Marco Wächter. Dabei sei von der Eigentümerin in Aussicht gestellt worden, dass für die Mieterinnen und Mieter individuelle Lösungen erarbeitet würden. Auch die Vertreter des Kantonalen Sozialdienstes hätten diesbezüglich ihre Hilfe angeboten.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/windisch-wohnungskuendigungen-nach-solidaritaetsaktion-mit-betroffenen-werden-individuelle-loesungen-gesucht-ld.2422965)
+++LUZERN
Umstrittene Kroatienabschiebung
Wenn man an Kroatien denkt, kommen einem zuerst Ferien und schöne Strände in den Sinn. Für Geflüchtete hat Kroatien aber eine ganz andere Bedeutung. Schläge, Verfolgung und Gewalt seien keine Einzelfälle. Schon länger ist Polizeigewalt in Kroatien ein grosses Thema. Wir haben in Luzern eine Betroffene aus Burundi getroffen, welche in Kroatien das Schlimmste erlebt hat:
https://www.tele1.ch/nachrichten/umstrittene-kroatienabschiebung-150338694
+++NIDWALDEN
Das Zeughaus im Nidwaldnerischen Oberdorf ist für ukrainische Flüchtlinge umgebaut worden. (ab 02:37)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/emmi-verdiente-2022-rund-10-prozent-weniger?id=12344059
+++ZÜRICH
Die Missstände im Jugend-Asylheim Lilienberg in Affoltern werden extern untersucht. (ab 06:25)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-stadtrat-will-keinen-gegenvorschlag-zur-parkinitiative?id=12344752
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/maengel-im-jugend-asylheim-lilienberg-werden-extern-untersucht-150332977
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/asylwesen-maengel-im-jugend-asylheim-lilienberg-werden-extern-untersucht-ld.2423074
-> https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/departement/medien/medienmitteilungen/2023/maerz/230301b.html
+++SCHWEIZ
Asylpolitik : Zurück in die Ungewissheit
Die Schweiz schafft einen abgewiesenen Asylsuchenden nach Sri Lanka aus. Dabei hatte sogar der Uno-Ausschuss gegen Folter in dessen Fall interveniert.
https://www.woz.ch/2309/asylpolitik/zurueck-in-die-ungewissheit/!VZFZ0QZSAJS1
Jetzt soll Bund bei der Unterbringung von Flüchtlingen helfen
Nach dem Fall Seegräben, wo ein Mieter die Kündigung erhielt, damit Flüchtlinge in die Wohnung einziehen können, fordern die Gemeinden Unterstützung vom Bund. Auch auf nationaler Ebene gibt es Forderungen zu den Asylentscheidungen.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/jetzt-soll-bund-bei-der-unterbringung-von-fluechtlingen-helfen-150337872
Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit übernimmt den Erlass von Wegweisungsverfügungen im Kanton St. Gallen
Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) unterstützt den Kanton St. Gallen verstärkt bei der Bewältigung der irregulären Migration an der Ostgrenze. Bund und Kanton haben vereinbart, dass das BAZG im Kanton St. Gallen den Erlass von Wegweisungsverfügungen für rechtswidrig eingereiste Personen, die kein Asylgesuch in der Schweiz stellen wollen, vom Kanton St. Gallen übernimmt. Die Massnahme ist vorerst auf sechs Monate befristet.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-93382.html
Jugendliche aus der Ukraine sollen Lehre in der Schweiz abschliessen können
Unter den Schutzsuchenden aus der Ukraine, die in der Schweiz den Schutzstatus S erhalten haben, befinden sich rund 5000 Jugendliche im Alter von 15 bis 20 Jahren. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, in der Schweiz eine Lehre anzutreten und diese abzuschliessen, auch wenn der Schutzstatus S vor dem Ende der Lehrzeit aufgehoben werden sollte. Nach Rücksprache mit den Kantonen und Sozialpartnern hat Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider entschieden, dass sie bis zum Lehrabschluss in der Schweiz bleiben können. Damit schafft sie Planungssicherheit für Lernende und Lehrbetriebe.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-93363.html
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/bund-garantiert-jungen-ukrainern-lehrabschluss?partId=12344800
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/ukrainische-jugendliche-koennen-berufslehre-beenden?urn=urn:srf:video:ba1c8fa4-6e8c-42d9-879e-2539147eb43a
-> https://www.tagesanzeiger.ch/ukrainische-jugendliche-koennen-lehre-in-der-schweiz-beenden-433848026904
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/ukraine-krieg-ukrainische-jugendliche-koennen-in-der-schweiz-ihre-lehre-beenden-die-sache-hat-aber-einen-haken-ld.2422977
Ständerat genehmigt Armeeeinsatz fürs Asylwesen
Geht es nach dem Ständerat, können Angehörige der Armee bis Ende März weiterhin im Asylbereich aushelfen. Die kleine Kammer hat den subsidiären Armeeeinsatz zugunsten des Staatssekretariats für Migration (SEM) am Mittwoch bewilligt.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2023/20230301084421365194158159038_bsd057.aspx
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nzz.ch 01.03.2023
In Basel liefern sich deutsche Polizisten und Migranten ein Katz-und-Maus-Spiel – Gewinner gibt es keine
Die Schweiz ist zum Transitland für Migranten geworden. Der deutsche Nachbar ist verärgert, leistet Dienst nach Vorschrift und ist trotz einem juristischem Trick machtlos. Einblicke in Absurditäten an europäischen Grenzen.
Julius Baumeister (Text), Roland Schmid (Bilder), Basel
Adib war schon einmal hier, am Badischen Bahnhof in Basel. Das verrät das Armband an seinem Handgelenk. Es ist ein Überbleibsel der polizeilichen Kontrolle. Sie ist erst ein paar Stunden her, das finden die deutschen Polizisten schnell heraus. Nun stellen sie sich in einer Halle am Badischen Bahnhof mit ernstem Blick und vor der Hüfte verschränkten Händen vor Adib. «Asyl? Germany?» fragt einer der Polizisten. Adib nickt.
Adib wird Deutschland an diesem Abend dennoch nicht erreichen, zumindest nicht auf dem Papier. Er wird deshalb auch kein Asylgesuch stellen können. Stattdessen wird er in die Mühlen des polizeilichen Verwaltungsapparats im deutschen Örtchen Efringen-Kirchen einige Kilometer hinter der Grenze geraten, ehe dieser Adib wieder ausspuckt. Dann wird er den Schweizer Behörden übergeben – so wie heute Mittag. Bis er es wieder versucht.
Weil wie Adib immer mehr Menschen von der Schweiz aus Deutschland zu erreichen versuchen, steht der Grenzübergang in Basel im Blickfeld der Asyl- und Migrationspolitik. Die Schweiz ist zu einem Transitland der Migranten geworden, die nach langer Reise endlich nach Deutschland oder Frankreich gelangen wollen.
Doch im Dreiländereck wird noch etwas anderes deutlich: absurde Folgen der europäischen Asyl- und Migrationspolitik.
