Medienspiegel 4. Oktober 2022

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+++BERN
ajour.ch 04.10.2022

Bözingen: Ukrainische Flüchtlinge statt ausländische Fahrende – das passiert mit der Containersiedlung

Die Containersiedlung in Bözingen bleibt vorerst bestehen – und wird nicht zu einem Transitplatz für Fahrende.

Lino Schaeren

Seit Jahren sind sich die Gemeinden im Raum Biel einig: Das Problem mit den illegalen Landbesetzungen könnte zumindest eingedämmt werden mit der Bereitstellung eines offiziellen Transitplatzes. Von einem Provisorium ist immer wieder die Rede. Nur: Lange war keine Gemeinde bereit, auf eigenem Boden Hand zu bieten. Einzig Brügg sprang während zweier Jahre in die Bresche. Seither haben viele Besprechungen stattgefunden, meist unter der Leitung des Regierungsstatthalteramts Biel.

Und inzwischen ist klar: Für einen provisorischen Transitplatz im Raum Biel kommt nur noch die Stadt Biel als Standortgemeinde infrage. Biel hat denn auch diesen Sommer auf einem brachliegenden Terrain beim Werkhof einen Versuchsbetrieb durchgeführt, der laut Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) erfreulich verlaufen sei. Die Stadt, so sagt er, sei also grundsätzlich bereit, Hand für eine provisorische Lösung für mindestens die nächsten zwei Jahre zu bieten. Offenbar sind auch die Gespräche über die Bedingungen mit den umliegenden Gemeinden «auf gutem Weg», wie Feurer sagt. Nur: Was nützt die Bereitschaft, wenn gleichzeitig kein Terrain zur Verfügung steht?

Das Testgelände ist bereits verplant

Auf dem Testgelände beim Werkhof soll nämlich bald der Bau des neuen Bieler Recyclinghofs beginnen. Und Feurer sagt, dass man die provisorische Infrastruktur nicht für nur ein Jahr einrichte. Kommt das zweite potenzielle Areal in Biel ins Spiel: der Standort der Containersiedlung, die bis vor Kurzem noch vom Kanton Bern als Rückkehrzentrum für abgewiesene Asylsuchende genutzt wurde. Die Container stehen inzwischen leer, da die Stadt den Nutzungsvertrag mit dem Kanton nicht verlängern wollte. Das Terrain stünde also zur Verfügung. Oder doch nicht?

Denn der Kanton hat beim Bieler Gemeinderat inzwischen ein neues Gesuch platziert. Er will die Containersiedlung offenbar als sogenanntes Erstaufnahmezentrum für ukrainische Flüchtlinge nutzen können. Heisst: Sollte der Zustrom an Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet im Winter stark zunehmen, würden die Menschen in den ersten Tagen in den Containern einquartiert, bis eine geeignete Unterbringung im Kanton organisiert ist. Die Bieler Stadtregierung hat das Gesuch gutgeheissen, wie Feurer sagt, vorerst für zwölf Monate.

Die Containersiedlung bleibt als Reserve

«Der Standort hätte zurückgebaut werden müssen, jedoch halten wir diesen Standort als kurzfristige, bereits bestehende Lösung in Reserve», schreibt Gundekar Giebel, Leiter Kommunikation der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern, auf Anfrage. Der Kanton stützt sich bei seiner Planung sowohl auf die derzeitigen Zahlen als auch auf die Prognosen des Staatssekretariats für Migration. Aufgrund dieser beiden Faktoren gehe der Kanton aktuell von keinem abrupten Anstieg der Flüchtlinge im Winter aus, schreibt Giebel, weshalb der Betrieb des Containerdorfs im Bözingenfeld «aktuell als unwahrscheinlich eingestuft wird».

Die Containersiedlung bleibt also vorerst bestehen, wenn auch leer, und macht nicht Platz für Fahrende. Das wiederum heisst, dass eine Lösung für die Fahrenden im Raum Biel weiter auf sich warten lässt. «Der Ball liegt bei der Stadt Biel», sagt Feurer, der derzeit allerdings kein anderes Terrain für einen Halteplatz präsentieren kann. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Diskussionen um die Fahrenden 2023 wieder so richtig losgehen werden. Diesen Sommer blieb es vergleichsweise ruhig – eben weil Biel einen Versuch mit einem offiziellen Halteplatz lanciert hatte.
(https://ajour.ch/story/ukrainische-flchtlinge-statt-auslndische-fahrende–das-passiert-mit-der-containersiedlung/31905)


+++AARGAU
Neue Regelungen für ukrainische Flüchtlinge im Aargau
Der Kanton Aargau setzt bei der Sozialhilfe für Ukrainerinnen und Ukrainer die neuen SKOS-Regeln um. Damit werden neu die effektiv verfügbaren Mittel für die Berechnung der Unterstützung beigezogen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/neue-regelungen-fuer-ukrainische-fluechtlinge-im-aargau?id=12264415
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/knappes-bauland-ist-noch-zu-haben?id=12264523 (ab 02:15)
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/revision-kanton-passt-sozialhilfe-regelung-fuer-ukrainische-gefluechtete-an-geld-und-wertgegenstaende-werden-dem-vermoegen-angerechnet-ld.2353662



aargauerzeitung.ch 03.10.2022

«Es könnte eng werden»: Aargauer Asyl-Chefin rechnet mit bis zu 4400 zusätzlichen Flüchtlingen

Im Moment leben knapp 4500 Geflüchtete aus der Ukraine im Aargau. Ende Jahr könnten es doppelt so viele sein. Kanton und Gemeinden haben aber nicht einmal 1000 Reserveplätze.

Noemi Lea Landolt

Im Moment weist der Bund dem Kanton Aargau im Schnitt jeden Tag 13 Geflüchtete aus der Ukraine zu. «Die Zuweisungen variieren aber stark und reichen von 3 bis 50 Personen pro Tag in den letzten zwei Wochen», sagt Pia Maria Brugger Kalfidis, Leiterin des kantonalen Ukraine-Stabs. Eine Zunahme sei bisher nicht feststellbar. «Die Zukunft ist aber weiterhin ungewiss», sagt die Aargauer Asyl-Chefin.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) rechnet in der kalten Jahreszeit mit einer Zunahme der Gesuche aus der Ukraine. Von Oktober bis Dezember könnte es laut SEM rund 10’000 Gesuche pro Monat geben. Der Aargau muss gemäss Verteilschlüssel 8 Prozent der Geflüchteten aufnehmen.

Der Kantonale Sozialdienst rechnet mit 1200 bis 4400 zusätzlichen Zuweisungen für den Aargau bis Ende Jahr. Zum Vergleich: Im Moment leben knapp 4500 Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schutzstatus S im Aargau. Bräuchten weitere 4400 Personen ein Bett im Aargau, würden die heutigen Reserven in den Unterkünften von Kanton und Gemeinden bei Weitem nicht reichen.

Kanton nimmt Mitte Oktober eine weitere Unterkunft in Betrieb

In den kantonalen Unterkünften gab es am 19. September 735 freie Plätze, in den Unterkünften der Gemeinden waren es 180 Plätze (Stand: 27. September). Pia Maria Brugger sagt, Kanton und Gemeinden seien laufend daran, neue Plätze zu schaffen. Der Kanton werde Mitte Oktober eine weitere Unterkunft in Betrieb nehmen. Informationen dazu folgten demnächst.

Sind alle verfügbaren Plätze belegt, würden Notunterkünfte in Betrieb genommen. Zuerst die unterirdischen Notspitäler und später auch militärische Anlagen und Zivilschutzanlagen. Je nach Zuweisungen und Bedarf müsse, die Planung flexibel angepasst werden, sagt Brugger.

Gastfamilien sind ein «sehr wichtiger Pfeiler»

Nach wie vor sind im Aargau mehr als die Hälfte (58 Prozent) der Geflüchteten aus der Ukraine in Privathaushalten untergebracht. Der Anteil ist aber rückläufig. Ende April lebten noch drei Viertel der Ukraine-Flüchtlinge bei Privaten.

