Medienspiegel 12. Januar 2023

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Motion zur Qualität von Asylunterkünften in Bern
Die Mühlen im Berner Stadtrat mahlen langsam: Knapp 400 Geschäfte sollte das Parlament behandeln. In der Folge davon warten als «nicht-dringlich» erklärte Geschäfte mehrere Jahre auf ihre Traktandierung.
2016 reichte Stadträtin Seraina Patzen von der Jungen Alternativen JA eine Motion ein, die verlangt, dass klare Standards festgehalten werden bezüglich der Qualität der Asylunterkünfte in der Stadt Bern. Ein jährliches Monitoring soll gewährleisten, dass die Richtlinien auch eingehalten werden.
https://rabe.ch/2023/01/12/motion-zur-qualitaet-von-asylunterkuenften-in-bern/

Motion Fraktion GB/JA! (Seraina Patzen, JA!) – übernommen durch Ursina Anderegg (GB): Qualität der Asylunterkünfte in der Stadt Bern prüfen und verbessern; Abschreibung
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=ed96df8c7da740b1b13bf6c139e4ead1


Dringliche Motion David Böhner (AL), Valentina Achermann (SP), Anna Leissing (GB): Containersiedlung auf dem Viererfeld für alle ankommenden Asylbewerber*innen öffnen
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=55e622efbe4e49808a5a23ac4c98c1c6


Motion Zora Schneider (PdA) – übernommen durch Simone Machado (GaP): Asylcamps sind keine Lösung! Menschenunwürdige Wartedauer und Isolation in den Kollektivunterkünften unter der Ägide der Stadt Bern abschaffen!
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=9c27e737b3684d30a9dc46c0c13c7e79


+++BASELLAND
Diebstähle wegen Asylsuchenden in Liestal? Die Regierung liefert Antworten
Im Liestaler Stedtli komme es häufiger zu Ladendiebstählen, seit in der nah liegenden Militärsporthalle Asylsuchende leben. Nun gibt die Baselbieter Regierung Auskunft.
https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/landrat-diebstaehle-wegen-asylsuchenden-in-liestal-die-regierung-liefert-antworten-ld.2399925



Basler Zeitung 12.01.2023

Mehr Diebstähle in Liestal: Gewerbler gründen heikle Bürgerwehr – und die SVP alarmiert

Die Polizei bestätigt eine Zunahme der Vermögensdelikte im Stedtli – viele davon stehen im Zusammenhang mit dem Asylzentrum. Die Behörden raten aber davon ab, selber aktiv zu werden.

Daniel Aenishänslin

«Dreiste Diebstähle als Dank für Sicherheit Zuflucht, Bett und Verpflegung?» Die Frage stellt die Baselbieter SVP in einer Medienmitteilung. Sie reagiert damit auf eine Rundmail, die im Liestaler Gewerbe zirkulierte und Asylbewerber aus der stadtnahen Unterkunft des Diebstahls und der Verunsicherung der Bevölkerung anklagt. Ein «dringlicher Vorstoss» im Landrat soll den Regierungsrat zum Handeln drängen. «Schön wärs, wenn dies ‹nur› Wahlkampf wäre», winkt Parteipräsident Dominik Straumann ab, «es kann nicht sein, dass Gewerbe und Kundschaft unter der ausser Kontrolle geratenen nationalen Migrationspolitik zu leiden haben.»

Ganz von der Hand zu weisen sei das Problem nicht, bestätigt Polizeisprecher Adrian Gaugler. Die Statistik weise 90 Vermögensdelikte mehr als im Vorjahr aus. Die Mehrheit sei durch Personen mit nordafrikanischer Nationalität verübt worden. «Über 50 Prozent dieser Fälle stehen im Zusammenhang mit dem Asylzentrum, womit der ursprüngliche Verdacht der Polizei Basel-Landschaft klar erhärtet worden ist», sagt Gaugler, «dies lässt sich aufgrund der Herkunft beziehungsweise des Asylstatus der Täterschaft zurückverfolgen.»

Es handle sich vorwiegend um Ladendiebstahl, gefolgt von Diebstahl aus Fahrzeugen. Oftmals durch Wiederholungstäter. «Betrachtet man nur Personen mit Asylstatus, so ist im Vergleich zum Vorjahr im Bereich der Vermögensdelikte eine Verdreifachung der Fallzahlen auszumachen.»

«Zu passiver» Stadtrat

«Es ist sehr einschüchternd, wenn jemand plötzlich auf eine Gruppe von 10 bis 20 People of Color trifft, die auf ihn zukommt und nach Geld fragt», ist in der besagten Mail zu lesen. Oder: «Natürlich wurden schon Einschüchterungsversuche von Leuten, welche von der Betreuung dieser Personen leben, unternommen.» Johan Göttl von der Beratungsstelle beider Basel gegen Rassismus und Diskriminierung: «Es wird der Eindruck vermittelt, es gäbe gute und schlechte Besucher des Stedtli.» Asylsuchende hätten das Recht, sich dort aufzuhalten, selbst wenn das für manche ein ungewohntes Bild abgebe.

«In Liestal befindet sich die Asylunterkunft zu nahe bei einem Einkaufszentrum und dem Stadtzentrum mit seinen Ladenstrassen», kritisiert Dominik Straumann. Der Liestaler Stadtrat sei in seinen Augen bislang «klar zu passiv» und hätte zeitnah die Polizei zuziehen sowie beim Bund mit Nachdruck Hilfe anfordern sollen. «Wir nutzen unseren Handlungsspielraum vollumfänglich aus, indem wir in ständigem Austausch mit der Polizei und dem Staatssekretariat für Migration stehen, die die aktuelle Lage ständig neu beurteilen und die weiteren Massnahmen festlegen», sagt Pascale Meschberger (SP), zuständige Stadträtin. Die Polizei hat denn auch die Präsenz erhöht.

Unstimmigkeit im Vorstand

Bereits von den Medien aufgegriffen wurde eine von den Ladenbesitzern gegründete Whatsapp-Gruppe. Die Mitglieder werden dabei aufgefordert, Verdächtige zu fotografieren und die Bilder in der Gruppe zur Warnung herumzuschicken. Für Matthias Renevey, Präsident von KMU-Liestal, ist «nicht mehr nachvollziehbar», dass die Medien auf das Thema aufspringen würden. Die Reduzierung auf Themen wie überteuerte Parkplätze und Diebstähle würden der Stadt nicht gerecht. «Man könnte meinen, dass nur in Liestal Diebstähle stattfinden. Es sind einzelne Fälle bekannt, das ist unbestritten, es ist aber nicht nachvollziehbar, weshalb Liestal erneut in diesem wenig vorteilhaften Licht dargestellt wird.»

Pikant: Die Person, welche die Rundmail versandte, sitzt selbst im Vorstand von KMU-Liestal. «Hier handelt es sich um die Aussage einer Einzelperson, die nicht die Meinung des Vorstands wiedergibt», reagiert Reveney, «der Vorstand distanziert sich entsprechend dezidiert davon.»

Die Polizei sei mehrmals täglich im Einsatz, komme aber nur, wenn das Diebesgut einen Wert von 300 Franken übersteige, wird in der Mail moniert. Gaugler widerspricht. Liege der Deliktsgutbetrag unter 300 Franken, handle es sich um ein Antragsdelikt, ab 300 Franken um ein Offizialdelikt, das die Polizei von Amtes wegen eine Anzeige erstellen lasse, erklärt der Polizeisprecher.

Polizei: keine Bürgerwehren

Wer über Hinweise verfüge, solle die Polizei über die Notrufnummern 112 oder 117 verständigen. Es solle aber nicht über das Beobachten und Melden hinausgehen, sonst könne man selbst mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Beispielsweise: Bei Fotos könne es zu Persönlichkeitsverletzungen kommen. Gaugler sagt: «Wir raten davon ab, sich zu solchen ‹Bürgerwehren› zusammenzuschliessen.»

