Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/
++++AARGAU
Noch früher als erwartet: Der Kanton Aargau ruft die Asylnotlage aus
Die Reserveplätze zur Unterbringung von Flüchtlingen reichen nur noch wenige Wochen. Der Kanton Aargau ruft deshalb die Asylnotlage aus. Damit hat er neue Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Die Nutzung von unterirdischen Sanitätsstellen steht dabei im Vordergrund.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/fluechtlingswesen-noch-frueher-als-erwartet-kanton-ruft-asylnotlage-aus-weil-die-plaetze-fuer-gefluechtete-ausgehen-ld.2400032
-> https://www.ag.ch/de/aktuell/medien/medienmitteilungen?mm=regierungsrat-ruft-notlage-im-asylwesen-aus-cf1fd01b-cfe4-409e-ba80-69b4e79dc6df_de
-> https://www.baerntoday.ch/aargau-solothurn/regierungsrat-ruft-notlage-im-asylwesen-aus-149652046
-> https://www.derbund.ch/aargauer-regierung-ruft-notlage-im-asylwesen-aus-339050630711
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/kanton-aargau-ruft-asyl-notlage-aus?id=12317167
-> https://www.20min.ch/story/die-asylunterkuenfte-werden-knapp-regierungsrat-ruft-notlage-aus-475392273827
-> https://www.blick.ch/politik/zu-wenige-unterkuenfte-fuer-zu-viele-fluechtlinge-aargau-ruft-asyl-notlage-aus-id18223458.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/zu-wenig-platz-fuer-fluechtlinge-aargauer-regierung-verhaengt-notlage-im-asylwesen
-> https://www.watson.ch/schweiz/aargau/331747064-aargauer-regierung-ruft-notlage-im-asylwesen-aus
-> https://verfassungsblog.de/versammlungsfreiheit-in-lutzerath-zur-disposition-von-rwe-und-behorden/
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/turbinentest-beim-notkraftwerk-birr-fehlgeschlagen?id=12317359
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aargauerzeitung.ch 13.01.2023
Asylnotlage: Der Aargau könnte private Liegenschaften beschlagnahmen – «das wäre der absolute Worst Case»
Weil die Plätze in den kantonalen Asylzentren voll sind, werden drei unterirdische Sanitäts- und Zivilschutzanlagen belegt. Mit der Ausrufung der Asylnotlage hätte der Kanton noch weitergehendere Kompetenzen – doch Pia Maria Brugger Kalfidis, Co-Leiterin des kantonalen Sozialdienstes, möchte ohne sie auskommen.
Fabian Hägler
Der Kanton ruft die Notlage im Asylwesen aus und belegt unterirdische Anlagen. Wie viele verfügbare Plätze gibt es insgesamt noch in Zivilschutzanlagen und Sanitätsstellen?
Pia Maria Brugger Kalfidis: Die drei Anlagen in Aarau, Lenzburg und Birmenstorf, die jetzt belegt werden, bieten rund 560 Plätze. Daneben haben wir bereits weitere Objekte rekognosziert, dort wären zusätzliche rund 500 Plätze verfügbar. Ob es nötig wird, diese Anlagen zu belegen, kann ich derzeit noch nicht sagen. Wenn dies der Fall wäre, würden wir natürlich vorab die betroffenen Gemeinden informieren.
Warum wurden gerade Aarau, Lenzburg und Birmenstorf ausgewählt?
Das geschützte Spital in Aarau war schon immer eine Reserve, die Anlagen in Lenzburg und Birmenstorf wurden während der Flüchtlingskrise 2015/16 vorbereitet. Sie haben einen guten Ausbaustandard und können relativ rasch belegt werden, dennoch brauchen wir einen gewissen Vorlauf. Die unterirdischen Anlagen sollen eine temporäre Lösung bleiben, wir versuchen, weitere oberirdische Objekte anzumieten und zu belegen.
Mit der Ausrufung der Notlage könnte der Kanton auch Liegenschaften beschlagnahmen …
Das wäre der absolute Worst Case – wenn eine Gemeinde sich weigern würde, die Zivilschutzanlage zur Verfügung stellen, könnte der Kanton dieses Objekt per Verfügung beschlagnahmen. Die Notverordnung gibt uns diese Möglichkeit auch bei privaten Liegenschaften, wir gehen aber davon aus, dass wir dieses Instrument nicht brauchen werden.
Netzwerk Asyl kritisiert die geplante Betreuung durch Zivilschützer – wer betreut die Geflüchteten in Aarau, Lenzburg und Birmenstorf?
Die Unterkünfte werden durch Personal der Firma ORS betrieben, wie viele andere Anlagen des Kantons jetzt schon. Wenn der Zivilschutz eingesetzt wird, dann für unterstützende Dienste wie Türkontrolle, Essensausgabe oder Präsenz in der Nacht.
Es steht auch die Forderung nach Privatunterbringung für Flüchtlinge im Raum, die keinen Schutzstatus S haben.
Momentan möchten wir die Privatunterkunft auf Ukrainerinnen und Ukrainer beschränken. Die Solidarität der Bevölkerung entlastet uns bei den Geflüchteten mit Schutzstatus S sehr, es gibt auch immer noch Kapazitäten. Menschen mit anderem Aufenthaltsstatus privat unterzubringen, kann später ein Thema werden. Derzeit möchten wir aber am aktuellen Modell festhalten, das hat sich bewährt.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/fluechtlingswesen-kanton-koennte-in-der-asylnotlage-private-liegenschaften-beschlagnahmen-das-waere-der-absolute-worst-case-ld.2400195)
+++GENF
Suizid im Asylcamp „Le Lagnon“
Am 3. Januar hat sich im Camp „Le Lagnon“ in Genf eine Person das Leben genommen. Der verstorbene 34-Jährige aus Nigeria war Anfang Dezember in den Kanton Genf gekommen. Im Camp „Le Lagnon“ befand er sich seit dem 7. Dezember 2022. Laut der Zeitung „Le Courrier“ wirkte er desorientiert und verwirrt. Die Behörden und die Verwaltenden des Asylcamps schützten sein Leben nicht genügend.
https://migrant-solidarity-network.ch/2023/01/13/suizid-im-asylcamp-le-lagnon/
+++LUZERN
Unsichtbare Unterstützung: So hilft der Luzerner Anwaltsverband Geflüchteten
Tausende von Frauen und Kindern haben wegen dem Krieg in der Ukraine das Land verlassen müssen. Hier angekommen, stellen sich viele Fragen – auch rechtlicher Natur. Unbürokratische Hilfe bekommen die Geflüchteten von Luzerner Anwältinnen.
https://www.zentralplus.ch/justiz/so-hilft-der-luzerner-anwaltsverband-gefluechteten-2510157/
+++ZUG
Für vulnerable Personen: In Oberägeri entsteht eine Unterkunft für 99 Flüchtlinge
Das Haus Wiesengrund auf dem Areal «Ländli» in Oberägeri bietet Platz für bis zu 99 Personen. In der Liegenschaft werden nur Personen untergebracht, die besondere körperlichen, psychischen oder medizinische Aufmerksamkeit benötigen.
https://www.zentralplus.ch/news/in-oberaegeri-entsteht-eine-unterkunft-fuer-99-fluechtlinge-2510449/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/oberaegeri-unterkunft-fuer-vulnerable-asylsuchende-und-fluechtlinge-nimmt-betrieb-auf-ld.2400478
+++SCHWEIZ
Wie weiter im Schweizer Asylsystem? – Rendez-vous
Auch im neuen Jahr bleibt die Situation im Schweizer Asylsystem angespannt. Aktuell beherbergt die Schweiz so viele Schutz– und Asylsuchende wie noch nie. Mittlerweile haben sich Bund und Kantone auf die hohe Belastung eingestellt, indem sie etwa bei der Betreuung der Menschen auf Zivildienstleistende oder Praktikantinnen setzen.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/wie-weiter-im-schweizer-asylsystem?partId=12317266
Jürg Rötheli: «Wir leisten wichtige gesellschaftliche Arbeit» – Rendez-vous-Tagesgespräch
Im vergangenen Jahr sind 100’000 Asyl- und Schutzsuchende in die Schweiz gekommen. Die Behörden mussten dringend neue Unterkünfte suchen. Rund 70 dieser Asylunterkünfte betreut die Firma ORS – die immer wieder in der Kritik steht. Nun nimmt Jürg Rötheli, CEO von ORS, im «Tagesgespräch» Stellung.
