Medienspiegel 7. August 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel/

+++POLEN
Polen/Belarus: Der neue Grenzzaun
Fast ist die Lage an der belarussisch-polnischen Grenze in Vergessenheit geraten. Dabei spielen sich dort immer noch Flüchtlings-Dramen ab. Polen hat die Sperrzone aufgelöst, aber einen riesigen Zaun errichtet. | mehr
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/sendung/wdr/grenzzaun-110.html


+++GASSE
Hilfe für Obdachlose in Weinfelden – doch es fehlen die Plätze
Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, einen Unterschlupf bieten: Das ist das Ziel des Vereins Kirchliche Nothilfe Thurgau. Seit dem Start vor eineinhalb Jahren ist die Herberge fast durchgehend belegt.
https://www.tvo-online.ch/aktuell/hilfe-fuer-obdachlose-in-weinfelden-doch-es-fehlen-die-plaetze-147412151


+++SPORT
«Die Vorstellung von absoluter Sicherheit im Fussball ist eine Illusion»
Die Fanarbeit St.Gallen feiert ihr 10-jähriges Jubiläum. Daniel Kehl (SP) hat deren Trägerverein seit der Gründung als Präsident geleitet, nun übernimmt Grünen-Stadtparlamentarier Christian Huber. Im Interview sprechen die beiden über grün-weisse Europafahnen, harzige Gespräche mit der Polizei und personalisierte Tickets.
https://www.saiten.ch/die-vorstellung-von-absoluter-sicherheit-im-fussball-ist-eine-illusion/


+++FRAUEN/QUEER
Queerkaff Obwalden – Heimat für queere Jugendliche vom Land
Homosexuelle, non-binäre oder trans Menschen vom Land haben es besonders schwer. In Obwalden wissen sie sich zu helfen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/queerkaff-obwalden-heimat-fuer-queere-jugendliche-vom-land


Oberster Zivilstandesbeamter fordert ein drittes Geschlecht. (ab 03:20)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/der-fcz-muss-weiter-einstecken?id=12233272


+++POLICE BE
No Fides: Alle Macht der politischen Polizei. Aber wer sind die «Gefährder»?
Vom 15. bis 19. August halten Polizei und Armee in Bern die Übung «Fides» (Vertrauen) ab. Dagegen regt sich Widerstand (nofides.noblogs.org).
Wir werden in den nächsten Wochen in unregelmässigen Abständen hier auf barrikade.info und auf unserem Blog Texte veröffentlichen, die wir zur Thematik lesenwert finden und welche möglicherweise als Grundlagen für Diskussionen dienen können. Dabei teilen wir nicht immer zu hundert Prozent alle Inhalte der publizierten Texte. Es geht uns in erster Linie darum, Grundlagen für Diskussionen zu schaffen.
https://barrikade.info/article/5326


+++RECHTSEXTREMISMUS
NZZ am Sonntag 07.08.2022

Die akademische Vorhut des Krieges

Russland schreibt die Menschheitsgeschichte um: Eine intellektuelle Deformation der Elite durch abstruse Ideen von Theoretikern wie Lew Gumiljow und Aleksandr Dugin ist für die zunehmende Abspaltung von Europa mitverantwortlich.

Andreas Umland

Ein besonders dunkler Aspekt des russischen Vernichtungskriegs gegen die Ukraine und des ideellen Angriffs auf den Westen ist die breite Unterstützung nicht nur unter einfachen Russen, sondern auch in den Eliten des Landes. Bei vielen Akademikern mögen utilitäre Erwägungen oder schlichte Furcht vor der Regierung im Vordergrund stehen. So ist zu vermuten, dass diese Motive bei etlichen der über 700 russischen Hochschulrektoren bestimmend waren, die im März 2022 in einer kollektiven Stellungnahme die sogenannte «Spezialoperation» Moskaus in der Ukraine öffentlich guthiessen.

Viele hochgebildete Russen scheinen die Aggression ihres Landes in der Ukraine aber nicht nur aus karrierestrategischen Gründen, sondern auch aus tiefem Herzen zu unterstützen. Sie scheuen sich nicht, ihre Haltung unmissverständlich kundzutun. Illustriert wird dies etwa in einem kürzlich erschienenen Interview in der «New York Times» mit dem schillernden Dekan der Fakultät für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Moskauer Wirtschaftshochschule (HSE) Sergei Karanow unter dem Titel «Warum Russland glaubt, dass es den Krieg in der Ukraine nicht verlieren kann».

Auf der Suche nach Sinn

Die Hintergründe des zunehmenden russischen Eskapismus sind vielfältig. Sie liegen in einer Reihe bisher wenig beachteter Pathologien der politischen Kultur und der kollektiven Psychologie sowie der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte Russlands. Sowohl russische als auch westliche Sozialwissenschafter haben in den vergangenen drei Jahrzehnten die spekulativen Texte und Vorlesungen esoterisch orientierter Kollegen oft ignoriert oder belächelt.

