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+++BASEL
bzbasel.ch 11.02.2023
«Ich lebe in einer WG mit Geflüchteten»
Im Alter von 40 Jahren beschloss Anni Lanz (76), sich von Normen und Anpassungen zu befreien.
Aufgezeichnet von Denise Dollinger
«Eines meiner zentralsten Anliegen für mich selbst war, einen Sinn im Leben zu finden. Als ich ihn erkannte, wurde mein Leben sehr gut. An meinem vierzigsten Geburtstag beschloss ich, dass ich mir keine Zwänge mehr antun muss und die Person sein kann, die ich bin. Ohne Restriktion.
Ich nahm mir die Narrenfreiheit, mich von Normen und Anpassungen zu befreien. Und von diesem Moment an ging es für mich so richtig los. Ich war schon von jeher etwas aufmüpfig, wollte den anderen aber dennoch gefallen. Doch gefällig zu sein behindert und raubt sinnlos Energie. Das abzulegen, war ein enormer Befreiungsprozess, bei dem es natürlich auch immer wieder Rückschläge gab.
Der Sinn des Lebens beinhaltet für mich, mit anderen Menschen gut zusammenzuleben und auch unterstützend für sie da zu sein. Wenn ich etwas Gutes für sie tue, macht mich das auch glücklich.
Ich lebe in einer Dreier-WG mit wechselnden Geflüchteten. Und das schon seit vielen Jahren. Angefangen hat alles mit meinem Einstieg in die Asylbewegung. Das war 1985. Zu jener Zeit gab es viele geflüchtete Menschen aus der Türkei, aus dem Kongo und Sri Lanka. Um sie vor der meist postwendenden Abschiebung zu bewahren, begannen wir in verschiedensten Gruppierungen in einer schweizweiten Aktion damit, sie zu verstecken.
Ab diesem Zeitpunkt habe ich immer Flüchtlinge und Migranten in unsere Dreizimmerwohnung aufgenommen. Bis heute. Für meinen Mann war das manchmal sehr anstrengend. Ich war teilweise eine schwierige Frau, denke ich. Er ein toleranter Mann. Er akzeptierte, dass ich viel unterwegs war. Versuchte nie, mich einzuschränken, und bestärkte mich immer bei der Umsetzung meiner verrückten Projekte.
Wir sind zusammengeblieben, bis er vor sieben Jahren gestorben ist. Dass wir uns damals in der Kunstgewerbeschule getroffen, uns verliebt und geheiratet haben, war ein riesiges Glück. Denn zu Beginn einer Beziehung weiss man nicht, auf wen man sich einlässt. Einen Menschen lernt man erst über die Jahre richtig kennen. Auch dank ihm hatte ich ein super Leben. Ich vermisse ihn sehr.
Ein Erlebnis, das ich nicht missen möchte, sind meine Aktivitäten in der Frauenbewegung. Wir hatten das Gefühl, wir können die Welt verändern, und das haben wir auch.
Als ich nach dem Soziologiestudium zusammen mit Freunden das Hirscheneck gründete, war das auch eine grosse Sache. Ich war immer engagiert, bin das auch heute noch. Ich will selbst entscheiden und gestalten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich in einem wohlhabenden Land geboren bin, in dem ich nie unter Mangel leiden musste und unglaublich viele Möglichkeiten hatte. Und dass ich immer noch einigermassen gesund bin.
Mein grosser Wunsch ist, dass alle Menschen auf der Welt ein würdiges Leben führen können. Dass ihre Würde respektiert wird. Etwas, das leider nicht einmal in unserem reichen Land so ist. Ich erlebe das jede Woche, wenn ich im Ausschaffungsgefängnis bin. In einem Gefängnis zu sein, ist etwas vom Entwürdigendsten überhaupt, weil man nichts mehr selber bestimmen darf. Bei meinen Besuchen dort möchte ich den Leuten vermitteln, dass ich sie achte.
Zentral ist, Gespräche auf Augenhöhe mit ihnen zu führen. Natürlich versuche ich auch zu helfen, was manchmal schwierig ist. Diese Arbeit ist emotional sehr intensiv. Denn schenkt mir jemand Vertrauen, grenze ich mich nicht ab, gehe voll in das Erleben hinein. Sowohl bei Freud als auch bei Leid. Nach dem Tod meines Mannes war die Tatsache, dass ich in das Leben mit anderen Menschen zurückkehren konnte, wohl auch meine Rettung.
In unserer Gesellschaft fehlt es leider oftmals an Zivilcourage. Hinstehen und sich öffentlich für etwas stark machen, finde ich wichtig. Ich wünschte mir, dass sich das mehr Menschen getrauen. Befreiung bringt mit sich, dass man Zivilcourage hat. Dass man aktiv einschreitet, wenn etwas Unrechtes passiert. Es stimmt mich hoffnungsvoll, wenn jüngere Menschen sich für eine achtsamere Gesellschaft engagieren. Wie kürzlich die Umweltbewegung.»
(https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/was-ich-noch-zu-sagen-haette-ich-lebe-in-einer-wg-mit-gefluechteten-ld.2414870)
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bzbasel.ch 11.02.2023
Illegale Weiterwanderung: Die Balkanroute führt neuerdings über Basel
Jetzt bestätigen Zahlen der deutschen Bundespolizei: Tausende Migranten reisen seit Monaten über die Schweiz illegal nach Deutschland, um dort Asyl zu beantragen.
Maria-Elisa Schrade
Der Migrationsdruck auf die Schweiz und ihre Nachbarländer hat im vergangenen Jahr erheblich zugenommen: Allein auf der sogenannten Balkanroute verzeichnet die europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex 145’600 illegale Grenzübertritte in 2022. Das sind mehr als doppelt so viele wie in 2021 und rund fünfmal mehr als 2020. Die meisten dieser Menschen fliehen vor dem Terror-Regime der Taliban in Afghanistan oder dem Bürgerkrieg in Syrien.
Das ist auch in der Region deutlich zu spüren, wo laufend neue Asylunterkünfte in Betrieb genommen werden. Doch längst nicht alle visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen, die in Basel ankommen, planen in der Schweiz Asyl zu beantragen. So stranden seit letztem Herbst fast täglich Gruppen junger Migranten am Bahnhof SBB, die weiter nach Frankreich oder Deutschland reisen wollen.
Von Österreich über die Schweiz nach Deutschland – ein lohnender Umweg
Wie die bz bereits berichtete, sind die meisten dieser Männer illegal mit dem Nachtzug von Österreich über Buchs in die Schweiz eingereist. Ein Umweg, der sich lohne, befand daraufhin die deutsche «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ), denn an der Grenze nach Südbaden gebe es keine Personenkontrollen.
Zwar betont das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Nachfrage der bz, das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) führe durchaus «Ausreisekontrollen im Rahmen lage- und risikobasierter Kontrollen» durch. Doch hält sich die Annahme der FAZ offenbar auch unter jungen Migranten, die in den letzten Monaten zu Tausenden den Schlenker von der «Balkanroute» über die Schweiz wählten, um nach Deutschland zu gelangen.
Die Zahlen der deutschen Bundespolizei, die jetzt der bz vorliegen, zeigen dies eindrücklich: Während im Juni 2022 noch 334 Personen in Deutschland aufgegriffen wurden, die unerlaubterweise über die Schweiz eingereist waren, betrug diese Zahl im November 2022 bereits 2916.
Dieser Anstieg der irregulären Weiterwanderung über die deutsch-schweizerische Grenze hinweg macht sich auch in der landesweiten Erstaufnahme in Baden-Württemberg bemerkbar, welche laut Referatsleiter Peter Kramer mit 8500 Registrierungen im vergangenen September und jeweils 7600 im Oktober und November 2022 besonders hoch ausgefallen ist. Gezielte Erhebungen zur Reiseroute der Migranten führt die Freiburger Erstaufnahme allerdings nicht durch.