https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/juerg-roetheli-wir-leisten-wichtige-gesellschaftliche-arbeit?id=12317152
Von Tripolis nach Genf
Am 75.Internationalen Tag der Menschenrechte der Vereinten Nationen und am Tag zuvor fanden in Genf Aktionstage im Zeichen der Solidarität mit den Geflüchteten in Libyen statt. Vor dem Hauptsitz des UN-Flüchtlingshilfswerks wurden Gerechtigkeit und faire Behandlungen gefordert. Erschreckend sind die Berichte der Betroffenen aus Libyen.
https://www.vorwaerts.ch/international/von-tripolis-nach-genf/
+++ITALIEN
NGO-Schiffe dürfen Migranten nur in Häfen Norditaliens an Land lassen
Bis zum 12. Jänner sind bereits über 3.000 Migranten in Italien gelandet, was einer Verzehnfachung gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres entspricht
https://www.derstandard.at/story/2000142560920/ngo-schiffe-duerfen-migranten-nur-in-haefen-norditaliens-an-land?ref=rss
+++GRIECHENLAND
Verfahren gegen internationale Seenotretter auf Lesbos wird eingestellt
Die Staatsanwaltschaft hat am Freitag beantragt, dass der Prozess aufgrund fehlender Übersetzungen und Unklarheiten beim Straftatbestand der Spionage eingestellt wird
https://www.derstandard.at/story/2000142543054/verfahren-gegen-internationale-seenotretter-auf-lesbos-wird-eingestellt?ref=rss
-> https://www.spiegel.de/ausland/griechisches-gericht-stellt-prozess-gegen-fluechtlingshelfer-ein-a-0e1121a6-aaba-4513-9948-4ddea50ffe0a
Flüchtlingshelfern drohen in Griechenland mehrere Jahre Haft
Seán Binder und Sarah Mardini – deren Schicksal in der Netflix-Produktion „Die Schwimmerinnen“ verfilmt wurde – stehen mit 22 anderen Helferinnen in Lesbos vor Gericht
https://www.derstandard.at/story/2000142477200/fluechtlingshelfern-drohen-in-griechenland-mehrere-jahre-haft?ref=rss
»Die Menschen an den Außengrenzen werden oft vergessen«
Mit einem umgebauten Lkw fährt die Hebamme Charlotte von der Organisation Rosa Rolling Saferspace Geflüchtetencamps in Griechenland ab, um medizinische Versorgung und temporäre Rückzugsräume zu gewährleisten.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170114.eu-asylpolitik-die-menschen-an-den-aussengrenzen-werden-oft-vergessen.html
»Ich rief verzweifelt nach Hilfe. Doch die Antwort waren weitere Schläge«
Auf der Flucht wurde Akram Abdulkadir in Griechenland schwer krank. Doch statt ihm zu helfen, inhaftierten und misshandelten griechische Sicherheitskräfte ihn. Während eines Pushbacks starb er qualvoll in den Armen seines Bruders Hassan. Der lebt inzwischen in Deutschland und hat mit Hilfe von PRO ASYL Anzeige in Griechenland erstattet.
https://www.proasyl.de/news/ich-rief-verzweifelt-nach-hilfe-doch-die-antwort-waren-weitere-schlaege/
+++EUROPA
Migration in die EU – Illegale Migration in EU steigt um 64 Prozent
Fast die Hälfte der illegalen Grenzübertritte wurde auf der sogenannten westlichen Balkan-Route registriert.
https://www.srf.ch/news/international/migration-in-die-eu-illegale-migration-in-eu-steigt-um-64-prozent
+++SEXWORK
Ausstieg aus der Prostitution – Echo der Zeit
Frauen einen Weg aus der Prostitution ebnen: Das will der Kanton Zürich fördern. Deshalb unterstützt er in einem Versuch drei Vereine, welche Sexarbeiterinnen begleiten. Es sind Vereine mit christlichem Hintergrund, die den Frauen den Umstieg in einen anderen Beruf ermöglichen sollen.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/ausstieg-aus-der-prostitution?partId=12317425
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
«Wir geben nicht auf!»
Die Klimaaktion von 2019 vor zwei Schweizer Grossbanken führte auf der einen Seite zu viel Aufmerksamkeit, auf der anderen Seite zu viel Repression. Der vorwärts sprach mit Frida Kohlmann, Mediensprecherin von Climate Justice, dem Kollektiv, welches zur Aktion aufrief.
https://www.vorwaerts.ch/inland/wir-geben-nicht-auf/
+++ANTI-WEF
Sicherheitsmassnahmen am WEF
Die Kantonspolizei Graubünden und die Armee haben heute über die Sicherheit am WEF in Davos informiert.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/sicherheitsmassnahmen-am-wef?id=12317254
– https://www.blick.ch/schweiz/graubuenden/davos-wird-zum-hochsicherheitstrakt-wie-sichern-polizei-und-armee-das-wef-id18222993.html
-> https://www.20min.ch/story/so-wird-fuer-die-sicherheit-am-wef-gesorgt-155872358269
-> https://www.blick.ch/schweiz/fuck-wef-polizei-und-militaer-wegen-klimaaktivisten-alarmiert-id18223803.html
-> https://www.handelszeitung.ch/news/sicherheitskrafte-schutzen-uber-100-personen-am-wef-2023-563438
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/wef-luftraum-wegen-weltlage-grosseres-sicherheitsrisiko-66392627
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/wef-in-davos-ab-montag-wef-sicherheitskraefte-ruesten-bei-cyberabwehr-auf
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/st-galler-spitex-kommt-nicht-zur-ruhe?id=12317374 (ab 08:34)
-> https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-news/rondo-news-13-01-23
„🥾🏔️Winterwanderung für Klimagerechtigkeit🏔️🥾
14. & 15. Januar 2023
Wir wandern in die dritte Runde -> Anmelden https://framaforms.org/strike-wef-winterwanderung-23anmeldung-1671827068
✊🏼 Am WEF treffen sich Jahr für Jahr Regierungschef*innen und Grosskonzerne und geben vor, die Welt zu retten.“
(https://twitter.com/climategames_ch/status/1610320248598659073)
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derbund.ch 13.01.2023
20 Jahre nach Krawallnacht: Aufstieg und Fall der Berner Anti-WEF-Bewegung
Anfang der Nullerjahre hatte die Kritik an der Globalisierung und dem WEF Hochkonjunktur. Dann trieben interne Konflikte die Bewegung auseinander. Wo steht sie heute?
Quentin Schlapbach
Sonntagnachmittag in der Berner Reitschule. Während auf dem Vorplatz eine Handvoll Skater ihre Tricks einstudieren, haben sich im Innern des Tojo-Theaters rund 80 Personen versammelt. Im Publikum ist es still. Alle verfolgen gespannt, was auf der Bühne passiert.
Auf dem Programm stehen Vorträge von linksradikalen Gruppierungen aus aller Welt. Die Palette reicht von der japanischen Antifa über die irische Sozialistenpartei IRSP bis hin zur tamilischen Unabhängigkeitsbewegung «Phoenix». Es seien Kollektive, «die die Welt tatsächlich ändern», versprechen die Veranstalter. «Ganz im Gegensatz zum WEF, wo uns Staatsoberhäupter und Kapitalistinnen vorgaukeln, sie nähmen sich unserer Probleme an.»
Immer Anfang Januar wird die Reitschule zum «No-WEF-Winterquartier», zum Widerstandsnest gegen die geltende Weltordnung. Mit der Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos wolle man Alternativen zum «ausbeuterischen System» aufzeigen und sich international vernetzen, erklärt das anonyme Organisationskollektiv seine Beweggründe auf Anfrage. Es gehe ihnen dabei um ganz Grundsätzliches: «Unsere Kritik am WEF ist eine Kritik am Kapitalismus.»
