Medienspiegel 21. Dezember 2022

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+++BERN
ajour.ch 21.12.2022

Die Ankunft von rund 100 Flüchtlingen in Sornetan wirft Fragen in der Bevölkerung auf

Am Dienstagabend waren die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Petit-Val zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Es geht um Flüchtlinge.

Sebastien Goetschmann

Am Dienstagabend versammelten sich im Gemeindesaal von Sornetan ebenso viele Bürgerinnen und Bürger wie Flüchtlinge, die im Dorfzentrum aufgenommen wurden. Das sind etwa 70 Personen. Die Bevölkerung von Petit-Val war zu einem Informationsabend des Kantons und des Roten Kreuzes über die am 12. Dezember eröffnete Kollektivunterkunft eingeladen. Die Bewohner hatten die Gelegenheit, ihre Befürchtungen zu äussern und ihre Ideen zu teilen, damit das Zusammenleben möglichst reibungslos verläuft.

Zunächst gab es eine Einführung in die aktuelle Asylsituation. Diese mache die Eröffnung dieses neuen Standorts notwendig, der zunächst bis zu 100 Asylsuchende aufnehmen könnte. Danach ging der Leiter der Kollektivunterkunft in Sornetan, Alexandre Dien, näher auf die Besonderheiten und die Funktionsweise der Unterkunft ein. «Die dort lebenden Menschen kommen hauptsächlich aus Afghanistan und der Türkei, aber auch aus Burundi, einem französischsprachigen Land.» Derzeit ist die Bevölkerung dort gemischt, es gibt Familien, aber auch alleinstehende Männer.

Die Fachkraft des Roten Kreuzes betonte vor allem die Notwendigkeit von Kommunikation und Nähe. «Es ist wichtig, dass Sie uns die Problematiken, die Sie beobachten, mitteilen, damit wir schnell reagieren können», richtete er an die Versammlung.

Die Taktung der öffentlichen Verkehrsmittel erhöhen

Es folgten ganz praktische Bemerkungen, insbesondere zum Thema Verkehr. Mit dem Ziel, 100 Flüchtlinge unterzubringen, wird sich die Bevölkerung von Sornetan fast verdoppeln. Das Zentrum bietet zwar einen idealen Rahmen, aber seine isolierte Lage in einem Dorf mit wenig öffentlichem Verkehr könnte Probleme verursachen. «Die Busse, die die Kinder zur Schule bringen, sind bereits voll. Wie können wir sicherstellen, dass die Flüchtlinge ihre Einkäufe erledigen können, ohne dass die Schulwege gestört werden?», fragte eine Bürgerin.

Manuel Haas, Leiter der Abteilung Asyl beim kantonalen Amt für Integration und Soziales, versicherte, dass er dies zur Kenntnis nehmen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte mit PostAuto unternehmen werde. Willy Pasche, der ab dem 1. Januar nächsten Jahres Bürgermeister der Gemeinde Petit-Val sein wird, betonte die Anstrengungen, die der Kanton unternehmen müsse, damit die Taktung des öffentlichen Verkehrs erhöht werde. Andernfalls könne die in der Integrationspolitik für den Asylbereich angestrebte Autonomie nicht erreicht werden.

Schulbildung infrage gestellt

Ein weiteres Problem ist die Einschulung von Migrantenkindern, von denen derzeit etwa zehn im Zentrum von Sornetan leben. Zwar sollen alle Kinder im schulpflichtigen Alter so schnell wie möglich die Schule besuchen. Zunächst doch müsse zunächst die Anzahl der Schüler und ihr Profil ermittelt werden, um festzustellen, ob sie in die Regelklassen integriert werden können oder ob parallel dazu Intensivkurse organisiert werden müssen, sagte Schulinspektor Serge Büttiker. Es wird dann Aufgabe des Syndikats, das Saicourt und Petit-Val umfasst, sein, Räumlichkeiten und Lehrkräfte zu finden und geeignete Transportmöglichkeiten zu organisieren.

Es ist klar, dass die Ansiedlung von rund 100 Personen aus verschiedenen Kulturen in einem ruhigen, ländlichen Städtchen die Gewohnheiten der Einwohner von Sornetan etwas verändern wird. «Es wäre scheinheilig, Ihnen zu versichern, dass alles reibungslos ablaufen wird. Deshalb ist es wichtig, mit den Verantwortlichen des Zentrums darüber zu kommunizieren, wie das Dorf funktioniert», sagt Marco Rizzelli, Leiter des Bereichs Unterkunft und Beschäftigung beim Bernischen Roten Kreuz.