«Der SVP geht es nun darum, das Gewerbe und die Kundschaft zu schützen und Massnahmen gegen diese importierte Kriminalität zu fordern», so Straumann. Natürlich sei es nach der Pandemie, während eines Krieges und in einer unsicheren Wirtschaftslage nicht einfach, «gelassen in die Zukunft zu blicken», äussert Pascale Meschberger. «Kritische Stimmen gibt es immer; konstruktive Stimmen schätzen wir, aber ständiges Kritisieren kann dem eigenen Standort schaden.»
(https://www.bazonline.ch/svp-will-druck-auf-migrationspolitik-erhoehen-490503837304)


+++LUZERN
Gemeinderat Meggen will Bundesgerichtsentscheid nicht abwarten
Der Gemeinderat Meggen will die Wohncontainer-Siedlung für rund 100 Flüchtlinge aus der Ukraine noch diesen Monat bauen. Dies, obwohl noch eine Beschwerde von Anwohnern vor Bundesgericht hängig ist. Man wolle und müsse vorwärts machen, um genug Asylplätze zu haben, begründet der Gemeinderat.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/gemeinderat-meggen-will-bundesgerichtsentscheid-nicht-abwarten?id=12316576
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/meggen-baut-an-siedlung-weiter-149645177
-> https://www.zentralplus.ch/news/trotz-beschwerde-vor-bundesgericht-meggen-baut-weiter-2509715/


Willkommen in der Schweiz? Zwei Flüchtlinge erleben völlig unterschiedliche Welten
Am Podium «Willkommen in der Zentralschweiz?» erzählten zwei geflüchtete Menschen von sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit der Schweiz. Für Gesprächsstoff sorgten auch die jüngsten Äusserungen des Luzerner Regierungsrats Guido Graf.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/kanton-luzern/podium-willkommen-in-der-schweiz-zwei-fluechtlinge-erleben-zwei-voellig-unterschiedliche-welten-ld.2397539


+++ZÜRICH
tagesanzeiger.ch 12.01.2023

Zürcher Alternativprojekt zieht Konsequenzen: Hardturmbrache schliesst über Nacht

Immer mehr Menschen nutzen die Stadionbrache, darunter auch viele Geflüchtete aus dem Bundesasylzentrum. Nun bleibt das Areal über Nacht geschlossen.

Jan Bolliger

Elf Jahre lang war die Brache beim ehemaligen Hardturmstadion Tag und Nacht für die Bevölkerung zugänglich. Damit ist nun vorerst Schluss. Seit Anfang Jahr schliesst die Zwischennutzung jeden Abend um 19 Uhr ihre Tore. «Wir stossen an Grenzen, jetzt muss sich etwas ändern», sagt Christine Faissler, Sprecherin des Vereins Stadionbrache, der das Areal verwaltet. «Die Probleme haben kontinuierlich zugenommen, es liegt jeden Morgen Abfall rum, das Feuerholz wird nicht bezahlt.»

Eine grüne Oase

Die Stadionbrache steht grundsätzlich allen offen und ist das Zuhause von zahlreichen Projekten und Vereinen. Sie ist unkommerziell und lebt von der ehrenamtlichen Arbeit der Nutzenden und Anwohnerinnen. Es gibt keine Abfalleimer, weil die Besuchenden ihren Abfall selber wieder mitnehmen sollen. Wer Holz nimmt, wirft einen Betrag ins Kässeli.

Die Brache ist längst kein Geheimtipp mehr. An schönen Tagen besuchen Hunderte das Areal. «Viele sehen in der Brache einfach einen öffentlichen Park und übernehmen keine Verantwortung», sagt Faissler. Grosser Zulauf kommt auch vom nur wenige Hundert Meter entfernten Bundesasylzentrum (BAZ).

Dieses ist eigentlich für 390 Asylsuchende ausgelegt. Wegen der vielen globalen Krisen sind es zurzeit deutlich mehr. «Die Auslastung im BAZ ist ungewohnt hoch», sagt Heike Isselhorst, Sprecherin des Sozialdepartements. Das führe dazu, dass die Geflüchteten im Quartier sichtbarer seien. Das spürt man auch bei der Stadionbrache.

«Es hat sich im BAZ rumgesprochen, dass es uns gibt», sagt Faissler. Mit den Asylsuchenden sei es gleich wie mit allen anderen Besuchenden: «Mit manchen macht man schöne Erfahrungen, mit anderen weniger.» Oft sei es schwierig, sie in das Projekt und damit in die Verantwortung einzubinden.

Das liege einerseits an der Sprachbarriere. Andererseits sind die Asylsuchenden häufig nur für wenige Wochen im BAZ untergebracht. «Wer neu zu uns kommt, weiss natürlich nicht, wie man den Pizzaofen richtig aufräumt. Egal, ob Schweizer oder Eritreer», sagt Faissler. Um zumindest die Sprachbarriere zu überwinden, hat der Verein Stadionbrache Blätter mit den Nutzungsregeln in zahlreichen Sprachen verfasst. «Gerade am Samstag sprach ich mit einem afghanischen Bewohner des BAZ. Er hat dann die Benutzungsregeln in einem Chat mit seinen Landsleuten geteilt.»

Fehlende soziale Kontrolle

Alle Probleme werden so aber nicht gelöst, dessen ist sich Faissler bewusst. Gerade grössere Männergruppen machen immer mal wieder Ärger, besonders wenn sie getrunken haben. Das seien aber nicht nur Asylsuchende, wie der «Nebelspalter», der als Erster über die nächtliche Schliessung berichtete, schreibt. Auch Jugendliche und «Züri-Hipster» feierten manchmal die ganze Nacht durch. Wenn dann am Morgen die Kinder der Spielgruppe kommen, sei teils alles voller Müll, sagt Faissler. In letzter Zeit ist es noch schlimmer geworden. Die Vereinssprecherin erklärt es sich damit, dass im Winter viele der engagierten Besuchenden am Abend nicht vor Ort sind. Deshalb fehle die soziale Kontrolle.

Der «Brachenrat» hat nun entschieden, das Areal bis im März abends zu schliessen. Glücklich ist über den Entscheid niemand. «Doch wir mussten aktiv werden. Das ist jetzt mal ein Versuch», sagt Faissler. Man habe auch den Kontakt mit der Asylorganisation Zürich (AOZ), der Betreiberin des BAZ, gesucht. Dort hätten sie zwar ein offenes Ohr gehabt, konkret zuständig fühlte sich aber niemand.

Personalkrise bei der AOZ

Bei der Stadt Zürich ist man sich laut Heike Isselhorst, Sprecherin des Sozialdepartements, bewusst, dass die Lage im Moment herausfordernd ist. Dies bespreche sie auch in regelmässigen Treffen mit der Quartierbevölkerung. So würden die Bewohnerinnen und Bewohner des BAZ nun «spezifisch bezüglich Nutzungsregeln auf der Stadionbrache vermehrt informiert und sensibilisiert». Auch patrouilliere vermehrt Sicherheitspersonal vom Staatssekretariat für Migration (SEM) im Quartier.

Generell scheint die Tagesgestaltung der Asylsuchenden ein schwieriges Thema. Wegen der hohen Anzahl an Geflüchteten sind viele Orte stark ausgelastet. So auch der Begegnungsraum beim GZ Wipkingen. Zwar bietet das SEM in seinen Zentren Aktivitäten wie Fussballspiele und Filmabende an, dennoch sind die Asylsuchenden oft auf sich allein gestellt. Mehr Sozialarbeiter und Betreuerinnen könnten Abhilfe schaffen: «Der Willen der Stadt ist vorhanden, doch der Fachkräftemangel ist riesig», sagt Isselhorst. Über hundert Stellen sind zurzeit offen bei der AOZ.

Beim Verein Stadionbrache hofft man nun, dass sich mit der nächtlichen Schliessung die Lage wieder etwas beruhigt. Seit der Massnahme hat sich das Abfallproblem laut Christine Faissler bereits massiv verbessert. Im Frühling soll die Brache wieder konstant für die Bevölkerung geöffnet sein. «Natürlich auch für den Teil, der im BAZ wohnt», sagt Faissler.