«Ich bin Polizist, ich will eigentlich Verbrecher jagen»
Bis nach Basel sind es vom Ortskern der deutschen Gemeinde Efringen-Kirchen nur einige Kilometer. Der Rhein trennt den Ort von den französischen Nachbarn. Nicht weit entfernt liegt Mülhausen. Das Dreiländereck ist für viele ein Flecken Land, an dem Grenzen verschwimmen, irgendwann ganz aus den Köpfen verschwinden und vergessen werden.
Die Beamten der Bundespolizei, die am Ortsrand von Efringen-Kirchen ihre Inspektion durchführen, vergessen die unweit gelegene Grenze nicht. Sie zu beschützen, ist ihre Aufgabe.
Auf dem Kopfsteinpflaster vor der Polizeiinspektion, wo sonst die Autos der Beamten parkiert sind, stehen seit einigen Wochen ein Dutzend Zelte. An diesem kalten Mittwochabend blasen Generatoren warme Luft hinein, wegen ihrer Beleuchtung sind sie schon aus der Ferne zu sehen.
Während die Neuankömmlinge in den Zelten durchsucht werden, tragen Beamte im Innern der Inspektion Name, Geschlecht, Alter und Staatsbürgerschaft in eine Excel-Tabelle ein. Ein Beamer projiziert sie wenige Meter von den Schreibtischen entfernt an eine grosse Wand. «Afghanistan» schreiben die Polizisten besonders häufig in die Spalte der Herkunftsländer.
Auch der Ort, an dem sie die Migranten aufgegriffen haben, wird von den Beamten vermerkt: ICE, Nightjet, S-Bahn oder im Bus; vor oder hinter der Grenze – alles wird fein säuberlich aufgelistet.
Dass alle, die hier tabellarisch festgehalten werden, die Grenze irgendwann passieren, scheint allen klar zu sein. Das zu verhindern, sei auch kein persönliches Ziel, sagt einer der Polizisten, der seit Wochen Züge zwischen der Schweiz und Deutschland kontrolliert. Auch daraus, dass er lieber anderes machen würde, macht der Beamte kein Geheimnis: «Ich bin Polizist, ich will eigentlich Verbrecher jagen.»
Noch vor einigen Monaten fahndete er mit Schweizer Kollegen nach Menschen, die mittels Haftbefehl gesucht wurden, etwa wegen Drogendelikten oder Schmuggel. Doch mit der Verbrecherjagd ist es vorerst vorbei.
Die Schweiz als Transitland
Wegen der steigenden Zahl der Migranten, die über die Schweiz nach Deutschland reisen wollen, wurde im vergangenen Herbst auf deutscher Seite eilig eine «Bearbeitungsstrasse» aus Zelten installiert. Ins Dreiländereck wurden zudem Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei aus ganz Deutschland beordert, um die illegalen Einreisen nach Deutschland irgendwie zu verringern oder zumindest diejenigen Personen zu identifizieren, die die Grenze passiert haben.
Trotz Grossaufgebot überwinden die allermeisten Migranten die Grenze noch immer unbemerkt. Rund zwei Drittel der illegal Einreisenden, die 2022 nach Deutschland kamen, waren zuvor nie in einem anderen europäischen Staat registriert worden – weder in den unmittelbaren Nachbarstaaten wie Österreich noch in Ungarn, Bulgarien oder Griechenland.
Auch die Schweizer Behörden gehen unterdessen bei den Kontrollen von Migranten, die meist aus Österreich ein- und nach Deutschland weiterreisen wollen, nur halbherzig zu Werke. Der Ärger beim Nachbarn ist gross.
Weil viele der Migranten nicht dauerhaft in der Schweiz bleiben und keinen Asylantrag stellen, bekommen sie nach einer Kontrolle häufig nur einen Zettel; «Wegweisung», steht in grossen Buchstaben darauf. Zwei Wochen bleiben ihnen, um die Schweiz zu verlassen.
Es ist der Beginn eines Katz-und-Maus-Spiels.
Neun Minuten, um die Einreise zu verhindern
Auf Gleis 8 am Basler Hauptbahnhof bläst der Wind über das Perron, die Beamten ziehen Handschuhe aus ihren Hosentaschen. 20 Uhr, es ist dunkel. Die Migranten erkenne man häufig bereits an der Kleidung. Die sei zu dünn, zu kalt bei diesen Temperaturen, sagt die Sprecherin der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein, Katharina Kessler, die die Kontrollen im ICE 4 nach Frankfurt am Main heute begleitet.
In der Grenzregion entscheiden oft wenige hundert Meter über die Zukunft. Wer noch vor der Grenze abgepasst wird, wird von deutschen Beamten nach einigen Stunden wieder den Schweizern übergeben. Wen sie auf deutschem Boden aufgreifen, der darf in Deutschland ein Asylgesuch stellen und wird von den Beamten in Efringen-Kirchen an die zuständige Ausländerbehörde überstellt. Dann ist Deutschland für Versorgung, Unterbringung und Asylverfahren verantwortlich.
Die Bundespolizisten können das verhindern. Dafür bleiben ihnen neun Minuten.
Sobald die Türen des ICE 4 schliessen und sich die Wagen in Bewegung setzen, beginnt die Kontrolle. Jetzt bleiben wenige Minuten, ehe der ICE ohne Zwischenstopp die Haltestelle Basel Badischer Bahnhof erreicht. Dieser wird zwar von der Deutschen Bahn betrieben, befindet sich allerdings geografisch in der Schweiz. Die kurze Fahrt ist die letzte Chance, die Migranten vor dem Erreichen Deutschlands zu stoppen.
Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung, die in diesem Zug sitzen, machen sich automatisch des Versuchs des illegalen Grenzübertritts schuldig – selbst dann, wenn ihnen nicht nachgewiesen werden kann, die Einreise nach Deutschland zu planen.
Jeder Waggon wird von mindestens zwei der insgesamt knapp zwanzig Polizisten in schwarzen Overalls durchforstet. Wer in ihr Muster passt, muss seine Dokumente vorweisen.
Adib, dessen echter Name anders lautet, und fünf weitere Afghanen entsprechen dem Muster. Die Männer sehen müde aus, ihre Schultern hängen tief, die Schuhe sind zu gross, die Dokumente fehlen.
«Come with me», sagt einer der Beamten und führt die Männer zu den Waggontüren. Wenige Augenblicke später kommt der ICE zum Stehen. Nach einer ersten kurzen Kontrolle am Badischen Bahnhof werden sie mit Transportern in das Zeltdorf nach Efringen-Kirchen gebracht – über Zollstation und die deutsch-schweizerische Grenze hinweg.
