Medienspiegel 6. August 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++KNAST
Zu wenig Personal im Gefängnis – Private Sicherheitsleute müssen im Gefängnis einspringen
Auch im Strafvollzug macht sich der Personalmangel bemerkbar. Es kommen auch private Sicherheitsfirmen zum Einsatz.
https://www.srf.ch/news/schweiz/zu-wenig-personal-im-gefaengnis-private-sicherheitsleute-muessen-im-gefaengnis-einspringen


+++BIG BROTHER
Gesichtserkennung: London will straffällige Migranten per Smartwatch überwachen
In Großbritannien sollen Smartwatches mit biometrischer Gesichtserkennung und GPS-Tracking elektronische Fußfesseln bei ausländischen Straftätern ersetzen.
https://www.heise.de/news/Gesichtserkennung-London-will-straffaellige-Migranten-per-Smartwatch-ueberwachen-7205172.html


+++POLICE BE
«Übung macht den Meister» mit Simon Enzler
In Bern findet Mitte August eine gross angelegte Übung der Polizei und Armee statt. Obwohl sie «Fides», lateinisch für «Vertrauen», heisst, löst sie bei Linken Aktivisten viel Misstrauen aus.
https://www.srf.ch/audio/zytlupe/uebung-macht-den-meister-mit-simon-enzler?id=12221425


+++FRAUEN/QUEER
Nicht Mann, nicht Frau: Non-binär: Henrik Amalia von Dewitz (27)
Henrik Amalia von Dewitz (27) ist non-binär, fühlt sich weder den Geschlechtern Mann noch Frau zugehörig. Ein Besuch in Luzern.
https://www.blick.ch/schweiz/nicht-mann-nicht-frau-non-binaer-henrik-amalia-von-dewitz-27-id17767392.html


Die Geschlechterdebatte: Vincenzo will keine Frau mehr sein
Vincenzo (18) mochte lange Kunstnägel und bauchfreie Tops. Und wehrte sich als Influencer gegen die Diskriminierung, die er deshalb erfuhr. Dann hatte er genug. Und findet sich nun neu. Eine Geschichte über Jugendliche, die jenseits der Kategorien Frau und Mann leben.
https://www.blick.ch/schweiz/die-geschlechterdebatte-vincenzo-will-keine-frau-mehr-sein-id17768865.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Aus nazifrei.ch wird nazifrei.org – zumindest vorübergehend
Überraschung, irgendwer scheint uns nicht zu mögen. Aus technischen Gründen wird aus nazifrei.ch verübergehend nazifrei.org. Sollte nazifrei.ch wieder zur Verfügung stehen, werden selbstverständlich beide Domains bespielt.
https://barrikade.info/article/5325


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Ab in die Parallelgesellschaft: Corona-Skeptiker planen die Revolution von unten
Die Aussteiger und Wutbürger haben die beiden Bewegungen Urig und Graswurzle gegründet und wollen die Gesellschaft unterwandern.
https://www.watson.ch/!705561808


Themenpalette wird breiter – Radikale Gruppen in Deutschland weiten ihre Kampfzone aus
Sie sind gegen Flüchtlinge, gegen Coronaregeln – und kämpfen jetzt für Putin. Radikale Gruppen und ihr neues Thema.
https://www.srf.ch/news/international/themenpalette-wird-breiter-radikale-gruppen-in-deutschland-weiten-ihre-kampfzone-aus


Unbewilligte Demonstration in Herisau
In Herisau ist es am Samstag zu einer unbewilligten Demonstration einer Gruppierung gegen die «WHO Plandiktatur» gekommen. Die Kantonspolizei wurde über die mögliche Demonstration informiert und war mit einem grösseren Aufgebot präsent.
https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/unbewilligte-demonstration-in-herisau-00190565/
-> https://www.nau.ch/ort/herisau/herisau-ar-unbewilligte-demonstration-gegen-die-who-plandiktatur-66237708


«Es nervt mich, dass mein Name noch drauf ist»: Ganser macht Schweizer Politiker wütend
Der Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser wirbt mit Spitzenpolitikern als «Partnern», darunter SP-Fraktionschef Roger Nordmann. Diese gehen auf Distanz.
https://www.blick.ch/politik/daniele-ganser-wirbt-mit-politikern-als-partnern-es-nervt-mich-dass-mein-name-noch-drauf-ist-id17768797.html



derbund.ch 06.08.2022

Der Abgedriftete und die Promis: Daniele Ganser führt zahlreiche Toppolitiker als «Partner»

Lange unterstützten prominente Nationalräte und ein Regierungspräsident den Autor, der Verschwörungstheorien verbreitet. Nun wollen sie Distanz markieren. Aber Ganser reagiert nicht.

Thomas Knellwol

Er ist einer der erfolgreichsten Schweizer Sachbuchautoren und Verschwörungstheoretiker. Auch in Deutschland hat Daniele Ganser eine grosse Anhängerschaft, die bei seinen Vorträgen Saal um Saal füllt und damit auch seine Kasse.

Dies war schon vor der Pandemie der Fall. Doch die Corona- und nun auch die Ukraine-Krise haben dem 49-jährigen Baselbieter zusätzliche Popularität verliehen – vornehmlich in Kreisen, die hinter Covid-19 und dem Krieg Russlands gegen das Nachbarland eine grosse Verschwörung vermuten.