2011 hat die Stadt Zürich dem Verein Stadionbrache das Areal des ehemaligen Hardturmstadions zur Zwischennutzung übergeben. Auflage ist, dass sich das Angebot an die Quartierbevölkerung richtet und unkommerziell ist. Unterdessen gibt es auf der Brache einen Pizzaofen, einen selbst gebauten Skatepark, einen Kletterwürfel, Hühner und Schweine und einen Gemüsegarten. Geleitet wird der Verein vom Vorstand und dem sogenannten Brachenrat, in welchem rund 35 Personen aus dem Quartier und den Projekten vertreten sind. Ausserdem bezahlt die Stadt ein 50-Prozent-Pensum für die Instandhaltung des Areals. (boj)
(https://www.tagesanzeiger.ch/hardturmbrache-schliesst-ueber-nacht-582131940768)


+++SCHWEIZ
10’000 illegale Einreisen an der Schweizer Grenze – Deutsche sauer
2022 hat die Bundespolizei Deutschland an der Schweizer Grenze knapp 10’000 illegale Einreisen registriert. Das Staatssekretariat für Migration nimmt Stellung.
https://www.nau.ch/news/europa/10000-illegale-einreisen-an-der-schweizer-grenze-deutsche-sauer-66391564


Spezialpreis von «Watt d’Or» 2023 geht an «Refugees go Solar+» – Tagesschau
Der diesjährige Spezialpreis «Watt d’Or» verleiht die Jury des Bundesamtes für Energie an «Refugees go Solar+». Das Projekt von Solafrica und Root & Branch bildet Geflüchtete für die Installation von Solaranlagen aus.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/spezialpreis-von-watt-dor-2023-geht-an-refugees-go-solar?urn=urn:srf:video:5c008a1d-127e-4042-9166-2b3c9801ae1b


+++MITTELMEER
Seenotretter erreichen Ancona nach tagelanger Überfahrt
Sie hätten in einen näheren Hafen einlaufen können, doch die Regierung in Rom wies ihnen das mittelitalienische Ancona zu: Nach einer tagelangen Adria-Überfahrt haben die Seenotretter der »Geo Barents« Italien erreicht.
https://www.spiegel.de/ausland/italien-seenotretter-erreichen-ancona-nach-tagelanger-ueberfahrt-a-c5ab5b1e-5cf9-4efd-a729-0f6d5b0d64f9


Seenotrettung:1600 Kilometer zum nächsten italienischen Hafen
Die Regierung Italiens weist Seenotrettern trotz gefährlicher Wetterbedingungen weit entfernte Landeplätze zu. Ein weiteres Druckmittel rechter Politik gegen die NGOs.
https://www.sueddeutsche.de/politik/seenotrettung-mittelmeer-italien-1.5730634


+++FREIRÄUME
Areal ist immer noch besetzt – Hinterschlund: Knackpunkt ist die Wagenburg
Das Areal Hinterschlund ist seit über einem Jahr durch eine Wagenburg besetzt. Jetzt schreibt die Stadt Luzern das Gebiet zur Zwischennutzung aus. Wie verträgt sich das?
https://www.zentralplus.ch/wohnen-bauen/hinterschlund-knackpunkt-ist-die-wagenburg-2509443/


+++DROGENPOLITIK
Streitthema Drogenpolitik – FDP-Caroni befürwortet Legalisierung: «Kokain sollte nicht pauschal verboten werden»
Kauf, Handel und Konsum aller Drogen sind in der Schweiz verboten. Einzig beim Cannabis gibt es Ausnahmen. Politiker – vor allem aus der FDP – sind einer Legalisierung harter Drogen aber nicht abgeneigt.
https://www.blick.ch/politik/streitthema-drogenpolitik-kokain-sollte-nicht-pauschal-verboten-werden-id18221703.html


Bald soll auch der Anbau von legalem Cannabis kontrolliert werden
Der Baselbieter Landrat will, dass der CBD-Hanfanbau kontrolliert wird. Die Regierung muss nun einen Vorschlag zu einer Meldepflicht der Plantagen ausarbeiten.
https://telebasel.ch/2023/01/12/bald-soll-auch-der-anbau-vom-legalen-cannabis-kontrolliert-werden/?utm_source=lead&utm_medium=grid&utm_campaign=pos%202&channel=105100


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Anzeige nach Tortenattacke auf Céline Amaudruz
Die Universität Genf hat nach einer Tortenattacke auf SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz Ende Dezember Strafanzeige eingereicht.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/anzeige-nach-tortenattacke-auf-celine-amaudruz?urn=urn:srf:video:6367c3da-ac92-4926-9ddc-55d54cb556a7


+++ANTI-WEF
Klimaaktivisten wandern aus Protest gegen das WEF nach Davos
Am Wochenende wandern über 100 Personen von Küblis nach Davos. Mit der Aktion wollen sie ein Zeichen setzen für Klimagerechtigkeit und gegen die Politik, die am WEF gemacht wird.
https://www.20min.ch/story/klimaaktivisten-wandern-aus-wef-protest-nach-davos-688476717691


Personalmangel: WEF strapaziert St.Galler Polizei
Trotz massivem Personalmangel leisten St.Galler Polizistinnen und Polizisten am WEF in Davos einen Grosseinsatz. Im Sommer drohen bereits wieder mögliche Postenschliessungen im Heimatkanton. Wir fragen nach, wie die aktuelle Situation und mögliche Lösungen aussehen.
https://www.tvo-online.ch/aktuell/personalmangel-wef-strapaziert-st-galler-polizei-149645425


+++MENSCHENRECHTE
Die Schweiz muss Regeln für Kommunikationsplattformen schaffen
Die Schweiz muss Regeln für Kommunikationsplattformen schaffen: Grundrechte und demokratische Kontrolle statt Hassrede, Manipulation und Diskriminierung in der digitalen Öffentlichkeit.
Eine Koalition aus der Zivilgesellschaft schlägt zehn Massnahmen vor, um Grundrechte, rechtsstaatliche Prinzipien und demokratische Kontrolle auch in der digitalen Öffentlichkeit durchzusetzen. Die Schweiz muss die Regulierung von Online-Plattformen jetzt angehen.
https://www.humanrights.ch/de/stellungnahmen/regeln-kommunikationsplattformen


+++FRAUEN/QUEER
Sprachwitz? «Tilsit*er»-Werbung sorgt für Aufregung
Ein Werbespruch über nonbinäre Geschlechtsidentitäten und «diversen Tilsit*er» sorgt für Kritik. Laut dem Käsehersteller ist die Werbung «mit einem Augenzwinkern zu verstehen».
https://www.20min.ch/story/kaese-werbung-fuer-diversen-tilsit-er-sorgt-im-netz-fuer-empoerung-555143978714


+++RECHTSEXTREMISMUS
Stadt Zürich soll verstärkt gegen Rechtsextreme vorgehen
Das Zürcher Stadtparlament hat entschieden: Der Stadtrat soll Übergriffe rechtsextremer Gruppierungen ausführlich untersuchen lassen und die Bevölkerung sensibilisieren.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/stadt-zuerich-soll-verstaerkt-gegen-rechtsextreme-vorgehen?id=12316570



derbund.ch 12.01.2023

Extremismusexperte im Interview: «Ein Verbot von Nazi­symbolen würde unsere Arbeit erschweren»

Heute könnte der Startschuss fallen, damit künftig die Verwendung des Hitlergrusses oder des Hakenkreuzes geahndet werden können. Samuel Althof warnt vor zu grossen Erwartungen.

Gregor Poletti

Herr Althof, wie bedrohlich ist der Rechtsextremismus in der Schweiz?

Der Rechtsextremismus akzentuiert sich hierzulande nicht so stark wie etwa in Deutschland. Es gibt zwar eine ganz kleine Szene, die sich wie die Junge Tat medial zu inszenieren versteht. Aber eine gesellschaftlich bedrohliche rechtsextreme Bewegung gibt es hier nicht. Rechtsextreme Bedrohungen sind in der Schweiz bis heute punktuell und nicht strukturell.

Trotzdem soll jetzt die Verwendung von Nazisymbolen verboten werden.

Wenn der Gesetzgeber und auch das Volk Ja sagen zu einem Gesetz, dass die Verwendung von Nazisymbolen verbietet, ist das im Grundsatz ein gutes Zeichen. Wer eine solche Verschärfung befürwortet, muss sich aber auch bewusst machen, was er damit nicht erreicht.

Nämlich?

Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass ein solches Verbot Rechtsextremismus eindämmen könnte. Das sehen wir in den umliegenden Ländern wie Deutschland und Österreich sehr eindrücklich, die viel rigidere Verbote kennen als wir, aber damit keinen Rückgang von rechtsextremistischen Tendenzen und Taten erzielen konnten.

Wie wichtig sind für Rechtsextreme Symbole wie ein Hakenkreuz oder der Hitlergruss?