Weil Adib noch vor dem eigentlichen Grenzübertritt gefasst worden ist, hat er keine Chance auf das Stellen eines Asylgesuchs. Die Fahrt nach Efringen-Kirchen in deutsches Hoheitsgebiet ändert daran nichts. Verantwortlich dafür ist eine juristische Klausel aus dem Jahr 2018: Grenzübertritte im Zuge einer polizeilichen Kontrolle gelten nicht als Einreise. Auf dem Papier hat Adib Deutschland deshalb nie betreten, obwohl er deutschen Boden erreicht hat. Das Recht auf Asyl bleibt verwehrt, das regelt die «Fiktion der Nichteinreise».
Die Frustration der Beamten ist spürbar, die Erschöpfung der Migranten auch
Einige Kilometer hinter der Grenze, in der «Bearbeitungsstrasse» in Efringen-Kirchen, wird fotografiert, vermessen, durchsucht; und Beamte nehmen Fingerabdrücke und versuchen an die wichtigsten Informationen zu gelangen. Name, Nationalität, Alter – Akkordarbeit.
Die meisten Migranten antworten auf Paschtu, Dari, Farsi, seltener auf Englisch. Die Dolmetscherin, sie ist eine von zweien, ist bereits im Feierabend. Doch bei der Bundespolizei ist man vorbereitet: Informationszettel in unterschiedlichen Sprachen sollen helfen. Ein Beamter redet angestrengt auf einen Afghanen ein, der seit Minuten kein Wort versteht: «Weisst du, ich zum Beispiel bin in Freiburg geboren. Wo bist du geboren?»
Die Frau an Tisch 1 weint. Sie wolle ein Asylgesuch stellen, für sich und ihre Kinder, sagt sie in gebrochenem Englisch. Der Beamte nickt. Dann möchte sie über ihr Leben sprechen, das sie nun hierher, in den südlichsten Zipfel des Breisgaus, gebracht hat, wo sie zusammengesackt auf einem Holzstuhl sitzt. Doch der Polizist unterbricht sie. «It’s okay», sagt er.
Irgendwann komme man immer ans Ziel, manchmal dauere das einfach ein bisschen, meint die Polizeisprecherin Kessler. Es brauche lediglich ein wenig Geduld.
Der polizeiliche Verwaltungsapparat wirkt hier, in Efringen-Kirchen, trotz steigender Frustration auf beiden Seiten wie eine gut geölte Maschine, die allen Störungen zum Trotz einfach weiter ihren Dienst leistet. «Das ist eben unser Job», sagt einer der Beamten.
Mehrfach wurde der Handlungsspielraum deutscher Beamter auf Schweizer Hoheitsgebiet in den vergangenen Jahren erweitert. Mehrfach gab es dazu Abkommen, gerichtliche Beschlüsse. Der Dienst der Bundespolizei ist geregelt, rechtlich abgesichert.
Es ist unklar, ob sich die Beamten mit den Krisen dieser Welt beschäftigen, mit Kriegen, Hungersnöten und den Auswirkungen der chaotischen europäischen Asyl- und Migrationspolitik, die fast jeden ihrer Arbeitsschritte bestimmt.
Sie persönlich befasse sich mit der politischen Lage, sagt Kessler. «Aber wir können nicht beeinflussen, was auf politischer Ebene passiert.»
Adib bleiben 14 Tage, um die Schweiz zu verlassen
In wenigen Minuten wird auch Adib im Zeltdorf in Efringen-Kirchen eintreffen. Weil er bereits vor Stunden hier gewesen sei, gehe die Bearbeitung vermutlich schneller, meinen die Polizisten. Die Bilder, die Fingerabdrücke, vermutlich auch das Gespräch mit den Beamten – das falle weg.
Wegen der «Fiktion der Nichteinreise» wird Adib kein Asylgesuch in Deutschland stellen können. Ob er versteht, warum es für ihn nicht weitergeht, ob er nun doch um Asyl in der Schweiz ersucht und was überhaupt sein Ziel ist, bleibt unklar. Sein Schlafplatz für die nahende Nacht auch. Adib spricht kein Englisch.
Mit dem Polizeitransporter werden er und andere Migranten aus Efringen-Kirchen wieder zurück an den Basler Hauptbahnhof gefahren. Dort warten bereits Schweizer Beamte mit einem Zettelchen auf sie. «Wegweisung», steht auf der weissen A4-Seite. Adib hat 14 Tage Zeit, die Schweiz zu verlassen.
Viele Migranten würden unmittelbar wieder probieren, die Grenze zu übertreten, meinen die Beamten. Wahrscheinlich werden es auch Adib und die anderen wieder versuchen.
Vielleicht sogar noch heute Nacht.
Bis es klappt.
(https://www.nzz.ch/international/migration-absurdes-spiel-an-der-schweizerisch-deutschen-grenze-ld.1718675)
+++DEUTSCHLAND
Bayerisches Urteil im Kirchenasylprozess: Absolution für Mutter Mechthild
Weil sie Geflüchtete in ihrem Kloster aufnahm, musste Äbtissin Mechthild Thürmer in Bayern vor Gericht. Doch nun wurde das Verfahren eingestellt.
https://taz.de/Bayerisches-Urteil-im-Kirchenasylprozess/!5919147/
Strengere Auflagen für Schiffe: Vorstoß gegen Seenotrettung
Das Verkehrsministerium plant schärfere Anforderungen an die Sicherheit. NGOs befürchten hohe Kosten für die Umrüstung ihrer Rettungsboote.
https://taz.de/Strengere-Auflagen-fuer-Schiffe/!5919338/
-> https://www.jungewelt.de/artikel/445952.abschottungspolitik-rettung-nicht-erw%C3%BCnscht.html
+++ITALIEN
„Frontex und die italienischen Behörden haben die Menschen sterben lassen“
Im NoFrontex-Abstimmungskampf hiess es oft, Frontex achte und schütze Menschenleben. Die Millionen-Beiträge der Schweiz seien daher gerechtfertigt. Nachdem am Sonntag ein Boot an den Felsen vor der süditalienischen Küste zerschellte und über 60 Personen starben, wird die Verantwortung von Frontex und den italienischen Behörden immer deutlicher. Das Sterben hätte auch diesmal verhindert werden können. Bewusst wurde jedoch davon abgesehen. Das zeigt Gianpiero Laurenzano in seiner Chronologie der Ereignisse.
https://migrant-solidarity-network.ch/2023/03/01/frontex-und-die-italienischen-behoerden-haben-die-menschen-sterben-lassen/
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nzz.ch 01.03.2023
«Niemand wollte sie retten»: Mit dem Bootsunglück vor Italiens Küste ist für die Regierung Meloni der Ernstfall eingetreten
Die Tragödie vor Kalabrien hat bisher 67 Tote gefordert, unter ihnen zahlreiche Kinder. Beim Rettungseinsatz kam es zu Pannen, die Polemik der Lega-Minister gegen private Seenotretter zielt dagegen ins Leere.