Um den Kontakt und Austausch und damit die Integration zu erleichtern, schlägt Willy Pasche vor, Beschäftigungen wie Gartenarbeit, Wanderungen in der Region, sportliche Aktivitäten oder Strickkurse zu organisieren. Dafür sind die Verantwortlichen des Roten Kreuzes völlig offen. Neben dem Bedarf an Freiwilligen erwähnte Alexandre Dien schliesslich, dass einige Flüchtlinge in Shorts und Flip-Flops ankamen und Spenden von warmen Kleidern ebenfalls willkommen seien. Eine Liste der benötigten Materialien sowie die Kontaktnummer der Sammelunterkunft werden auf der Website der Gemeinde www.petit-val.ch zu finden sein.
(https://ajour.ch/de/story/die-ankunft-von-rund-100-fl%25C3%25BCchtlingen-in-sornetan-wirft-fragen-in-der-bev%25C3%25B6lkerung-auf/47133)


+++FRIBOURG
Die erste Zwischennutzung der erst vor kurzem aufgegebenen Freiburger Kaserne “La Poya” ist bereits klar: Sie soll Asylsuchende und Geflüchtete aus der Ukraine beherrbergen. (ab 02:55)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/der-kugelblitz-tritt-nach-kitzbuehel-zurueck?id=12306325
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/freiburger-poya-kaserne-kann-750-gefluchtete-unterbringen-66375159


+++GENF
derbund.ch 21.12.2022

Missstände in Asylunterkünften: Suizid eines 18-jährigen Asylbewerbers entfacht Proteste – auch gegen Bern

In Genf hat ein 18-jähriger Asylbewerber Suizid begangen. Es ist nicht der erste derartige Todesfall. Nun kritisiert die Genfer Regierung die Bundesbehörden massiv.

Philippe Reichen aus Genf

Alireza träumte von einem Leben in Frieden und Sicherheit. Noch minderjährig, flüchtete er aus seiner Heimat Afghanistan nach Europa und schliesslich in die Schweiz. Seine Reise endete vor wenigen Wochen mit einer Tragödie. Mittlerweile 18-jährig, nahm sich Alireza im Genfer Flüchtlingsheim Foyer de l’Étoile das Leben.

Rasch wurden Inhalte aus seinem Asyldossier bekannt. Der Afghane war im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos untergebracht, wo er auch ein erstes Asylgesuch gestellt hatte. Von Moria aus setzte Alireza seine Flucht fort und kam im Frühling 2021 in die Schweiz. Das SEM lehnte sein Asylgesuch ab und wies ihn weg aus der Schweiz, zurück nach Griechenland.

Auch ein Rekurs ans Bundesverwaltungsgericht blieb chancenlos, obschon Alireza versicherte, in Griechenland physische und sexuelle Gewalt erlebt zu haben. Zudem reichte er medizinische Atteste ein, die eine psychische Erkrankung bescheinigten.

Der Suizid von Alireza weckt Erinnerungen an die Tragödie eines anderen Afghanen, der ebenfalls im Foyer de l’Étoile untergebracht war und an posttraumatischen Störungen litt. Nach dessen Tod im März 2019 standen auch Genfs Sozialbehörden in der Kritik. Selbst der Genfer Rechnungshof kam nach einer Überprüfung zum Schluss, dass sich die Lebensumstände im Foyer für die Jugendlichen dringend verbessern müssten.

Das aus Containern gebaute Foyer steht an einer extrem lärmigen Strasse. Die Platzverhältnisse sind eng, und in Abwesenheit von Sozialarbeitern kam es in der Vergangenheit wiederholt zu nächtlichen Scharmützeln und Schlägereien zwischen Bewohnern und Mitarbeitern einer privaten Sicherheitsfirma.
Der Kanton Genf bringt unbegleitete minderjährigen Asylsuchende im eingezäunten Foyer de l’Étoile unter. Der Containerbau liegt an einer viel befahrenen Strasse und wurde 2016 als Provisorium erbaut.

Nach dem Suizid von Alireza kritisiert Genfs Sozialdirektor Thierry Apothéloz (SP) nun aber vor allem die Migrationsbehörden in Bern. Apothéloz, einst selbst Sozialarbeiter, fragte bei Radio RTS: «Wie kommt es, dass ein Arztzeugnis keinen Einfluss auf ein Verwaltungsverfahren hat?» Die Genfer Regierung verlange von Bern «eine zufriedenstellende Antwort» und wolle bis dahin «sicherstellen, dass alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge geschützt werden». Gemäss Apothéloz wurde Alireza «von einem Arzt und einem Psychologen betreut, hatte eine Kontaktfamilie und ein wohlwollendes Betreuungsteam» in seiner Unterkunft.