Diese beiden Symbole sind als klares Bekenntnis zur Naziideologie zu werten, aber nicht mehr. Die Anziehungskraft von zur Schau gestellten rechtsextremen Symbolen erachte ich als marginal. Zudem muss man sich bewusst sein, dass es viele Symbole gibt, die von verschiedenen Gruppierungen unterschiedlich gewertet werden.

Zum Beispiel?

Der Hammer des Donnergottes Thor galt bei den Germanen als Symbol der Stärke, Tatkraft und für hohes Alter. Anhänger der Musikrichtung Heavy Metal schmücken sich oft mit dem Thorhammer, in Skandinavien gilt er nach wie vor als Zeichen der Verbundenheit zur nordischen Kultur. Durch Rechtsextreme verschob sich die Bedeutung des Symbols zu «kämpferisch» und «völkischer Verbundenheit». Dieses Beispiel zeigt, dass von Rechtsextremen verwendete Symbole zweideutig sein können. Hier stellt sich für den Gesetzgeber die Frage, wo er die Grenzen ziehen will. Eine fast unlösbare Aufgabe, die vor allem zu einem Versteckspiel führt.

Können Sie das konkretisieren?

 Bei einem Verbot würden Rechtsextreme auf andere Symbole ausweichen wie etwa die Zahl 88, ein Synonym für den Hitlergruss, da «Heil Hitler» zweimal mit dem achten Buchstaben des Alphabets beginnt. Das würde zu einem kontinuierlichen Anpassungsbedarf der entsprechenden Rechtsnorm führen. Die Folge wäre eine Art endloses Katz-und-Maus-Spiel, das niemand gewinnen kann.

Hat ein Verbot von klar definierten Nazisymbolen wenigstens eine präventive Wirkung?

Wenn ich auf meine langjährige Erfahrung mit Rechtsextremen schaue, dürfte ein solches Verbot nichts bringen. Im Gegenteil: Personen aus extremistischen Kreisen zu suchen und aufzufinden, würde mit einem Verbot von Symbolen eher noch schwieriger werden, was letztlich unsere Arbeit erschweren würde.

Also wäre ein Verbot sogar kontraproduktiv?

So weit würde ich nicht gehen. Aber wenn wir ein Vergehen gegen ein solches Verbot lediglich mit einer kleinen Geldstrafe ahnden, wird das keine abschreckende Wirkung haben. Die Strafen müssten relativ hoch angesetzt sein, um diesen Effekt zu erzielen. Wichtiger wäre eine gleichzeitig einhergehende Pflicht, an einem Resozialisierungs­programm teilzunehmen. Denn meist führen verborgene soziale und psychische Probleme Jugendliche in die Fänge von extremistischen und rassistischen Ideologien.

Hätte ein Verbot also lediglich symbolischen Charakter?

Tatsächlich könnte uns ein Verbot ein Gefühl der falschen Sicherheit vermitteln, da man die bekannten extremistischen Symbole nicht mehr oder viel weniger oft sehen würde. Andererseits gilt es aber auch, die berechtigten Ängste etwa der jüdischen Gesellschaft ernst zu nehmen. Ein Verbot macht am meisten Sinn, wenn wir dieses eng formulieren und auf nationalsozialistische Symbole beschränken, verbunden mit klar und hart definierten Strafen. Dann ist es ein gutes Statement: Nämlich, dass wir hier in der Schweiz niemanden dulden, der sich offen zum Gedankengut des Nationalsozialismus bekennt.



Langjährige Erfahrung mit Rechtsextremismus

Samuel Althof, 1955 in Basel geboren, ist Leiter Fachstelle für Extremismus- und Gewaltprävention, einer privaten Stiftung. Er führt zudem eine Praxis für psychologische Beratung in Basel, das «Büro für innere und äussere Angelegenheiten». Seit rund 30 Jahren engagiert er sich gegen Rassismus im Internet und hilft bei Entwicklungen von Strategien im Umgang mit Rechts- und Linksextremisten. (gr)



Debatte in der Rechtskommission des Nationalrates

Der Hitlergruss oder das Hakenkreuz sind in der Schweiz nicht grundsätzlich verboten. Wer mit der Geste seine Sympathien für eine rassistische Ideologie kundtut, macht sich dadurch noch nicht strafbar. Erst, wer mit dem Hitlergruss für den Nationalsozialismus wirbt und versucht, andere für die Ideologie zu gewinnen, muss mit einer Strafe rechnen.

Das soll sich ändern, ist etwa Angelo Barrile, Zürcher SP-Nationalrat, überzeugt. Heute diskutiert die Rechtskommission der grossen Kammer seine und eine weitere parlamentarische Initiative, die ein Verbot der öffentlichen Verwendung von extremistischen, gewaltverherrlichenden und rassistischen Symbolen verlangen. «Die Chancen für ein Verbot sind hoch, da erstmals der Bund in einem letzten Dezember publizierten Gutachten sagt, dass eine Umsetzung zwar schwierig, aber doch möglich sei», sagt Barrile. Kommt hinzu, dass Vertreter aller Parteien seinen Vorstoss unterzeichnet haben.

Der Bundesrat wehrt sich gegen die Einführung eines solchen Verbots. Sollten die Vorstösse in den Räten durchkommen, werden diese selbst eine entsprechende Gesetzesänderung angehen. Zusätzlichen Druck dürfte die Motion von Mitte-Nationalrätin Marianne Binder für ein Verbot von Nazisymbolik im öffentlichen Raum erzeugen: «Seit dem Tabakwerbeverbot darf man keinen Sonnenschirm mehr aufstellen mit aufgedruckter Zigarettenmarke», sagt Binder. «Aber eine Nazifahne an gleicher Stelle soll erlaubt sein.» Das sei absurd. (gr)
(https://www.derbund.ch/ein-verbot-von-nazisymbolen-wuerde-unsere-arbeit-erschweren-299293542969)



Parlamentarische Initiative Angelo Barille: Verbot der öffentlichen Verwendung von extremistischen, gewaltverherrlichenden und rassistischen Symbolen
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20210524

Motion Marianne Binder-Keller: Keine Verherrlichung des Dritten Reiches. Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos verbieten
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20214354


+++HISTORY
Kulturgüter: Bund unterstützt Museen weiterhin bei der Herkunftsforschung
Der Bund misst der Aufarbeitung der Thematik der NS-Raubkunst sowie der Kulturgüter aus kolonialem Kontext grosse Bedeutung bei. Deshalb unterstützt das Bundesamt für Kultur (BAK) in den Jahren 2023-2024 erneut 28 Museen mit Projektbeiträgen von gut 2 Millionen Franken bei der Provenienzforschung.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-92507.html



bzbasel.ch 12.01.2023

Debatte um N-Wort: Wie rassistisch war Dürrenmatt?

Dürrenmatts Drama «Die Physiker» ist wegen des N-Worts unter Rassismusverdacht geraten. Gerne hätte man den schwarzen Darsteller gefragt, wie es ihm dabei ging, als er 1962 bei der Zürcher Uraufführung als Pfleger McArthur auf der Bühne stand.

Julia Stephan

Ende letzten Jahres löste der Kantonsschullehrer Philippe Wampfler auf Twitter eine hitzige Debatte über Friedrich Dürrenmatts Schulbuchklassiker «Die Physiker» aus. Er fühle sich verpflichtet, eine «rassismusfreie Umgebung» für seine Schülerinnen und Schüler zu schaffen, so der Lehrer. Der Diogenes Verlag, der die Rechte an Dürrenmatts Texten besitzt, solle auf den zweimaligen Abdruck des N-Worts in seiner Ausgabe doch bitte verzichten. Andernfalls wolle er das Werk in seinen Schulklassen boykottieren.

Viel ist über den Sinn und Unsinn dieser Forderung seither debattiert worden. Wenig bis gar nicht zur Sprache kam, ob das Werk Dürrenmatts (1921–1990) übergreifend rassistische Tendenzen aufweist. Tatsache ist: In den frühen 1960er-Jahren, als Dürrenmatt «Die Physiker» vor dem Hintergrund der atomaren Bedrohung schrieb, war das N-Wort noch fest im Wortschatz der Schweizerinnen und Schweizer verankert.

Der in den 1950er-Jahren in Bern lebende US-Autor Vincent O. Carter (1924–1983) gibt in seinem «Bernbuch» Eindrücke davon, wie schwarze Menschen zu jener Zeit hierzulande wahrgenommen wurden. Carter berichtet darin, wie die Berner ihn unverkrampft mit dem N-Wort anredeten, wie man ihn im öffentlichen Raum mit offenem Mund anstarrte und man ihm ungefragt in die Haare fasste.

