Medienspiegel 25. November 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
In ehemaligem Hotel: Kanton Bern nimmt in Sornetan Kollektivunterkunft in Betrieb
Wegen steigender Zahl der Asylgesuchen: Ab nächster Woche werden im bernjurassischen Sornetan Geflüchtete aus Afghanistan und der Türkei untergebracht.
https://www.derbund.ch/kanton-bern-nimmt-in-sornetan-kollektivunterkunft-in-betrieb-769824329971


+++GLARUS
Porträt eines Flüchtlings aus Afghanistan (ab 17:45)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/staedte-suchen-nach-loesungen-fuer-paeckliflut?id=12292903


+++ZÜRICH
Platz für 190 Asylsuchende: Kanton nimmt weitere Asylunterkünfte in Betrieb
In der Zivilschutzanlage Mattenbach in Winterthur und in der Anlage Turnerstrasse in der Stadt Zürich werden Geflüchtete untergebracht. Dabei kritisiert der Kanton den Bund harsch.
https://www.tagesanzeiger.ch/kanton-nimmt-weitere-asylunterkuenfte-in-betrieb-427661319212
-> https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2022/11/kanton-nimmt-weitere-unterkuenfte-fuer-asylsuchende-in-betrieb.html
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/kanton-zuerich-nimmt-zwei-weitere-fluechtlings-unterkuenfte-in-betrieb-00199606/


+++SCHWEIZ
Steigende Asylgesuche: Die Schicksale hinter den Zahlen – Rendez-vous
Die Schweiz verzeichnet derzeit einen ausgesprochen starken Anstieg an regulären Asylgesuchen. Bund und Kantone sind am Anschlag und debattieren über neue Verteilschlüssel. Aber hinter all den Zahlen stecken tausende einzelne Schicksale von Menschen. Zum Beispiel das Schicksal von Ismail aus Afghanistan.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/steigende-asylgesuche-die-schicksale-hinter-den-zahlen?partId=12292825



derbund.ch 25.11.2022

So viele Geflüchtete wie noch nie: So meistert die Schweiz die Asylkrise

Der Berner SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg fordert eine restriktivere Asylpolitik. Doch was taugen die Rezepte seiner Partei wirklich?

Andres Marti

Der Berner SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg kritisiert die Asylpraxis des Bundes und fordert ein Umdenken: «Wir können es uns nicht mehr leisten, so viele Asylsuchende aufzunehmen», sagte er kürzlich in einem Interview mit dieser Zeitung.

Damit liegt Schnegg, der bei Corona-Massnahmen noch einen unabhängigen Kurs fuhr, wieder voll auf Parteilinie. Die SVP, die sich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine noch zurückhielt, empört sich inzwischen wieder fast täglich über die «masslose Zuwanderung» und die «Asylschmarotzer».

Glaubt man der Partei, deren Erfolg von jeher mit Asylzahlen korreliert, scheint die Schweiz kurz vor dem Kollaps zu stehen. Und je mehr Asylgesuche, desto schriller der Ton: So forderte Vizepräsident Marcel Dettling am Dienstag, die Schweiz müsse ihre Grenzen «endlich wieder» selbst schützen. «Notfalls mit der Armee.»

Historische hohe Flüchtlingszahlen

Tatsächlich sind die Flüchtlingszahlen in der Schweiz auf einem historischen Höchststand. Rund 90’000 Menschen sind dieses Jahr bereits hierher geflüchtet. Noch nie hat die Schweiz in einem Jahr mehr zivile Flüchtlinge aufgenommen. 71’000 stammen laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) aus der Ukraine, 18’000 aus anderen Ländern. Zusammen werden es bis Ende Jahr über 100’000 sein.

Vergleichen lässt sich die aktuelle Situation am ehesten mit dem 1998 ausgebrochenen Kosovokrieg. Damals stellten innerhalb von zwei Jahren mehr als 90’000 Menschen aus Serbien, Albanien und Bosnien-Herzegowina in der Schweiz ein Asylgesuch.

Die letzte Asylkrise erlebte die Schweiz 2015 und 2016, als über 66’000 Personen hier ein Asylgesuch stellten. Inzwischen hat die Schweiz ihr Asylsystem grundlegend reformiert, beschleunigte Verfahren eingeführt und die Kantone angewiesen, Unterkünfte in Reserve zu halten. Doch mit dem Ausbruch eines Krieges und Millionen Vertriebenen mitten in Europa hat niemand gerechnet.

Gleichzeitig steigt seit einiger Zeit die Anzahl von Asylsuchenden, die von ausserhalb Europas in die Schweiz einreisen. Auch hier wurden die Asylbehörden überrascht. Auch weil in der Vergangenheit die Zahlen im Herbst jeweils ab-, und nicht zunahmen.

Asylkrise ist «managebar»

Als Vorsteher der Integrationsdirektion muss Schnegg im Kanton Bern derzeit pro Woche um die 150 Flüchtlinge unterbringen. Besonders die hohe Anzahl unbegleiteter Minderjähriger, die meisten stammen aus Afghanistan, stellt die Kantone vor enorme Herausforderungen.

Anruf bei Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK). Wie läuft es in den anderen Kantonen? Stehen wir vor dem Kollaps? Zwar gebe es bei der Unterbringung und Betreuung regionale Unterschiede. «Doch insgesamt ist die Situation mit den Schutzsuchenden für die Kantone im Moment managebar», sagt Szöllösy. Immer noch würden ihr die Kantone wöchentlich um die 7000 freie Plätze melden.

Auch andere Fachleute sind vorsichtig optimistisch: «Bund, Kantone, Gemeinden und Private schaffen das», sagt etwa der Berner Migrationsexperte Eduard Gnesa, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Migration. Die Behörden hätten aus früheren Krisen gelernt.

Allerdings muss auch Gnesa einräumen, dass derzeit noch kaum abzuschätzen ist, wie viele noch kommen werden. Und wie viele es verträgt.

Grossteil kehrte zurück

Auch kann man nur mutmassen, wie viele nach dem Krieg wieder zurückkehren. Grundsätzlich gilt: «Je länger der Krieg dauert, desto eher werden die Flüchtlinge fix hierbleiben.» Laut Gnesa sind nach dem Kosovokrieg rund ein Drittel der Geflüchteten hiergeblieben.

Wie reagiert die Bevölkerung auf die rekordhohe Anzahl Geflüchteter? Eine kürzlich veröffentlichte repräsentative Studie des Meinungsforschungsinstituts Link legt nahe, dass inzwischen die Solidarität der Einheimischen mit den Geflüchteten aus der Ukraine bröckelt, «wenn auch auf hohem Niveau».

Als der Eishockeyclub SC Bern kürzlich bekannt gab, Ukraineflüchtlinge gratis an Spiele zu lassen, hagelte es in den sozialen Medien Hunderte, teilweise offen rassistische Kommentare erboster Fans.

Solidarität hält an

Zwar sind die Unterschiede zwischen den politischen Lagern gross. Aber selbst bei den rechten Wählerinnen und Wählern lehnen nur 30 Prozent die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine ab. Auch das anhaltende Engagement vieler Gastfamilien zeugt von einer bemerkenswert stabilen Solidarität.

Zuweilen wird den Ukraineflüchtlingen fehlende Dankbarkeit vorgeworfen. Insbesondere, wenn sie nicht dem hier geläufigen Stereotyp des anspruchslosen Flüchtlings entsprechen, stattdessen mit dem BMW die Kinder von der Schule abholen und sich über fehlende Kinderbetreuung wundern, wie Gastgeber berichten.

«Fantasielösungen» der SVP

Dass der Bundesrat kürzlich beschlossen hat, den Schutzstatus S für Personen aus der Ukraine bis zum Frühjahr 2024 beizubehalten, hat bei der SVP für Empörung gesorgt. Sie forderte daraufhin das Gegenteil: den Schutzstatus einzuschränken oder «schnellstmöglich» zu deaktivieren.

Zudem soll sich die Schweiz beim Umgang mit den Asylsuchenden von ausserhalb Europas künftig an Grossbritannien orientieren: Das Land hat die Durchführung der Asylverfahren zum Teil nach Ruanda ausgelagert.
Verteidigt das Schweizer Asylregime: Eduard Gnesa, ehemaliger

Andere Forderungen der SVP betreffen eine «Anpassung» der Genfer Flüchtlingskonvention. Der am rechten Rand der SP politisierende Rudolf Strahm schlägt ausserdem vor, dass Flüchtlinge künftig nur noch auf der Schweizer Botschaft in ihrem Heimatland einen Asylantrag stellen dürfen.

Migrationsexperte Gnesa kann diesen Forderungen wenig abgewinnen. In der Praxis seien sie allesamt nicht umsetzbar. «Die Auslagerung der Asylverfahren ausserhalb von Europa funktioniert höchstens auf dem Papier.»

Auch Botschaftsasyl sei nicht umsetzbar

Für Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern, sind die Vorschläge der SVP nicht umsetzbare «Fantasielösungen». Bei den Nachbarländern, namentlich Deutschland, käme eine Weigerung der Schweiz, Ukraineflüchtlinge aufzunehmen, sicher nicht gut an. Derzeit leben in Deutschland 1,2 Millionen, über 100’000 allein in Berlin.

Gnesa und Achermann verteidigen beide die Genfer Flüchtlingskonvention: Deren aktuelle Anwendung werde einem konkreten Schutz von verfolgten Personen immer noch gerecht. Das sieht auch der Bundesrat so, der sich kürzlich gegen eine Anpassung der Flüchtlingskonvention aussprach.

Auch der Vorschlag von Strahm mit dem Botschaftsasyl ist laut Gnesa in der Praxis nicht umsetzbar. Die Botschaften könnten die Asylgesuche schon administrativ nicht bewältigen. Ausserdem würden Länder wie Tunesien das Botschaftsasyl ablehnen, weil sie befürchteten, die abgelehnten Asylbewerber selbst aufnehmen zu müssen.

Im Vergleich mit anderen Ländern meisterte die Schweiz die Flüchtlingskrise gut, sind die Migrationsexperten überzeugt. In Belgien müssen die Flüchtlinge derzeit zum Teil auf der Strasse oder im Bahnhof übernachten, in Strassburg in überfüllten Zelten.

Einig sind sich beide auch darin, dass die Anzahl Asylsuchender langfristig aber wohl kaum abnehmen wird. Unklar sei zudem, wie künftig mit den Klimaflüchtlingen umgegangen werden soll.
(https://www.derbund.ch/so-meistert-die-schweiz-die-asylkrise-682784130235)



nzz.ch 25.11.2022

65’000 vorläufige Aufnahmen, nur 112 Ausschaffungen – Nationalrätin fordert Bund zum Handeln auf

Der Bund sei zu grosszügig, kritisiert SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann. Die Flüchtlingshilfe hingegen fordert mehr Rechte für vorläufig Aufgenommene – und einen neuen Status.