Seriöse Fachkollegen sagen, dass der Historiker mit Doktortitel schon seit längerem zunehmend Unwissenschaftliches und Abstruses mit Fakten vermischt und verbreitet (lesen Sie hier ein Porträt aus der Vor-Corona-Zeit).

Aktuell im Ukraine-Krieg ist bei Ganser Russland eher Opfer als Täter. Zwar pflegt er die russische Invasion im Nachbarland zu verurteilen. Doch dann redet er viel lieber über angebliche Schuld der USA und der Nato am Konflikt. Dabei stellt er gerne die unbelegte Behauptung auf, die Amerikaner hätten 2014 auf dem Kiewer Maidan-Platz einen Putsch finanziert und orchestriert. Diese Darstellung deckt sich mit der Desinformation Russlands über die damaligen Ereignisse*.

Neu sind solche Denkmuster beim «Friedensforscher», wie er sich selber nennt, nicht: Bereits seine Darstellung zu den Al-Qaida-Anschlägen in den USA von 2001 entspricht gemäss Experten wie dem Tübinger Professor Michael Butter, der sich intensiv mit der Thematik befasst hat, einer 9/11-Verschwörungstheorie.

Basels Regierungspräsident sah in Gansers Institut ein «Friedensprojekt»

Umso überraschender ist es, dass Daniele Ganser auf seiner Webseite nach wie vor eine ganze Reihe Schweizer Politikerinnen und Politiker von links bis rechts unter dem Titel «Partner» aufführt – darunter mehrere, die sehr erfahren und auch überregional bekannt sind. So lobt dort der langjährige SP-Nationalrat und heutige Basler Regierungspräsident Beat Jans das «Schweizer Institut für Frieden und Energieforschung» (Siper) als «Friedensprojekt», obwohl sich dieses zumindest heute hauptsächlich um die Vermarktung Gansers als Autor und Redner kümmert.

Auch zahlreiche amtierende Nationalrätinnen und Nationalräte haben als «Partner» für Ganser und Siper wohlwollende oder unverfängliche Statements abgegeben. So wird der Baselbieter Sozialdemokrat Eric Nussbaumer auf der Webseite mit den Worten zitiert: «Es ist sehr wichtig, dass das Siper in Basel zu diesen Themen forscht und die interessierte Öffentlichkeit informiert.» Die Berner Freisinnige Christa Markwalder findet dort angeblich: «Ich bin froh, dass das Siper nicht nur den globalen Kampf ums Erdöl, sondern auch mögliche Lösungen untersucht.» Ganz ähnlich soll sich die zurückgetretene Zürcher Mitte-Politikerin Kathy Riklin geäussert haben: «Es ist wichtig, dass das Siper in Basel nicht nur den globalen Kampf ums Erdöl, sondern auch mögliche Lösungen wissenschaftlich untersucht.» Etwas unkonkreter sind die von Ganser verwendeten Statements von SP-Fraktionschef Roger Nordmann (Waadt) oder vom Berner SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal .

Gemeinsam ist den meisten erwähnten Politikerinnen und Politikern, dass sie überrascht bis entsetzt reagieren, als sie diese Woche von dieser Zeitung zu ihren Zitaten und Empfehlungen befragt werden. Christa Markwalder schreibt, sie sei sich nicht bewusst gewesen, dass sie «(immer noch) als Unterstützerin auf der Siper-Webseite aufgeführt» sei. Ihr Zitat müsse «deutlich älter als zehnjährig sein». «Ich pflege schon seit über zehn Jahren keinen Kontakt mehr zu Daniele Ganser, denn er hat sich in meiner Wahrnehmung stark radikalisiert. Gerade seine Äusserungen zu den Massnahmen zur Corona-Pandemie und auch zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine teile ich überhaupt nicht und finde sie völlig deplatziert.» Weiter schreibt die FDP-Politikerin: «Dass Ganser sich auf der Siper-Website mit solch alten Zitaten schmücken muss, sagt auch einiges über seinen Charakter aus. Ich werde bei Siper vorstellig, dass mein Name und das unterstützende Zitat umgehend gelöscht werden.»

Kathy Riklin distanziert sich in ähnlicher Weise: «Ich habe grosse Mühe mit Gansers Positionen zur Pandemie. Bei der Ukraine kenne ich seine Meinung nicht, ich bin aber absolut auf der Seite der EU und verurteile den Angriffskrieg der Russen ohne Wenn und Aber.»

Auch Daniele Ganser tut dies – allerdings mit Wenn und Aber. Kurz nach Russlands Überfall auf das Nachbarland hatte er beispielsweise beim russischen Propagandasender RT einen Auftritt. In der halben Stunde Sendezeit machte er die USA und die Nato mehr als den Aggressor für den Krieg in der Ukraine verantwortlich.

Gescheiterte Löschungsversuche

Verschiedene einstige Unterstützer haben gemäss eigenen Angaben bereits früher mit Daniele Ganser gebrochen. So schreibt Roger Nordmann: «Ich unterstütze Siper und Ganser schon lange nicht mehr.» Er habe einst ein Buch Gansers gut gefunden. «Was er seitdem macht, ist sehr fragwürdig. Es nervt mich, dass mein Name noch drauf ist. Ich habe mehrere Male probiert, eine Löschung zu bewirken.» Allerdings erfolglos. Ganser habe auf E-Mails nicht reagiert.