Die Privatunterbringungen seien ein «sehr wichtiger Pfeiler», sagt Pia Maria Brugger. Zwar sind Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten grundsätzlich staatliche Aufgaben. Wenn aber – wie in diesem Jahr – in sehr kurzer Zeit sehr viele Flüchtlinge kommen, brauche es auch private Angebote, so Brugger.

Im Aargau stehen zusätzlich zu den Plätzen in den kantonalen und kommunalen Unterkünften noch 500 Plätze für Geflüchtete in Gastfamilien zur Verfügung.

Kapazität in Gastfamilien wurde stark überschätzt

Doch wie zuverlässig sind diese Zahlen? Sind die Aargauerinnen und Aargauer, die sich im März oder April bereit erklärt haben, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen, auch jetzt – im Oktober – noch bereit? Pia Maria Brugger sagt, die Angebote seien aktuell. Die Caritas habe im Auftrag des Kantons die Gastfamilien in den letzten Wochen kontaktiert und die Angebote bereinigt.

Zu bereinigen gab es offenbar einiges. Noch Ende August rechnete der Kantonale Sozialdienst mit rund 1800 freien Plätzen in Privathaushalten. Tatsächlich sind es nicht einmal halb so viele. Und trotzdem verfügen Privathaushalte über mehr Reserveplätze als alle Gemeinden im Aargau zusammen.

53 Gemeinden erfüllen Aufnahmepflicht nicht

Die Unterbringung der Geflüchteten mit Status S ist eigentlich Aufgabe der Gemeinden. Sie haben eine Aufnahmepflicht. Diese wird anhand der schweizerischen Wohnbevölkerung berechnet. Grosse Gemeinden müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen als kleine.

Per 1. September haben laut Pia Maria Brugger 53 Gemeinden und 13 Gemeindeverbunde ihre Aufnahmepflicht nicht erfüllt – aus unterschiedlichen Gründen. «Zum einen ist der geeignete Wohnraum teilweise knapp oder teuer, zum anderen dauert die Realisierung von Unterkünften länger als erhofft», sagt Brugger. Manchmal werde der verfügbare Wohnraum auch für Umplatzierungen aus Gastfamilien gebraucht.

Wer zu wenig Flüchtlinge aufnimmt, wird sanktioniert

Wenn Gemeinden ihre Aufnahmepflicht nicht erfüllen, kann ihnen der Kanton eine Ersatzabgabe von 90 Franken pro Person und Tag in Rechnung stellen. Bisher hat er darauf verzichtet, weil Ukrainerinnen und Ukrainer teilweise direkt ab dem Bundesasylzentrum einer Gemeinde zugewiesen wurden und dadurch eine ungleiche Verteilung auf die einzelnen Gemeinden nicht zu vermeiden war.

Mit dem Andauern der Ukraine-Krise sei aber eine gerechte Verteilung der Lasten «nötig und sinnvoll», sagt Pia Maria Brugger. Deshalb werde der Kanton in Zukunft eine Ersatzabgabe einfordern, wenn eine Gemeinde die Aufnahmepflicht nicht erfüllt. Ab wann genau sanktioniert wird, kann der Kantonale Sozialdienst aber noch nicht sagen. Die Gemeinden seien aber über die Umsetzung informiert worden.

Pia Maria Brugger sagt, es hätten bisher zwar alle Personen untergebracht werden können. «Wenn aber die Privatunterbringungen zurückgehen und/oder die Anzahl Geflüchtete stark steigt, könnte es eng werden.» Wohl auch deshalb will der Kanton die Gemeinden stärker in die Pflicht nehmen.

Ukraine-Krise ist nicht die einzige Herausforderung

Obwohl der Fokus im Asylwesen aktuell auf dem Krieg in der Ukraine liegt, ist er nicht die einzige Herausforderung. Auch die regulären Asylgesuche von Geflüchteten aus anderen Ländern sind im Moment auf einem Höchststand.

Justizministerin Karin Keller-Sutter sprach von einer Migrationsbewegung, die – unabhängig von den Geflüchteten aus der Ukraine – teilweise so stark sei wie jene im Jahr 2015. Am Grenzbahnhof in Buchs SG stranden jeden Tag rund 100 Migranten.

Pia Maria Brugger erwartet in den nächsten Wochen deshalb auch mehr Zuweisungen von Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen. Auch diese brauchen ein Bett im Aargau.

Und dann ist da auch noch Corona. Pia Maria Brugger geht davon aus, dass die Situation in den Unterkünften aufgrund der Erfahrung aus den vergangenen zwei Jahren mit den bekannten Massnahmen wie Hygieneregeln und bei Bedarf Masken gemeistert werden kann. Geflüchteten stehe auch das Impfangebot des Kantons offen. Der kantonale Sozialdienst werde eine Information über die Empfehlungen zur Auffrischimpfung im Herbst in verschiedenen Sprachen vorbereiten.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/ukraine-aargauer-asyl-chefin-rechnet-mit-bis-zu-4400-zusaetzlichen-fluechtlingen-es-koennte-eng-werden-ld.2350875)


+++ZÜRICH
Entlastung für MNA-Zentrum Lilienberg geplant
Nach Kritik an dem von der AOZ geführten Zentrum für unbegleitete Minderjährige (MNA) in Affoltern am Albis gab das Kantonale Sozialamt eine ausserordentliche Betriebsprüfung in Auftrag. Nun liegen die Resultate vor. Der Bericht empfiehlt, im Zentrum Lilienberg künftig weniger Jugendliche unterzubringen und seitens der AOZ das Fachpersonal auszubauen. Erste Sofortmassnahmen wurden eingeleitet.
https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2022/10/entlastung-fuer-mna-zentrum-lilienberg-geplant.html
-> https://www.stadt-zuerich.ch/aoz/de/index/aoz/medien/medienmitteilungen/2022/221004a.html
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/asylwesen-jugend-asylheim-lilienberg-soll-weniger-jugendliche-aufnehmen-ld.2354253
-> Rendez-vous SRF: https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/zuerich-reagiert-auf-missstaende-im-jugend-asylheim-lilienberg?partId=12264553
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-asylzentrum-lilienberg-soll-weniger-jugendliche-aufnehmen?id=12264796
-> https://www.20min.ch/story/aoz-gesteht-besorgniserregende-situation-im-asylzentrum-lilienberg-ein-964041922800
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/schwere-missstaende-im-jugend-asylzentrum-lilienberg?urn=urn:srf:video:9b8f49e3-b757-47ac-85d9-de0666d0e777
-> https://www.zueritoday.ch/zuerich/stadt-zuerich/zentrum-lilienberg-nimmt-weniger-jugendliche-auf-148227340
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/jugend-asylheim-lilienberg-soll-weniger-jugendliche-aufnehmen-00195396/
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/bericht-zeigt-missstaende-auf-zuercher-asylzentrum-lilienberg-situation-ist-besorgniserregend



tagesanzeiger.ch 04.10.2022 (12:58)

Schwere Mängel in Zürcher Asyl-Jugendheim: «Situation im Lilienberg ist besorgniserregend»

Verdreckte WCs und Küchen, zu viele Jugendliche, zu wenig Betreuungspersonen: Ein Aufsichtsbericht über das Asyl-Jugendheim Lilienberg übt scharfe Kritik. Nun reagiert der Kanton.

Liliane Minor

Eigentlich sollte der Lilienberg ein «sicherer Ort» sein für minderjährige Flüchtlinge, die allein in die Schweiz gekommen sind. So verlangt es das Konzept, nach welchem das Asyl-Jugendheim in Affoltern am Albis geführt wird. Oder besser gesagt: geführt werden sollte.

Denn ein «sicherer Ort» ist der Lilienberg nicht. Der Betrieb, der von der Asylorganisation Zürich (AOZ) geführt wird, ist sehr weit von den eigenen Ansprüchen entfernt. Das zeigt ein soeben veröffentlichter, vom kantonalen Sozialamt in Auftrag gegebener Aufsichtsbericht der Firma Schiess. Der Bericht bestätigt Vorwürfe, welche diese Zeitung sowie Radio SRF und das Online-Medium «Das Lamm» schon im Juni publik machten.

Die Zusammenfassung, im Aufsichtsbericht fett gedruckt und umrahmt, lautet so: «Die soziale und pädagogische Betreuungssituation im Lilienberg ist besorgniserregend.»