Die methodische Schwäche, empirische Dünne und internationale Irrelevanz postsowjetischer sozialkundlicher und historischer Pseudoforschung hat allerdings deren interner gesellschaftlicher Resonanz keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Die kontrafaktischen, belletristischen und oft verschwörungstheoretischen Facetten der alternativen russischen Weltgeschichtsschreibung haben deren Popularität noch erhöht.

Die häufig eher prä- als deskriptiven Aussagen dieser Autoren werden in Russland als zeitgemäss wahrgenommen. Die kruden, simplistischen und spekulativen Welterklärungen dieser sich oft als Aufklärer und Propheten verstehenden Publizisten finden eine dankbare Leserschaft. Derartige Texte eignen sich besser als datengesättigte empirische Forschungsarbeiten dazu, ontologische Leere nach dem Wegfall der kommunistischen Staatsideologie zu kompensieren.

Im Ergebnis haben sich neue parawissenschaftliche Disziplinen herausgebildet. Dies gilt etwa für die sich selbst als solche bezeichnende Zivilisationenkunde und Kulturologie oder auch für Ansätze, die man als Bioethnologie oder Physiogeopolitik bezeichnen könnte. Die uniforme Aufgabe dieser Alternativlehren ist eine eher metaphysisch als empirisch fundierte Postulierung «tiefer» Vergangenheiten, Strukturen und Gesetze von Gesellschaften. Es geht um nicht weniger als eine umfassende Reinterpretation beziehungsweise eine fundamentale Umschreibung der Menschheitsgeschichte.

Letzteres reicht bis zu der Neudatierung historischer Ereignisse und dem Entwurf einer alternativen Chronologie der Geschichte Europas und Asiens. Der zwar international berüchtigte, aber in Russland weit rezipierte Moskauer Mathematiker und nationalistische Hobbyhistoriker Anatoli Fomenko (geboren 1945) propagiert zum Beispiel seit einem Vierteljahrhundert die Idee, dass es die Antike als solche gar nicht gegeben habe. Jesus sei im 12. Jahrhundert in Konstantinopel gekreuzigt worden.

Studierende und Promovierende, aber auch die breite Öffentlichkeit werden in Massenmedien, Buchläden sowie sozialen Netzwerken und teilweise in Schulen, Kultureinrichtungen sowie Universitäten mit einer Fülle unterschiedlicher Geschichts-, Lebens- und Politiktheorien konfrontiert. Somit gibt es im postsowjetischen Russland – im krassen Gegensatz zur UdSSR – eine enorme historische und philosophische Stimmenvielfalt. Zwischen den vielen Erklärungsmodellen sind solche, die auf methodensensibler Sozialforschung und begutachteter Komparatistik beruhen, jedoch in der Minderheit.

Die Forschungsergebnisse und Medienauftritte der auch in Russland vorhandenen seriösen und international anerkannten Politologen, Soziologen und Historiker gehen unter. Sie versinken in der scheinpluralistischen Kakofonie eines mit spekulativen Kommentaren übersättigten Medien- und Intellektuellendiskurses. Das von der Regierung beförderte Überangebot an vereinfachenden, manichäischen Welterklärungen – insbesondere betreffs des Gegensatzes zwischen Russland und dem Westen – schafft neue Nachfrage nach kulturpessimistischen bis hin zu protofaschistischen Ideengebäuden.

Die rapide Radikalisierung des russischen Antiwestlertums in den letzten Jahren ist nur teilweise ein Produkt gezielter Manipulationen öffentlicher Diskussions- und Entscheidungsprozesse durch Spindoktoren des Kremls. Einige Quellen der heutigen Verirrungen der russischen Intelligenzia reichen zurück in die Jelzin-Jahre, die Sowjetperiode, ja in die Zarenzeit. Sie sind vielfältiger Natur und werden hier nur an zwei von vielen Beispielen illustriert – den Lehren des Pseudoethnologen Lew Gumiljow (1912–1992) und des Metaphysikers Aleksandr Dugin (geboren 1962).

Die Beispiele Gumiljow und Dugin

Die beiden viel verlegten russischen Publizisten werden manchmal in einem Atemzug genannt. Gumiljow und Dugin haben beide affirmativ den Begriff «Eurasismus» verwendet, antiwestliche Theoriegebäude entworfen und erhebliche Bekanntheit über den akademischen Elfenbeinturm hinaus erlangt. Hier enden allerdings die Ähnlichkeiten in den politischen Inhalten, gesellschaftlichen Rollen und strukturellen Eigenheiten ihrer Texte sowie Auftritte.

Gumiljow ist Sohn der beiden berühmten russischen Dichter Nikolai Gumiljow und Anna Achmatowa. Lew Gumiljow starb 1992, kurz nach dem Zusammenbruch der UdSSR. Seine Schriften konnten zur Sowjetzeit nur vereinzelt erscheinen, wurden jedoch im Anschluss in grossen Auflagen veröffentlicht und wirken seit dreissig Jahren auf die postsowjetische Gesellschaft ein. Die publizistische Tätigkeit Dugins begann dagegen erst im Todesjahr Gumiljows. Sie zeichnete sich fortan durch eine stetig wachsende multimediale Aktivität des bärtigen Metaphysikers aus.