Die Gruppe, die sich hier versammelt hat, ist gewissermassen der harte, noch übrig gebliebene Kern einer einstigen Massenbewegung. Ihr Gegner, das WEF, weckte Anfang der Nullerjahre noch bis weit hinein in die Zivilgesellschaft heftige Antipathien. Der Protest gegen das Treffen der politischen und wirtschaftlichen Eliten in den Bündner Bergen führte damals Tausende Menschen auf die Strasse. SP, Grüne, Gewerkschaften, Kirchen, NGOs – sie alle reihten sich ein in die Demozüge der Globalisierungsgegner.
Insbesondere in Bern sorgte die Bewegung für einigen Wirbel. Sie spaltete seinerzeit die reformierte Landeskirche, trug zur Entmachtung von Berns Sicherheitsdirektor Kurt Wasserfallen bei, rief regelmässig gewaltige Polizeidispositive auf den Plan und sorgte auch für eine der heftigsten Krawallnächte in Berns Geschichte.
Und heute?
20 Jahre später ist von der Massenbewegung nicht mehr viel übrig geblieben. Eine Demo gegen das WEF, das nächste Woche stattfinden soll, gibt es in Bern heuer nicht. So rasant der Aufstieg der Bewegung war, so vielschichtig ist ihr Fall.
Was also ist geschehen?
Die Anfänge
David Böhner ist Stadtrat für die Alternative Liste (AL) und gehörte lange Zeit zu den Schlüsselfiguren in der Berner Anti-WEF-Bewegung. Deren Ursprünge gehen zurück auf das Ende des Kalten Krieges. «Auch die linke Bewegung hat sich damals hinterfragt und neu orientiert», erinnert sich Böhner. Gerade in Bern entstand nach den erfolgreichen Kämpfen um mehr Freiräume in den 1980er-Jahren ein Vakuum für neue Ideen.
Inspiration fanden viele Linke im Befreiungskampf der Zapatistas in Mexiko. Am 1. Januar 1994, dem Tag, als das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta in Kraft trat, erklärte die sozialistische Guerillabewegung der Regierung den Krieg. Es folgte eine blutige Auseinandersetzung.
Als Böhner und Leute aus der Reitschulbewegung erfuhren, dass der mexikanische Präsident 1994 an ein obskures Wirtschaftstreffen in die Bündner Berge fuhr, reisten sie ihm mit einem angemieteten Car nach. Das WEF war damals fast nur Leuten aus Wirtschaft und Politik ein Begriff. In den Medien war vom Treffen noch nicht viel zu lesen. Die Bündner Polizisten hätten sich damals gewundert, was dieses Grüppchen aus dem Unterland da oben wollte. «Wir waren vielleicht um die 100 Leute», sagt Böhner.
Die Tage, an denen einzig eine Hundertschaft von Reitschülern die Davoser Kapitalismusmesse störte, sollten aber bald gezählt sein. Rund um die Jahrtausendwende nahm die Anti-Globalisierungsbewegung richtig Fahrt auf. In der Kritik stand damals insbesondere die Welthandelsorganisation (WTO), welche den Freihandel vorantrieb. Böhner gründete mit anderen Berner Aktivistinnen und Aktivisten die Anti-WTO-Koordination.1998 demonstrierten bereits Tausende Menschen in Genf gegen ein Treffen der WTO.
Im selben Jahr geriet auch das WEF wieder in den Fokus der Globalisierungsgegner – auch weil die Medienberichterstattung rund um das Forum zunahm. «Das WEF war ein Gegner, an dem man klar und deutlich aufzeigen konnte, wo das Problem lag», sagt Böhner. Nämlich, dass eine kleine Gruppe von mächtigen Leuten hinter verschlossenen Türen Absprachen treffe und Deals einfädle, die Konsequenzen für die gesamte Weltbevölkerung hätten.
Die Hochphase
Obwohl bereits in diesen Anfängen die Demos oft von Gewalt begleitet waren, stiessen die WEF-Gegner in der öffentlichen Wahrnehmung auch auf einige Sympathien. Die Jahre rund um die Jahrtausendwende waren geprägt von wirtschaftlicher Unsicherheit. Ereignisse wie das Grounding der Swissair, die Massenentlassungen bei Schweizer Grosskonzernen oder das Platzen der Dotcom-Blase weckten Vorbehalte gegenüber den wirtschaftlichen Eliten.
So wurden die Proteste gegen das WEF Jahr für Jahr grösser. Und es waren längst nicht mehr nur linke Splittergruppen, die ihren Protest nach Davos trugen. Auch Exponenten aus der nationalen Politik und den Gewerkschaften nutzten die Bühne in Davos, um die ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Konsequenzen anzuprangern, die eine global vernetzte Wirtschaft mit sich brachte.
In Bern entbrannte die öffentliche Debatte rund um das WEF im Herbst 2001 so richtig. Grund war eine Kontroverse innerhalb der reformierten Landeskirche. Matthias Hui, heute Koordinator bei der NGO-Plattform Humanrights.ch, war zu dieser Zeit Mitarbeiter der Fachstelle Ökumene, Mission und Entwicklungszusammenarbeit (Oeme).
«Wir engagierten uns damals stark zu Fragen der globalen Gerechtigkeit», sagt Hui. Dazu spannte man für die Veranstaltungsreihe «Perspektiven nach Davos – Neoliberale Weltordnung, Auswirkungen und Alternativen» auch mit globalisierungskritischen Organisationen wie Attac Schweiz oder der Anti-WTO-Koordination von David Böhner zusammen.
Für Wirbel sorgte kirchenintern eine Aussage von Matthias Hui, wonach der Dialog mit dem WEF «sinnlos» sei. «Die Gegenreaktion des Synodalrats war damals sehr heftig», erinnert er sich. Sie untersagten der Oeme fortan, an der Veranstaltungsreihe teilzunehmen, und verpassten Hui einen medialen Maulkorb. Das löste wiederum eine Gegenreaktion seitens vieler Kirchenmitglieder aus.
«Die Diskussion, die dadurch entstand, hat in der Kirche viel ausgelöst», sagt Hui. Es sei intensiv über Globalisierung und Gerechtigkeit debattiert worden – und inwiefern sich die Kirche zu politischen und gesellschaftlichen Fragen äussern solle. Eine Frage, die zuletzt auch 2020 im Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungsinitiative viel zu reden gab.
Der Bruch
Anfang der Nullerjahre erreichte die globalisierungskritische Bewegung in der Schweiz ihren Höhepunkt. Mit dem Oltner Bündnis schuf sie sich eine Dachorganisation, welche die Kritik am WEF und der «neoliberalen Weltordnung» fortan koordinieren sollte. Vertreterinnen und Vertreter von SP, Grünen, Gewerkschaften, Kirchen, NGOs – alle waren an Bord. Die Demonstration am WEF 2003 sollte zur ersten grossen Manifestation der neuen Bewegung werden.
Stattdessen wurde der 25. Januar 2003 zum Desaster.
An diesem Samstagabend rollte ein Sonderzug auf Bern zu. An Bord waren rund 1000 Globalisierungsgegner, die Stunden zuvor noch vergeblich versucht hatten, nach Davos zu gelangen. Beim Bahnhof in Fideris führte die Polizei Personenkontrollen durch. Nach stundenlangen Verhandlungen und Diskussionen entschied das Oltner Bündnis, sich auf diese Kontrollen nicht einzulassen.
Die Stimmung unter den WEF-Gegnern war entsprechend aufgeheizt, als der Zug in Bern einfuhr. Anders als im Prättigau wurden sie hier nicht von einem massiven Dispositiv erwartet, sondern «nur» von 400 Männern und Frauen der Stadtpolizei. Das Vorhaben, die frustrierte Menge unter Kontrolle zu halten, war zum Scheitern verurteilt. Weil aber auf der ganzen Strecke zwischen Landquart und Bern nirgends ein annähernd vergleichbares Aufgebot bereitstand, stiegen alle in Bern aus.
574’000 Franken Sachschaden, Plünderungen rund um den Bahnhof, drei verletzte Polizisten und 30 Festnahmen waren die Bilanz der folgenden Nacht. Abgesehen von den Krawallen rund um die SVP-Kundgebung 2007 und der «Tanz dich frei»-Demo 2012 waren es die schwersten Ausschreitungen, welche die Bundesstadt in den letzten 20 Jahren erlebt hatte. FDP-Gemeinderat Kurt Wasserfallen sprach am Tag darauf von «Terrorismus in Reinkultur». Eine Aussage, welche ihm wenige Monate später immer noch vorgehalten wurde, als der Gemeinderat ihn entmachtete.