Der SVP-Politiker Erich von Siebenthal sagt – wie alle Angefragten –, sein Zitat müsse einige Jahre alt sein. Auch er distanziert sich heute von Ganser.

Nicht auf Distanz geht Eric Nussbaumer, aber er betont, dass über sein Quote hinaus keine Zusammenarbeit mit Gansers Institut bestehe: «Siper äussert sich frei, ich muss ihre Meinung nicht in allen Punkten teilen.»

Der Basler Regierungspräsident Beat Jans wollte sich im vergangenen Dezember an den «lieben Daniele» wenden, nachdem Ganser «Politik und Leitmedien» für die gesellschaftliche Spaltung in der Corona-Krise verantwortlich gemacht hatte. Er wehrte sich in einer E-Mail mit dem Betreff «Problematische Entwicklung» gegen diese Schuldzuschreibung: «Ich habe dich immer unterstützt, weil du faktenbasiert und wissenschaftlich argumentiert hast und auch über deine eigenen Aktivitäten transparent warst. Mit dieser oben zitierten Aussage verlässt du diesen Pfad. Das bedaure ich sehr. Zudem versteckst du deine Geldgeber. Das ist kein Stil, den ich unterstützen kann.» Zudem sei es «sehr bedenklich, dass du dich immer wieder auf Plattformen zeigst, auf denen sich Leute äussern, die menschenverachtende Botschaften verbreiten».

 Allerdings vertippte Jans sich bei der E-Mail-Adresse, weshalb Ganser seine Zeilen nicht bekam. Nun hat er ihn gebeten, ihn als «Partner» zu löschen.

Dies ist aber noch nicht geschehen, denn Daniele Ganser macht Sommerferien. Wer ihm schreibt, bekommt eine automatische Antwort: «Offline ist das neue Bio», heisst es darin. Und: «Ich wünsche einen schönen Sommer.»

Auch auf Kontaktversuche der Redaktion reagiert Ganser nicht. Früher hat er bestritten, ein Verschwörungstheoretiker zu sein.

* In der ursprünglichen Version war an dieser Stelle fälschlicherweise die Rede von der orangen Revolution zehn Jahre früher.
(https://www.derbund.ch/daniele-ganser-fuehrt-zahlreiche-toppolitiker-als-partner-190290354742)


+++FUNDIS
bzbasel.ch 06.08.2022

Münchenstein – Die Schaltzentrale der Schweizer Abtreibungsgegner: So hartnäckig will eine Stiftung die Verfassung umschreiben

Nach dem Entscheid in den USA, dass kein Grundrecht auf Abtreibung bestehe, wittern auch die Abtreibungsgegner in der Schweiz einen möglichen Meinungsumschwung. Gleich zwei Initiativen laufen aktuell, welche die Rechte der Frauen im Hinblick auf Abtreibungen einschränken wollen. Ihr Machtzentrum ist ein Gewerbebau in Münchenstein.

Benjamin Wieland und Silvana Schreier

Am 24. Juni hob der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, das Grundsatzurteil «Roe v. Wade» auf. Es gibt damit in den USA kein nationales Recht mehr auf Schwangerschaftsabbruch. Weltweit war der Aufschrei gross. Auch in der Schweiz. Dass Frauen in einer westlichen Demokratie wieder für das Recht, selber über eine Abtreibung bestimmen zu dürfen, kämpfen müssen, wird als Rückschritt beschrieben. Doch nicht alle sehen das so. Der Verein Mamma jubelte.

Wenige Tage nachdem der Entscheid gefällt worden war, twitterte «Mamma», der Supreme Court habe ein Fehlurteil von 1973 korrigiert: «Wir freuen uns mit unseren amerikanischen Freunden und setzen weithin alles daran, auch in der Schweiz eine Kultur des Lebens zu bauen.»

Das war eine Ansage. Auf Worte folgen Taten.

Zwei neu Volksinitiativen eingereicht

Der Münchensteiner Verein gehört zu einem christlich geprägten Netzwerk, das seit über zwanzig Jahren unermüdlich dafür kämpft, auch in der Schweiz Abtreibungen zumindest stark zu erschweren. Machtzentrale des Kulturkampfs gegen die Abtreibung ist ein schlichtes Geschäftsgebäude in einem Gewerbegebiet in Münchenstein.

Als nächsten Meilenstein sieht «Mamma» zwei Volksinitiativen, die Ende 2021 eingereicht wurden und noch in der Unterschriftensammelphase stecken. Die «Einmal darüber schlafen»-Initiative verlangt, dass zwischen der ärztlichen Konsultation und dem Eingriff mindestens 24 Stunden verstreichen müssen. Die Initiative «Lebensfähige Babys retten» will verbieten, dass Babys abgetrieben werden dürfen, die ausserhalb des Mutterleibs überleben könnten. Die Grenze wird bei der 22. Woche gesetzt.

Die Sammelfrist für beide Begehren endet im Juni 2023. In den Komitees sitzen etliche Politikerinnen und Politiker von SVP und EDU.

Über 1400 Gesuche in einem Jahr bearbeitet

An derselben Adresse angesiedelt wie «Mamma», an der Jurastrasse 2 in Münchenstein, ist die Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind (SHMK), eine 2001 gegründete Stiftung. Sie ist mitunter Initiatorin der Babyfenster an diversen Schweizer Standorten. Weiter bietet sie eine 24-Stunden-Hotline an, bei der sich ungewollt Schwangere melden können. 2020 wurden laut dem Jahresbericht 1439 Gesuche bearbeitet.