Deutschland und die Schweiz haben gemeinsame Kontrollen verstärkt
Um die Situation in den Griff zu bekommen, gibt es inzwischen einen Deutsch-Schweizerischen Aktionsplan, der die Zusammenarbeit der jeweiligen Partnerbehörden gezielt darauf ausrichten soll, Sekundärmigration – also die unerlaubte Weiterreise von der Schweiz nach Deutschland – zu verhindern.
Details zu den Auswirkungen dieses Plans oder dem konkreten operativen Vorgehen der beteiligten Behörden, will das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) aus «einsatztaktischen Gründen» zwar nicht nennen. Doch gibt die deutsche Bundespolizei an, dass beispielsweise gemeinsame Kontrollen in grenzüberschreitenden Zugverbindungen intensiviert wurden.
Sichtlich erkennbar ist dies seit mehreren Wochen, insbesondere auf der Strecke zwischen Bahnhof SBB und dem Badischen Bahnhof. Aber auch in grenzüberschreitenden Tram- und Busverbindungen finden gemeinsame Fahndungen statt. Entsprechend kletterte die Zahl verhinderter unerlaubter Einreisen von der Schweiz nach Deutschland auch von 698 im November auf 1242 Abweisungen im Dezember 2022.
In der Erstaufnahme in Freiburg, die seit Januar für ganz Baden-Württemberg zuständig ist, sanken die Zahlen im Dezember 2022 auf 2927. Im Januar stiegen sie mit 3486 hingegen wieder leicht an. Doch allein aufgrund dieser Zahlen, könne die Erstaufnahme keine Rückschlüsse auf die Wirkung etwaiger Massnahmen schliessen, heisst es aus Freiburg.
Der Unterschied zwischen Abweisungen, die auf Schweizer Hoheitsgebiet erfolgen und illegalen Grenzübertritten, die erst in Deutschland erfasst werden, ist aus deutscher Sicht allerdings entscheidend: Denn unabhängig davon, ob beide Gruppen in Deutschland Asyl beantragen wollen oder nicht, ist Deutschland nur für diejenigen zuständig, denen auch gelingt, deutschen Boden zu betreten.
Das Dublin-System funktioniert nicht so, wie es eigentlich soll
Eigentlich sieht die Dublin-Verordnung vor, dass grundsätzlich der Dublin-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist, der als Erstes von der Schutz suchenden Person betreten wird. Zu den Mitgliedern gehört neben den EU-Ländern seit 2014 auch die Schweiz.
Wenn es Migrantinnen und Migranten folglich dennoch gelingt, die gesamte Balkanhalbinsel bis nach Österreich zu durchqueren, ohne registriert zu werden und schliesslich ungehindert von dort über die Schweiz bis nach Deutschland zu gelangen, funktioniert das Dublin-System nicht so, wie es eigentlich soll.
So wurden auch in der Schweiz im vergangenen Jahr von Monat zu Monat immer mehr irreguläre Migrationen ermittelt – mit jeweils knapp 8000 Fällen im Oktober und November. Etwa die Hälfte dieser Erfassungen erfolgte bei Buchs in der Region Zoll Ost, unweit der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz.
Die «Rundschau» glaubte sodann auch «Schleuser»-Aktivitäten ermittelt zu haben, als sie vergangenen Herbst Personal der Schweizerischen Bundesbahnen SBB dabei filmte, wie es gemeinsam mit der Schweizer Grenzwache und Transportpolizei den Weitertransport illegal eingereister Migranten in ihren Regionalzügen von Buchs über Zürich nach Basel organisierte.
Doch so einfach ist es nicht: Denn laut Staatssekretariat für Migration (SEM) werden diese Leute durchaus kontrolliert, können jedoch nicht festgehalten werden. Insbesondere, wenn weder eine Registrierung in der Eurodac-Datenbank vorliegt, welche für das Dublin-Verfahren genutzt wird, noch der Wunsch besteht, in der Schweiz Asyl zu beantragen.
Selbst wenn eine Registrierung ermittelt werden kann, ist eine Rückführung in vielen Fällen praktisch kaum möglich. Denn bei vielen Ländern, wie auch im Verhältnis zu Österreich, kann das Rückführungsverfahren mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Bis dahin haben sich die meisten Migrantinnen und Migranten jedoch bereits abgesetzt.
Ziel ist eine grundlegende Reform des europäischen Migrationssystems
Um das zu verhindern, hat die Schweiz mit Italien eine erleichterte Rücknahme insbesondere für Personen vereinbart, die in Grenznähe aufgegriffen werden. Das wurde vor allem in den letzten Wochen wichtig, weil auch die irreguläre Migration auf der Mittelmeerroute wieder zugenommen hat. Allerdings weigern sich einzelne Länder immer wieder mangels vorhandener Kapazitäten Rückführungen anzunehmen – wie seit Anfang Dezember 2022 auch Italien.
Kommt noch hinzu, dass einzelne Westbalkanstaaten eine lockere Visumpolitik betreiben. So hob etwa Serbien zuletzt die Visumpflicht für fünf weitere Länder auf, woraufhin die Migrationsbewegung über Österreich und die Schweiz deutlich zunahm.
Die Schweiz versucht unterdessen der irregulären Weiterwanderung ins eigene Land mit einem weiteren Aktionsplan beizukommen, den sie bereits Ende September 2022 mit Österreich vereinbart hat. Ähnlich, wie im deutsch-schweizerischen Aktionsplan, geht es nicht nur um gemeinsame Patrouillen, sondern um eine grundlegende Reform des europäischen Asyl- und Migrationssystems. Wann und ob diese umsetzbar ist, bleibt auf weiteres offen.
(https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/migration-illegale-weiterwanderung-die-balkanroute-fuehrt-neuerdings-ueber-basel-ld.2408531)
+++SCHWEIZ
Nach der SVP fordert auch der Freisinn härtere Asylpolitik: Die FDP will Ausländer, die arbeiten
Der Freisinn möchte im Wahljahr die Schraube bei der Asylpolitik anziehen. Die FDP wird darum in mehreren Kantonen Druck machen. Partei-Vize Andri Silberschmidt erklärt den «Hart, aber fair»-Kurs.
https://www.blick.ch/politik/nach-der-svp-fordert-auch-der-freisinn-haertere-asylpolitik-die-fdp-will-auslaender-die-arbeiten-id18306797.html
Mit ausgestreckten Armen – Moderator Sandro Brotz stellt «Ordungsantrag» in SRF-«Arena»
Immer mehr Asylsuchende, zu wenig Wohnungen und Ukrainerinnen, die trotz Schutzstatus S keine Stelle finden – was ist los im Schweizer Asylwesen? Zu dieser Frage flogen am Freitag in der SRF-«Arena» die Fetzen.
https://www.watson.ch/schweiz/international/475885277-zum-thema-schweizer-asylwesen-flogen-in-der-srf-arena-die-fetzen
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/arena-zur-asylsituation-gefluechtete-wir-sollen-uns-integrieren-und-zugleich-wieder-gehen
Der Luzerner Sozialdirektor Guido Graf fordert in der SRF- Fernsehsendung «Arena» die Abschaffung des Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge. Unter anderem deshalb, weil sich dieser aufgrund der Situation in der Ukraine nicht mehr rechtfertigen lasse.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/an-der-kuessnachter-saennechilbi-werden-20-000-leute-erwartet?id=12333994
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/kanton-luzern/review-guido-graf-in-der-srf-arena-der-schutzstatus-s-war-am-anfang-richtig-ist-aber-jetzt-falsch-ld.2414924
+++GASSE
Suchtkranker Jonas W. (36) zu Methadon-Engpass: «Jetzt besorge ich mir Heroin wieder auf der Strasse»
Methadon ist in der Schweiz derzeit Mangelware. Für Ex-Heroin-Abhängige wie Jonas W. hat das fatale Folgen. Vor vier Wochen musste er von Methadon auf ein anderes Präparat umsteigen. Seither plagen ihn Entzugserscheinungen – und diese treiben ihn wieder in die Sucht.