Kari Kälin

Sie werden durch das Assad-Regime zwar nicht individuell bedroht, doch eine Rückkehr nach Syrien ist wegen des Bürgerkriegs unzumutbar: In Konstellationen wie dieser dürfen Asylsuchende als vorläufig Aufgenommene in der Schweiz bleiben. Den Flüchtlingsstatus erhalten sie nicht. Der Bund überprüft periodisch, ob die vorläufige Aufnahme noch gerechtfertigt ist. Anlass zur Überprüfung können zum Beispiel eine veränderte geopolitische Lage oder ein Regimewechsel sein.

Aktuell leben rund 45’000 vorläufig Aufgenommene in der Schweiz, etwa zwei Drittel von ihnen stammen aus Afghanistan, Eritrea und Syrien. Sie befinden sich in einem ausländerrechtlichen Schwebezustand. Sobald eine Rückkehr in ihre Heimat zumutbar ist, droht ihnen die Wegweisung. In der Praxis passiert das fast nie. Zwischen 2011 und 2021 schafften die Behörden nämlich bloss 112 vorläufig Aufgenommene aus, wie der Bundesrat in einer Antwort auf einen Vorstoss von Nationalrätin Barbara Steinemann (SVP, ZH) schreibt. Im gleichen Zeitraum erteilte der Bund 65’126 vorläufige Aufnahmen, und etwa 35’000 Personen erhielten eine Aufenthaltsbewilligung.

«Unter dem Strich wird die vorläufige Aufnahme zu grosszügig erteilt», sagt Steinemann. Sie erwähnt Beispiele, in denen die erfolglose Jobsuche in der Heimat oder der nicht Alimente zahlende Ehemann ein Bleiberecht begründet hätten. Zum Teil habe das Bundesverwaltungsgericht die Kriterien für die vorläufige Aufnahme gelockert. Steinmann sagt: «Ich behaupte nicht, dass die Schweiz alle vorläufig Aufgenommenen zurückschicken könnte, in vielen Regionen sind die Umstände schwierig.» Sie fordert aber, der Bund solle vermehrt abklären, ob Personen zum Teil nicht in sichere Regionen eines Landes zurückgeschickt werden könnten.

Steinemann ist Mitglied der Sozialbehörde der Zürcher Gemeinde Regensdorf. Die Gemeinden müssten sehr hohe Kosten tragen für diverse Leistungen wie Kitas, Erziehungshilfe der Belastbarkeitstrainings, in denen beispielsweise Pünktlichkeit oder Sozialkompetenz geübt werde. Die Pauschale von 1500 Franken, die der Bund pro Person im Flüchtlingsbereich monatlich während einiger Jahre ausrichtet, genügt laut Steinemann niemals, um alle Ausgaben zu decken. Viele Personen bekundeten Mühe, sich in die Arbeitswelt zu integrieren. Und selbst wenn es gelinge, reiche der Lohn nicht aus für ein selbstständiges Leben.

Mehr als 80 Prozent beziehen Sozialhilfe

Gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik sind mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen auf Sozialhilfe angewiesen. Sieben Jahre nach Ankunft in der Schweiz haben bei beiden Gruppen etwa mehr als die Hälfte in der Arbeitswelt Fuss gefasst.

Mit der Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» ist der Bundesrat nicht glücklich. Er schlug vor, einen neuen Status «Schutzgewährung» zu schaffen. Dieser hätte vorläufig Aufgenommene in einigen Bereichen, zum Beispiel beim Familiennachzug oder bei der Ausbildung, rechtlich bessergestellt. Das Parlament lehnte das ab und beschloss stattdessen Verschärfungen, etwa bei Auslandreisen.

Flüchtlingshilfe verlangt Recht auf Familiennachzug

Gar nicht zufrieden mit den aktuellen Regeln ist die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH). Sie verlangt die Schaffung eines «humanitären Schutzes» anstelle der vorläufigen Aufnahme. Die Bezeichnung müsse die Schutzgewährung klar und positiv zum Ausdruck bringen, schreibt sie in einem Papier. Ein «vorläufig» dürfe nicht mehr enthalten sein. Dieser Begriff hemme die Arbeitsintegration, sagt SFH-Direktorin Miriam Behrens. Sie fordert eine rechtliche Gleichstellung von vorläufig aufgenommenen Personen mit anerkannten Flüchtlingen.

Dies würde zum Beispiel bedeuten, dass vorläufig Aufgenommene höhere Sozialhilfe bekämen, ein Recht auf Familiennachzug ohne dreijährige Wartefrist, Reisefreiheit, das Recht auf Kantonswechsel und die Hürden für eine Aufenthaltsbewilligung tiefer werden. «Vorläufig aufgenommene Menschen bleiben aufgrund der kriegerischen Konflikte in ihrem Herkunftsland oft mehr als 10 Jahre. Da wäre es für alle Beteiligten besser, wenn sie sich rasch integrieren und selbstständig leben können», sagt Behrens.
(https://www.tagblatt.ch/schweiz/fluechtlinge-von-65000-wurden-nur-112-ausgeschafft-macht-der-status-vorlaeufige-aufnahme-fuer-asylsuchende-noch-sinn-ld.2375965)


+++DEUTSCHLAND
Neue Migrationsroute: Bundespolizei greift immer mehr über Russland eingereiste Flüchtlinge auf
Immer mehr Migranten aus dem arabischen Raum nutzen nach SPIEGEL-Informationen eine neue Fluchtroute in den Westen. An deutschen Grenzen steigen die Aufgriffe von Personen, die über Russland kommen.
https://www.spiegel.de/panorama/migration-bundespolizei-greift-immer-mehr-ueber-russland-eingereiste-fluechtlinge-auf-a-43c0c97c-243a-4755-a221-697ed27a0975


+++FRANKREICH
Frankreich sucht die verschwundenen Migranten des Seenotrettungsschiffs «Ocean Viking»
Das Schiff einer Hilfsorganisation hat vor zwei Wochen im südfranzösischen Hafen Toulon angelegt. Doch wo sind die Migranten geblieben? Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin gerät in Erklärungsnot.
https://www.tagblatt.ch/international/mittelmeer-frankreich-sucht-die-verschwundenen-migranten-des-seenotrettungsschiffs-ocean-viking-ld.2378315?mktcid=smch&mktcval=twpost_2022-11-25


+++ITALIEN
tagesanzeiger.ch 25.11.2022

Italiens Flüchtlingspolitik: Meloni kultiviert falsche Mythen

Roms neue Rechtsregierung dringt darauf, dass sich Europa um die Migration im zentralen Mittelmeer kümmert. Doch ihr harter Umgang mit Migranten und Seenotrettern verletzt internationale Prinzipien und fusst auf dubiosen Thesen.

Oliver Meileraus Rom

Wie ein Déjà-vu. Als vor ein paar Wochen in Rom die harte Rechte mit der Postfaschistin Giorgia Meloni an der Spitze an die Macht kam, rückte plötzlich wieder die Migrationsfrage ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Priorität hat sie für die Italiener zwar keine, das zeigen die Umfragen: Viel wichtiger erscheinen ihnen der Krieg in der Ukraine und dessen Folgen, die allgemeine Inflation, die höheren Preise für Gas und Strom. Doch für die extreme Rechte ist der Kampf gegen Migranten und private Seenotretter nun mal eine wichtige Bühne, ihre liebste überhaupt. Daran erkennt man sie sofort, damit lässt sich Stimmung machen. Zur Not kann man damit auch von anderen Themen und Unzulänglichkeiten ablenken.

Das Zerwürfnis mit Paris über die Ocean Viking, das Schiff einer NGO mit 234 geretteten Migranten an Bord, zwang die Frage zum Umgang mit Bootsflüchtlingen im Mittelmeer nun auch auf die europäische Agenda. An diesem Freitag wollen die zuständigen Minister der EU über eine neue Praxis beraten. Ein Papier der Europäischen Kommission liegt schon vor, aber ob das reicht? Die zentrale Frage nach einer automatischen und obligatorischen Verteilung der Migranten, die im Süden des Kontinents ankommen, auf alle Mitgliedstaaten ist wieder nicht dabei.
Wochenlang harrten sie auf dem Schiff aus: Migranten sitzen an

Die Italiener hatten der Ocean Viking wochenlang verwehrt, in Italien anzulegen. Als dann Paris anbot, den Hafen im südfranzösischen Toulon zu öffnen, feierte die italienische Rechte das wie einen Triumph ihrer trotzigen Härte. Besonders laut feierte Matteo Salvini, Chef der mitregierenden Lega und Vizepremier. Er sah darin schon sein Comeback. Vor vier Jahren hatte er als Innenminister mit ähnlichen Hafenschliessungen die Welt umgetrieben. Nun ist Salvinis damaliger Kabinettschef Matteo Piantedosi Innenminister, und dessen Linie unterscheidet sich nur sehr unwesentlich von der seines früheren Chefs.

Salvini durchkreuzt Melonis Pläne

Salvinis Triumphgeheul ärgerte die Franzosen ganz fürchterlich: «Verantwortungslos» seien die Italiener, «unmenschlich» auch. Unter diesen Umständen, hiess es, möge man sich auch nicht mehr an alte Abmachungen halten. Die bereits zugesagte Übernahme von 3500 Migranten aus Italien? Vom Tisch! Über Salvini hat sich aber auch Meloni geärgert, zumindest wird das so kolportiert. Die zwei sind Alliierte und Rivalen zugleich: Was Salvini an Gunst im Volk verloren hat, gewann Meloni dazu, so wurde sie Premier. Nun versucht Salvini, möglichst viel davon zurückzugewinnen, mit der alten Masche und notfalls mit Querschlägen. Der diplomatische Casus gleich zum Start durchkreuzte Melonis Streben, in Europa als verlässliche und moderate Partnerin wahrgenommen zu werden.

In der Sache aber sind sich Meloni und Salvini weitgehend einig. Als Oppositionelle verbreitete die Chefin der Fratelli d’Italia oft die These eines «ethnischen Austausches», der angeblich von obskuren Mächten über die Masseninvasion orchestriert werde, um Europas Christen durch Muslime zu ersetzen. Die NGOs seien Helfer dieses Plans, finanziert von George Soros. Meloni predigte den «blocco navale», die Seeblockade: Die Schiffe der Migranten sollten vor Nordafrika abgefangen werden – alle. Nun redet sie anders, leiser auch. Weil Regieren etwas anderes ist als Opponieren. Weil der Staatspräsident und der Vatikan auf Deeskalation drängen. Und weil Italien Europa braucht, wenn sich etwas ändern soll.

Trägt Italien die Last für ganz Europa?