SEM-Sprecher Reto Kormann schreibt auf Anfrage: «Es kommt häufig vor, dass Menschen als Reaktion auf eine negative Entscheidung über ihren Asylantrag von Selbstmordgedanken berichten».

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwinge die Erwähnung einer Suizidgefahr die Behörden jedoch nicht dazu, ihre Position bezüglich des Asyl- und Abschiebungsentscheids zu überdenken. Vielmehr obliege es dem Land, in das die Person zurückgeschickt werde, die Möglichkeit zu bieten, einen Arzt zu konsultieren und eventuell notwendige Behandlungen fortzusetzen, so Kormann.

Die Schweiz beurteile die Reisefähigkeit vor der Überstellung, und es würden eventuell Begleitmassnahmen geprüft, wie die Notwendigkeit einer Medikamentengabe, medizinische Begleitung während des Flugs und die Übermittlung medizinischer Dokumente an die Behörden des anderen Staates.

Die Genfer Anwältin Laïla Batou sieht beim Bund wie auch beim Kanton Genf Mängel. Sie wollte den Suizid des 19-jährigen Afghanen im März 2019 von der Genfer Staatsanwaltschaft untersuchen lassen und reichte dafür im Auftrag der Eltern des Verstorbenen eine Strafklage gegen unbekannt ein. Ihr Vorwurf: Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht, einfache, eventuell schwere Körperverletzung, Gefährdung des Lebens und der Gesundheit, Amtsmissbrauch und weitere Straftatbestände.

Danach geschah erst mal nichts. Erst das Bundesgericht zwang die Staatsanwaltschaft, den Dingen auf den Grund zu gehen – eineinhalb Jahre nach dem Suizid.

Anfang Jahr kam für Anwältin Batou der nächste Rückschlag. Der untersuchende Staatsanwalt teilte ihr seine Absicht mit, sein Verfahren gegen die Sicherheitsleute im Foyer de l’Étoile, die Aufsichtsbehörden und die Angestellten des Foyers einzustellen. Doch Laïla Batou kämpft weiter, will die Dinge endlich aufarbeiten. Noch Anfang November forderte sie die Befragung weiterer Asylverantwortlicher. Die Antwort steht aus.

Obwohl es im Foyer de l’Étoile seit dem Suizid im Jahr 2019 Verbesserungen gab und nun nachts neben Sicherheitsleuten auch Sozialarbeiter anwesend sind, hält Laïla Batou die Unterkunft für unbegleitete minderjährige Asylsuchende noch immer für ungeeignet.

Für die Jugendlichen, die endlich zu sich selbst finden und zur Ruhe kommen müssten, sei es dort zu lärmig, zu kalt und zu eng, sagt sie. Die Genfer Anwältin kritisiert aber auch das SEM. «Die Schweiz sollte keine jungen Asylsuchenden wegweisen, deren psychische Verletzungen medizinisch belegt sind.»

Beim SEM stellt sie im Umgang mit minderjährigen Asylsuchenden ein weiteres Problem fest. «Einmal in der Schweiz angekommen, erzählen die Jugendlichen im Aufnahmegespräch für ihr Asylverfahren ihre ganzen Erlebnisse – schonungslos und zum allerersten Mal», sagt die Anwältin. Alles komme auf den Tisch: Gewalt, Missbrauch, Demütigungen, traumatische Fluchterlebnisse, zerrüttete Familienverhältnisse. Die Anhörung daure einen Tag, sei ernsthaft, und es würden auch kleinste Details diskutiert. «Am Ende der Anhörung haben Jugendliche jedoch oft das Gefühl, dass sie während Stunden ihr Innerstes offenbart haben und in der Schweiz wohl trotzdem kein Asyl bekommen», weiss Laïla Batou.