https://www.blick.ch/schweiz/suchtkranker-jonas-w-36-zu-methadon-engpass-jetzt-besorge-ich-mir-heroin-wieder-auf-der-strasse-id18307134.html
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
MEDIENSPIEGEL REVOLUTIONÄRE KLIMADEMO BASEL 11.02.2023:
-> https://www.bazonline.ch/chaos-und-krawall-in-der-innenstadt-121743094076
-> https://www.20min.ch/story/demo-in-der-innenstadt-polizei-greift-zu-gummischrot-und-reizgas-317952591877
-> https://www.watson.ch/schweiz/basel/488957310-rund-400-menschen-an-revolutionaerer-klimakundgebung-in-basel
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/rund-300-menschen-an-revolutionarer-klimakundgebung-in-basel-66418699
-> https://www.blick.ch/schweiz/basel/unbewilligte-kundgebung-reizgas-und-gummischroteinsatz-an-kundgebung-in-basel-id18308473.html
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/blaulicht-region-basel-doppelspur-ausbau-zwischen-duggingen-und-grellingen-bewilligt-personenwagen-kollidiert-mit-fussgaengerin-polizei-sucht-zeugen-ld.2343645
-> https://www.baseljetzt.ch/reizgas-und-gummischrot-an-kundgebung-in-der-stadt/14847
-> https://video.telebasel.ch/content/4062/4063/204215/index.html?embed=1&language=de&themeColor=337ab7&hideHD=true&googleAnalyticsID=UA-42054438-7&useJS=true&quality=40&sendEvents=1&configUrl=https%3A%2F%2Ftelebasel.ch%2Fwp-content%2Fthemes%2Ftelebasel-theme%2Fjs%2Fsimplex-ads-mediathek.js&kvkw=%7B%22page%22%3A%22mediathek%22%2C%22mediathek%22%3A%22Telebasel%20News%22%2C%22id%22%3A15813%2C%22article%22%3A%22false%22%2C%22weather%22%3A3%7D&timeBeforeAdSkip=5
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/museum-tinguely-inszeniert-ein-neu-erworbenes-werk?id=12333997
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/klima-demo-in-basel-heftige-zusammenstoesse-an-unbewilligter-klima-demonstration
-> https://twitter.com/BaselBlock/status/1624438576887767041
-> https://twitter.com/i/status/1624457857910378501
-> https://twitter.com/Kapo_BS/status/1624409828348112898
-> https://twitter.com/serkanabrecht/status/1624420355627532293
-> https://twitter.com/serkanabrecht/status/1624430038631297024
-> Demo-Aufruf: https://barrikade.info/article/5605
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primenews.ch 11.02.2023
Mit viel Krawall: Demo-Cha¬oten ziehen durch die Stadt
+++ Polizei setzt Tränen¬gas und Gummi¬schrot ein. Verkehr in der Innen¬stadt be¬ein¬trächt¬igt. Update folgt. +++
von Prime News-Redaktion
Rund 200, mehrheitlich vermummte Personen, ziehen zurzeit durch die Stadt und liefern sich dort Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der Verkehr ist teilweise stark eingeschränkt. Momentan befindet sich der Demo-Zug im Kleinbasel, wie die Basler Kantonspolizei auf Twitter mitteilt:
Demonstration bleibt mobil. Aktuell auf dem Riehenring in Richtung Feldbergstrasse. Strassenverkehr im gesamten Gebiet eingeschränkt.
— Kantonspolizei Basel-Stadt (@Kapo_BS) February 11, 2023
Auf Bildern und Videos, die in den sozialen Medien kursieren, ist zu sehen wie die Demonstranten Böller zünden und teilweise Steine auf die Polizisten werfen. Zudem kam es zu diversen Sachbeschädigungen. Beim Kunstmuseum wurde offenbar ein Auto mit Farbe bombardiert.
…auch Wochenend-Touristen trifft die Wut der Klimademonstranten. #klimademobasel pic.twitter.com/iOpbC3chP9
— Serkan Abrecht (@serkanabrecht) February 11, 2023
Die Polizei antwortet ihrerseits mit Gummischrott und Reizgas. Gemäss «Basler Zeitung» gelang es den Chaoten zwischenzeitlich sogar, eine Absperrung der Polizei beim Bankverein in Richtung Barfüsserplatz zu durchbrechen.
Die Demo steht unter dem Motto «Die Klimakrise ist jetzt. Die Verantwortlichen sind hier!». Die Teilnehmer hatten sich um 15 Uhr beim De-Wette-Park versammelt und sind von dort losgezogen.
Update folgt.
(https://primenews.ch/articles/2023/02/mit-viel-krawall-demo-chaoten-ziehen-durch-die-stadt)
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Feuerlöscher-Angriff auf Klimazerstörer UBS in Basel! (mit Video)
Den revolutionären Klimakampf aufbauen! Alle an die Demo am 11.02
https://barrikade.info/article/5609
Klimakiller angreifen
In der Nacht vom 09. zum 10. Februar haben wir die UBS Filiale in Basel an der Türkheimerstrasse mit Farbe versehen und ein paar Scheiben zu Bruch gebracht. Wie schon in diversen Communiqués erklärt wurde und wie wir alle schon lange wissen, profitiert die UBS, genauso wie alle anderen Grossbanken, massiv von der Klimakrise
https://barrikade.info/article/5610
Solidarität mit den kämpfenden Arbeiter:innen von Planzer!
Seit mehreren Monaten befinden sich die Fahrer:innen des Paketlieferdienstes Planzer im Arbeitskampf. Sie fordern unter anderem weniger Stress bei der Arbeit, die Nachzahlung von Spesen und Überzeit-Zuschlägen und die Einhaltung des Maximalgewichts von Paketen. Gemeinsam für mehr Lohn und weniger Stress!
https://barrikade.info/article/5602
Besuch der italienischen Botschaft in Bern
Seit nun 113 Tagen (Stand 10.02.2023) befindet sich der Anarchist Alfredo Cospito im Gefängnis von Bancali in Sassari im Hungerstreik. Seit nun 113 Tagen versucht er seine Entlassung und die Abschaffung des 41bis Haftregimes zu fordern. Bis jetzt geht der italienische Staat nicht auf Alfredos Forderungen ein.
https://barrikade.info/article/5613
+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
«Tausende warten auf ein Visum» – 3 Schweizer fordern einfache Einreise für Erdbebenopfer
Die Erdbeben in der Türkei und Syrien schocken die Welt. Tausende Menschen sind obdachlos und papierlos. Schweizer versuchen deshalb, ihre Verwandten aus der Türkei vorübergehend ins Land zu holen. Doch die Einreise ist schwierig, weshalb Betroffene ein schnelles Handeln fordern. SEM und EDA machen nun einen Schritt in diese Richtung.
https://www.watson.ch/international/schweiz/921055075-sp-nationalrat-fuer-einfache-einreise-fuer-erdbebenopfer-aus-der-tuerkei
Schweiz nimmt verurteilten Afghanen (35) auf: Das sagt die Politik zum abgeschobenen Kinderschänder
Deutschland hat einen verurteilten Sexualstraftäter in die Schweiz abgeschoben. Der Fall erhitzt die Gemüter bei den Parteien. Blick hat bei Politikerinnen und Politikern nachfragt.
https://www.blick.ch/politik/schweiz-nimmt-verurteilten-afghanen-35-auf-das-sagt-die-politik-zum-abgeschobenen-kinderschaender-id18308279.html
+++JUSTIZ
solothurnerzeitung.ch 11.02.2023
Ersatzfreiheitsstrafe: Tausenden Solothurnern droht jährlich das Gefängnis, weil sie Bussen oder Geldstrafen nicht bezahlen
Wer eine Geldstrafe oder Busse nicht bezahlt, dem droht der Gang ins Gefängnis. Dies auch, wenn die Busse nur wenige Franken beträgt. Entsprechende Verfahren werden jährlich für Tausende Solothurnerinnen und Solothurner eingeleitet.
