Medienspiegel 26. November 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++BERN
Black-Friday antirassistisch nutzen
Hilf mit bei der Sammelaktion „Mobilität für betroffene Menschen der rassistischen Migrationspolitik der Schweiz“
https://migrant-solidarity-network.ch/2022/11/26/black-friday-antirassistisch-nutzen/


+++ZÜRICH
«Vorläufige Aufnahme»: SVP-Nationalrätin will Geflüchtete schneller ausschaffen lassen
SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann, Mitglied der Sozialbehörde im zürcherischen Regensdorf, kritisiert die Praxis des Bundes bei der vorläufigen Aufnahme von Asylsuchenden.
https://www.20min.ch/story/svp-nationalraetin-will-gefluechtete-schneller-ausschaffen-lassen-328555228747



landbote.ch 26.11.2022

Keine Fenster, Duschen in der Küche: So wohnt ein Flüchtling in Wildberg

Seit Jahren lebt ein 35-jähriger Mann aus Eritrea in der Zivilschutzanlage. Das sei unzumutbar, findet seine Deutschlehrerin. Die Gemeinde Wildberg sieht es anders.

Annette Saloma

Eine Zivilschutzanlage in Wildberg gleich bei einem Schulhaus am Ortseingang. Hinter einer roten Tür, die voller Sticker ist, liegt ein Raum ohne Fenster. Darin stehen vier Betten und vier Schränke. Die Wände sind aus hellem Beton. An der einen Wand hat es ein längliches Waschbecken, Neonröhren flackern an der Decke. Ein Heizkörper bringt etwas Wärme in das karge Zimmer.

Hier lebt Surafiel A. seit fünf Jahren. Der 35-Jährige ist im Jahr 2015 in die Schweiz gekommen. Zehn Monate dauerte seine Flucht aus dem nordostafrikanischen Eritrea bis nach Europa.

Asylgesuch abgelehnt

Zuerst teilte er sich die Unterkunft in Wildberg mit anderen Geflüchteten, mittlerweile ist er ganz allein. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt. Seit Jahren weiss er nicht, wie es weitergeht. Für ihn ist aber klar: «Ich will hierbleiben. Die politische Lage in Eritrea ist zu gefährlich.»

Bereitwillig zeigt Surafiel A. seine Unterkunft. Handyempfang hat er in seinem Schlafraum, der gleichzeitig als Wohnzimmer dient, keinen. Der Kontakt zur Familie und seinem Anwalt ist nur im Freien möglich. Will er ins Internet, muss er ebenfalls nach draussen. Auch Küche und WC liegen in separaten Räumen, die nur von aussen zugänglich sind.

Vermittelt über Verein

Für Kathrin Plüss ist klar: «Diese Unterbringung ist absolut unzumutbar.» Die pensionierte Film-Editorin unterrichtet Deutsch an der autonomen Schule in Zürich. Sie wurde über einen Verein mit Surafiel A. vermittelt, die beiden bilden ein sogenanntes Tandem. So wurde die 68-Jährige diesen März auf seine Situation aufmerksam.

«Als ich Surafiel kennen lernte, war er komplett vereinsamt, verschüchtert und erschreckend traurig», erinnert sie sich. «Er erzählte mir von Kopfschmerzen und Erkältungen, Schlafschwierigkeiten und depressiven Zuständen. Auf Nachfrage fand ich heraus, dass diese Probleme mit seiner Unterkunft in Wildberg zusammenhängen.»

Plüss beschloss, Surafiel A. dort zu besuchen. «Ich wurde mit einer Wohnsituation konfrontiert, die mich erschreckte», sagt sie. «Es ist unvorstellbar, dass diese Unterkunft längerfristig als Zuhause dienen soll.»

Surafiel A. selbst zuckt verlegen mit den Schultern, wenn man ihn fragt, was er von seiner Unterkunft hält. «Im Winter ist es sehr kalt.» Schlimm ist für ihn die Abgeschiedenheit, die Einsamkeit. Ein Ticket nach Zürich konnte er, der zehn Franken täglich erhält, sich lange nicht leisten.