Luzi Bernet, Rom
«KR46MØ» steht auf einem der kleinen weissen Särge in der Sporthalle von Crotone in Kalabrien. «KR» steht für Crotone, «46» ist die Zahl für das 46. geborgene Opfer, «M» steht für männlich, «Ø» für das in diesem Fall unbekannte Alter. 67 Tote wurden seit dem Unglück vom letzten Sonntag bisher geborgen, unter ihnen mehrere Kinder, nachdem ein Flüchtlingsboot vor der Küste Kalabriens auseinandergebrochen war, nur wenige hundert Meter vor dem rettenden Strand.
Einmal mehr schlimme Bilder, einmal mehr heftige Diskussionen darüber, was man tun sollte, was man hätte tun müssen, um solche Dramen auf dem Mittelmeer zu verhindern: Italien führt dieser Tage zum x-ten Mal eine Debatte um die Migrationspolitik. Und es scheint, als komme man nicht vom Fleck.
Fehler in der «Befehlskette»
«Niemand wollte sie retten», hat die «Repubblica» am Mittwoch getitelt und wie andere Medien auch eine Geschichte von Fehlern, ausgebliebenen oder überhörten Notsignalen und abgebrochenen Rettungsversuchen ausgebreitet. Möglich, dass es in der «Befehlskette», wie es ein Abgeordneter der regierenden Fratelli d’Italia formulierte, am Tag des Unglücks zu gravierenden Unterlassungen gekommen ist. Eine Untersuchung geht nun den Vorgängen auf den Grund. Niemand werde sich davor drücken, sagte Innenminister Matteo Piantedosi, der allerdings bis jetzt davon ausgeht, dass die Rettungskräfte alles richtig gemacht haben.
Mit dem Drama bei Crotone ist für die Regierung von Giorgia Meloni gewissermassen der Ernstfall eingetreten. Zwar gab es seit der Amtseinsetzung im letzten Herbst immer wieder Meldungen über einzelne Todesfälle von Migranten im Mittelmeer und überfüllte Lager, doch noch nie war es seither zu einem derart gravierenden Unglück gekommen.
Die Regierungschefin hat das Feld in der Vergangenheit weitgehend ihren Koalitionspartnern von der Lega überlassen, dem Parteichef und Infrastrukturminister Matteo Salvini und dem von diesem bei der Regierungsbildung empfohlenen Innenminister Piantedosi.
Diese haben zum einen mehr Solidarität der EU beim Schutz der Aussengrenzen und bei der Übernahme von Asylsuchenden eingefordert. Zum anderen aber haben sie, immer mit einem Blick auf ihre Umfragewerte, den Fokus auf die von einzelnen Nichtregierungsorganisationen (NGO) betriebenen Rettungsschiffe gerichtet. Zunächst verweigerte Piantedosi diesen Schiffen das Anlanden in italienischen Häfen, was zu einem diplomatischen Zusammenstoss mit Frankreich führte. Dann setzte er in der Regierung neue prohibitive Regeln für die NGO durch.
Vergrämungstaktik gegen NGO
Seither dürfen deren Schiffe unter anderem nur eine Rettungsaktion pro Fahrt ausführen, ausserdem müssen sie in von der Regierung speziell bezeichneten Häfen anlegen, was teilweise zu langen Umwegen und weiteren Strapazen für die auf See aufgegriffenen und meist stark geschwächten Migranten führt. Es ist eine Art Vergrämungstaktik gegen NGO, was die Regierung Meloni unter Federführung der beiden Lega-Minister bisher geleistet hat.
Die Auseinandersetzung mit den privaten Seenotrettern gehört zu den Konstanten der italienischen Flüchtlingspolitik – und ist keineswegs eine Spezialität rechter Politiker. So hat auch der frühere Aussenminister Luigi Di Maio von den Cinque Stelle die Rettungsschiffe dieser Organisationen seinerzeit als «Mittelmeertaxis» bezeichnet, die die Arbeit der Schlepper erleichterten.
Fakt ist indessen, dass die NGO nur noch einen kleinen Anteil der Rettungen auf hoher See leisten. Nach Angaben des unabhängigen Mailänder Think-Tanks ISPI sind im vergangenen Jahr nurmehr 11 Prozent der Rettungen auf das Konto der NGO gegangen. 2017 waren es noch über 40 Prozent. Den Löwenanteil übernehmen staatliche Rettungskräfte.
Oggi i giornali di destra aprono con un paragrafo piuttosto sballato del rapporto annuale dei servizi segreti italiani. Il paragrafo cita «l’aumento del soccorso in mare effettuato dalle navi ong». Peccato che nel 2022 la quota sul totale sia diminuita (grafico di @emmevilla). pic.twitter.com/sci0PxKbQr
— Luca Misculin (@lmisculin) March 1, 2023
Der Kampf gegen die NGO wird immer mehr zu einem Schattenboxen. Dazu kommt, dass im östlichen Mittelmeer, also dort, wo das jüngste Unglück passierte, in der Regel keine privaten Rettungsschiffe im Einsatz sind. Diese kreuzen vor allem vor den Küsten Libyens und Tunesiens, um Schiffbrüchige aufzunehmen. Auf der in jüngster Zeit von Schleppern verstärkt benutzten Route zwischen der Türkei und Italien verfängt das Argument von den «Mittelmeertaxis» bis anhin jedenfalls nicht.
Das Drama von Crotone könnte politische Signalwirkung haben. Salvini und sein Innenminister sind nun erstmals nicht nur rhetorisch gefordert, sondern direkt involviert. Die Küstenwache untersteht Salvini, und die übrigen Einsatzkräfte sind im Verantwortungsbereich von Piantedosi.
Legale Einreisekorridore?
Die italienischen Medien berichten, dass Giorgia Meloni über den Umgang mit dem Unglück durch die Lega-Kollegen «not amused» sei, und zwar nicht nur wegen möglicher Fehler bei der Rettungsaktion, sondern auch, weil es besonders Piantedosi im entscheidenden Moment an Empathie gefehlt habe. Statt sein Mitgefühl zu dem Geschehenen auszudrücken, hat der Innenminister die Schuld den Migranten und insbesondere den Eltern gegeben, die das Leben ihrer Kinder bei solch gefährlichen Überfahrten auf Spiel setzten.
Möglich, dass Meloni jetzt das Instrumentarium in der Flüchtlingspolitik anpasst. Den Druck auf die EU zum besseren Schutz der Aussengrenzen wird sie aufrechterhalten, gleichzeitig scheint sie aber nach Möglichkeiten für die Schaffung von legalen Einreisekorridoren zu suchen. Einer ihrer engsten Vertrauten, ihr Schwager (und Landwirtschaftsminister) Francesco Lollobrigida, hat am Dienstag jedenfalls einen interessanten Versuchsballon steigen lassen. Italien, so sagte er, brauche derzeit zwischen 300 000 und 500 000 Arbeitskräfte. Die legale Einwanderung sei eine der Varianten, um den Bedarf zu decken.