Dominik Bloch
Etwas zu schnell gefahren und die darauffolgende Busse nicht bezahlt? Selbst wenn die Busse nur 40 Franken beträgt, kann aus ihr ein Kurzaufenthalt im Gefängnis werden. Ersatzfreiheitsstrafe wird das genannt. Die Anzahl solcher Gefängnisaufenthalte variiert im Kanton Solothurn stark.
Laut Matthias Heim vom kantonalen Straf- und Massnahmenvollzug geschieht dies regelmässig: 7000 bis 8000 Verfahren für Ersatzfreiheitsstrafen werden jährlich im Kanton eingeleitet. Das heisst allerdings nicht, dass auch so viele Solothurnerinnen und Solothurner effektiv ins Gefängnis wandern. Auch nachdem ein Verfahren eingeleitet worden ist, kann die Busse jederzeit bezahlt und der Gefängnisaufenthalt so umgangen werden.
Während Monaten wird die Behörde auf Trab gehalten
Und Zeit dafür wäre genug, denn solche Verfahren dauern. «Die Ersatzfreiheitsstrafe ersetzt eine Busse oder Geldstrafe, wenn diese auch auf dem Betreibungsweg uneinbringlich ist», erklärt Heim. Dann werde der kantonale Massnahmenvollzug benachrichtigt, der die Umwandlung einer Busse oder Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe in die Wege leitet. Dieser Prozess halte die kantonalen Behörden meist über Monate auf Trab und beanspruche rund zwei bis drei Vollzeitstellen.
Die Ursachen für unbezahlte Bussen oder Geldstrafen würden von Fall zu Fall stark variieren. Einige können, andere wollen die Rechnung nicht bezahlen. Das Erstere scheint die Regel zu sein. Meist ist laut Heim die finanzielle Situation der Person die Ursache für die unbeglichene Rechnung.
Kein Aufenthalt für wenige Stunden
Die Dauer einer Ersatzfreiheitsstrafe unterscheidet sich je nach Straftat. Bei einer geringen Tempoüberschreitung handelt es sich nur um eine Gesetzesübertretung, eine Busse wird ausgesprochen. In diesem Fall wird die Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe laut Heim wie folgt bestimmt: «Bei der Busse fällt grundsätzlich eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag pro 100 Franken an.»
Doch auch bei einer Busse in der Höhe von 40 Franken könne die verurteilte Person nicht nur über die Nacht ins Gefängnis: «Die Ersatzfreiheitsstrafe beträgt mindestens ein Tag.»
Anders ist es hingegen bei Vergehen wie bei stark alkoholisiertem Autofahren. Dort entscheidet ein Gericht zwischen einer maximal dreijährigen Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe. «Das Gericht legt in seinem Urteil bereits die Höhe der Ersatzfreiheitsstrafe fest, sollte die Busse oder Geldstrafe nicht bezahlt werden», erklärt Heim.
Sie dauere zwischen drei und 180 Tagen. Wird die ausstehende Geldstrafe oder Busse nach dem Antritt der Haftstrafe beglichen, wird die verurteilte Person frühzeitig aus der Haft entlassen.
Unentgeltliche Arbeit als Alternative
Das Gefängnis ist für finanziell angezählte Personen nicht die einzige Möglichkeit, die Strafe auszusitzen. Als Alternative zur Busse oder der Geldstrafe kann auch gemeinnützige Arbeit geleistet werden. Dabei handele es sich um unentgeltliche Arbeit in einer sozialen Einrichtung. Diese kann beispielsweise in einem Altersheim oder Tierheim geleistet werden.
Abhängig ist diese jedoch von einem Gesuch, das der Kanton zu bewilligen hat. Möglich ist dies nicht zu jedem Zeitpunkt: Ist die Gefängnisstrafe bereits in Vollzug gesetzt, kann keine gemeinnützige Arbeit mehr bewilligt werden.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/ersatzfreiheitsstrafe-tausenden-solothurnern-droht-jaehrlich-das-gefaengnis-weil-sie-bussen-oder-geldstrafen-nicht-bezahlen-ld.2414239)
+++POLIZEI SG
St.Galler Regierung will Nationalitäten von Tätern in Polizeimeldungen weiter nennen
Soll die Täternationalität in Polizeimeldungen genannt werden? Die Kantonsregierung hat einen Vorstoss des Buchser SVP-Kantonsrats Sascha Schmid beantwortet – und hält am Status Quo fest.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/werdenberg/vorstoss-stgaller-regierung-will-nationalitaeten-von-taetern-in-polizeimeldungen-weiter-nennen-ld.2414906
+++RECHTSPOPULISMUS
Zoff im Basler Wahlkampf: Von «Sauhaufen» und Ungeziefer
Ein Basler Grossrat nennt die SVP einen «Sauhaufen» – und schon geht der Zoff zwischen den bürgerlichen Parteien los. Auf Twitter bekommt aber auch die SVP ihr Fett weg.
https://www.blick.ch/politik/zoff-im-basler-wahlkampf-von-sauhaufen-und-ungeziefer-id18306197.html
-> https://www.20min.ch/story/die-svp-ist-ein-sauhaufen-mit-dem-ich-nichts-zu-tun-haben-will-484469147568
Härtere Asylpolitik: Versucht die FDP der SVP Wähler abzunehmen?
Die FDP will die Schrauben in der Asylpolitik anziehen. Was bisher v.a. die Kernkompetenz der SVP war, machen die Freisinnigen sich jetzt offenbar zum Wahlkampthema.
https://www.telem1.ch/aktuell/haertere-asylpolitik-versucht-die-fdp-der-svp-waehler-abzunehmen-150077658
+++RECHTSEXTREMISMUS
„Sie sind profitabel“: Selbsternannte Nazis und Frauenhasser generieren Millionen für Twitter
Hass im Netz feiert seit Musks „Generalamnestie“ ein Comeback auf der Nachrichtenplattform – das hat vor allem wirtschaftliche Gründe
https://www.derstandard.at/story/2000143447655/sie-sind-profitabel-selbsternannte-nazis-und-frauenhasser-generieren-millionen-fuer?ref=rss
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Die schleichende Radikalisierung des Daniele Ganser
Wo er auftreten will, löst der Schweizer Historiker heftige Debatten aus. Manche deutsche Städte haben geplante Veranstaltungen bereits abgesagt. Warum? Eine Analyse.
https://www.watson.ch/digital/analyse/757220496-die-schleichende-radikalisierung-des-daniele-ganser
-> https://anthroposophie.blog/2023/02/06/ein-herz-fur-verschworungsideologen-daniele-ganser-und-die-anthroposophie/
+++FUNDIS
Esoterikstar Christina von Dreien gebärdet sich als Sektenführerin
Wer sind die grössten Feinde der Sekten? Die Antwort mag überraschen: Angehörige und Freunde der Sektenmitglieder. Denn ihre Eltern, Ehepartner und Geschwister gehören in der Regel zu den Ersten, die die Verhaltensauffälligkeiten der Novizen wahrnehmen. Dann schaltet die Alarmstufe auf Rot.
https://www.watson.ch/blogs/sektenblog/557164989-esoterikstar-christina-von-dreien-gebaerdet-sich-als-sektenfuehrerin
+++HISTORY
Thurgau will lebende Opfer von Medikamententests entschädigen (ab 03:49)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/wir-sind-riesig-stolz-auf-unsere-jasmine?id=12334003
-> Wortlaut: https://grgeko.tg.ch/o/grgeko-portlet/activity/5327173
-> Beantwortung: https://grgeko.tg.ch/o/grgeko-portlet/activity/5439473
-> https://www.toponline.ch/news/thurgau/detail/news/svp-entscheidet-ob-die-opfer-der-medikamententests-in-muensterlingen-tg-entschaedigt-werden-00205393/
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/svp-bekaempft-opfer-entschaedigungen-150077775
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-thurgau/medikamententests-muensterlingen-ld.2414402
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hauptstadt.be 11.02.2023
Zu Besuch bei Berufsrevolutionär*innen
Die marxistische Gruppierung «Funke» strebt unverdrossen die antikapitalistische Revolution an. Wie ernst ist es ihr? Die «Hauptstadt» hat eine Veranstaltung in Bern besucht.