Als Schwarzer eine «Sehenswürdigkeit» in der Schweiz der 60er Jahre

Dass sich in diesen Reaktionen nicht ausschliesslich offener Rassismus zeigte, sondern oft auch unbeholfenes Staunen, erfasste Carter so weitsichtig wie sein Landsmann und Schriftstellerkollege James Baldwin. Der lebte zur selben Zeit in einem Chalet in Leukerbad.

Im Essay «Fremder im Dorf» beschreibt er, wie es sich anfühlt, als Sehenswürdigkeit zu gelten und nicht als Mensch. Aber er spricht auch davon, dass dieser «Charme aufrichtiger Verwunderung» nicht immer unfreundlich gemeint gewesen sei.

Dürrenmatts wortkarger, muskelbepackter Pfleger McArthur aus den «Physikern» entstand im Nachhall jener Jahre. Der zweimal mit dem N-Wort beschriebene ehemalige US-amerikanische Mittelgewichtsboxer transportiert ein Stereotyp, das in der Schweiz auch wegen der kaum existierenden schwarzen Bevölkerung lange unhinterfragt blieb.

Dürrenmatt lässt in seinem Stück allerdings sehr bewusst lauter groteske, klischierte Figuren aufeinanderprallen. «Ich halte die bucklige Jungfer und das Frauenbild, das in diesem Stück transportiert wird, aber für wesentlich problematischer», sagt sein Biograf Ulrich Weber.

Ähnlich geht es dem Dramaturgen Michael Gmaj. 2021 erarbeitete er mit dem Schauspielensemble des Theater Basel eine Rekonstruktion der Uraufführung von 1962. «Im Regiebuch von 1962 kommt das N-Wort nur einmal vor», sagt Gmaj. Den Rassismus und den Sexismus habe man aber auf keinen Fall reproduzieren wollen. Gelungen sei das nur, indem man sich noch stärker in die Groteske geflüchtet habe, als sie bei Dürrenmatt ohnehin bereits angelegt ist.

Der schwarze Missionar am Familientisch

Seine erste Begegnung mit einer Person of Color hat Dürrenmatt in seinen autobiografischen «Stoffen» festgehalten. Sie muss für die literarische Entwicklung des Autors, der in einer protestantischen Pfarrerfamilie aufwuchs, prägend gewesen sein. Dürrenmatts Familie hatte einen schwarzen Missionar zu sich nach Hause an den Tisch geladen.

Ulrich Weber erinnert sich, wie Dürrenmatts Schwester ihm gegenüber die Angst geschildert habe, als der schwarze Mann sie auf den Schoss nahm. Dass viele schwarze Figuren Dürrenmatts Werk bevölkern, dürfte auf diese Begegnung zurückzuführen sein. Im frühen Stück «Der Blinde», uraufgeführt 1948, spielt eine mit dem N-Wort bezeichnete negativ gezeichnete Figur eine Schlüsselrolle.

«Dürrenmatt war nicht gefeit gegen die unterschwelligen rassistischen Gepflogenheiten seiner Zeit», sagt Weber. Er halte ihn aber für keinen Rassisten. Im Essay «Die Virusepidemie in Südafrika» (1989) rechne Dürrenmatt gar mit der Absurdität der Apartheidpolitik ab. «Er spricht im Text zeitgemäss von «Schwarzen» – das N-Wort verwendet er bewusst als Schimpfwort für ein paar durch die Virusepidemie schwarz gewordene Zürcher Banker, die als «Neger von Zürich» bezeichnet werden», sagt Weber.

Und auch im Drama «Porträt eines Planeten» (1971) werde eine Romeo- und Julia-Liebe zwischen einem schwarzen Mann und einer weissen Frau erzählt. «Die Unmöglichkeit der Liebe zwischen den beiden wegen der sozialen Vorurteile wird im Stück deutlich problematisiert.»

Schwarzer Darsteller auf der Bühne

Jemand, den man gern um seine Meinung gefragt hätte, weil er in der Haut des Betroffenen steckt, ist der Mann, der 1962 bei der Uraufführung (Regie: Kurt Horwitz) am Schauspielhaus Zürich als wortkarger, muskelbepackter Wärter McArthur auf der Bühne stand.

Eine Aufnahme zeigt einen im Hintergrund stehenden jungen Mann am rechten Bildrand, eingekleidet in eine weisse Pflegeruniform. Es ist bezeichnend, dass über den schwarzen Darsteller, der möglicherweise Laiendarsteller war, im Archiv des Schauspielhauses so gut wie nichts mehr zu finden ist.

Einzig sein Name, George James, ist überliefert. 1961 soll er auch in Knut Hamsuns «Vom Teufel geholt» (Regie: Leopold Lindtberg) mitgewirkt haben. Noch lebende Zeitzeugen wie der damalige zweite Regieassistent Bruno Hitz können sich an ihn in «Die Physiker» gut erinnern. Es sei in jener Zeit allerdings sehr ungewöhnlich gewesen, die Rolle mit einem schwarzen Darsteller zu besetzen, so Hitz.

Gut erinnern kann sich der über 80-Jährige hingegen daran, dass Dürrenmatt die Entstehung der Inszenierung bei den Endproben eng begleitet habe. «Einmal hat er einen Vorschlag von Hans-Christian Blech (als Möbius) sogar als Regieanweisung in den Text übernommen», so Hitz.

Dürrenmatt-Biograf Ulrich Weber hält es sogar für möglich, dass Dürrenmatt den Typ des McArthur erst nachträglich als Schwarzen beschrieb, weil George James für diese Rolle vorgesehen war. «Eine definitive Fassung schrieb Dürrenmatt meistens erst nach der Aufführung. Es bleibt also nicht eindeutig feststellbar, woher das alles kommt.»

«Die Physiker» in der Version von 1962. Theater Basel, 30./31.1 sowie 4.2. Am 4.2., 22.30 Uhr, wird nach der Vorstellung im Theater Basel eine Film-Dokumentation über die Entstehung der Produktion gezeigt. Das «Bernbuch» hat am 28.1. an den Bühnen Bern als Theaterstück Premiere.
(https://www.bzbasel.ch/kultur/kultur-mantel/debatte-um-das-n-wort-wie-rassistisch-war-duerrenmatt-ld.2398081)


+++GASSE
nzz.ch 12.01.2023

Martin und Rosa sind dem Heroin entkommen – jetzt könnte ihre Sucht sie wieder einholen

Ein Mangel an Methadon-Tabletten bedroht in Zürich Existenzen. Dabei war das Problem eigentlich vorhersehbar.

Giorgio Scherrer (Text), Maurice Haas (Bilder)

Die Normalität ist klein, rund und hellpink. Eine Tablette, etwa einen Zentimeter im Durchmesser, steht für Martin und Rosa zwischen einem ziemlich normalen und einem von den Drogen beherrschten Leben.

Martin und Rosa sind beide 36, suchtkrank, wohnen in Zürich und heissen beide anders. Rosa wuchs bei einer süchtigen Mutter auf, umgeben von hilfloser Liebe und gebrauchten Nadeln. Sie wurde mit 14 obdachlos, nahm harte Drogen, prostituierte sich.

Martin verlor früh seinen Vater, wurde zu Hause überbehütet und in der Schule gemobbt. Über Ecstasy und Alkohol landete er beim Heroin und auf der Strasse.

Doch bei beiden hört die Geschichte nicht damit auf. Rosa hat heute eine Wohnung, einen Job und einen Hund. Sie ist, wie sie sagt, angekommen, wo sie sein will. Martin ist noch auf dem Weg dorthin. Doch auch er hat wieder ein Dach über dem Kopf, eine Stelle im Service, und von der Drogenszene habe er sich gelöst.

Normalität ist für die beiden ein täglicher Kampf. Die pinkfarbenen Pillen – in gewissen Dosierungen sind sie auch weiss – helfen ihnen dabei. Sie sind ein Ersatz für das Heroin, das sich beide zuvor spritzten. Die Pillen – und in ihnen der Wirkstoff Methadon – geben den Suchtkranken zwar keinen Kick, aber sie nehmen ihnen den Schmerz des Entzugs.