Die Krawallnacht von Bern war der Wendepunkt in der Anti-WEF-Bewegung. Vertreter von SP, Grünen und Gewerkschaften distanzierten sich vom Oltner Bündnis. Auch für Leute aus der Zivilgesellschaft wirkten die Bilder der eskalierten Demo abschreckend.
«In der Gewaltfrage gab es innerhalb der Bewegung damals ganz unterschiedliche Positionen», sagt Matthias Hui. «Das hat sie geschwächt.» David Böhner sieht auch im Vorgehen der Behörden und des WEF mit ein Grund, weshalb das breite Bündnis in den Folgejahren in sich zerfiel.
Die Gegnerschaft wurde unterteilt, in die «Gewaltorientierten» und die «Dialogwilligen». Letztere versuchte das WEF einzubinden und schuf für sie das Open Forum Davos. Auch liess das WEF mehr Medienschaffende zu, um dem Vorwurf der fehlenden Transparenz zu begegnen.
Das WEF erklärt auf Anfrage, dass es von Anfang an den Ansatz verfolgt habe, alle Interessengruppen an den Diskussionen zu beteiligen. Nur so könne man gemeinsam Lösungen für die grossen globalen Herausforderungen finden, sagt WEF-Mediensprecher Yann Zopf. «Was sich geändert hat in den letzten 20 Jahren, ist, dass die Technologie es ermöglicht, noch viel mehr Menschen einzubeziehen.» Durch Liveübertragungen im Internet und den Austausch über die sozialen Medien sei das Forum so offen und transparent wie nie.
Für David Böhner sind diese Zugeständnisse des WEF bloss Fassade. «Hinter den Kulissen ist es immer noch dasselbe Elitetreffen wie vorher.» Dennoch sei es dem WEF und den Bündner Behörden dadurch gelungen, der Gegnerschaft den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wer fortan nach Davos reisen wollte, musste mit massiven Repressionen rechnen. Das Schlüsselereignis war 2004 der «Kessel von Landquart», als die Polizei rund tausend Demonstrantinnen und Demonstranten stundenlang halb nackt und bei frostigen Temperaturen in einer Tiefgarage festhielt.
Das Randdasein
Der Umgang mit der zunehmenden Repression spaltete auch jene Gegner, die sich nicht auf den Dialog mit dem WEF einlassen wollten. Andrea Stauffacher, die Ikone der revolutionären Bewegung in der Schweiz, vertrat etwa den Standpunkt, dass Erlebnisse wie in Landquart die Aktivistinnen und Aktivisten nur stärken können. Andere Vertreter der Bewegung sahen in der ständigen Konfrontation mit der Polizei hingegen eine Sackgasse.
In einer Zwischenposition befand sich damals die globalisierungskritische Organisation Attac Schweiz. Sie war lange Zeit so etwas wie das intellektuelle Gewissen der Antiglobalisierungsbewegung hierzulande. «Auch wir wollten uns vom WEF nicht einbinden lassen», sagt Markus Flück, der zwischen 2015 und 2018 das Sekretariat der Organisation leitete.
Auch wenn die Antiglobalisierungsbewegung nach 2003 an Zugkraft verlor – auf der politischen Ebene konnte sie da bereits einige Erfolge vorweisen. «Es ist in jener Zeit gelungen, den grossen Abbau des Service public zu stoppen», sagt Flück. Dass etwa der Strommarkt in der Schweiz heute noch reguliert ist, hat auch mit der Skepsis gegenüber weiteren Liberalisierungen in den Nullerjahren zu tun.
Selbst auf Lokalebene gab es globalisierungskritische Vorstösse. 2006 machten rund 40 Schweizer Gemeinden – darunter auch solche aus konservativ geprägten Gegenden wie Linden, Dotzigen oder Seftigen– mit Attac Schweiz gemeinsame Sache und erklärten sich zu «Gats-freien Zonen». Gats (General Agreement on Trade in Services) war ein Abkommen im Dienstleistungsbereich der WTO. So wollten die Gemeinden ihren heimischen Service public – etwa die Wasserversorgung – vor dem Zugriff internationaler Grosskonzerne schützen.
Derweil verloren Gipfelproteste zunehmend an Bedeutung. «Dass das WEF im kollektiven Gedächtnis aber auch heute noch mit Protesten in Verbindung gebracht wird, zeigt, wie stark der Widerstand zu dieser Zeit war», sagt Flück.
In der linksautonomen Szene Bern funktionierte das Feindbild des WEF auch noch Jahre danach, um die eigenen Leute zu mobilisieren. Die Berner Polizei fuhr aber fortan deutlich gröbere Geschütze auf, um Szenen wie in jener Januarnacht 2003 zu verhindern.
2004 war das Sicherheitspositiv bei einer Kundgebung so gross, dass auf einen Demonstranten ein Polizist kam. 2008 endete eine Grossdemo in Bern mit Tränengas, Gummischrot und 242 festgenommenen Personen. 2012 kesselte die Polizei eine unbewilligte Demo bereits im Keim ein, worauf die Juso den Rücktritt des damaligen Polizeikommandanten und heutigen Bundesanwalts Stefan Blättler forderten.
«Dr Pfus isch dusse gsi», sagt David Böhner zur Zeit nach 2004. Es sei aber wichtig gewesen, dass weiterhin gegen das WEF demonstriert wurde, «auch um sichtbar zu machen, dass es radikale Bewegungen gibt, die den Kapitalismus fundamental ablehnen».
Neue Wege
Während der Corona-Krise entdeckten plötzlich auch Verschwörungstheoretiker das Weltwirtschaftsforum in Davos als Feindbild. Erzählungen, wonach in Davos eine geheime Weltregierung die Fäden ziehe, kursierten zwar bereits zuvor. Während der Pandemie bekam dieses Narrativ aber beispiellosen Zulauf.
Grund dafür war auch ein Buch mit dem Titel «The Great Reset», welches WEF-Gründer Klaus Schwab veröffentlichte. Darin gab er Empfehlungen ab, was Regierungen nach der Pandemie alles unternehmen sollten. Im rechten Medienuniversum der USA wurde Schwab in Folge als eine Art James-Bond-Bösewicht dargestellt, der versucht, die Welt zu unterjochen.
Nicht nur wegen der Verschwörungstheoretiker ist die Szene der WEF-Gegner mittlerweile unübersichtlicher geworden. Neben der linksautonomen Fraktion hat auch die Klimabewegung das Davoser Treffen als Plattform entdeckt, auf der sie ihre Kritik anbringen kann.
2020 fand erstmals eine Winterwanderung nach Davos statt, bei der die Forderung nach Klimagerechtigkeit im Zentrum stand. Mitorganisator der Wanderung ist Luca Hubschmied. Der Berner engagiert sich auch bei der Tour de Lorraine, eine Veranstaltung, die ebenfalls auf die Antiglobalisierungsbewegung der Nullerjahre zurückgeht. Über die Jahre ist sie von einer abendlichen Beizentour durchs Berner Szenequartier zum mehrtägigen Politfestival gereift.
«Früher wurde an der Tour de Lorraine Geld ausschliesslich für die Anti-WEF-Proteste gesammelt», sagt Hubschmied. «Heute kommen die Einnahmen mehreren sozialen Projekten zugute.» Das liegt auch daran, dass der Mobilisierungseffekt der Gipfelproteste viel geringer ist als noch zur Hochblüte der Bewegung. Bei der ersten Winterwanderung 2020 nahmen gegen 1000 Personen teil. Heuer werden es wohl weniger sein. «Es wäre schön, wenn wir dieses Jahr 500 Leute sind», so Hubschmied.
Am Samstag soll der Marsch aufs WEF starten – 23 Kilometer, von Küblis nach Davos, mit einem nächtlichen Zwischenhalt in Klosters. In Davos darf dann am Sonntag sogar eine kleine Demo stattfinden. Eine allzu grosse Bühne wollen die Bündner Behörden den WEF-Gegnern aber nach wie vor nicht geben. Die Teilnehmerzahl ist auf 300 Personen beschränkt.