Die Italiener sagen immer, sie trügen die «Hauptlast». Aber stimmt das auch? Wahr ist, dass die Fluchtroute durch das zentrale Mittelmeer von allen Seewegen nach Europa derzeit die meist befahrene ist: Im laufenden Jahr erreichten bisher knapp 95’000 Migranten Italien. Dann kommt Spanien, mit viermal weniger. Wahr ist auch, dass die Zahl der Überfahrten nach Italien zuletzt gestiegen ist. Schaut man aber die Asylgesuche für 2021 an, steht Italien nur an vierter Stelle – hinter Deutschland, Frankreich und Spanien. Gemessen an der Bevölkerung ist Italien gar nur Nummer 15 in der EU. Und das, obschon das Dubliner Abkommen ja vorsieht, dass Migranten ihr Gesuch dort stellen müssen, wo sie als Erstes europäischen Boden betreten – also nicht selten in Italien. Die Zeitung «La Repubblica» titelte vor ein paar Tagen ihren Bericht über die «wahren Zahlen der angeblichen Invasion» von Migranten so: «Sie kommen hier an, dann ziehen sie weiter.»

Italiens Rechte behauptet auch, dass die Schiffe der NGOs das Problem verschärften, sie nennt sie maliziös «Taxis der Meere». Den Helfern wirft sie vor, sie würden mit libyschen Schleppern kooperieren und mit ihrer schieren Präsenz vor den Küsten Libyens als «Pull-Faktor» fungieren, als Magnete. Beides ist hinlänglich widerlegt, in Langzeitstudien und in etlichen Ermittlungen der Justiz. Doch das Narrativ hält sich: Internationale Seenotretter gelten in Italien mittlerweile fast pauschal als Feinde der Nation. In Wahrheit kommt aber nur ein sehr kleiner Teil der Migranten mit der Hilfe von NGOs nach Italien – nämlich zwischen 10 und 15 Prozent.

Alle anderen kommen mit Behelfsbarken oder als Gerettete an Bord von Frachtern und Schiffen der italienischen Marine oder Küstenwache. Geredet wird allerdings nur über die Seenotretter. Salvini und Piantedosi wollen nun wieder damit beginnen, die NGOs mit Geldstrafen zu belegen und ihre Schiffe zu beschlagnahmen. Hohe Geldbussen, muss man dazu wissen, gab es schon vor vier Jahren, für Salvini konnten sie gar nicht hoch genug sein. Doch am Ende wurde keine davon je bezahlt: Die NGOs wandten sich an die italienischen Gerichte, und die gaben ihnen recht.

Italien fordert, dass sich jene Länder um die Migranten kümmern sollen, unter deren Flagge das jeweilige Hilfsschiff fahre – also zum Beispiel Norwegen im Fall der Ocean Viking. Nun, die Forderung ist eine Provokation, juristisch ist sie nicht haltbar. Italien hat alle Konventionen unterzeichnet, die festlegen, wie eine Seenotrettung vonstattengehen soll. Im Wesentlichen heisst es da: Schiffscrews, die auf hoher See Menschen in Not antreffen, müssen diese retten und sich dann bei der zuständigen Koordinationsstelle melden, damit man ihnen den nächstmöglichen sicheren Hafen zuweist. Das gilt natürlich nicht nur für NGOs, sondern auch für Kommandanten von Güterschiffen, von Privatjachten, von Marinebooten. «Sicher» und «nächstmöglich» also: Im zentralen Mittelmeer sind das vor allem Malta und Italien. Die Ocean Viking rief die Koordinationsstelle in Rom 21-mal an. Geantwortet hat man ihr nicht.
(https://www.tagesanzeiger.ch/meloni-kultiviert-falsche-mythen-285602392871)


+++ALBANIEN
Forscher über Migration aus Albanien: „Es ist wie eine Krankheit“
Tausende Al¬ba¬ne¬r*in¬nen migrieren nach Großbritannien. Migrationsforscher Dhimiter Doka kennt die Gründe. Und fragt sich, warum er noch bleibt.
https://taz.de/Forscher-ueber-Migration-aus-Albanien/!5893905/


+++EUROPA
Innenminister der EU-Staaten beraten über illegale Migration
Ziel des Treffens ist es vor allem, den Streit über die Aufnahme von Bootsgeflüchteten zu entschärfen
https://www.derstandard.at/story/2000141195380/innenminister-der-eu-staaten-beraten-ueber-illegale-migration?ref=rss
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-11/mittelmeerroute-migration-eu-innenminister-bruessel?utm_referrer=https%3A%2F%2Ft.co%2F
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/eu-sondergipfel-fluechtlinge-italien-fordert-unterstuetzung?urn=urn:srf:video:0d24434e-ca51-491b-9d2e-cf83a0c0a10d
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168838.seenotrettung-italien-macht-druck.html
-> https://www.srf.ch/news/international/migrationsgipfel-in-bruessel-eu-kommission-bemueht-sich-um-mehr-zusammenarbeit


Wie kann Europa die Flucht- und Migrationskrise beenden?
Die EU will am Freitag bei einem Sondertreffen einmal mehr ein gemeinsames Agieren erreichen. Lösungsansätze gibt es, doch eine Umsetzung ist unwahrscheinlich
https://www.derstandard.at/story/2000141117710/wie-kann-europa-die-flucht-und-migrationskrise-beenden


Tödliche Politik an Europas Grenzen
Es war der bisher tödlichste Vorfall an Europas einziger Landgrenze mit Afrika: Im Juni versuchten fast 2000 Migranten, den Grenzzaun in Melilla zu überwinden. Mindestens 23 starben. Doch die Aufarbeitung des Dramas geht kaum voran – zu explosiv ist die Grenzpolitik in Nordafrika.
https://www.srf.ch/audio/international/toedliche-politik-an-europas-grenzen?id=12291082



nzz.ch 25.11.2022

Schlafwandelnd in die nächste Migrationskrise? Der Anstieg der illegalen Grenzübertritte macht die EU nervös

Die Zahl der Migranten, die über das Mittelmeer in die EU kommen, ist stark gestiegen. Dagegen sträubt sich vor allem Italien. Ein Aktionsplan der Kommission soll Abhilfe schaffen. Doch von Einigkeit unter den Europäern ist keine Spur.

Daniel Steinvorth, Brüssel

In Europa braut sich eine neue Krise zusammen. Auf der zentralen Mittelmeerroute versuchen derzeit doppelt so viele Migranten in die Europäische Union zu gelangen wie 2021. Über die westlichen Balkanstaaten haben sich bis September sogar fast dreimal so viele Menschen auf den Weg gemacht wie im Vorjahr. In Ländern wie Belgien und den Niederlanden kämpfen die Behörden mit überfüllten Asylzentren. Und zwischen Frankreich und Italien brach zuletzt ein heftiger Streit über die Aufnahme von Bootsflüchtlingen aus.

«Europa schlafwandelt gerade in die nächste Migrationskrise», glaubt Manfred Weber, der Chef der konservativen Europäischen Volkspartei. Löse die EU ihre Probleme an der Aussengrenze nicht, sei der grenzenlose Schengenraum in Gefahr, schrieb Weber kürzlich auf Twitter.

Kommission soll Frieden stiften

Das ist einfacher gesagt als getan, denn von einer gemeinsamen Lösung sind die Staaten weit entfernt. Wie sehr die Nerven blank liegen, zeigt die Episode um das Rettungsschiff «Ocean Viking» vor zwei Wochen: Italiens neue Rechtsaussen-Regierung hatte sich geweigert, das Schiff mit seinen rund 230 Migranten an Bord in einen italienischen Hafen einlaufen zu lassen. Die Crew der Hilfsorganisation SOS Méditerranée hatte die Menschen zuvor aus Seenot im Mittelmeer gerettet und Dutzende von Gesuchen gestellt, um in Italien oder Malta an Land zu gehen.
Ein Grossteil derjenigen, die über das Mittelmeer Europa erreichen, wird in Italien registriert.

Am Ende erklärte sich Frankreich bereit, die Migranten aufzunehmen. Zugleich warf Paris den Italienern einen schweren Verstoss gegen internationales Recht vor, weil Rettungsschiffe berechtigt seien, in den nächstgelegenen Hafen zu fahren. Die französische Regierung revanchierte sich, indem sie ihre Zusage zurücknahm, noch in diesem Jahr 3500 Migranten von Italien aufzunehmen.

Postwendend hiess es aus Rom, dass die eigene Aufnahmekapazität erschöpft sei. Man erfahre von anderen EU-Staaten keine Solidarität, und Schiffe wie die «Ocean Viking» förderten mit ihren Einsätzen generell das Geschäft von Schlepperbanden.

Um die Lage zu beruhigen, berief Tschechien, das in der EU derzeit den Ratsvorsitz innehat, ein Sondertreffen der 27 Innenminister ein. Und auch die Kommission machte sich ans Werk und erarbeitete auf Druck Italiens eilig einen Aktionsplan für die Mittelmeerroute. Doch weil es so schnell gehen musste, wärmte die Brüsseler Behörde nach Einschätzung von Diplomaten bloss eine Reihe alter Vorschläge auf.

Der Aktionsplan sieht vor, die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Durchreiseländern zu intensivieren und in Nordafrika ein neues Programm gegen Menschenschmuggel zu starten. Europas Grenzschutzagentur Frontex soll verstärkt mit Transitländern wie Libyen und Niger zusammenarbeiten. Zudem soll an einem neuen Rechtsrahmen für den Einsatz von Rettungsschiffen gearbeitet werden. Und schliesslich soll ein «Solidaritätsmechanismus» in Kraft treten, der es ermöglicht, freiwillig den Mittelmeerstaaten Migranten abzunehmen oder diese Länder anderweitig zu unterstützen.

All diese Punkte sind Teil eines Asyl- und Migrationspakts, den die Kommission bereits Ende 2020 präsentierte. Er kommt jedoch bis anhin kaum vom Fleck, weil die migrationspolitischen Vorstellungen der Mitgliedstaaten weit auseinanderklaffen.

Ylva Johansson, die Flüchtlingskommissarin der EU, räumte dies auch ein, als sie zu Wochenbeginn den Aktionsplan vorstellte und über den Anstieg der Migrationszahlen berichtete. Sie erklärte, dass – trotz der deklarierten Solidarität – bisher nur rund hundert Migranten aus Ankunftsländern wie Italien oder Griechenland Aufnahme in anderen EU-Staaten gefunden hätten. Zu Jahresbeginn hatte es Zusagen für die Umverteilung von 8000 Migranten gegeben.

Nur wenige politisch Verfolgte

Beim Thema Seenotrettung hatte Johansson Schwierigkeiten, klare Aussagen zu machen. Es gebe eine «rechtliche Verpflichtung, Leben zu retten», betonte die Schwedin. Es sei auch notwendig, dass alle beteiligten Akteure bei den Rettungseinsätzen kooperierten. Gleichwohl würden nur die wenigsten über das Mittelmeer Ankommenden wegen politischer Verfolgung ihre Heimat verlassen. «Wir müssen bedenken, dass eine deutliche Mehrheit der Menschen, die heute über diese zentrale Mittelmeerroute ankommen, keinen internationalen Schutz braucht», sagte Johansson.