Etwa 9000 Menschen sind in der Schweiz angewiesen auf das «Metti», wie es die Betroffenen nennen. Es erlaubt ihnen einen geregelten Alltag und ein Leben in Würde – zum Preis der weiteren Abhängigkeit.

Doch Rosas und Martins Normalität ist in Gefahr.

Weil einer Aargauer Firma kürzlich die Betriebsbewilligung entzogen wurde, drohen den Schweizer Abgabestellen die Methadon-Tabletten auszugehen. Auch der Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen (Arud) in Zürich, wo Martin und Rosa ihre Medikamente holen. Wie dieser Mangel zustande kam, ist selbst schon seltsam genug. Er wirft jedoch auch ein Schlaglicht auf einen Alltag, der sonst verborgen bleibt.

I. Die Sucht

Die Sucht, sagt Rosa, sie könne sie riechen. Etwas bitter schmecke sie, und wer den Geruch einmal kenne, der vergesse ihn nicht mehr.

Seit gut zehn Jahren nimmt Rosa kein Heroin mehr. Aber einen Süchtigen erkenne sie noch immer sofort. Die Haut, die Art zu reden und eben der Geruch: Das sei für sie unverkennbar. «Ich will mit der Drogenszene zwar nichts mehr zu tun haben», sagt sie. «Aber sie bleibt ein Teil von mir.»

Die Sucht ist nichts, was Rosa einfach ablegen kann. Zwar wünscht sie sich keinen Heroin-Flash mehr. Aber wenn sie einen beschreibt, dann erschauert sie noch immer. Über ihre Sucht sagt Rosa: «Es ist schwer, das einem Nichtsüchtigen zu erklären.»

Für den Entzug, den sie mehrfach versuchte, findet sie hingegen klare Worte: Es sei, als werde die Haut von innen aufgekratzt, als beginne das Blut zu brennen, als könne man vor Nervosität nie mehr zur Ruhe kommen.

«Wenn der Entzug einfach wäre», sagt Rosa, «dann hätte ich ihn längst hinter mir.» Stattdessen nimmt sie jeden Tag zwei Methadon-Tabletten. «Abhängig bin ich immer noch», sagt sie, «aber ein Junkie bin ich nicht mehr.»

Ohne die Tabletten und deren regularisierte Abgabe hätte sie es nicht so weit geschafft. Einmal im Monat holt sie sich ihre Dosis, für 25 Tage hat sie derzeit noch Methadon. Was danach sein wird, weiss sie angesichts des drohenden Engpasses nicht. «Dass ich mir wieder auf der Strasse Stoff besorgen müsste – das wäre der Horror.»

Es würde Rosa zurückführen in eine Welt, die von früh auf ihr Leben bestimmt hatte und der sie eigentlich entronnen war.

Die Sucht bestimmt Rosas Leben seit Geburt. Ein «Platzspitzbaby» sei sie gewesen, sagt sie. Ihre Mutter war süchtig und blieb es ein Leben lang. Die offene Drogenszene in Winterthur und um den Platzspitzpark im Zürich war das Milieu, in dem Rosa in den 1990er Jahren aufwuchs. Zu Hause versuchte sie, sich um die Mutter und den Haushalt zu kümmern, flüchtete sich mental in eine Parallelwelt. Mit 14 war sie obdachlos, kam über Ecstasy, Kiffen und Amphetamine zum Heroin.

Unscharf seien ihre Erinnerungen an jene Zeit, sagt Rosa. Immer war da die Suche nach dem nächsten High, für das jedes Mal eine höhere Dosis nötig war. Rosa bekam Epilepsie und Hepatitis. Sie versuchte, sich das Leben zu nehmen.

«Wenn du aus alldem wieder ausbrechen willst, musst du erst ganz unten gewesen sein», sagt sie. «Ein Jahr auf der Strasse fühlt sich an wie zehn. Du hast kein Geld, kein Essen und verkaufst deinen Körper.»

Mit 17 findet Rosa den Weg zur Abgabestelle Arud, die zur Platzspitz-Zeit von engagierten Ärzten gegründet wurde. Während acht Jahren bezieht sie dort Methadon, konsumiert daneben aber weiter Heroin. Bis sie irgendwann ganz davon wegkommt.

Heute sagt sie: «Ich bin happy.» Ihr Job in der Betreuung kranker Menschen gibt ihr Sinn. Neben den Drogen hat sie auch das Rauchen und das Trinken aufgegeben. Über ihre Vergangenheit spricht sie klar und ohne Zweifel. «An einer Sucht», sagt sie, «ist niemand schuld. Sie ist eine Krankheit, ein Resultat von dem, was einem im Leben widerfährt.»

Vor ein paar Jahren – kurz bevor sie an den Folgen einer Aids-Erkrankung starb – bat Rosas Mutter sie um Vergebung. Anders als Rosa blieb sie bis zuletzt heroinabhängig. Der Unterschied zwischen ihrem und Rosas Leben hat mit vielem zu tun: Rosas Willen, den Weggefährten, die sie unterstützten, und dem Moment, als sie vor zwanzig Jahren im richtigen Moment von der Abgabestelle erfuhr.

Doch ohne die zwei Methadon-Pillen, die Rosa jeden Tag schluckt, wäre ihr Weg in die Normalität nicht möglich gewesen.

«Ich brauche dieses Medikament», sagt Rosa, «einfach, damit mein Leben lebenswert ist.»

II. Der Ersatz

Der Mann im Holzfällerhemd hätte gerne eine Wochendosis Methadon und Morphium. Die Frau mit Lederhandtasche braucht dasselbe plus ihre Psychopharmaka. Der Herr im Anzug besorgt sich Diaphin – medizinisches Heroin in Tablettenform. Ein hagerer Mann holt sich eine Spritze mit flüssigem Heroin, das er sich gleich vor Ort injiziert. Ein anderer mit Krücke will nur sauberes Spritzbesteck.

Dazwischen sitzt die Pflegerin Katja Twerenbold und sagt: «Ein Entzug ist hier nicht das primäre Ziel.» In ihren 22 Jahren auf der Abgabestelle habe sie einen solchen nur etwa drei bis vier Mal erlebt. «Unser Ziel», sagt sie, «ist ein Leben ohne Schmerzen und ohne Stress.»

Etwa vierhundert Menschen holen in der Abgabestelle der Arud täglich ihre Dosis an Medikamenten. Im Klinikgebäude nahe dem Zürcher Hauptbahnhof treten sie in eine grosse Wartehalle, ziehen wie in der Post ein Nümmerchen und gehen dann zu einem Schalter.

Von den meisten kennt die Pflegerin Twerenbold den Namen. «Wie geht es?», fragt sie dann. «Lange nicht gesehen – konsumierst du wieder?» Oder auch: «Ihr Arm sieht nicht gut aus, wollen Sie den nicht oben einer unserer Ärztinnen zeigen?»

Der Computer verrät, was und wie viel ein Kunde beziehen darf. In Minuten sind die Tabletten abgezählt, eine erste wird vor den Augen des Personals geschluckt, und der Patient ist wieder weg. Tausende von Tabletten gehen hier täglich über die Theke. In den Schubladen und Schränken liegen Heroin, Morphium und Methadon für eine ganze Stadt.

Momentan reicht der Vorrat von Letzterem noch für wenige Wochen.

Warum das ein Problem ist, erklärt drei Stockwerke weiter oben der Psychiater Thilo Beck, Co-Chefarzt Psychiatrie der Arud. Die Abgabestelle sei für viele Suchtkranke der einzige regelmässige Kontakt mit einer medizinischen Institution, sagt er. «Die meisten Betroffenen leiden auch unter vielen anderen Krankheiten – körperlichen oder psychischen. Wir haben hier für alles Behandlungsangebote.»

Die Arud – einst als kleiner Verein engagierter Ärzte entstanden – ist heute eine eigentliche Klinik, finanziert durch die Leistungen, die sie den Krankenkassen in Rechnung stellt. In den oberen Stöcken arbeiten Hausärztinnen, Psychologen, Sozialarbeiterinnen, Psychiater und Infektiologinnen. 3000 Menschen sind hier regelmässig in Behandlung. Die Abgabestelle im Erdgeschoss ist laut Beck der ideale Anknüpfungspunkt, um den Suchtkranken jene Hilfe zu geben, die sie dringend benötigen, der sie sich aber meist entziehen.