Wenn sie am Ende dann tatsächlich einen negativen Asylbescheid bekämen, fühlten sie sich gleich nochmals in die Opferrolle gestossen. Damit konfrontiert, sagt SEM-Sprecher Kormann: «Konkret können wir uns zu diesen Empfindungen, die von einer Drittperson wiedergegeben werden, nicht äussern. Wir halten jedoch fest, dass unser Personal, das die Anhörungen durchführt, spezifisch für solche Situationen respektive Fälle geschult ist.»
(https://www.derbund.ch/suizid-eines-18-jaehrigen-asylbewerbers-entfacht-proteste-auch-gegen-bern-232832840220)


+++ZUG
Viele Schutzsuchende: Hilfe für Gastfamilien von Flüchtenden geregelt
Der Zuger Regierungsrat hat zwei Geschäfte behandelt: Die Leistungsvereinbarung mit der Caritas Luzern wurde verlängert sowie ein Beitrag für den Nachwuchs des EVZ genehmigt.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/regierungsrat-zug-viele-schutzsuchende-hilfe-fuer-gastfamilien-von-fluechtenden-geregelt-ld.2391348


+++SCHWEIZ
Asylpolitik : Eine Kette der Verachtung
In Kroatien erleiden Geflüchtete Menschenrechtsverletzungen. Das belegen Berichte und Expert:innen. Trotzdem schafft die Schweiz weiterhin dorthin aus.
https://www.woz.ch/2251/asylpolitik/asylpolitik-eine-kette-der-verachtung/%214E9GPF4B59WJ


«Sie holt sich blutige Nase»: Baume-Schneiders Asylpläne in der Kritik
Wie links wird die neue SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ihr Amt ausüben? Mitten in einer grossen Flüchtlingskrise bietet das Thema bereits viel Sprengstoff.
https://www.blick.ch/politik/sie-holt-sich-blutige-nase-baume-schneiders-asylplaene-in-der-kritik-id18164792.html


Ukrainerin in der Schweiz: «Die Unsicherheit belastet» – Rendez-vous
Seit Februar haben 70’000 ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz Zuflucht gesucht. Eine von ihnen: Kseniia Kalinina. Sie ist mit ihren Kindern im März Hals über Kopf aus der ostukrainischen Stadt Charkiw geflüchtet.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/ukrainerin-in-der-schweiz-die-unsicherheit-belastet?partId=12306136


Die Forderung der Ostschweizer Kantone steht: Bund soll über die Festtage keine Flüchtlinge zuweisen
Über die Festtage soll der Bund keine Zuweisungen von Personen aus dem Asylbereich an die Kantone vornehmen. Diese Forderung teilt die Konferenz der Sozialdirektorinnen und -direktoren der Ostschweizer Kantone in einem Communiqué mit. Der Bund sollte in der Lage sein, die betroffenen Personen in den eigenen Strukturen unterzubringen.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/asylwesen-die-forderung-der-ostschweizer-kanton-steht-bund-soll-ueber-die-festtage-keine-fluechtlinge-zuweisen-ld.2391483
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/ueberlastete-asylunterkuenfte-forderung-an-bund-keine-weiteren-gefluechteten-ueber-die-festtage
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/karin-keller-sutter-ich-halte-nichts-von-spaltung?id=12306277
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/jahresrueckblick-bundesraetin-karin-keller-sutter-im-tvo-talk-es-ist-nicht-noetig-den-grenzschutz-im-rheintal-zu-verstaerken-wir-haben-alles-unter-kontrolle-ld.2391334


+++ZYPERN
Mehr als 20’000 Migranten beantragten dieses Jahr Asyl in Zypern
Immer mehr Migranten suchen Asyl in der EU-Inselrepublik Zypern. Seit Beginn des Jahres stellten 20’258 Menschen einen Antrag.
https://www.nau.ch/news/europa/mehr-als-20000-migranten-beantragten-dieses-jahr-asyl-in-zypern-66374862


+++MITTELMEER
Seenotrettung ohne Trojaner
Matthias Monroy über Gegenwehr zu digitaler Repression
Seiten Akten aus einem Ermittlungsverfahren zeigen, wie die Polizei Überwachungstechnik auch gegen Seenotretter einsetzt. Es gibt Organisationen die helfen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169519.ueberwachung-seenotrettung-ohne-trojaner.html


+++EUROPA
Die vereinigten Daten von Europa
Die EU baut eine digitale Grenzmauer. Dabei untergräbt sie mehrere bis anhin geltende Prinzipien des Datenschutzes – und leistet rassistischer Diskriminierung Vorschub.
https://www.republik.ch/2022/06/16/die-vereinigten-daten-von-europa


Europas Grenzschutz: Der Neue bei Frontex
Der Niederländer Generalleutnant Leijtens soll die Grenzschutzbehörde leiten. Sein Vorgänger trat wegen eines Pushback-Skandals zurück.
https://taz.de/Europas-Grenzschutz/!5900923/



tagesanzeiger.ch 21.12.2022

Neuer Frontex-Chef: Der Mann für den schwierigen Schutz der europäischen Grenzen

Der Niederländer Hans Leijtens ist neuer Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Ob es ihm gelingt, die Behörde aus den Schlagzeilen herauszuhalten?