(https://www.derbund.ch/aufstieg-und-fall-der-berner-anti-wef-bewegung-983487544130)
+++POLIZEI DE
Die Polizei und ihr Image: Wir sind hier nicht bei Paw Patrol
Die Hamburger Polizei hält Gangsta-Rap für schuld am schlechten Image der Polizei unter migrantischen Jugendlichen. Ihr eigenes Verhalten nicht.
https://taz.de/Die-Polizei-und-ihr-Image/!5905401/
+++FRAUEN/QUEER
vorwaerts.ch 09.01.2023
Transfeindlichkeit
Hate Crimes gegen trans Menschen haben massiv zugenommen. Diese Feindlichkeit reicht bis weit in die Gesellschaft hinein, wie der ehemalige Bundesrat Ueli Maurer beweist. Die Gesetzeslage im Strafgesetzbuch ist löchrig und bietet kaum Schutz. Transfeindlichkeit ist nicht eigentlich strafbar, sondern vielmehr salonfähig geworden.
sah.
Die bekannte Journalistin Alice Schwarzer feierte am 3.Dezember 2022 ihren 80.Geburtstag. Schwarzer prägt die Frauenbewegung in Deutschland und beeinflusst das Geschehen auch über die Landesgrenzen hinaus. Neben durchaus wichtigen und positiven Aktionen für die Bewegung, die sie initiiert hatte, macht sie aber immer wieder auch Aussagen, die in Richtung Transhass gehen. Verschiedene Beispiele dazu finden sich auf der Seite queer.de. Schwarzer warnte in einer ARD-Sendung vor einer «Trans-Welle». Sie erklärte hier, dass es seit einigen Jahren eine «Welle von zehntausenden Jugendlichen, vor allem Mädchen» gebe, die sagen, dass sie trans seien. Für die Journalistin stelle sich hier die Frage, ob sich diese Mädchen nicht im Körper unwohl fühlten, sondern vielmehr in der Geschlechterrolle?
Stimmungsmache
Was hier noch eher zahm daher kommt, wird sich aber später in Schwarzers neuem Buch stark steigern. Im mitherausgegebenen Sammelband mit dem Titel «Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streitschrift» stellt die bekannte Feministin die Trans-Identität infrage. Hier wird behauptet, dass Trans-Identität eine «Mode» sei und dass es in Wahrheit nur wenige trans Menschen gäbe. Alice Schwarzer geht weiter und macht aktiv eine transfeindliche Kampagne. Noch gibt es in Deutschland ein «Transsexuellengesetz» aus dem Jahre 1981. Noch bis Ende Jahr soll das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt werden. Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen werden die Möglichkeit haben, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen. Gegen dieses Gesetz macht Schwarzer mit ihrem Blatt «Emma» nun schlechte Stimmung.
Mehr und überall
«Trans» beschreibt Personen, deren Geschlechts-identität nicht oder nicht vollständig derjenigen entspricht, die ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Transmenschen sind in verschiedensten Lebensbereichen von Diskriminierungen betroffen. Schon länger wird darüber gesprochen, dass Teile einer sogenannten feministischen Bewegung transfeindlich sind. In der Praxis äussert sich dies mit theoretischen Diskursen, wie dies Alice Schwarzer im Moment macht, bis hin zum direkten Ausschluss von trans Menschen bei Aktionen.
Transfeindlichkeit ist jedoch nicht nur in der Szene zu finden, sondern ist überall. Schweizer Bundesräte sind transfeindlich und werden nicht dafür bestraft. Auf tgns.ch schrieb der Verein Transgender Network Switzerland, dass Bundesrat Ueli Maurer anlässlich seiner Rücktrittsankündigung sagte, dass es ihm «egal sei, ob ein Mann oder eine Frau» seine Nachfolge annehme: «Solange es kein ‹Es› ist, geht es ja noch». Diese Menschenfeindlichkeit reicht bis tief in die Gesellschaft hinein. Mit einer Medienmitteilung vom Mai 2022 von Pink Cross entsteht ein erster Eindruck der Lage. Im Jahr 2021 verzeichnete die Helpline der Organisation 50 Prozent mehr Hate Crimes als im Vorjahr. Vor allem die Zahl an transfeindlichen Übergriffen ist stark gestiegen. 45 Prozent aller betroffenen trans Personen gab an, aufgrund des Geschlechtsausdrucks diskriminiert worden zu sein.
Diskriminierung ist «legal»
Es gibt heute keine Möglichkeit, gegen Äusserungen und Handlungen vorzugehen, die sich gegen trans Menschen als Gruppe richten. Bei der Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm im Strafgesetzbuch (Art. 261 StGB), die 2020 zur Abstimmung kam, hatte man sich nicht für den Schutz von trans Menschen eingesetzt. Erst plante die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates in ihrem ursprünglichen Vorschlag ein Verbot von Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität. Dieser Vorschlag wurde doch dann verworfen. Heute kann gegen transfeindliche Äusserungen und Handlungen lediglich zivilrechtlich vorgegangen werden. Hier greift das Gesetz zum Schutz der Persönlichkeit (Art. 28 ff. ZGB). Hilfreich ist auch Artikel 8 Absatz 2 der Bundesverfassung zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität – aber nur theoretisch als Grundsatzidee. Werden transfeindliche Handlungen und Äusserungen in «ehrverletzend» und/oder «rufschädigend» umgedeutet, kommen die Artikel 173 ff. des Strafgesetzbuches zum Zug. All diese Artikel und Bestimmungen sind eine Art Lotterie, denn Konsequenzen für die Täter*innen gibt es nur in wenigen Fällen.
(https://www.vorwaerts.ch/news/transfeindlichkeit/)
+++RASSISMUS
Streit in Restaurant: «Der Chef antwortete mir: ‹Wir bedienen hier keine Araber!›»
Eine Gruppe nordafrikanischer Geschäftsmänner und Frauen zeigen ein Berner Restaurant wegen Rassismus an. Der Inhaber dementiert die Vorwürfe.
https://www.20min.ch/story/der-chef-antwortete-mir-wir-bedienen-hier-keine-araber-899278443261
+++RECHTSPOPULISMUS
(Antwort auf Billigst-Populismus des kantonalen Sicherheitsdirektor Philipppe Müller vom 10.01.2023)
„1/2 Warum von der Reitschule niemand etwas gesehen hat? Weil der Übergriff beim Skatepark vorne auf der Schützenmatte passiert ist und vor allem, weil die Reitschule geschlossen war: Betriebsferien bis am 9. Januar.
2/2 Im Büro anwesende Reitschüler:innen hatten den Anruf von Schutz und Rettung entgegengenommen & sind zum Skatepark schauen gegangen. Schutz und Rettung waren da bereits vor Ort. Für den unangebrachten „Omerta“-Vorwurf dürfen Sie sich gerne entschuldigen!“
(https://twitter.com/ReitschuleBern/status/1613832503097163776)
Dafür gibts einen Shitstorm: Ösi-Politiker fordert Pinkel-Attacke auf Klima-Kleber
Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp erntet im Netz Empörung. Auf Facebook hat er ein Piktogramm gepostet, auf dem eine Person auf einen Klimaaktivisten uriniert, der auf der Strasse festgeklebt ist – ähnlich einer Verkehrstafel.
https://www.blick.ch/ausland/dafuer-gibts-einen-shitstorm-oesi-politiker-fordert-pinkel-attacke-auf-klima-kleber-id18224970.html
+++RECHTSEXTREMISMUS
Neue Runde für Verbot von Nazisymbolen
Die Rechtskommission des Nationalrats behandelte diese Woche zwei parlamentarische Initiativen, die ein Verbot von Nazisymbolen fordern.