(https://www.nzz.ch/international/bootsunglueck-vor-italiens-kueste-ernstfall-fuer-giorgia-meloni-ld.1728328)
+++MITTELMEER
EU-Staaten gegen zivile Seenotrettung
Von Organisationen betriebene Schiffe sollen höhere Vorgaben zur Verkehrssicherheit erfüllen
Der Bundesverkehrsminister will die Schiffssicherheitsverordnung verschärfen und Seenotrettern so Steine in den Weg legen. Dahinter steht ein Masterplan einer EU-Gruppe, an der drei deutsche Ministerien teilnehmen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171362.festung-europa-eu-staaten-gegen-zivile-seenotrettung.html
Flüchtlingsdrama von Kalabrien: Um 4 Uhr funkt das Schiff «Help», die Küstenwache informiert Fischer – Protokoll der Tragödie
Italiens Rechtsregierung steht im Verdacht, sie habe wissentlich zu wenig unternommen, um die Menschen zu retten. Was bisher bekannt ist.
https://www.derbund.ch/um-4-uhr-funkt-das-schiff-help-die-kuestenwache-informiert-fischer-protokoll-der-tragoedie-504659008755
Migrationsforscher über Flucht nach ItalienImmer mehr Geflüchtete kommen übers östliche Mittelmeer
Migrationsforscher und Jurist Christopher Hein beobachtet, dass seit 2021 deutlich mehr Geflüchtete von der Türkei über das östliche Mittelmeer nach Italien kommen. Sie stammten überwiegend aus Afghanistan. Grund seien die Maßnahmen in Griechenland.
https://www.deutschlandfunk.de/migrationsrouten-im-mittelmeer-interview-mit-migrationsrechtsexperte-c-hein-dlf-1c5015ba-100.html
++EUROPA
Testfeld Westbalkan
Frontex führt bereits in vier Nicht-EU-Staaten Operationen durch
Für den Frontex-Einsatz in Drittstaaten schließt die EU-Kommission Abkommen mit den betreffenden Regierungen. Darin wird die Anwendung von Gewalt und die Immunität vor Strafverfolgung geregelt.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171360.eu-migrationsabwehr-testfeld-westbalkan.html
Imagepflege für den EU-Grenzschutz
Der neue Frontex-Chef Hans Leijtens tritt sein Amt an
Zuletzt war die EU-Grenzschutzagentur Frontex wegen illegaler »Pushbacks« massiv in die Kritik geraten. Hans Leijtens will nun Vertrauen zurückgewinnen
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171387.frontex-imagepflege-fuer-den-eu-grenzschutz.html
Frontex drängt nach Westafrika
Grenztruppen aus Warschau sollen weitab der EU Einsätze durchführen
Die EU-Grenzschutzagentur soll ihr Einsatzgebiet ausweiten und zukünftig im Senegal und Mauretanien gegen irreguläre Migration vorgehen. Doch die Verhandlungen der EU-Kommission mit den Regierungen sind ins Stocken geraten.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171384.eu-migrationsabwehr-frontex-draengt-nach-westafrika.html
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
GLEICHGÜLTIGKEIT SCHÜTZT NUR DIE HERRSCHENDEN
Rede an der Wutwache vom 28.2.2023 in Bern
„Am Sonntag zerschellte ein Holzboot an der kalabrischen Felsenküste in seine Einzelteile. 59 Menschen sind tot geborgen worden. Darunter 13 Kinder. 80 Personen überlebten. 20 von ihnen sind im Krankenhaus. Wie viele genau im Boot sassen ist ungewiss. Einige der Überlebenden berichten von mindestens 250 Menschen an Bord, andere von 180. Die Reaktionen von politischen Entscheidungsträger*innen in Europa lauten: Erschüttert, traurig, fassungslos. Eine Notsituation, ein tragisches Ereignis. Welch Hohn.
https://migrant-solidarity-network.ch/2023/02/28/gleichgueltigkeit-schuetzt-nur-die-herrschenden/
-> Wutwache-Aufruf: https://migrant-solidarity-network.ch/2023/02/27/mahn-und-wutwache/
„Was würde geschehen, wenn @Frontex und die Küstenwache mit gleicher Entschlossenheit Leben retten würden, wie die Polizei der @Bern_Stadt beim Einschränken der Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit durch endlose Auflagen (betrifft die gestrige Mahn- und Wutwache).„
(https://twitter.com/NetworkMigrant/status/1630942879492235265)
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tagesanzeiger.ch 01.03.2023
Nach gewalttätiger Demonstration: Heftige Kritik an Zürcher Polizei und ihrer Vorsteherin
Die Gewalt an der Demonstration gegen die Räumung des Koch-Areals und die Wohnungsnot ist eskaliert. Das gab im Stadtzürcher Gemeinderat zu reden.
Corsin Zander
Auch zwei Wochen nach der Räumung des besetzten Koch-Areals sind im Gemeinderat die Emotionen hochgegangen. Grund dafür war die unbewilligte Demonstration gegen die Räumung und die Wohnungsnot. Rund 1000 Demonstrierende zogen vom Hauptbahnhof zur Fritschiwiese. Dabei kam es insbesondere in den Kreisen 3, 4 und 5 zu massiven Sachbeschädigungen. Die Polizei konnte die Gewalt nicht verhindern. Im Nachgang zeigte sie sich überrascht über das enorme Gewaltpotenzial. Ausserdem machte sie geltend, zu wenig Einsatzkräfte zu haben.
Die SVP machte in einer Fraktionserklärung den Stadtrat für die Gewalt mitverantwortlich. Unter Rot-Grün zerfalle der Rechtsstaat. Stephan Iten forderte im Namen seiner Partei von der grünen Polizeivorsteherin Karin Rykart, dass sie entschlossen gegen die linksextreme Gewalt vorgeht – oder ihr Departement abgibt.
Mitte ortet «Führungsschwäche» in der Polizei
Auch Josef Widler (Mitte) übte in einer persönlichen Erklärung scharfe Kritik an der Polizei und der politischen Vorsteherin. Der Polizeikommandant hätte die Gewalt voraussehen müssen und mehr Personal von anderen Polizeikorps anfordern sollen. Die Polizei habe «blauäugig» gehandelt. Dass die Polizeisprecherin die Ereignisse öffentlich «verwedelt» habe, zeuge von einer «Führungsschwäche» in der Polizei und im Sicherheitsdepartement, sagte Widler.
Nicht ganz so deutlich wurde die FDP. Es brauche nun eine kritische Reflexion der rot-grünen Politik und «entsprechende Konsequenzen», fordert sie – ohne allerdings zu sagen, was für Konsequenzen das sein sollten. Fraktionspräsident Michael Schmid verwies in der Erklärung darauf, dass eine Ratsmehrheit in der jüngeren Vergangenheit die Polizei mit Vorstössen geschwächt habe. Als Beispiele nannte er unter anderem, dass die Bewilligungspflicht für Demonstrationen abgeschafft oder gewisse Spezialeinheiten der Polizei bei Demonstrationen nicht mehr eingesetzt werden sollten. Vor allem aber sei eine beantragte Stellenerhöhung im Budget verweigert worden.