Auch Kathrin Plüss sagt: «Die Isolation der Geflüchteten in Orten wie Wildberg ist zudem ein Problem für eventuelle weitere juristische Verfahren.» Sie denkt dabei beispielsweise an ein Härtefallgesuch, wo die Kandidaten Beweise ihrer Integrationsbestrebungen darlegen müssen. «Wie sollen sie das von Wildberg aus machen?»

Im Dorf fühlt sich Surafiel A. nicht willkommen. Er, der Christ ist, hat anfangs jeweils am Sonntag die Kirche besucht. «Nur der Pfarrer und eine Familie haben mich gegrüsst.» Auch dass er nicht arbeiten darf, macht ihm zu schaffen. «In meinem Alter muss man etwas tun.» Der Verein, der ihn mit Plüss vermittelte, hat ihm im Frühling ein Zugticket besorgt. Seit März geht er nun täglich in Zürich zur Schule, um Deutsch zu lernen.

Ukrainer leben in Wohnung

Seit Frühling sind noch weitere Geflüchtete nach Wildberg gekommen – aus der Ukraine. Sie leben in zwei komfortablen Wohnungen und haben eine Aufenthaltsbewilligung. Surafiel A. findet: «Das ist nicht fair.» Kathrin Plüss versuchte, «Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen», um die Lage für Surafiel A. erträglicher zu machen. Ohne Erfolg. Beim Kanton hiess es, die Unterbringung sei Sache der Gemeinden. Im letzten Jahr war noch von einem Transfer nach Pfäffikon die Rede. Doch dieser ist mit der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine obsolet geworden, denn alle Gemeinden stossen an ihre Kapazitätsgrenzen.

Mit den Vorwürfen von Kathrin Plüss konfrontiert, findet Gemeindepräsident Dölf Conrad (SVP) klare Worte: «Das ist absoluter Blödsinn.» Die Unterkunft sei natürlich kein 5-Stern-Hotel. «Aber für einen jungen Mann im dienstpflichtigen Alter ist diese Zivilschutzanlage absolut zumutbar.»

Conrad war im Rahmen mehrerer Blauhelmeinsätze für die Vereinten Nationen in Eritrea, Syrien, Äthiopien, Israel, dem Libanon, dem Südsudan und Nepal stationiert. «Ich weiss haargenau, wie die Unterkünfte dort sind», sagt er. «Und glauben Sie mir, die privaten Wohnungen dort sind auf einem wesentlich tieferen Level als unsere Zivilschutzanlage.» Der Boden an diesen Orten sei aus Naturerde, die Wände undicht, das Dach aus Wellblech.

Surafiel A. erzählt, er habe in Eritrea auf dem Bauernhof seiner Eltern gelebt. Ein Foto davon hat er nicht. Conrad sagt, er verstehe schon, dass der Eritreer lieber eine Unterkunft hätte, wie sie die ukrainischen Geflüchteten bewohnen. «Aber ein Mann in diesem Alter hat einfach ein anderes Recht auf eine Unterkunft als eine ukrainische Frau mit Kindern.» Ausserdem seien ihm die Hände gebunden. «Auch wenn wir wollten, wir könnten ihn nirgends sonst unterbringen. Wir haben keinen Platz.» Gegen die Abgeschiedenheit von Wildberg könne er als Gemeindepräsident nichts unternehmen.

Kontingent überschritten

Auf seine tausend Einwohner gerechnet müsste Wildberg eigentlich 9 Geflüchtete aufnehmen. Momentan leben in Wildberg 15. Alle ausser Surafiel A. stammen aus der Ukraine. Das Kontingent von 0,9 Prozent ist damit – wie überall in der Region – weit überschritten. Deshalb ist die Gemeinde momentan daran, eine Lösung mit Zürich zu finden. Dölf Conrad sagt: «Wir gehen davon aus, dass dieser Mann bald in die Stadt kommt.»

Denn auch der Wildberger Gemeindepräsident ist trotz allem der Meinung, dass die Zivilschutzanlage keine optimale Unterkunft darstellt: «Uns wäre es auch recht, wenn diese aufgehoben würde.»