Es ist jedoch längst nicht nur das Mittelmeer, das den Europäern Sorge bereitet. Österreichs Innenminister Gerhard Karner und seine Amtskollegen aus den Visegrad-Staaten hatten im Vorfeld des Sondertreffens in Brüssel gefordert, auch den Migrationsbewegungen auf dem Balkan mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Allein für den Monat Oktober hatte Frontex 22 300 irreguläre Grenzübertritte auf der westlichen Balkanroute gezählt, dreimal so viel wie vor einem Jahr.

Niemand hatte ernsthaft erwartet, dass es bei dem Treffen zu mehr als einem Meinungsaustausch reichen würde. Man werde «kontinuierlich» am «Aufbau eines widerstandsfähigeren Migrations- und Asylsystem» arbeiten, berichtete Tschechiens Innenminister Vit Rakusan am Freitagabend. Auch im Streit zwischen Paris und Rom sah es düster aus. Man werde dabei bleiben, erklärte der französische Innenminister Gérald Darmanin, die zugesagten Migranten aus Italien erst zu übernehmen, sobald Rom seine Häfen für Rettungsschiffe öffne.
(https://www.nzz.ch/international/schlafwandelnd-in-die-naechste-migrationskrise-der-anstieg-der-illegalen-grenzuebertritte-macht-die-eu-nervoes-ld.1714057)


+++LIBYEN
Libyen schiebt mehr als 200 illegale Einwanderer ab
Libyen hat am Donnerstag mehr als 200 illegal eingereiste Einwanderer zurück in ihre Herkunftsländer geschickt. Unter den Abgeschobenen hätten sich «105 Ägypter, 101 Tschader und 20 Sudanesen» befunden, sagte Behördenvertreter Badreddine al-Sed Ben Hamed der Nachrichtenagentur AFP. Ermöglicht wurde die Abschiebung durch eine seltene Übereinkunft zwischen den rivalisierenden Regierungen im Land.
https://www.watson.ch/international/libyen/379015915-libyen-schiebt-mehr-als-200-illegale-einwanderer-ab


+++GASSE
Schweizer Tafel ist überlastet
4’700 Tonnen Esswaren mit einem Wert von 31 Millionen Franken. Dies sammelt die Schweizer Tafel jedes Jahr. Sie holen einwandfreie, aber übriggebliebene Lebensmittel bei Grossverteilern und Produzenten ab und verteilen diese an Obdachlosenheimen, Gassenküchen oder anderen Hilfswerken. Von Armut betroffene Menschen profizierten so von bis zu 9 Millionen Mahlzeiten im Jahr. Viele Grossverteilder oder Händerl haben jedoch mittlerweilen ihre eigenen Projekte gegen Food Waste. Und genau dies wird zum Problem für die Schweizer Tafel.
https://www.tele1.ch/nachrichten/schweizer-tafel-ist-ueberlastet-148912005


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Demo in der Innenstadt: Gegen Gewalt an Frauen und Queers – Hunderte ziehen durch Zürich
Am Freitagabend haben ein paar hundert Menschen in Zürich gegen Gewalt an Frauen und queere Personen demonstriert. Die Demonstrierenden sollen mehrere Fassaden versprüht haben.
https://www.20min.ch/story/gegen-gewalt-an-frauen-und-queers-hunderte-ziehen-durch-zuerich-955738959416
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/fuer-frauen-gegen-patriarchat-demonstrierende-ziehen-durch-zuercher-innenstadt-148914264


Bis 10. Dezember: «Gibt noch viel zu tun»: Aktionstage sollen auf Feminizide aufmerksam machen
Am Freitagmittag wurde auf dem Berner Bahnhofsplatz die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» lanciert. Im Zentrum stehen die sogenannten Femizide oder Feminizide, also Morde an Frauen.
https://www.baerntoday.ch/bern/stadt-bern/gibt-noch-viel-zu-tun-aktionstage-sollen-auf-feminizide-aufmerksam-machen-148909536


„Die Basler Polizei schiesst gerade mit Tränengas auf die Demo zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen! #InternationalerTaggegenGewaltanFrauen #basel #stephanieeymann

Jetzt schiessen sie auch noch mit Gummischrot! Die Demoteilbehmerinnen mussten in umliegende Restaurant flüchten!

Massiver Gummischroteinsatz! Hier ein kleiner Teil
https://pbs.twimg.com/media/FibzHP_aMAAahfB?format=jpg&name=small
(https://twitter.com/BaselBlock/status/1596218542843518976)


Nach Protesten in Zürich: Kantonspolizei bittet Klimaaktivisten zur Kasse
Drei Mal haben Klimaaktivisten von «Renovate Switzerland» in den vergangenen Wochen die Strassen blockiert. Nun will ihnen die Kantonspolizei die Einsatzkosten verrechnen.
https://www.tagesanzeiger.ch/kantonspolizei-bittet-klimaaktivisten-zur-kasse-175985888903
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/strassenblockaden-werden-teuer-kantonspolizei-zuerich-bittet-klima-kleber-zur-kasse-id18085495.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/410025086-kantonspolizei-zuerich-bittet-klimaaktivisten-zur-kasse
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/kantonspolizei-zuerich-bittet-klimaaktivisten-zur-kasse-00199569/
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/kantonspolizei-zuerich-bittet-klimaaktivisten-zur-kasse-148912842
-> https://www.20min.ch/story/klimaativisten-werden-in-zuerich-zur-kasse-gebeten-932904671040



nzz.ch 25.11.2022

Illegale Klima-Demos in Zürich: Rückt die Kantonspolizei aus, gibt es eine Rechnung. Kommt die Stadtpolizei, ist es gratis

Die Stadt Zürich verzichtet konsequent darauf, den Organisatoren von unbewilligten Kundgebungen den Polizeieinsatz zu verrechnen. Dabei kann ein einziger Tag mehrere hunderttausend Franken kosten.

Zeno Geisseler

Ein Freitagmorgen Mitte Oktober in der Stadt Zürich. Kurz vor acht Uhr, mitten im Berufsverkehr, sperren Klimaaktivisten von Renovate Switzerland die fünfspurige Bellerivestrasse beim Sechseläutenplatz. Zwei Personen kleben sich an der Fahrbahn fest, Schilder mit Slogans werden auf der Strasse aufgestellt. Die Polizei ist schnell vor Ort, trotzdem dauert es rund eine halbe Stunde, bis der Verkehr wieder rollt. Wenige Tage zuvor hatte die Organisation bereits die Hardbrücke blockiert.

Die unbewilligten Aktionen sorgen für Aufsehen, Staus und Ärger – und für Diskussionen. Was ist, wenn andere Menschen zu Schaden kommen, weil wegen der Blockade Ambulanz oder Feuerwehr zu spät kommen? Und wer trägt eigentlich die ganzen Kosten? Genau zu diesen Punkten haben drei Mitglieder des Zürcher Kantonsparlaments von der Regierung Auskunft verlangt. Jetzt liegt die Antwort vor.

Auf Antrag der Sicherheitsdirektion hält die Regierung fest, dass die Teilnahme an unbewilligten Kundgebungen mit Verkehrsblockaden strafbar ist. Es könne um Nötigung gehen, um eine Störung des öffentlichen Verkehrs oder um eine Verletzung des Strassenverkehrsgesetzes. Es sei auch inakzeptabel, dass Einsatzkräfte wegen der Blockaden möglicherweise nicht rechtzeitig ans Ziel gelangen könnten.

Die Aktionen sind aber nicht nur illegal, sondern möglicherweise auch sehr teuer. Der Kanton Zürich will Polizeieinsätze bei Strassenblockaden nämlich in Rechnung stellen. «Die Kantonspolizei wird in solchen Fällen entsprechenden Kostenersatz einfordern», sagt der Sicherheitsdirektor Mario Fehr auf Anfrage.

Zwingend notwendig wäre das nicht. Eine Kostenübernahme ist im kantonalen Polizeigesetz zwar vorgesehen, aber optional. Dort heisst es, die «Polizei kann (. . .) Kostenersatz verlangen». Es gibt also einen Ermessensspielraum. Genau diesen wollten die Bürgerlichen im Zürcher Kantonsparlament bereits vor zwei Jahren einschränken. Damals diskutierte der Rat darüber, im Polizeigesetz die «kann»-Formulierung durch «muss» zu ersetzen. Die Mehrheit des Rats lehnte eine entsprechende Forderung der FDP aber ab.

Nun wird sie abgeschwächt also doch noch umgesetzt. Die Kantonspolizei muss zwar keine Rechnungen verschicken – aber sie wird.

Renovate Switzerland will an ihren Aktionen festhalten

Dass die Sicherheitsdirektion betont, für illegale Strassenblockaden seien nicht nur Bussen zu verteilen, sondern auch Rechnungen zu verschicken, kann als kleiner Seitenhieb an den links-grünen Zürcher Stadtrat verstanden werden. Dieser beurteilt die Situation nämlich ganz anders.

Die grösste Stadt der Schweiz ist ein Demonstrations-Hotspot; letztes Jahr gab es 360 Kundgebungen, jede dritte davon war nicht bewilligt. Doch die Stadtregierung verschickt prinzipiell keine Rechnungen für Polizeieinsätze. «Es gehört zum Grundauftrag der Polizei, Demonstrationen zu begleiten, das wird nicht verrechnet», sagt Mathias Ninck, der Sprecher des Stadtzürcher Sicherheitsdepartements.

Dabei geht es um substanzielle Kosten. Fast 700 000 Franken kosteten nur schon die Einsätze der Zürcher Stadtpolizei im Rahmen einer «Klimawoche» von Extinction Rebellion im Oktober 2021. Dies teilte die Stadtregierung in einer Antwort auf eine Anfrage aus dem Parlament mit. Knapp 300 000 Franken davon fielen an einem einzigen Tag an. Aufs Jahr gerechnet sind das Millionen, welche von der Allgemeinheit getragen werden.

Cécile Bessire von Renovate Switzerland sagt, dass sie bis jetzt noch nicht mit Rechnungen für Polizeieinsätze konfrontiert worden seien. «Die einzigen Kosten, die wir hatten, waren Bussen und die Aufwendungen für den Rettungsdienst, der unsere Leute von der Strasse loslöste.» Im Kanton Genf habe ein solcher Einsatz etwa 500 Franken gekostet.

Renovate Switzerland werde sich aber durch höhere Kosten nicht davon abbringen lassen, weiter auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. «Solange unsere Forderungen nicht erfüllt werden, werden wir weiter auf die Strasse gehen und die Konsequenzen tragen. Es gibt keinen anderen Weg.»