90 Jugendliche, aber der Platz reicht nur für 45

Der Bericht listet eine ganze Reihe von Problemen auf, beginnend beim Gebäude. Laut dem Betreuungsvertrag zwischen der AOZ und dem kantonalen Sozialamt, das zur Sicherheitsdirektion von Mario Fehr (parteilos) gehört, bietet der Lilienberg bis zu 90 Plätze; seit über einem Jahr sind diese restlos belegt. Die Firma Schiess kommt zum Schluss, das Gebäude sei für maximal 40 bis 45 Jugendliche geeignet, und auch das nur nach einem Umbau.

Die Zimmer, in denen zwei bis vier Jugendliche leben, seien sehr eng. Es bleibe «wenig Platz für Pulte oder Tische und Stühle, darum sitzen die Jugendlichen oft auf dem Boden». Häufig würden sie auch ihre Mahlzeiten so einnehmen. Für eine konzentrierte Tätigkeit oder als Rückzugsort seien die Zimmer nicht geeignet. Zu knapp bemessen seien auch die sanitären Anlagen und die «rudimentär eingerichteten» Küchen in den Wohneinheiten.

Harsche Kritik übt der Bericht aber vor allem an der Betreuung. Es gebe zu wenig ausgebildetes Personal im Lilienberg. In der Regel seien nur eine bis zwei Fachpersonen für über 80 Jugendliche verantwortlich, unterstützt durch weitere Betreuungspersonen. Hinzu kommt, dass nach einem Führungswechsel Ende 2020 zahlreiche Mitarbeitende kündigten. Ein Grossteil des Personals arbeitet erst seit wenigen Monaten im Lilienberg. Bloss: «Neue Mitarbeitende [werden] nicht fundiert in die Aufgaben und das Tätigkeitsfeld eingearbeitet», heisst es im Bericht.

Arbeit im Büro statt mit den Jugendlichen

Ein Grossteil der Arbeit findet laut der Firma Schiess im Büro statt, proaktive Kontaktaufnahmen oder vertiefte Gespräche mit den Jugendlichen «konnten nicht beobachtet werden». Vielmehr gewannen die Verfasser des Berichts, die beiden Experten René Schwyter und Eliane Imhof, den Eindruck, die Betreuungspersonen würden Auseinandersetzungen mit den Jugendlichen meiden. Pädagogische Konzepte würden «nur sehr rudimentär» umgesetzt.

Unter anderem deshalb seien WCs und Küchen «zum Teil stark verschmutzt». In den Küchen finden sich Spritzer und Reste von Nahrungsmitteln, auf dem Boden in den Toiletten Kot und Papier, oft seien diese auch überschwemmt. Eigentlich wären die Jugendlichen im Rahmen ihrer Ämtli für die Reinigung zuständig, doch diese werden, wenn überhaupt, nur mithilfe von Bussen durchgesetzt. Ähnliches gilt für die Nachtruhe, die umso wichtiger wäre, als der Lilienberg sehr ringhörig ist.

Ein weiteres Problem orten die Spezialisten in der mangelhaften Zusammenarbeit zwischen dem kantonalen Sozialamt und dem Amt für Jugend und Berufsberatung, welches Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) unterstellt ist. Die beiden Ämter müssen unter anderem dann zusammenarbeiten, wenn ein Teenager-Flüchtling wegen psychischer oder sozialpädagogischer Probleme nicht im Lilienberg betreut werden kann und deshalb in eine andere Institution wechseln sollte. Doch das klappt nicht reibungslos. Unter anderem «fehlt ein gemeinsames Verständnis der Aufgaben und Kompetenzen der jeweils anderen Stellen». Auf gut Deutsch: Man schiebt die Verantwortung hin und her.

Für Schwyter und Imhof bedenklich ist schliesslich die Tendenz der AOZ-Angestellten, «Pannen und Fehler schönzureden oder als erklärbaren Einzelfall darzustellen». Die befragten Mitarbeitenden, die Zentrumsleitung und die AOZ seien zwar allesamt der Meinung, die Situation pendle sich nun langsam ein und es habe eine positive Entwicklung eingesetzt. Aber: «Unter den gegebenen Umständen teilt das Prüfteam diesen Optimismus nicht.»

Das gilt umso mehr, als die Firma Schiess schon 2019 und 2021 in zwei regulären Aufsichtsberichten festgehalten hat, dass der Lilienberg für 90 Jugendliche nicht geeignet ist. Trotzdem reagierten weder die AOZ noch das kantonale Sozialamt.

Kanton will Belegung nun reduzieren

Jetzt aber hat das Sozialamt «umgehend» Verbesserungen eingeleitet. Wie Leiterin Andrea Lübberstedt in einer Medienmitteilung schreibt, soll die Belegung des Lilienbergs auf maximal 60 Jugendliche sinken. Die AOZ habe den Auftrag, zwei neue Aussenstellen zu eröffnen, eine davon soll schon in den nächsten Tagen eröffnet werden. Ausserdem verlangt der Kanton von der AOZ, mehr Fachpersonal einzustellen. Ausserdem sollen die sanitären Anlagen ausgebaut werden.

Damit nimmt der Kanton die Empfehlungen aus dem Schiess-Bericht teilweise auf. Dieser verlangt neben mehr Personal und einer tieferen Belegung ausserdem den häufigeren Einsatz von Reinigungspersonal und eine zusätzliche, professionell zubereitete Mahlzeit am Abend. Aktuell müssen die Jugendlichen am Abend selbst kochen oder Reste vom Mittagessen aufwärmen, was aber offenbar viele überfordert.



Wie die Flüchtlinge in den Lilienberg kommen

Minderjährige, allein reisende Asylsuchende werden in der Regel wie die Erwachsenen zuerst in den Bundesasylzentren untergebracht, bevor sie auf die Kantone verteilt werden. Die Bundesasylzentren verfügen über eigene Abteilungen für die MNA. So werden die Jugendlichen in der Fachsprache genannt, die drei Buchstaben stehen für den französischen Begriff «mineurs non accompagnés».

Im Kanton Zürich ist das Kantonale Sozialamt, das zur Sicherheitsdirektion von Mario Fehr (parteilos) gehört, für die Platzierung der MNA zuständig. Die Asylorganisation Zürich (AOZ) führt im Auftrag des Kantons den Lilienberg als spezialisiertes kantonales Jugend-Asylheim. Die AOZ ist eine selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt der Stadt Zürich; Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) sitzt seit einem Jahr als Vertreterin des Stadtrats im Verwaltungsrat.

Neben dem Lilienberg führt die AOZ Aussenwohngruppen. Da die Zahl der MNA stark schwankt, ist auch die Zahl der Aussenwohngruppen nicht immer gleich hoch. Aktuell gibt es deren zwei, eine davon ist für Mädchen reserviert. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2016 waren es sechs.MNA, die älter als 12 sind, kommen meist in den Lilienberg oder eine der Aussenwohngruppen, ausser sie brauchen eine spezialisierte Betreuung. Jüngere werden wenn möglich an Pflegefamilien vermittelt.

MNA erhalten überdies von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde einen Beistand zugeteilt, der als gesetzlicher Vertreter amtiert. Die Beistände sind bei der Bildungsdirektion, genauer beim Amt für Jugend und Berufsberatung, angestellt. Derzeit zählt der Kanton Zürich rund 300 MNA. Die Ukraine-Krise hat die üblichen Abläufe etwas auf den Kopf gestellt. Denn die minderjährigen Ukraine-Flüchtlinge sind in der Regel bei Verwandten oder Gastfamilien untergebracht. Die MNA bleiben bis zur Volljährigkeit in der Obhut des Kantons. Danach werden sie auf die Gemeinden oder in Erwachsenen-Asylzentren verteilt. (leu)
(https://www.tagesanzeiger.ch/situation-im-lilienberg-ist-besorgniserregend-273705714927)



nzz.ch 04.10.2022

«Besorgniserregende Betreuungssituation»: Ein Zürcher Asyl-Jugendheim muss nun Massnahmen ergreifen

Überbelegt und zu wenig Betreuungspersonal: Das Zentrum Lilienberg für geflüchtete Jugendliche wird in einem Bericht scharf kritisiert.