Rechtskommission für Verbot von Hitlergruss und Hakenkreuz – Echo der Zeit
Rassistische und extremistische Gesten und Symbole sollen in der Schweiz explizit verboten werden. Dafür hat sich die Rechtskommission des Nationalrats ausgesprochen. Sie will damit ein Zeichen setzen, auch wenn Bundesrat und Parlament von einem Verbot bisher nichts wissen wollten.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/rechtskommission-fuer-verbot-von-hitlergruss-und-hakenkreuz?partId=12317410
-> https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-rk-n-2023-01-13.aspx
-> https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/neue-runde-fuer-verbot-von-nazisymbolen
-> https://www.blick.ch/politik/schluss-mit-hakenkreuz-nazi-symbole-sollen-doch-verboten-werden-id18225400.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/gesellschaft%20&%20politik/707837646-schweiz-rechtskommission-will-nazisymbole-verbieten
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derbund.ch 13.01.2023
Bedrohung der inneren Sicherheit: Radikale Frauenhasser in der Schweiz – Bundespolizei wird aktiv
Die frauenfeindliche Szene im Internet wird immer grösser, ihr Ton extremer. Das Fedpol sieht in der Bewegung eine Bedrohung für die innere Sicherheit Europas. Die Gründe.
Jacqueline Büchi, Anielle Peterhans
«Meine Schwester ist das Eigentum ihres Ehemannes.»
«Wenn ich mit einer Frau zusammen bin, muss sie mir gehorchen.»
«Ich hol die Machete raus, schlag sie ihr ins Gesicht und packe sie am Hals.»
Jahrelang teilt Andrew Tate im Netz seine Dominanz- und Gewaltfantasien. Bis der britisch-amerikanische Influencer und ehemalige Kickboxer kurz vor Silvester wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und Menschenhandel in Rumänien festgenommen wird.
Der 35-Jährige gilt als «König der toxischen Maskulinität». Er ist ein Gesicht einer Bewegung, die im Netz in den vergangenen Jahren immer stärker geworden ist – der sogenannten Manosphere.
Genau genommen handelt es sich um ein ganzes Geflecht unterschiedlicher Gruppierungen, die vor allem eines eint: ihre frauenfeindliche Haltung. Manche von ihnen bereiten den Sicherheitsbehörden weltweit Sorgen – auch denjenigen in der Schweiz.
Fokus auf Incels
Am 1. Januar ist hierzulande ein neuer Aktionsplan zur Verhinderung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus in Kraft getreten, verabschiedet von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden. Der Aktionsplan legt erstmals einen speziellen Fokus auf die sogenannte Incel-Bewegung. Darunter versteht man Männer, die unfreiwillig ohne Partnerin oder Sex leben und einen Hass gegen Frauen hegen.
Die Autoren des Aktionsplans halten fest, es sei eine Zunahme von sogenannten Incel-Foren in Europa zu verzeichnen. «Einige dieser Austauschforen wurden aufgrund ihres Gefahrenpotenzials bereits gesperrt.» Die Expertinnen und Experten verweisen darauf, dass Vertreter dieser Szene insbesondere in den USA und in Kanada immer wieder Anschläge begangen haben.
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) bekräftigt auf Anfrage, man verfolge das Phänomen der Incels «im Kontext der strategischen Analysetätigkeit». «Unsere Erkenntnisse basieren unter anderem auf dem polizeilichen Informationsaustausch mit nationalen und internationalen Partnerbehörden.»
Erfahrungen aus dem Ausland zeigten, dass sich Incels weltweit online radikalisieren könnten, «mit teilweise tragischen Folgen und wenig logistischem Aufwand». Folglich stelle die Bewegung eine Bedrohung für die innere Sicherheit Europas dar. Die Lageanalyse des Fedpol ziele insbesondere darauf ab, die Polizeikorps für dieses Phänomen zu sensibilisieren und potenziell gefährliche Personen besser zu erkennen.
Von Alpha- und Beta-Männern
Markus Theunert ist Leiter des Dachverbands Schweizer Männer- und Väterorganisationen (Männer.ch). Im November hielt er an einer Fachtagung des Bundesamts für Polizei und des Sicherheitsverbunds Schweiz einen Workshop zu «männlichen Radikalisierungsdynamiken am Beispiel der Incels». Zu den Teilnehmenden der Tagung zählte auch Fedpol-Direktorin Nicoletta della Valle.
Theunert sagt: «Die Incels geben der Emanzipation die Schuld daran, dass sie nicht die Frauen bekommen, die ihnen aus ihrer Sicht zustehen.» Sie gingen von einer natur- oder gottgegebenen Geschlechterordnung aus, die in ihrer Wahrnehmung völlig durcheinandergeraten ist. Sie hätten das Gefühl, die Frauenemanzipation habe ihren Sturz in der gesellschaftlichen Hierarchie verursacht. «Die Folgen sind Selbstmitleid und Hass.»
Die Incels seien stark auf den Aspekt des Aussehens fixiert. Ihre Überzeugung ist, dass Frauen nur noch mit besonders attraktiven Männern – in der Szene «Chads» oder Alpha-Männer genannt – Sex wollen. Die sogenannten Beta-, Gamma- und Delta-Männer, die nicht mit kantigem Kiefer und Muskelbergen ausgestattet sind, hätten das Nachsehen.
Laut Theunert ist die potenzielle Gefährlichkeit dieser frustrierten Männer nicht zu unterschätzen. «Gerade weil das Weltbild des Incel so starr ist, ist er überzeugt, dass er an seiner Situation nichts ändern kann. Dass er nach seiner eigenen Logik nichts zu verlieren hat, macht ihn so gefährlich.»
Leitfaden für Sicherheitsbehörden
Theunert sagt aber auch, es sei schwierig, trennscharf zwischen radikalisierten Frauenhassern und anderen Arten von Extremisten zu unterscheiden. «Radikalen Ideologien aller Art liegen antifeministische Denkmuster zugrunde.» Insbesondere für rechte und rechtsextreme Akteure seien verunsicherte Männer ein Rekrutierungspool.
Wie es im Aktionsplan gegen Extremismus heisst, soll die Bekämpfung von Radikalisierung in der Schweiz künftig denn auch abseits des Incel-Themas vermehrt «auf Basis geschlechtersensibler Analysen und Ansätze erfolgen».
Der Dachverband Männer.ch hat den Auftrag erhalten, für die Fachstellen und Sicherheitsbehörden im Land einen Leitfaden zum «Faktor Männlichkeit» zu erarbeiten. Knapp 36’000 Franken bezahlt das Fedpol dafür. Ziel ist es, den Fachstellen «praxisnahes Orientierungswissen» zu vermitteln.
Schweizer anonym unterwegs
Einer, der die Frauenhasser-Szene von Berufs wegen eng verfolgt, ist der Computer- und Kommunikationswissenschaftler Manoel Horta Ribeiro von der ETH Lausanne. Er hat mit seinem Team 28 Millionen Einträge untersucht, die zwischen 2005 und 2019 weltweit in frauenfeindlichen Foren veröffentlicht wurden.
Horta Ribeiro sagt, es sei fast unmöglich zu beziffern, wie gross die Incel-Bewegung in der Schweiz sei. Die Mitglieder der Foren seien anonym unterwegs und verfassten ihre Einträge hauptsächlich auf Englisch. Fest stehe jedoch, dass die Manosphere weltweit wachse und ihr Ton radikaler werde.
Doch welche Verbindung besteht zwischen der Incel-Bewegung und dem verhafteten Andrew Tate, der – zumindest gemäss eigener Darstellung – sexuell sehr aktiv ist? Die Meinung von Incels über Tate sei gespalten, sagt Horta Ribeiro. «Einerseits teilen Incels viele der frauenfeindlichen Überzeugungen mit Tate und sind froh, dass er diese Überzeugungen verbreitet. Andererseits ist die Stimmung auf Incel-Foren geprägt von Selbstmitleid.» Incels seien deshalb oft auch kritisch eingestellt gegenüber sogenannten Alpha-Männern, die Ratschläge erteilen, wie man Frauen anzieht.
Wie fliessend die Übergänge zwischen Selbstmitleid, Hoffnung und Aggression sein können, zeigt eine Unterhaltung, die ein User unter dem Namen «Swiss.Incel» in einem einschlägigen Forum anstiess. Im September vergangenen Jahres fragte er die Community um Rat, nachdem ihn eine Frau an einer Schweizer Uni angesprochen hatte.
«Das ist mir noch nie passiert. Super positiv, immer lächelnd, ziemlich anhänglich. Die ersten zwei Tage sprachen wir normal, und heute erwähnt sie fünfmal, dass sie einen Freund hat. Soll ich aufhören, mit ihr zu sprechen?»