Von Mathias Streit (Text) und Jana Leu (Text und Bilder)
Der Kapitalismus steckt in der Krise. Sein stetes Verlangen nach Mehr – mehr Geld, mehr Waren, mehr Dienstleistungen – steht im deutlichen Gegensatz zu den Herausforderungen der Klimakrise. Zu dieser Einsicht sind längst auch renommierte Kapitalist*innen gelangt. Alternative Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen sind gefragt. Von diesem Trend will auch eine Gruppe Marxist*innen in Bern profitieren.
«Unser Ziel ist die Enteignung der herrschenden Klasse», sagt Caspar Oertli. Es ist Anfang November, in Bern-West ist soeben die Marxistische Herbstschule zu Ende gegangen. Oertli und Martin Kohler haben das alljährliche Highlight der Marxist*innen in der Schweiz mitorganisiert. Sie sind Mitglieder von «Funke» – einer marxistischen Gruppierung mit Sitz in Bern. «Wir planen den Aufbau einer sozialistischen Planwirtschaft als Übergang in die klassenlose Gesellschaft», sagt Kohler.
Und wie soll das gelingen? «Es braucht eine globale Revolution», sagt Oertli.
Knapp 200 Mitglieder
Enteignung, Planwirtschaft, Revolution – es sind Begriffe, die eingefleischten Kapitalist*innen das Blut in den Adern gefrieren lassen. Beim «Funke» gehören sie zum Standardvokabular. Der «Funke» ist die Deutschschweizer Sektion der «International Marxist Tendency», einem internationalen Zusammenschluss marxistischer Gruppierungen.
In der Schweiz ist der «Funke» seit 2007 vertreten. Die Organisation veranstaltet Events und publiziert regelmässig ein eigenes Print- und Onlinemagazin. Dabei ist ihre Mitgliederzahl überschaubar: Nur knapp 200 Personen sind in der ganzen Schweiz «Funke»-Mitglied.
An der Herbstschule in Bern-West nehmen sogar 215 Personen teil – «ein absolut historischer Rekord», wie die Organisator*innen den Anwesenden mitteilen. Die Stuhlreihen im Quartierzentrum Gäbelbach sind denn auch gut gefüllt. Obwohl längst keine Maskenpflicht mehr herrscht, tragen alle Anwesenden eine FFP2-Maske. Solidarität wird hier gross geschrieben. Vorne auf der Bühne prangt ein grosses rotes Plakat mit einem Lenin-Zitat:
«Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Bewegung geben.»
«Politische Bildung ist wichtig, um die revolutionären Kräfte in der Schweiz aufzubauen», sagt Dersu Heri in einer Pause zwischen den insgesamt fünf Vorträgen an diesem Tag. Deshalb sei er heute hier in Bern-West. «Aktuell sind wir eine kleine Gruppierung, aber immer öfter stelle ich bei Jungen eine antikapitalistische Grundhaltung fest.»
Eine Tendenz, die auch das deutsche Magazin «Spiegel» beobachtete. In einem ausführlichen Artikel widmete es sich unlängst dem Wiederaufkommen marxistischer Ideen und nannte Zahlen: So seien in den traditionell wirtschaftsliberalen USA 49 Prozent der 18- bis 29-Jährigen gegenüber sozialistischen Ideen positiv eingestellt. Und selbst die Financial Times habe ein Ende des Neoliberalismus und mehr staatliche Eingriffe gefordert, berichtet der Spiegel.
Bloss: «Mehr staatliche Eingriffe» (Financial Times) sind bei weitem nicht dasselbe wie der «Aufbau einer sozialistischen Planwirtschaft» (Funke).
Hauptsächlich Junge
Im Quartierzentrum Gäbelbach hat Dersu Heri inzwischen die Bühne betreten. Heri ist einer von schweizweit insgesamt sieben sogenannten «Fulltimern». Diese sind von «Funke» angestellt und gehen nebenher keiner weiteren Lohnarbeit nach. Finanziert werden die Vollzeitrevolutionär*innen durch Mitgliederbeiträge, Spenden von Sympathisant*innen und den Verkauf von Material wie Fahnen oder Büchern. Im Gegenzug organisieren sie Events und schreiben für die «Funke»-Zeitschrift. Ihr Büro haben sie seit 2017 in der Stadt Bern.
«Die aktuellen Proteste im Iran werden von Jungen angeführt und haben das Potenzial, zu einer revolutionären Massenbewegung zu werden», sagt Heri ins Mikrofon, das vor ihm auf dem Rednerpult steht. Was folgt, ist eine Mischung aus politischer Rede und Geschichtsstunde zum Iran. Auch die SP («paktiert mit Bürgerlichen»), der Stalinismus («Stalinisten sind keine Marxisten») und Joe Biden («Halt die Fresse du alter Sack») kriegen ihr Fett weg.
Viele im Publikum tippen Notizen in ihren Laptop. Andere füllen Notizbücher. Was auffällt: Unter den Anwesenden sind viele Junge. Mit ihren Adidas-Sneakers, Sidecuts und Leoprint-Mäntel könnten sie genauso in einem Masterseminar an der Universität sitzen.
Erst vor wenigen Monaten titelte der «Nebelspalter» denn auch alarmistisch: «Wie radikale Marxisten die Universitäten unterwandern». Tatsächlich dürften viele der Anwesenden in Bern-West Studierende sein. Von einer «Unterwanderung» der Universitäten zu sprechen scheint bei 200-Funke-Mitgliedern im Vergleich zu den insgesamt 275’000 Studierenden in der Schweiz aber realitätsfremd.
Ausbildung im Marxismus
Unter den Anwesenden in Bern West sind nicht nur Studierende: Da ist der Lehrling, der 700 Franken zur Finanzierung der Herbstschule beigetragen hat und dafür von den Anwesenden gefeiert wird. Da ist die Sekundarschülerin, die für ein kurzes Statement ans Mikrofon tritt. Und da ist Marc. Er absolviert eine Informatiklehre und ist zum zweiten Mal an einer Herbstschule dabei.
«Solche Treffen sind immer auch soziale Events, aber klar: Die Ausbildung der marxistischen Kräfte geht vor», sagt er. Wie andere Anwesende auch ist er nebst «Funke»- auch Juso-Mitglied. «Letzteres aber nur halbherzig», sagt Marc. Kein Wunder: Nebst der Lehre und seinem marxistischen Engagement bleibt kaum Zeit. Als Mitglied von einer der fünf Berner Ortsgruppen trifft er sich einmal wöchentlich mit seinen Genoss*innen, um sich gemeinsam über politische Bildung und revolutionäre Praxen auszutauschen.
Marxismus in der Berner Politik
Der «Funke» ist nicht unumstritten – selbst unter Linken: Adrian Zimmermann beschreibt die Gruppierung als eine «Art politischer Sekte, die für sich beansprucht, die einzig wahre Auslegung der Schriften von Marx zu kennen.» Zimmermann ist Historiker und Experte für linke Gruppierungen in der Schweiz. «Der Funke orientiert sich sehr stark am Wortlaut der Texte von Karl Marx und verhindert so unterschiedliche Interpretationen der darin formulierten Gedanken.»