Jan Hudec

Die Kritik war harsch. Im letzten Juni wandten sich ehemalige Mitarbeitende des Asylzentrums Lilienberg an mehrere Medien und klagten, das Zentrum sei überbelegt und die Betreuungssituation problematisch. Im Lilienberg waren zu diesem Zeitpunkt rund 90 unbegleitete Minderjährige untergebracht, also Jugendliche, die ohne ihre Eltern geflüchtet sind.

Die Kritik war zuvor auch schon an den Kanton herangetragen worden. Zwar ist der Kanton nicht direkt für die Betreuung der Jugendlichen zuständig, diesen Auftrag hat er an die Asylorganisation Zürich (AOZ) vergeben. Das kantonale Sozialamt ist aber verantwortlich für die Aufsicht. Aufgrund der Kritik gab das Amt eine ausserordentliche Betriebsprüfung in Auftrag. Der Bericht der Schiess – Beratung von Organisationen AG liegt nun vor.

Und das Fazit der Prüfer ist unzweideutig: «Die soziale und pädagogische Betreuungssituation im MNA-Zentrum Lilienberg ist besorgniserregend.»

Kritisiert werden im Bericht diverse Punkte. Das Zentrum sei stark überbelegt. Angemessen untergebracht werden könnten maximal 40 bis 45 Jugendliche. Die Zimmer, die mit zwei bis vier Personen belegt sind, seien eng, für Pulte oder Stühle gebe es kaum oder gar keinen Platz. Es gebe kaum Rückzugsmöglichkeiten für ruhige Tätigkeiten wie Lernen oder Lesen. Das ganze Haus sei sehr hellhörig, die Küchen seien nur rudimentär eingerichtet, und es gebe auch zu wenig sanitäre Anlagen.

Viele Abgänge beim Personal

Ursprünglich hatten im Zentrum nur 45 Jugendliche gelebt. Als die Zahlen der unbegleiteten Minderjährigen im Sommer letzten Jahres stark angestiegen waren, brachte die AOZ dann doppelt so viele Personen im Lilienberg unter. Dies, obschon auch frühere Aufsichtsberichte zum Schluss gekommen waren, dass es nicht Platz habe für 90 Bewohner.

Die Überbelegung war aber nur ein Teil des Problems. Nach einem Wechsel der Zentrumsleitung hatten im Sommer 2021 gleich mehrere langjährige Betreuungspersonen ihre Stelle bei der AOZ gekündigt. Mit der Folge, dass es zu vielen Wechseln bei den Bezugspersonen für die Jugendlichen kam und ab Ende 2021 im Lilienberg fast ausschliesslich neue Mitarbeitende angestellt waren. Wegen der hohen Fluktuation und des hohen Arbeitsdrucks im Alltag seien die neuen Mitarbeitenden «nicht fundiert in die Aufgaben und in das Tätigkeitsfeld eingearbeitet» worden, konstatieren die Prüfer.

Für vertiefte Gespräche und Auseinandersetzungen hätten sich die Betreuer keine Zeit genommen und diese zum Teil gar vermieden. «Ein grosser Anteil der Betreuungsarbeit im MNA-Zentrum Lilienberg wird im Büro geleistet», heisst es im Bericht. Als Folge davon sei auch die Nachtruhe im Zentrum nicht eingehalten worden. Zudem seien Sanitärräume und Küchen zum Teil stark verschmutzt gewesen, wie die Prüfer bei unangemeldeten Besuchen feststellten. Die Räume hätten von den Jugendlichen nach einem festgelegten Plan geputzt werden sollen, was offensichtlich unterlassen wurde.

Die Prüfer kritisieren auch die Haltung der AOZ scharf: «Bedenklich ist die immer wieder zu beobachtende Tendenz der AOZ-Angestellten, Pannen und Fehler schönzureden oder als erklärbaren Einzelfall darzustellen.» Auch sei die Kritik von Mitarbeitenden beim Management der AOZ nicht angekommen oder zu wenig ernst genommen worden.

«Wir haben einen Fehler gemacht»

Zumindest heute räumt die Führung aber Fehler ein. «Wir hätten schneller handeln müssen», sagt der AOZ-Direktor Stefan Roschi. Der Umgang mit interner Kritik sei ungenügend gewesen. Die Probleme gingen aber schon auf eine weiter zurückliegende Fehleinschätzung zurück: Im Vertrag mit dem Kanton garantierte die AOZ, im Lilienberg könnten 90 Personen untergebracht werden. Später sei zwar klargeworden, dass das Zentrum dafür zu klein sei, sagt Roschi. Im letzten Herbst seien die Zahlen der unbegleiteten Minderjährigen dann aber geradezu explodiert. «Und irgendwo mussten wir die Personen ja unterbringen.»

Darunter habe natürlich die Betreuung gelitten. Zudem habe die AOZ ihr Betreuungskonzept auch aus Kostengründen nicht umsetzen können. Man habe dem Kanton bei der Ausschreibung des Auftrags bezogen auf das Betreuungskonzept eine zu tiefe Offerte eingereicht. «Unser Konzept war gut, aber zu diesem Preis nicht umsetzbar.» Die AOZ werde den nötigen Ausbau des Betreuungspersonals nun aus eigenen Mitteln finanzieren. «Wir haben einen Fehler gemacht, darunter sollen weder Mitarbeitende noch Geflüchtete leiden», sagt Roschi.

Neben der Aufstockung des Personals empfiehlt der Bericht der AOZ und dem Kanton diverse Verbesserungen. So sei die Belegungszahl im Lilienberg zu halbieren, und sanitäre Anlagen und Küchen seien auszubauen.

Das kantonale Sozialamt hat die AOZ nun beauftragt, die Belegung des Zentrums von 90 auf maximal 60 Personen zu reduzieren. Es stellt sich die Frage, warum der Kanton nicht schon früher interveniert hat – zumal die Aufsichtsberichte von 2019 und 2021 schon festgehalten hatten, dass das Lilienberg für die Unterbringung von 90 Jugendlichen nicht geeignet ist. Das kantonale Sozialamt nahm auf Anfrage der NZZ am Dienstag nicht Stellung.

Die AOZ ist nun daran, zwei zusätzliche Wohngruppen aufzubauen, in denen in den nächsten Monaten je 30 Jugendliche Platz finden sollen. Um im Lilienberg mehr Platz zu schaffen, soll der heute noch vor Ort stattfindende Unterricht ins Oberstufenschulhaus von Affoltern am Albis verschoben werden. Damit habe das Lilienberg genug Platz für 60 Jugendliche, sagt der AOZ-Direktor Roschi.

Roschi blickt aber mit Besorgnis in die Zukunft, denn die Zahl der geflüchteten Jugendlichen nehme weiter zu. Angesichts des Fachkräftemangels werde es schwierig, genug Betreuungspersonal zu finden. «Diesem Notstand kann die AOZ nicht alleine entgegentreten.» Sie suchten deshalb die Zusammenarbeit mit Kanton, Stadt Zürich und weiteren Partnern.
(https://www.nzz.ch/zuerich/asylorganisation-zuerich-in-kritik-betreuungssituation-mangelhaft-ld.1705831J)


+++SCHWEIZ
UNHR-Bericht:
https://www.ohchr.org/en/press-releases/2022/10/working-group-experts-people-african-descent-human-rights-council-human
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/203690/


+++BALKANROUTE
Migration in die EU: Balkanroute wieder dicht?
Ungarn, Österreich und Serbien wollen illegale Einreisen in die EU mit gemeinsamen Maßnahmen massiv begrenzen. Brüssel sei zu passiv, so die Kritik.
https://taz.de/Migration-in-die-EU/!5886062/


+++EUROPA
EU will das Asylrecht weiter aushöhlen
Regierungen wollen Schengen-Raum in No-Go-Zone für Migranten verwandeln. Derweil spitzt sich die Lage an den Außengrenzen zu
Während die EU-Staaten ukrainischen Flüchtenden großzügig Obdach und Arbeit geben, wollen sie die Restriktionen gegenüber anderen Schutzsuchenden massiv verschärfen. Die Zivilgesellschaft kritisiert das scharf.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1167394.eu-asylpolitik-eu-will-das-asylrecht-weiter-aushoehlen.html