«Viele sind erst zurückhaltend, kommen einfach ihre Medikamente holen. Mit der Zeit gewinnen wir mit Respekt und Einfühlungsvermögen ihr Vertrauen und bieten ihnen andere Behandlungen an», sagt Beck. «Aber wir zwingen niemanden dazu. Wir wissen, dass das nicht nachhaltig funktionieren würde.»

Welches Ersatzprodukt genommen wird, ist individuell. Wegen verschiedener Nebenwirkungen haben die Methadon-Tabletten seit den 1990er Jahren an Bedeutung verloren. Doch wer Methadon gewohnt ist, kann nicht einfach zu einer anderen Substanz wechseln. «Ein Umstieg wäre ein riesiger Eingriff und ein nicht vertretbares Risiko», sagt Beck. Er befürchtet, dass die Betroffenen so wieder in den illegalen Konsum gedrängt würden.

«Es ist», sagt er, «wie wenn man russisches Roulette mit ihnen spielen würde.»

III. Der Mangel

Eigentlich hätte es nie so weit kommen dürfen.

Dass der Einbruch einiger Jugendlicher in ein Aargauer Fabrikgebäude eine Kettenreaktion auslöst, an deren Ende die Versorgung mit einem lebenswichtigen Medikament gefährdet ist – das sollte eigentlich nicht möglich sein.

Und doch ist genau das passiert. 2017 steigen sieben Jugendliche in ein ehemaliges Fabrikgebäude des Medikamentenherstellers Amino AG ein. Sie entwenden Schachteln mit Medikamenten – und laufen kurz darauf einer Polizeipatrouille in die Hände. Bei den Ermittlungen stösst die Staatsanwaltschaft auf krasse Sicherheitsmängel. Es fehlen im Fabrikgebäude Türen und Fenster. Chemikalien und Flaschen mit Morphium stehen ungesichert herum.

In der Folge werden die Firma und deren Besitzer wegen Verstössen gegen das Chemikalien-, das Heilmittel- und das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Die Zulassungsbehörde Swissmedic sistiert zudem die Betriebsbewilligung. Das geschieht 2019, also vor über drei Jahren. Danach zieht der Besitzer den Entscheid durch alle Instanzen, bis das Bundesgericht vergangenen November endgültig gegen ihn entscheidet. Seit Anfang Dezember steht die Produktion im Aargau still.

Das ist in dreifacher Hinsicht ein Problem: Erstens stellt die Firma jene Methadon-Tabletten her, die Menschen mit Suchterkrankung ein normales Leben ermöglichen. Zweitens tut sie dies in der Schweiz als einzige. Und drittens befindet sich auch das nationale Pflichtlager an Methadon-Tabletten im Besitz der Firma und ist somit momentan nicht antastbar.

Erst Anfang Dezember erfuhr die Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin nach eigenen Angaben vom Ausfall ihres grössten Methadon-Lieferanten. Vergangene Woche schlug sie im Schweizer Radio SRF Alarm: Bald fehle den Suchtbetroffenen ein lebenswichtiges Medikament.

Fragwürdig ist an dieser Geschichte nicht nur das Marktversagen – also dass die fragliche Firma als Monopolistin wirtschaften und damit zum Klumpenrisiko werden konnte. Fragwürdig ist auch das Verhalten der Behörden: Wie kann es sein, dass ein drohender Mangel sich seit drei Jahren abzeichnet und die Betroffenen nichts davon erfahren?

Die Antwort darauf ist ein Lehrstück in Schweizer Gesundheitspolitik. Und darin, was passiert, wenn keine Behörde sich für ein Problem so richtig zuständig fühlt.

Die Heilmittelbehörde Swissmedic – sie entzog der Amino AG die Betriebsbewilligung – gibt auf Anfrage an, nur für die Qualität der Medikamente, aber nicht für die Versorgungssicherheit zuständig zu sein. Es sei aber bewusst darauf verzichtet worden, bereits ausgelieferte Methadon-Tabletten wieder zurückzurufen. Sonst wird auf das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) verwiesen.

Dieses gibt an, zwar von Anfang an vom Verfahren gegen die Aargauer Firma gewusst zu haben, jedoch erst letzten Dezember in der Sache aktiv geworden zu sein. Im Übrigen falle die derzeitige Situation eigentlich gar nicht in die Zuständigkeit des BWL.

Bei der Zürcher Gesundheitsdirektion heisst es, die Kantonsapotheke sei erst im Dezember über den Produktionsstopp bei den Methadon-Tabletten informiert worden und suche nun selbst nach Alternativen. Im Übrigen verweist sie ihrerseits auf die verantwortlichen Bundesbehörden.

Am Ende fühlte sich offenbar keine Stelle dafür zuständig, die Betroffenen und ihre Ärzte frühzeitig vom drohenden Mangel zu unterrichten. Der Psychiater Thilo Beck, der auch im Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin ist, spricht von einem «Systemversagen».

Dabei spielt auch die Herstellerfirma eine Rolle. Denn in der Schweiz sollten laut dem Bund eigentlich Markt und Privatwirtschaft die Versorgung mit Medikamenten besorgen. In diesem Fall, so Swissmedic, sei «nicht zu erwarten» gewesen, dass sich die betreffende Firma erst nach dem Gang durch alle Gerichtsinstanzen um eine neue Bewilligung bemühen werde. Dies ist nun geschehen, und der Antrag ist laut Swissmedic in Bearbeitung. Das BWL schreibt, die Voraussetzungen für einen staatlichen Eingriff seien deshalb noch nicht gegeben.

Erhält die Firma ihre Betriebsbewilligung nicht zurück, sind die Optionen allerdings limitiert. Obwohl der Bund nicht von einem Methadon-Mangel sprechen will, sind die meisten Alternativen wenig praktikabel.

Es gibt weiterhin flüssiges Methadon, das jedoch gemäss dem Psychiater Beck viele Betroffene nicht vertragen und das zum Abgeben unpraktisch ist. Es wäre auch möglich, dass Apotheker Methadon-Pulver in Handarbeit zu Kapseln verarbeiten, was allerdings sehr aufwendig ist. Auch Methadon-Tabletten aus der Schmerzbehandlung gibt es noch – diese sind allerdings viel zu tief dosiert.

Bleibt noch der Import, um den sich Fachleute und Behörden momentan bemühen. Dort ist das Problem das langwierige Genehmigungsverfahren durch Swissmedic und das Bundesamt für Gesundheit. «Wir können aber nicht 21 Monate auf eine Zulassung warten», sagt Beck. «Unsere Vorräte reichen noch ein paar Wochen – dann ist fertig.»

IV. Die Angst

«Es ist ein Scheiss», sagt Martin. «Einfach weg – wie kann das sein?»

Eben erst hat Martin sich seine tägliche Dosis Methadon geholt. Jetzt sitzt er im Wartebereich der Arud-Abgabestelle und fragt sich, wie lange er sie noch so leicht erhalten wird. Er sagt: «Viele hier haben Angst, dass sie wieder in die Drogen rutschen, wenn das Methadon fehlt.»

Der drohende Engpass ist für Süchtige wie Martin und die Arud-Angestellten mehr als ein Versagen auf verschiedenen Ebenen. Er ist ein Zeichen. Dafür, dass ihr Kampf um Normalität nicht gesehen, dass ihr Leiden als selbstverschuldet und daher weniger behandlungswürdig betrachtet wird. Dass ihnen, wie der Psychiater Beck es ausdrückt, schlicht die Lobby fehlt.

«Es kann doch nicht sein, dass plötzlich unsere Medikamente fehlen», sagt Martin. «Wir sind doch auch Menschen. Man kann uns nicht einfach so im Stich lassen.»

Martin ist süchtig, doch nur als Süchtiger gesehen werden will er nicht. Von seiner Lehre erzählt er, die er mit guten Noten abgeschlossen habe. Von seinem Traum, zu studieren («Dumm bin ich im Fall nicht!»). Und davon, wie der Traum geplatzt sei, als er über Party-Pillen und Alkohol immer mehr in die Abhängigkeit gerutscht und obdachlos geworden sei.

Seit rund acht Jahren kommt er nun in die Abgabestelle. In der Arud holt er nicht nur Methadon, sondern geht auch zum Arzt und in die Psychotherapie. Mit den Pflegerinnen ist er per Du. Auch eine Wohnung habe er wieder, erzählt er, und eine Arbeit im Service.