Das Ziel der Beratung steht von vornherein fest: Das Kind soll behalten werden; ein Abtreibungswunsch wird nicht unterstützt.

Der Verein Mamma und die Stiftung teilen sich Adresse und Infrastruktur. In ihren Leitbildern sind ganze Sätze identisch, hinter beiden Organisationen stehen dieselben Personen. Dominik Müggler ist Gründer der SHMK und deren Stiftungsratspräsident – beim Verein Mamma ist der Arlesheimer Geschäftsführer. Der Geschäftsführer der SHMK wiederum sitzt im «Mamma»-Vorstand. Müggler ist Mitglied in den Komitees der zwei aktuellen Initiativen.

Was die Sprache angeht, ist der Verein Mamma die verbale Speerspitze der Schweizer Abtreibungsgegnerinnen und -gegner. Der Verein bezeichnet Schwangerschaftsabbrüche als «Mord». Sie seien «falsch» und hinterliessen «immer zwei Opfer: ein totes Baby und eine verwundete Frau».

Heikle Vergleiche mit Sklavenhandel und Holocaust

Auf seiner Facebook-Seite teilt der Verein unter anderem Videos von «Choice42», einer christlichen Organisation aus Kanada. Für «Choice42» steht fest: Abtreibung ist Mord, steht auf derselben Stufe wie Sklavenhandel und Holocaust.

2018 buchte «Mamma» in der «NZZ» ein ganzseitiges Inserat. Der Verein gratulierte dem damaligen US-Präsident und Abtreibungsgegner Donald Trump für seine Entscheidung, den 22. Januar zum «Tag der Heiligkeit des menschlichen Lebens» erklärt zu haben. Das Inserat kostete laut «Blick» 20000 Franken. Einen stolzen Batzen daran habe der Churer Bischof Vitus Huonder beigesteuert – aus dem eigenen Portemonnaie, wie er der Zeitung gegenüber versicherte.

Auch die SHMK ist früher mit harscher Wortwahl aufgefallen. Die Stiftung Zewo drohte 2013 der SHMK mit dem Entzug des Gütesiegels. Für die SHMK, die über 90 Prozent ihrer Einnahmen mit Spenden und Legaten generiert, wäre das existenzbedrohend gewesen.

Zewo schreibt auf Anfrage der bz, es sei um Aussagen gegangen wie «Die Abtreibung ist keine Schwangerschaftsunterbrechung, sondern die Tötung ihres Kindes», oder eine Heilung der Abtreibungswunden sei nur möglich, wem man sich unter anderem mit Gott versöhne, «durch Bereuen und Bekennen der Schuld».

Das habe gegen damals geltende Artikel des Reglements über das Gütesiegel verstossen, schreibt die Zewo-Medienstelle: «Aus Sicht der Zewo setzen solche Aussagen betroffene Frauen unter zu starken emotionalen Druck und setzen deren Würde herab.»

Die SHMK habe die beanstandeten Formulierungen jedoch von ihrer Website entfernt und das Gütesiegel behalten können.

Schon drei Initiativen waren erfolglos

Dominik Müggler schreibt auf Anfrage, die SHMK verhalte sich als Stiftung politisch neutral. Der Verein Mamma hingegen unterstütze die zwei Volksinitiativen. Müggler hat selber grosse Erfahrungen mit Volksinitiativen zum Thema. 1998 forderte er ein totales Abtreibungsverbot, 2002 lancierte die SHMK die entsprechende Initiative. 2011 war Müggler bei der Initiative «Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache» im Komitee, 2013 bei der Initiative «Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule». Alle genannten Begehren erlitten vor dem Volk eine Abfuhr.

Weiterhin fundamentalistisch sind die Ziele des Vereins Mamma mit seinen laut eigenen Angaben rund 780 Mitgliedern. Im Leitbild heisst es unter anderem: «(Der Verein Mamma) lehnt jede Form von Abtreibung ab.» Das würde es etwa auch verunmöglichen, Schwangerschaften nach Vergewaltigungen zu beenden oder solche, welche die Mutter in Lebensgefahr bringen könnten.

Gegenüber der bz gibt sich Geschäftsführer Müggler moderater. Die Interpretation sei nicht zutreffend: «Eine Abtreibung im Falle der akuten Lebensgefahr der Mutter wird nicht als Abtreibung betrachtet und auch nicht als solche gezählt, sondern als lebensrettende Sofortmassnahme für die Mutter.»

Im Fall einer Vergewaltigung empfehle man den Hilfesuchenden, dem Kind das Leben zu schenken und nicht abzutreiben, trotz allem.

Eine langjährige Opposition

Für die Dachorganisation Sexuelle Gesundheit Schweiz sind die SHMK und «Mamma» keine Unbekannten. Geschäftsleiterin Barbara Berger sagt: «Wir stehen immer in Opposition zu ihnen.» Während sie jeden Schwangerschaftsabbruch verhindern wollen würden, begleiten die Fachstellen für sexuelle Gesundheit schwangere Frauen ergebnisoffen.