Gumiljow war antisowjetischer Dissident, jedoch teilweise in das spätsowjetische wissenschaftliche Establishment integriert. Er geniesst heute vor allem bei älteren, in der Sowjetunion aufgewachsenen Vertretern des pädagogischen und akademischen Milieus Hochachtung. Einige seiner Werke werden an Schulen und Hochschulen als Lehrbücher verwendet, und er wird von vielen Russen als ein genialer russischer Denker des 20. Jahrhunderts verehrt. Im Sommer 2004 bemerkte Wladimir Putin bei einer Rede in Astana: «Die Ideen von Gumiljow erobern die Massen.»

Dugin kommt aus der nonkonformistischen Jugendszene der späten Sowjetunion sowie der antisystemischen Fundamentalopposition des damals noch prowestlichen Russland der Neunziger. Er ist tief in internationale antiliberale Netzwerke integriert und spricht mit seinen Texten und Auftritten ein jüngeres sowie weniger akademisches Publikum an. Dugin soll auch eine eifrige Leserschaft in den russischen Militärakademien und Sicherheitsdiensten haben. Im Gegensatz zum international wenig bekannten Gumiljow ist Dugin ausserhalb Russlands als Scharfmacher berühmt-berüchtigt. Obwohl ihm vielfach nachgesagt wird, ein Ideengeber Putins zu sein, scheint es nie ein Treffen des Metaphysikers mit dem Präsidenten gegeben zu haben. Putins proklamiertes Eurasiertum hat andere Quellen und Inhalte.

Obwohl die Biografien von Gumiljow und Dugin kaum unterschiedlicher sein könnten, ähneln sich die beiden Publizisten in ihrer Wirkung. Sie haben, jeder auf seine Weise, die Intellektuellenlandschaft Russlands mitgeprägt sowie die Sozial- und Geisteswissenschaften Russlands mit alternativen Geschichtsnarrativen unterwandert. Mit ihren Schriften haben sie im Falle Gumiljows unbewusst und im Falle Dugins bewusst zur Vorbereitung von Russlands Krieg gegen die Ukraine sowie zu neuer Systemkonfrontation mit dem Westen beigetragen.

Gumiljows Ethnogenesetheorie

Gumiljows Schriften haben einen zentralen Beitrag zur spezifisch russischen postsowjetischen Zivilisationenkunde und zu ihrem radikalen Dualismus geleistet. In seinem Hauptwerk «Ethnogenese und die Biosphäre der Erde» entwickelt Gumiljow eine umfassende, teilweise biologisch begründete Weltgeschichtslehre. Gumiljow ist zwar kein primitiver Rassist, der Menschengruppen nach Phänotypen hierarchisiert. Er verbindet jedoch das soziopolitische Leben von Kulturgemeinschaften mit angeblich auf sie einwirkenden aussergesellschaftlichen Bestimmungsfaktoren aus der Bio- oder sogar Stratosphäre.

So sollen Ethnien (beziehungsweise Nationalitäten und Nationen) und Superethnien (beziehungsweise pannationale Gruppen und Zivilisationen) primär natürliche und nur sekundär soziokulturelle Gemeinschaften sein. Sie befänden sich in einem zyklischen Auf- und Abstiegsprozess, in welchem «passionare» Heldenfiguren auf der einen Seite und parasitäre Fremdgruppen auf der anderen Seite zentrale Rollen spielten.

Während selbstlose und opferbereite «Passionare» eine Ethnie zu ihrer Blüte führen würden, resultiere die Vermischung einer Wirtsethnie mit Vertretern artfremder Ethnien (etwa Juden) in einer «Chimäre», die dem Untergang geweiht sei. Rätselhafte, durch bestimmte kosmische und/oder solare Strahlungen hervorgerufene Mikromutationen, die Gumiljow nicht weiter spezifiziert, seien für die Dynamik der Entwicklung von Ethnien und Superethnien verantwortlich.

Derlei Ideen sind ein Grund dafür, dass Gumiljow ausserhalb Russlands kaum Anerkennung gefunden hat. Während solche Theorien für westliche Leser abstrus klingen, haben sie Gumiljow in Russland zu Ruhm verholfen – oder zumindest nicht seinen Status als Genie geschmälert. Die weitgehend positive Rezeption Gumiljows auch in Teilen der russischen Akademie hat die Ausprägung einer teilweise bioethnologischen postsowjetischen russischen Zivilisationenkunde geprägt. Deren geschlossene Geschichtsmodelle sind teilweise Lehrstoff an Universitäten.