Die Arbeiter*innenbewegung im 19. Jahrhundert orientierte sich auch in Bern an den Ideen von Karl Marx. «Seine Schriften lieferten den Arbeiter*innen eine wissenschaftliche Erklärung für die oft elenden Zustände, unter denen sie arbeiteten, wohnten und lebten», erklärt Zimmermann. Im Grunde verstand die Bewegung den marxistischen Gedanken so, dass «der Sieg des Proletariats und der Aufbau einer sozialistischen, klassenlosen Gesellschaft unausweichlich sei», sagt er.
Marxistische Ideen spiegelten sich denn auch bis in die 1950er-Jahre im Parteiprogramm der Sozialdemokratischen Partei (SP) wieder. «Bei weitem nicht alle SP-Mitglieder verstanden sich jedoch als Marxist*innen», so Zimmermann. So gab es seit Beginn der SP «auch religiöse Sozialist*innen und viele pragmatisch agierende Sachpolitiker*innen, die sich wenig für sozialistische Theorien interessierten.»
Adrian Zimmermann ordnet die Bedeutung der marxistischen Theorie für politische Parteien ein, die auch in der Stadt Bern aktiv sind. Bis heute seien Teile des linken Flügels der SP Schweiz «von marxistischen Gedankengängen in ihrem ursprünglichen, kritischen Sinne geprägt», sagt Zimmermann. Die gesamte SP Schweiz sehe die marxistische Geschichts- und Gesellschaftsanalyse seit 1959 nur noch als eine von mehreren Grundlagen des demokratischen Sozialismus. Dasselbe gilt laut Zimmermann für das Grüne Bündnis, das in der Stadt Bern als Regierungspartei ein grosses politisches Gewicht hat.
Anders sehe das bei der Partei der Arbeit (PdA) aus, die im Berner Stadtparlament mit einem Sitz vertreten ist, erläutert Zimmermann. Die PdA entstand 1944 aus der damals illegalen Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS), welche sich 1920/21 von der SP Schweiz abgespaltet hatte. Ende 1940 wurde die KPS gleichzeitig mit einem Teil der faschistischen «Fronten» vom Bundesrat verboten.
Die KPS – und nach ihr die PdA – befolgten bis mindestens 1968 mit eiserner Disziplin die jeweils gültige, von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) vorgegebene Generallinie der sogenannten «kommunistischen Weltbewegung». Obschon innerhalb der PdA seither eine gewisse ideologische Öffnung stattgefunden habe, lebe unter Teilen ihrer Mitgliedschaft bis heute der Marxismus-Leninismus fort. Dabei handle es sich um eine sehr schematische Lesart der Schriften von Marx, Engels und vor allem Lenin, die laut Zimmermann «äusserst wenig mit dem kritischen Geist dieser Autoren zu tun hat».
Optimistische Revolution
Im Quartierzentrum Gäbelbach geht die Herbstschule langsam zu Ende. Einzelne aus dem Publikum kommen für wenige Minuten auf die Bühne und erhalten die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge zu präsentieren. Dabei ist immer wieder von Optimismus die Rede. «Die marxistische Theorie gibt mir Hoffnung und verhindert, dass ich im Pessimismus versaufe», sagt später auch Julia. Die Restaurationsfachfrau in Ausbildung nahm das zweite Mal an der Herbstschule teil.
Ihr Optimismus nährt sich aus dem marxistischen Stufenmodell, wonach die Entwicklung vom Niederen (Gesellschaft der Sklavenhalter*innen) zum Höheren (kommunistische Gesellschaft) notwendig sei. Oder anders formuliert: Die Revolution kommt sowieso.
Und so stehen sie zum Abschluss alle auf, die Marxist*innen in Bern-West, und singen die Internationale – jenes Lied der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung, das bis 1943 als Hymne der Sowjetunion herhalten musste. Es passt irgendwie zu dieser Gruppierung, deren Ziele deutlich grösser sind als die eigene Wirkungsmacht zulässt.
(https://www.hauptstadt.be/a/der-funke-in-bern)
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derbund.ch 11.02.2023
Zeitungsartikel aus dem Kreml: Russen zahlen Österreicher für Propaganda in der Schweiz
Gehackte E-Mails zeigen, wie Russland Politiker und Sympathisierende im Ausland für das Verbreiten von Propaganda bezahlt – zum Beispiel in einer kleinen Schweizer Zeitung. Dahinter steckt eine Strategie aus dem Kalten Krieg.
Charlotte Walser
«Honoriert und gewählt wurde der patriotische Kurs Putins, nicht das ‹wishful thinking› westlicher Thinktanks»: Das steht in einem Artikel in der Schweizer Zeitung «Zeit-Fragen», veröffentlicht am 27. September 2016 – kurz nach den russischen Parlamentswahlen. Im Text ist die Rede von «westlichem Propaganda-Sperrfeuer», unter anderem wegen der russischen Annexion der Krim. Die Wahlen werden als vorbildlich beschrieben – gemäss «echten Standards», im Gegensatz zu «manchen westlichen Standards».
Als Autor zeichnet der österreichische Aktivist Robert Stelzl, der eng mit der rechtsgerichteten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) verbunden ist und in «Zeit-Fragen» als Russland-Analyst bezeichnet wird. Doch allem Anschein nach hat er den Artikel nicht geschrieben, sondern lediglich übersetzt und leicht angepasst.
Geschrieben wurde der Artikel in Russland, wie geleakte E-Mails nahelegen.
Die Auftraggeber waren am Ende allerdings unzufrieden, weil Stelzl am fixfertigen Text Änderungen angebracht hatte. Der Österreicher rechtfertigt sich in einer E-Mail dafür: Wenn der Auftraggeber «die Botschaft» abgedruckt haben wolle, müsse er sich damit abfinden, dass Stil und Inhalt akzeptabel sein müssen.
Die E-Mail ist eine von mehreren Tausend, welche die Organisation «Organized Crime and Corruption Reporting Project» in Zusammenarbeit mit Medienpartnern ausgewertet hat. An den Recherchen beteiligt war auch das österreichische Nachrichtenmagazin «Profil», das E-Mail-Ausschnitte veröffentlichte.
Die E-Mails stammen aus dem Zeitraum 2007 bis 2017. Gemäss dem Recherchenetzwerk legen sie nahe, dass Politiker und Aktivistinnen in Deutschland, Österreich, Italien, Tschechien und Polen dafür bezahlt wurden, die Annexion der Krim durch Russland gutzuheissen und diese Botschaft zu verbreiten. Absender ist eine Person mit direktem Kontakt in die Präsidentenverwaltung von Wladimir Putin. Auch im E-Mail-Verkehr mit Robert Stelzl wird eine Bezahlung erwähnt. Dass er das Geld tatsächlich erhalten hat, ist nicht erwiesen. Gegenüber der Zeitschrift «Profil» sagte Stelzl, er habe stets offen pro-russische Positionen vertreten.
Globale Verbreitung aus der Nische
Doch was bringt es den Auftraggebern in Russland, wenn ein Propaganda-Artikel in einer Zeitung wie «Zeit-Fragen» erscheint, einem Blatt mit geringer Reichweite? Laut Experten ist das ein gängiges Vorgehen. Christopher Nehring ist Gastdozent der Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem Schwerpunkt Desinformation. Er sagt, auf die Reichweite des ersten Mediums komme es gar nicht so sehr an.