Barbara Berger sagt, Abtreibungen für sich abzulehnen sei eine legitime Meinung. Stossend, wenn nicht gar menschenverachtend, werde es jedoch, wenn Frauen in Beratungen unter Druck gesetzt und regelrecht dazu gedrängt würden, die Schwangerschaft zu behalten. Dass das Ergebnis der Beratung bereits feststehe, aber weder Stiftung noch Verein diesbezüglich transparent seien, bezeichnet Berger als perfid.

Für sie ist klar: «Die beiden lancierten Initiativen befinden sich im Fahrwasser der internationalen Entwicklungen.» Etwa in den USA. Dort wie auch hier würde versucht, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Trotzdem zeigt sich Berger zuversichtlich: «Die Stimmberechtigten haben sich in den vergangenen 20 Jahren schon zweimal für das Recht auf Abtreibung entscheiden. Beide Initiativen werden darum an der Urne chancenlos sein.»



So viele Abtreibungen gibt es in den beiden Basel

380 Abtreibungen wurden im Kanton Basel-Stadt im Jahr 2021 durchgeführt, auf 1000 Frauen kamen also 9,7 Abtreibungen. Im Baselbiet lag die Rate mit insgesamt 237 Abbrüchen bei 4.9 deutlich tiefer. Zum Vergleich: Schweizweit betrug die Rate 2021 6,8. Im Stadtkanton waren in den Jahren 2019 und 2020 überdurchschnittlich viele Abbrüche zu verzeichnen. Im letzten Jahr zeigte sich dann wieder eine Tendenz hin zu den Raten davor. Was ebenfalls auffällt, ist eine Verschiebung der Anzahl Abbrüche von Baselland nach Basel-Stadt. Wie Sibil Tschudin, leitende Ärztin an der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel schreibt, habe dies möglicherweise mit personellen Veränderungen und zuletzt mit der Schliessung der Gruppenpraxis Paradies in Binningen zu tun. Dort sei ein rechter Anteil der Abbrüche im Baselbiet durchgeführt worden. (zaz)
(https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/muenchenstein-die-schaltzentrale-der-schweizer-abtreibungsgegner-so-hartnaeckig-will-eine-stiftung-die-verfassung-umschreiben-ld.2324320)


+++ST. GALLEN
tagblatt.ch 06.08.2022

Viele Eritreerinnen und Eritreer ziehen nach Bazenheid: Wie die lokale Politik und engagierte Bürgerinnen damit umgehen

Eine Motion des St.Galler Kantonsrats fordert eine Einschränkung der Wohnsitzwahl für Flüchtlinge, die Sozialhilfe beziehen. Hintergrund sind die wachsenden Unterschiede zwischen den Gemeinden. Besonders viele Geflüchtete leben in Bazenheid in der Gemeinde Kirchberg. Eine Reportage.

Pablo Rohner

«Es ist schön in Bazenheid.» Aida, die das sagt, ist vor sechs Jahren mit ihrem Mann und ihren Kindern in das Dorf am unteren Ende des Toggenburgs gezogen, als die Wohnung einer Bekannten frei wurde. An ihrem vorherigen Wohnort sei es zwar auch «nicht schlecht» gewesen. Nur der Kindergarten war etwas zu weit weg von zu Hause.

In Bazenheid hingegen könne sie ihre Kinder alleine auf den Weg schicken, worüber sie froh sei. Auch auf den Spielplätzen herrsche eine gute Stimmung: «Die Kinder spielen miteinander. Die Kontakte mit anderen Eltern sind positiv.»

Auch Mariam, die wie Aida darum bittet, nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung zu erscheinen, ist nach Bazenheid gezogen, aus einem anderen Dorf im Toggenburg. Hier habe sie mehr soziale Kontakte und könne endlich einen Deutschkurs besuchen. Die Wohnung sei günstiger und grösser. Auch Mariam sagt, sie fühle sich in Bazenheid einfach wohler als am alten Wohnort.

Motion im Kantonsrat will freie Wohnsitzwahl der Geflüchteten einschränken

Die Geschichten der Frauen klingen unspektakulär. Vergleichbares würden sicher auch andere nach Bazenheid Zugezogene sagen. Doch im Kanton St.Gallen und speziell in der Gemeinde Kirchberg, zu der Bazenheid gehört, sind Umzüge wie die von Aida und Mariam ein Politikum. Der Grund: Die Frauen sind aus Eritrea in die Schweiz gekommen, und leben als anerkannte Flüchtlinge in Bazenheid.

Vor dem Hintergrund, dass deutlich mehr Eritreerinnen und Eritreer nach Bazenheid als in andere Dörfer im Kanton ziehen, hat der Kantonsrat im Februar einer umstrittenen Motion der Fraktionen der SVP, der Mitte und der EVP zugestimmt.

Gemäss dem Vorstoss soll es den Gemeinden ermöglicht werden, anerkannten Flüchtlingen, die Sozialhilfe beziehen, eine Wohnung innerhalb des Kantons zuzuweisen. Dazu soll das Sozialhilfegesetz so angepasst werden, dass den Betroffenen ihre Wohnung «grundsätzlich als Sachleistung gewährt» werden kann.

Die St.Galler Kantonsregierung, die nun einen Vorschlag zur Umsetzung der Motion ausarbeiten muss, sowie Rechtsexperten bezeichnen die Einschränkung der freien Wohnsitznahme als völkerrechtswidrig.