Dugins eklektischer Antiliberalismus

Während Gumiljows Ideen mittels Durchdringung des akademischen und pädagogischen Raums wirken, ist Dugin ein Akteur der klassischen und elektronischen Medien sowie der sozialen Netzwerke. Zwar amtierte Dugin für einige Jahre als Leiter des Lehrstuhls für die Soziologie internationaler Beziehungen der renommierten Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau beziehungsweise MGU. Die vorübergehende Anstellung Dugins an der skandalumwitterten Soziologischen Fakultät der MGU war jedoch eher eine Ausnahme von der Regel hinsichtlich seines weitgehenden Ausschlusses vom russischen Wissenschaftsbetrieb.

Eine Darstellung der Ideenwelt Aleksandr Dugins ist schwieriger als im Falle Lew Gumiljows. Der Zweck des Grossteils von Gumiljows Tausende Seiten umfassendem Werk ist die historische Illustration seiner teilbiologischen Ethnogenesetheorie. Dahingegen trägt das Œuvre Dugins postmodernistische Züge und zeichnet sich durch theoretische Beliebigkeit sowie programmatische Offenheit aus.

Zwar taucht in den meisten Texten Dugins ein gemeinsames Grundmotiv auf – die radikale Ablehnung der heutigen liberalen Welt. Dugins Analyse des Niedergangs wie auch seine Formulierung des Fundamentalkonflikts und des Vorschlags der Überwindung der westlich geprägten Nachkriegsmoderne verfolgen jedoch keine klare Linie. Im Gegensatz zum monokausalen Weltbild Gumiljows ist Dugins Diskurs plural, eklektisch und oft in sich widersprüchlich.

Trotz oder auch wegen der von Phasen und Stimmungen geprägten Rhetorik hat der Publizist eine Anhängerschaft im weltweiten antiliberalen sowie insbesondere neofaschistischen Milieu gefunden. Bei Besuchen der USA wurde Dugin von Zbigniew Brzezinski und Francis Fukuyama zu kurzen Gesprächen empfangen. Die US-Zeitschrift «Foreign Policy» klassifizierte Dugin 2014 gar als einen der 100 «weltweit führenden Denker» in der Kategorie Agitatoren. Solche Überbewertungen seines Einflusses illustrieren eine erstaunliche Aufmerksamkeit für die spekulativen Narrative Dugins.

Eine Frühphase in Dugins Entwicklung war geprägt vom Interesse des Nonkonformisten für klassische westeuropäische und nordamerikanische geopolitische Theorien der Vor- und Zwischenkriegszeit, etwa für die Schriften von Sir Halford Mackinder und Karl Haushofer. Gleichzeitig entdeckte Dugin damals für sich die deutsche konservative Revolution, nicht zuletzt Carl Schmitt. Diese Beschäftigung führte zu Dugins zeitweiser Begeisterung für eine Art Physiogeopolitik.

Laut ihr erklären die physische Verortung von Nationen auf den Kontinenten und ihre Entfernung von den Ozeanen sowie der daraus resultierende telluro- beziehungsweise thalassokratische (das heisst land- oder seemächtige) Charakter ihrer Kulturen die Weltgeschichte. Die kollektivistischen und autoritären Landmächte, heute angeführt von Russland, befinden sich – laut Dugins damaligen Schriften – in einem jahrhundertealten Existenzkampf mit den individualistischen und liberalen Seemächten, heute angeführt von den USA.

Zur Kommunikation innerhalb Russlands dient Dugin der Begriff «Neoeurasismus» eher als Verschleierungsinstrument denn als Grundidee. Damit verdeckt Dugin seinen Schmuggel von antiliberalen, nichtrussischen Ideen wie integralem Traditionalismus, Nationalbolschewismus, politischem Okkultismus oder Ethnopluralismus in den russischen intellektuellen Diskurs.

Er benutzt den Namen einer renommierten intellektuellen russischen Emigrantenbewegung der Zwischenkriegszeit, die «Eurasier», um die oft protofaschistischen westlichen Quellen seiner radikal antiwestlichen Theorien zu verbergen. Anders als Gumiljow hat es Dugin dennoch nicht vermocht, breite Resonanz im sozialwissenschaftlichen Establishment Russlands zu erlangen. Obwohl er einige Jahre als Lehrstuhlleiter an der MGU amtierte, wird er kaum als ernstzunehmender Akademiker wahrgenommen.

Konspirologie contra Demokratie

Dennoch hat Dugin dazu beigetragen, nicht nur den medialen Raum mit manichäischen Ideen zu vergiften. Die hohe Präsenz Dugins und ähnlicher Akteure in den russischen Medien und Buchläden hat zu einer Relativierung geschichts- und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse für die Erklärung russischer und allgemeiner internationaler Beziehungen beigetragen.