Karolina Meta Beisel

Offizier Hans Leijtens hat schon sehr oft seinen Job gewechselt. Alle zwei oder drei Jahre nimmt er eine neue Verpflichtung an. Ein Mann ohne Stehvermögen, könnte man meinen. Medien in seiner Heimat hingegen sagen: Das sei, weil Leijtens eben oft gefragt wird, wenn eine schwierige Aufgabe zu erfüllen ist.

Die neue Aufgabe des Niederländers dürfte eine der kniffligsten sein, die die Europäische Union zu bieten hat. Leijtens wurde am Dienstag zum neuen Direktor der europäischen Grenzschutzagentur Frontex ernannt, und in diesem Amt muss er einen irren Spagat hinbekommen. Einerseits das tun, wofür die Agentur 2004 geschaffen wurde: gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten die Aussengrenzen des Schengen-Raums schützen, Menschenschmugglern die Wege abschneiden und illegale Grenzübertritte verhindern. Wer aber an der Grenze um Asyl bittet, muss das tun dürfen, das ist das Andererseits, zu dem sich die Staaten mit der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet haben. An diesem Ziel einer Grenze, hart und durchlässig zugleich, muss sich ein Frontex-Chef messen lassen.

Eine Behörde im Kreuzfeuer

Leijtens’ Vorgänger, dem Franzosen Fabrice Leggeri, gelang dieser Spagat nicht. Er und die Behörde wurden heftig kritisiert wegen der Duldung illegaler Pushbacks, bei denen Migranten mit brutalen Mitteln daran gehindert werden, einen Asylantrag zu stellen. Im April 2022 musste Leggeri zurücktreten, aber auch unter seiner Interimsnachfolgerin Aija Kalnaja rissen die Vorwürfe nicht ab.

Leijtens ist sich dieses Dilemmas wohl bewusst. Bei seiner Anhörung vor dem Europaparlament punktete er zum einen damit, dass er die ihm zugedachte Zeit nicht ausschöpfte, was im Europaparlament praktisch nie vorkommt. Aber auch, was er sagte, dürfte den überwiegend kritischen Abgeordneten gefallen haben.

Neben dem Grenzschutz nannte er als Prioritäten die Achtung der Gesetze (zu denen auch die Menschenrechte von Geflüchteten gehören) und seinen Plan, das Vertrauen in die Agentur wiederherzustellen: «Europas Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass wir das auf die Reihe bekommen.» Grundrechte zu wahren, sei nicht das Gegenteil von Grenzschutz, sondern ein Teil davon. «Wir glauben an die Grundrechte, das sind unsere Werte.» Er werde auch nicht davor zurückschrecken, die Agentur aus einem Land zurückzurufen, wenn sich die dortigen Grenzbehörden nicht an die Gesetze hielten.

Kürzlich warnten die Niederlande vor einer Überforderung des Asylsystems

Es dürfte leichter sein, die Grundrechte im Europaparlament zu loben, als sie im Verwaltungsrat von Frontex durchzusetzen. Leijtens, zuletzt Kommandant der niederländischen Militärpolizei, wird das wissen: Er war selber Teil des Frontex-Verwaltungsrates. Die Agentur wird nicht von der EU-Kommission kontrolliert, sondern von den Mitgliedsstaaten. Deren Regierungen wollen Migration eindämmen, oder stehen innenpolitisch unter Druck, das zu tun. Leijtens’ Heimat, die Niederlande, gehören in der EU zu den Staaten, die vor einer drohenden Überforderung des Asylsystems warnen. Seiner Wahl dürfte das genützt haben.

Leijtens’ neue Aufgabe wird an Bedeutung eher noch zunehmen. Zum einen, weil die Zahl der Menschen, die Asyl in der EU suchen, nach dem Ende der Corona-Reisebeschränkungen derzeit so hoch ist wie zuletzt vor sechs Jahren zur Hochzeit im Herbst 2015. Ukrainische Flüchtlinge sind darin nicht eingerechnet, da sie wegen ihres Sonderstatus keinen Asylantrag stellen müssen. Zum anderen, weil Frontex kräftig wachsen soll: 2027 soll die Agentur eine ständige Reserve von 10’000 Grenzbeamten haben.