Die Bundesbeiträge an die Sozialhilfekosten der Gemeinde Kirchberg sinken

Ein Mittwoch Anfang Juni, zwei Wochen nachdem Mariam und Aida ihre Geschichten erzählt haben. In einem Besprechungszimmer zieht Gemeindepräsident Roman Habrik Blätter mit Statistiken aus einem Mäppchen. In der Gemeinde Kirchberg leben zurzeit über 250 Flüchtlinge, die Sozialhilfe beziehen. Über 100 davon sind Kinder und Jugendliche. 190 von den 250 sind gemäss Angaben des Kirchberger Sozialamts Eritreerinnen oder Eritreer.

Die meisten von ihnen leben in Bazenheid, das rund 4300 Einwohnerinnen und Einwohner hat. Die grösste und am schnellsten wachsende Gruppe unter den Geflüchteten sind die Eritreerinnen und Eritreer.

Die Nettokosten der Sozialhilfe für anerkannte und vorläufig aufgenommen Flüchtlinge in Kirchberg haben sich in den letzten sechs Jahren mehr als verdreifacht. 2021 betrugen sie 700’000 Franken. Der Anteil dieser Kosten an den Gesamtkosten der Sozialhilfe ist von knapp 15 im Jahr 2015 auf über 30 Prozent gestiegen.

Zum einen ziehen Geflüchtete aus anderen Gemeinden nach Bazenheid. Ein anderer wichtiger Grund für die Zunahme bei den Kosten ist, dass Kirchberg in den letzten beiden Jahren für immer mehr Geflüchtete die Sozialhilfekosten übernehmen musste, für die vorher der Bund aufkam.

Während fünf bis sieben Jahre nach dem Einreichedatum des Asylgesuchs können sich die Gemeinden die Sozialhilfekosten für Flüchtlinge rückerstatten lassen. Im vergangenen Jahr übernahm der Bund 1,4 Millionen Franken der Sozialhilfekosten für Flüchtlinge, Kirchberg blieben 700’000 Franken. 2019 musste Kirchberg für gut 400’000 Franken Nettokosten aufkommen. In den Jahren davor waren die Beträge noch tiefer.

Immerhin: Im Vergleich zu 2020 waren 2021 die Nettokosten für Flüchtlinge und ihr Anteil an den Gesamtkosten der Sozialhilfe leicht rückläufig. «Ob das eine Trendwende ist, bleibt abzuwarten», sagt Roman Habrik, wohl wissend, dass in den kommenden Jahren für weitere Geflüchtete in der Gemeinde die Bundesbeiträge auslaufen. «Finanzausgleich zwischen den Gemeinden für Sozialhilfekosten ist zurzeit politisch chancenlos»

Eine andere Statistik verdeutlicht, dass die Gemeinde Kirchberg im Kanton St.Gallen mit deutlichem Abstand den höchsten Anteil von Geflüchteten an der Bevölkerung hat – er ist bis zu zehnmal höher als der in anderen Gemeinden.

Ende 2021 machten die vorläufig aufgenommenen und die anerkannten Flüchtlinge 2,3 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung aus. Im gesamten Kanton St.Gallen lag der Anteil bei 1,07 Prozent. Mit Blick auf diese Zahlen betont Roman Habrik seit Jahren, dass sich aus Kirchberger Sicht etwas ändern müsse.

Er setzt sich dafür ein, dass die Kosten der Sozialhilfe für anerkannte Flüchtlinge und die Integrationsaufgaben fairer auf die Gemeinden verteilt werden. Dabei sei ihm klar geworden: «Ein Finanzausgleich zwischen den Gemeinden für Sozialhilfekosten für Flüchtlinge ist zurzeit politisch chancenlos.»

Als im Herbst 2020 im Kantonsrat über den Finanzausgleich zwischen den Gemeinden debattiert wurde, sprachen sich die Votanten der bürgerlichen Parteien, mit Ausnahme des Kirchbergers Linus Thalmann (SVP), dagegen aus.

So bleibe nur die «solidarische Verteilung» der Geflüchteten auf die Gemeinden, sagt Habrik. Deshalb begrüsse er auch die Motion zur Zuweisung von Wohnraum für Sozialhilfe beziehende Flüchtlinge.

Die freiwilligen Frauen vom Solidarity-Treff

Ein verregneter Morgen im Mai. Im reformierten Kirchgemeindehaus in Bazenheid findet der «Solidarity-Treff» statt. Jemand hat Geburtstag, es gibt Kaffee und Kuchen. Es wird gehäkelt, ein Kind bekommt ein Bilderbuch vorgelesen.

Seit 2017 treffen sich im Solidarity-Treff «Frauen und Kinder aus aller Welt», wie es in der Selbstbeschreibung heisst – inzwischen einmal pro Woche. Freiwillige Seniorinnen helfen den zumeist jungen Migrantinnen zum Beispiel dabei, amtliche Dokumente zu verstehen oder Briefe und Gesuche zu schreiben. Oft steht aber auch einfach der Austausch im Vordergrund.

Initiiert hat den Solidarity-Treff Ruth Kuster. Auch an diesem Morgen leitet sie den Treff. Sie beantwortet den Frauen Fragen und stellt selber welche, zum Beispiel, wie es mit den Deutschkursen läuft. Im Dorf vermittle sie auch immer wieder zwischen der «einheimischen» Bevölkerung und den Migrantinnen und Migranten, sagt sie. Etwa, indem sie den einen manche Lebensgewohnheiten der anderen näherbringt.