Eine linksgrüne Mehrheit habe der Polizei lediglich die Hälfte der verlangten Stellen bewilligt. Sven Sobernheim (GLP) wehrte sich dagegen, dass man der Polizei pauschal Stellen verweigert hätte. Man habe den Antrag lediglich genau geprüft.
Grüne wollen «kühlen Kopf bewahren»
Die Co-Fraktionspräsidentin der Grünen Monika Bätschmann verlas eine Fraktionserklärung unter dem Titel «Kühlen Kopf bewahren». Gewalt sei in einer Demokratie «kein legitimes politisches Mittel». Doch wer jetzt einseitig mehr Repression und Aufrüstung fordere, verfalle in «blinden Aktionismus». Es sei gut, dass die Polizei aus Gründen der Verhältnismässigkeit nicht eingeschritten sei und damit Personenschäden riskiert habe. Die Wut der Betroffenen, deren Läden zerstört wurden, sei verständlich. Doch: «Sachschäden um jeden Preis zu verhindern und dafür verletzte Personen in Kauf zu nehmen, erachten wir als die falsche Strategie.»
Bätschmann nahm zudem ihre Stadträtin in Schutz. Inhaltlich laufe die Kritik an ihr «ins Leere». Rykart habe sich in den vergangenen vier Jahren für eine Diversifizierung innerhalb der Stadtpolizei eingesetzt und setze diese um. Zudem versuchten die Grünen, die Diskussion auf den Auslöser für die Demonstration zu lenken. Der Immobilienmarkt sei ausser Rand und Band. Vielen Menschen sei es nicht mehr möglich, sich ein Leben in der Stadt zu leisten.
Ähnlich klang die Fraktionserklärung der AL. In dieser wurde die Gewalt mit keinem Wort erwähnt. Moritz Bögli bedauerte im Namen der AL das Ende des Koch-Areals. Die Besetzung sei wichtig gewesen für die selbst verwaltete und unkommerzielle «Kultur von unten» sowie als wichtiges Symbol gegen die fortschreitende Gentrifizierung und die Macht der Grosskonzerne. Gegen diese Entwicklung müsse man «mit allen verfügbaren Mitteln» kämpfen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/heftige-kritik-an-zuercher-polizei-und-ihrer-vorsteherin-724441614794)
+++SPORT
ajour.ch 01.03.2023
Mit Gummischrot schwer verletzt: Hockeyfans erheben Vorwürfe gegen Berner Kantonspolizei
Nach dem Spiel zwischen dem EHC Biel und Fribourg-Gottéron ist es vergangenen Freitag zu Ausschreitungen zwischen Gästefans und der Polizei gekommen. Dabei wurde ein Fan schwer verletzt.
Lino Schaeren
Aufgeheizte Stimmung nach Spielschluss am vergangenen Freitag in der Bieler Tissot Arena. Eben hat der EHC Biel Fribourg-Gottéron 3:0 besiegt. Die Fribourger hätten dringend Punkte gebraucht im Kampf um die Playoff-Plätze – und gingen leer aus. Zudem fühlten sich die Saanenstädter offenbar durch eine Gruppe Biel-Fans auf den an den Gastsektor angrenzenden Sitzplätzen provoziert.
Es kam zum verbalen Schlagabtausch, Bier flog hin und her, einzelne Fribourger kletterten auf die Plexiglas-Absperrung zwischen Gästeblock und Sitzplatzbereich. Zur direkten Konfrontation zwischen den Fangruppen kam es aber nicht. Bei den Fribourg-Fans war die Stimmung aber nach dem Verlassen des Stadions offenbar noch auf dem Siedepunkt: Vor der Tissot Arena griffen sie die anwesenden Einsatzkräfte der Kantonspolizei Bern an.
Diese hält später in einem Communiqué fest, dass die Gästefans versucht hätten, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen, zudem seien die Einsatzkräfte mit Steinen beworfen worden. Deshalb habe man «kurzzeitig Gummigeschosse eingesetzt». Im Zuge der Ereignisse, so die Polizeimeldung weiter, sei ein Fribourg-Fan verletzt und ins Spital gebracht worden. Was die Polizei nicht schreibt: Der Fan wurde offenbar durch ein Gummigeschoss, abgefeuert von einem Polizeibeamten, im Gesicht getroffen und dabei schwer verletzt.
Fans sollen zu aggressiv gewesen sein
Das ist jedenfalls die Darstellung der Fribourger Ultra-Gruppierung Fribvrgensis, die massiv von jener der Kantonspolizei Bern abweicht. Die Gruppe erhebt in den sozialen Medien schwere Vorwürfe gegen die Polizei.
So sei die Stimmung nach Spielschluss zwar tatsächlich aggressiv gewesen. Die Situation mit der Polizei sei aber erst eskaliert, nachdem die Einsatzkräfte in Vollmontur unverhältnismässig Gummischrot eingesetzt hätten. Die Ultra-Gruppierung bezichtigt die Beamten der Polizeigewalt und der Lügen.
Fribvrgensis schildert die Szenerie so, dass sich Fribourg-Fans, die nicht der Ultra-Bewegung angehörten, nach dem Spiel zu ihren Privatfahrzeugen auf dem öffentlichen Parkplatz hätten begeben wollen. Sie seien daher mit erhobenen Armen auf die Polizeibeamten, die von den Ultras als «Robocops» bezeichnet werden, zugegangen.
Diese hätten dann ohne verbale Vorwarnung mit Gummischrot geschossen – und einen Fan «aus circa vier bis fünf Metern» im Gesicht erwischt. Dieser erlitt offenbar schwere Verletzungen, laut der Darstellung Fribvrgensis zog er sich mehrere Brüche im Gesicht zu und laufe Gefahr, ein Auge zu verlieren.
Der Angabe in der Polizeimeldung, wonach der Verletzte umgehend versorgt worden sei, widersprechen die Fans: Es habe 20 Minuten bis zum Eintreffen der Sanitäter gedauert. Dass der vom Gummigeschoss Getroffene in dieser Zeit stark blutete, dokumentierten die Ultras auf Facebook mit dem Posten eines Bildes von Blutspuren auf dem Asphalt vor dem Bieler Stadion. Die Ultra-Gruppierung wollte sich auf Anfrage nicht weiter zu den Vorkommnissen äussern.
Die Kantonspolizei Bern hält auf Anfrage an ihrer Darstellung fest. Der Einsatz von Gummigeschossen sei beschlossen worden, weil sich Fans den Einsatzkräften näherten und mit Steinen geworfen worden sei. Auf die einzelnen Vorwürfe der Fans – Gummischrot-Einsatz auf kurze Distanz, Feuern auf Gesichtshöhe, unterlassene Warnung – geht die Kapo nicht ein.