Fünf Jahre dauert Leijtens’ Amtszeit, so lange hat er, um die Agentur auf diese neuen Herausforderungen einzustimmen – und aus den Schlagzeilen herauszuholen. Wenn nicht vorher wieder jemand anruft, um ihm eine andere Aufgabe anzutragen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/der-mann-fuer-den-schwierigen-schutz-der-europaeischen-grenzen-897200840341)


+++GASSE
Trotz Arbeit fehlt vielen in der Schweiz das Geld – 10vor10
Weil alles teurer wird, sind auch in der Schweiz immer mehr Menschen auf Unterstützung angewiesen. An Essensausgabestellen steigt die Nachfrage. Für viele reicht der Lohn trotz allem nicht mehr – und das Problem dürfte sich im nächsten Jahr noch verschärfen.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/trotz-arbeit-fehlt-vielen-in-der-schweiz-das-geld?urn=urn:srf:video:5c7da4d0-3cc3-41b1-b96c-e19cd3829ffd


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Stellungnahme von LA ROTONDA zur Juch-Räumung
Zureich – alles wird besetzt
Guten Tag
Mein Name ist LA ROTONDA. Ich bin ein Wagenplatz in der Stadt Zürich. Ein Heim, ein Zuhause, ein Ort, an dem Menschen zusammen leben. Ich bin zwar eine unkonventionelle, marginale Wohnform, trotzdem bin ich hier. Aber jetzt brauche ich einen neuen Standort. Das bedeutet, die Stadt Zürich braucht neue Wagenplätze!
Deshalb habe ich letzten Mittwoch, den 14.12.2022 das Juchareal an der Juchstrasse in Altstetten besetzt. Was darauf geschah, ist für mich im höchsten Grade inakzeptabel und unverständlich! Im Folgenden möchte ich meine Beobachtungen dazu schildern:
https://barrikade.info/article/5534


Ukraine statt Birr: Die Bewegung Klimastreik will die Turbinen vom Notkraftwerk in Kriegsgebiet schicken
Nicht in Birr, sondern in der Ukraine sollten die Turbinen des Notkraftwerks zum Einsatz kommen. Das forderte die Aktion Klimastreik gestern bei einer Demo in Birr.
https://www.telem1.ch/aktuell/ukraine-statt-birr-die-bewegung-klimastreik-will-die-turbinen-vom-notkraftwerk-in-kriegsgebiet-schicken-149355001


+++FRAUEN/QUEER
Bundesrat erachtet Voraussetzungen für Einführung des dritten Geschlechts als nicht erfüllt
Das binäre Geschlechtermodell ist in der schweizerischen Gesellschaft nach wie vor stark verankert. Dies hält der Bundesrat in einem Postulatsbericht fest, den er an seiner Sitzung vom 21. Dezember 2022 verabschiedet hat. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Einführung eines dritten Geschlechts oder für einen generellen Verzicht auf den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister sind derzeit nicht gegeben. Eine Änderung des binären Geschlechtermodells wäre ausserdem mit zahlreichen Anpassungen der Verfassung und der Gesetze von Bund und Kantonen verbunden.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-92335.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/gender/670882121-bundesrat-ist-gegen-die-einfuehrung-einer-dritten-geschlechtsoption
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/bundesrat-ist-gegen-die-einfuhrung-einer-dritten-geschlechtsoption-66374931
-> https://www.blick.ch/politik/drittes-geschlecht-bundesrat-will-kein-es-id18165031.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/binaeres-geschlechtermodell-bundesrat-ist-gegen-einfuehrung-einer-dritten-geschlechtsoption
-> https://www.derbund.ch/bundesrat-schweiz-noch-nicht-bereit-fuer-drittes-geschlecht-422805669857
-> https://www.20min.ch/story/bundesrat-will-keine-weitere-geschlechterkategorie-einfuehren-325663263679
-> https://rabe.ch/2022/12/21/eine-harte-ohrfeige-fuer-nicht-binaere-menschen/
-> https://www.tagblatt.ch/schweiz/geschlechtsidentitaet-weiblich-maennlich-oder-nichtbinaer-der-bundesrat-will-vorerst-kein-drittes-geschlecht-einfuehren-ld.2391330
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/auch-ohne-bundesrat-arslan-will-binares-geschlechtermodell-auflosen-66374929
-> https://www.bernerzeitung.ch/bundesrat-erteilt-drittem-geschlecht-eine-abfuhr-und-erntet-entsetzen-985792045043
-> https://www.bernerzeitung.ch/arbeitsverweigerung-in-der-genderdiskussion-227424258897
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/der-bundesrat-enttaeuscht-nicht-binaere-personen?urn=urn:srf:video:a65053f7-ce1f-4be3-9547-f8546a280bb5