«Die Auftraggeber setzen darauf, dass solche Publikationen ein digitales Nachleben haben», sagt Nehring. Oft würden sie in den einschlägigen Netzwerken global verbreitet. «Wenn in japanischen Chatgruppen steht, der Artikel sei in der Schweizer Zeitung ‹Zeit-Fragen› erschienen, kann niemand beurteilen, wie relevant die Zeitung ist.» Schon im Kalten Krieg habe jeder publizierte Artikel als Erfolg gezählt. Neu seien bloss die heutigen Möglichkeiten der Verbreitung.
Aktuell beobachtet Nehring, dass bei der Verbreitung Influencer eine grosse Rolle spielen – Personen mit vielen Followern in sozialen Medien. Ein Beispiel hierfür gab es diese Woche. Der Finanzmarktblogger «Russian Market» twitterte falsche Zahlen zu getöteten Soldaten im Krieg in der Ukraine. Die Quelle der Statistik: eine unbekannte türkische Nachrichtenseite. Doch die Zahlen fanden weltweit Verbreitung, weil ein User mit Millionen Followern auf den Tweet antwortete: Twitter-CEO Elon Musk.
Neu ist auch, dass Fake News mit gefälschten Logos grosser Medien wie BBC oder «Spiegel» verbreitet werden. An den Fällen, die das Recherchenetzwerk aufgedeckt hat, ist laut Nehring aussergewöhnlich, dass es Belege gibt für den Ursprung der Botschaften – und dass eine Liste mit Geldempfängern an die Öffentlichkeit gelangte.
Wie es zur Zusammenarbeit zwischen Stelzl und der Zeitung «Zeit-Fragen» kam und ob diese wusste, dass Stelzl im Auftrag Russlands handelte, ist offen. Chefredaktorin Erika Vögeli schreibt auf Anfrage: «Wir haben uns bewusst genossenschaftlich organisiert und arbeiten alle ehrenamtlich, denn wir legen Wert auf unsere – auch finanzielle – Unabhängigkeit und die Freiheit der Meinungsäusserung und lassen uns von niemandem einspannen.» Weitere Fragen liess das Blatt unbeantwortet.
«Zeit-Fragen» bezeichnet sich als «Zeitung für freie Meinungsbildung, Ethik und Verantwortung». Das Blatt erscheint seit 1993 – seit 2000 wöchentlich – und steht in Verbindung mit dem «Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis». Seit einigen Jahren gibt es auch eine französische und eine englische Ausgabe sowie viermal jährlich eine italienische.
Die aktuelle Nummer enthält einen Text des Genfer Grossrats Guy Mettan unter dem Titel «Russland trauert um Europa». Mettan, der vor kurzem der SVP beigetreten ist, amtet als Präsident der schweizerisch-russischen Handelskammer in Genf und hat 2017 die russische Freundschaftsmedaille erhalten. Im Artikel schreibt er, die Unterstützung für Putin habe in Russland zugenommen, für die Mehrheit der Russen gehe es «um das Überleben ihrer Lebensweise», und der Westen habe sich bezüglich der Sanktionen völlig geirrt.
(https://www.derbund.ch/russen-zahlen-oesterreicher-fuer-propaganda-in-der-schweiz-626363641862)
-> https://www.blick.ch/ausland/geleakte-e-mails-zeigen-putin-zahlte-fuer-propaganda-in-der-schweiz-id18308188.html
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nzz.ch 11.02.2023
Der Schweizer Linksterrorist, der zur CIA überlief
Der Historiker Adrian Hänni schildert in einem neuen Buch, wie sich Bruno Breguet, der Terrorist aus dem Tessin, nach jahrelangem Kampf für die Weltrevolution ausgerechnet dem Erzfeind USA andiente – und später auf mysteriöse Weise verschwand.
Marcel Gyr
Bruno Breguet, ein Gymnasiast aus dem Tessin, ist gerade einmal 20 Jahre alt, als er am 23. Juni 1970 frühmorgens als Passagier des Dampfschiffes «Enotria» im Hafen der israelischen Küstenstadt Haifa ankommt. Um den Hals trägt er eine Super-8-Videokamera, was den unscheinbaren jungen Mann als einen der zahlreichen Touristen im Heiligen Land erscheinen lässt. Sie alle gehen von Bord, um bei der Zollstation die Einreiseformalitäten zu erledigen.
Als Bruno Breguet seinen Schweizer Reisepass vorlegt, nehmen ihn die Zollbeamten zur Seite, und nach einer Leibesvisitation richten sie ihre Maschinenpistolen auf den Tessiner Gymnasiasten. Unter seinen Kleidern, versteckt in einem weissen Stoffgürtel, stossen die israelischen Kontrolleure auf zwei Kilogramm Sprengstoff sowjetischer Bauart. Und im Hohlraum einer Marlboro-Packung sind der elektrische Zünder und weitere Utensilien versteckt, mit denen der Sprengstoff zur Explosion gebracht werden kann.
Schliesslich finden sich im Gepäck von Bruno Breguet auch kleine Metallplatten mit der Aufschrift «PFLP» – das Akronym steht für Popular Front for the Liberation of Palestine, auf Deutsch palästinensische Volksbefreiungsfront. Nach ihren blutigen Anschlägen pflegt die Terrororganisation am Tatort solche Metallplatten zu hinterlassen.
Auf einem Notizzettel hat sich der Tessiner fein säuberlich aufgezeichnet, wie er die Sprengladung am Shalom Tower in Tel Aviv, damals das höchste Gebäude im Nahen Osten, hätte anbringen sollen.
Doch wie ist es bloss dazu gekommen, dass ein 20-jähriger Gymnasiast aus Minusio, der am Liceo in Lugano in wenigen Monaten die Matura hätte abschliessen sollen, mit einem Sprengstoffgürtel nach Israel einreist?
Spurensuche nach dem Terroristen
Der Schweizer Historiker Adrian Hänni, der seit längerem auf Terrorismus und Geheimdienste spezialisiert ist, hat sich auf Spurensuche begeben. Zum einen hat er eine Fülle von Archivmaterial und Fachliteratur aus mehreren Ländern akribisch ausgewertet. Zum anderen hat er Freunde, Familienmitglieder und Wegbegleiter Breguets ausfindig gemacht und befragt.
Wohl dank seiner echten Neugier ist es Hänni gelungen, auch mit Protagonisten ins Gespräch zu kommen, die sich zuvor gegenüber Medien weitgehend verweigert hatten.
Diese Melange aus schriftlichen und mündlichen Quellen hat der Historiker in einem neuen Buch zu einem dichten Porträt zusammengefügt. Über die Person Breguets hinaus ermöglicht er einen tiefen Einblick in die Turbulenzen der 1970er und 1980er Jahre, als erstaunlich viele Fäden des internationalen Terrorismus in der Schweiz zusammengelaufen sind.
Und Hänni kann mit einem Scoop aufwarten: Am Ende von Breguets Karriere als Terrorist, nach mehr als zwanzig Jahren Kampf für die erhoffte Weltrevolution, wechselte der Tessiner die Seiten: Auf der US-Botschaft in Bern diente er sich dem amerikanischen Auslandgeheimdienst CIA als Spitzel an.
Doch bis dahin war es ein weiter Weg.
Mao und Lenin über dem Lago Maggiore
Bruno Breguet war ein Kind von 1968. Wie so viele seiner Generation wurde der schüchterne und eher schweigsame Gymnasiast durch den Vietnamkrieg politisiert. Im Elternhaus in Minusio, mit freiem Blick über den Lago Maggiore, verschlang er nicht nur die Schriften von Mao und Lenin. Der wissbegierige Teenager abonnierte bald auch einschlägige Zeitschriften aus Kuba und Vietnam. Deren Lektüre bestärkte ihn in seinem Glauben, dank bewaffneten linken Gruppierungen stehe die Weltrevolution unmittelbar bevor.