Als Reserve wolle man die Zivilschutzanlage aber behalten. «Wir haben sonst keine Unterbringungsmöglichkeit.» Geplant sei, diese in nächster Zeit einer sanften Renovation zu unterziehen. Kathrin Plüss stimmt dies nicht zuversichtlich. «Wildberg ist einfach kein Ort, wo solche jungen Männer untergebracht werden sollten. Für etwaige neue Geflüchtete in Wildberg würden sich wieder die gleichen Probleme stellen.»
(https://www.landbote.ch/so-wohnt-ein-fluechtling-in-wildberg-531249017752)


+++BALKANROUTE
Serbiens Polizei bringt 1000 Migranten nach Schiesserei in Lager
Über 1000 Migranten sind von der serbischen Polizei in ein Lager gebracht worden. Zuvor kam es an der Grenze zu einer Schiesserei mit sechs Verletzten.
https://www.nau.ch/news/europa/serbiens-polizei-bringt-1000-migranten-nach-schiesserei-in-lager-66350406


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Unbewilligte Demonstration, Pfefferspray und Sachbeschädigungen
Am Freitagabend fanden sich rund 200 Personen zu einer unbewilligten Demonstration auf dem Theaterplatz ein. Eine Kontaktaufnahme durch den polizeilichen Einsatzleiter blieb erfolglos und auch eine Abmahnung hielt nur wenige der Teilnehmenden davon ab, dem Demonstrationszug beizuwohnen.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/theaterplatz-unbewilligte-demonstration-pfefferspray-und-sachbeschaedigungen-ld.2378948
-> https://www.bazonline.ch/newsticker-region-basel-297230329650
-> https://www.onlinereports.ch/News.117+M5608c8fab42.0.html
-> https://primenews.ch/news/2022/11/scharmuetzel-und-sprayereien-bei-unbewilligter-demo-der-innenstadt
-> https://telebasel.ch/2022/11/26/polizei-setzt-pfefferspray-an-unbewilligter-demo-ein/?utm_source=lead&utm_medium=grid&utm_campaign=pos%202&channel=105100
-> https://twitter.com/BaselBlock/status/1596218542843518976
-> https://www.polizei.bs.ch/nm/2022-unbewilligte-demonstration-fuehrt-zu-sachbeschaedigungen-jsd.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/eva-herzog-ist-offizielle-bundesratskandidatin?id=12293227 (ab 04:01)
-> https://www.bazonline.ch/newsticker-region-basel-297230329650


Gegen den «Pflexit»: Pflegende machen in Bern Lärm für bessere Arbeitsbedingungen
Mehrere Hundert Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen haben am Samstag auf dem Bundesplatz in Bern demonstriert. Sie forderten, den «Pflege-Exodus» zu stoppen.
https://www.derbund.ch/pflegende-machen-in-bern-laerm-fuer-bessere-arbeitsbedingungen-317212538398
-> https://www.swissinfo.ch/ger/pflegende-demonstrieren-in-bern-fuer-bessere-arbeitsbedingungen/48088862
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/fachkraeftemangel-temporaeres-arbeiten-in-pflegeberufen-nimmt-zu?urn=urn:srf:video:b9e2a180-5a04-4d3b-b775-f21f42f52941
-> https://tv.telebaern.tv/telebaern-news/pflegerinnen-und-pfleger-demonstrieren-vor-dem-bundeshaus-148928989
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/pflegerinnen-und-pfleger-demonstrieren-vor-dem-bundeshaus-148928932
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/das-pflegepersonal-ist-noch-immer-unzufrieden-148929238
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/205218/
-> https://www.baerntoday.ch/bern/pflegende-demonstrieren-in-bern-fuer-bessere-arbeitsbedingungen-148925502
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/stopp-dem-pflexit-pflegende-demonstrieren-in-bern-fuer-bessere-arbeitsbedingungen


«Pflegende sind Menschen, keine Maschinen»
Ein Jahr nach Annahme der Pflegeinitiative ruft das Pflegepersonal zu einem «Walk of Care» durch die St.Galler Innenstadt auf. Damit will es erneut auf seine Anliegen aufmerksam machen – weil diesbezüglich Stillstand herrscht.
https://www.saiten.ch/pflegende-sind-menschen-keine-maschinen/



tagesanzeiger.ch 26.11.2022

Iran-Demonstration in Zürich: «Keine Geschäfte mit dem Mullah»

Mehrere Hundert Menschen haben in der Zürcher Innenstadt friedlich, aber lautstark gegen das iranische Regime demonstriert.