+++RASSISMUS
derbund.ch 21.12.2022

Rassismusdebatte in Zürich: Wegen des N-Worts verbannt er Dürrenmatt aus dem Klassenzimmer

Nach Kritik von Schülerinnen verzichtet der Lehrer Philippe Wampfler auf «Die Physiker», weil darin zweimal das N-Wort vorkommt. Seine Kritiker finden ihn «völlig krank».

Sascha Britsko

Stellen Sie sich vor, Sie wären Ihr Leben lang beleidigt worden. Sie müssten sich anhören, dass Sie nicht hierhergehören, dass Sie dumm und minderwertig sind und dass Sie dorthin zurückgehen sollten, wo Sie herkommen, obwohl Sie in Zürich geboren sind.

Stellen Sie sich vor, Sie würden eine Schule besuchen, und Sie müssten ein Buch lesen, in dem beleidigende Begriffe selbstverständlich benutzt werden, die all diese Gefühle in sich vereinen.

Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie wären schwarz.

Philippe Wampfler hat das getan. Er arbeitet als Deutschlehrer an der Kantonsschule Enge und als Dozent für Fachdidaktik Deutsch an der Universität Zürich. Immer wieder, erzählt er, musste er sich in den vergangenen Jahren anhören, wie seine schwarzen Schülerinnen verschiedenste Arten von Diskriminierung schilderten. Und schliesslich traf er eine Entscheidung.

Der Kantonsschullehrer verzichtet in seinem Unterricht künftig auf jegliche Literatur, die rassistische Bezeichnungen enthält. Und er fängt bei Dürrenmatts «Die Physiker» an. Zweimal ist dort das N-Wort zu lesen.

«Völlig krank»

Zwei schwarze Schülerinnen seien nach der Lektüre des Dramas zu ihm gekommen und hätten das Gespräch gesucht, erzählt er am Telefon. «Sie sagten, sie wollten nicht auch noch im Unterricht mit dem N-Wort konfrontiert werden.»

Insgesamt zehn Schülerinnen habe er, die das ähnlich sähen. «Für meine Schülerinnen gibt es keine Rechtfertigung, das N-Wort auszusprechen. Für sie ist klar, dass weisse Menschen das nicht tun dürfen.»

Also erlaubte Wampfler ihnen, ein anderes Buch zu lesen. «Es ist die Aufgabe eines Lehrers, einen sicheren Unterrichtsrahmen für seine Schüler zu schaffen», sagt er.

Zu seiner Schulzeit sei Rassismus in Schulen kein Thema gewesen. «Ich dachte, Rassismus sei das, was in Südafrika oder in den USA passiert», sagt Wampfler. «Dass Leute hier auch leiden, bekam ich nicht mit, weil ich nicht betroffen war.» Nun will er es besser machen.

Dafür erntet er viel Kritik. «Völlig krank» sei er, schrieben ihm gewisse Leute per Mail. Er entmündige die Schülerinnen, dafür sollte er gar entlassen werden. «Die Leute werfen mir vor, dass ich mich dadurch nicht mit Rassismus auseinandersetzen würde», sagt er. «Das stimmt nicht. Ich reproduziere ihn einfach nicht.»

Das Problem liegt laut Wampfler auf der anderen Seite: Die Lehrerschaft an Gymnasien sei wenig divers.

Andere Klassiker wurden bereits angepasst

Philippe Wampfler verlangte öffentlich vom Diogenes-Verlag, bei dem  «Die Physiker» publiziert wurde, die Versionen für die Schule entsprechend anzupassen. Sprich: das N-Wort in «Schwarze» umzuwandeln oder mittels Fussnote die Sprache zu kontextualisieren. In der aktuellen Version gibt es keine Bemerkungen dazu.

Tatsächlich wäre es nicht das erste Mal, dass Verlage in Werke eingreifen. Die Sprache von Astrid Lindgren, der Autorin des Klassikers «Pippi Langstrumpf», wurde der Leserlichkeit halber angepasst. Von Georg Büchners «Woyzeck» werden Lesefassungen für die Schule hergestellt, und auch die Werke von Goethe wurden überarbeitet.