Maximal 30 000 Franken Kosten

Mit den Kosten von Polizeieinsätzen befasst sich auch die soeben eingereichte «Anti-Chaoten-Initiative» der Zürcher Jungen SVP. Die Initiative verlangt unter anderem, dass Veranstalter illegaler Demonstrationen für die Kosten geradestehen sollen. Weil es sich um eine kantonale Initiative handelt, wäre die Regelung auch für die Gemeinden verbindlich. Schlupflöcher wie in der Stadt Zürich sollen also geschlossen werden.

«Es kann doch nicht sein, dass die Verrechnung der Kosten davon abhängt, ob die Kantonspolizei oder die Zürcher Stadtpolizei an eine unbewilligte Demonstration ausrückt», sagt Camille Lothe. Die Präsidentin der Stadtzürcher SVP ist Vizepräsidentin des Initiativkomitees. «Das wäre auch gegenüber den Demonstranten unfair. Es braucht eine klare und einheitliche Regelung.»

Die Anti-Chaoten-Vorlage ist als allgemeine Anregung formuliert, das heisst, bei einer Annahme müsste der Kantonsrat entscheiden, welche Gesetze geändert werden sollen. Lothe sagt, dass insbesondere das Polizeigesetz angepasst werden müsse, und zwar unabhängig davon, ob ihre Initiative angenommen werde oder nicht.

Denn aus einem Bundesgerichtsurteil von 2017 gehe hervor, dass es eine genaue gesetzliche Regelung brauche, wie Polizeieinsätze zu verrechnen seien. Es brauche sowohl ein Kostendach als auch einen Verteilschlüssel. Ein allgemeiner Passus, wonach die Kosten einfach überwälzt würden, sei gerichtlich wohl anfechtbar.

Wie ein solches Gesetz aussehen könnte, zeigen die Kantone Luzern und Bern. Dort können Gemeinden die Kosten des Polizeieinsatzes sowohl Veranstaltern einer nicht bewilligten Demonstration wie auch Einzelpersonen in Rechnung stellen.

Dies aber nur dann, wenn es zu Gewalt oder Sachbeschädigung kommt. Ausserdem ist der Rechnungsbetrag begrenzt auf 10 000 Franken beziehungsweise auf 30 000 Franken in besonders schweren Fällen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/stadt-zuerich-polizeieinsatz-ist-fuer-illegale-demos-kostenlos-ld.1713855)



bzbasel.ch 25.11.2022

Wer bezahlt die Polizeieinsätze bei Aktionen der Klima-Kleber?

Der Zürcher Regierungsrat sieht in den Aktionen der Klimaaktivistinnen und -aktivisten eine Gefahr für die Sicherheit. Stadt und Kanton sanktionieren sie auf ganz unterschiedliche Weise.

Sven Hoti

Anfang November starb in Berlin eine Velofahrerin nur wenige Tage nach einem schweren Verkehrsunfall. Der Vorfall sorgte über die deutsche Grenze hinaus für Schlagzeilen. Der Grund: Klimaaktivisten hatten sich an die Strasse «geklebt» und damit unter anderem ein spezielles Rettungsfahrzeug blockiert. Gemäss einem internen Vermerk der Berliner Feuerwehr war das Spezialfahrzeug für den Rettungseinsatz aber nicht nötig gewesen. Demnach sind die Aktivisten somit nicht schuld am Tod der 44-Jährigen.

Dennoch stellen sich Fragen zu solchen Blockade-Aktionen, wie sie auch im Kanton Zürich in den letzten Wochen schon mehrfach stattfanden. Die Kantonsräte Markus Schaaf (EVP, Zell) und Daniel Wäfler (SVP, Gossau) sowie Kantonsrätin Yvonne Bürgi (Mitte, Rüti) haben deshalb vor kurzem eine Anfrage beim Zürcher Regierungsrat eingereicht.

Konkret wollten sie vom Regierungsrat wissen, wer für die Arbeit der Einsatzkräfte bei solchen Aktionen aufkommen muss und wie es mit der Haftung aussieht, wenn verletzte Personen aufgrund einer Blockade weiteren Schaden nehmen.

Die Kapo würde den Einsatz in Rechnung stellen

In seiner kürzlich veröffentlichen Antwort hält der Regierungsrat fest, dass die Teilnahme an unbewilligten Kundgebungen, die bewusst Verkehrsblockaden bewirken, strafbar ist. Teilnehmende könnten sich der Nötigung, der Störung des öffentlichen Verkehrs, der Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, der Verletzung von Strassenverkehrsvorschriften oder weiterer Straftatbestände schuldig machen.

Die Polizei könne von den Verursachern des Polizeieinsatzes Kostenersatz verlangen, wenn diese vorsätzlich oder grobfahrlässig gehandelt haben. Die Kantonspolizei werde einen solchen künftig einfordern, heisst es in der Antwort des Regierungsrats. Eine Haftung gegenüber Dritten wiederum richte sich nach Privatrecht. Die Beweislast liege bei der oder dem Geschädigten.

Die Blockaden würden das Risiko, dass Einsatzkräfte nicht rechtzeitig an den Einsatzort gelangen, «erheblich erhöhen, was aus Sicht der Sicherheit inakzeptabel ist», heisst es in der Regierungsratsantwort. «Daran ändert auch eine vorgängige Information der Einsatzkräfte nichts.»

Markus Schaaf, Erstunterzeichner der Anfrage, zeigt sich zufrieden mit der Antwort des Regierungsrats. Einerseits, weil der Regierungsrat so schnell geantwortet habe. Andererseits schaffe dieser mit seiner Antwort nun Klarheit für die Arbeit der Einsatzkräfte. «Das Verhalten dieser Klimaaktivisten ist illegal und gefährlich. Deshalb sollen ihnen die damit verbundenen Aufwendungen in Rechnung gestellt werden.»

In der Stadt Zürich übernimmt der Steuerzahler

Aktivistinnen und Aktivisten von Renovate Switzerland hatten sich in den vergangenen Wochen an mehreren Orten an Strassen geklebt. Im Kanton Zürich ist es bisher drei Mal zu solchen Blockaden gekommen. Alle drei Aktionen fanden in der Stadt Zürich statt; betroffen waren am 8. Oktober die Hardbrücke, am 14. Oktober das Utoquai und am 19. Oktober die Ausfahrt der A3 beim Sihlhölzli.

Die Bewegung fordert eine rasche thermische Gebäudesanierung im ganzen Land, um so aus den fossilen Energien aussteigen zu können. Dazu soll der Bund vier Milliarden in die Ausbildung entsprechender Bauberufe investieren.

Durch ihre Klebe-Aktionen möchten die Aktivistinnen und Aktivisten auf ihr Anliegen aufmerksam machen. In der Bevölkerung sorgen sie damit allerdings auch immer wieder für Unmut. Manche Kritikerinnen und Kritiker möchten sie für die Polizeieinsätze zur Kasse bitten. Im Falle der drei Aktionen in der Stadt Zürich jedoch trägt die öffentliche Hand die Kosten. «Die Aktionen werden im polizeilichen Grundauftrag abgehandelt», sagt ein Sprecher der Stadtpolizei.

Nicht für den Polizeieinsatz, aber für die unbewilligte Kundgebung und die damit verbundene Strassenblockade könnten die Aktivistinnen und Aktivisten zur Kasse gebeten werden. Die Stadtpolizei hat über ein Dutzend Personen zur Anzeige gebracht. Es geht dabei etwa um die Störung des öffentlichen Verkehrs und Nötigung. Die Oberstaatsanwaltschaft bestätigt auf Anfrage, dass mehrere Verfahren im Zusammenhang mit den Aktionen hängig sind.

SVP-Initiative will klares Vorgehen bei Demos

Das unterschiedliche Vorgehen der Stadt und des Kantons Zürich ist auch schon in der Politik angekommen. Die kürzlich eingereichte Anti-Chaoten-Initiative der Jungen SVP Kanton Zürich verlangt, dass die Veranstalter von Kundgebungen für Polizeieinsätze und entstandene Schäden auf jeden Fall selber aufkommen müssen. Bis anhin stand im kantonalen Polizeigesetz lediglich ein «kann».

Jedes Polizeikorps kann somit vorgehen, wie es will. Wie die Antwort des Regierungsrats nun zeigt, ist der Fall für die Kantonspolizei in solchen Fällen klar: Die Aktivistinnen und Aktivisten müssten für den Einsatz aufkommen, würden solche Aktionen ausserhalb der Stadt Zürich durchgeführt. Käme die Initiative vors Volk und würde sie angenommen, so müsste auch die Stadt Zürich mitziehen.

Gegenüber der NZZ betonte eine Sprecherin von Renovate Switzerland, dass sie sich durch Strafen nicht von ihrem Anliegen abbringen lassen werden. «Solange unsere Forderungen nicht erfüllt werden, werden wir weiter auf die Strasse gehen und die Konsequenzen tragen. Es gibt keinen anderen Weg.»

Bislang wurden noch kein Krankenwagen gestört

Mit ihren Aktionen sorgen die Klimaaktivistinnen und -aktivisten zwar für Stau und viel Frust bei den Betroffenen. Situationen wie die eingangs erwähnte in Berlin gab es in Zürich aber glücklicherweise noch nicht.

Für Schutz & Rettung Zürich hätten sie noch keine grösseren Probleme dargestellt, teilt Mediensprecher Urs Eberle auf Anfrage mit. «Bis anhin hat es keinen konkreten Fall gegeben, bei dem ein Einsatzfahrzeug verspätet angekommen oder jemand zu Schaden gekommen ist aufgrund solcher Aktionen.»

Gleichzeitig betont Eberle: «Jeder verursachte Stau und die damit verbundene Verzögerung – insbesondere, wenn Einsatzfahrzeuge nicht ausweichen können – kann gefährlich sein für eine Rettungsaktion.»
(https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/kanton-zuerich-wer-bezahlt-die-polizeieinsaetze-bei-aktionen-der-klima-kleber-ld.2378406)


+++ARMEE
«Pilum 22»: Truppenübung der Armee im Aargau – Schweiz Aktuell
In der Nacht auf Freitag hat das Aufklärungsbataillon 11 der Schweizer Armee im Rahmen der Grossübung «Pilum 22» gemeinsam mit der Kantonspolizei Aargau einen Echteinsatz durchgeführt. Dabei waren unter anderem verschiedene Grosskontrollen angesetzt.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/pilum-22-truppenuebung-der-armee-im-aargau?urn=urn:srf:video:80622460-843d-45e9-8406-403d9c5bd561
-> https://www.telem1.ch/aktuell/grosskontrolle-militaer-und-polizei-ziehen-einen-autolenker-mit-16-promille-aus-dem-verkehr-148912931



luzernerzeitung.ch 25.11.2022

Die Militärübung in Triengen, die wir nie gesehen haben

Bei der grössten Übung der Armee seit 33 Jahren hätten wir gerne einen Augenschein vor Ort genommen. Bekommen haben wir viele Versprechungen – einen Leopard in Action jedoch nie. Eine Odyssee, die mehr über das Schweizer Militär aussagt, als ihm lieb ist.