Breguets stille Radikalisierung erinnert an ähnliche Vorgänge bei heutigen Islamisten. Im Fall des Tessiners wurde der Prozess beschleunigt, als der Terrorismus 1969 sogar die bis dahin friedliche Schweiz aufschreckte. Aus der Ferne verfolgte Breguet mit grossem Interesse die Gerichtsverhandlung gegen die drei palästinensischen Attentäter, die auf dem Flughafen Zürich Kloten ein Flugzeug der israelischen Luftfahrtgesellschaft El Al angegriffen hatten. Dass ein Geschworenengericht in Winterthur sie schuldig, einen israelischen Sicherheitsmann, der einen der Attentäter getötet hatte, gleichzeitig aber freisprach, empfand Breguet als schreiende Ungerechtigkeit.
Während der Gymnasiast von seiner Umgebung im Tessin als äusserst freundlich, zuvorkommend und konfliktscheu wahrgenommen wurde, stand für Breguet nach dem Winterthurer Gerichtsurteil fest, dass er sich fortan tatkräftig am Kampf der PFLP für einen palästinensischen Staat beteiligen wollte. Statt ans Liceo in Lugano reiste er eines Tages im Februar 1970 nach Beirut, wo er sich im Rekrutierungsbüro der PFLP meldete. Dort war er als unauffälliger Westler mit Schweizer Pass hochwillkommen.
Vier Monate später wurde Breguet, ausgerüstet mit dem Sprengstoffgürtel, von der Zollbehörde in Haifa verhaftet. Hänni vermutet, dass ihn ein Maulwurf innerhalb der PFLP verraten hatte.
Nach sieben Jahren in israelischen Gefängnissen kommt Breguet im Juni 1977 aufgrund eines Gnadengesuchs seiner Eltern frei. Zurück in der Schweiz, hält er eine Pressekonferenz im Restaurant Cooperativo in Zürich ab. Das Gefängnis habe er als Palästinenser verlassen, sagt er. Es besteht kein Zweifel, dass sich der Tessiner weiterhin an deren militantem Kampf für einen unabhängigen Staat beteiligen möchte.
Schon bald sucht er in der Schweiz über Mittelsmänner wieder die Nähe zur PFLP. Doch er muss erkennen, dass die Palästinenser nicht mehr an ihm interessiert sind. Sein Name ist «verbrannt», als «bunter Hund» ist er für Geheimoperationen denkbar ungeeignet.
So schliesst er sich 1979 einem anderen verlorenen Sohn des palästinensischen Widerstands an, dem Venezolaner Illich Ramírez Sánchez, besser bekannt als «Carlos». Mit diesem Schritt entfernt sich Breguet meilenweit von seinem ursprünglichen Ideal, dem revolutionären Kampf für eine gerechtere Weltordnung. Denn «Carlos» ist in jenen Jahren nurmehr der Chef einer Söldnertruppe, die für zwielichtige Geheimdienste und unzimperliche Despoten schmutzige Geschäfte erledigt.
Für diese Truppe von Desperados fungiert Breguet als Schaltstelle in Europa. Exemplarisch für die Sinnlosigkeit ihres Wirkens ist ein Sprengstoffanschlag, den die Söldnertruppe im Februar 1981 in München ausführt. Bei der Explosion von 20 Kilogramm Sprengstoff, die Breguet mit einem Fernzünder ausgelöst hat, werden am Sitz von Radio Free Europe acht Mitarbeiter zum Teil schwer verletzt.
Auftraggeber für den Anschlag war der rumänische Geheimdienst Securitate. Im Auftrag des Machthabers Nicolae Ceausescu sollte die oppositionelle, von den USA finanzierte Radiostation, die während des Kalten Kriegs hinter dem Eisernen Vorhang sendete, ausgeschaltet werden. Im Gegenzug erhielten «Carlos» und seine Komplizen grosse Mengen an Waffen, Sprengstoff und professionell gefälschten Reisepässen.
Dem Söldnertrupp unterlief allerdings ein eklatanter handwerklicher Fehler: Statt in der rumänischen Abteilung von Radio Free Europe ging die verheerende Bombe im tschechoslowakischen Studio hoch.
Ein Kofferraum voller Sprengstoff
Ähnlich dilettantisch verlief ein Jahr später, im Februar 1982, ein weiterer Anschlagsplan. In Form eines Auftragsmords sollte Bruno Breguet in Paris den Verleger einer irakischen Exilzeitung töten, indem er die Zeitungsredaktion in die Luft sprengt. Wohl auch zu seinem Glück wurde Breguet – zusammen mit einer Komplizin – kurz vor der Tatausführung in einem Parkhaus in der Nähe der Champs-Élysées abgefangen. Der Kofferraum seines Autos war voll beladen mit Sprengstoff.
Diesmal verbrachte Breguet dreieinhalb Jahre im Gefängnis. Wobei er dem französischen Staat bis zuletzt vorwarf, sich nicht an ein stillschweigendes Abkommen zu halten, das dem palästinensischen Widerstand angeblich Operationen in Frankreich erlaubte.
Nach seiner Entlassung zog Breguet zunächst wieder ins Tessin, reiste aber im Auftrag von «Carlos» regelmässig in den Nahen Osten, nach Libyen, Libanon, Iran und vor allem nach Damaskus, wo er insgesamt fast ein Jahr verbrachte. Unter dem Schutzschirm des Asad-Regimes und letztlich der Sowjetunion nutzten «Carlos» und seine engsten Kampfgefährten die syrische Hauptstadt ab Mitte der 1980er Jahre als Zufluchtsort. Mit dem Ende des Kalten Krieges verschwand auch dieser Rückzugsort.
Der Weg zur CIA
Die neue Weltordnung hat vermutlich eine wichtige Rolle gespielt für Breguets Entscheid, die Seite zu wechseln und seine langjährigen Wegbegleiter zu verraten. Was den Tessiner tatsächlich dazu bewogen hat, sich für ein monatliches Salär von 3000 Dollar der CIA anzudienen, versucht Adrian Hänni in seinem Buch zu ergründen. Er kann dabei auf bisher nicht ausgewertetes Material der National Archives in den USA zurückgreifen.
Dass Breguet im Sold der CIA stand, befeuert natürlich das Rätselraten über sein Verschwinden. Am 10. November 1995 bestieg er in Griechenland die Fähre nach Italien. Weil ihm bei der Ankunft in Ancona die Einreise aufgrund seiner Vergangenheit verweigert wurde, schickten ihn die italienischen Grenzbeamten zurück nach Griechenland – wo er nie ankommen sollte. Seither gilt Bruno Breguet als verschollen.
Der Historiker Hänni zieht in seinem Buch drei Szenarien in Betracht: Breguet ist untergetaucht, die CIA hat ihm in den USA zu einer neuen Identität verholfen, oder «Carlos» hat sich an ihm für seinen Verrat gerächt.
Nach der Erörterung aller Varianten kommt Hänni zu einem überraschenden Schluss – der die Spekulationen auch 27 Jahre nach Breguets mysteriösem Verschwinden nicht abebben lassen wird.
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Adrian Hänni: Terrorist und CIA-Agent – die unglaubliche Geschichte des Schweizers Bruno Breguet. NZZ Libro, Schwabe-Verlagsgruppe AG, Basel 2023. 291 S., Fr. 36.–.
(https://www.nzz.ch/schweiz/wie-bruno-breguet-der-terrorist-aus-dem-tessin-wenige-jahre-vor-seinem-mysterioesen-verschwinden-zur-cia-uebergelaufen-ist-ld.1724853)
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Neue Enthüllungen – Der Schweizer Terrorist, der beim CIA anheuerte
Der Schweizer Bruno Breguet war Mitglied der Bande des berüchtigten Terroristen «Carlos». Jetzt zeigt ein neues Buch: Breguet arbeitete als Agent für die CIA.
https://www.srf.ch/news/schweiz/neue-enthuellungen-der-schweizer-terrorist-der-beim-cia-anheuerte