Thomas Hasler

Es ist eines von vielen Fotos, das Demonstrierende vor ihre Brust halten an diesem Samstag vor dem Eingang zum Platzspitz: Ein Mann ist mit Handschellen an einen Mast gefesselt. Der Becher mit Wasser ist genau so nahe zu ihm hingestellt, dass er ihn nicht erreichen kann. Der Mann wird sterben – wie viele Dutzend andere auch an diesem blutigen Freitag Ende September in der iranischen Stadt Zahedan; darunter, das zeigen andere Fotos, offenbar auch mindestens zwei achtjährige Mädchen.

«Frau, Leben, Freiheit»

Das Massaker von Zahedan war ein weiterer Versuch des iranischen Regimes, Proteste niederzuschlagen, die sich am Tod der 23-jährigen Kurdin Mahsa Amini Mitte September entzündet hatten. Die junge Frau starb nach der Festnahme durch die iranische Sittenpolizei, weil sie angeblich den Hidschab in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen hatte. Die Parole «Frau, Leben, Freiheit», die bei Aminis Beerdigung skandiert wurde, ist zu einem universellen Slogan mit einem eigenen Wikipedia-Eintrag geworden.

Seit über 60 Tagen reissen die Proteste nicht ab – weder im Iran noch inzwischen in vielen Städten der Welt. Mehrere Hundert Menschen bezahlten ihr Eintreten für Freiheit und grundlegende Menschenrechte mit dem Tod, Tausende seien verletzt und etwa 15’000 Menschen inhaftiert worden, heisst es in internationalen Medien.

Unterstützung durch Schweizer Politik gefordert

Der Slogan «Frau, Leben, Freiheit» und die Solidarität mit dem Aufstand im Iran standen natürlich auch im Mittelpunkt der Demonstrierenden auf ihrem Weg durch Zürichs Innenstadt, was den Verkehr teilweise lahmlegte. Lautstark skandierten sie weitere Parolen: «Schluss mit dem Massenmord im Iran», «Nieder mit der Diktatur», «Keine Geschäfte mit dem Mullah», «Weg, weg, weg, Mullahs müssen weg» oder «Es lebe die Freiheit». Auf die Rückseite ihrer Jacke hatte eine Frau geschrieben: «Wir sind Iran, nicht Islamische Republik». Die Frau trug kein Kopftuch, wie alle anderen auch nicht.

Auf einem Spruchband verlangten sie eine sofortige Untersuchung der Gräuel des Regimes durch die Vereinten Nationen. In einer Rede zum Abschluss der Kundgebung forderte ein Sprecher die internationale Gemeinschaft und «insbesondere Bundes-, National- und Ständerat auf, den revolutionären Aufstand und die Forderungen der tapferen und freiheitsliebenden Menschen im Iran zu unterstützen».

«Orange the World»

Die Kundgebung in Zürich fand einen Tag nach dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen statt. Seit 1981 nutzen Menschenrechtsorganisationen diesen Tag, um Rechte von Frauen und Mädchen einzufordern. Seit 1991 macht UN Women, eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, unter dem Titel «Orange the World» darauf aufmerksam. Die Kampagne «16 Tage Aktivismus gegen geschlechtsspezifische Gewalt» läuft bis zum 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte.
(https://www.tagesanzeiger.ch/keine-geschaefte-mit-dem-mullah-265686318837)



Mit Kreide gegen herausgeschmissene Kohle – Stiller Protest gegen den «Black Friday» in Luzern
Die Rabattschlacht dauert schon seit einigen Tagen an. Gestern gab es am Black Friday den ersten Höhepunkt des Konsumrausches. In der Stadt Luzern protestieren Unbekannte gegen den Konsum und kritzelten ihre Botschaft mit Kreide auf die Strasse.
https://www.zentralplus.ch/news/stiller-protest-gegen-den-black-friday-in-luzern-2497496/


+++KNAST
bernerzeitung.ch 26.11.2022

Interview mit Vollzugsexperten: «Straftäter haben kein Recht, in Freiheit sterben zu können»

Strafunterbrüche zum Sterben würden kaum mehr gewährt, sagt Experte Benjamin F. Brägger. Daher brauche es Pflegeheime im Vollzug.