Eine derartige Unterwanderung quellenbasierter öffentlicher Diskussion ist freilich auch in anderen Gesellschaften der Welt zu beobachten. Allerdings geht die Loslösung intellektueller und medialer Debatten in den russischen Staatsmedien und sozialen Netzwerken von den Ergebnissen empirischer Forschung viel weiter. Sie hat in den letzten Jahren und Monaten zu einer zunehmenden Emigration beziehungsweise Verinselung rational argumentierender russischer Sozial- und Geschichtswissenschafter geführt.

Die neuerliche Entstellung des Verhältnisses zwischen Sozialwissenschaft und Gesellschaft hatte bereits vor den Eingriffen von Putins Polittechnologen in den öffentlichen Diskurs ab Sommer 1999 begonnen. Die Popularität Fomenkos, Gumiljows, Dugins und ähnlicher Pseudohistoriker war daher nicht nur ein Symptom des Aufstiegs eines neuen postsowjetischen Antiliberalismus. Die Tausende Schriften und Medienprodukte der russischen antiwestlichen Paraintellektuellen waren – ähnlich der Rolle der konservativen Revolution beim Niedergang der Weimarer Republik – auch ein Bestimmungsfaktor der abermaligen Abwendung Russlands von Europa im neuen Jahrtausend.

Für eine Gesundung der russischen Gesellschaft bedarf es nicht nur eines politischen Regimewechsels, sondern auch einer Neugeburt der Sozial- und Geschichtswissenschaften sowie des humanistischen Intellektuellendiskurses des Landes.
(https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/wissen/ukrainekrieg-die-akademische-vorhut-ld.1696215)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Urteil gegen Verschwörungsanhänger: Und Alex Jones sendet einfach weiter
Selbst eine Busse von 50 Millionen Dollar kann den Verschwörungsanhänger nicht zum Schweigen bringen. Kurz nach der Urteilsverkündung war der US-Hassredner schon wieder auf Sendung.
https://www.derbund.ch/und-alex-jones-sendet-einfach-weiter-896338135629


+++HISTORY
Sonntagszeitung 07.08.2022

Spaniens dunkle Vergangenheit: Auf der Suche nach den Überresten meines Urgrossvaters

Tausende Ermordete aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs liegen in anonymen Massengräbern. Nur langsam arbeitet das Land seine blutige Vergangenheit auf. Autor Cyrill Pinto war an der Ausgrabung dabei, wo die Überreste seines Urgrossvaters vermutet werden.

Cyrill Pinto

«Es war emotional, zu sehen, dass auch andere nach ihren Angehörigen suchen»: Cyrill Pinto zeigt im Video, wie die Arbeiten an der Ausgrabungsstätte vorangehen.
Video: Tamedia
https://unityvideo.appuser.ch/video/uv445867h.mp4

Es ist eine mühsame, langwierige Arbeit. Vor allem wenn die Erde von Kieselsteinen durchsetzt ist und der Staub, vermischt mit Regenwasser, wie Beton zusammenklebt. Mit einer kleinen Kelle schabe ich vorsichtig Zentimeter um Zentimeter ab. Immer mit der Sorge, einen Knochen zu beschädigen. Die Knie schmerzen, und unter dem Zelt steigt die Temperatur am Nachmittag auf über 30 Grad. In der Mitte des Grabes tönt die Erde hohl. Ein untrügliches Zeichen, dass darunter Knochen liegen. Und tatsächlich: Der Stein, den ich vorhin freigelegt habe, entpuppt sich als Pelvis, der obere Teil eines Beckens. Nach und nach kommen weitere Überreste zum Vorschein, und wir realisieren: Was als kleines Grab ausgehoben wurde, ist tatsächlich ein grösseres Massengrab, in das die Opfer einfach hineingeworfen wurden. Vier Schädel sind zu sehen, doch die übrigen freigelegten Knochenteile zeigen: Hier liegen viel mehr Menschen begraben, als die Archäologen der Universität von Granada angenommen hatten.

In der Schlucht von Víznar liegen an die 300 Opfer aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs. Als sich im Juli 1936 die faschistischen Generäle gegen die erst fünf Monate zuvor gewählte linke Regierung der Volksfront erhoben, fiel die südspanische Stadt Granada als eine der ersten in die Hände der Putschisten. Um ihre Macht in der sozialdemokratisch regierten Stadt zu sichern, richteten die neuen Machthaber einfach alle politischen Gegner hin und verscharrten sie in Massengräbern rund um die Stadt. Der Dichter Federico García Lorca war das prominenteste Opfer. Auch der Bürgermeister von Granada und der Rektor der Universität gehörten dazu – und mein Urgrossvater Valentin Pinto.

Die Familie wusste nie viel darüber, warum und unter welchen Umständen er ums Leben kam. «Wenn du jetzt gehst, kommst du nicht mehr wieder», soll meine Urgrossmutter gesagt haben, bevor ihn Bewaffnete im August 1936 in ihrer Wohnung abholten. 39 Jahre alt war er damals, verheiratet, vier Kinder. Eines davon mein Grossvater, damals 9 Jahre alt. Er sprach nie viel über die Umstände, wie er zur Halbwaise wurde. Wohl auch, weil die nach dem Trauma des Bürgerkriegs folgenden 40 Jahre Diktatur sich bleischwer über das Land legten und die damaligen Geschehnisse ein Tabu waren, für das man leicht ins Gefängnis kam. Noch bis in die 50er-Jahre hinein wurden politische Gegner hingerichtet. Kinder der Represaliados, wie die Opfer der franquistischen Repression genannt werden, standen unter einem besonders wachsamen Auge der Guardia Civil.