Jonas Hess

Eigentlich hätte dieser Text ganz anders beginnen sollen. Mit der Szene eines Leopard-Panzers, der über die Sure nahe Triengen setzt, oder einem Soldaten, der im Dreck watet. Beides sollte sich aber nur im Kopf des Autors abspielen. Denn diese Szenen, die während der Militärübung «Pilum» (siehe Kasten) bestimmt irgendwo in der Schweiz so stattfanden, bekamen wir nie zu Gesicht.

Aufgeboten wurde diese Zeitung am Donnerstag um 14 Uhr. Treffpunkt: Flugplatz Triengen. In der Nähe soll eine Übung mit der «mechanisierten Brigade 11» stattfinden. «Dort geht es dann ab», versprach der Kommunikationsverantwortliche, nennen wir ihn Oberstleutnant Steiger, einen Tag zuvor am Telefon.

In Triengen trafen neben dem Autor dieser Zeilen auch der Fotograf und eine Journalistin eines anderen Mediums ein. Von Panzern war nichts zu sehen. Offizier Steiger und sein ebenfalls im Tarnanzug eingekleideter Begleiter beschieden uns, dass wir zuerst «verschieben» müssten, also den Standort wechseln.

Wo ist der Kommandant?

Fünf Autominuten später erreichten wir eine Wiese mitten im Surental. Oberstleutnant Steiger deutete auf den Fluss und erklärte, dass dieses natürliche Hindernis von der Panzerbrigade 11 überwunden werden sollte, damit die Truppen «das Gelände vor dem Feind sichern» können. So weit zur Übungsanlage. In der Praxis fehlten aber auch hier die Panzer. Stattdessen standen einige Militärs um einen mit Plachen und Holzhaufen erstellten Lageplan.

Schnell stellte sich heraus: Die Übung war auf einen Tag später angesetzt. Steiger war die Situation sichtlich unangenehm. Er wollte uns so nicht ziehen lassen und schlug ein Interview mit dem Brigadekommandanten der Panzerbrigade 11 vor. «Diese Gelegenheit haben Sie nicht immer», befand er. Es gab nur ein Problem: Der Kommandant war nicht «auf Platz». Er komme bald, versicherte man uns. Aber auch 15 Minuten später war von ihm nichts zu sehen.

Oberstleutnant Steiger sprach derweil erstaunlich offen über die Probleme der Bodentruppen. Unter anderem bestätigte er, dass viele der eingesetzten Fahrzeuge bald ihr Nutzungsende erreicht hätten und es teilweise schwierig sei, an Ersatzteile heranzukommen.

Nach fast einer Stunde kam der Kommandant schliesslich doch noch. Freundlich beantwortete er die Fragen. Aber auch er konnte nicht zaubern. Eine Übung fand an diesem Tag keine mehr statt. Wir wollten deshalb am Folgetag nochmals kommen. Oberstleutnant Steiger versicherte, uns über Zeit und Ort noch am selben Abend zu informieren.

Übung wurde abgebrochen

Auch der neue Tag brachte kein Glück. Das versprochene E-Mail mit den nötigen Informationen war nicht angekommen. Anruf bei Oberstleutnant Steiger. Nun war auch sein Optimismus dahin. «Es geht also weiter.» Und damit meinte er nicht die Übung. Nachdem er einen Fluch ausgesprochen hatte, versicherte er: «Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass Sie eine Antwort erhalten.»

Die Antwort kam 20 Minuten später. Ein anderer Offizier war nun in Triengen. Auf die Frage, wann denn die Übung beginne, sprach er von der «Auslösung der ersten Phase». Wann genau über den Fluss gesetzt wird, könne er nicht sagen. Auch nicht ungefähr. Er verlangte die Handynummer und versprach, Standort und Zeit zu senden. Dann sagte er noch: «Ich mache mich nun auf die Suche nach einer kompetenten Person mit einem Zeitplan.»

Danach herrschte zwei Stunden Funkstille. Auf erneute Rückfrage war klar, warum: Die Übung war abgebrochen worden. Grund: ein Hydraulikproblem beim Brückenpanzer. Das Problem werde nun überprüft, erklärte der Offizier und verwies auf einen zweiten Durchgang, der am Sonntag stattfinde. Dann ist auch die Bevölkerung eingeladen. Ein Tipp an alle Besucherinnen und Besucher: am besten den ganzen Tag einplanen.



Fünf Kantone, Dutzende Panzer, 5000 Teilnehmende

Die Militärübung «Pilum» soll gemäss dem Verteidigungsdepartement VBS die Grundbereitschaft der Bodentruppen überprüfen. Zum Einsatz kommen vier mechanisierte Bataillone, ein Logistikbataillon sowie eine Gebirgsinfanteriekompanie. Die dutzenden Panzer und Fahrzeuge sind seit dem 22. November in den Kantonen Bern, Solothurn, Aargau, Luzern und Zürich unterwegs. Insgesamt nehmen 5000 Angehörige der Armee daran teil. Die letzte vergleichbare Übung wurde gemäss einer Mitteilung vom VBS 1989 durchgeführt.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/kanton-luzern/armee-die-militaeruebung-in-triengen-die-wir-nie-gesehen-haben-ld.2377254)


+++REPRESSION DE
Gruppe »Letzte Generation«: Harsche Kritik an Aktivisten nach Flughafenaktion
Aktivisten klebten sich auf dem Hauptstadtflughafen BER fest und legten damit den Betrieb lahm. Die Kritik an den Aktionen wird nun immer schärfer, Abgeordnete fordern härtere Strafen.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/letzte-generation-harsche-kritik-an-aktivisten-nach-flughafen-aktion-a-d53c3a6c-4824-45e8-b9e2-db1ba47cef9d
-> https://www.derstandard.at/story/2000141195659/harsche-kritik-an-letzter-generation-nach-flughafen-aktion-in-berlin?ref=rss
-> https://taz.de/Aktion-der-Letzten-Generation/!5898209/
-> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-11/letzte-generation-blockade-ber-flughafen-reaktionen?utm_referrer=https%3A%2F%2Ft.co%2F


+++KNAST
derbund.ch 25.11.2022

Schwer kranke Gewalttäter: Ein Mörder kämpft für ein humanes Sterben

Die Zahl der Verwahrten nimmt zu. Sie werden alt, sie brauchen Pflege, sie sterben. Doch wie geht das hinter Gittern?

Bernhard Ott

Der schmächtige Mann hinter der FFP2-Maske im Besuchszimmer der Justizvollzugsanstalt Thorberg (JVA) wirkt fast scheu. Er sei einst 120 Kilogramm schwer gewesen, sagt er. Wegen der Metastasen im Unterleib sei seine Verdauung beeinträchtigt. Heute wiege er noch 67 Kilo. «Ich müsste eigentlich längst tot sein.»

Der 54-jährige C. hat Krebs im Endstadium. Er wurde vor ein paar Jahren wegen mehrfachen Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem sprach das Gericht eine Verwahrung aus. Bei der Diagnose vor einem Jahr betrug seine Lebenserwartung zwölf Monate. Seither wird er palliativ behandelt: Chemotherapie und Morphin gegen die Schmerzen. Der Tumor hat sich vom Magen-Darm-Trakt in Galle, Niere, Leber und Lunge ausgebreitet.

Der letzte Wunsch

Aber C. lebt. Und er hat einen letzten Wunsch. Er möchte zu Hause oder in einem Pflegeheim oder einem Hospiz sterben. Doch stattdessen wird er zwischen dem Thorberg und der Bewachungsstation des Inselspitals (Bewa) hin- und herverfrachtet. Die Bewa ist ein Spitalgefängnis. Dort werden erkrankte Inhaftierte beider Geschlechter aus der ganzen Schweiz behandelt, da die Gefängnisse für schwere Pflegefälle nicht eingerichtet sind.

«Solange ich stehen kann, behalten sie mich im Thorberg. Sobald ich Pflege brauche, komme ich in die Bewa.» Wie oft C. im letzten Jahr hin- und hergeschoben wurde, kann er nicht sagen. «Ungefähr alle zwei Wochen.»

Sterben möchte er in der Bewachungsabteilung auf keinen Fall. Denn dort ist das Beisein der Angehörigen im Krankenzimmer nicht möglich, schon gar nicht rund um die Uhr, wie das in der Sterbephase einem Bedürfnis vieler entspricht. «Auch ein Verbrecher hat das Recht, in Würde zu sterben», sagt C.

Wie C. scheint es einigen Straftätern zu gehen, deren letzte Stunde naht. Denn obwohl die Inhaftierten aufgrund der längeren Strafen und der steigenden Anzahl von Verwahrungen immer älter werden, hat die Gesellschaft bisher keinen geregelten Umgang damit gefunden.

Wie sollen Schwerverbrecher sterben? Wie viel Menschlichkeit wird ihnen am Lebensende gewährt? Bleiben Sie auf jeden Fall hinter Gittern und müssen dort unter Umständen ohne Angehörige sterben? Oder können Sie in eine «normale» Spitalabteilung, ein Pflegeheim oder ein Sterbehospiz?

Die Kritik der Forschungsgruppe

Eine Forschungsgruppe des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern hat im Rahmen des nationalen Forschungsprogramms «Lebensende» die Situation in den Gefängnissen untersucht. Sie kam 2016 zu einer eindeutigen Antwort: «Grundsätzlich sollte niemand gegen seinen Willen im Justizvollzug sterben müssen.» Für die Gruppe ist klar, dass bei einem Menschen die Logik des Vollzugs am Lebensende ausgeblendet werden sollte. Doch ist das realistisch?

Dem Wunsch nach einem menschenwürdigen Sterben steht das Bedürfnis der Gesellschaft nach Schutz vor gefährlichen Gewalttätern gegenüber. Das wird von der Forschungsgruppe nicht negiert. So wird im Bericht darauf hingewiesen, dass der Sterbeprozess medizinisch nur schwer voraussehbar sei. Daher sei es auch schwierig, zu beurteilen, «ob sich der Gefangene wieder temporär erholen und für sein Umfeld erneut gefährlich werden könnte». Das Hin- und Herschieben zwischen JVA und Bewa führen die Forschenden auf diese Ungewissheit zurück. Die Bewa sei aber nicht für Sterbende geeignet. «Es handelt sich um eine Akutstation, die nicht auf Langzeit- und Palliativpflege ausgerichtet ist.»

Die rechtliche Situation spricht gegen ein Sterben in Freiheit. Um ausserhalb der Gefängnismauern sterben zu können, müsste der Vollzug unterbrochen werden. Dies geschieht nur dann, wenn die Fortführung des Freiheitsentzugs die Gesundheit eines Inhaftierten auf schwerwiegende Art gefährden könnte. Gestützt auf ein medizinisches Gutachten könnte ihm die Vollzugsbehörde dann die Hafterstehungsfähigkeit absprechen.