Für den Solidarity-Treff wünscht sich Ruth Kuster eine noch bessere Durchmischung. Ihr Ziel ist es, dass mehr junge Schweizerinnen mit ihren Kindern kommen. Sie sagt: «Hier kümmern sich Seniorinnen um die Geflüchteten. Dabei sollten diese auch Kontakt mit Jüngeren haben.»

Ruth Kuster setzt viel Hoffnung in das neue Familienzentrum, das im Holzpavillon Neugasse unterkommt und im Jahr 2023 eröffnet werden soll. Darin sollen bestehende Angebote für Familien wie die Mütter-Väter-Beratung, die Spielgruppe und das Integrationsangebot Domino, in dem Kinder zusammen mit einem Elternteil Deutsch lernen können, gebündelt werden.

Bereits im Herbst soll der Solidarity-Treff in das Familienzentrum ziehen. Zudem soll ein Café entstehen, das, so wünscht es sich Ruth Kuster, dereinst von einer der Frauen, die regelmässig in den Treff kommen, geführt werden könnte.

Eine Herausforderung für die Schulen

Für das Familienzentrum engagiert sich auch David Mächler. Er ist Präsident der schulrätlichen Kommission Frühe Förderung und Integration und im Vorstand der SP Alttoggenburg. Mächler hofft, dass sich im Familienzentrum die Bevölkerungsgruppen Bazenheids durchmischen und der Austausch zwischen ihnen gefördert wird.

Wenn er über die Schule spricht, betont Mächler auch die Herausforderung, die es darstelle, in Klassen zu unterrichten, in denen viele Kinder nicht gut Deutsch sprechen. Mächler spricht aber auch über die Stärken, die Bazenheid im Lauf seiner Geschichte entwickelt hat, um die Herausforderung zu meistern: «Die Lehrpersonen in Bazenheid sind Profis im Individualisieren.»

«Unterricht ab Stange» gehe eben nicht in Bazenheid. Verschiedene Angebote würden die Integration aber vorschulisch fördern. «Das lohnt sich», sagt Mächler. Neben den Deutschkursen für Mutter und Kind nennt er die Spielgruppen und die Kita, in der Sprachkenntnisse der Kinder vor dem Kindergarten gefördert würden.

Ein soziales Problem erlebe er in Bazenheid nicht. Es sei nun einmal so, dass das Dorf Bazenheid geschichtlich bedingt eine soziale Struktur hat, in der «eher städtische Themen» wie kulturelle Vielfalt und Migration auf der Tagesordnung sind.

In den 1960er-Jahren wurde in Bazenheid der erste grosse Schlachthof gebaut. Hunderte von Arbeitskräften aus Osteuropa kamen in das Dorf, wo sie in eigens für sie gebauten Blöcken wohnen konnten. In den 1990er-Jahren stieg der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer mit den Kriegsflüchtlingen aus dem Balkan weiter.

Mächler – selber ein Zugezogener – sagt, er schätze die urbane Atmosphäre im Dorf auf dem Land. «Am Abend sind die Leute draussen. Der Traktor steht neben dem getunten Auto. Das kann man auch positiv sehen.» Ausserdem gebe es in Bazenheid weder ein Kriminalitäts- noch ein Gewaltproblem.

Die Kehrseite des Steuerwettbewerbs

Mächler ist überzeugt, dass es auch politische Gründe dafür gibt, weshalb viele Geflüchtete irgendwann nach Bazenheid ziehen. Er sagt: «Der Sozialhilfewettbewerb ist die Kehrseite des Steuerwettbewerbs.»

Wenn die Gemeinden die Steuern senken, lasse dies die Mieten steigen. Die Geflüchteten aber würden dorthin ziehen, wo die Mieten tief sind. In diesen Gemeinden steigen dann die Sozialhilfekosten stärker als in denjenigen, wo die Steuerfüsse seit Jahren tief sind. «Am Ende müssen die Menschen aber irgendwo wohnen. Dieser Wettbewerb kennt keine Gewinner», sagt Mächler.

Auch, weil der Steuerfuss in Kirchberg im kantonalen Vergleich lange relativ hoch war, habe es in der Gemeinde Kirchberg und besonders in Bazenheid lange günstigen Wohnraum gegeben. Etwa in den einst für die Belegschaft der Micarna gebauten Wohnblöcken an der Spelterinistrasse, wo heute viele Migrantinnen und Migranten leben.

Die von Gemeindepräsident Roman Habrik noch vor zwei Jahren prognostizierte Steuererhöhung infolge der hohen Sozialhilfekosten ist ausgeblieben. Das Gegenteil ist eingetreten: Auf das Jahr 2022 hat Kirchberg den Steuerfuss um 13 Prozent gesenkt, von 133 auf 120 Prozent.

Möglich gemacht hätten dies die Einnahmen der Gemeinde, die höher ausfielen als budgetiert, namentlich bei verschiedenen Steuern, unter anderem bei den Handänderungs- und Grundstückgewinnsteuern, sagt Habrik. «Auf der Ausgabenseite, namentlich bei der Sozialhilfe, ist das Wachstum so eingetreten, wie wir das vorausgesehen haben.»