Mein Grossvater entschloss sich deshalb, wie so viele seiner Generation, seine Heimat zu verlassen, und zog 1962 in die Schweiz. Wenige Jahre später folgte ihm seine Familie nach Visp im Wallis. Mein Vater war damals 12 Jahre alt. Was in Granada genau geschah, wusste weder mein Grossvater noch mein Vater. Nur dass die Worte der Urgrossmutter traurige Wahrheit wurden.

«In den ersten Tagen der glorreichen Bewegung exekutiert»

Erst 2014 im Rahmen meines Studiums stiess ich im Bürgerkriegsarchiv von Salamanca auf Unterlagen, die den Tod meines Urgrossvaters bestätigten. «Valentin Pinto wurde in den ersten Tagen der glorreichen Bewegung exekutiert», heisst es auf einem der Dokumente, die posthum nach dem Bürgerkrieg angefertigt wurden, um die Verbrechen der Bürgerkriegszeit zu legitimieren. Damals knüpfte ich den Kontakt zum lokalen Verein «zur Wiederherstellung des historischen Andenkens». Mit seiner Unterstützung erhielt ich Zugang zu weiteren Dokumenten über meinen Urgrossvater und seine Familie. Sie zeigen, dass er früh für die Kommunistische Partei aktiv war, zuerst in seiner Heimat Salamanca. Später dann in Granada, wo er als Inspekteur für eine Versicherung arbeitete. Und wo er als wichtiger Propagandist für die Kommunistische Partei aktiv war, wie Unterlagen aus dem Stadtarchiv von Granada zeigen.

Erst 2021 beginnen die ersten Ausgrabungen an dem Ort, wo die Überreste meines Urgrossvaters und vieler weiterer Opfer vermutet werden. In diesem Juni bietet sich die Gelegenheit, bei den Ausgrabungsarbeiten dabei zu sein. Professor Francisco Carrión Méndez von der Universität Granada, der die Arbeiten leitet, willigt spontan ein, als ich ihn frage, ob ich mithelfen dürfe.

So stehe ich an diesem Montagmorgen um acht vor der alten Mühle in Víznar. Im restaurierten zweistöckigen Gebäude ist das Ethnologiemuseum des Dorfes untergebracht. Neben Ausstellungsstücken alter landwirtschaftlicher Geräte und Fotos hat das Team von Professor Carrión sein Hauptquartier eingerichtet. Im zweistöckigen Gebäude lagern die Archäologen ihr Gerät. Im oberen Teil stapeln sich weisse Plastikboxen, angeschrieben mit schwarzem Filzstift. Darin sind die Gebeine der ersten Opfer aus dem Barranco gelagert, nachdem die Knochen gesäubert, fotografiert und eine DNA-Probe genommen wurde. Ich werde der Gruppe von José-Angel zugeteilt. Der Archäologe kümmert sich um die Bachelorstudenten, die am Ende ihres Studiums noch ein Praktikum bestehen müssen, um ihr Diplom zu erhalten. Dafür müssen sie Schwerstarbeit leisten: Mit Pickel und Harke brechen sie das steintrockene Erdreich auf und arbeiten sich langsam nach unten. Die Gruppe lernt auch den Umgang mit den Vermessungs­instrumenten. Sandsäcke müssen aufgefüllt und gestapelt werden, damit die Ausgrabungsstelle mit einem Zelt aufgebaut werden kann. Dieses schützt das offene Grab vor der Witterung und vor neugierigen Blicken von Wanderern und Bikern, welche die Ausgrabungsstätte regelmässig frequentieren. Am Nachmittag wird es brütend heiss unter den weissen Planen – obwohl die Seitenwände hochgerollt sind. Um 16 Uhr ist jeweils Schluss. Mit dem Auto von Pablo fahren wir dann von Víznar nach Granada. Hinein in die brütende Nachmittagshitze

In ganz Spanien liegen solche Gräber aus der Bürgerkriegszeit – in Schluchten, auf Olivenhainen oder unter Spielplätzen. Regelmässig kommen bei Bauprojekten Überreste aus der Zeit zum Vorschein. 2003 fand man bei der Schlucht von Carrizal, südlich von Granada, ein Massengrab mit mehreren Hundert Opfern der Repression. Allein in Andalusien wird die Zahl der «Verschwundenen» auf 70’000 geschätzt. Landesweit haben die Hinterbliebenen­vereine die Namen von 143’000 Personen aufgeschrieben. Der britische Historiker Antony Beevor trug in seinem Standardwerk über den Spanischen Bürgerkrieg die Zahl von 200’000 Opfern der nationalistischen Säuberung zusammen – die Toten des Bürgerkriegs nicht eingerechnet.