Bernhard Ott

Haben verwahrte Gewalttäter ein Recht auf ein humanes Sterben?

Die Frage ist erst seit ein paar Jahren aktuell. Früher gab es vor allem junge Männer im Gefängnis. Da starb selten jemand. Da die Gerichte aber längere Strafen und mehr Verwahrungen aussprechen, werden die Insassen älter. Heute werden Häftlinge mit lebenslänglicher Strafe sowie Gewalt- und Sexualstraftäter im Massnahmen- und Verwahrungsvollzug sehr spät oder gar nicht mehr entlassen.

Warum?

Weil es von der Gesellschaft nicht mehr toleriert wird. Das Bundesgericht hat sich im Fall eines über 80-Jährigen aus Genf, der sich an seinen Enkeln sexuell vergangen hatte, gegen einen Strafunterbruch fürs Sterben ausgesprochen. Angeführt wurden Sicherheitsgründe und das Vergeltungsbedürfnis.

Was ist mit Vergeltungsbedürfnis gemeint?

Es geht um ein übergeordnetes Vergeltungsbedürfnis der Gesellschaft. Man soll sich nicht leichtfertig durch Alter oder Schwäche der gerechten Strafe entziehen können, befand das Bundesgericht. Generell gilt der Grundsatz, dass Freiheitsstrafen unverzüglich und ohne Unterbruch zu vollstrecken sind. Haftunterbrüche fürs Sterben bei schweren Straftätern sollen laut Bundesgericht nur noch als letztmögliches Mittel gewährt werden.

Warum will die Gesellschaft diese Strenge?

Das hat mit dem medialen Druck und der Fokussierung auf die Sicherheit zu tun, die seit dem Mord am Zollikerberg vor dreissig Jahren stattfindet. Damals wurde eine 20-jährige Pfadiführerin durch einen Gewalttäter auf Hafturlaub vergewaltigt und ermordet.

Gab es vor diesem Ereignis keine Todesfälle in den Gefängnissen?

Jeder Todesfall im Vollzug ist ein ausserordentlicher Todesfall, der abgeklärt werden muss. Daher wollten es die Behörden in der Regel nicht so weit kommen lassen. So hat man bei todkranken Insassen meist einen Strafunterbruch bewilligt und die Leute zu Hause sterben lassen.

Heute gibt es Haftunterbrüche kaum mehr. Gilt das ohne Ausnahme?

Das Strafgesetz erlaubt die Verlegung todkranker Sträflinge in Spitalpflege, das heisst in Institutionen wie der Bewachungsstation des Inselspitals (Bewa). Und es erlaubt die Verlegung in «besondere Haftformen», sprich: in ein Pflegeheim.

Gibt es denn überhaupt geeignete Pflegeheime?

Es gibt eine geschlossene Abteilung in einem privaten Pflegeheim in Bauma ZH. Viele Pflegeheime wollen Verwahrte aber gar nicht aufnehmen, weil «normale» Bewohnerinnen und Bewohner kaum neben Verwahrten liegen möchten.

Also gibt es keine Lösung?

Doch. Das Problem der älteren Inhaftierten ist erkannt. So wird Suizidhilfe in Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren seit kurzem nicht mehr ausgeschlossen. Und die Konkordate gehen in ihren Planungen davon aus, Gefangenen ab 60 Jahren künftig freizustellen, ob sie in ein altersgerechteres Regime wechseln wollen, in welchem die Sicherheit weiterhin gewährt wird.

Gibt es denn Altersabteilungen?

Es gibt eine Abteilung für über 60-Jährige in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg. Ist jemand rund um die Uhr pflegebedürftig, bräuchte es aber spezialisierte Einrichtungen. Die Kantone planen daher gesicherte Pflegeheime, in denen Palliativpflege, assistierter Suizid und Sterben möglich sein sollen. In einigen Jahren sollte es so weit sein. Ich gehe davon aus, dass es in der Deutschschweiz zwei solche Zentren braucht.