Sie bestätigt aber, dass der Gäste-Fan während des Einsatzes schwer verletzt worden sei. Um was für Verletzungen es sich dabei handelt, geht die Medienstelle «aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes» nicht näher ein. Auch dazu, ob der Verletzte an den Ereignissen überhaupt beteiligt gewesen sei, könne man derzeit noch keine Aussage treffen.
Die Polizei schreibt, es seien interne Abklärungen zum Einsatz im Gange, «unter anderem da sich die Verletzung als schwerwiegend erwies». Mit den Abklärungen seien, wie in solchen Fällen üblich, Mitarbeitende einer anderen Polizeiregion beauftragt worden. Um eine Bilanz des Einsatzes ziehen zu können, sei es zu früh. Die Polizei verweist zudem darauf, dass Ermittlungen zur Identifikation jener Personen liefen, die Steine auf die Einsatzkräfte geworfen haben. Dabei seien auch Einsatzfahrzeuge beschädigt worden.
Gummigeschosse in der Kritik
Beim Einsatz bei der Tissot Arena wurde laut Polizeiangaben ein sogenannter «40-mm-Werfer» verwendet. Dieser gehöre üblicherweise zur Ausrüstung von Polizistinnen und Polizisten, die etwa bei Eishockeyspielen zum Einsatz kommen. Mit dem Werfer werden entweder Reizstoffe wie Tränengas oder aber Hartgummigeschosse abgefeuert.
Der Einsatz des Werfers sorgte 2019 im Testbetrieb auf Kantonsebene für politische Diskussionen, da Grossrätin Christa Ammann von der Alternativen Linken darin ein zu grosses Verletzungsrisiko sah. Sie verwies dabei auf eine Untersuchung der Universität Bern aus dem Jahr 2008, die ergab: Bei einer Schussabgabe aus 30 Metern seien «Brustbeinbrüche und Leberrisse» nicht auszuschliessen, bei bis zu 60 Metern bestehe die Gefahr für «Rippenbrüche» und im gesamten Einsatzbereich müsse mit «irreversiblen Augenschäden» gerechnet werden.
Die Herstellerin, die Thuner Firma Brügger und Thomet, hielt damals gegenüber SRF dagegen: Bei sachgemässem Einsatz könne von einem kleinen Verletzungsrisiko ausgegangen werden, hiess es. Die Motion von Christa Ammann, die den Abbruch des Pilotversuchs forderte, blieb 2019 im Grossen Rat chancenlos.
Die Regeln für den Einsatz des 40-mm-Werfers seien klar festgelegt und der Einsatz von Zwangsmitteln sei an genaue Richtlinien gebunden, heisst es bei der Medienstelle der Kapo Bern. Das werde «in der Polizeiausbildung und später im Polizeikorps bei regelmässigen Fortbildungen vermittelt».
Zurück zum Vorfall rund um das Spiel des EHC Biel gegen Fribourg-Gottéron vom vergangenen Freitag. Der verletzte Fan wurde mit der Ambulanz ins Spital gebracht, zu seinem Gesundheitszustand äussert sich auf Anfrage weder die Polizei noch die Ultra-Gruppierung. Derweil läuft auch beim EHC Biel die Aufarbeitung der Vorkommnisse – allerdings jener im Stadioninnern. Laut Geschäftsführer Daniel Villard werden unter anderem die Videoaufnahmen analysiert.
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Juso fordert Entlastung von Polizeibeamten
Auf die Geschehnisse rund um das Spiel zwischen dem EHC Biel und Fribourg-Gottéron hat am Mittwoch auch die Juso Bielingue mit einer Medienmitteilung reagiert. Sie stützt sich dabei auf die Stellungnahme der Ultra-Gruppierung Fribvrgensis in den sozialen Medien und fordert, dass die «vollkommen unnötige Körperverletzung durch die Kantonspolizei» zeitnah von einer unabhängigen Stelle untersucht werden müsse. Die Bieler Jungsozialisten fordern zudem, dass die verantwortliche Beamtin oder der verantwortliche Beamte entlassen und der Einsatz von solchen Gummigeschossen verboten werden müsse.
Der Vorfall von vergangenem Freitag sei «ein Symptom der extremen Gewaltbereitschaft der Polizei», schreibt die Juso, die sich vor allem überproportional gegen Minderheiten richte. Die Jungpartei nimmt den Vorfall zum Anlass, um auf das Positionspapier der Juso Schweiz aufmerksam zu machen.
Die Partei hatte an ihrer Jahresversammlung zum Angriff auf die Institution Polizei geblasen und fordert quasi deren Abschaffung: Weil die Polizei in ihren Strukturen rassistisch sei, müsse sie durch eine Alternative ersetzt werden; anders seien die nötigen Reformen nicht zu erreichen. Entsprechend hat die Juso Bielingue ihre Medienmitteilung zu den Zusammenstössen vor der Tissot Arena unter dem Titel «Polizei-Reform jetzt!» veröffentlicht.
(https://ajour.ch/de/story/mit-gummischrot-schwer-verletzt-hockeyfans-erheben-vorw%25C3%25BCrfe-gegen-berner-kantonspolizei/58634)
-> Juso Medienmitteilung: https://bielingue.juso.ch/de/aktuelles/blog/polizei-reform-jetzt/
-> Fan-Medienmitteilung: https://www.facebook.com/100067884162743/posts/pfbid02Sndaj2vtvL5StupzrSyJ7ih2GnYkV5Dp7q7a4bpRcZV3PXLC1y8x4kFHC5QdskDTl/?app=fbl
+++BIG BROTHER
SBB verteidigt geplantes Messsystem – 10vor10
Sicherheit gewährleisten, Reinigungspläne optimieren, Läden dort platzieren, wo es die Kunden wollen: Die SBB will 57 grosse Bahnhöfe mit neuen digitalen Messsystemen ausstatten. Der Daten- und Konsumentenschutz kritisieren dieses Vorhaben.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/sbb-verteidigt-geplantes-messsystem?urn=urn:srf:video:1aa0bd57-5674-427e-b7a1-582d285a7979
+++ANTISEMITISMUS
Der zweite Schweizer Antisemitismusbericht
Einen Tag nach der Publikation des Antisemitismusberichts des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, hat die CICAD ihren Bericht herausgebracht – mit anderer Methodik und anderen Resultaten.
https://www.tachles.ch/artikel/news/der-zweite-schweizer-antisemitismusbericht
+++ANTI-WOKE-POPULISMUS
Fasnacht gegen «woke»: Winnetou ist Fasnächtler und der Waggis trägt Dreadlocks. Nämlig!
Jetzt erst recht, scheinen einige Basler Fasnächtlerinnen und Fasnächtler zu denken. Sie trotzen der Woke-Bewegung mit Rastas und Federschmuck.
https://www.bazonline.ch/winnetou-ist-fasnaechtler-und-der-waggis-traegt-dreadlocks-naemlig-172276044492
+++HISTORY
immattalerzeitung.ch 01.03.2023
Vom Indianermuseum zum Nordamerika Native Museum: Direktorin will Totenkopf, heilige Masken und Geistertanz-Kleider zurückgeben
Vor 60 Jahren wurde Zürichs Nordamerika Native Museum als Indianermuseum gegründet. Museumsleiterin Heidrun Löb strebt einen neuen Umgang mit indigenen Communities an.