Obwohl Spanien nach dem Tod von Diktator Franco 1975 den politischen Wandel zu einem demokratischen Land schaffte, wurde erst 2007 ein Gesetz geschaffen, das die Opfer politischer, religiöser und ideologischer Gewalt des Bürgerkriegs und des Franco-Regimes anerkannte und die Diktatur verurteilte. Das Gesetz zur Wiederherstellung des historischen Gedenkens sieht auch die Zusage öffentlicher Hilfe bei der Suche, Identifizierung und Exhumierung von Opfern der franquistischen Unterdrückung vor – wie hier in den Bergen rund um Granada.

Erst seit 2007 arbeitet Spanien an der Aufarbeitung seiner Vergangenheit

150’000 Euro hat das Team von Professor Francisco Carrión von der Zentralregierung in Madrid erhalten, um die Arbeiten zwischen April und September bei Víznar voranzutreiben. Auch für das kommende Jahr sind bereits Mittel in derselben Höhe gesprochen. Denn auf das Team, zusammengesetzt aus Archäologen und forensischen Anthropologen, wartet viel Arbeit: «Historiker, die zu diesem Thema gearbeitet haben, vermuten bis zu 300 Personen, die hier in der Schlucht begraben sind», sagt Carrión. Ein paar Hundert Meter weiter, an einer Stelle namens Caracolar, werden weitere Gräber vermutet – ebenso bei Porto Lobo, etwas oberhalb vom Barranco. Dort wurden laut Historikern die Opfer der ersten Wochen der Repression verscharrt – wahrscheinlich auch mein Urgrossvater.

Als die Region um Granada im Juli 1936 beim Putsch der aufständischen Generäle in die Hand von Francisco Franco fiel, setzten seine Statthalter von Beginn an auf Terror, um die traditionell starke Linke im Süden in Schach zu halten. In Sevilla wurden 8000 Arbeiter hingerichtet. In Granada geht man von über 4000 Opfern der Repression aus – wie viele es genau sind, kann niemand sagen. Denn die meisten wurden – wie mein Urgrossvater – in den ersten Wochen und Monaten des Aufstands erschossen, ohne Urteil oder Totenschein. Nur wenige dieser Opfer wurden bisher identifiziert und ihren Familien übergeben, um danach ordentlich bestattet werden zu können.

Seit 2007 machen sich Gruppen in ganz Spanien auf, die blutige Vergangenheit aufzuarbeiten. Doch die Zeit der Diktatur hallt bis heute nach. Vor allem konservative Kreise bekämpfen zum Teil weiterhin Vorstösse, welche die Aufarbeitung der Geschichte bezwecken, und sprechen dabei von Revanchismus und dem Versuch, den Bürgerkrieg doch noch für die Linke gewinnen zu wollen. So möchte die rechtspopulistische Partei Vox laut ihrem Parteiprogramm das Gesetz des historischen Gedenkens durch ein «Gesetz der Eintracht» ersetzen. Für sie ist die Aufarbeitung der Verbrechen ein Angriff auf die Rechte und auf ihr Bild von Spanien.

Dabei sind sich Historiker heute einig, dass die Aufarbeitung zum Erhalt des Friedens nötig ist. Zum ersten Mal mit dem alten Konzept von Vergeben und Vergessen gebrochen wurde nach dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien, als Kriegsverbrechen aufgearbeitet wurden und die Täter vor Gericht gestellt wurden. Das wird in Spanien nie passieren, da die Täter schon lange tot sind. Trotzdem weigert sich das Land beharrlich, Symbole der Diktatur aus dem Strassenbild zu entfernen oder die Opferfamilien bei der Suche nach ihren Angehörigen zu unterstützen. Zuletzt strich die konservative Regierung Rajoy 2013 alle Gelder zur Unterstützung der Arbeiten zur Aufarbeitung.

Etwa 50 Personen haben sich an diesem Samstagvormittag in der Schlucht bei Víznar versammelt. Sie sitzen in kleinen Gruppen auf den Steintreppen oberhalb des Zeltes, wo das grösste der drei Gräber ausgehoben wurde. Es sind die Angehörigen von Represaliados, politischen Feinden des Regimes, die in den ersten Wochen des Aufstands ermordet und in Massengräbern verscharrt wurden.