Darauf antwortet ein anderes Mitglied: «Sprich nicht zurück. Schau sie nicht an. Wie ein Chad. Wenn sie anhänglich wird, ergreife sie, schnüffle an ihr, drücke sie an die Wand und mach mit ihr rum, dann schlag zu.»
Andrew Tate bleibt derweil in Haft. Die rumänischen Behörden werfen ihm vor, mehrere Frauen gegen ihren Willen festgehalten und zur Produktion von Pornofilmen sowie zur Prostitution gezwungen zu haben. Wie mehrere Medien unter Berufung auf Polizeiquellen berichten, liess der Kickboxer seine Opfer jeweils tätowieren: «Besitz von Andrew Tate».
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Eine heterogene Bewegung
Die Bewegung der Frauenhasser im Netz lässt sich in unterschiedliche Gruppen unterteilen:
– Incels: Der Begriff Incels leitet sich aus den englischen Wörtern «involuntary» und «celibate» ab («unfreiwilliges Zölibat»). Bei zahlreichen Gewalttaten in der Vergangenheit stellten die Ermittler eine Verbindung zu dieser Bewegung her.
– Pick-up Artists: In dieser Szene teilen Männer Strategien, um Frauen zu manipulieren und sie zum Geschlechtsverkehr zu überreden. Frauen werden als Objekte betrachtet, die selbst ernannten «Aufreisskünstler» gehen von einer natürlichen Überlegenheit des Mannes aus.
– Men Going Their Own Way (MGTOW): Diese Gruppierung ruft dazu auf, Kontakte zu Frauen zu unterlassen, insbesondere in Form von Ehe oder Beziehungen. Kern der Ideologie ist die Überzeugung, dass Männer von Frauen unterdrückt werden.
– Antifeministen: Es handelt sich um eine Gegenreaktion zum Feminismus. Sogenannte Männerrechtsgruppen sind der Ansicht, dass die Frauenbewegung zu weit gegangen sei und Männern schade. (jbu)
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Attentate mit Verbindungen zur Incel-Szene
– Bekannteste Figur der Szene ist Elliot Rodger, der 2014 als 22-Jähriger in Santa Barbara, Kalifornien, sechs Menschen bei einem Amoklauf tötete und 14 verletzte. Bevor er die Waffe gegen sich selbst richtete, stellte er ein «Vergeltungs»-Video auf Youtube. Darin wandte er sich spezifisch an Frauen: «If I can’t have you girls, I will destroy you!» Seit 2014 haben sich mehrere Gewalttäter und Gewaltversuche in den Vereinigten Staaten und Kanada auf ihn bezogen oder wurden mit der frauenfeindlichen Incel-Ideologie in Verbindung gebracht.
– So etwa im Dezember 2017 und im Februar 2018: Die Täter zweier Massenerschiessungen erwähnten vor ihrer Tat Elliot Rodger im Internet positiv.
– Im April 2018 raste der Kanadier Alek M. in Toronto mit einem Van in eine Menschenmenge und tötete elf Personen. Vor dem Attentat hatte er auf Facebook gepostet: «Die Incel-Rebellion hat bereits begonnen!»
– Sechs Monate später eröffnete ein 40-jähriger Mann, der sich mit dem Santa-Barbara-Täter verglichen hatte, das Feuer in einem Yogakurs in Tallahassee, Florida, und tötete zwei Frauen.
– Der rechtsradikale Stephan B., der 2019 in Halle, Deutschland, einen Anschlag auf eine Synagoge plante und dabei zwei Menschen tötete, verkündete in seinem Tatvideo seine Nähe zur Incel-Bewegung.
– In Toronto erstach ein Minderjähriger im Februar 2020 eine Frau mit einer Machete und verletzte eine weitere schwer.
– Auch 2020 wurde ein Bombenbauer, der mit der Incel-Bewegung in Verbindung stand, in Grossbritannien verhaftet. (anp)
(https://www.derbund.ch/radikale-frauenhasser-in-der-schweiz-bundespolizei-wird-aktiv-319583708188)
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tagblatt.ch 13.01.2023
Wird in Speicher ein Ableger des Fantasiestaats Königreich Deutschland aufgebaut?
Ein Sympathisant der Reichsbürgergruppe Königreich Deutschland hat den Appenzellerhof in Speicher gekauft und hält dort Workshops ab. Der Ausserrhoder Immobilien- und Gastrounternehmer stellte Vertretern der Reichsbürgergruppe im November eine seiner Liegenschaften für ein zweitägiges «Systemausstiegsseminar» zur Verfügung.
Enrico Kampmann
Reichsbürger scheinen sich in der Ostschweiz wohlzufühlen. Bereits im Dezember schrieb diese Zeitung über einen bekannten Ausserrhoder Gastro- und Immobilienunternehmer, welcher der Reichsbürgergruppe Königreich Deutschland (KRD) eine seiner Liegenschaften für ein zweitägiges «Systemausstiegsseminar» zur Verfügung stellte. Er selbst war auch anwesend und danach völlig aus dem Häuschen vor Begeisterung, wie Chatprotokolle aus dem Kurznachrichtendienst Telegram zeigen.
Nun haben Recherchen ergeben, dass der 47-Jährige im Frühjahr 2022 das Hotel Appenzellerhof in Speicher erworben hat. Dort werden seit kurzem Workshops abgehalten. Der erste davon fand letzte Woche statt und behandelte das Thema «Betriebsgründung im alten und neuen System: Potenzialanalyse und Anforderungen».
Worum genau es in dem Workshop ging, der letzte Woche stattfand, ist unklar. Doch die Aussage des Unternehmers auf Telegram einen Tag nach dem oben erwähnten «Systemausstiegsseminar», dass er vorhabe, «ins Handeln» zu kommen und in der Schweiz «einen neuen Lebensraum» zu gestalten, werfen Fragen auf. Ist mit dem «neuem System» das KRD gemeint?
Das KRD ist ein Fantasiestaat mit eigener Währung, Krankenkasse, Autonummern, Hymne und Flagge. Dessen «Hoheitsgebiet» befindet sich auf einem stillgelegten Krankenhausgelände am Stadtrand von Wittenberg in Sachsen-Anhalt.
Auf eine entsprechende Anfrage antworten direkt die Anwälte des Unternehmers: Die Vorstellung, dass ihr Mandant die Gründung eines Ablegers des KRD in der Schweiz planen solle, sei «absurd». Das Seminar habe «in keinem Zusammenhang mit den Ideologien des KRD» gestanden. Bei den erwähnten «Begrifflichkeiten ‹neues System› und ‹neuer Lebensraum›» handle es sich «um Nachhaltigkeitsziele unseres Mandanten». «Als Ingenieur verfolgt er unter anderem das Konzept der Permakultur.»
Ausgebildeter «Klimagist»
Doch ein Blick in die Chatnachrichten des Ausserrhoder Unternehmers der vergangenen Wochen lassen gewisse Zweifel an diesen Aussagen zu. Am «Systemausstiegsseminar» Ende November war offenbar das KRD-Oberhaupt Peter Fitzek höchstpersönlich anwesend. Der Ausserrhoder Unternehmer, der den Raum zur Verfügung stellte, bedankte sich Tag darauf im Telegramm-Chat «insbesondere bei Peter» und fügte an: «Ihm zuzuhören, ist einfach fantastisch, und hat mich tief berührt und mein Mindset auf das nächste Level gebracht.»
Eine Woche später reiste der Unternehmer ins KRD, wo er «fantastische vier Ausbildungstage zum Klimagisten» absolvierte. Gemäss der Website des KRD ist Klimagie «ein innovatives Heizsystem, welches sehr effizient heizen, kühlen und Warmwasser aufbereiten kann». Die «revolutionäre Technik» sei exklusiv im KRD erhältlich, spare mindestens 40 Prozent der Betriebskosten ein «und fördert sogar noch Deine Gesundheit!». Gemäss Fitzek handelt es sich bei Klimagie um einen «Staatsbetrieb im KRD».