Auf Anfrage dieser Zeitung schreibt der Diogenes-Verlag, man versuche, «bei bestimmten Bezeichnungen oder Vorstellungen mithilfe von Fussnoten, Disclaimern und in einem Vor- oder Nachwort den historischen Kontext mitzuliefern». Man sei dabei, Neuausgaben im Hinblick darauf entsprechend zu überarbeiten, einzuordnen und zu ergänzen.

Eine separate Version nur für die Schulen – ganz ohne rassistische Äusserungen – will der Verlag aber nicht herausgeben. «Wir finden, es wäre nicht sinnvoll, zwei verschiedene Fassungen zu publizieren.»

«Die Diskussion ist symbolisch»

«Die Diskussion ist absolut symbolisch, das ist mir völlig bewusst», gesteht Wampfler. Er meint: Rassismus werde nicht verschwinden, wenn man ihn in einem Buch kennzeichne. Aber: «Es zeigt, dass ein unverdächtiger Verlag auch Verantwortung trägt.»

Für Wampfler ist klar, dass er seine Schülerinnen künftig nicht zwingen wird, Bücher zu lesen, bei denen sie sich unwohl fühlen. Und von einem ist er überzeugt: «Wenn Dürrenmatt heute das Buch rausbringen würde, bin ich mir sicher, dass er das Wort ändern würde.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/wegen-des-n-worts-verbannt-er-duerrenmatt-aus-dem-klassenzimmer-642596102664)


+++RECHTSEXTREMISMUS
Rechte Comics – Teil 2
In den letzten Jahren lässt sich eine Zunahme extrem rechter Comic-Publikationen im deutschsprachigen Raum beobachten. Wiederkehrende Narrative sind der Rächer, der Außenseiter und die dystopische Überzeichnung aktueller politischer Entwicklungen. Die vorliegende Ausgabe von magazine untersucht die jüngsten Comicprojekte der extremen Rechten und gibt einen Einblick in die Bildsprache und Motive der Verantwortlichen.
https://www.apabiz.de/2022/rechte-comics-teil-2/


Einblick in geheimes Szene-Treffen
Nach den bundesweiten Durchsuchungen sind Teile der Reichsbürgerszene aktiver denn je. Verdeckte Aufnahmen zeigen: Teile haben sogar Sympathien für die Festgenommenen.
https://www.ardmediathek.de/video/report-mainz/einblick-in-geheimes-szene-treffen/das-erste/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE3NzkyNTU
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169537.verfassungsschutz-stephan-weil-will-reichsbuerger-schaerfer-beobachten-lassen.html
-> https://www.youtube.com/watch?v=loQDJ_UizyU


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Daniele Ganser: Der triggernde Influencer und Putin-Versteher
Der Schweizer Autor, Historiker und selbsternannte Friedensforscher meldet sich zu vielen Themen zu Wort. Nicht immer ist das appetitlich
https://www.derstandard.at/story/2000141861413/daniele-ganser-der-triggernde-influencer-und-putinversteher


Desinformation: Wie die Fanboys von Elon Musk versuchen, Mastodon zu diskreditieren
Ein irreführender Blogartikel über Mastodon geht derzeit bei Elon Musks Fanboys und in rechten Kreisen viral – zuletzt auch in einer Publikation des Ex-Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt. Es handelt sich um Desinformation mit einer Art Mastodon-Pizzagate, die sich perfekt in die Verschwörungsideologie von QAnon einreiht. Ein Kommentar.
https://netzpolitik.org/2022/desinformation-wie-die-fanboys-von-elon-musk-versuchen-mastodon-zu-diskreditieren/


+++HISTORY
Kanton St.Gallen liess Medikamentenversuche in psychiatrischen Kliniken prüfen – und hat keine Anzeichen auf grobes Fehlverhalten gefunden
In einer Pilotstudie befasste sich Marina Lienhard mit der Frage, ob zwischen 1950 und 1980 experimentelle Psychopharmaka-Versuche in psychiatrischen Kliniken des Kantons St.Gallen durchgeführt wurden. Offenbar wurden in vereinzelten Fällen Substanzen verabreicht, die noch nicht zugelassen waren. Mit einer Anlaufstelle will die Regierung Betroffene unterstützen.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/studie-kanton-stgallen-liess-medikamentenversuche-in-psychiatrischen-kliniken-pruefen-und-hat-keine-anzeichen-auf-grobes-fehlverhalten-gefunden-ld.2391123