Angehörige geben ihre DNA, um die Opfer zu identifizieren

Zum ersten Mal erfahren sie von Professor Carrión Details: «Alle Opfer, die wir bisher exhumiert haben, wurden mit einem Schuss in den Kopf hingerichtet. Wahrscheinlich mit einer Pistole vom Kaliber 9 mm oder mit Gewehren der Marke Mauser», erklärt Carrión. «Forensische Anthropologen, die die Überreste untersuchten, haben ausserdem Beweise für prämortale Verletzungen gefunden. Diese deuten darauf hin, dass viele Opfer vor ihrem Tod gefoltert wurden.» Ausserdem wurden Opfer gefunden, die an Händen und Füssen mit Elektrokabel gefesselt waren. Weil zudem viele Projektile und Patronenhülsen ausgegraben wurden, gehen die Forscher davon aus, dass die Opfer an Ort und Stelle exekutiert und verscharrt wurden.

Ich bin nicht der einzige Angehörige, der hier ist. Paca steht mit ihrer Freundin beim Zelt und weint. «Wir wussten nie, was mit meinem Grossvater geschah. Erst jetzt, nach so langer Zeit, erhalten wir Gewissheit über sein Schicksal», sagt sie Arm in Arm mit der Freundin. Den beiden Frauen geht das Schicksal ihrer Verwandten noch immer sehr nahe. Die meisten anderen sind einfach nur interessiert. Danach laufen wir alle runter zur Strasse und fahren zur alten Mühle in Víznar. Im oberen Stock haben die Anthropologen Erik und Laura die Papiere vorbereitet, welche die Angehörigen unterzeichnen müssen, damit ihnen eine DNA-Probe genommen werden kann. Mit Wattestäbchen werden zwei Proben aus dem Mund genommen und danach in beschrifteten Plastikröhrchen verschlossen. Über mehrere Generationen hinweg kann mithilfe des genetischen Fingerabdrucks die Familienzugehörigkeit festgestellt werden. Bei den gefundenen Opfern wird die DNA aus den Backenzähnen gewonnen.

Zugang zu Informationen dank Unterstützung von Vereinen

Silvia Gonzales arbeitet für die Vereinigung zur Wiederherstellung des historischen Andenkens in Granada. Sie nimmt Anfragen von Familienangehörigen entgegen und recherchiert in lokalen Archiven nach Informationen über vermisste Personen. «Die meisten wollen wissen, wo ihre Angehörigen erschossen und begraben wurden», sagt sie. «Viele wollen auch einfach wissen, weshalb.» Mit der Unterstützung des Vereins erhalten Angehörige Zugang zu Dokumenten. «Anhand dieser können die Familien die Geschichte ihrer verschollenen Verwandten nachzeichnen.»

In der zweiten Woche hier in Südspanien steigen die Temperaturen schon am Vormittag auf über 30 Grad, wir beginnen deshalb bereits um 7 Uhr mit der Arbeit. Zuerst pickle ich die Erde an der Oberfläche auf. Die Bachelorpraktikanten schaufeln die Erde in die beiden Karretten und entleeren sie am Rand der Ausgrabungsstätte. Meine Hände sind von der strengen Arbeit so verkrampft, dass ich die eine mit der anderen öffnen muss. Nach einem halben Meter wird die Erde etwas lockerer. Statt der Pickel kommt jetzt die Hacke zum Einsatz. Mit ihr wird die Erde nur oberflächlich abgeschabt. Knochen, die zum Vorschein kommen könnten, werden so weniger beschädigt. Mit Sonden war zuvor die ungefähre Lage des Massengrabs festgestellt worden. Ab der Höhe des Grabs arbeiten wir nur noch mit Maurerkellen, um die Erde langsam abzutragen, auf den Knien, darunter eine Schaumstoffmatte zum Schutz vor Steinen.

Später am Nachmittag kommen die ersten Knochenreste zum Vorschein. Neben dem Beckenknochen, den ich freigelegt habe, fand Pablo einen Schädel mit Wirbelsäule und Rippen. Später stellt sich heraus: Dieses Grab war ein Massengrab nur für Frauen. Die Überreste von insgesamt 12 Opfern wird das Archäologenteam hier bergen. Erst im nächsten Jahr wird die Equipe rund um Professor Carrión weiter oben bei Porto Lobo mit den Ausgrabungen beginnen – und dort vielleicht auch die Überreste meines Urgrossvaters finden.



Spanischer Bürgerkrieg

Zwischen 1936 und 1939 tobte in Spanien ein Bürgerkrieg, der eine halbe Million Todesopfer forderte. Putschisten aus den Reihen der Armee erhoben sich am 17. Juli 1936 gegen die gewählte Regierung aus Sozialdemokraten und Sozialisten. Mithilfe der Unterstützung von Nazideutschland und Mussolinis Truppen gelang es den aufständischen Militärs um Francisco Franco, die Oberhand zu gewinnen und die reguläre Armee zu besiegen. Während der folgenden Diktatur verliessen Hunderttausende das Land, vor allem in Richtung Südamerika. Erst nach dem Tod Francos 1975 gelang Spanien die Wandlung zu einer Demokratie. Die Verbrechen der Diktatur sind jedoch weitgehend nicht aufgearbeitet worden. (pin)
(https://www.derbund.ch/auf-der-suche-nach-den-ueberresten-meines-urgrossvaters-552162456904)