Matthias Scharrer
Und plötzlich scheint Winnetou dazustehen, zumindest seine Garderobe ist präsent: Mit bunten Perlen bestickte helle Wildlederkleider, die heute gerne als «typisch indianisch» betrachtet werden, zählen auch zu den Ausstellungsstücken des Nordamerika Native Museum (Nonam) im Zürcher Seefeld. Sie rufen im Schreibenden Erinnerungen wach an Indianer-Spielfilme aus den 1960er-Jahren; an die vom Deutschen Schriftsteller Karl May im späten 19. Jahrhundert geschaffene Romanfigur Winnetou, die letzten Sommer im Zuge der woken Debatte über kulturelle Aneignung wieder einmal heftig diskutiert wurde.
Heidrun Löb seufzt, als ich sie auf Winnetou anspreche. Die Auseinandersetzung mit Klischees ist für die Nonam-Leiterin ein Dauerthema. Und das Museum, das vor 60 Jahren als Zürichs Indianermuseum gegründet wurde, greift Klischees da und dort gezielt auf, um Hintergründe zu erklären. So seien massenweise mit bunten Perlen bestickte Wildlederkleider überhaupt erst durch den Handel mit Europäern möglich geworden, die Glasperlen nach Nordamerika brachten, erklärt Löb.
Diskussionen um kulturelle Aneignung und um den Umgang mit aus heutiger Sicht ethisch fragwürdigen Ausstellungsstücken beschäftigen völkerkundliche Museen nicht erst seit der jüngsten Winnetou-Debatte. Welche Konsequenzen hat dies im Nonam?
«Wir wollen Objekte zurückgeben»
«Wir wollen Objekte zurückgeben und sind deshalb in Kontakt mit indigenen Communities in den USA und in Kanada», sagt Löb. Doch dies sei mit einigem Aufwand verbunden. Nicht immer sei klar, an wen die Objekte eigentlich zurückgegeben werden sollten. Dank Fördergeldern des Bundesamts für Kultur könne das Nonam sich nun darum kümmern, obwohl es mit 5,5 Stellen personell knapp dotiert ist.
Das einstige Indianermuseum beruht ursprünglich auf der Privatsammlung des Zürcher Lehrerpaars Gottfried und Martha Hotz. Der 1901 noch zu Lebzeiten Karl Mays geborene Gottfried Hotz leitete das heute der Stadt Zürich gehörende Museum von 1963 bis zu seinem Tod 1977. Aus seiner Sammlung hat das 2003 im Zürcher Seefeld neu lancierte Nonam unter anderem einen Menschenschädel, den Löb nun zurückgeben will.
Geistertanz-Kleider vom Wounded-Knee-Massaker
Der Schädel stamme wohl aus heiligen Gräbern im Gebiet des oberen Missouri, der Heimat von drei indigenen Stämmen. Hotz habe ihn einst vor Ort in den USA erstanden. «Die Zuständigkeiten zu klären, ist nicht einfach», sagt Löb.
Auch Geistertanz-Kleider, wie sie 1890 beim Massaker nahe der Ortschaft Wounded Knee im US-Staat South Dakota getragen wurden, wolle sie zurückgeben. Damals ermordete die US-Kavallerie 300 wehrlose Angehörige der Lakota-Stämme, einst auch Sioux genannt. Einige trugen sogenannte Geistertanz-Kleider, um sich vor dem Kugelhagel der Kavallerie zu schützen – vergeblich.
Ausserdem wolle sich das Nonam von heiligen Masken trennen. Andere Masken, die von Anfang an zum Verkauf hergestellt wurden, behalte das Museum hingegen.
Jubiläumsausstellung zeigt Kunst aus der Arktis
Einen Eindruck davon, wie das Nonam sich heute positioniert, vermittelt die Jubiläumsausstellung «Sedna. Mythos und Wandel in der Arktis». Sie zeigt seit den 1950er-Jahren entstandene Kunstwerke aus dem arktischen Raum. Dazu gehören Alaska, Grönland, Kanada und Teile Sibiriens. Mit den ausgestellten Werken erhalten Kunstschaffende aus jenen Kulturen Raum, um ihre eigene Sicht der Dinge zum Ausdruck zu bringen.
Leitmotiv der Ausstellung ist die Meeresgöttin Sedna, die unter verschiedenen Namen in allen Kulturen der Arktis vorkommt. Zu sehen sind hauptsächlich Skulpturen, die Mythen und aktuelle Probleme dieser Kulturen aufgreifen. Da treffen Menschen mit christlichen Kreuzen auf Schamanen. Und ein Eisbär ist zu sehen, der in einer Öllache auf dem Meer schwimmt.
Auch der Klimawandel wird thematisiert, mit dem den Völkern der Arktis buchstäblich die Lebensgrundlage unter den Füssen wegschmilzt. Denn die traditionelle Jagd können sie nur betreiben, wenn das Meer gefroren ist. «Und der Pelzhandel ist kein Thema mehr seit Brigitte Bardot und anderen Tierschützern», fügt Löb an. Greenpeace habe sich inzwischen entschuldigt für das, was dadurch den Völkern der Arktis angetan wurde.
«Unsere Reise startet im Klischee»
Löb leitet das Nonam seit 2012 und ist seit 2002 dort fest angestellt. Unter ihrer Führung habe das Museum auch in der Präsentation seiner Sammlung vermehrt Kontakte mit Vertreterinnen und Vertretern indigener Kulturen geknüpft und pflege den Austausch mit ihnen, sagt die 55-Jährige.
Zwischen den historischen Ausstellungsstücken der Sammlung sind jetzt immer wieder auch Werke zeitgenössischer Kunstschaffender aus indigenen Kulturen zu sehen.
«Unsere Reise durch Nordamerika startet im Klischee», sagt Löb, als wir die Sammlungsräume betreten. «Aber das Ziel ist, dass man danach nicht mehr von ‹den Indianern› redet, sondern von kultureller Vielfalt, welche die 500 bis 1000 indigenen Nationen kennzeichnet. Und dass Stereotype aufbrechen.» Im Nonam trifft Tradition auf Gegenwart.
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Nordamerika Native Museum
Seefeldstrasse 317, Zürich, Di–Sa 13–17 Uhr, So 10–17 Uhr. Die Jubiläumsausstellung «Sedna. Mythos und Wandel in der Arktis» läuft bis 17. September. Daneben bietet die Nonam-Sammlung Einblicke in die indigenen Kulturen Nordamerikas und der Arktis.
(https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/60-jahre-nonam-vom-indianermuseum-zum-nordamerika-native-museum-tradition-trifft-gegenwart-ld.2422415)