»Die Menschen sitzen hier fest«
Azizou Chehou von Alarmphone Sahara über die EU-Grenze in Westafrika und die Kriminalisierung von humanitärer Hilfe
Im Juli hat die EU ihre Zusammenarbeit mit Niger intensiviert. Das Land gilt als »Grenzwächter Europas«. Azizou Chehou von Alarmphone Sahara über die Kriminalisierung von humanitärer Hilfe.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1167371.eu-asylpolitik-die-menschen-sitzen-hier-fest.html


+++TÜRKEI
Geflüchtete in der Türkei: Die Gastfreundschaft ist verbraucht
Kein Land hat so viele Geflüchtete aus Syrien aufgenommen wie die Türkei. Doch inzwischen breitet sich dort Hetzstimmung gegen sie aus, viele wollen deswegen nach Europa.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-10/gefluechtete-tuerkei-syrien-rassismus-europa/komplettansicht


+++JENISCHE/SINTI/ROBA
ajour.ch 04.10.2022

Landbesetzung in Bözingen: Fahrende geben VIP-Parkplatz nicht frei: Jetzt droht ihnen die Räumung

Seit rund einem Monat campieren Fahrende aus Frankreich illegal auf einem Parkplatz bei der Tissot Arena. Jetzt wurde beim Gericht der Räumungsbefehl beantragt.

Lino Schaeren

Der Ärger mit den Fahrenden aus Frankreich bei der Tissot Arena nimmt kein Ende: Seit rund einem Monat besetzt die Gruppe mit um die 20 Wohnwagen den Aussenparkplatz im Norden der Bieler Stadien illegal. Anfang September sorgte das noch für wenig Aufsehen. Seit der EHC Biel in die neue Saison gestartet ist, stieg das Konfliktpotenzial jedoch rasant: Das Bieler Sportaushängeschild mietet das Parkfeld für seine VIP-Kunden. Diese mussten ihre Karossen am 20. September beim Derby gegen den SC Bern stattdessen entlang der Roger-Federer-Allee abstellen – mit ausdrücklicher Erlaubnis der Behörden.

Seit dem Kantonalderby hat der EHC Biel zwei weitere Heimspiele abgehalten, drei wären es gewesen, wäre das Spiel gegen Fribourg-Gottéron nicht wegen defekter Eisaufbereitung kurzfristig abgesagt worden. Und die Fahrenden sind noch immer da. «Wir haben einige enervierte Kunden, die auf uns zukommen. Sie verstehen nicht, wieso wir gegen diese Besetzung nicht mehr machen», sagt EHC-Geschäftsführer Daniel Villard. Denn: Besitzerin des Aussenparkplatzes ist die Innoland AG. Nur diese kann rechtlich gegen die Landnahme vorgehen.

Und genau das tut die Inhaberin respektive die durch sie eingesetzte Verwaltung jetzt auch. Die At-Home Régie Immobilière SA hat bei der Zivilabteilung des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland den Räumungsbefehl beantragt, wie die Verantwortlichen gegenüber Radio «Canal 3» bestätigen. Geht die Bewirtschafterin der kommerziellen Mantelnutzung in den Stadien den rechtlichen Weg konsequent, wird sie den Parkplatz am Ende polizeilich räumen lassen können.

Fahrende kennen Gesetze

So weit dürfte es jedoch kaum kommen. Die Fahrenden kennen die Schweizer Gesetzgebung in der Regel bestens und wissen, wann für sie der Moment gekommen ist, das Feld freiwillig zu räumen. Konkret ist dies normalerweise spätestens dann der Fall, wenn die richterliche Wegweisung hereinflattert. So geschehen etwa vor gut einem Jahr, als eine grosse Gruppe ausländischer Fahrender südlich der Stadien ein Grundstück im Besitz der Stadt Biel besetzt hielt. Erst am Abend vor dem angekündigten Abschleppen der Wagen zogen die Fahrenden weiter. Gleichzeitig war bereits damals auch besagter Aussenparkplatz nördlich der Tissot Arena durch Fahrende aus Frankreich besetzt – und das über mehrere Monate.

Dass illegale Landnahmen oft mehrere Wochen Bestand haben, hat ihren Grund, schliesslich ist die Räumung kompliziert und für die Eigentümerinnen aufwendig. In einem ersten Schritt muss die Kantonspolizei aufgeboten werden, damit diese die Personalien der Fahrenden aufnimmt. Dann muss beim Regionalgericht ein Antrag auf einen Räumungsbefehl gestellt werden. Wird diesem stattgegeben, die Fahrenden leisten jedoch nicht Folge, kann wiederum beim Regionalgericht Antrag auf richterliche Wegweisung gestellt werden. Erst wenn dieser gutgeheissen wird, kann die polizeiliche Räumung erfolgen.

Es ist daher wenig erstaunlich, dass Grundbesitzer – oder wie in diesem Fall des Parkplatzes Baurechtsnehmer – damit überfordert sind. Die At-Home Régie Immobilière SA beklagte in den letzten Wochen denn auch, dass sie zu wenig Unterstützung durch die Stadt Biel erhalte. Diese wiederum erwiderte in Person von Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) auf die Vorwürfe, dass die Einwohnergemeinde rechtlich gar keine Handhabe habe, auf privatem Grund aktiv zu werden.

Stadt kassiert Gebühren

Dennoch ist die Stadt in den aktuellen Fall involviert, Vertreter der Stadt waren offenbar mehrfach auf Platz, um mit den Fahrenden zu verhandeln. Allerdings nicht über eine mögliche Abreise, wie Feurer betont, sondern über die Abfallentsorgung und den Wasseranschluss. Die Stadt hat daraufhin Mulden für die Abfallentsorgung bereitgestellt sowie einen Wasserzugang gelegt. Dafür wiederum zahlen die Fahrenden: 600 Franken pro gefüllte Mulde.

Laut Feurer werden Abfallmulden nur im Einverständnis mit dem Pächter aufgestellt, «um zu verhindern, dass auf dem Gelände Müll liegen bleibt». Der Wasseranschluss sei wiederum im Interesse der Stadt. Früher, sagt der Sicherheitsdirektor, hätten Fahrende oft die Hydranten der Stadt angezapft. Da diese über kein Rückschlagventil verfügen, drohte jeweils eine Verschmutzung des städtischen Trinkwassers. Die durch die Stadt für die Fahrenden eingerichtete Wasserversorgung verfüge hingegen über ein entsprechendes Ventil, das verhindere, dass Wasser zurück ins städtische Netz fliesse.

Und der EHC Biel? Dem bleibt nicht viel anderes übrig, als dem Treiben vor den Stadiontoren zuzuschauen. Daniel Villard hofft jedoch, dass der Parkplatz für das nächste Heimspiel vom Samstag gegen den EHC Kloten wieder frei ist. Er sagt deshalb: «Wenn die Fahrenden am Mittwoch immer noch da sind, werde ich noch einmal vorstellig.» Ob bei der Stadt Biel oder bei der At-Home Régie Immobilière SA, lässt er offen. Hauptsache, es bewegt sich etwas.
(https://ajour.ch/storyShare/fahrende-geben-vipparkplatz-nicht-frei-jetzt-droht-ihnen-die-rumung/31871/sKoKG)


+++GASSE
Gassenarbeit Bern: «Über bettelnde Menschen wird sehr verallgemeinernd gesprochen»
Die Gassenarbeit Bern ist im täglichen Kontakt mit Leuten mit Lebensmittelpunkt auf der Strasse. Die aktuelle Berichterstattung zum Thema findet sie oft störend, wie sie im Interview erklärt.
https://www.baerntoday.ch/bern/ueber-bettelnde-menschen-wird-sehr-verallgemeinernd-gesprochen-148229923


++++FREIRÄUME
Awareness-Konzepte boomen, doch einfach «einkaufen» lassen sie sich nicht
Awareness-Konzepte im Nachtleben: In der alternativen Szene Zürichs köcheln sie bereits seit einigen Jahren – und erfahren jetzt auch von kommerzielleren Clubs Aufmerksamkeit. Wir haben uns mit den wenigen Akteur:innen, die in diesem Bereich tätig sind, getroffen. Luisa Ricar, awareness radical und Studio Kali über Diskriminierung, gratis Arbeit und die Verantwortung der Clubbetreiber:innen.
https://tsri.ch/zh/awareness-konzepte-im-zuercher-nachtleben.9I2HGYrth1muqfUS