Das kommt aber nur selten vor, wie der Jurist Benjamin F. Brägger im schweizerischen Vollzugslexikon schreibt. Auch bei «schwerkranken oder unheilbar erkrankten Insassinnen und Insassen werden Strafunterbrüche zum Sterben kaum mehr bewilligt». Dies habe zur Folge, dass die Betroffenen ihre letzten Tage und Stunden oft in «gefängnisähnlichen Abteilungen» wie der Bewa verbrächten, so Brägger.

Mehr ältere Gefangene

Wie viele Inhaftierte in der Bewachungsstation oder andernorts im Inselspital verstorben sind, ist unbekannt. Laut Bewa-Direktor Andreas Leuzinger gibt es dazu keine Erhebungen. Erfahrungsgemäss komme es im Schnitt zu einem Todesfall pro Jahr. Beim letzten Todesfall habe der Betroffene gewünscht, auf der Bewa zu sterben, weil ihm die Umgebung vertraut geworden sei. Seine Angehörigen habe er nach einem Abschiedsbesuch nicht mehr sehen wollen. Eine Verlegung in eine andere Abteilung lehnte er ab. «Sterben ist sehr individuell», sagt Leuzinger.

Letztes Jahr sind in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik 17 Personen in Gewahrsam gestorben, 8 von ihnen durch Suizid. Ob es sich bei den übrigen neun Fällen um Unfälle oder Erkrankungen handelt, ist unklar. Klar ist aber, dass es von Jahr zu Jahr mehr ältere Personen in den Gefängnissen gibt.

Seit den Achtzigerjahren ist die Zahl der 60- bis 69-Jährigen im Straf- und Massnahmenvollzug um 33 Prozent gestiegen, wie aus einem Bericht des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Justizvollzug hervorgeht. Gemäss Prognosen ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen.

Im Kanton Bern ist man sich der Herausforderung eines «würdigen Alterns und Sterbens» hinter Gittern bewusst, wie es in der Justizvollzugsstrategie 2017–2032 heisst. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass die Pflege betagter und psychisch beeinträchtigter Personen «nicht zum klassischen Aufgabenportfolio des Strafvollzugpersonals gehört».

Was das für die Praxis heisst, bleibt offen. Denn die Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD) halten die Ausarbeitung von allgemeingültigen Regeln im Umgang mit Sterbenden im Gefängnis nicht für zielführend. Sterben sei ein individueller Prozess, «der schwerlich über eine amtsübergreifende Strategie geregelt werden kann», hält Sprecher Olivier Aebischer fest.

Personal will Klarheit

Dabei läge eine Strategie nicht «nur» im Interesse der Inhaftierten, sondern auch des Personals. «Das Personal wünscht sich klare Antworten auf die Fragen, ob Sterben in Zukunft zum Vollzug gehören und wie und von wem dann die Pflegeleistung erbracht werden soll», hält die Berner Forschergruppe fest. Denn heute müssten die Gefängnismitarbeitenden die Regeln des Normalvollzugs fallweise «hinterfragen, verschieben und verändern». So werde Sterben im Justizvollzug in mancher Hinsicht zum Notfall. Es erstaune daher nicht, «dass aus Sicht der Institution das Sterben, wenn immer möglich, ausserhalb der Anstalt stattfinden soll».

Das bedeutet für Thorberg-Insassen wie C., dass sie einen Grossteil des Sterbeprozesses in der Bewa durchmachen. Die Mehrheit der Mitarbeitenden dort ist laut Forschungsbericht aber der Meinung, dass sich die Abteilung nicht zur Betreuung Sterbender eigne. Dies insbesondere wegen des hohen Sicherheitsdispositivs und der eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten für die Angehörigen.

Fernseher im Stahlkasten

Die Eintrittskontrolle, die schweren Zimmertüren mit Sichtklappe und die Gitter vor den Fenstern machen deutlich, dass es sich bei der Bewa um eine besondere Spitalabteilung handelt. Es gibt acht Zweierzimmer, eines davon weist eine Schleuse auf und ist für Patienten mit übertragbaren Krankheiten oder hohem Ruhebedürfnis vorgesehen. Laut Direktor Andreas Leuzinger wird bei der Belegung darauf geachtet, dass es in den Zimmern möglichst nicht zu Konflikten kommt. Im Übrigen sind Begegnungen zwischen den meist männlichen Patienten nicht vorgesehen.

Spazieren ist eine Stunde pro Tag in zwei videoüberwachten Spazierhöfen mit vergittertem Dach möglich. Pro Woche sind vier Telefonanrufe à zehn bis fünfzehn Minuten und Besuch für maximal eine Stunde erlaubt. Es gibt zwei fensterlose Besuchszimmer – eines mit Trennscheibe und Gegensprechanlage, in dem bei Bedarf auch ein Spitalbett Platz hat, und eines ohne. Wo der Besuch empfangen werden kann, werde fallweise entschieden, sagt Leuzinger nach einem Rundgang.

Auffallend ist die vandalensichere Ausrüstung der Zimmer. So bestehen die Waschbecken aus einer massiven Chromstahlkonstruktion, und der Fernseher steckt in einem Stahlkasten. Die Lautstärke ist wegen des Ruhebedürfnisses limitiert. Leuzinger legt zur Veranschaulichung ein Foto eines Zimmers auf den Besprechungstisch, das trotz aller Vorkehrungen vandalisiert wurde: Es ist ein Bild der Verwüstung. Dem vandalisierenden Insassen ist es sogar gelungen, das Chromstahllavabo herauszureissen.

Die Betreuung ist intensiv. Es gibt eine Sitzwache auf dem Gang, und die Pflegestation ist rund um die Uhr besetzt. Bei Bedarf kann auch jemand vom Team der Seelsorge des Inselspitals gerufen werden. «Bei uns stirbt niemand allein und verlassen auf einem Zimmer», sagt Leuzinger. Auch ein Sterben im Beisein der Angehörigen sei möglich, wenn auch nicht auf der Bewa. «Alles andere ist für mich unvorstellbar.» In diesem Fall werde eine Verlegung in eine andere Spitalabteilung ins Auge gefasst – «wenn nötig mit Bewachung», sagt Leuzinger.

Die letzte Beschwerde

Dies war im Fall C. aber nicht von Anfang an klar. Den Wunsch nach einem Strafunterbruch zum Sterben oder einer Verlegung in ein Pflegeheim haben die Behörden abgelehnt, wie aus den Gesuchsakten hervorgeht, die diese Zeitung einsehen konnte. Gestützt auf einen medizinischen Bericht kommen die Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD) in erster Instanz zum Schluss, dass C. «zum gegenwärtigen Zeitpunkt» immer noch hafterstehungsfähig sei, sofern man ihm Vollzugserleichterungen gewähre. Sollte er mehr Pflege benötigen, «wird eine Verlegung in die Bewa – auch dauerhaft – jederzeit möglich sein».

Dort will C. aber auf keinen Fall sterben. Er erhob Beschwerde. In der Beschwerdeantwort erwähnen die BVD erstmals, dass sie in der «Terminalphase» eine Verlegung auf die Palliativabteilung des Inselspitals prüfen würden.

Die Direktion von Regierungsrat Philippe Müller (FDP) lehnt die Beschwerde in zweiter Instanz ab. Ein Strafunterbruch zum Sterben sei wegen der Grausamkeit der Tat und wegen des Gefährdungspotenzials nicht angezeigt. Es sei zwar nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer in der Endphase seines Lebens so viel Zeit wie möglich mit seiner Familie verbringen wolle, steht im von Müller unterzeichneten Entscheid zu lesen. «Er hat sich diese Trennung durch sein strafbares Verhalten jedoch selbst zuzuschreiben, zumal eine lebenslängliche Strafe mit Verwahrung von vornherein bedeutet, bis zum Tod im Vollzug zu verbleiben», hält Müller fest.

Immerhin wird im Entscheid die erste Verfügung der BVD in einem Punkt revidiert: So werde C. bei einer Verschlechterung seines Zustandes nicht dauerhaft in die Bewa verlegt, «sondern nur so lange, bis er in die Palliativabteilung eingewiesen wird».

C. hat diesen Entscheid vor Obergericht weitergezogen. Im weiteren Schriftverkehr stellt Müllers Direktion eine Verlegung in die Palliativabteilung des Inselspitals in der Sterbephase als «selbstredend» dar. Das Verfahren ist noch im Gang.

Die Verpflichtung des Staates

Die inkonsistente Haltung der Behörden könnte als Ausdruck der fehlenden Strategie im Umgang mit sterbenden Inhaftierten gelesen werden. C.s Verteidiger Konrad Jeker sieht darin einen Verstoss gegen die Bundesverfassung und gegen internationale Vorgaben. Seinen Mandanten auf dem Thorberg oder der Bewa sterben zu lassen und ihn von seiner Familie abzuschirmen, sei «menschenunwürdig».

Er kenne kein Land, das «derart gnadenlos» mit schwer kranken, sterbenden Häftlingen umgehe wie die Schweiz, sagt Jeker auf Anfrage. Solange C. noch handlungsfähig sei, werde er sich dafür einsetzen, dass die Gerichte auch Strafgefangenen ein Sterben in Würde ermöglichen.

Dem steht, wie erwähnt, die Rechtsprechung entgegen. «Es gibt kein verbrieftes Recht für Straftäter, in Freiheit zu sterben», sagt Vollzugsexperte Benjamin F. Brägger im Interview mit dieser Zeitung. Das Bundesgericht sehe Strafunterbrüche fürs Sterben nur als letztmögliches Mittel vor. Das stehe auch nicht im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention.

Brägger ist aber auch der Meinung, dass der Staat die Verpflichtung habe, ein menschenwürdiges Altern und Sterben im Gefängnis zu ermöglichen, wenn er Schwerkranke nicht in Freiheit sterben lasse. «Es braucht gesicherte Pflegeheime, in denen Palliativpflege, assistierter Suizid und Sterben möglich sein sollen.» Die Kantone hätten dies erkannt und seien an der Planung. «In ein paar Jahren sollte es so weit sein», sagt Brägger.