Wer soll das bezahlen?

Sicherheit hat ihren Preis. Aber wenn wir die Leute fürs Sterben nicht mehr rauslassen, hat der Staat die Verpflichtung, ein menschenwürdiges Altern und Sterben zu ermöglichen. Heute will möglichst keine Institution der Ort sein, wo die Leute sterben. Dadurch werden sie unnötig hin- und hergeschoben. Das sollte man aber vermeiden. Deutschland ist da weiter. Dort gibt es bereits Altersgefängnisse und Sterbeabteilungen.

Bis es in der Schweiz so weit ist, sterben Sträflinge weiterhin in der Bewachungsstation?

Die Verlegung in die Palliativabteilung eines Spitals sollte in der Terminalphase möglich sein. Wenn nötig, kann man das Spitalzimmer ja bewachen lassen. Die Behörde muss aber im Einzelfall abwägen, ob der Schutz der öffentlichen Sicherheit vorgeht oder das Recht, würdig zu sterben. Ich hatte in meiner Tätigkeit mit Sexualstraftätern zu tun, die schon längst hätten tot sein sollen, aber noch Trieb hatten.

Eine Untersuchung der Uni Bern kam aber zum Schluss, dass in der Terminalphase das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben vorgeht.

Das widerspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und entspricht Wunschdenken. Es wird rasch gesagt, etwas sei menschenrechtswidrig. Aber juristisch geht es immer um Entscheide in Einzelfällen.

Hätte der Umgang der Schweiz mit sterbenden Gewalttätern vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg Bestand?

Die Rechtsprechung des Bundesgerichts widerspricht nicht der Menschenrechtskonvention. Der Tod in der Gefängnisabteilung eines Spitals ist nicht per se menschenunwürdig. Es gibt kein verbrieftes Recht für Straftäter, in Freiheit sterben zu können. Daher braucht es gesicherte Pflegeheime, in denen das Gefängnissetting nicht mehr im Vordergrund steht.

Die meisten Menschen wollen im Beisein der Familie sterben. Und das kann man in der Bewa nicht.

Das ist ein landläufiger Begriff von Menschenwürde und kein juristischer.

Sterben im Kreis der Angehörigen geht also nicht?

Das ist wieder eine andere Frage. Was spricht dagegen, die Familie zuzulassen? Aus meiner Sicht müsste man das ermöglichen. Es wäre eine unnötige Beschneidung der persönlichen Rechte, es nicht zu tun.



Kenner des Justizvollzugs

Der 55-jährige Jurist und Betriebswirtschafter Benjamin F. Brägger war über zwanzig Jahre in verschiedenen Funktionen des Freiheitsentzugs tätig. Er ist Lehrbeauftragter an Universitäten und Institutionen sowie Autor und Herausgeber diverser Fachpublikationen. (bob)
(https://www.bernerzeitung.ch/straftaeter-haben-kein-recht-in-freiheit-sterben-zu-koennen-998059074326)



Umgang mit gefährlichen Tätern – Die Gefängnis-WG für Verwahrte
Wohin mit Verwahrten, die ihre Strafe abgesessen haben? Im Kanton Solothurn leben sie separat in einem Haus.
https://www.srf.ch/news/schweiz/umgang-mit-gefaehrlichen-taetern-die-gefaengnis-wg-fuer-verwahrte


+++FRAUEN/QUEER
«Es besteht ein dringender Bedarf an Massnahmen gegen Hate-Crime»
Der Kanton Luzern tut nicht genug, um die Menschen der LGBTQ+-Gemeinschaft zu schützen, sagt die SP queer. Im Gleichstellungsbericht des Kantons werden queere Menschen kaum erwähnt, ebenso fehlen Präventionsmassnahmen gegen Hate-Crime.
https://www.20min.ch/story/es-besteht-ein-dringender-bedarf-an-massnahmen-gegen-hate-crime-769053758913