Am letzten Ausbildungstag habe man den Unternehmer gefragt, «warum wir denn das ganze Projekt nicht im Appenzellerhof umsetzen», wie er auf Telegramm schreibt. Vier Tage später begannen er und eine Gruppe von Freiwilligen mit dem Einbau des Heizsystems im Appenzellerhof, wie Fotos belegen. Die Einladung zum ersten Workshop «zur Betriebsgründung im alten und neuen System» postete der Unternehmer im Telegram-Chat «KRD – Gruppe Schweiz».
Die Parallelen mögen Zufall sein. Auch im «Systemausstiegsseminar» von Wolfhalden war die Rede von Betriebsgründungen in einem «neuen System». So wurde gemäss der Anmelde-Website erklärt, wie man einen steuer- und erklärungsfreien Betrieb im Rahmen des KRD» eröffnen und sich «aus der Abhängigkeit vom alten System» befreien könne.
In der Beschreibung des Seminars war zudem die Rede von einer «destruktiven Machtelite». Deren Ziel sei «die bargeldlose Gesellschaft, totale Kontrolle und Abhängigkeit eines Jeden, die Zerstörung von Freiheit und die Reduzierung der Menschheit.»
Ist das Bargeld erst einmal abgeschafft, werde die Masse dann mit Hilfe künstlicher Intelligenz, 5G, automatisch vom Konto abgebuchten Steuern und mit dem geplanten und in China schon erprobten Sozialpunktesystem gesteuert und versklavt.
Königreich auf Expansionskurs
Der deutsche Verfassungsschutz zählt das KRD zur Reichsbürgerbewegung. Diese ist sehr heterogen, doch im Grundsatz bestreiten deren Anhänger die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als souveränen Staat und lehnen deren Rechtsordnung ab.
Anhänger des KRD bestreiten, Reichsbürger zu sein, aber in jedem Fall handelt es sich um ein Sammelbecken für Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale, Coronaleugner und Systemaussteiger aller Art. Und es befindet sich auf Expansionskurs.
Wie der «Spiegel» im Sommer berichtete, hat der selbst ernannte König von Deutschland, Peter Fitzek, mit Spenden seiner Untertanen bereits zwei Schlösser für 1,3 und 2,3 Millionen Euro in Sachsen gekauft und sucht nach weiteren Grundstücken für den Aufbau autarker «Gemeinwohldörfer». Ziel ist die Errichtung einer Art Parallelstaat.
Der sächsische Verfassungsschutz warnt explizit davor, dem KRD Geld zu überweisen. Fitzek ist mehrfach vorbestraft und sass zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Unter anderem, weil er zwischen 2009 und 2013 1,3 Millionen Euro Spendengelder veruntreut haben soll.
Kauf von zweitem Hotel gescheitert
Der Ausserrhoder Unternehmer scheint ebenfalls Expansionsambitionen zu hegen. So plante er, auch das Gasthaus Krone in Trogen zu erwerben. Am 24. Dezember schrieb er in einem Chat, er habe «Fredi die Hand gegeben und er arbeitet nun alle Papiere aus, sodass wir das dann wie geplant ab dem 3. 1. 23 übernehmen können».
Gemeint ist der St.Galler Immobilienbesitzer Fredi Brändle. Er sagt jedoch, dass er grosse Skepsis bei dem Geschäft gehabt habe und keineswegs kurz davor gewesen sei, die Krone zu verkaufen. Der Ausserrhoder Unternehmer habe ihm gesagt, dort Kurse und Seminare abhalten und ein Restaurant betreiben zu wollen. Doch habe er kaum über eigene finanzielle Mittel verfügt. Brändle sagt: «Er wollte die Krone übernehmen, ohne Geld auf den Tisch zu legen.»
Als Brändle über das Recherchekollektiv Betonmalerinnen von den Verbindungen zum KRD erfuhr, brach er die Verhandlungen umgehend ab.
Im Telegramm-Chat des Appenzellerhofs erwähnt der Unternehmer mit keinem Wort, dass der Deal um die Krone in Trogen geplatzt ist. Stattdessen kündet er an, nun jede Woche Workshops abhalten zu wollen und das Programm bald zu erweitern. Ausserdem freue er sich auf das Neujahrsfest, «an welches um die 80 Gäste kommen werden».
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/reichsbuerger-wird-in-speicher-ein-ableger-des-fantasiestaats-koenigreich-deutschland-aufgebaut-ld.2400518)
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Feindbild Davos: Darum schiessen sich Anhänger von Verschwörungen so aufs WEF ein
Über das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos werden seit Jahren Falschbehauptungen verbreitet. Besonders seit der Corona-Pandemie vereinen sich viele Verschwörungsmythen zu einer Super-Erzählung.
https://www.20min.ch/story/darum-schiessen-sich-anhaenger-von-verschwoerungen-so-aufs-wef-ein-125050104439
+++MEDIENSPIEGEL LÜTZERATH-RÄUMUNG 13.01.2023
-> https://www.derbund.ch/raeumung-in-luetzerath-kurz-vor-dem-abschluss-968856664495
-> https://twitter.com/Ende__Gelaende/status/1613775834287902720
-> https://twitter.com/Ende__Gelaende
-> https://www.derstandard.at/story/2000142537266/tunnel-bereiten-polizei-in-luetzerath-probleme-bei-raeumung?ref=rss
-> https://www1.wdr.de/nachrichten/luetzerath-live-ticker-raeumung-garzweiler-tagebau-100.html
-> https://taz.de/-Ticker-Raeumung-Luetzerath-/!5908609/
-> https://twitter.com/KathrinAnna
-> https://twitter.com/david_dresen
-> https://www.der-postillon.com/2023/01/hambi-weg.html
-> https://twitter.com/RealTadzioM
-> https://taz.de/Tunnel-in-Luetzerath/!5908646/
-> https://www.fr.de/politik/raeumung-von-luetzerath-die-gruenen-haetten-rwe-nicht-nachgeben-duerfen-92022445.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-kohleabbau-luetzerath-panzerlieferung-ukraine-102.html#xtor=CS5-62
-> https://twitter.com/GretaThunberg/status/1613907464423968861
-> https://twitter.com/Luisamneubauer
-> https://www.srf.ch/news/international/deutsches-kohleabbaugebiet-luetzerath-wird-geraeumt-aktivisten-harren-auf-baeumen-aus
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-01/greta-thunberg-luetzerath-kritik-polizei
-> https://www.deutschlandfunk.de/luetzerath-raeumung-geht-nach-friedlicher-nacht-weiter-dlf-21efa28d-100.html
-> https://www.deutschlandfunk.de/welche-formen-des-protests-sind-erlaubt-int-benjamin-limbach-nrw-justizminist-dlf-36b6a1cc-100.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/liveblog-luetzerath-100.html#108480=
-> https://www.tagesschau.de/inland/luetzerath-raeumung-131.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/gruene-luetzerath-101.html
-> https://www1.wdr.de/nachrichten/luetzerath-live-ticker-raeumung-garzweiler-tagebau-100.html
-> https://www.zeit.de/politik/2023-01/proteste-lutzerath-raeumung-rwe-meinungen?wt_zmc=sm.int.zonaudev.twitter.ref.zeitde.redpost.link.x&utm_medium=sm&utm_source=twitter_zonaudev_int&utm_campaign=ref&utm_content=zeitde_redpost_link_x
-> https://taz.de/Raeumung-von-Luetzerath/!5905323/
-> https://taz.de/Tunnel-in-Luetzerath/!5908646/
-> https://taz.de/Tunnel-Experte-zur-Raeumung-von-Luetzerath/!5908675/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170129.luetzerath-und-die-gruenen-der-bruch-wird-ausbleiben.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170136.luetzerath-beruehrt-vom-ort-an-der-kante.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/442827.kapital-und-kohle-l%C3%BCtzeraths-letztes-aufgebot.html
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/luetzerath-unterstuetzung-von-greta-thunberg?urn=urn:srf:video:b09dcc06-6628-4237-ab69-5cc9d81f29fc
-> ANTICAPITAL BRANKO – LUETZI LEBT: https://www.youtube.com/watch?v=MgjURWhqICo
-> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-01/klimaprotest-luetzerath-gruene-jugend-robert-habeck
-> https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/luetzerath-raeumung-stopp-wissenschaftler-koeln-100.html