Ueli Hostettler, Irene Marti, Marina Richter: Das Leben soll lebenswert bleiben. Bericht zu den Ergebnissen des Projektes «Lebensende im Gefängnis – Rechtlicher Kontext, Institutionen und Akteure» am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern, in: Infobulletin des Bundesamtes für Justiz, 2/2016.
(https://www.derbund.ch/ein-moerder-kaempft-fuer-ein-humanes-sterben-274551861543)


+++FRAUEN/QUEER
Gewalt gegen Frauen – St.Galler Frauenhaus ist ausgelastet und muss zusätzliche Plätze schaffen
Black Friday ist der bekanntere Begriff – offiziell ist jedoch international der «Orange day». An diesem Tag soll ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen gesetzt werden. Das Thema ist aktueller denn je: Im St.Galler Frauenhaus mussten sogar zusätzliche Plätze geschaffen werden.
https://www.tvo-online.ch/aktuell/gewalt-gegen-frauen-st-galler-frauenhaus-ist-ausgelastet-und-muss-zusaetzliche-plaetze-schaffen-148913071


Überlastete Frauenhäuser müssen auf Hotels ausweichen
Die Schweizer Frauenhäuser sind voll. Darum werden im Kanton Bern immer mehr Frauen in Hotels untergebracht. Das sorgt für Probleme.  (ab 03:33)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/ueberlastete-frauenhaeuser-muessen-auf-hotels-ausweichen?id=12292960


+++RECHTSEXTREMISMUS
tagblatt.ch 25.11.2022

Hat das Toggenburg bald einen König? In Wattwil planten Reichsbürger ein Seminar für Systemaussteiger

In Wattwil sollte ein zweitägiges Seminar für Systemaussteiger stattfinden, organisiert von Vertretern des Reichsbürgerstaats Königreich Deutschland. Durch die Anfrage dieser Zeitung alarmiert, sagte der Mieter des Lokals die Veranstaltung kurzfristig ab.

Enrico Kampmann

Im Toggenburg buhlt ein neuer König um Untertanen. Mit gewissem Erfolg, wie es scheint. An diesem Wochenende sollte in Wattwil ein «Systemausstiegsseminar» von Vertretern des Reichsbürgerstaats Königreich Deutschland (KRD) stattfinden. Aufgeschreckt durch die Recherchen dieser Zeitung, sagte der Mieter des Lokals die Veranstaltung am Freitagabend kurzerhand ab. Laut eigenen Angaben hatte er es seinerseits untervermietet.

Im Oktober hatten Vertreter des KRD bereits einen Vortrag in Uzwil organisiert. Offenbar fiel die Idee eines Fantasiestaats im Toggenburg auf fruchtbaren Boden. Das zweitägige Seminar an diesem Wochenende sollte gemäss den Veranstaltern das erste seiner Art in der Schweiz sein. Das «in der BRD beliebte Systemausstieg-Format» sei auf die Schweiz angepasst worden, «um echte Alternativen zu erschaffen».

Gemäss der Anmeldungs-Website sollten «verschiedene legale Ausstiegskonzepte aus dem destruktiven System vermittelt» werden. Für Einzelpersonen, Familien, Unternehmer, aber auch für ganze Gemeinden. «Auf Wunsch beginnen wir mit den ersten Schritten deines Ausstiegs gleich während der Veranstaltungen.»

Zwei Schlösser mit Spendengeldern gekauft

Anhänger der Reichsbürgerbewegung bestreiten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimen und souveränen Staat und lehnen deren Rechtsordnung ab. Für den deutschen Verfassungsschutz zählt das KRD zu dieser Bewegung, wobei das KRD dies bestreitet.

In jedem Fall ist das KRD ein Sammelbecken für Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale, Coronaleugner und Systemaussteiger aller Art. Und die Untertanen scheinen sich zu mehren. Wie der «Spiegel» im Sommer berichtete, ist der selbsternannte König von Deutschland, Peter Fitzek, auf Expansionskurs. Mit Spenden seiner Anhänger hat er bereits zwei Schlösser für 1,3 und 2,3 Millionen Euro in Sachsen gekauft und sucht nach weiteren Grundstücken für die Errichtung von autarken «Gemeinwohldörfern».

Das expandierende Königreich hat es nun bis ins Toggenburg geschafft. Veranstaltungsort des zweitägigen Ausstiegsseminars sollte das Vereinslokal AmGleis in Wattwil sein. Dort finden offenbar öfters Zusammenkünfte dieser Art statt. Anfang November konnte man dort den Event «Zeit für Wandel» besuchen, an dem gemäss einem Flyer mehrere bekannte Vertreter der Corona-Skeptikerszene anwesend waren. Darunter der Präsident der Massnahmengegner-Organisation Mass-Voll, Nicolas Rimoldi, und die St.Galler Naturheilerin Luzia Osterwalder. Im Dezember ist ein Auftritt des Satirikers Andreas Thiel geplant, einer der prominentesten Massnahmengegner des Landes.

Die Liegenschaft, in der sich das Lokal befindet, gehört der Heberlein AG, einem Textilunternehmen mit 180 Jahren Tradition in der Region. Aber diese hatte gemäss eigenen Angaben keine Kenntnis von der Veranstaltung. Am Freitag sagt Heberlein-CEO Martin Zürcher: «Wir haben erst heute von diesem Sachverhalt erfahren und werden diesen nun prüfen.»

Das Heberlein-Management distanziere sich klar vom Königreich Deutschland. Ob es Konsequenzen für den Mieter gebe, sei noch unklar. Der Mieter, der das Lokal seinerseits untervermiete, zog die Konsequenzen kurz darauf selbst und teilte Heberlein mit, dass er die Veranstaltung abgesagt habe. Gemäss Angaben Zürchers habe der Mieter auch von nichts gewusst.

Der König ist vorbestraft

Die angehenden Toggenburger Untertanen des Königs von Deutschland, Peter Fitzek, dürften wenig erfreut sein über die kurzfristige Absage. Doch vielleicht ist es besser so. Denn Fitzeks Umgang mit dem Geld seiner Anhänger war bisher keineswegs tadellos.

Das Landgericht Halle verurteilte ihn 2017 wegen Verstosses gegen das Kreditwesengesetz sowie Veruntreuung zu drei Jahren und acht Monaten Haft. Gemäss dem «Spiegel» soll er zwischen 2009 und 2013 eine sogenannte Kooperationskasse betrieben und darüber Anlagegeschäfte abgewickelt haben. Fast 600 Menschen zahlten insgesamt rund 1,7 Millionen Euro auf Sparbücher ein. Von dieser Summe soll Fitzek gemäss der Staatsanwaltschaft 1,3 Millionen für eigene Zwecke verwendet haben, schreibt der «Spiegel». «Der Verbleib des Geldes ist unklar.»

Der sächsische Verfassungsschutz warnt explizit davor, dem KRD Geld zu überweisen. Es fehlten die rechtlichen Grundlagen, dieses zurückzufordern. Wer Fitzek seine Ersparnisse anvertraue, gerate in den Strudel extremistischer Ideologien und Verschwörungstheorien, schrieb der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Dirk-Martin Christian, im März in einer Art Warnschreiben an Kommunalpolitiker.

Fitzek, auch bekannt als Peter der Grosse, liess sich 2012 bei einer pompösen Zeremonie – komplett mit Reichsapfel, Zepter, Krone und sogar einem roten Umhang mit Hermelin-Pelz, wie man ihn aus Kinder-Zeichentrickfilmen kennt – vor rund 600 Anhängern zum König von Deutschland krönen. Auf seinem Hoheitsgebiet, einem alten Krankenhausgelände, das sich in Wittenberg in Sachsen-Anhalt befindet, gelten die Gesetze der BRD nicht mehr. Zumindest laut Fitzek.

Der gelernte Koch und seine Anhänger gründeten eine eigene Bank sowie Krankenkasse, Rentenkasse, Währung und Kennzeichen und gaben sich eine eigene Verfassung. Sie garantiert unter anderem «ein dauerhaftes Verbot von Steuern» und «ein verschuldungsfreies Geldsystem ohne Zinseszinseffekt».

Totale Kontrolle und die «Reduzierung der Menschheit»

Was die Anhänger Fitzeks noch so umtreibt, ausser Steuern, zeigt ein Blick in die Seminarbeschreibung auf der Website des KRD. Dort steht, es werde immer ungemütlicher in den bestehenden Systemen. Der «geplante grosse Umbruch, hin zu einer bargeldlosen Tyrannei», werde unter dem Deckmantel angeblicher Pandemien und Krisen von den Regierenden zielgerichtet und beständig vorangetrieben. «Ziel der destruktiven Machteliten ist die bargeldlose Gesellschaft totaler Kontrolle und Abhängigkeit eines jeden, die Zerstörung von Freiheit und später die Reduzierung der Menschheit.»

Ist das Bargeld erst einmal abgeschafft, werde die Masse dann mit Hilfe künstlicher Intelligenz, 5G, automatisch vom Konto abgebuchter Steuern und mit dem geplanten und in China schon erprobten Sozialpunktesystem gesteuert und versklavt. «Alle Möglichkeiten eines Ausweichens aus der Tyrannei sind dann dahin.»

So sei es schliesslich auch in der Bibel prophezeit worden. In der Offenbarung des Johannes, Kapitel 13, um genau zu sein.

Wie man dem Untergang entrinnt, hätten die Anwesenden am zweitägigen Ausstiegsseminar in Wattwil gelernt, «beispielsweise mit der Eröffnung eines steuer- und erklärungsfreien Betriebs im Rahmen des KRD». Und das für schlappe 700 Euro.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/reichsbuerger-hat-das-toggenburg-bald-einen-koenig-in-wattwil-planten-reichsbuerger-ein-seminar-fuer-systemaussteiger-ld.2378728)


+++HISTORY
Bund lässt nach Sri Lanka Adoptionen aus Korea und Co. untersuchen
Nach dem Sri-Lanka-Skandal lässt der Bund die Adoptionsverfahren weiterer Länder untersuchen – darunter Südkorea, aus dem über 1000 Kinder adoptiert wurden.
https://www.nau.ch/news/forschung/bund-lasst-nach-sri-lanka-adoptionen-aus-korea-und-co-untersuchen-66346261


Zeitreise in Berns queere Vergangenheit
Beim Läuferplatz, in der Nähe der Nydeggbrücke, beginnt die neue queere Stadtführung des Vereins StattLand. Der Rundgang beginnt mit einer Zeitreise: Wir begeben uns ins Bern der achziger Jahre und treffen auf Alice und ihre Freundin Veri, die feiern waren, denn einmal im Monat fand im Frauenzentrum Bern eine legendäre Party für lesbische Frauen statt.
https://rabe.ch/2022/11/25/zeitreise-in-berns-queere-vergangenheit/


Eine neue Homepage gibt ehemaligen Verdingkindern eine Stimme. Eine davon ist Uschi Waser aus Holderbank (AG). Sie sagt im Gespräch, warum das Sprechen über die schreckliche Zeit in ihrem Leben für sie wichtig ist.  (ab 13:50)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/waldspaziergang-als-extremsport?id=12292969


Vergessene Nachkommen von Weggesperrten und Fremdplatzierten
Viele Kinder der Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen leiden noch heute an den Folgen. Das deckt eine Studie auf.
https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/vergessene-nachkommen-von-weggesperrten-und-fremdplatzierten/