+++RASSISMUS
14 Bücher und Dokus über Rassismus, die du kennen solltest
Du willst mehr über Rassismus und rassistische Strukturen in unserer Gesellschaft lernen? Dann empfehlen wir dir diese 14 Bücher und Dokus zum Thema.
https://www.watson.ch/wissen/rassismus/486622187-rassismus-14-buecher-und-filme-die-du-kennen-musst


+++RECHTSPOPULISMUS
«Ich will die Schweiz retten»: Ex-«Weltwoche»-Vize Gut will für die SVP in Nationalrat
Er war «Weltwoche»-Vizechefredaktor und ist bekannt für seine spitze Feder. Jetzt strebt Philipp Gut eine Karriere als Nationalrat an. Die Kandidatur eingefädelt hat Andreas Glarner.
https://www.watson.ch/schweiz/svp/504571246-ex-weltwoche-vize-gut-will-fuer-die-svp-in-nationalrat
-> https://www.blick.ch/politik/journalist-und-bergsteigerin-svp-setzt-auf-promis-fuer-den-nationalrat-id18089288.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
„Fabio Pietro Gervasi Bekannter Holocaustleugner, der gerne den NS Verherrlicht und Nazi ist – aus Baselland, aber international unterwegs. Ein Thread“
Mehr: https://twitter.com/farbundbeton/status/1596472213821071361


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Weltwoche»-Artikel: Nein, «geheime Daten» zeigen nicht, dass Geimpfte anfälliger für Covid sind
In einem «Weltwoche»-Artikel behauptet Philipp Gut, Geimpfte steckten sich häufiger an als Ungeimpfte. Dabei unterlaufen ihm gleich mehrere Denkfehler. 20 Minuten klärt auf.
https://www.20min.ch/story/nein-geheime-daten-zeigen-nicht-dass-geimpfte-anfaelliger-fuer-covid-sind-485079780423


+++FUNDIS
Sektenboss Ivo Sasek träumt von einer Diktatur – und wird in diesem Video enttarnt
In seinem Video «Sektenboss 3» entlarvt Raphael Hunziker Ivo Sasek als Sektenführer, der einen Gottesstaat anstrebt.
https://www.watson.ch/blogs/sektenblog/113795166-video-enttarnt-den-sektenboss-ivo-sasek-der-von-einer-diktatur-traeumt


+++HISTORY
Bührle und die „Mädchen“ aus Italien
In seiner Spinnerei im Toggenburg beschäftigte der Industrielle Emil Bührle neben Schweizer Zwangsinternierten auch Italienerinnen. Das italienische Konsulat wehrte sich für sie.
https://www.swissinfo.ch/ger/buehrle-und-die–maedchen–aus-italien/48077574


Schlimme Kindheit: Der Verein «Gesichter gegen das Vergessen», setzt sich für betroffene Menschen ein.
Verstossen, misshandelt und missbraucht. Die Betroffenen des Vereins «Gesichter der Erinnerung» kämpfen stellvertretend für mehrere Hunderttausend Menschen in unserem Land, die Schlimmes erfahren haben, damit man ihre Geschichten nicht vergisst.
https://www.telem1.ch/aktuell/schlimme-kindheit-der-verein-gesichter-gegen-das-vergessen-setzt-sich-fuer-betroffene-menschen-ein-148927874


Blick in düstere Vergangenheit von Zug: So schlimm waren die Missstände in der sozialen Fürsorge
Der Kanton Zug veröffentlichte kürzlich einen Forschungsbericht zur sozialen Fürsorge in der Zeit vor 1981. In ihm kommen Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen zu Wort. Wie Rita Z., die als junges Mädchen in die Hände sadistischer Klosterschwestern geriet.
https://www.zentralplus.ch/geschichte/rita-z-ich-wurde-durch-einen-lehrer-dorthin-verbannt-2497451/


Plattform gegen das Vergessen – Betroffene: «Geschichten anderer Verdingkinder erschüttern mich»
Auf einer Online-Plattform sind seit Oktober Videogeschichten von Betroffenen zu sehen. Eine davon ist Uschi Waser.
https://www.srf.ch/news/schweiz/plattform-gegen-das-vergessen-betroffene-geschichten-anderer-verdingkinder-erschuettern-mich