Trotzdem hält David Mächler wenig davon, die ungleiche Verteilung von Sozialhilfekosten durch eine Beschneidung der Rechte der Flüchtlinge anzugehen. «Es hindert die Gemeinden ja niemand daran, solidarisch miteinander zu sein», sagt er – und plädiert für einen Lastenausgleich zwischen den Gemeinden für die Sozialhilfekosten. Also für die Massnahme, von der Roman Habrik sagt, sie sei politisch chancenlos.

Psychologin Asefaw: «Das ist ein Fehlschluss»

In der umstrittenen Kantonsratsmotion heisst es unter anderem, eine «grössere Gemeinschaft von anerkannten Flüchtlingen aus dem gleichen Herkunftsland» in einem Dorf erschwere deren Integration. Die Psychiaterin Fana Asefaw, die Geflüchteten aus Eritrea psychosoziale Unterstützung anbietet, sagt dazu: «Das ist ein Fehlschluss.»

Gerade für Menschen, die sich wegen sprachlicher und kultureller Barrieren in einer schwachen Position befinden, sei es für die Integration zentral, dass sie sich an einem Ort wohlfühlen. Nur so könnten sie «ihre Ressourcen mobilisieren». Und das gelinge eher, wenn Freunde und Menschen in der Nähe seien, mit denen man den kulturellen Hintergrund teilt. «Oder wenn man an einem Ort lebt, wo man sich willkommen fühlt.» Gerade in ländlichen Gemeinden sei dies aber oft nicht der Fall.

Viele Geflüchtete hätten in ihrem Leben «Irritationen» erfahren, «physische, psychische, emotionale». Den Wohnort nur noch zugewiesen zu bekommen, wie es die Motion des Kantonsrats will, würde «eine weitere Irritation» darstellen. Solche Erfahrungen könnten psychische Probleme verursachen und bestehende verstärken.

Je selbstbestimmter eine Person leben könne, desto eher gelinge es ihr, in einer Gesellschaft Fuss zu fassen, sagt Fana Asefaw. Schliesslich handle es sich bei den Geflüchteten zumeist um junge Menschen, die arbeiten möchten. Eine Arbeit zu finden, sei nach der Niederlassung der nächste wichtige Schritt, denn: «Wer Steuern zahlt, wird Teil der Gesellschaft.»

Das lasse sich auch historisch zeigen, etwa am Beispiel der Migrantinnen und Migranten aus Italien oder dem Kosovo, die im 20. Jahrhundert in die Schweiz kamen.

Der Erfolg des Job-Coaches

Davon ist auch Christian Fritschi überzeugt. Er ist bei der Gemeinde Kirchberg seit Dezember 2019 als Job-Coach angestellt. Seit vergangenem Frühling – die Bürgerversammlung gab ihren Segen – unbefristet. Er hilft Sozialhilfebeziehenden bei der Jobsuche, darunter auch vielen Eritreerinnen und Eritreern – die grösste Gruppe unter den Flüchtlingen.

Fritschi schreibt Lebensläufe und Bewerbungsschreiben, begleitet seine Klientinnen und Klienten zum Vorstellungsgespräch. Im Gespräch im Juni berichtet er von rund 30 Sozialhilfebeziehenden, für die er in den vergangenen zwei Jahren eine Stelle gefunden hat – als Handwerker, Coiffeur, im technischen Dienst eines Betriebs, als Mechaniker.

Besonders freue ihn, wenn er eine Ausbildung einfädeln könne, sagt Fritschi. Manchmal brauche das Überzeugungsarbeit: «Viele Migranten wollen möglichst schnell eine Festanstellung. Sie wollen etwas leisten und weg von der Sozialhilfe.»

Zudem hätten viele Angst vor der Schule, die eine Ausbildung oft beinhalte. Weil sie sich diese auf Deutsch nicht zutrauen. Trotzdem versuche er seinen Klientinnen und Klienten klarzumachen, dass eine Ausbildung den nachhaltigeren Erfolg auf dem Arbeitsmarkt bringt. Die Gemeinde Kirchberg schuf Fritschis Stelle auch, um den steigenden Kosten für die Sozialhilfe entgegenzuwirken.

Fritschi, der selber in Bazenheid aufgewachsen ist, kennt viele Unternehmen in der Gegend. Die Arbeitgeber erlebe er als offen, prinzipielle Absagen gebe es so gut wie nie. Die Motivation der Firmen für eine Anstellung seien unterschiedlich. «Es gibt die, die sagen: ‹Jetzt mache ich mal was, anstatt mich zu beklagen›», sagt Fritschi.

Andere würden aus Gründen der Teamzusammensetzung gezielt Personen mit Migrationsgeschichte suchen. Und dann gebe es auch Branchen und Berufe, die um Nachwuchs kämpfen, wie etwa die Fleischindustrie, die in Bazenheid mit zwei Grossbetrieben vertreten ist.

Genau wie für die Klienten sei er Ansprechperson für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Da gebe es viele Fragen, die beantwortet, Vorurteile, die ausgeräumt werden müssen. Zum Beispiel, dass vorläufig aufgenommene Flüchtlinge aus Eritrea das Land nach einer möglichen Anstellung bald wieder verlassen müssten. «Doch 90 Prozent der Eritreerinnen und Eritreer bleiben in der Schweiz.»
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/toggenburg/reportage-viele-eritreerinnen-und-eritreer-ziehen-nach-bazenheid-wie-die-lokale-politik-und-engagierte-buergerinnen-damit-umgehen-ld.2283790)