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Polizei in Lausanne führt sie ab: Aktivisten blockieren Autobahneinfahrt
In Lausanne setzen sich vier Aktivisten auf die Strasse und blockieren die Autobahneinfahrt. Sie fordern vom Bund eine thermische Sanierung der Gebäude, um auf fossile Energie verzichten zu können. Nach einer Viertelstunde wurden sie von der Polizei abgeführt.
https://www.blick.ch/schweiz/polizei-in-lausanne-fuehrt-sie-ab-aktivisten-blockieren-autobahneinfahrt-id17933319.html


+++SPORT
Führt neuer Fussball-Modus zu Mehrbelastung der Luzerner Polizei?
Ab nächster Saison wird die Schweizermeisterschaft im Play-Off-Modus ausgetragen. So wird erst kurzfristig klar, ob auf der Allmend Clubs mit Ausschreitungspotential aufeinandertreffen. Die Luzerner Regierung will solche Spiele aber nicht grundsätzlich verbieten.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/fuehrt-neuer-fussball-modus-zu-mehrbelastung-der-luzerner-polizei?id=12264430


FCL-Playoffs: Polizei vor Planungsproblemen: «Regierung lässt sich von Liga auf der Nase herumtanzen»
Ab kommender Saison soll die Super League im Playoff-Modus ausgetragen werden. Das stellt die Polizei vor Schwierigkeiten bei der Planung. SP-Kantonsrat David Roth fordert vom Fussballverband eine Anpassung des Modus oder verlangt, dass Luzern die Bewilligung verweigert.
https://www.zentralplus.ch/politik/david-roth-fordert-klare-haltung-zu-playoffs-beim-fcl-2462861/


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Blockadepolitik im Mittelmeer,
Faschismus in Brasilien, Proteste im Iran
https://antira.org/2022/10/04/blockadepolitik-im-mittelmeerfaschismus-in-brasilien-proteste-im-iran/


Rassismus in Kliniken: Studie in Arbeit
Rassismus gehört an Krankenhäusern oft zum Alltag. Die Datenlage ist dünn, das meiste beruht auf Erfahrungsberichten. Eine Studie soll das Ausmaß und die Folgen ausleuchten.
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/studie-rassismus-krankenhaus-100.html


+++RECHTSPOPULISMUS
landbote.ch 04.10.2022

Genderdebatte in Winterthur: Nationalrätin will der ZHAW das Gendern verbieten

Die Zürcher SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer hält nichts vom gendergerechten Sprachleitfaden der ZHAW. Mit einer parlamentarischen Initiative will sie gendergerechte Sprache an staatlichen Hochschulen verbieten.

Roger Meier

«Liste der Teilnehmenden» statt «Teilnehmerliste», «Mensch mit Behinderung» statt «Behinderter», «People of Color» statt «Schwarze» – die ZHAW hat für das Herbstsemester 2022/2023 ihren Sprachleitfaden überarbeitet. Mit dem Leitfaden will sie die Studierenden für einen «bewussten Umgang mit Sprache» sensibilisieren und aufzeigen, wie sie Worte gendergerecht und diskriminierungsfrei wählen können.

Ein Regelwerk ist das achtseitige Dokument nicht, sondern vielmehr eine «Orientierung» und eine «Unterstützung», wie das Rektorat im Leitfaden schreibt. Allerdings können die Dozierenden den Gebrauch von gendergerechten Begriffen im Unterricht verlangen und ihn zum Beispiel in studentischen Arbeiten mit benoten.

Für die Hagenbucher SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer geht das zu weit. Sie hat deshalb letzte Woche im Nationalrat eine parlamentarische Initiative eingereicht: Das Parlament soll ein Gesetz ausarbeiten, welches das «Gendern an den Hochschulen und Forschungsanstalten des Bundes» verbietet.
Sprachleitfaden ist Spiegel der Gesellschaft

Inwiefern die ZHAW von einem solchen Gesetz betroffen wäre, ist unklar. Der Bund finanziert die Hochschule zu 23 Prozent. Ob es das Verbot überhaupt braucht und ob das Parlament darüber abstimmen soll, prüft die zuständige Bildungskommission.

Für Schläpfer ist klar, dass Handlungsbedarf besteht. Sie hält den neuen Sprachleitfaden der ZHAW für den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die sie schon länger beobachtet. «Die Linken und Grünen wollen in der Schweiz schleichend ein Sprachregime einführen», sagt sie.

Vor ein paar Jahren habe sie über das Thema Gendern noch schmunzeln können. Unterdessen fühle sie sich als Kritikerin der «Gleichstellungsmanie» aber nur noch unterdrückt. «Wer nicht gendern will, der wird sofort in die Ecke der Menschenfeinde gestellt», sagt die Hagenbucher SVP-Nationalrätin.

Schläpfer will ein Zeichen setzen

Dass der Sprachleitfaden der ZHAW mehr oder weniger unverbindlich ist, spielt für Schläpfer keine Rolle. Wenn sie «Gendersprache» an staatlichen Hochschulen gesetzlich verbieten will, dann ist das eine «reine Vorsichtsmassnahme», eine Art Notbremse, wie sie selbst sagt. Und die Anwendung der Gendersprache dürfe die Notengebung nicht beeinflussen.

Schläpfer will mit dem Vorstoss ein Zeichen setzen. Sie hofft, dass «eine Gegenbewegung auf nationaler Ebene» entsteht. «Man soll in der Schweiz wieder so reden dürfen, wie man will», sagt sie. Dass dies an der ZHAW der Fall ist und weiterhin der Fall sein wird, bezweifelt sie. «Studenten und Dozenten üben gegenseitig Druck aufeinander aus. Es wird praktisch erwartet, dass sie gendern.»

Den gesellschaftlichen Druck habe sie auch im Nationalrat gespürt, als sie für ihr Anliegen geweibelt hat. 23 von 55 SVP-Nationalräten und Nationalrätinnen, die sie befragt habe, hätten die Initiative unterschrieben. Und 3 FDPler. «Viele Kolleginnen und Kollegen von anderen Parteien, die ich um Unterstützung gefragt habe, wollten sich nicht exponieren», sagt Schläpfer.
(https://www.landbote.ch/nationalraetin-will-der-zhaw-das-gendern-verbieten-428668152964)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
landbote.ch 04.10.2022

Demonstration in Winterthur: Rechtsextreme Junge Tat marschierte neben Corona-Kritikern

Am Sonntag demonstrierten in Winterthur neben Kritikern der Corona-Massnahmen auch Mitglieder der Jungen Tat. Der Turbenthaler Veranstalter Urs Hans sah keinen Grund, einzugreifen.

Deborah von Wartburg

Trychler, Corona-Skeptikerinnen, Impfgegner und andere Unzufriedene mit der Corona- oder der Europapolitik verschafften ihrem Ärger am Sonntag in Winterthur Luft. Gemäss der Stadtpolizei marschierten etwa 500 Teilnehmende bei Regenwetter durch die Altstadt. Mitten unter ihnen auch einige Mitglieder der Jungen Tat.

Sie gilt als die aktivste rechtsextreme Bewegung der Deutschschweiz, in deren Hintergrund Neonazis der Nationalen Aktionsfront stehen. Aus der Jungen Tat ging die Eisenjugend hervor. Mitglieder dieser Gruppierung wurden bereits wegen des Verbreitens nationalsozialistischer Ideologie verurteilt. Der Nachrichtendienst des Bundes beobachtet die Junge Tat.

Am Sonntag in Winterthur trugen sie ein Banner mit der Aufschrift «Kein Bock auf eure Krisen», waren allerdings nicht als Mitglieder der Jungen Tat gekennzeichnet. Ihre Teilnahme an der Demonstration bestätigte die Gruppierung selbst mit Bildern, die sie auf ihrem Telegram- und ihrem Instagram-Kanal teilte.