«Klar ist man auch ein bisschen selbst schuld, wenn man süchtig wird», sagt Martin. «Aber verurteilen sollte man uns dafür nicht. Jeder hier hat seine Gründe und seine Geschichte, die ihn hierhin geführt haben.»

Dann steht er auf und geht. «Pass auf dich auf», sagt er zum Abschied. «Du landest schneller hier, als du denkst.»
(https://www.nzz.ch/zuerich/mangel-an-methadon-tabletten-was-das-fuer-suechtige-bedeutet-ld.1720423)



nzz.ch 12.01.2023

Kommentar – Behörden und Hersteller haben den drohenden Methadon-Mangel verschlafen – für Süchtige ist das fatal

Seit drei Jahren zeichnen sich bei einem lebenswichtigen Medikament Lieferprobleme ab. Niemand informierte die Betroffenen. Dieses Versagen muss Folgen haben.

Giorgio Scherrer

Gefahr, Abhängigkeit, Absturz: Dafür stehen Drogen in den Augen der meisten Schweizerinnen und Schweizer. Doch für mehrere tausend Menschen in diesem Land haben Suchtmittel eine ganz andere Bedeutung: Sie stehen für Stabilität und Sicherheit, für ein Leben in Normalität.

Diese Menschen sind Suchtkranke, die ihrer Sucht entfliehen wollen, es aber nicht schaffen. Und die deshalb auf die legalisierte Abgabe von Opiaten angewiesen wird, wie sie seit der Liberalisierung der Schweizer Drogenpolitik in den 1990er Jahren breit praktiziert wird.

Dass Opiate legal und in genügender Menge verfügbar sind, ist zentral für die Betroffenen. Und doch ist diese Möglichkeit derzeit für gut 9000 von ihnen bedroht.

Ein für die Suchtmedizin zentraler Ersatzstoff – hochdosierte Methadon-Tabletten – droht knapp zu werden. Der Grund: Einer Aargauer Methadon-Produzentin wurde kürzlich die Betriebsbewilligung entzogen. Da die Firma die benötigten Tabletten schweizweit als einzige herstellt, bedeutet das: Den Abgabestellen geht in wenigen Wochen der Stoff aus. Auch bei den Kantonen macht man sich Sorgen. Die Zürcher Kantonsapotheke sucht etwa notfallmässig nach Ersatzprodukten.

Ungute Erinnerungen an Corona-Zeit

Die Folgen eines Mangels wären für die Süchtigen verheerend. Umso stossender ist es, dass dieser drohende Engpass sich seit über drei Jahren abzeichnet – dass aber weder die Behörden noch die betroffene Firma die nötigen Vorbereitungsmassnahmen ergriffen.

2017 brachte ein Einbruch auf dem Aargauer Fabrikgelände das Ganze ins Rollen. Weil Jugendliche mit gestohlenen Medikamenten unterwegs waren, wurden Mängel bei der Aufbewahrung entdeckt. 2019 begann das Verfahren um die Sistierung der Betriebsbewilligung, das im vergangenen November vor Bundesgericht sein Ende fand und rechtskräftig wurde.

Nicht nur Swissmedic, sondern auch das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung wusste von Beginn weg vom Verfahren. Trotzdem unterliessen es beide Behörden, die Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin oder die kantonalen Gesundheitsämter darüber zu informieren.

In Zürich ist man jedenfalls einigermassen sprachlos, als man von der langen Vorgeschichte des drohenden Mangels erfährt. Eine frühere Meldung hätte es etwa der Kantonsapotheke ermöglicht, vorausschauend mehr Methadon-Tabletten zu beschaffen und sich um Importe zu bemühen.

Gesundheitsbehörden, die nicht ausreichend kommunizieren und sich mit Verweis auf andere Behörden aus der Verantwortung stehlen: Das weckt ungute Erinnerungen an die Corona-Zeit. Doch auch die betroffene Firma hat sich in diesem Fall nicht mit Ruhm bekleckert. Sie stürzte sich lieber in einen langwierigen Rechtsstreit, als dafür zu sorgen, dass ihre Produktion reibungslos weiterlief.

Dass die Herstellung eines lebenswichtigen Medikaments einem Monopolisten überlassen blieb, ist zudem ein eigentliches Marktversagen.

Die bizarre Pointe der Geschichte ist, dass die Schweiz eigentlich einen Notvorrat an Methadon-Tabletten angelegt hat – dieser sich allerdings ebenfalls im Besitz der Aargauer Firma befindet. Und damit nicht angetastet werden darf.

Verantwortung statt Schuldzuweisungen

Was es nun braucht, ist klar: Der drohende Engpass muss rasch bekämpft werden. Behörden, Mediziner und Wirtschaft müssen zusammenspannen, um Importe oder eine Übergangsproduktion in den Apotheken zu ermöglichen. Swissmedic muss ein neues Gesuch um die Fortsetzung des Betriebs der Aargauer Firma zügig prüfen.

Klar ist auch, dass die Behörden bei lebenswichtigen Medikamenten künftig kein derartiges Klumpenrisiko mehr dulden dürfen. Medikament-Monopolisten, die auch noch das Notlager verwalten – das darf in einem funktionierenden Gesundheitswesen nicht möglich sein.

Und schliesslich muss auch die Kommunikationspanne aufgearbeitet werden. Denn was für die einen technische Meldungen über wenig bekannte Medikamente sind, hat für die Süchtigen existenzielle Bedeutung. Das müssen Hersteller und Behörden künftig besser erkennen, statt sich die Verantwortung gegenseitig zuzuschieben.

So viel Sensibilität muss sein – offizielle Zuständigkeit hin oder her.
(https://www.nzz.ch/meinung/drohender-methadon-mangel-suechtige-wurden-im-stich-gelassen-ld.1720777)


+++MEDIENSPIEGEL LÜTZERATH-RÄUMUNG 12.01.2023
-> https://taz.de/-Live-Ticker-Raeumung-Luetzerath-/!5908477/
-> https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/raeumung-des-braunkohleortes-luetzerath-geht-weiter,TShO3lN
-> https://www.mopo.de/hamburg/meinung/luetzerath-ist-die-falsche-schlacht
-> https://twitter.com/KathrinAnna
-> https://www.spiegel.de/panorama/luetzerath-doppelzaun-um-braunkohleort-ist-fertig-a-41fdc5d0-579e-45ec-848b-ccbb59b61229
-> https://twitter.com/DanniPilger
-> https://twitter.com/FFFLeipzig
-> https://twitter.com/RaphaelThelen/status/1613217265729642497
-> https://twitter.com/RealTadzioM
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-> https://twitter.com/LuetziTicker22
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-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170063.klimagerechtigkeit-die-enkel-fechtenrs-noch-besser-aus.html
-> https://twitter.com/heutejournal/status/1613320479518998528
-> https://critica-zeitung.de/2023/01/12/solidaritaet-mit-dem-widerstand-in-luetzerath-rwe-enteignen/
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-> https://twitter.com/Ende__Gelaende
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-> https://www.srf.ch/news/international/raeumung-von-luetzerath-200-luetzerath-besetzende-zum-freiwilligen-verlassen-ueberredet
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-> https://twitter.com/HoernchenCecile/status/1613464487713017858
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-> https://www.nau.ch/news/europa/polizei-rechnet-nicht-mit-schnellem-ende-von-lutzerath-einsatz-66391992
-> https://www.nau.ch/news/europa/lutzerath-raumung-demonstranten-kommen-nicht-mehr-durch-66391934
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-> http://de.euronews.com/2023/01/12/polizeieinsatz-in-luetzerath-raeumung
-> https://www.youtube.com/watch?v=0-I9soGI0Kw
-> https://www.instagram.com/reel/CnUZ3ghBHLQ/
-> https://www.20min.ch/story/schweizer-klimaaktivistin-wir-sind-erschoepft-kaempfen-aber-weiter-777694501506
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-01/luetzerath-raeumung-polizei-live
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-> https://twitter.com/LuetziBleibt
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/luetzerath-juergen-trittin-und-carla-reemtsma-streiten-ueber-raeumung-und-gruenen-deal-wollen-sie-behaupten-ich-haette-gelogen-a-a292b47a-d86e-44b7-9a3f-89c501ef89b2
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/luetzerath-braunkohle-abbau-bringt-deutsche-gruene-in-die-krise?urn=urn:srf:video:94eb414c-a064-4f57-8b60-40da4dd9500c