Organisator wusste von Präsenz

Organisator der Demonstration war der Verein Public Eye on Science, den der Turbenthaler Biobauer und Kantonsrat Urs Hans (parteilos) präsidiert. Hans sagt: «Ich habe die von der Jungen Tat nicht eingeladen, aber wenn sie mitlaufen wollen, kann ich nichts dagegen tun.» Er sei während der Veranstaltung auf die Anwesenheit der rechtsextremen Bewegung hingewiesen worden, habe aber entschieden, solange die Mitglieder friedlich blieben, müsse er nicht eingreifen. Für den Fall wäre aber Sicherheitspersonal vor Ort gewesen, so Hans.

Die Junge Tat tritt in der letzten Zeit in der Region häufig in Erscheinung. So protestierte die Gruppierung am Samstag in Neuhausen SH gegen ein Pilotprojekt der Schule Kirchacker, in dem Imame Religionsunterricht erteilen dürfen.

Oft an Corona-Demos

Mediensprecher der Stadtpolizei Winterthur Michael Wirz bestätigt, dass die öffentlichen Auftritte der Jungen Tat zunehmen, vor allem bei Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen. Im Januar hatte sie in Bern gar eine Corona-Demonstration angeführt.

Die Präsenz der Jungen Tat am Sonntag in Winterthur sei von der Polizei vor Ort registriert worden. Sie habe nicht eingegriffen, weil nichts auf eine Gefahrensituation hingedeutet habe. Wirz sagt: «Im Prinzip darf jeder, der will, bei einer bewilligten Demonstration mitlaufen, solange er sich ans Gesetz hält.» Die inhaltliche und ideelle Distanzierung sei Sache der Demoorganisatoren. Man beobachte die Szene aber aufmerksam.
(https://www.landbote.ch/rechtsextreme-junge-tat-marschierte-neben-corona-kritikern-820796460373)



tagblatt 03.10.2022

«Gegen die Pandemielüge»: Die Friedenskette rund um den Bodensee scheiterte, weil nur wenige Massnahmengegner vor Ort waren

Obwohl gross angekündigt von Corona-Skeptikern und Massnahmengegnern, fand eine Kundgebung am Konstanzer Trichter und in Kreuzlingen nicht statt. Grund dafür: mangelnde Anzahl Demonstrationswilliger und eine verwirrende Organisation.

Judith Schuck

Am Sonntag um 15.15 Uhr gibt es am Konstanzer Trichter den Aufruf, die Friedenskette zu schliessen. Rund 40 Menschen hatten es bis hierher geschafft, dabei hatte der Organisator der Demonstration «Friedensee», Gerry Mayr, vorab dazu aufgerufen, sich bitte per Mail anzumelden, damit jedem sein Platz reserviert werden könne.

Das wäre nun nicht nötig gewesen für dieses Ereignis, zu dem der Konstanzer Zweiradmechaniker und Coronamassnahmenkritiker aufgerufen hatte. Es hätte eine Friedenskette rund um den Bodensee werden sollen. Und ab 15 Uhr wollte man vom Konstanzer Stadtgarten Richtung Kreuzlingen aufbrechen, wo Mayr am Abend seine Abschlussrede abhalten wollte.

Vorträge und Musik von Systemkritikern und Esoterikerin

Dass das Programm verwirrend war, darüber beschwerten sich eine Vielzahl der Demonstrationswilligen. Wobei das Wort «Vielzahl» relativ zu betrachten ist, blieb doch die Menge überschaubar. An der Konstanzer Seestrasse hatte sich schon am Samstag die systemkritische Organisation «Wirkraft.org» mit einem Pavillon eingerichtet. Hier gab es Vorträge und Musik von der Querdenkerszene nahestehenden Musikern wie das «Duo ziemlich anders» und der Esoterikerin Perin Dinekli. Sie hatte 2020 einen Strafbefehl erhalten, da sie als Ärztin Gesundheitszeugnisse ausstellte, um die Maskenpflicht zu umgehen.

An diesem Pavillon fanden sich am Sonntag gegen 14 Uhr etwa 15 Menschen ein, auf der Suche nach der Friedenskette. Statt Bands waren lediglich ein paar müde Tambourinschläge zu hören. Eine Frau fragte verärgert: «Ich bin extra von Eriskirch über den See gekommen, wo ist denn nun die Friedenskette?»

Andere schlossen sich ihr an, das Programm sei völlig verwirrend. Das «Wirkraft»-Team entschuldigte sich, es sei nicht für die Organisation zuständig und schickte die Leute zum Fährhafen Konstanz-Meersburg. Dass dieser gut vier Kilometer entfernt liegt, konnten die Ortsfremden nicht wissen und stapften tapfer los. Einer davon trug auf seinem grauen Filzhut neben einem Button gegen Atomkraft einen: «Gegen die Pandemielüge».

Systemvernichtendes Kartenspiel «Game Over»

Als Trost gab es von «Wirkraft» das Kartenspiel «Game Over» mit auf den Weg, bei dem Politiker gestürzt werden sollen: «Begib dich direkt in die Höhle des Löwen. Werde einer der Akteure und schlage den Deep State mit seinen eigenen Waffen. Bringe die Clans unter Deine Kontrolle. Sobald du alle Clans mit deinem Syndikat steuerst, heisst es Game Over.» Fragwürdige Spielregeln, für einen Anlass wie «Friedensee», der sich gegen Rüstungsexporte aus dem Bodenseeraum richtet, wie Gerry Mayr im Vorfeld der Demonstration bekräftigte.

Am Fährhafen in Konstanz-Staad sind um 14.30 Uhr ebenfalls nur vereinzelte Anhänger der Bewegung anzutreffen, darunter in erster Linie Vertreter des Mediums «Kla.TV», das sich gegen die Täuschung von «Mainstream-Medien» richtet. Das Kamerateam packt bald wieder ein. Keine Menschen am Hafen, obwohl doch um 16 Uhr Lothar Mack, ein für seinen Rechtspopulismus bekannter Pfarrer aus Bern, einen Gottesdienst abhalten hätte sollen. Die Leute laufen einfach los, niemand weiss, wohin.

Ein angeblicher Freund von Gerry Mayr, auf dessen Auto die Nachricht prangt, «Steck dir deine Pandemie in den Arsch», versucht den Organisator vergeblich telefonisch zu erreichen, um zu fragen, wo er denn hinkommen solle. Am Morgen sei er bereits in Nonnenhorn gewesen. «Da waren nur 20, 25 Leute. Lag sicher am Wetter.»

Dass die Vision Gerry Mayrs von einer geschlossenen Kette rund um den See sich nicht verwirklichen liess, scheint klar. Ob es an der schlechten Organisation lag? Ein extra aus der Oberpfalz im östlichen Bayern angereister Mann meinte jedenfalls, dass sei «a bissl a Problem vom Gerry».
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/bezirk-kreuzlingen/demonstration-gegen-die-pandemieluege-die-friedenskette-rund-um-den-bodensee-scheiterte-weil-nur-wenige-massnahmengegner-vor-ort-waren-ld.2353434)


+++ANTI-WOKE/DREADLOCKSMANIA/WINNETOUWHINING
Hype um Yoga – Wie der Westen daraus ein Geschäft macht
Bier-, Nackt- oder Alpaka-Yoga: Es gibt immer mehr und immer speziellere Yoga-Angebote. Reporterin Sofika Yogarasa kennt die Werte hinter der indischen Lehre schon seit ihrer Kindheit. Sie fragt sich: Wird Yoga hier im Westen verhunzt?
https://www.srf.ch/play/tv/rec-/video/hype-um-yoga—wie-der-westen-daraus-ein-geschaeft-macht?urn=urn:srf:video:91d5a66b-912f-4d3b-aecd-475bca3d8b12&aspectRatio=16_9


Cancel Culture und Wokeness: Auf Wiedervorlage
Die Argumentationslinien gegen vermeintliche Wokeness sind alt. Doch ein Blick zurück zeigt: Keines der Schreckensszenarien ist jemals eingetreten.
https://taz.de/Cancel-Culture-und-Wokeness/!5882236/


TV-Einschaltquoten am Feiertag: »Rumpelstilzchen« schlägt »Winnetou«
In der Aufregung über den Rückzug eines »Winnetou«-Filmbegleitbuchs waren auch die TV-Wiederholungen der Filme diskutiert worden. Nun gab es eine im ZDF – die Zuschauerzahlen entsprachen nicht der Hitzigkeit der Debatte.
https://www.spiegel.de/kultur/tv/tv-quoten-rumpelstilzchen-schlaegt-winnetou-und-das-halbblut-apanatschi-a-42c368f6-710d-4677-b686-2242311b484f


+++SCHWEIZ 2
tagblatt.ch 04.10.2022

«Menschenunwürdig»: Schlepper haben in Österreich Hochkonjunktur – sie operieren aber auch auf Schweizer Boden

Schlepper haben Hochkonjunktur. Stark betroffen ist Österreich, wo erst kürzlich drei Migranten starben, weil ein Menschenschmuggler der Polizei davonraste und einen Unfall verursachte. Auch durch die Schweiz gibt es lebensgefährliche Transporte.

Kari Kälin

Die Szene ereignet sich am 2. August am Grenzübergang Bietingen/Thayngen. Eine Person hört Klopfgeräusche in einem Lastwagen, alarmiert die Schweizer Grenzwächter. Diese öffnen die Ladefläche und entdecken zwei junge, dehydrierte Männer aus Afghanistan, die medizinische Hilfe benötigen. Der Lastwagen fuhr von Serbien bis nach Deutschland und wollte in Bietingen die Grenze zur Schweiz überqueren. Der serbische Chauffeur wurde befragt und wieder freigelassen. Die deutsche Bundespolizei übernahm den Fall und ermittelt.

Flüchtlinge, die versteckt in Lastwagen durch die Schweiz geschleust werden? Bis 2014 registrierten die Schweizer Behörden bloss einen Fall. Bei einer Warenkontrolle in Chiasso fanden die Grenzwächter zwei Menschen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit laut einem Bericht des Bundesamtes für Polizei (Fedpol) gross, dass mehr Lastwagen mit versteckten Migranten durch die Schweiz gerollt sind oder rollen.

Es können auch Lieferwagen sein. Anfang September hielt die Kantonspolizei Nidwalden auf der Autobahn A2 einen Lieferwagen mit italienischem Nummernschild an. Die Kontrolle sei einzig dem «Instinkt der Beamten» zu verdanken gewesen, sagt Senad Sakic, Chef der Kriminalpolizei Nidwalden. Im Fahrzeug befanden sich 23 Personen aus Afghanistan, Indien, Syrien und Bangladesch – zusammengepfercht auf engstem Raum ohne Fenster. «Menschenunwürdig und psychisch und physisch extrem belastend», sagte Sakic.

Die zwei aktuellen Beispiele von Bietingen/Thayngen und dem Kanton Nidwalden werfen ein Schlaglicht auf ein Phänomen, das sich nach dem Abflauen der Coronapandemie wieder verstärkt manifestiert: Die illegale Migration nach Europa, sei es auf der Westbalkan- oder der Mittelmeerroute. Bis Ende August stellten Schweizer Grenzwächter 23’755 illegale Aufenthalte fest, deutlich mehr als im ganzen letzten Jahr. Und sie registrierte 281 mutmassliche Schlepper. Die reale Zahl ist höher. Denn Schleuser, die von den kantonalen Polizeien gestoppt werden, erscheinen nicht in der Grenzwacht-Statistik. Zur Nationalität der mutmasslichen Schlepper macht das zuständige Bundesamt keine Angaben.

Österreich intensiviert Kampf gegen Schlepper

Doch wie gehen Menschenschmuggler vor? Laut Fedpol handelt es sich meist um «transnational operierende Täternetzwerke, die einerseits zusammenarbeiten, andererseits ihre eigenen Methoden haben und diese laufend weiterentwickeln». Einige würden den Schmuggel vom Herkunfts- bis ins Zielland organisieren, andere nur einzelne Abschnitte.

Wie viele Migranten mit Hilfe von Schleppern in die Schweiz gelangen, weiss das Fedpol nicht. Klar sei, dass Menschenschmuggler «alle möglichen Beförderungsmöglichkeiten» nutzen. Das bedeutet im Klartext: Last-, Liefer- und Personenwagen, Online-Mitfahrplattformen oder der klassische Schmuggel über die grüne Grenze.

Der Fall mit den 23 Migranten im Kanton Nidwalden ist für die Schweiz beispiellos. Anders sieht es in Österreich aus. Es jagen sich Schlagzeilen über Menschen, die in Kofferräumen von Personenwagen, in Stauboxen und anderen Verstecken in Last- oder Lieferwagen aufgespürt werden. Während die Zahl der Asylgesuche stark steigt, hat Wien den Kampf gegen die Schlepper in den letzten Monaten intensiviert. «Die organisierte Schleppermafia ist zurück – und wir müssen ihr einen Riegel vorschieben», sagt Innenminister Gerhard Karner.

Die Schleuser nehmen Tote in Kauf, wie die zwei folgenden Beispiele zeigen.

– Am 13. August durchbrach ein Lieferwagen auf der Autobahn A6 im Burgenland eine Polizeikontrolle. Der russische Schlepper, der 20 Personen zusammengepfercht hatte, raste davon. Das Fahrzeug überschlug sich, drei Menschen starben.
– Im vergangenen Oktober entdeckte die Polizei an der Grenze zu Ungarn im Burgenland in einem gelben Kleinbus 29 Personen. Zwei Männer aus Syrien erlitten einen qualvollen Erstickungstod.

Die Vorfälle erinnern an das Drama im österreichischen Pandorf vom 27. August 2015. In einem Kühllastwagen wurden 71 Leichen gefunden. Mehrere Täter kassierten später in Ungarn lange Haftstrafen.

3000 bis 7000 Euro für die Lebensgefahr

Bis Mitte August sind in Österreich 330 Schlepper ins Netz gegangen, etwa 80 mehr als im Vorjahr. Sie stammen vornehmlich aus Syrien, Afghanistan, Bosnien, Ungarn, Serbien und Österreich. Ein grosser Teil der Flüchtlinge sind Afghanen und Syrer. Zu einer Migrationsdrehscheibe ist Serbien avanciert, eine Zwischenstation auf der Balkanroute. Im österreichischen Radio berichteten Migranten, sie hätten 3000 bis 7000 Euro hingeblättert für die lebensgefährlichen Reisen in den gelobten Westen.

Gemäss dem österreichischen Bundeskriminalamt streiten sich vier rivalisierende Schleppergruppen um das lukrative Geschäft. Oft werden Flüchtlinge in Lastwagen versteckt, ohne dass der Chauffeur etwas davon bemerkt. Die österreichischen Behörden machen Schwerpunktkontrollen bei Last- und Lieferwagen, setzen aber auch auf Drohnen, Helikopter und Wärmegeräte.

Tessiner Polizei vermeldet Erfolg

Wie stark die in Österreich aktiven Schlepper den Transport in und durch die Schweiz orchestrieren, ist nicht bekannt. Fest steht: In der letzten Woche vereinbarte Justizministerin Karin Keller-Sutter mit Österreich einen gemeinsamen Aktionsplan gegen die illegale Einwanderung. Aktuell reisen die meisten Migranten im Zug von Österreich in die Schweiz ein. Die Grenzwacht führt risikobasierte und lageabhängige Kontrollen in verschiedenen Verkehrsmitteln durch, Drohnen werden aktuell keine eingesetzt. Systematische Grenzkontrollen lehnt der Bundesrat ab.

Einen Erfolg gegen die illegale Migration vermeldete gestern die Tessiner Kantonspolizei. Ein Iraner und zwei Iraker befinden sich seit dem 20. September in Untersuchungshaft. Eine vierte Person verhaftete die Zürcher Kantonspolizei. Ihnen wird vorgeworfen, als Teil eines internationalen Verbrechernetzwerkes Menschen von Italien durch die Schweiz nach Deutschland und andere Länder im Norden Europas geschleust zu haben.
(https://www.tagblatt.ch/schweiz/menschenhandel-die-schleppermafia-ist-zurueck-und-nimmt-todesopfer-in-kauf-wie-viele-migranten-werden-in-lastwagen-durch-die-schweiz-geschleust-ld.2354077)